CME Weiterbildung • Zertifizierte Fortbildung Ophthalmologe 2007 · 104:909–925 DOI 10.1007/s00347-007-1626-6 Online publiziert: 5. Oktober 2007 © Springer Medizin Verlag 2007 Redaktion
F. Grehn, Würzburg Unter ständiger Mitarbeit von:
A. Kampik, München · B. Seitz, Homburg
J. Bühren1 · T. Kohnen2, 3 1 Advanced Physiological Optics Lab, Department of Ophthalmology, University of Rochester Medical Center, Rochester 2 Klinik für Augenheilkunde, Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main 3 Cullen Eye Institute, Baylor College of Medicine, Houston
Anwendung der Wellenfrontanalyse in Klinik und Wissenschaft Vom irregulären Astigmatismus zu Aberrationen höherer Ordnung – Teil I: Grundlagen Zusammenfassung
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Die Wellenfrontanalyse hat sich in den vergangenen Jahren von einer Laboranwendung zu einer ophthalmologischen Untersuchungsmethode entwickelt. Hierzu hat vor allem die weite Verbreitung der wellenfrontgeführten LASIK beigetragen. Dennoch ist die Aberrometrie noch kein klinisches Routineverfahren und die Interpretation der Ergebnisse für viele klinisch tätige Augenärzte noch ungewohnt. Der erste Artikel dieser zweiteiligen Serie soll die Grundlagen der Wellenfrontanalyse erklären, um einer breiten Basis von Anwendern in Klinik und Wissenschaft das notwendige theoretische Rüstzeug an die Hand zu geben. Der zweite Teil wird bislang gesicherte, ophthalmologisch bedeutsame Erkenntnisse und aktuelle wissenschaftliche Anwendungen in diesem Bereich zusammenfassen.
Schlüsselwörter
Wellenfrontanalyse · Aberrometrie · Aberrationen · Optische Qualität
Application of wavefront analysis in clinical and scientific settings · From irregular astigmatism to aberrations of a higher order – Part I: Basic principles Abstract
In recent years, wavefront analysis has emerged from a pure laboratory application to an ophthalmological diagnostic method. This development was promoted mainly by the widespread use of wavefont-guided LASIK. However, aberrometry is still not a common diagnostic technique and the results of measurements are difficult to understand and to interpret for many ophthalmologists. The first part of this 2-part series summarizes the basics of wavefront errors, aberrometry and wavefront analysis to give a comprehensive overview for the interested ophthalmologist and clinical scientist. The second part will review such findings that are relevant for the ophthalmological community and highlight current scientific applications.
Keywords
Wavefront analysis · Aberrometry · Aberrations · Optical quality
Der Ophthalmologe 10 · 2007
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Die Vermessung und Analyse des Wellenfrontfehlers des menschlichen Auges hat sich in den letzten Jahren von einer Laboranwendung [14, 18, 21] zu einer weit verbreiteten ophthalmologischen Untersuchungsmethode entwickelt. Zu dieser Entwicklung hat vor allem die Einführung der wellenfrontgeführten LASIK und aberrationskorrigierender Intraokularlinsen (IOL; [13, 16, 25]) beigetragen. Daher ist für viele Anwender die Messung des Wellenfrontfehlers eher ein Teil der Vorbereitung eines wellenfrontgeführten Korrekturverfahrens als eine eigenständige Untersuchungsmethode. Dennoch werden sowohl klinisch als auch wissenschaftlich tätige Ophthalmologen immer häufiger mit den Begriffen „Wellenfront“ oder „Aberrationen“ konfrontiert. Die zunehmende Verfeinerung therapeutischer und diagnostischer Verfahren und auch die gestiegenen Ansprüche der Patienten an die optische Qualität von Korrektur- und Operationsverfahren wird in einigen Bereichen der Ophthalmologie zu einem Paradigmenwechsel führen, der für Phänomene wie „Refraktion“, „Fehlsichtigkeit“ oder „irregulärer Astigmatismus“ die Betrachtung des Wellenfrontfehlers als Ganzes fordert. Dieser Artikel soll den Leser mit den Grundlagen der Wellenfrontanalyse vertraut machen, um aberrometrische Messungen interpretieren und kritisch bewerten zu können.
Grundlagen der Aberrometrie Geschichte der Messung höherer Abbildungsfehler des menschlichen Auges Das menschliche Auge ist kein perfektes optisches System
7 A bbildungsfehler
7 Irregulärer Astigmatismus
Das menschliche Auge ist kein perfektes optisches System. Bereits in den 60er-Jahren des 19. Jahrhunderts hat Hermann v. Helmholtz diesen Umstand prägnant zusammengefasst [30]: „Wenn mir ein Optiker ein Instrument verkaufen wollte, welches solche Fehler hätte, so ist es nicht zuviel gesagt, dass ich mich vollkommen berechtigt glauben würde, die härtesten Ausdrücke über die Nachlässigkeit seiner Arbeit zu gebrauchen, und ihm sein Instrument mit Protest zurückzugeben.“ Hierbei spielte v. Helmholtz nicht nur auf die chromatische Aberration sondern auf weitere 7 Abbildungsfehler an, die zur Verwaschung eines wahrgenommenen punktförmigen Objektes führen. Der Großteil dieser Abbildungsfehler kann mittels sphärischer oder zylindrischer Gläser so korrigiert (oder besser: kompensiert) werden, dass im Allgemeinen eine befriedigende Abbildungsqualität resultiert. Zwei häufig vorkommende und nicht mit Brillengläsern korrigierbare „höhere“ Abbildungsfehler sind bereits lange bekannt und werden als Coma und sphärische Aberration (Öffnungsfehler) bezeichnet [35]. Für Augen mit einem klinisch auffällig hohen Anteil höherer Abbildungsfehler wurde, vor allem wenn es sich um ausgeprägte Irregularitäten der Hornhaut (z. B. Narben, Keratokonus, Pterygium) handelt, der leicht resignierend wirkende Terminus 7 „irregulärer Astigmatismus“ geprägt. Auch wenn diese Irregularitäten subjektiv (Tscherning-Aberroskop) und objektiv (Skiaskop) sichtbar gemacht werden konnten, war ihre Quantifizierung nicht möglich. Dies gelang erstmals in den 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts [14]. Die erste objektive und reproduzierbare Messung des menschlichen Wellenfrontfehlers wurde 1978 an der Universität Heidelberg von der Arbeitsgruppe um Bille durchgeführt.
Abweichung vom Ideal – Das Konzept des Wellenfrontfehlers
Die Wellenfront steht immer 90° zum einzelnen Lichtstrahl 7 W ellenfrontfehler 7 W ellenfrontdeformation 7 W ellenfrontaberrationen
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Der Ophthalmologe 10 · 2007
Ein perfektes optisches System bildet ein punktförmiges Objekt als Punkt ab. Beim Anblicken eines Fixsternes würde demnach ein optisch perfektes Auge alle von diesem Fixstern ausgehenden und parallel ins Auge einfallenden Lichtstrahlen in einem Punkt der Fovea vereinigen (. Abb. 1a). Fasst man Licht als elektromagnetische Wellen auf und verbindet alle von diesem Fixstern ausgehenden Wellen in einem Punkt gleicher Phase, so erhält man – wenn das Objekt wie der Fixstern optisch im Unendlichen liegt und die Lichtstrahlen also parallel verlaufen – objektseitig eine ebene Fläche (. Abb. 1b). Diese Fläche wird als Wellenfront bezeichnet. In . Abb. 1c ist schematisch die Wellenfront in einem perfekten optischen System abgebildet. Da die Wellenfront immer 90° zum einzelnen Lichtstrahl steht und dementsprechend von der Richtung der Lichtstrahlen abhängig ist, nimmt sie bei Konvergenz der Lichtstrahlen im perfekten Auge eine sphärische Form an. Alle Abweichungen von einer perfekten Optik sind durch Abweichungen von der idealen Wellenfront gekennzeichnet. Diese Abweichungen werden in ihrer Gesamtheit als 7 Wellenfrontfehler oder 7 Wellenfrontdeformation bezeichnet; einzelne charakteristische Abbildungsfehler werden typischerweise als 7 Wellenfrontaberrationen bezeichnet.
CME Wellenfront
a
b
c Abb. 1 8 Zusammenhang zwischen Lichtstrahl und Wellenfront: a Verlauf der Lichtstrahlen in einem auf unendlich fokussierten idealen Auge; b Verlauf der Wellenfront im gleichen Auge. Außerhalb des Auges ist die Wellenfront bei parallel einfallenden Lichtstrahlen plan, im Auge nimmt sie bei Konvergenz der Lichtstrahlen eine sphärische Form an. c Synoptische Darstellung: Die Wellenfront verbindet Lichtwellen in einem Punkt gleicher Phase und steht immer rechtwinklig zum jeweiligen Lichtstrahl ideales Auge
a
myopes Auge
b nicht korrigierbare Aberrationen höherer Ordnung
hyperopes Auge
c
d
Die Natur von komplexen Wellenfrontfehlern lässt sich besser verstehen, wenn man die Wellenfronten eines perfekten Auges, eines Auges mit reiner Myopie und eines Auges mit reiner Hyperopie miteinander vergleicht. Im Gegensatz zur Wellenfront im perfekten Auge (. Abb. 2a) ist die Wellenfront im myopen Auge (. Abb. 2b) stärker gekrümmt, da die Lichtstrahlen hier stärker konvergieren. Im hyperopen Auge ist dies erwartungsgemäß umgekehrt: Hier ist die Wellenfront schwächer als die ideale Wellenfront gekrümmt (. Abb. 2c). . Abb. 2d zeigt schematisch den Verlauf der Lichtstrahlen und der korrespondierenden Wellenfront in einem myopen Auge, bei dem die Myopie, nicht aber die Abbildungsfehler höherer Ordnung mit einem Zerstreuungsglas korrigiert wurden. Die wichtigsten Aberrationen höherer Ordnung, also Abbildungsfehler, die sich nicht durch sphäri sche oder zylindrische Gläser ausgleichen lassen, sind wie oben schon erwähnt, Coma und sphärische Aberration. Bei der 7 Coma (von gr. κώμη: Haar, Schweif; vgl. „Komet“) handelt es sich um eine asymmet rische Verteilung des Brechwertes entlang einer durch das Pupillenzentrum verlaufende Achse. Entspre-
Abb. 2 9 Lichtstrahlen und Wellenfront bei Fehlsichtigkeiten. a Ideales Auge, b myopes Auge: Die Wellenfront ist stärker als die ideale Wellenfront gekrümmt. c Hyperopes Auge: Die Wellenfront weist eine schwächere Krümmung im Vergleich zur idealen Wellenfront auf. d Korrigiertes myopes Auge mit Aberrationen höherer Ordnung: Durch die Korrektur ist die Wellenfront weitestgehend der Idealform angepasst, einige Abbildungsfehler lassen sich jedoch nicht ausgleichen. Die Darstellung der Wellenfront (Krümmung und Überlappung) ist aus didaktischen Gründen übertrieben
7 Coma Der Ophthalmologe 10 · 2007
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Coma
Abb. 3 7 Coma: a Verlauf der Lichtstrahlen und der Wellenfront; aberrierte Lichtstrahlen sind rot gezeichnet. b Seheindruck beim Anblick einer punktförmigen Lichtquelle (Punktbildverwaschungsfunktion). Die Darstellung der Wellenfront (Krümmung und Überlappung) ist aus didaktischen Gründen übertrieben
a
b sphärische Aberration
Abb. 4 7 Sphärische Aberration: a Verlauf der Lichtstrahlen und der Wellenfront; aberrierte Lichtstrahlen sind rot gezeichnet. b Seheindruck beim Anblick einer punktförmigen Lichtquelle (Punktbildverwaschungsfunktion). Die Darstellung der Wellenfront (Krümmung und Überlappung) ist aus didaktischen Gründen übertrieben
7 Skiaskopie 7 Sphärische Aberration
7 B utzenscheibenphänomen
Je größer der Pupillendurchmesser, desto mehr wird die Abbildungs qualität durch Wellenfrontaberra tionen beeinflusst
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a
b
chend ist die Wellenfront auch asymmetrisch gekrümmt. In . Abb. 3a ist der Verlauf der Lichtstrahlen in einem Auge mit Coma entlang der vertikalen Achse (höherer Brechwert, „Myopie“, in der unteren Pupil lenhälfte) beispielhaft dargestellt. Diese asymmetrische Brechwertverteilung innerhalb der Pupille kann in der 7 Skiaskopie von Augen mit Coma anhand des „Öltropfen-“ und des „Scherenphänomens“ gut nachvollzogen werden. Die optische Wirkung der Coma ist eine asymmetrische Verzeichnung des Bildes; ein angeblickter Fixstern würde sich also wie ein Komet mit Schweif (Name!) darstellen (. Abb. 3b). Der zweite wichtige Abbildungsfehler höherer Ordnung ist die 7 sphärische Aberration. Diese Aberration ist durch eine rotationssymmetrisch verteilte Abweichung der Brechkraft der peripheren von der zentralen Pupille gekennzeichnet (. Abb. 4a). Einfacher ausgedrückt bedeutet dies: Die Peripherie ist „myoper“ (in . Abb. 4a) oder „hyperoper“ als das Zentrum. In der Skiaskopie macht sich dies als 7 „Butzenscheibenphänomen“ bemerkbar: Der Lichtreflex in der peripheren Pupille verläuft zum Zentrum gegenläufig. Das optische Ergebnis ist ein das eigentliche Bild überlagerndes unscharfes Bild, das typischerweise als Schleier wahrgenommen wird; der Fixstern bekommt einen Halo (. Abb. 4b). Weitere, auf diesen und den Aberrationen Defokus (sphärische Fehlsichtigkeit) und Astigmatismus aufbauende Aberrationen höherer Ordnung werden weiter unten im Zusammenhang mit den Zernike-Polynomen beschrieben.
Abhängigkeit der Wirkung von Wellenfrontaberrationen von Pupillendurchmesser und Wellenlänge Für das Verständnis aberrometrischer Messungen und aberrationsbedingter klinischer Symptome ist es außerordentlich wichtig zu wissen, dass die optische Wirkung von Wellenfrontaberrationen stark vom Pupillendurchmesser abhängig ist: Je größer der Pupillendurchmesser, desto mehr wird
CME Aberrationen und Pupillendurchmesser
2 mm
3 mm
4 mm
5 mm
6 mm
7 mm
8 mm
die Abbildungsqualität durch Wellenfrontaberrationen beeinflusst (. Abb. 5). Je kleiner der Pupillendurchmesser, desto weniger verzeichnen Aberrationen das retinale Bild und desto mehr beeinflusst Beugung die Bildqualität. Diese „Ausblendung“ der Aberrationen bei kleiner Pupille ist übrigens die optische Grundlage für die Visusverbesserung hoch aberrierter Augen mit sonst intaktem visuellem System beim Blick durch eine 7 stenopäische Blende. Es sei an dieser Stelle daran erinnert, dass Licht unterschiedlicher Wellenlänge unterschiedlich stark gebrochen wird: kurzwelliges Licht stärker und langwelliges Licht schwächer. Dieses Phänomen ist als 7 chromatische Aberration bekannt. Daraus folgt, dass in einem gegebenen optischen System die oben beschriebenen Wellenfrontaberrationen von der Wellenlänge des Lichtes abhängig sind. Deshalb ist bei der Aberrometrie immer die Wellenlänge des zur Messung verwendeten Lichtes zu berücksichtigen. Wellenfrontaberrationen werden daher auch korrekt als monochromatische Aberrationen bezeichnet.
Vermessung des Wellenfrontfehlers (Aberrometrie) Die Messung des Wellenfrontfehlers des Auges wird als Aberrometrie bezeichnet. Basierend auf der Tatsache, dass sich sämtliche Abweichungen von der idealen Optik eines Auges proportional in Abweichungen von der idealen Wellenfront wieder finden, erlaubt die Messung und Beschreibung dieser Abweichungen eine objektive Charakterisierung der optischen Eigenschaften dieses Auges. Für das Verständnis der Wirkungsweise von Aberrometern und die Interpretation von aberrometrischen Messungen ist es wichtig zu erwähnen, dass bei einem perfekten, auf unendlich fokussierten Auge auch bei der Umkehrung von Objekt- und Bildseite (d. h. das Objekt liegt im Auge, und die Lichtwellen treten aus dem Auge aus) die Wellenfront außerhalb des Auges eben ist (. Abb. 1b). Alle Aberrationen der Wellenfront dieses Auges lassen sich daher auch als Abweichungen von einer planen, die Eintrittspupille des Auges ausfüllenden Fläche beschreiben.
Abb. 5 9 Zusammenhang zwischen Pupillendurchmesser und optischer Wirkung von Wellenfrontaberrationen; Daten eines normalen Auges (30-jähriger Mann): Die obere Reihe zeigt die Punktbildverwaschungsfunktion, die untere den simulierten Seheindruck für ein Snellen-E der Visus-Stufe 1,0. Beachte die Phasenverschiebung: Mit zunehmender Pupillenweite „rutscht“ der Punkt maximaler Lichtintensität weiter nach unten. Der Einfachheit halber sind Beugungseffekte nicht berücksichtigt
7 Stenopäische Blende 7 Chromatische Aberration Wellenfrontaberrationen werden daher auch korrekt als monochromatische Aberrationen bezeichnet
Sämtliche Abweichungen von der idealen Optik eines Auges finden sich proportional in Abweichungen von der idealen Wellenfront wieder
Prinzip der Aberrometrie
In den letzten Jahren wurden unterschiedliche Systeme für die Wellenfrontmessung eingesetzt. Dabei wird entweder ein Muster auf die Netzhaut projiziert und der Wellenfrontfehler aus der Deformation dieses Musters im Netzhautbild direkt abgeleitet (Tscherning-Aberrometer, „ray tracing“, dynamische Skiaskopie) oder die Wellenfrontanalyse auf der Basis des zurückfallenden Lichtes erstellt (HartmannShack-Sensor). Hartmann-Shack-Sensor. Da der Hartmann-Shack-Sensor ([18]; . Abb. 6) das gebräuchlichste Aberro meter ist, soll er hier etwas ausführlicher beschrieben werden. Er basiert auf dem im vorigen Absatz erwähn ten Prinzip der Umkehrung von Objekt- und Bildseite. Ein mit einem Laser auf der Netzhaut erzeugter Lichtpunkt gilt als „Objekt“ für das Aberrometer. Das von diesem Lichtpunkt ausgehende Licht wird durch eine Mikrolinsenmatrix (. Abb. 6, 2) in ein Punktmuster aufgeteilt und das entstandene Bild von einer CCD-Kamera aufgefangen. Bei einer perfekten Optik und einer planen Wellenfront besteht zwischen den einzelnen Punkten ein regelmäßiger Abstand (. Abb. 6, 2). Aus der Abweichung der tatsächlichen Lage der Punkte beim CCD-Bild (. Abb. 6, 3) kann der Wellenfrontfehler des Auges rekonstruiert werden. Der Ophthalmologe 10 · 2007
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HARTMANN-SHACK-Sensor
2 CCD- CCD Kamera Kamera 1 LASER LASER
Abb. 6 7 Prinzip des Hartmann-Shack Sensors: In das Auge einfallendes Licht ist grün, aus dem Auge austretendes Licht rot gezeichnet; beachte den Verlauf der Wellenfront des aus dem Auge austretenden Lichtes. 1 Strahlenteiler, 2 Mikrolinsenmatrix und Anordnung der Linsen in der Matrix (Referenzmuster), 3 von der CCDKamera aufgefangenes Bild der Messung eines aberrierten Auges
3
TSCHERNING-Sensor
CCDKamera 3 4 2
Ähnlich wie beim Tscherning-Prinzip wird bei der Ray-Tracing-Methode ebenfalls ein Punktmuster auf der Netzhaut abgebildet, jedoch nicht simultan, sondern sukzessive
1
LASER LASER
Abb. 7 7 Prinzip des Tschening-Sensors: In das Auge einfallendes Licht ist grün, aus dem Auge austretendes Licht rot gezeichnet; beachte den Verlauf der Wellenfront des in das Auge einfallenden Lichtes. 1 Kollimator, 2 Lochmaske für Testmarke (Referenzmuster), 3 Strahlenteiler, 4 von der CCD-Kamera aufgefangenes Bild der Messung eines aberrierten Auges
Tscherning-Aberrometer und„ray tracing“. Beim Tscherning-Prinzip wird eine Punktmatrix auf die Fovea projiziert und das Netzhautbild mit einer CCD-Kamera aufgefangen (. Abb. 7; [24]). Auch hier kann aus der Dislokation der Punkte des Musters der Wellenfrontfehler berechnet werden. Es ist zurzeit nur ein Instrument kommerziell erhältlich (Wavelight, Erlangen). Ähnlich wie beim Tscherning-Prinzip wird bei der Ray-Tracing-Methode ebenfalls ein Punktmuster auf der Netzhaut abgebildet, jedoch nicht simultan, sondern sukzessive. Die Aberrationen des Auges bestimmen den Grad der Abweichung der Lichtstrahlen an unterschiedlichen Netzhautorten. Aus dem zusammengesetzten Punktmuster kann die Wellenfrontdeformation berechnet werden. Das von der Firma Tracey Technologies (Houston, Texas, USA) entwickelte Instrument ist derzeit das einzige auf dem Markt angebotene Aberrometer dieses Prinzips. Dynamische Skiaskopie. Ein rotierender Lichtspalt wird – ähnlich wie bei der Strichskiaskopie – auf der Netzhaut abgebildet, und ebenfalls rotierende Detektoren analysieren das Bild. Hierdurch wird für unter schiedliche Orte der Pupille ein lokaler Brechwert ermittelt. Aus diesen Werten lässt sich der Wellenfrontfehler ableiten. Nidek Technologies (Gamagori, Japan) bieten ein Instrument nach diesem Prinzip kommerziell an.
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CME
0
„niedere“
Z0 m
-1 Z1 -2
-3
-4
-5
Z5
-3
-1
Z3 2
Z4 Z5
3
Z3 0
Z4 Z5
Z2 1
Z3 -2
Z4
2
Z2 -1
Z3
Zn
1 Z1 0
Z2 „höhere“
radiale Ordnung n
ZERNIKE-Polynome
4
Z4 1
Z5
Z4 3
Z5
Winkelfrequenz m
5
Z5
Abb. 8 9 Pyramide mit den ZernikePolynomen der ersten 5 Ordnungen; alle Polynome der hier gezeigten Pyramide besitzen den gleichen Koeffizienten. Beachte die Verwandtschaft zwischen Polynomen gleicher Ordnung n und gleicher Winkelfrequenz m, aber mit entgegengesetztem Vorzeichen (z. B. Astigmatismus Z22 und Z2–2), ebenso die Ähnlichkeit zwischen Polynomen gleicher Winkelfrequenz m, aber unterschiedlicher Ordnung n (z. B. Z20 und Z40)
Aberrometrische Messung als Momentaufnahme
Wie bei allen empfindlichen biometrischen Messungen handelt es sich bei einer aberrometrischen Messung um eine Momentaufnahme, die Fluktuationen unterliegt. Gründe für diese Schwankungen sind beispielsweise Tränenfilmaufrisse [15, 23] und Mikrofluktuationen der Akkommodation [26]; es konnten sogar Korrelationen mit der Herzfrequenz nachgewiesen werden [38]. Es gibt einige Untersuchungen zur Wiederholbarkeit aberrometrischer Messungen für Hartmann-Shack-Sensoren [10, 12, 22], dynamische Skiaskopie [36] und „ray tracing“ [29]. Die Wiederholbarkeit von Messungen in normalen Augen mit dem Hartmann-Shack-Aberrometer ist als befriedigend anzusehen. In einer an der eigenen Klinik durchgeführten Versuchsreihe [22] konnten für 6 wiederholte Messungen mit einem Hartmann-Shack-Aberrometer (Zywave™, Bausch&Lomb; 7 mm Pupillenweite) je nach gemessenen Aberrationen Variationskoeffizienten von 16 bis 29% ermittelt werden. Messungen an unbelebten Testobjekten („Phantomaugen“) ergaben ähnliche Werte. Während die Wiederholbarkeit auch für das Ray-Tracing-Prinzip zufriedenstellend war [29], erwies sich die dynamische Skiaskopie als weniger verlässlich [36]. Für die Praxis ist daher grundsätzlich zu empfehlen, Messwerte immer aus einem Durchschnittswert aus mehreren Einzelmessungen zu bilden und offensichtlich unplausible Messungen (Ausreißer) auszuschließen. Die Software einiger Aberrometer nimmt diese Vorauswahl und Mittelung automatisch vor und gibt einen Durchschnittswert aus.
Es ist empfehlenswert, einen Durchschnittswert aus mehreren Einzelmessungen zu bilden
Interpretation aberrometrischer Messungen Beschreibung des Wellenfrontfehlers (Wellenfrontanalyse) Zernike-Polynome
Die Vermessung der Wellenfrontdeformation mit einem der im vorigen Absatz erwähnten Geräte liefert für jeden untersuchten Datenpunkt (z. B. ein Punkt im Hartmann-Shack-Muster) einen Differenzwert zur idealen Wellenfront. Aus diesen Rohdaten ließe sich eine (grobe) Wellenfrontkarte konstruieren. Hierdurch stünde allerdings nur eine begrenzte Information zur Verfügung. Einerseits muss der Raum zwischen den Datenpunkten interpoliert werden, andererseits liefert eine Wellenfrontkarte allein nur quali tative Information. Daher werden zur Beschreibung der Wellenfrontdeformation heute meist die von dem niederländischen Mathematiker und Physiker Frits Zernike formulierten 7 Kreispolynome verwendet (. Abb. 8; [37]). Mithilfe dieser Funktionen lässt sich ein Wellenfrontfehler durch mathematische Annäherung an die gemessenen Rohdaten rekonstruieren und in einzelne (Form-)Bestandteile zerlegen (Zernike-Dekomposition). Wie man in . Abb. 8 erkennen kann, bauen die einzelnen Funktionen aufeinander auf. Ein 2faches Indexschema (Znm) ermöglicht eine eindeutige Nomenklatur eines jeden Polynoms, wobei n die 7 radiale Ordnung (polynomische Komponente) und m die 7 Winkelfrequenz (Sinus- oder Kosinuskomponente) angibt [33]. Da es unendlich viele Zernike-Polynome gibt, kann ähnlich wie bei der Fourier-Analyse ein Wellenfrontfehler desto genauer angenähert bzw. beschrieben werden, je höher die Zahl der verwendeten Zernike-Polynome ist. Auch wenn die Wellenfrontrekonstruktion mit Zernike-Polynomen mitterweile im Bereich der technischen und physiologischen Optik üblich und recht
7 K reispolynome
7 Radiale Ordnung 7 Winkelfrequenz
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7 „Smoothing“
7 „Basispolynome“
7 A berrationen niederer Ordnung 7 A berrationen höherer Ordnung Zernike-Polynome lassen sich auch an hornhauttopographisch ermittelte corneale Höhendaten anpassen 7 C orneale Wellenfront
einfach verständlich ist, so stellt diese Methode einen Kompromiss dar, der bei zu geringer Zahl der verwendeten Polynome den tatsächlichen Abbildungsfehler unterschätzen kann (Unterrepräsentation hoher Frequenzen, 7 „smoothing“ ; [32]). Für die klinische Praxis werden dennoch meist nur die ersten 20 oder 27 Polynome (2.–5. bzw. 6. Ordnung) verwendet. Zwar existieren noch weitere Rekonstruktionstechniken (zonale Rekonstruktion, Fourier-Rekonstruktion), jedoch stellt die Zernike-Methode unter anderem wegen der leichten Verständlichkeit das heute gebräuchlichste Rekonstruktionsverfahren dar. Hierzu trägt vor allem bei, dass einige Zernike-Polynome (7 „Basispolynome“) der Wellenfrontdeformation bekannter Abbildungsfehler wie prismatischer Fehler (Tip, Tilt), sphärische Fehlsichtigkeit (Defokus), Astigmatismus, Coma und sphärische Aberration entsprechen. Andere Zernike-Polynome wie Trefoil (lat. trifolium: Dreiblatt, Kleeblatt), Tetrafoil, Pentafoil, m-foil leiten sich vom Astigmatismus ab und beschreiben das 3-, 4-, 5- oder m-schenklige Äquivalent des bekannten 2-schenkligen Astigmatismus. Die Aberrationen der 1. und 2. Zernike-Ordnung sind mit Brillengläsern korrigierbar und werden in der Praxis häufig als 7 Aberrationen niederer Ordnung („lower-order aberrations“, LOA) bezeichnet (. Abb. 8). Aberrationen, die durch Zernike-Polynome der 3. und höherer Ordnungen repräsentiert werden, werden demnach 7 Aberrationen höherer Ordnung („higher-order aberrations“, HOA) genannt (. Abb. 8). Je höher die Ordnung n, umso komplexer und hochfrequenter ist der repräsentierte Abbildungsfehler. Neben der Anpassung an aberrometrisch gewonnene Daten ist es auch möglich, Zernike-Polynome an hornhauttopographisch ermittelte corneale Höhendaten anzupassen [17, 31]. Dieses Verfahren ermöglicht die isolierte Charakterisierung der optischen Wirkung der cornealen Oberfläche (häufig etwas inkorrekt als 7 „corneale Wellenfront“ bezeichnet (besser wäre: „Zernike-Dekomposition cornealer Höhendaten“) und erlaubt eine genaue Quantifikation von irregulärem Hornhautastigmatismus (z. B. Keratokonus, Z.n. Keratoplastik, Pterygium).
Wellenfrontfunktion
Zernike-Koeffizienten geben den Anteil eines jeden Zernike-Polynoms an der Form des Wellenfrontfehlers an
Bei der Interpretation aberrometri scher Messungen muss der Pupillendurchmesser berücksichtigt werden
Zur Beschreibung des Wellenfrontfehlers wird eine Summenfunktion (Wellenfrontfunktion) gebildet, in der die einzelnen Zernike-Polynome durch Koeffizienten gewichtet sind. Diese Koeffizienten sind die Daten, die bei der Wellenfrontanalyse von der Software des Aberrometers ausgegeben werden. Sie können positiv oder negativ sein, haben meist die Einheit μm und geben Aufschluss über den Anteil eines jeden Polynoms an der Form des Wellenfrontfehlers: Je höher der Koeffizient eines Zernike-Polynoms, desto dominanter ist der durch dieses Polynom vertretene Abbildungsfehler in der gesamten Wellenfront [33]. Analog zum Doppelindexschema der Polynome lautet die korrekte Kennzeichnung der Koeffizienten Cnm; in der Praxis werden aber häufig Znm und Cnm synonym verwendet. Es sei erwähnt, dass nicht rotationssymmetrische Polynome einer Ordnung mit entgegengesetztem Vorzeichen (z. B. die beiden Astigmatismusterme Z2–2 und Z22; . Abb. 9) den gleichen optischen Abbildungsfehler repräsentieren, sich aber in der räumlichen Ausrichtung unterscheiden. Erst die Addition beider Koeffizienten ergibt einen resultierenden Vektor, dem eine Achslage zugeordnet werden kann (. Abb. 9). So kann man auch die Achslage einer schräg liegenden Coma oder eines Trefoil wie beim Astigmatismus mit Gradzahl angeben. Diese von Campbell vorgeschlagene Repräsentation ist deutlich übersichtlicher, hat sich aber leider noch nicht durchgesetzt [6]. Es ist sehr wichtig zu betonen, dass die Koeffizienten einer Messung nur für den Pupillendurchmesser gültig sind, der für die Wellenfrontrekonstruktion verwendet wurde. Wurde etwa die Messung bei einem Pupillendurchmesser von 8 mm durchgeführt, müssen die entsprechenden Werte für einen Durchmesser von 6 mm durch Neuberechnung ermittelt werden. Daher sollte der (Analyse-) Pupillendurchmesser neben der Wellenlänge immer bei Messungen mit angegeben und bei der Interpretation aberrometrischer Messungen berücksichtigt werden.
Wellenfrontfehler als funktionelle Einheit
7 Interaktion von Aberrationen
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Auch wenn in der klinischen Praxis die Trennung zwischen Aberrationen niedriger Ordnung und Aberrationen höherer Ordnung üblich ist und die Beschreibung des Wellenfrontfehlers mit ZernikePolynomen und ihre mathematische Unabhängigkeit (Orthogonalität) innerhalb der Wellenfrontfunktion eine Art „Baukastenprinzip“ suggeriert, sollte der Wellenfrontfehler aus physiologisch-optischen Gesichtspunkten immer als funktionelle Einheit aufgefasst werden. Der Grund hierfür ist, dass durch jeden Koeffizienten eben nur der Anteil der Aberration an der Gesamtform des Wellenfrontfehlers angegeben wird, die optische Wirkung aber durch die Gesamtform bestimmt wird. Daraus ist zu folgern, dass die Wirkung eines einzelnen Zernike-Koeffizienten immer auch von der Höhe der anderen Koeffizienten des Wellenfrontfehlers bestimmt wird. Dieses Phänomen wird 7 Inter-
CME 2
-2 Interaktion: Z2 + Z 2 (Vektorbildung)
2
Z2
3
Z 2, 2
2
2
C 2 = -1.0 µm
1
+
=
0 -1 -2
Z
1.113 µm @ 13°
-2 2
-2
C 2 = -0.5 µm
-3
µm
a
Z 22
3
Z 2, 2
2
2
C 2 = -1.0 µm
1
+
=
0 -1
-2 Z2
-2
1.113 µm @ 167° -3
-2
C 2 = 0.5 µm b
µm
Abb. 9 9 Vektorbildung von Polynomen gleicher Ordnung und gleicher Winkelfrequenz mit entgegengesetztem Vorzeichen: a Addiert man zum Astigmatismus Z2–2 (Koeffizient –1 μm) schrägen Astigmatismus Z22 mit dem Koeffizienten –0,5 μm, so resultiert eine Rotation der Achslage gegen den Uhrzeigersinn mit Verstärkung der astigmatischen Wirkung; b addiert man hingegen Z22 mit dem gleichem Betrag des Koeffizienten, aber umgekehrtem Vorzeichen (0,5 μm), ändern sich astigmatische Wirkung und resultierende Achse um den gleichen Betrag wie im ersten Beispiel, die Rotation erfolgt aber mit dem Uhrzeigersinn
aktion von Aberrationen genannt. Aberrationen niederer und höherer Ordnung können sich in ihrer optischen Wirkung gegenseitig beeinflussen. Das bekannteste Beispiel hierfür ist das Zusammenspiel von Defokus und sphärischer Aberration [1]. Sind beide Aberrationen durch Koeffizienten gleichen Vorzeichens in einem Verhältnis von etwa 3:1 in einer Wellenfront vorhanden, so ist die Qualität des resultierenden Bildes besser als wenn nur eine der beiden Aberrationen im Wellenfrontfehler anwesend wäre (. Abb. 10 a, b). Daraus lassen sich 2 wichtige Schlüsse ziehen: 1. Nicht immer führt die Erhöhung eines Zernike-Koeffizienten einer bestimmten Aberration zur Verschlechterung der Bildqualität. 2. Der Endpunkt der subjektiven Refraktion ist nicht mit der Situation „Aberrationen niederer Ordnung = O“ gleichzusetzen. Ein weiteres wichtiges Beispiel für die optisch günstige Auswirkung von Aberrationen höherer Ordnung ist die Erhöhung der Schärfentiefe durch sphärische Aberrationen (. Abb. 11a, b): Ein per-
Sphärische Aberrationen können die Schärfentiefe erhöhen Der Ophthalmologe 10 · 2007
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0 0 Interaktion: Z 2 + Z 4
0
Z2 0 2
8 = -2.0 µm
6
RMS = 2.0 µm
4
C
2
+
0
=
-2 -4
0
Z4
-6
RMS: 2.14 µm
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-8
C 4 = -0.75 µm RMS = 0.75 µm
µm
a
0
Z2
HOA RMS = 0 µm Strehl = 0,001 VSOTF = 0,02
+ Abb. 10 7 Interaktion von Defokus (Z20) mit primärer sphärischer Aberration (Z40): a Addiert man zum Defokus (Z20, Koeffizient –2 μm) primäre sphärische Aberration (Z40) mit einem Koeffizienten gleichen Vorzeichens (hier –0,75 μm), so resultiert eine insgesamt ebenere Wellenfront; b die Simulation lässt die Verbesserung der Bildqualität erkennen
=
0
Z4
HOA RMS = 0.75 µm
HOA RMS = 0.75 µm
Strehl = 0,03
Strehl = 0,03
VSOTF = 0,06
VSOTF = 0,15
b
fektes, nicht aberriertes Auge ist gegenüber Defokussierung viel anfälliger als ein Auge mit sphärischen Aberrationen [27, 28]. Multifokale Intraokularlinsen oder bifokale Laserablationsprofile nutzen diesen Effekt: Sie erzeugen eine Wellenfront mit sphärischen Aberrationen höherer Ordnungen, sodass das Auge mehrere Foci besitzt (vgl. . Abb. 4a, . Abb. 11a).
Wellenfrontkarte
Die Quantifikation der Abbildungsfehler und ihrer Wirkung ist Voraussetzung für klinische und wissenschaftliche Anwendungen der Wellenfrontanalyse. Die farbkodierte Darstellung der Wellenfrontdeformation als Funktion des Ortes innerhalb der Pupille wird als Wellenfrontkarte bezeichnet. Die Wellenfrontkarte zeigt übersichtlich, in welchen Bereichen der Pupille die Wellenfront wie stark von der idealen Wellenfront abweicht. In . Abb. 9 und 10a finden sich Wellenfrontkarten einfacher Wellenfrontfehler. Die Einheit der Abweichung der Wellenfront ist in der Regel μm. Anhand der Wellen-
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CME Interaktion: Z 0 + Z 0 (Defokussierung) 2 4 0 ohne SA
log VSOTF
-0,5
-0,75 µm SA
-1,0 -1,5 -2,0
a
-2,5 -9,0
-4,5
-2
-1
0 Defocus [µm]
4,5
9,0
1
2
0
C 4 = 0 µm
-3
0
3 Defocus [µm]
0
C 4 = -0.75 µm
-3
-2
-1
b
0
1
2
3 Defocus [µm]
frontkarte lässt sich feststellen, in welchen Bereichen der Pupille die Wellenfront vor („Hyperopie“) oder hinter („Myopie“) der idealen Wellenfront liegt, wie hoch diese Abweichung ist und wie stark die resultierenden Steigungen sind. Es ist wichtig zu erwähnen, dass im Gegensatz zur cornealen Topographie, die einen großen Hornhautbereich mit einem Durchmesser von etwa 10 mm abdeckt, die Wellenfrontkarte immer nur dem Durchmesser der (Analyse-)Pupille entspricht.
Abb. 11 9 Vergrößerung der Schärfentiefe durch Interaktion von Defokus (Z20) mit primärer sphärischer Aberration (Z40): a Die Defokussierungskurve zeigt, dass in Augen ohne sphärische Aberration (blaue Kurve) die Bildqualität (VSOTF) bei geringer Defokussierung bereits steil abfällt; in Augen mit sphärischer Aberration (rote Kurve) ist zwar die maximale Bildqualität reduziert und der Fokus verschoben, die Schärfentiefe aber deutlich erhöht. b Die Simulation zeigt die Erhöhung der Schärfentiefe in Augen mit sphärischer Aberration (untere Reihe)
Die Wellenfrontkarte deckt nur den Bereich der Pupille ab
Punktbildverwaschungsfunktion
Eine weitere sehr anschauliche Möglichkeit, die Wirkung von Wellenfrontaberrationen qualitativ umfassend darzustellen, ist die Konstruktion der Punktbildverwaschungsfunktion („point spread function“, PSF). Die PSF stellt die Verteilung der Lichtintensität auf der Netzhaut für eine punktförmige Lichtquelle dar und entspricht ungefähr dem Seheindruck beim Anblicken eines Fixsternes (. Abb. 5). Mittels 7 Konvolution lässt sich die Lichtenergieverteilung für komplexe Objekte darstellen und so der Seheindruck des aberrierten Auges simulieren (. Abb. 5) Auch wenn PSF und Simulation durch Konvolution sehr anschaulich sind und für Lehr- und Demonstrationszwecke sowie in bestimmten Studien zur subjektiven Bildqualität [1, 2, 20] ihre Berechtigung haben, sind sie zur objektiven Beurteilung der optischen Qualität des Auges nicht geeignet, da sie rein qualitativer Natur sind.
7 Konvolution
PSF und Konvolutionssimulation sind rein qualitativer Natur
RMS-Werte
Die wichtigste Anwendung der Wellenfrontanalyse in Klinik und Wissenschaft ist die objektive Beurteilung der Güte des retinalen Bildes. Entsprechend sollte eine Messung Werte zurückgeben, die Der Ophthalmologe 10 · 2007
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Die Analyse einzelner ZernikeKoeffizienten zur Beurteilung der Bildqualität ist problematisch
7 Standardabweichung des Wellenfrontfehlers 7 H OA-RMS
RMS-Werte liefern rein quantitative Information und berücksichtigen keine Interaktionseffekte
Die Betrachtung von Einzelkoeffizienten kann bei der Analyse von Form-Charakteristika einer Wellenfront hilfreich sein
vom Anwender intuitiv interpretierbar sind. Die Gesamtheit aller Zernike-Koeffizienten einer Messung liefert eine sehr detaillierte Information über den Wellenfrontfehler, vergleichbar mit der Partitur eines Werkes für großes Orchester. Der große Nachteil ihrer Verwendung als Kennzahlen optischer Güte ist die schiere Menge an Daten, die nicht nur unübersichtlich ist, sondern auch bei der statistischen Auswertung in Studien Probleme aufwerfen kann (multiples Testen). Eine Zernike-Dekomposition bis zur 5. Ordnung liefert 18 Koeffizienten, bei der 10. Ordnung sind dies schon 65 Koeffizienten. Sowenig wie die Betrachtung einer Einzelstimme einer Partitur Rückschlüsse auf den Gesamtklang des Stückes zulässt, so problematisch kann die Analyse einzelner Koeffizienten zur Beurteilung der Bildqualität sein. Hierzu tragen unter anderem die oben schon erwähnten Interaktionsphänomene bei. Eine sehr übersichtliche und deshalb weit verbreitete Wellenfrontfehlerrepräsentation stellt die Berechnung von Effektiv- oder Quadratmittelwerten des Wellenfrontfehlers dar. Rechnerisch handelt es sich um die Quadratwurzel aus der Summe der quadrierten Einzelkoeffizienten. Daher wird dieser Wert auch als RMS („root mean square“)-Wert bezeichnet. Der RMS-Wert des gesamten Wellenfrontfehlers beinhaltet die mittlere Abweichung aller Zernike-Koeffizienten von der idealen Wellenfront, stellt also die 7 Standardabweichung des Wellenfrontfehlers, angegeben in μm, dar. Je höher der RMS-Wert, umso stärker ist die Wellenfrontdeformation; der Minimalwert ist 0 und bedeutet eine Übereinstimmung mit einer idealen Wellenfront. Der RMS-Wert der Aberrationen höherer Ordnung (7 HOA-RMS) wird gerne als handliches Gütekriterium für die optische Qualität des korrigierten Auges herangezogen, da ein hoher HOA-RMS-Wert hohe Aberrationen höherer Ordnung signalisiert. So einfach und populär der HOA-RMS-Wert ist, so kritisch sei angemerkt, dass RMS-Werte rein quantitative Information liefern und weder die unterschiedliche optische Wirkung einzelner Aberrationen noch Interaktionseffekte berücksichtigen: 2 Augen mit gleichem HOA-RMS-Wert können so etwa vollkommen unterschiedliche Aberrationen und Bildqualitäten besitzen [2, 20]. Im obigen Beispiel der Orchesterpartitur entspräche der RMS-Wert etwa einem Klavierauszug (Zusammenfassung der wichtigsten Stimmen für Klavier), der zwar grundlegende Informationen über den Notentext, aber keine Informationen über den Klang liefert. Eine weitere, mehr differenzierende Möglichkeit ist die Berechnung von RMSWerten einzelner Zernike-Ordnungen oder homologer Aberrationen (z. B. Coma-RMS, RMS aller sphärischen Aberrationen). Diese Praxis erlaubt schon eher eine qualitative Beurteilung, da Aberrationen mit ähnlichen Charakteristika zusammengefasst werden, ähnlich einem Klavierauszug, der die Stimmen einzelner Orchestergruppen (z. B. Holzbläser, Blechbläser, Streicher) getrennt zusammenfasst. Sollen im Gegensatz zur gesamten optischen Wirkung bestimmte individuelle (Form-)Charakteristika einer Wellenfront systematisch untersucht werden, ist die Zerlegung in Einzelkoeffizienten von großem Wert. Beispiele für derartige Anwendungen wären die Untersuchung der Induktion von Astigmatismus und Trefoil in der Intraokularlinsenchirurgie [3] oder die Früherkennung des Keratokonus anhand von Coma [4, 5].
Quantifizierung der optischen Wirkung des Wellenfrontfehlers durch Maßzahlen
7 Strehl-Verhältnis
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Ausgehend von den Zernike-Polynomen lassen sich verschiedene Maßzahlen konstruieren, die eine umfassende qualitative und quantitative Bewertung der optischen Qualität zum Ziel haben. In den letzten Jahren wurde eine ganze Reihe unterschiedlicher Maßzahlen („metrics“) entwickelt, die aber nur zum Teil evaluiert sind und in 3 Gruppen aufgeteilt werden können: Einige Maßzahlen beschreiben die Unebenheit der Wellenfront (z. B. RMS-Werte), andere die Lichtintensitätsverteilung auf der Netzhaut (z. B. Punktbildverwaschungsfunktion und abgeleitete Größen) und wieder andere die Güte der Kontrastübertragung durch das optische System „Auge“ (optische Übertragungsfunktion und abgeleitete Größen). In dieser Übersichtsarbeit seien nur die wichtigsten Maßzahlen dargestellt; eine ausführliche Darstellung ist unter [34] verfügbar. Wie oben erwähnt, gibt die Punktbildverwaschungsfunktion die Lichtenergieverteilung auf der Netzhaut wieder. Eine häufig verwendete Maßzahl, das nach dem deutschen Physiker Karl Strehl benannte 7 Strehl-Verhältnis („Strehl ratio“), ist der Quotient aus dem Intensitätsmaximum der PSF des vermessenen Auges und dem Maximum für das ideale aberrationsfreie (beugungslimitierte) Auge, wobei letzteres mit 1 festgelegt ist. Wenn ein punktförmiges Objekt durch Aberrationen verwaschen wird, ist die von diesem Objekt ausgehende Lichtenergie über eine größere Netzhautfläche verteilt und das Maximum entsprechend niedrig. Da das Strehl-Verhältnis nur Information von einem Punkt beinhaltet (nämlich die Höhe des Energiemaximums der PSF), können auch hier ähnlich wie
CME PD = 6 mm
1
ideal (beugungslimitiert)
Kontrastübertragung
0,8
real
0,6
0,4
0,2
0
0
50 100 Ortsfrequenz [cpd]
150
Abb. 12 9 Modulationsübertragungs funktion (MTF): Die blaue Kurve entspricht dem idealen (beugungs limitierten) Auge; die rote Kurve zeigt die Kontrastübertragung durch ein reales Auge (entsprechend dem in . Abb. 6 gezeigten Auge) bei einem Pupillendurchmesser von 6 mm
bei den RMS-Werten Wellenfrontfehler mit subjektiv stark unterschiedlichem Seheindruck gleiche Werte liefern und so die optische Qualität über- oder unterschätzen (. Abb. 10b). Dies ist vor allem bei stark asymmetrischen PSF mit einem Haupt- und mehreren Nebenmaxima der Fall; Letztere können vom Betrachter als störende Geisterbilder wahrgenommen werden. Eine in der technischen und physiologischen Optik sehr verbreitete Kennzahl ist die 7 Modulationsübertragungsfunktion („modulation transfer function“, MTF). Die MTF basiert auf der Tatsache, dass alle Objekte in Sinusgitter unterschiedlicher Frequenz (Ortsfrequenz) und unterschiedlichen Kontrastes zerlegbar sind (Fourier-Analyse). Die MTF gibt das Verhältnis von Bild- zu Objektkontrast als Funktion der Ortsfrequenz des Sinusgitters an. . Abb. 12 zeigt eine MTF für ein beugungslimitiertes (ideales) Auge und für das in . Abb. 5 bereits dargestellte reale Auge mit Aberrationen (6 mm Pupillendurchmesser). Es ist erkennbar, dass, bedingt durch den Wellenfrontfehler, der übertragene Kontrast für höhere Ortsfrequenzen, also für kleine Objekte, steil abfällt. Aus der Fläche unter der MTF kann eine Kennzahl gebildet werden; ebenso ist die Bildung eines Verhältniswertes zwischen realem und idealem Auge möglich. In Anlehnung an das PSF-basierte Strehl-Verhältnis spricht man auch hier häufig von einem Strehl-Verhältnis. Für den Leser ist es wichtig, den Unterschied zwischen MTF und Kontrastempfindlichkeitsfunktion („contrast sensitivity function“, CSF) zu verstehen. Die MTF stellt eine objektiv gemessene Größe dar, die für jedes optische System, auch für optische Geräte, erhoben werden kann. Die CSF hingegen wird psychophysisch durch Kontrastschwellenprüfung ermittelt und zusätzlich durch die unterschiedliche Empfindlichkeit des visuellen Systems für unterschiedliche Ortsfrequenzen beeinflusst [19]. Die typische Glockenform der CSF im Gegensatz zur asymmetrischen Zeltform der MTF erklärt sich daher, dass das menschliche visuelle System für niedrige und hohe Ortsfrequenzen weniger empfindlich ist als für mittlere. Diese Tatsache hat zur Konstruktion komplexer Maßzahlen geführt, bei denen die gemessene MTF zusätzlich mit der empirisch ermittelten neuralen CSF gewichtet wird, um eine Überrepräsentation der für die optische Qualität des menschlichen Auges weniger wichtigen Ortsfrequenzen zu vermeiden. Eine dieser Maßzahlen ist die „visual Strehl ratio based on the optical transfer function“ (7 VSOTF ; [34]). „Visual Strehl ratio“ zeigt an, dass es sich um einen mit der neuralen CSF gewichteten Verhältniswert handelt. Die 7 optische Übertragungsfunktion („optical transfer function“, OTF) beschreibt ähnlich wie die MTF die Kontrastübertragung als Funktion der Ortsfrequenz, berücksichtigt aber zusätzlich die Phasenumkehr. Wie alle Strehl-Verhältnisse kann das VSOTF einen Maximalwert von 1 und einen unendlich kleinen Minimalwert annehmen. Es gibt noch weitere Maßzahlen, die die Lichtenergieverteilung genauer beschreiben oder sensitiv für diffuse Unschärfe oder Geisterbilder sind. Wegen der seltenen Verwendung und der nur bedingten Evaluation sollen diese hier nicht weiter beschrieben werden und der interessierte Leser sei an die Literatur hierzu [7, 8, 9, 11, 34] verwiesen. Auch wenn für theoretische Anwendungen (z. B. in rechnerischen Modellen oder im Tierversuch) und in der Praxis (z. B. beim Vergleich verschiedener refraktiv-chirurgischer Verfahren) eine kompakte Maßzahl als Surrogatparameter oder
7 Modulationsübertragungs funktion
7 VSOTF 7 Optische Übertragungsfunktion
In theoretischen Modellen oder für den Vergleich von OP-Verfahren können Maßzahlen hilfreich sein Der Ophthalmologe 10 · 2007
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total 2.5 2
RMS H: 0,438 µm
1
RMS 3: 0,423 µm
0 -0.5
RMS 5: 0,050 µm RMS coma: 0,081 µm
-1.5
RMS SA: 0,027 µm
-2
RMS res: 0,429 µm
µm a
RMS 4: 0,101 µm
-1
-2.5
PSF
RMS L: 0,530 µm
1.5 0.5
HOA
RMS T: 0,688 µm
Konvolution
Strehl: 0,02 VSOTF: 0,09
Pupillendurchmesser: 6 mm
total 2.5 2
RMS H: 1,025 µm
1
RMS 3: 0,977 µm
7 Synopsis
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0
HOA
-0.5
RMS 5: 0,107 µm RMS coma: 0,945 µm
-1.5
RMS SA: 0,154 µm
-2
RMS res: 0,365 µm
µm b
RMS 4: 0,290 µm
-1
-2.5
PSF
RMS L: 0,591 µm
1.5 0.5
Abb. 13 7 Synopsis von Wellenfrontdaten: 2 Beispiele. a Normales emmetropes Auge (26-jährige Frau); b früher Keratokonus (25-jähriger Mann). RMS T Gesamt-RMS, RMS L RMS 2. Ordnung, RMS H RMS höherer Ordnung, RMS 3–5 RMS 3.–5. Ordnung, RMS coma RMS der Coma-Terme 3. und 5. Ordnung; RMS SA RMS der sphärischen Aber ration, RMS res RMS aller Aberrationen höherer Ordnung außer Coma und sphäri scher Aberration, Strehl Strehl-Verhältnis, VSOTF „visual Strehl ratio based on the optical transfer function“
RMS T: 1,183 µm
Konvolution
Strehl: 0,01 VSOTF: 0,02
Pupillendurchmesser: 6 mm
objektives Gütekriterium wünschenswert ist, so liegt es nahe, dass ein multidimensionales Phänomen wie der Sehvorgang kaum durch einen Einzelwert zu beschreiben ist, genauso wenig wie etwa das Glaukomrisiko nur durch die Papillenexkavation oder den intraokularen Druck zu beschreiben wäre. Dennoch wird den komplexen Maßzahlen, einzeln oder in Kombination, für viele klinische und wissenschaftliche Anwendungen eine wichtige Rolle zukommen. Zur Anwendung und Vertiefung der vermittelten Kenntnisse sind in . Abb. 13a u. b die Daten für 2 Augen exemplarisch als 7 Synopsis (6 mm Pupillendurchmesser) dargestellt, etwa so, wie sie von vielen Aberrometern ausgegeben werden. . Abb. 13a fasst die Daten für ein normales emmetropes Auge einer 26-jährigen Frau zusammen; in . Abb. 13b sind die Daten für ein Auge mit frühem Keratokonus (25-jähriger Mann) dargestellt. Eine einfache Interpretation der beiden Messungen sähe etwa so aus: Bei ähnlich geringem Anteil an Aberrationen niederer Ordnung (RMS L) unterscheiden beide Augen sich vorwiegend im Spektrum der Aberrationen höherer Ordnung, sowohl quantitativ (RMS H), als auch qualitativ (übrige RMS-Werte); im normalen Auge ist Trefoil die dominierende Aberration höherer Ordnung (Dreiblattfigur in der Wellenfrontkarte, RMS res [dies ist der RMS-Wert aller Aberrationen höherer Ordnung außer Coma und sphärischer Aberration] von 0,429 μm), während das Keratokonusauge comadominiert ist (Coma-RMS von 0,945 μm). Entsprechend unterscheiden sich PSF, simulierter Seheindruck und die abgeleiteten Maßzahlen StrehlRatio und VSOTF.
CME Fazit für die Praxis Die Wellenfront verbindet Lichtwellen in einem Punkt gleicher Phase; sie steht immer senkrecht zum jeweiligen Lichtstrahl. Abweichungen von der idealen Wellenfront werden Wellenfrontaberrationen (monochromatische Aberrationen) genannt und führen zur Verzeichnung des retinalen Bildes. Die optische Wirkung von Wellenfrontaberrationen ist vom Pupillendurchmesser abhängig: Große Pupillendurchmesser bedingen eine stärker aberrierte Wellenfront und vice versa. Hierdurch ist der Effekt der stenopäischen Blende erklärbar. Die Vermessung des Wellenfrontfehlers erfolgt mit Aberrometern und ist immer als Momentaufnahme zu betrachten, die zahlreichen Fluktuationen unterliegt. Daher sollte wie bei allen biometrischen Messungen auch bei der Aberrometrie ein Mittelwert aus mehreren Einzelmessungen gebildet werden. Zur Rekonstruktion und Quantifizierung des Wellenfrontfehlers wird eine Summenfunktion (Wellenfrontfunktion) aus mathematischen Einzelfunktionen, den Zernike-Polynomen gebildet. Die Zernike-Koeffizienten spiegeln den Anteil eines jeden Polynoms an der Gesamtform des Wellenfrontfehlers wider und gelten als die Ausgangsdaten für die Wellenfrontanalyse. Die optische Wirkung einer durch einen Zernike-Koeffizienten repräsentierten Aberration wird immer auch durch andere Aberrationen der Wellenfront beeinflusst (Interaktion). Dies hat insbesondere Einfluss auf den Endpunkt der subjektiven Refraktion, der durch Aberrationen höherer Ordnung mitbeeinflusst wird. Aus Zernike-Koeffizienten lassen sich Maßzahlen berechnen, die die Güte der Abbildung des Auges repräsentieren. Evaluierte Maßzahlen können hilfreich für viele klinische und wissenschaftliche Anwendungen sein.
Korrespondenzadresse Prof. Dr. T. Kohnen Klinik für Augenheilkunde, Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main Theodor-Stern-Kai 7, 60590 Frankfurt am Main
[email protected] Interessenkonflikt. Keine Angaben.
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Das komplette Literaturverzeichnis ... ... finden Sie in der elektronischen Version dieses Beitrags unter www.DerOphtalmologe.de
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CME-Fragebogen Bitte beachten Sie: F Antwortmöglichkeit nur online unter: CME.springer.de F Die Frage-Antwort-Kombinationen werden online individuell zusammengestellt. F Es ist immer nur eine Antwort möglich.
Welche Aussage zur Wellenfront trifft zu? Die Wellenfront verläuft parallel zur Richtung der Lichtstrahlen. Die Form der Wellenfront ist von der Richtung der Lichtstrahlen abhängig. Die Form der Wellenfront ist für die optischen Eigenschaften des Auges ohne Bedeutung. Die Wellenfront von parallel aus dem Unendlichen in ein myopes Auge einfallenden Lichtstrahlen ist innerhalb des Auges weniger stark gekrümmt als unter gleichen Bedingungen in einem emmetropen Auge. Der Durchmesser der Wellenfront im Auge ist vom Pupillendurchmesser unabhängig. Welche Aussage zu Wellenfront aberrationen ist korrekt? Ihre Wirkung lässt sich grundsätzlich nicht durch Korrekturgläser beeinflussen. Sie wurden erst nach der Einführung moderner Untersuchungstechniken (Aberrometrie) beschrieben. Die Coma ist eine rotationssymmetrische Aberration. Sphärische Fehlsichtigkeit (Defokus) und Astigmatismus zählen zu den Aberrationen niederer Ordnung. Ihre Wirkung ist vom Pupillendurchmesser unabhängig.
Bei der Skiaskopie eines Patienten haben Sie Schwierigkeiten, den Flackerpunkt zu finden, weil sich bei Annäherung an den Flackerpunkt der Lichtreflex in der peripheren Pupille noch gegenläufig, im Zentrum aber schon mitläufig bewegt. Welche Aberration ist typischerweise für dieses Verhalten des Lichtreflexes verantwortlich? Defokus. Astigmatismus. Coma. Sphärische Aberration. Trefoil. Warum ist bei Augen mit starken Aberrationen höherer Ordnung beim Blick durch eine stenopäische Blende unter bester Fernkorrektur häufig ein Visus anstieg zu beobachten? Weil durch die stenopäische Blende... die ins Auge einfallende Lichtmenge deutlich reduziert wird. die Schärfentiefe signifikant erhöht wird. die Wirkung charakteristischer Aberrationen höherer Ordnung betont wird. die Akkommodation angeregt wird und hierdurch Aberrationen höherer Ordnung ausgeglichen werden. die funktionelle Eintrittspupille des Auges verkleinert und somit die Wirkung von Wellenfrontaberrationen minimiert wird.
Hinweis für Leser aus Österreich Gemäß dem Diplom-Fortbildungs-Programm (DFP) der Österreichischen Ärztekammer werden die auf CME.springer.de erworbenen CME-Punkte hierfür 1:1 als fachspezifische Fortbildung anerkannt.
Welche Aussage zu ZernikePolynomen trifft nicht zu? Bei den von der Aberrometersoftware ausgegebenen Werten handelt es sich typischerweise um Zernike-Polynome. Zernike-Polynome sind mathematische Funktionen, die die Beschreibung einer unregelmäßig geformten Oberfläche (z. B. Wellenfrontfehler oder Hornhautoberfläche) ermöglichen. In der klinischen Praxis werden häufig Zernike-Polynome der ersten 5 oder 6 Ordnungen zur Beschreibung des Wellenfrontfehlers verwendet. Einige Zernike-Polynome beschreiben den Wellenfrontfehler charakteristischer Aberrationen. Je mehr Zernike-Polynome zur Rekonstruktion des Wellenfrontfehlers herangezogen werden, desto genauer wird seine Beschreibung möglich. Welche Aussage zur Wellenfrontanalyse ist richtig? Im Gegensatz zu RMS-Werten können Zernike-Koeffizienten nie negative Werte annehmen. Die Wellenfrontkarte stellt den Wellenfrontfehler in seiner Gesamtheit als farbkodierte Karte dar. Für die umfassende qualitative Analyse der Optik des Auges ist die Betrachtung einiger weniger Zernike-Koeffizienten völlig ausreichend.
er große Vorteil des HOAD RMS-Wertes ist die detaillierte qualitative Information über die retinale Bildqualität. Obwohl Zernike-Koeffizienten in der Wellenfrontfunktion mathematisch voneinander abhängig sind, sind sie in ihrer optischen Wirkung jedoch unabhängig voneinander.
Welche Aussage trifft nicht zu? Der Endpunkt der subjektiven Refraktionsbestimmung... kann durch Aberrationen höherer Ordnung beeinflusst werden. kann bei enger und weiter Pupille unterschiedlich sein. ist typischerweise dadurch gekennzeichnet, dass der Wellenfrontfehler des optischen Systems „Auge + Korrekturglas“ eine für den Patienten/ Probanden als optimal empfundene optische Qualität bietet. ist dann erreicht, wenn Defokus und Astigmatismus des optischen Systems „Auge + Korrekturglas“ den Wert 0 haben. ist in Augen mit ausgeprägten Aberrationen höherer Ordnung (z. B. Coma) mitunter schwierig zu bestimmen.
D Mitmachen, weiterbilden und CME-Punkte sichern durch die Beantwortung der Fragen im Internet unter CME.springer.de 924 |
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CME
Welche Aussage zur sphärischen Aberration ist richtig? Sie führt immer zu deutlicher Verschlechterung des retinalen Bildes. Sie reduziert fast immer die Schärfentiefe eines Auges. Sie macht sich in der Skiaskopie typischerweise als Öltropfenphänomen bemerkbar. Sie kann in Augen mit Defokus gleichen Vorzeichens die retinale Bildqualität verbessern. Sie wird durch Zernike-Polynome mit der Winkelfrequenz ±4 repräsentiert. Welche Aussage zur Modulationsübertragungsfunktion (MTF) trifft nicht zu? Sie kann aus Zernike-Koeffizienten berechnet werden. Sie gibt die Kontrastübertragung durch ein optisches System an. Für das menschliche Auge ist sie mit der Kontrastempfindlichkeitsfunktion (CSF) identisch. Aus der MTF lassen sich Kennzahlen für die optische Qualität ableiten. Sie wird durch Wellenfrontaberrationen beeinflusst.
Welche Aussage zur Maßzahlen optischer Qualität trifft zu? Maßzahlen optischer Qualität werden in Zukunft die Visusprüfung ersetzen können. Es handelt sich um nach den Kriterien der evidenzbasierten Medizin evaluierte Parameter. Sie können nur durch aufwändige psychophysische Untersuchungsreihen (z. B. Visusund Kontrastschwellenprüfung) ermittelt werden. Sie können bei der objektiven Bewertung der optischen Qualität oder in theoretischen Modellen hilfreich sein. Der RMS-Wert der Aberrationen höherer Ordnungen (HOA-RMS) ist ein zuverlässiger Parameter für die Beschreibung der optischen Wirkung des Wellenfrontfehlers eines Auges.
Diese Fortbildungseinheit ist 12 Monate auf CME.springer.de verfügbar. Den genauen Einsendeschluss erfahren Sie unter CME.springer.de
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