Mitteilungen der ÖSG Schmerzverarbeitung und Therapeutische Optionen bei Kindern Die unerkannten Schmerzen von Kindern P.J. Scheer Psychosomatik und Psychotherapie Klinische Abteilung für allgemeine Pädiatrie Univ. Klinik für Kinder- und Jugendheilkunde Medizinische Universität Graz Auenbruggerplatz 30 8036 Graz
Schmerz 2009 · 23:677–686 DOI 10.1007/s00482-009-0843-0 © Springer Medizin Verlag 2009
„Säuglinge und Kleinkinder können Schmerz nicht über Sprache äußern. Sie zeigen ihn. Sowohl ihre nähere Umgebung, als auch die Mitglieder des Pflege und Ärzteteams können ihn beobachten. In Österreich können viele Mütter auf Grund ihres Migrationshintergrunds auch nur schwer dazu Mitteilungen in der Landessprache machen. Wir haben uns zu einer auf den Schmerz ge richteten Aufmerksamkeit entschlossen. In den USA wird in vielen Kliniken Schmerz neben den anderen klassischen Parameters erhoben. Bei uns stehen wir diesbezüglich am Anfang. In einer großangelegten Aktion hat sich die Ab teilung für Allgemeinpädiatrie entschlossen, den Schmerz als Problem zu fo kussieren. Nunmehr haben wir die Schmerzanalogskala und die „Reaktion“ der Ärztinnen und Ärzte soweit festgelegt, dass wir noch 2009 standardisiert auf Schmerz reagieren können. Dabei geht es nicht um den „spektakulären“ Patienten, um den chronisch kranken und den Tumorpatienten, sondern das Kind mit Bauchschmerzen bei Gastroenteritits, die quälenden Schmerzen ei ner Otitis media und die alltäglichen Probleme. Hier Hilfe im Sinne des me dizinischen Grundsatzes: Schmerzen lindern, Krankheit heilen, zu bringen ist eine Herausforderung, der sich Österreich lange nicht gestellt hat. Hier muss und wird sich in den nächsten Jahren viel ändern.“
Abstracts der .Wissenschaftlichen Tagung der Österreichischen Schmerzgesellschaft
Schmerzen bei Kindern mit Mehrfachbehinderung C. Gravou-Apostolatou1,2, N. Grießinger2, R. Sittl2 Kinder- und Jugendklinik, Universitätsklinikum Erlangen1, Schmerzzentrum, Universitätsklinikum Erlangen2 C. Gravou-Apostulatou Kinder- und Jugendklinik Universitätsklinikum Erlangen Loschgestraße 15, 91052 Erlangen, D
Inhalt Schmerzverarbeitung und Therapeutische Optionen bei Kindern
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Machen Schmerzmittel süchtig?
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Praktikum B: Musiktherapie bei Schmerzen
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Kopfschmerz kontroversiell
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Neues aus der Grundlagenforschung
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Oxycodon / Naloxon: Das neue Prinzip in der Schmerztherapie
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Psychologische Behandlung chronischer Schmerzen
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Key Note Lecture III
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Freie Wissenschaftliche Vorträge
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Ist die Placebo-Analgesie ethisch vertretbar?
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Key Note Lecture IV
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Schmerz bei neurologischen Erkrankungen
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Schmerzchronifizierung psychisch und/oder somatisch?
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Schmerzen bei mehrfach behinderten Kindern sind ein lange vernachlässigtes Problem. Etwa drei Viertel der mehrfach behinderten Kinder haben chro nische Schmerzen, die ihren Alltag stark beeinträchtigen. Durch die einge schränkte Kommunikationsfähigkeit stellt die Diagnostik und Therapie von Schmerzen eine große Herausforderung für das behandelnde Team dar. Die Schmerztherapie wird ebenso durch die häufige Komorbidität der Patienten und fehlende einfache Schmerzmessinstrumente kompliziert. Neben akut auftretenden Schmerzen leiden mehrfach behinderte Kinder oft an chronischen Schmerzen. Krankheitsbedingt werden häufig schmerzhafte chirurgische Interventionen (Kontraktionsoperationen, neurochirurgische Eingriffe) durchgeführt. Kinder mit Mehrfachbehinderung erhalten nach großen Operationen deutlich weniger Schmerzmittel als Kinder ohne Behin derung. Bei Verdacht auf schmerzbedingte Verhaltensänderungen muss ein breites Krankheitsspektrum in der Differentialdiagnostik berücksichtigt wer den: Gastroösophagealer Reflux, Gastritis, Obstipation, Zystitis bei Reflux und wiederholter Katheterisierung, Nephrolithiasis, prolongierte postoperative Schmerzen, Muskelschmerzen durch Spastik, Gelenkschmerzen durch Kon trakturen, Rückenschmerzen bei Skoliose und Blockeden, Hüftgelenkluxation, pathologische Frakturen bei Osteoporose, Zahnschmerzen sowie Kopf schmerzen bei ShuntDysfunktion. Für die Betreuung in der Lebensendpha se sind bei mehrfach behinderten Kindern individuelle Konzepte notwendig um eine gute Betreuung für den Patienten und seine Familie zu gewährleis Der Schmerz 9 · 2009 |
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ten. Neben einer multimodalen Therapie der Grunderkrankung ist eine an den pathophysiologischen Ursachen orientierte Schmerztherapie notwendig. Eine enge Kooperation zwischen Kinderarzt, Neuropädiater und erfahrenen Schmerztherapeuten ist Voraussetzung für eine optimale Therapie.
Pädiatrische Palliative Care G. Janßen Klinik für Kinder-Onkologie, -Hämatologie und Klinische Immunologie Moorenstraße 5 40225 Düsseldorf, D Kinder und Jugendliche mit lebensverkürzenden Erkrankungen, wie Krebs, Muskeldystrophie, Mukoviszidose oder Stoffwechseldefekten benötigen von der Diagnose bis zum Tod eine umfassende medizinische, pflegerische und psychosoziale Versorgung, die auch die Begleitung der gesamten Familie mit einschließt. Diese palliative Versorgung kann z. B. bei Krebserkrankungen nur einen kurzen Zeitraum, jedoch mit multiplen, schwer zu therapierenden Symptomen ein nehmen. Im Rahmen einer neurodegenerativen Erkrankung ist auch ein jahre langer Verlauf mit krisenhaft auftretenden Verschlechterungen, die den Ein satz spezialisierter Palliativversorgung notwendig macht, möglich. Die palliative Behandlung von Kindern unterscheidet sich von der der Er wachsenen durch die weitaus geringere Anzahl betroffener Patienten mit unterschiedlichem Entwicklungstand und einem altersabhängig verschie denen Verständnis von Krankheit und Tod. In der Präsentation werden die Bedürfnisse der Kinder und ihrer Familien im Hinblick auf die meist bevorzugte ambulante Versorgung in der Lebensend phase dargestellt. Seit 2007 ist in Deutschland der Anspruch auf eine ambu lante palliativmedizinische Versorgung für jeden Patienten gesetzlich veran kert. Dabei sollen die Belange von Kindern besonders beachtet werden. Dies stellt jedoch niedergelassene Kinderärzte, die aufgrund der Seltenheit der Fäl le meist nur über wenig Erfahrung in der Symptomkontrolle von kindlichen Palliativpatienten verfügen ebenso wie die ambulanten Kinderkrankenpflege dienste vor fast unlösbare Probleme. Spezialisierte Kinderpalliativteams sind nicht flächendeckend vorhanden. Die Finanzierung dieser Teams ist bis heu te nicht geklärt. Anhand eines Fallbeispiels werden die Aufgaben eines Kinderpalliativteams in der Versorgung von Patient und Familie aber auch im Aufbau von regio nalen Netzwerken aufgezeigt.
Machen Schmerzmittel süchtig? Machen Schmerzmittel süchtig? – Pro E. Beubler Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie, Medizinische Universität Graz, Universitätsplatz 4, 8010 Graz Wird die Frage auch mit einem klaren „JA“ beantwortet, müssen wir sorgfältig unterscheiden, welche Personen bzw. Patientengruppen betroffen sein kön nen. Ferner müssen alle Schmerzmittel in die Betrachtung einbezogen wer den. Suchtpotential besitzen: Paracetamol, banale analgetische Mischpräpa rate, Mischpräparate mit Coffein, NSAR, schwache Opioide v.a. Tramadol, starke Opioide, Ketamin, Cannabinoide, sowie Antikonvulsiva wie Gabapen tin und Pregabalin. Die Missbrauchshäufigkeit geht nicht mit dem Suchtpoten tial der verwendeten Substanzen einher. Bei präfinalen Tumorpatienten wird eine iatrogene Sucht bzw. Abhängigkeit heute großzügig toleriert. Kritischer wird die Suchtentwicklung bei der Therapie von Nicht-Tumor-Schmerzen mit Opioiden beurteilt. Angaben in der Literatur sprechen von bis zu 50 % süchtig gewordener Patienten. Vor allem ungerechtfertigt hohe Dosierungen werden oft leichtsinnig verabreicht. Bei den genannten Gruppen entsteht also Sucht im Zuge der Schmerzbehandlung. Analgetika werden aber auch ohne Indikati on verabreicht bzw. selbst eingenommen. Tumorpatienten bekommen mitun ter hohe Dosen von Opioiden auch ohne Schmerzen zu haben – der direktes te Weg zur Sucht. Kopfschmerzpatienten missbrauchen Mischanalgetika und Paracetamol als Vorbeugung und können diesen Missbrauch ohne ärztliche
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Hilfe nicht beenden. Puren Missbrauch ohne vorherige Schmerzbehandlung betreiben Ärzte, oft Anästhesisten und anderes medizinisch tätiges Personal weil die Beschaffung einfach und verführerisch ist. Die bei dieser Gruppe häu fig verwendeten Substanzen sind Fentanyl, Sufentanil, Ketamin und Propofol mit dem Ergebnis einer echten Sucht. All diese Beobachtungen zu bagatelli sieren wäre eine falsche Liberalisierung der Verschreibung wichtiger, gut und stark wirksamer Arzneimittel in der Schmerzbehandlung.
Machen Schmerzmittel süchtig - Contra OM Lesch Klinische Abteilung für Biologische Psychiatrie Univ. Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Medizinische Universität Wien Währinger Gürtel 18-20, 1090 Wien Das Thema Sucht ist sehr emotional besetzt. Auch in Bezug auf Schmerzmit tel als Suchtmittel wird sehr wenig auf das heutige Wissen Rücksicht genom men. Man erlebt auch heute noch, dass man bei Schwerstkranken Schmerz patienten mit einer Lebenserwartung von wenigen Monaten die Frage nach dem Suchtpotential des Schmerzmittels gestellt wird. Wenn man nun als Psychiater, der sich seit vielen Jahren mit der Therapie von Abhängigkeitserkrankungen befasst, die Fragestellung „Machen Schmerzmit tel süchtig“? betrachtet, kann man folgendes in den Vordergrund stellen. Die Diagnose Abhängigkeit nach ICD10 oder DSMV ist für die Festellung von Häufigkeiten, für finanzielle Belange und für Gesundheitsberufe mit ih ren Institutionen wichtig, aber für die Ursache, die Therapie und auch für den Verlauf absolut ungenügend und viel zu heterogen. Neugierde, das Verlangen nach Berauschung, die Veränderung des Bewusst seins, Geselligkeitsbedürfnisse und Modeerscheinungen sind die häufigsten Ursachen um Tabak, Alkohol oder Haschisch zu konsumieren. Die Neugierde steht auch bei harten Drogen im Vordergrund. Das Rauscherleben, nicht lös bare Konflikte und Angst vor der Zukunft sind Einstiegsmotivationen für harte Drogen. Ich kenne keine methodisch gute Arbeit, die bei sicher organisch be dingten Schmerzen eine Abhängigkeitsentwicklung beschreibt. In einer großen epidemiologischen Studie konnten wir zeigen, dass Abhän gigkeit zum Beispiel von Tabak die Abhängigkeiten von anderen Suchtmit teln signifikant steigert. Aus psychologischen Untersuchungen wissen wir, dass ein sehr stark herabge setztes Selbstwertgefühl und- oder zu rigide Moralvorstellungen oft die Ursa che für eine Suchtentwicklung sind. Soziologische Einflüsse durch die Grup pe sind für die Suchtentwicklung auch nicht zu unterschätzen. Es wird ein Fragebogen vorgestellt, der diese Gefährdung erfassen könnte und er wird auch bereits in mehreren Schmerzambulanzen verwendet, sodass wir in kurzer Zeit Aussagen zu seiner Validität und Reliabilität machen können. Handelt es sich um eine echte Komorbidität (Abhängigkeit und Schmerzpa tient) müssen realistische Therapieziele und die Therapie nach beiden Pro blemen modifiziert werden. Die Therapie der Abhängigkeit richtet sich nach den Untergruppen, wie wir sie beim Alkohol beschrieben haben oder wie sie Peter Hermann bei Opiatabhängigen beschreibt.
Praktikum B: Musiktherapie bei Schmerzen Evidence based Musiktherapie bei chronischen Schmerzen T. K. Hillecke1, B. Baumgarth2 1 Prodekan der Fakultät für Musiktherapie, SRH Hochschule Heidelberg, Maaßstr. 26, 69123 Heidelberg 2 Deutsches Zentrum für Musiktherapieforschung (Viktor Dulger Institut) DZM e.V., Maaßstr. 32/1, D-69123 Heidelberg Studienergebnisse der Heidelberger Schmerz- Musiktherapieforschung wer den vorgestellt. Die multidisziplinäre Forschergruppe aus Musiktherapeuten, Fachärzten und Psychologen arbeitet seit zehn Jahren auf dem Gebiet der Ent wicklung evidenzbasierter Musiktherapiemanuale in den Bereichen chro nische, nicht-maligne Schmerzen bei Erwachsenen, Tumorschmerzen, Kin dermigräne und primäre Kopfschmerzen im Jugendalter. Hieraus sind inzwi schen evidenzbasierte, manualisierte Musiktherapieverfahren entstanden, die
Mitteilungen der ÖSG eine Notwendigkeit weiterer Forschungsbestrebungen in diesen Bereichen be stärken und für die Weiterführung evidenzbasierter Musiktherapieforschung mit diesem Forschungsschwerpunkt vielversprechend erscheinen. Diese klinische Forschung zeigt eine eindeutige Wechselbeziehung zwischen somatischer und psychologischer Befindlichkeit, die eine biopsychosoziale Sichtweise von chronischen Schmerzerkrankungen erfordert und somit der Maßgabe von Interdisziplinarität folgt. In diesem Beitrag vorgestellte musik therapeutische Behandlungsmodelle können hinsichtlich ihrer nachgewie senen Wirksamkeit diesem Ziel gerecht werden. Ermöglicht wurden diese standardisierten Behandlungskonzepte durch langjährige Kooperationen mit dem Zentrum für Schmerz- und Palliativmedizin der Universität Heidelberg, der Fakultät für Musiktherapie der SRH Hochschule Heidelberg, der Kinderund Jugendpsychiatrie der Universität Heidelberg, dem Deutschen Zentrum für Musiktherapieforschung DZM e.V., sowie der Musiktherapeutischen Am bulanz an der Fakultät für Musiktherapie. Bisher sind zu fünf gesundheitspolitisch relevanten Krankheitsbildern wirk same Konzepte entwickelt und hinsichtlich ihrer Effizienz bezüglich Symp tomreduzierung und psychologischen Ergebnisvariablen überprüft worden: – Chronische, nicht-maligne Schmerzen: Die Ergebnisse zeigen bei 71% der behandelten Patienten (n=31), die eine adjuvante Musiktherapie erhielten eine klinisch signifikante Verbesserung (Hillecke 2005) – Replikationsstudie zu chronischen, nicht-malignen Schmerzen (2008): Die Ergebnisse bestätigten mit einer Verbesserungsquote von 68% (n=22) die Effekitivität der vorhergehenden Studie. – Migräne bei Kindern (Leins 2006): Die Reduktion der Attackenhäufigkeit und die Therapiezufriedenheit der Musiktherapiegruppe sind nach der In tervention dem Medikament und dem Placebo klinisch signifikant über legen (n=58). – Tumorschmerzen (Wormit 2008): Die Studienergebnisse zeigen eine kli nisch reliable Verbesserung des kombinierten Zielkriteriums bei 60% der Patienten (n=20). – Primäre Kopfschmerzen bei Jugendlichen (2009): Die subjektive, senso rische Schmerzstärke reduzierte sich während der Behandlungsphase bis lang um bis zu 60% (n=15).
Kopfschmerz kontroversiell Contra: Kopfschmerzen durch Schmerzmittelgebrauch – Eigene Entität D. Holle Klinik für Neurologie Universität Essen Hufelandstraße 26, 45147 Essen, D Der Zusammenhang zwischen Medikamentenübergebrauch und der Entste hung bzw. Perpetuierung chronischen Kopfschmerzen ist ein viel diskutier tes Thema der letzten Jahre. Bisher fehlen jegliche placebokontrollierte Un tersuchungen, die die Entstehung eines Übergebrauchskopfschmerzes aus ei ner episodischen Kopfschmerzform zeigen konnten. Zusätzlich existieren kei ne langfristigen prospektiven, kontrollierten Studien mit einem ausreichenden Patientenkollektiv, die eine Rückentwicklung von chronischer zu episodischer Migräne allein durch den Medikamentenentzug nachweisen. Die meisten Un tersuchungen beschäftigen sich lediglich mit dem Kurzzeiteffekt eines Ent zuges meist im Rahmen multipelster Interventionen wie einer stationärer Auf nahme mit intravenöser Schmerzmittel- und/oder Kortisongabe, nichtmedi kamentösen Maßnahmen sowie Beginn einer prophylaktischen Medikation. Zudem liegt nicht bei allen Patienten mit chronischen Kopfschmerzen ein Me dikamentenübergebrauch vor und es gibt zahlreiche Patienten, die auch ohne jegliche Einnahme von Akutmedikation unter täglichen Kopfschmerzen lei den. Die Daten aus den tertiären Kopfschmerzzentren sind in diesem Zusam menhang möglicherweise in möglicherweise verzerrt, da sich hier vermehrt Patienten mit einem Übergebrauch finden. Zudem konnten weitere Untersu chungen zeigen, dass die Beendigung des Übergebrauchs nur bei einem gewis sen Teil der Patienten zu einer Verbesserung der Kopfschmerzsymptomatik führt. Somit scheint gibt es auch Patienten zu geben, die zwar einen Medika
mentenübergebrauch betreiben, deren Kopfschmerz aber nicht kausal durch den Medikamentenübergebrauch bedingt ist. Andere Riskofaktoren wie psychiatrische Komorbiditäten, Adipositas und Stress stellen sicherlich ebenso wichtige Prediktionsfaktoren zur Entwick lung chronischer Kopfschmerzen dar und müssen daher in der Therapie be rücksichtigt werden.
Two different doses of Amitriptyline ER in the prophylaxis of migraine: long-term results and predictive factors Lampl C1, Huber G 1, Adl J1, Luthringshausen G2, Franz G3, Marecek S4, Weber J4, Baumhackl U5, Mueller T6 1 Department of Neurology and Pain Medicine, Konventhospital Barmherzige Brüder Linz, Austria 2 Department of Neurology, Christian Doppler Klinik, Private Medical University, Salzburg, Austria 3 Department of Neurology, Reutte County Hospital, Reutte, Austria 4 Department of Neurology, Klagenfurt State Hospital, Klagenfurt, Austria 5 Department of Neurology, Klinikum Mostviertel, St. Pölten, Austria 6 Department of Laboratory Medicine, Konventhospital Barmherzige Brüder Linz, Austria Prim. Priv. Doz. Dr. Christian Lampl Abteilung für Allgemeine Neurologie und Schmerzmedizin Konventhospital der Barmherzigen Brüder Linz Seilerstätte 2, 4020 Linz Background: The rationale for our study was to examine the prophylactic be nefit of two doses of amitriptyline over a 6-month observational period in pa tients with migraine. We aimed at evaluating of whether 50 mg of amitryp tiline extended release was more effective than 25 mg in reducing the num ber of migraine days. Methods: Primary outcome measure was the reduc tion of migraine days in time course (i.e., 3 and 6 months after patient en rolment). As secondary analyses, predictors of treatment response were eva luated. Treatment response was defined as reduction of ≥30% and ≥50% in migraine headache days in time course. Results: The intent-to-treat population comprised 132 patients (female, 96; male 36) with migraine. Median migraine days per month were reduced from 7 days (range, 6-15) at baseline, to 6 days (range, 4-12; p <0.001) at 3 months, and to 6 days (range, 3-12; p <0.001) at 6 months, respectively. However, no statistically significant difference in the number of migraine days was seen between the two treatment groups at 3 and 6 months. As a result of secondary analyses, the number of migraine days per month at baseline was the only independent predictor of response to amitrip tyline treatment (for both definitions of treatment response, i.e., response ra te ≥30% and response rate ≥50%) at 6 months. Conclusions: The prophylactic effect of amitriptyline seen in our study was rather weak and did not differ between the two treatment groups. The results of this six-month, prospective, open-label clinical observation are therefore not encouraging.
Neues aus der Grundlagenforschung GABAerge Optionen bei der Schmerztherapie H. U. Zeilhofer Institut für Pharmakologie und Toxikologie Universität Zürich Winterthurerstraße 190 8075 Zürich, CH Das Hinterhorn des Rückenmarks spielt eine wichtige Rolle bei der Schmerz kontrolle, indem es die Fortleitung nociceptiver Signale aus dem peripheren Gewebe ins zentrale Nervensystem kontrolliert. Diese Kontrolle wird unter anderem durch die hemmenden Neurotransmitter γ-Aminobuttersäure (GA BA) und Glycin vermittelt. Ein Verlust an synaptischer Hemmung im Rücken mark ist ein bedeutender Faktor bei der Entstehung und Aufrechterhaltung chronischer Schmerzen. Tatsächlich haben verschiedene tierexperimentelle Untersuchungen und einige wenige Humanstudien nachweisen können, dass Der Schmerz 9 · 2009
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Benzodiazepine, die die Wirkung von GABA an hemmenden GABAA Rezep toren potenzieren, eine antihyperalgetische Wirkung nach spinaler Gabe besit zen. Trotzdem sind klassische Benzodiazepine zur systemischen analgetischen Therapie nicht geeignet. Ursächlich hierfür sind begleitende unerwünschte Wirkungen, wie Sedation, Amnesie, Toleranzentwicklung und ihr Abhängig keitspotential. Zudem war es bisher sogar im Tierexperiment schwierig eine mögliche Analgesie von der begleitenden Sedation abzugrenzen. Neuere tierexperimentelle Untersuchungen unserer Arbeitsgruppe haben zu nächst bestätigt, dass intrathekal injizierte Benzodiazepine eine von der Seda tion unabhängige antihyperalgetische Wirkung gegenüber entzündlichen und neuropathischen Schmerzen besitzen. Wir konnten zudem zeigen, dass sich er wünschte antihyperalgetische Wirkung und verschiedene unerwünschte Wir kungen pharmakologisch separieren lassen. Während die Antihyperalgesie von GABAA Rezeptoren vermittelt wird, die die alpha-2 oder alpha-3 Unter einheit enthalten, beruht die sedierende Wirkung klassischer Benzodiazepine auf ihrer Interaktion mit anderen GABAA Rezeptorisoformen, die alpha-1 Un tereinheiten enthalten. In ersten proof-of-principle Studien an Ratten konn ten wir zeigen, dass systemisch verabreichte subtypselektive GABAA Rezep torliganden (L-838,417) entzündliche und neuropathische Schmerzen vermin dern, ohne sedierend zu wirken und ohne eine Toleranz zu erzeugen. Diese Versuche legen nahe, dass die selektive Verstärkung der spinalen GABAergen Hemmung einen Erfolg versprechenden neuen Weg für die Behandlung chro nischer – auch neuropathischer - Schmerzen darstellt.
Pharmakologische Grundlagen für die Fixkombination Oxycodon / Naloxon P. Holzer Forschungseinheit für Translationale Neurogastroenterologie, Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie, Medizinische Universität Graz Universitätsplatz 4, 8010 Graz Bei jeder Schmerztherapie mit Opioiden besteht das Risiko einer opioidindu zierten Obstipation (OIO). Obwohl die Prävalenz von OIO bei chronischer Opioidtherapie in einem weiten Bereich schwankt, sprechen Querschnittsbe fragungen zur gastrointestinalen Verträglichkeit von Opioiden für eine OIOPrävalenz von rund 80%. Dabei scheint die Formulierung, Applikationsrate und Pharmakokinetik des Opioids keine besondere Rolle zu spielen. Da das Management von OIO mit Laxantien für viele Patienten unbefriedigend ist, wurde schon lang nach Möglichkeiten einer kausalen OIO-Prävention ge sucht. Präklinische und klinische Untersuchungen belegen eindeutig, dass OIO primär durch eine Aktivierung von Opioidrezeptoren im Gastrointes tinaltrakt hervorgerufen wird. Im Verdauungstrakt sind Opioidrezeptoren hauptsächlich an Neuronen des enteralen Nervensystems lokalisiert. Wenn sie von Opioidanalgetika aktiviert werden, kommt es nicht nur zu einer Hem mung der Darmperistaltik bei gleichzeitiger Steigerung des gastrointestinalen Muskeltonus, sondern auch zu einer Hemmung gastrointestinaler Sekretions prozesse. Beide Effekte zusammen ergeben bei einer chronischen Opioidthera pie eine starke und anhaltende Obstipation. Der rationale Ansatz zur Präven tion von OIO liegt somit in einer selektiven Blockade der Opioidrezeptoren im Verdauungstrakt. Der Opioidrezeptorantagonist Naloxon weist bei ora ler Einnahme lediglich eine Bioverfügbarkeit von etwa 2 % auf, weil er einem sehr starken First-Pass-Metabolismus in der Leber unterliegt. Mit einer Re tardform von Naloxon ist es daher möglich, die Aktivierung von Opioidre zeptoren im Gastrointestinaltrakt selektiv und kontinuierlich zu verhindern, während die zentral vermittelte analgetische Wirkung von Opioiden unein geschränkt bleibt. Die Fixkombination aus retardiertem Oxycodon und re tardiertem Naloxon (TarginR) setzt dieses neue Konzept der Opioidanalge sie mit verbesserter peripherer Verträglichkeit praktisch um. Mehrere kont rollierte klinische Studien zeigen, dass der Zusatz von retardiertem Naloxon zu retardiertem Oxycodon die OIO signifikant verringert. Außerdem steigt die Zufriedenheit der Patienten mit der Opioidtherapie. Mit der Fixkombina tion aus Oxycodon und Naloxon in Retardform ist somit eine Therapieopti on verfügbar, die das Auftreten der OIO präventiv reduziert oder das Ausmaß einer bestehenden OIO vermindert.
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Die opioidinduzierte Obstipation: Prävalenz, Kosten und interprofessionelle Therapie J. Osterbrink Institut für Pflegewissenschaft Paracelsus Medizinische Privatuniversität Strubergasse 21 5020 Salzburg Die opioidinduzierte Obstipation gehört zu den häufigsten Nebenwirkungen bei der Behandlung von Menschen mit chronischen Schmerzen durch Opioide. Ihre Häufigkeit wird in der internationalen Fachliteratur mit 3-66% angegeben. Die Auswirkungen auf die Darmfunktion können so schwerwiegend sein, dass die Dosierung der Opioide der Schmerzsituation nicht angepasst werden kann oder es zum Therapieabbruch kommt. Die opioidinduzierte Obstipation ist ebenfalls kostenintensiv: Demnach belaufen sich die Kosten für die Behand lung der Obstipation im Krankenhaus aufgrund einer Berechnung einer großen deutschen Krankenkasse im Jahre 2006 auf 1.225,70 Euro pro Fall, für die Be handlung der Obstipation bei bösartiger Vorerkrankung auf 2.607,90 Euro (2004-2006) und für die Behandlung der Obstipation bei bösartiger Vorer krankung und chronischen, unbeeinflussbaren Schmerzen auf 2.135,90 Euro. Zwar lassen diese Zahlen keine direkten Rückschlüsse auf die Behandlungskos ten der opioidinduzierten Obstipation im Krankenhaus zu. Sie ermöglichen jedoch eine grobe Eingrenzung von 1.225 und 2.607 Euro pro Fall. Um die gewünschten Wirkungen von Opioiden zu erzielen und die nachtei ligen Effekte zu minimieren, ist ein individuelles Behandlungskonzept und die Überprüfung des Behandlungsverlaufes durch Ärzte und Pflegende notwen dig. Hierfür kann etwa die „Constipation Assessment Scale“ (CAS) eingesetzt werden. Sie umfasst 8 Kriterien mit einer Skala von 0 (keine Symptome der Obstipation) bis 16 (schlimmst mögliche Obstipation). Ein weiterer möglicher Index zur Beurteilung der Darmfunktion ist der sogenannte „Bowel Function Index“ (BFI). Der BFI ist eine klinisch relevante numerische Bewertungsska la und definiert sich über drei subjektive Aussagen hinsichtlich Darmtätig keit und Stuhlverhalten. Bei der Therapie der opioidinduzierten Obstipa tion haben sich Stimulanzien und osmotisch wirksame Laxanzien bewährt, auch wenn zahlreiche Nebenwirkungen den Behandlungserfolg oft limitieren. Füll- und Quellstoffe sowie Weichmacher werden dagegen nicht empfohlen. Opioidantagonisten sind eine vielversprechende Alternative: Ihre abführen de Wirkung wurde in zahlreichen Studien belegt.
Oxycodon / Naloxon: Das neue Prinzip in der Schmerztherapie Klinisch therapeutische Erfahrungen in der Schmerzbehandlung mit Oxycodon / Naloxon E. Pogatzki-Zahn Universitätsklinikum Münster Albert-Schweitzer-Straße 33 48149 Münster Die Therapie akuter und chronischer Schmerzen erfordert in vielen Fällen stark wirksame Opioide. Mit zunehmender Wirkstärke sind Opioide jedoch mit Nebenwirkungen behaftet. Hierzu zählt neben Übelkeit, Erbrechen und Schwindel vor allem die Obstipation und damit verbundene Symptome, die zwischen 35 und 90 Prozent der Patienten betreffen. Der Grund für die opi oid-bedingte Obstipation ist eine agonistische Wirkung der Opioide an pe ripher lokalisierten µ-Opioidrezeptoren im Plexus Myentericus des Darms. Folge der Obstipation kann neben somatischen Beschwerden wie Übelkeit und Erbrechen bis hin zur Ileussymptomatik auch eine starke Beeinträchti gungen der Lebensqualität, oft Verbunden mit einem Abbruch der Opioid therapie sein. Starke Analgesie und besonders gute Verträglichkeit Targin® ist ein Kombinationspräparat zur oralen Gabe. Es besteht aus dem Opi oid Oxycodon und dem Antagonisten Naloxon in retardierter Galenik. Oral verabreichtes Naloxon antagonisiert an den peripheren Opioidrezeptoren im Darm die obstipierende Wirkung des Oxycodons, gelangt jedoch aufgrund
Mitteilungen der ÖSG eines hohen First-Pass-Metabolismus (98%) nicht ins ZNS. Die starke Analge sie des Oxycodons bleibt erhalten. Mit der Fixkombination lassen sich Schmer zen sowohl ausgesprochen effektiv therapieren als auch die opioid-induzierte Obstipation und damit einhergehende gastrointestinale Nebenwirkungen vor beugen oder deutlich reduzieren. Langzeitdaten von einem Jahr zeigen übereinstimmend: Starke Wirksamkeit, Sicherheit und verbesserte Verträglichkeit Daten aus vier klinischen Phase-III Studien mit mehr als 1000 Patienten und Doppelblindphasen von je drei Monaten Dauer sowie Daten aus einjährigen Extensionsphasen mit Oxycodon/Naloxon mit mehr als 850 Patienten liegen vor. In allen Studien entschieden sich mehr als 90% der Patienten, die die Dop pelblindphase beendet hatten, für die Teilnahme an den Verlängerungsphasen und fast 80% beendeten jeweils diese einjährige Therapie- und Dokumenta tionszeit. Die Ergebnisse der drei Phase III-Studien zeigen eine hohe Konsis tenz hinsichtlich analgetischer Wirksamkeit und Normalisierung der Darm funktion. Während der Doppelblindphase und der Verlängerungsphasen wa ren die durchschnittlichen Schmerzintensitäten der letzten 24 Stunden in al len drei Studien vergleichbar niedrig und stabil für retardiertes Oxycodon/ Naloxon und retardiertes Oxycodon allein. Bei dem größten Teil der Patienten blieb die Dosierung von Oxycodon/Naloxon während der Verlängerungspha se gleich oder erhöhte sich nur leicht. Rescue-Medikation wurde während aller Phase-III Studien nur in geringem Ausmaß eingenommen und war vergleich bar für die Patientengruppen, die mit Oxycodon/Naloxon oder mit Oxycodon allein behandelt wurden. Unter Oxycodon/Naloxon war die Darmfunktion hinsichtlich opioid-induzierter Obstipation in allen klinischen Studien statis tisch signifikant und klinisch relevant besser als unter retardiertem Oxyco don allein und blieben über die einjährige Langzeituntersuchung stabil. Bei Patienten, die in der Doppel-Blindphase mit retardiertem Oxycodon behan delt wurden, verbesserte sich die Darmfunktion bereits innerhalb einer Wo che nach Unstellung auf retardiertes Oxycodon/Naloxon deutlich. In allen Stu dien erhöhten sich die kompletten spontanen Darmentleerungen (laxanzien freie Darmentleerungen) unter Oxycodon/Naloxon im Vergleich zu Oxyco don alleine und erreichten im Durchschnitt Normalwerte von mehr als drei pro Woche. Unerwartete Nebenwirkungen traten unter der Therapie mit re tardiertem Oxycodon/Naloxon auch in den einjährigen Verlängerungspha sen nicht auf. Aufgrund signifikant geringerer opioid-induzierter Obstipation treten insgesamt weniger gastrointestinale Nebenwirkungen auf. Daraus folgt die verbesserte Verträglichkeit von retardiertem Oxycodon/Naloxon gegen über der Therapie mit retardiertem Oxycodon alleine. Die Ergebnisse der sta bil niedrigen Schmerzwerte und insgesamt verbesserten Verträglichkeit wer den unterstützt durch dauerhaft gute Schlafqualität und niedrige Beeinträch tigung der Lebensqualitätsparameter (allgemeine Aktivität, Stimmung, Geh vermögen, Arbeit, Beziehung zu anderen Menschen oder Lebensfreude) Die Lebensqualität wird erfasst als Summenscore der 7 Parameter (0 = keine Be einträchtigung, 70 = stärkste Beeinträchtigung) Real-Life-Daten zeigen starke analgetische Wirksamkeit und überlegene Verträglichkeit von retardiertem Oxycodon/Naloxon sowie einen deutlichen Gewinn an Lebensqualität Daten aus dem breiten praktischen Einsatz aus einer nicht-interventionellen Studie mit insgesamt 7836 Patienten zeigen die starke analgetische Wirksam keit und überlegene Verträglichkeit von retardiertem Oxycodon/Naloxon un abhängig von der schmerz-verursachenden Grunderkrankung gegenüber jeg licher analgetischer Vortherapie. Dies resultiert in einem deutlichen Gewinn an Lebensqualität für die Patienten. Am meisten profitieren opioid-naive Pa tienten und Patienten, die mit WHO II-Analgetika behandelt werden, von ei ner Einstellung auf die Kombination aus Oxycodon/Naloxon. Fazit: Hiermit kann nun ganz aktuell die Wirksamkeit und damit der hohe therapeutische Nutzen von Targin® für Patienten mit chronischen Schmer zen eindeutig belegt werden. Darüber hinaus zeigt sich eine deutliche Über legenheit der Fixkombination hinsichtlich Verträglichkeit und der Redukti on von Nebenwirkungen wie Obstipation so wie hinsichtlich einer Zunah me der Patientenzufriedenheit, so dass Targin® in der Therapie starker chro nischer Schmerzen von Anfang an einen deutlichen Vorteil für den Patienten darstellt. Die Verlängerungsphasen der klinischen Studien zeigen darüber hinaus die Langzeit-Wirksamkeit und Sicherheit der Therapie mit retardiertem Oxyco don/Naloxon bei stabiler Dosiseinstellung. Schmerzintensität und Beeinträch
tigung der Lebensqualität waren über ein Jahr niedrig und stabil. Die bereits in der Doppelblindphase verbesserte Schlafqualität blieb auch über die Lang zeituntersuchung erhalten.
Psychologische Behandlung chronischer Schmerzen Psychologische Diagnostik bei chronischem Schmerz D. Wuchse Institut für Psychotherapie und Zentrum für Psychosomatik, LNK Wagner-Jauregg Linz Wagner-Jauregg Weg 15, 4020 Linz Welchen Stellenwert hat die psychologische Diagnostik in der Behandlung von chronischen SchmerzpatientInnen? Meist erfolgt die psychosoziale Diagnos tik nach einer biomedizinischen Diagnostik vor allem dann, wenn körperliche Beschwerden nur vage mit dem Ausmaß der Beeinträchtigung einhergehen. Die Aufgabe der psychologischen Schmerzdiagnostik ist es das Schmerzsyn drom in seinen kognitiv-emotionalen, behavioralen und sozialen Aspekten zu beschreiben, auslösende und aufrechterhaltende Einflüsse des chronischen Schmerzgeschehens sowie psychische Komorbiditäten zu erfassen und Be handlungsziele daraus abzuleiten.
Key Note Lecture III Morphine still goes standard? R Pöyhiä Hietamäentie 2B 02200 Espoo, SF Strong opioid medications form the base of pharmacological therapy for mo derate to severe pain after surgery or trauma and due to cancer or some nonmalignant aetiology. Morphine has been historically recommended as an opi oid of choice in this scenario and is still listed in the essential drugs by WHO. Is morphine still the best alternative when strong opioids are needed for pain which can not be alleviated in other ways or could it be oxycodone, in stead? Opioids possess their pharmacodynamic actions by binding to G-protein coupled μ-, κ- and δ-opioid receptors in the CNS, and the genes encoding these receptors have been cloned (1). Morphine and all other clinically availa ble strong opioids are practically μ-opioid receptor agonists but with different binding affinities. For example, the affinity of oxycodone, an other morphinelike opioid, to μ-opioid receptor is > 20 times less than that of morphine (2). However, the binding affinity is not all that matters in the clinical effects of opioids. First, the cross-talk between an opioid molecule and the receptor is far more complex than a simple binding. Each opioid receptor can form heterodi mer with any other receptor which may influence on the binding(2).
Secondly, opioids differ in getting to a contact with the receptor. Unlike mor phine, oxycodone is actively transported through the blood-brain-barrier by a trasporter peptide (3). This leads to the higher brain concentrations of oxyco done than those of morphine. Not only the lacking trasporter system but also the unfavourable pharmacokinetics may be disadvantages of morphine. Alt hough the chemical structures of morphine, oxycodone and hydromorphone do not seem to differ very much from each other, they have very individual Der Schmerz 9 · 2009
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pharmacodynamic properties. Morphine´s active metabolites, M3- and M6glucuronides, contribute to the analgesic and untoward effects of morphine, respectively. However, oxycodone, rather than its active metabolite, oxymor phone is responsible for its effects. The terminal half-lives of morphine and its derivatives are quite similar (2-3 h), but the other pharmacokinetic properties of the opioids are not. Bioavailabili ty of oral morphine is only about 28 % while that of oxycodone is > 60 % (4). Also, the side-effect profile of morphine is not the best one: morphine causes more sedation, hallucinations and liberates histamine than many other strong μ-opioid receptor agonists. The side-effect profile makes the use of morphine particularly cumbersome in elderly patients. Morphine has an advantage to produce spinal analgesia, which oxycodone does not produce. Although morphine is an ancient medication, a recent Cochrane Review (5), found only 54 randomized studies (with 3749 patients) to indicate its effi cacy for cancer pain in oral administration. However, superiority of mor phine over other opioids could not be demonstrated in any study. Oxyco done has proved to be an effective and well-tolerated opioid in number of studies not only for cancer pain but also for neuropathic pain, fo chronic musculosceletal pain and for acute postoperative pain (6, 7). Oxycodone is world-wide available in immediate- and slow-release oral formulations, as well as in injectable forms. In addition, a very interesting and promising com bination of oxycodone with low-dose naloxone has recently been introdu ced in order to reduce opioid induced constipation. The only remarkably positive feature of morphine is the low price, with which the producers of other opioid products have still work to battle. However, both the pharma cokinetics and the clinical evidence (4,8) speaks more for oxycodone than for morphine in number of indications where effective analgesia is needed. References: 1) Corbett et al. Br J Pharmacol 2006; 147: S153-S162 2) Kalso. Pain 2007; 132: 227-228 3) Boström et al. Drugs Metabol Dispos 2006; 34: 1624-31 4) Kalso. J Pain Symptom Manage 2005; 29: S47-56 5) Wiffen & MacQuay, The Cochrane Collaboration 2009 6) Haanpää. Pain 2009, 142: 175-176 7) Silvasti et al. Acta Anaesthesiol Scand 1999; 16: 834-839 8) Reid et al. Arch Intern Med 2006; 166: 837-843
Freie wissenschaftliche Vorträge Der Einfluss genetischer Polymorphismen im Methylentetrahydrofolatreductase Gene (MTHFR) und AngiotensinConverting-Enzym-Gene (ACE) auf die Prädisposition und Ausprägung der Migräne: Überprüfung einer möglichen Interaktion R. Essmeister1, S. Evers3, C. Gaul4, K. Berger5, HG Kress1, T.Wieser1,2 1 Univ. Klinik für Anästhesie, Allgemeine Intensivmedizin und Schmerztherapie, Wien 2 KH Göttlicher Heiland, Neurologie, Wien 3 Klinik für Neurologie, Universitätsklinik Münster 4 Klinik für Neurologie, Martin-Luther-Universität Halle, Halle/Saale 5 Institut für Epidemiologie und Sozialmedizin, Universitätsklinikum Münster Einleitung: Migräne ist eine komplexe neurovaskuläre Erkrankung. Derzeit spricht man allein in Europa von etwa 40 Millionen Betroffenen. Die mole kulare Basis der Migräne ist noch unklar. Einen klaren monogenen Erbgang gibt es nur für die familiäre hemiplegische Migräne, für die häufigen Formen (Migräne ohne Aura, IHS 1.1 und Migräne mit Aura, IHS 1.2) wird ein kom plexer Erbgang vermutet. Zahlreiche Kandidatengene konnten mit dem Phä notyp „Migräne“ assoziiert werden, von besonderem Interesse erschien uns die möglicherweise sich gegenseitig beeinflussende Wirkung von genetischen Polymorphismen im MTHFR und ACE Gen. Der MTHFR C677T Polymorphismus ist assoziiert mit erhöhten Homozys teinspiegel. Hyperhomozysteinämie-assoziierte Endothelstörungen könnten an Initiierung von Migräneattacken beteilig sein. ACE katalysiert die Um wandlung von Angiotensin I in den Vasokonstriktor Angiotensin II. ACE-In hibitoren werden erfolgreich in der Migräneprophylaxe eingesetzt.
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Methodik: Nach Zustimmung der jeweiligen Ethikkommissionen wurden Pa tientInnen an den Universitätskliniken Wien, Halle und Münster rekrutiert und weiters Proben einer epidemiologischen Studie der DMKG (Deutsche Migräne und Kopfschmerzgesellschaft) verwendet. 420 PatientInnen (davon 101 MA, 319 MO) stehen 244 Kontrollen gegen über. Die Polymorphismen MTHFR C677T und ACE I/D wurden mittels GelElektrophorese nach PCR-Amplifikation bestimmt. Ergebnisse: . Tab. 1 ACE
MTHFR
D/D
I/D
I/I
C/C
C/T
T/T
Migräne (n=420)
95 (23%)
242 (58%)
83 (19%)
189 (45%)
215 (51%)
16 (4%)
Kontrollen (n=244)
70 (29%)
125 (51%)
49 (20%)
114 (47%)
121 (49%)
9 (4%)
Der Gruppenvergleich ergibt keine signifikanten Unterschiede (X2: 0,2 bzw. 0,9) Schlussfolgerungen: In unserem Patientengut konnte keine Assoziation mit einem der beschriebenen Polymorphismen gefunden werden. Ergebnisse hin sichtlich einer möglichen Interaktion werden präsentiert werden.
Influence of Serotonin Transporter Gene Polymorphism on Migraine Chronification T. Wieser1,2, K. Dressler3, S. Evers4, C. Gaul5, D. König7, D. Hölzl8, K. Berger9, D. Nyholt6 and T. Deufel3 1 Neurologie, Krankenhaus Göttlicher Heiland, Vienna, Austria 2 Abteilung für Allgemeine Anästhesie und Schmerztherapie, Medizinische Universität Wien, Vienna, Austria 3 Friedrich-Schiller-Universität Jena, Institut für Klinische Chemie und Laboratoriumsdiagnostik, Universitätsklinikum Jena, Germany 4 Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Münster, Germany 5 Klinik für Neurologie, Martin-Luther-Universität Halle/Wittenberg, Halle/S., Germany 6 Genetic Epidemiology Laboratory, Queensland Institute of Medical Research, Brisbane, Queensland 4029, Australia 7 Institut für Klinische, Biologische und Differentielle Psychologie, Fakultät für Psychologie, Universität Wien, Vienna, Austria 8 Medizinische Statistik und Informatik, Medizinische Universität Wien, Vienna, Austria 9 Institut für Epidemiologie und Sozialmedizin, Universitätsklinikum Münster, Germany Introduction: Genes of the serotonergic system are plausible candidates for mediating susceptibility to migraine, because migraine can be treated with drugs acting upon this system; serotonin is also involved in neuropsychiatric disorders such as depression and anxiety, diseases frequently found comorbid in migraine. While there is consistent association of a “risk allele” with suscep tibility to depression, results of studies into the role of the serotonin transpor ter gene on migraine gave conflicting results. This study was based on the hypothesis, derived from a small study, that the serotonin transporter gene polymorphism is associated with attack frequency and, thus with chronification. We further hypothesized that, paralleling fin dings in depression research, patients with a “risk allele” have higher scores of depression, thereby identifying a common genetic denominator for chro nic migraine and depression. Methods: 293 patients with migraine with and without aura were included. Self rating questionnaires were used for assessment of depression. Genetic status regarding SERT polymorphism was established as published. Results: Multinomial logistic regression analysis found no evidence for asso ciation of the SLC6A4-polymorphism with either depression risk or migraine attack frequency. Conclusion: In this large sample of well-defined migraine patients we could not reproduce previously published results purporting a genetic influence on
Mitteilungen der ÖSG attack frequency. There was also no association with depression as hypothe sized. In concordance with the concept that any one single gene variant contributes only to a small amount of the overall interindividual variance, we were not ab le using this study design to demonstrate any influence of serotonin transpor ter polymorphism on migraine phenomenology.
Das schmerzarme Krankenhaus: Langzeiteffekte eines Benchmarking Projekts auf den Erfolg der postoperativen Schmerztherapie W. Jaksch, S. Granich, B. Gustorff Abteilung für Anästhesie & Intensivmedizin, Wilhelminenspital der Stadt Wien Montleartstraße 37, 1160 Wien Einleitung: Seit 1996 werden Patienten im Wilhelminenspital mit PCA (pa tientenkontrollierte Analgesie) oder regionalanästhesiologischen Verfahren von einem anästhesiologisch geführten akuten Schmerzdienst (ASD) betreut. Da diese Verfahren aber bei maximal 10% der Patienten angewandt werden, gehört die Überprüfung der Qualität und Verbesserung des perioperativen Schmerzmanagements aller Patienten zum Aufgabenbereich des ASD. Da or ganisatorische Strukturen und systematische Ausbildung entscheidend mehr zum effektiven Schmerzmanagement beitragen als spezifische Techniken der Schmerztherapie, wurde besonders auf die intensive Patientenaufklärung, die Schulung diverser Fachgruppen, die Erstellung von Richtlinien, die Standar disierung der Schmerzvorschreibung und die Forcierung der Schmerzdoku mentation Wert gelegt. Trotzdem mussten 2004 immer noch Defizite festge stellt werden. Um die offensichtlich fehlende Motivation an den chirurgischen Stationen zu steigern, wurde 2006 ein Wettbewerb initiiert. Methode: Seit 1998 wurden alle 2 Jahre standardisiert jeweils 100 Patienten nach elektiven Operationen über Ihre postoperativen Schmerzen befragt. Von April bis Juni 2006 wurde unter dem Titel „Das schmerzarme Krankenhaus“ ein Benchmarking Projekt durchgeführt. Nach freiwilliger Anmeldung aller 12 operativ tätigen Stationen wurden insgesamt 524 Patienten von 3 stationsfrem den Mitarbeitern befragt. Wichtigste Zielparameter waren die Patientenzu friedenheit (1-5), die regelmäßige Schmerzdokumentation und die Schmerz scores in Ruhe mittels visueller Analogskala (VAS). Die Station mit der bes ten Performance erhielt den Siegespreis von € 2000.-. 2007 und 2008 wurden erneut standardisierte Patientenbefragungen durchgeführt, um die Langzeit effekte des Wettbewerbs zu überprüfen. Ergebnisse: Im Rahmen des Wettbewerbs 2006 lag die Patientenzufriedenheit auf den verschiedenen Stationen zwischen 1,0 und 1,91 (MW 1,39). Der durch schnittliche Schmerzscore in Ruhe am 1. postoperativen Tag betrug 1,6 (0,82 - 3,25). Die Regelmäßigkeit der Dokumentation des VAS - Wertes wurde im Mittel bei 82% der Patienten erzielt, drei Stationen dokumentierten zu 100%. Es gab eine signifikante Korrelation zwischen Zufriedenheit und Schmerzin tensität, sowie Anzahl der erhobenen Schmerzscores. Die Überprüfung des langfristigen Effekts dieses Wettbewerbsprojekts in den Jahren 2007 und 2008 brachten überraschend erfreuliche Ergebnisse. Erreich ten im Jahr 2004 nur 61% der Patienten die erwünschten Kriterien „durch gehend schmerzarm“ (VAS<3) bzw. „wirksam therapiert“, konnte bei diesen Kontrollen die Zahl auf 85% im Jahr 2007 und erstaunliche 96% im Jahr 2008 gesteigert werden (. Abb. 1).
Schlussfolgerung: Postoperative Schmerztherapie ist eine interdisziplinäre und fachübergreifende Teamarbeit. Primär müssen die Strukturen und Pro zesse des perioperativen Ablaufes optimiert werden. Wenn bei regelmäßigen Patientenbefragungen in Form der Ergebnisqualität trotzdem Defizite festge stellt werden, muss auch die Motivation der verschiedenen Berufsgruppen als wichtiger Faktor in Betracht gezogen werden. Benchmarking in Form eines Wettbewerbes kann die Vorteile einer optimalen Schmerzbetreuung bewusst machen und nicht nur kurzfristig, sondern auch langfristig die Qualität der perioperativen Schmerzbetreuung verbessern.
Neuronavigierte repetitive transkranielle Magnetstimulation in der Therapie des zentral neuropathischen Schmerzes B. Kepplinger1, 2, 3, S. Eigner1, B. Semler3, 4, H. Baran3, 4 1 Neurologie, Landesklinikum Mostviertel Mauer-Amstetten 2 Neurologie, Landesklinikum Mostviertel Amstetten 3 Karl Landsteiner Forschungsinstitut für Schmerztherapie und Neurorehabilitation, Landesklinikum Mostviertel Mauer-Amstetten 4 Abteilung für Neurophysiologie, Institut für Physiologie und Pathophysiologie, VMU Wien, Austria Die Behandlung des zentral neuropathischen Schmerzes stellt in der klinischen Praxis eine große Herausforderung dar. Als mögliche Behandlungsoption wird seit den neunziger Jahren die elektrische Stimulation des Motorkortex (MCS) mittels epidural implantierter Elektroden als Methode zur Kontrolle zentraler Schmerzen eingesetzt. (Tsubokowa et al., 1991). Nachteile sind allerdings die hohe Invasivität sowie Therapieversager in etwa 30%. Ein verwandtes, nicht invasives Stimulationsverfahren stellt die repetitive transkranielle Magnetsti mulation dar, die zunehmend in der Behandlung zentraler aber auch peri pherer neuropathischer Schmerzen eingesetzt wird, teils auch zur Identifizie rung jener Patienten verwendet wird, die von einer MCS pofitieren könnten. Als pathophysiologisches Konzept dient unter anderem eine PET Studie von Garcia-Larrea et al. (1999), wo gezeigt wurde, daß es durch die Motorkortex stimulation zu einer Erhöhung des zerebralen Blutflusses im ventrolateralen und medialen Thalamus, im Hirnstamm und im orbitofrontalen sowie cing ulärem Kortex kommt. Der schmerzlindernde Effekt wird über die Beeinflus sung der affektiv emotionalen Komponente sowie über die Modifizierung der nozizeptiven Verarbeitung auf spinaler Ebene erklärt. Mittlerweile gibt es eine Reihe von Kasuistiken und kleineren Studien , die positive Effekte der repe tiven transkraniellen Motorkortexstimulation (rTMS) bei therapieresistenten zentralen neuropathischen Schmerzen beschreiben. An unserer Abteilung wird diese Behandlungsmethode seit kurzem neuro navigiert ausgeführt, d. h. mit Hilfe von T1 gewichteten 3D MRT Datensät zen des Patienten stereotaktisch der Stimulationszielpunkt aufgesucht oder wieder gefunden. Bisher führen wir eine 10-tägige Behandlung durch, wobei mit einer Stimu lationsintensität von 80 % der RMT (resting motor treshold) der betroffenen Hemisphäre eine Stimulation mit 10 Hertz, einer Traindauer 5sec, einem In tervall 55 sec und einer Anzahl von 20Trains stimuliert wird. Ein Patient berichtete über keinerlei Nebenwirkungen, die EEG-Verlaufs kontrolle ergab keine Hinweise auf eine erhöhte cerebrale Anfallsbereitschaft nach 10-tägiger Behandlung. Die visuelle Analogskala (VAS) wurde vor Beginn der Behandlung vom Pa tienten mit 6 angegeben, der Wert besserte sich sukzessive bis zum Ende der Behandlung auf einen Wert von 3. Nach 2 Monaten berichtet der Patient über einen anhaltenden Therapieerfolg, VAS: 2 Nach 4 Monaten berichtet der Patient über Zunahme der Beschwerden, aller dings nicht in dem Ausmaß als vor rTMS Behandlung (VAS: 4) Bei einem Patienten wurde eine 9-tägige repetitive transkranielle Magnetsti mulation zur Schmerztherapie bei therapieresistenter zentraler Schmerzsymp tomatik bei Infarkt im A.-cer.-Posteriorstromgebiet mit Thalamusläsion rechts (12/2005) durchgeführt. Die Stimulationsparameter wurden wie folgt gewählt: 9-tägige Behandlung mit einer Stimulationsintensität von 80% der RMT (resting motor treshold) der betroffenen Hemisphäre, hochfrequente Stimulation mit 10 Hertz, Train dauer 5 sec, Intervall 55 sec, Anzahl der Trains: 20
Abb. 1 8 Qualitätsmanagement postoperative Schmerztherapie 1998 – 2008 Der Schmerz 9 · 2009
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Die visuelle Analogskala (VAS) wurde vor Beginn der Behandlung mit 7 an gegeben, der Therapieerfolg trat nur zögerlich ein, bis zum Ende der Behand lung wurde ein VAS-Wert von 5 erreicht. Nebenwirkungen wurden vom Pati enten nicht angegeben, die EEG-Verlaufskontrolle blieb unauffällig. Ergebnis: Die repetitive Magnetstimulation stellt durchaus eine interessante Option im Rahmen der oft schwierigen Therapie des zentral neuropathischen (oder auch des therapieresistenten peripher neuropathischen Schmerzes oder einer Migräne ergänzend zu den etablierten therapeutischen Verfahren dar. Zur Objektivierung des Stellenwertes der rTMS in der Schmerztherapie ist eine kontrollierte Studien notwendig.
Ist die Placebo-Analgesie Ethisch Vertretbar? Psychobiologische Grundlagen der Placebo-Analgesie M. Bach Abteilung für Psychiatrie Steyr und Department für Psychosomatik Enns Sierninger Strasse 170, A-4400 Steyr, Email:
[email protected] Der Placebo-Effekt ist eine reproduzierbare und messbare Wirkung einer Be handlung, die nicht auf einen spezifischen Wirkstoff zurückgeführt werden kann. Diese unspezifische therapeutische Wirkung (und Nebenwirkung, d.h. Nocebo-Effekt) ist psychologisch und neurobiologisch evendenzbasiert. Pla cebo-Effekte sind solche therapeutischen Effekte, die aufgrund der Bedeu tung zustande kommen, die eine Intervention für eine bestimmte Person hat (Walach & Sadaghiani 2002). Wie entstehen Placebo- und Nocebo-Effekte? Aus psychologischer Sicht sind 3 Mechanismen bekannt (Price & Bushnell 2004): 1. klassische Konditionierung (respondentes Lernen): konditionierte Stimuli (z.B. der weiße Arztkittel, Geruch von Desinfektionsmittel, Untersuchungs liege, Diplome an der Wand) werden mit unkonditionierten Behandlungs prozessen assoziativ verknüpft, sodass hinkünftig der konditionierte Stimu lus alleine den Behandlungsprozess auslösen kann. So ist beispielsweise be kannt, dass Kapseln besser wirken als Tabletten; blaue Tabletten wirken eher beruhigend, während rote bzw. orange Tabletten eher stimulierend wirken (jeweils unabhängig vom Wirkstoff). 2. operante Konditionierung (instrumentelles Lernen): die Konsequenzen (Auswirkungen) einer Handlung können hinkünftig die Handlung verstär ken oder abschwächen. So kann beispielsweise eine gebückte Körperhaltung durch vermehrte Zuwendung (weitgehend unbewusst) verstärkt werden. 3. kognitiv-emotionales Modell: Einflussgrößen wie z.B. motivationale Fak toren, die Grundgestimmtheit von Arzt und Patient, sowie die Erwartungs haltung („desire for relief “) können den Behandlungsverlauf und das Resul tat entscheidend beeinflussen. Beispielsweise können ausführliche Beipack zettel als Nocebo wirken, indem sie eine negative Erwartungshaltung auf bauen und somit die Nebenwirkungsrate (auch ohne Wirkstoff) erhöhen. Unterschiedliche neurobiologische Systeme sind dabei involviert (Benedetti et al. 2005): 1. Konditionierungsvorgänge im Zusammenhang mit Placebo korrelieren mit Aktivitätssteigerungen im vorderen Teil des Gyrus cinguli in Verbindung mit dem Präfrontalen Cortex. Konditionierungsvorgänge – wie jeder Lern vorgang - sind an das Glutamatsystem (NMDA-Rezeptoren) gebunden und werden über unterschiedliche Transmitter- und Rezeptorsysteme mediiert (u.a. über das endogene Opioid-System). 2. Kognitiv-emotionale Erwartungshaltungen im Zusammenhang mit Place bo korrelieren teilweise mit Aktivitätssteigerungen im Gyrus cinguli, teil weise im parietalen Cortex. Diese Placebo-Effekte sind eng an das endogene Opioidsystem gebunden, sind können durch Opiatantagonisten auch kom plett aufgehoben werden. 3. Nocebo-Effekte sind unabhängig von Placebo-Effekten, sie werden über wiegend durch CCK (Cholezystokinin) mediiert.
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Zur Aufklärungspflicht aus juristischer Sicht W. Pronegg Patientenanwalt Landesklinikum Amstetten-Mauer Hausmeningerstraße 121, 3362 Mauer b. Amstetten Jeder medizinischen Behandlung- also auch einer Behandlung mit Placebos – hat eine (ärztliche) Aufklärung voranzugehen. Sie ist wesentliche Grundlage für den vielzitierten „informed consent“, der die Voraussetzung für die rechts wirksame Einwilligung zur Behandlung darstellt. Aufklärung kann nicht nur der Schaffung und Wahrung der Selbstbestim mung des Patienten dienen, sondern auch der Herstellung der - vom Arzt ge wünschten – Compliance, welche ihrerseits maßgeblich für den von allen Be teiligten erhofften (Heilungs-)erfolg im Rahmen einer medikamentösen Be handlung sein kann. Der Beitrag zur (ärztlichen) Aufklärungspflicht versucht zunächst einen Über blick über den Sinn und die Funktion der Aufklärung zu geben, dann sollen die wesentlichen rechtlichen Vorschriften kurz benannt und erläutert wer den. Weiters werden beleuchtet: Selbstbestimmungsaufklärung (Diagnose-, Be handlungs-aufklärung, Aufklärung über Risiko+Folgen), therapeutische Auf klärung (Sicherungsaufklärung), sowie ein Überblick zu den einzelnen As pekten bei der Aufklärung (Form, Umfang der Aufklärung inkl. Verzicht etc.) gegeben. Schließlich soll auch aufgezeigt werden, wie durch geeignete Aufklärung Be handlungsfehler und damit auch Haftungsprobleme vermieden werden kön nen.
Key Note Lecture IV Fibromyalgie D. Buskila Soroka Medical Center and Faculty of Health Sciences, Ben Gurion University of the Negev, Beer Sheva Israel Fibromyalgia (FM) is a chronic condition characterized by widespread pain and diffuse tenderness along with a constellation of ancillary symptoms. The 1990 ACR criteria for classification of FM are important in enhancing much the research of FM. FM is part of the functional somatic syndromes. FM is not a homogenous condition and several subtypes of FM had been determi ned. Central sensitization has emerged as the major pathogenetic mechanism in FM. Genetic factors including polymorphism in the serotoninergic, dopa minergic, and catecholaminergic systems have been reported and may play a role in the pathogenesis. Environmental factors such as emotional trauma and injury may precipitate the development of FM in genetically prone individuals. The best strategy for management of FM is to use a multidisciplinary approach to treatment using both pharmacological and non – pharmacological interven tions. Tramadol, tricyclic drugs mixed reuptake inhibitors and anticonvulsants show efficacy in this condition. Recently, three drugs: pregabalin, duloxetine and milnacipran have been approved by the FDA for treatment of FM.
Schmerz bei neurologischen Erkrankungen Schmerz bei Schlaganfall A. Kaindlstorfer Neurologische Abteilung, LNK Wagner-Jauregg Wagner-Jauregg Weg 15, 4020 Linz Schmerzen bei Schlaganfall sind ein häufiges , wenn auch nicht selten spät er kanntes Problem sowohl in der Akutphase als auch in der Rehabilitation. Die Angaben zur Häufigkeit von Schmerzen bei Schlaganfall sind sehr unter schiedlich und zeigen eine Abhängigkeit von Alter , Geschlecht sowie Aus prägung des Schlaganfalls.
Mitteilungen der ÖSG Folgen von Schmerzen sind eingeschränkte Rehabilitationsmöglichkeiten so wie reduzierte Lebensqualität. Kopf – und Nackenschmerzen zeigen sich beim Schlaganfall sehr häufig als initiales Warnsymptom und führen je nach Ätiologie zu unterschiedlichen di agnostischen Schritten. Bei Schmerzen nach Schlaganfall stehen der Schulterschmerz nach glenohu meraler Subluxation , der central poststroke pain , das CRPS und die Spas tik im Vordergrund. Der Behandlungsansatz ist grundsätzlich multimodal. Von Bedeutung ist die zuvorige diagnostische Zuordnung des Schnmerzes.
Schmerz bei Demenz C. Lampl Abteilung für Allgmeine Neurologie und Schmerzmedizin Konventhospital der Barmherzigen Brüder Linz Seilerstätte 2, 4020 Linz Alte und demente Patient/innen tragen unter allen Bevölkerungsgruppen das höchste Risiko, dass ihre Schmerzen nicht erkannt und daher auch nicht ad äquat behandelt werden. Obwohl zugleich ihr Risiko, an chronische Schmer zen zu leiden, weit überdurchschnittlich hoch ist. Verlässliche Zahlen haben wir zumindest für geistig Gesunde: Insgesamt geben in Österreich 23 Prozent der erwachsenen Bevölkerung bei Befragungen an, über drei oder mehr Mo nate hinweg an chronischen Schmerzen zu leiden. In der Altersgruppe ab 50 sind es bereits 43 Prozent, in der Altersgruppe ab 65 sind es schon 50 Prozent, und bei den Über-74-Jährigen 75 Prozent. Alarmierend ist nun der Vergleich mit den Behandlungsstatistiken, aus dem wir klar ersehen können: Die Schmerzsituation von mindestens 50 Prozent aller geriatrischen Patient/innen ist den behandelnden Ärzt/innen nicht oder nur ungenügend bekannt. Umfragen zeigen ferner, dass jeder dritte Patient mit chronischen Schmerzen auch noch drei Monate nach Beginn einer Be handlung an heftigen Schmerzen leidet, schmerztherapeutisch also unbefrie digend betreut wird. Bei dementen Patienten dürfte die Situation noch dra matischer sein, weil diese sich nicht adäquat äußern können. Eine Hauptursache des Schmerzbehandlungs-Defizits betagter und hochbe tagter Menschen ist der viel zu weit verbreitete Irrglaube, dass Schmerzen im Alter eben „dazugehörten“. Deshalb spielen viele Betroffene deren Ausmaß herunter und sprechen nicht spontan darüber. Dieses „Underreporting“ ist für die verbreitete Unterbehandlung mit verantwortlich. Eine zweite Ursache liegt in der im Alter veränderten Schmerzverarbeitung bzw. Schmerzwahrnehmung. So können Hochbetagte Schmerzen häufig nicht lokalisieren. Zudem lassen neueste Erkenntnisse der Neurogeriatrie darauf schließen, dass sie ihn intensiver erleben und schlechter tolerieren. Beides kann Ärzte, die davon noch nicht gehört haben, dazu verführen die Berichte von Patienten als Übertreibung zu empfinden. Der dritte Grund liegt darin, dass bei alten Menschen meist mehrere Erkran kungen gleichzeitig vorliegen („Polymorbidität“), sodass es auch für Spezia listen schwierig ist, den berichteten Schmerzen die korrekte Ursache zuzu ordnen. Gerade bei Vorliegen von Polymorbiditäten brauchen behandelnde Ärztinnen und Ärzte ein eingehendes Wissen nicht nur über Wirkungen, sondern auch über Neben- und Wechselwirkungen von Medikamenten: Je mehr davon ver schrieben werden, desto wahrscheinlicher sind Wechselwirkungen. So muss bei einer Opiat-Therapie unbedingt die Nierenfunktion mit ins Kalkül gezo gen werden und die Anfangs-Dosis auf rund 50 Prozent des üblichen Erwach senen-Wertes reduziert werden. Wenn etwa Antidepressiva, Morphine und Schlafmittel kumulativ verordnet werden, kann das zum sogenannten Sero tonin-Syndrom mit Unruhe und Tachykardien führen. Statt dagegen ein wei teres Mittel zu verschreiben, sollte man lieber eines der genannten weglassen. In ähnlicher Weise sollte bedacht werden, dass das oft zur Stimmungsaufhel lung verabreichte Johanniskrautextrakt die Wirkung trizyklischer Antidepres siva oder des Blutverdünners Marcoumar hemmen kann. Bei dementen Menschen sind viele der herkömmlichen Methoden der Schmerzmessung nicht anwendbar. Es gibt neu entwickelte Werkzeuge, die nach kurzer Einschulung rasch und einfach handzuhaben sind. Unter ihnen ist vor allem der BESD („Beurteilung von Schmerz bei Demenz“) hervorzuhe
ben, der unter anderem auf schmerzbezogene Verhaltensweisen wie den Ge sichtsausdruck, Stöhnen, Jammern und die Form der Bewegungsabläufe ab stellt. Mit ihm lassen sich sowohl chronische als auch akute Schmerzen wie etwa Zahnweh zuverlässig erfassen.
Schmerzchronifizierung psychisch und/oder somatisch? Psychosoziale Faktoren der Schmerzchronifizierung M. Bach Abteilung für Psychiatrie Steyr und Department für Psychosomatik Enns Sierninger Strasse 170, A-4400 Steyr, Email:
[email protected] Schmerz ist untrennbar als somato-psychische Erlebnisverarbeitung aufzu fassen. Die klassische Dichotomisierung zwischen „psychogenen“ und „so matischen“ Schmerzen kommt zwar dem Bedürfnis nach klar abgrenzbaren diagnostischen Entitäten nahe, ist jedoch vor dem Hintergrund der moder nen psycho-neuro-biologischen Forschungsergebnisse heuristisch nicht mehr sinnvoll. Während beim akuten Schmerz überwiegend somatische Faktoren relevant sind, spielen mit zunehmender Schmerzchronifizierung die psycho sozialen Faktoren eine immer größere Rolle. Eine psycho-somatische Auffas sung von Schmerzerkrankungen hilft, im Sinne einer „Simulatan-Diagnos tik“ alle relevanten Faktoren in der Entstehung und Aufrechterhaltung der Schmerzerkrankung individuell zu gewichten. Die Frage, unter welchen Bedingungen psychiatrische und/oder psychothera peutische Verfahren – insbesondere bei chronischem Schmerz - angemessen sind, kann mangels eindeutiger Indikationskriterien nur spekulativ beantwor tet werden. Nicht jeder Patient mit chronischem Schmerz bedarf zwangsläufig einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Schmerzbehandlung. Umgekehrt ist jedoch die Frage zu klären, ob somato-medizinischen Verfahren in jedem Fall der Vorrang vor dem Einsatz der psychiatrisch-psychotherapeutischer In terventionen gegeben werden soll, letztere also nur bei Mißerfolg der somatomedizinischen Behandlung einzusetzen sind. Infolge der Multidimensionali tät des chronischen Schmerzes soll hier für eine komplementäre Anwendung unterschiedlicher Ansätze plädiert werden. Folgende Argumente können helfen, den Stellenwert psychiatrisch-psycho therapeutischer Konzepte im Rahmen einer multimodalen Schmerztherapie zu untermauern (Empirische Nachweise hierfür werden im Vortrag ausführ lich dargestellt): 1. Hohe Prävalenz psychischer Störungen mit Leitsymptom Schmerz, 2. Hohe Komorbidität für Psychische Störungen bei chronischem Schmerz, 3. Bedeutung psychosozialer Faktoren in der Ätiopathogenese und Aufrechterhaltung von chronischen Schmerzen, 4. Hohe Behandlungseffek tivität von Psychopharmaka und Psychotherapie in der Schmerztherapie. Die Effektivität von Antidepressiva in der Schmerztherapie ist für eine Vielzahl chronischer Schmerzerkrankungen (mit und ohne Depression) mittlerweile ausreichend evidenzbasiert, es finden sich NNT’s vergleichbar anderen phar makologischen Interventionen (NOA, Opioide, Antikonvulsiva). In einer Me taanalyse an 25 RCT mit chronischen Schmerzen finden sich mittlere Effekt stärken (ES=0.50) für kognitive Verhaltenstherapie als einen Hauptvertreter psychotherapeutischer Interventionen (Morley et al. 1999). Spätestens seit der Etablierung multidisziplinärer schmerzmedizinischer Be handlungszentren in Österreich in den letzten Jahren wird der Ruf nach der Einbindung von KollegInnen mit psychiatrischen, psychotherapeutischen und klinisch-psychologischen Kenntnissen und Fertigkeiten in solchen sekun dären bzw. tertiären Versorgungszentren unumgänglich. Doch auch im Be reich niedergelassener FachärztInnen ist die Forderung nach kontinuierlicher schmerztherapeutischer Weiterbildung zu stellen: die Tatsache, dass derzeit 21% der österreichischen Allgemeinbevölkerung unter chronischen Schmer zen leiden (Breivik et al. 2006), weist auf ein gesundheits- und versorgungs politisch höchst relevantes Thema hin.
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