Aus dem kiinigl. Entbindungsinstitut in Dresden.
Beitrag zur Aetiologie und Prophylaxe der Ophthalmoblennorrhoea neonatorum. Yon
Leopold und Wessel.
Das C r ed 6'sche u die Augenentziindung tier Neugeborenen zu vcrhiiten, hat gewiss in allen Entbindungsinstituten Deutschlands and in vielen des Auslandes bereits Eingang gefunden. Noch liegen abet aus nur wenigen Anstalten Berichte iiber die Erfolge vor. Es erscheint daher geboten, die Resultate auch der hiesigen Anstalt mitzutheilen, um so mehr, als dieselben mit zu den besten gehSren, welche bisher erzielt worden sind. Seit dem 1. October 1883 ist das Yerfahren C r e d 6 ' s genau nach dessen Vorschriften im Dresdner Entbindungsinstitute eingefiihrt worden. Die EintrKufelung geschah gewShnlich ca. 1/~ Stunde nach der Geburt, naehdem das Kind gebadet und seine Augen mit einem saubern, in frischem Wasser angefeuchteten Leinenlappen gereinigt waren. Nur in einzelnen F~llen, wenn durch die schnetle Aufeinanderfolge mehrerer Geburten Arzt und Hebamme zu sehr in Ansprueh genommen waren~ erfolgte die Eintr~ufelung etwas sparer. Es sind seit jener Zeit bis zum 10. Juli 1884 i002 lebende Kinder geboren worden, derea Miitter vorwiegend dem Proletariat angehSrten. Unsauberkeit, starker Fluor nnd Colpitis granulosa wurden bei nicht wenigen yon ihnen gefunden, und auch andere Gelegenheitsursachen, welche durch eine l~ngere Geburtsdauer alas Zustandekommen einer blennorrhoisehen Infection tier Kinder h~tten begiinstigen kSnnen, waren zahlreich zu verzeichnen.
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In dieser Hinsicht sind zun~tchst 26 alto Erstgeb~trende mit abnorm langer Geburtsdauer zu erwi/hnen. Ferner erfolgte der Blasensprang bei 176 Kreissenden vet vollst~ndiger Erweiterung des Muttermundes. Die Austreibungsperiode dauerte bei 63 Multipaten l~tnger als eine, und bei 36 Primaparen li/nger als vier Stunden. Von den Kindern kamen 25 in Beckenendlage, 1 in Stirnlage, 4 in Gesiehts- und 3 in Querlage zur Geburt, und in 386 Fiillen hande]te es sich usa Frfiehte, die fiber 3250 g wogen. Von den erwiihnten 1002 Neugeborenen sind innerhalb der ersten zehn Lebenstage 7 = 0,c9 Prec. an der Ophthalmoblennorrhoea erkrankt. Yon diesen sieben Kindern sind abet zwei in Abrechhung zn bringen (geboren am 4. Januar und 24. M~rz), da bei ihnen die Eintriiufelung im Drange der Gesch~fte vergessen worden war. Ein derartiges Uebersehen wird in allen grSsseren Entbindungsanstalten vorgekommen sein und fernerhin noeh vorkommen, wenn man bedenkt, wie das Personal bei gleiehzeitig fiinf bis sechs vor sich gehenden Entbindungen in Anspruch genommen ist. Von den fibrigen fiinf Erkrankungen sind ferner noeh zwei abzuziehen, welche mit Bestimmtheit Sp~tinfeetionen yon Seiten der hSehst unsauberen Mfitter waren. Die erste dieser Sp~terkrankungen erfolgte am 14. December 1883, am neunten Tago nach der Geburt, naehdem wiederholt beobachtet worden war, dass die Mutter des Kindes ihre Hi~nde in fortw~ihrender Berfihrung mit den i~usseren Gesehlechtstheilen hatte. Die zweite Spgterkrankung trat im Februar 1884 bei einem Kinde am aehten Lebenstage auf, zu einer Zeit, we gerade drei frische Blennorrhoen kurze Zeit nach der Geburt und in kurzen Zwisehenpausen nacheinander zur Beobaehtung gekommen waren. Auch hier konnte es bei dem engen Zusammenliegen der betreffenden WSehnerinnen resp. Kinder kaum einem Zweifel unterliegen, dass die Spi~terkrankur N infolge yon Yerschleppung durch ungentigendes Wartepersonal erfolgt war. Sonaeh bleiben nnr drei Augenentzfindungen iibrig, welche in der kurzen Zeit -corn 2. bis 13. Februar 1884 auftraten und die ersten Symptome schon am zweiten Lebenstage erkennen liessen. Damals wurden die Eintrgufelungen yon der diensthabenden Unterhebamme ausgefiihrt. Mag sie nun die Eintrgufelung vergessen odor Jemandem Anderen fibergeben odor eine ungeniigende LSsung gehabt haben: zu ihrer Entsehuldigung liisst sieh anffihren, class
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jene Zeit durch eine grosse Zahl gleichzeitiger und vieler ioatho logischer Geburten eine sehr bewegte war. Nach alledem sind yon 1000 prophylaktisch behandelten Neugeborenen 3 -----0,3 Prec. in den ersten Tagen nach der Geburt an der Ophthalmoblennorrhoea erkrankt. Da aber auch diese drei Fs unbedingt zu vermeiden waren, so wurde veto 21. Februar a. c. die Eintr~ufelung einzig und allein veto ersten Assistenten vorgenommen und sind seit dieser Zeit 522 nacheinander geborene Kinder frei Yon jeder Ophthalmoblennorrhoe geblieben. Demnaeh wiirde dies letztere Resultat demjenigen gMch kommen, wie es aus Entbindungsanstalten mit geringerem Material mit 0,o Prec. sehon verSffentlicht worden ist. Dass die Eintrgufetung in grSsseren Entbindungssnstalten nur in der Hand eines Einzelnen sieh befindet, scheint yon nieht geringem Belang zu sein. Je grSsser die Anstalt, je h~ufiger die Geburten, um so schwieriger ist die Durohfiihrung der Reinliohkeit und die Controle des Unterpersonals. Gew~hr fiir die regelm~issige und riehtige Eintr~tufelung ist nur zu erreichen, davon haben wir uns zur Geniige iiberzeugt, wenn der Hausarzt selbst jedes Kind vornimmt. Es besteht demnach bier die Einrichtung, die sich sehr bewKhrt hat, dass jedes veto ersten Assistenten eingetriiufelte Kind - - und manchmal sind schon sechs bis aeht kurz nacheinander geboren worden - - yon ihm besonders gebueht wird. Bei einem Yergleiche der Geburtsnummern und der Namen tier Miitter mit der Reihe der Neugeborenen ist ein gergessen in der Eintr~ufelung nicht gut mSglich. Um abet auch den liistigen Spgtinfectionen vorzubeugen, wurden nach dem Yorgange des Leiioziger Entbindungsinstitutes die Kinderbetten weir ab yon den Betten der Miitter gestellt und die Kinder den Miittern nur zum Nghren ins Bett gegeben. Auch diese Einrichtung war yon grossem Nutzen. Dass aber aueh bei dieser Absonderung noch ab und zu eine nachtr~gliche Infection tier Augen vorkommen kann, lelirte in jiingster Zeit ein Fall (Weber), welcher zu Untersuchungen tiber die Aetiologie der Ophtha.lmoblennorrhoe beniitzt wurde, yon dem spgter die Rede sein wird. Er erwies klar, dass eine mit Gonorrhoe behaftete WSchnerin bei nachgewiesen fortws Unreinlichkeit ihrer Hiinde noeh in der dritten Woehe naeh der Geburt wiihrend des Stillens ein fremdes Kind inficirte. Man hat "con einzelnen Seiten - - und es scheint vorwiegend yon Ophthalmologen geschel~en zu s e i n - gegen das C r e d6'sehe
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Verfahren den Einwand erhoben, dass die 2 proe. HSllensteinlSsung ein viel zu starkes, ja selbst gefahrvolles Mittel sei. Haben diesen Vorwurf C r e d 6 selbst and Andere mit ihren glgnzenden Erfolgen schon zur Geniige zurfickgewiesen, so scheint es doch, um der hohen Bedeutung des Verfahrens zu immer allgemeiner werdender Geltung mitzuverhelfen, ganz besonders nothwendig zu betonen, dass Nachtheile dutch die LSsung bier niemals beobachtet worden sind. Auch bei friihgeborenen Kindern, yon denen besonders eine etwas stirkere Reizung tier Conjunctivae darch die 2proe. HSllensteinlSsung angegeben wurde, trat die Lidreizung und -schwellung in kaum nennenswerthem Grade auf; sic war gewShnlich, wie bei den anderen Kindern, am zweiten his dritten Tage yon selbst verschwunden, und therapeutische Maassnahmen kamen nicht zur Anwendung. Ein interessanter Beleg hierzu ist ein Kind, welches gleich nach dem zweiten, yon den oben erwghnten v e r g e s s e n e n Kindern, geboren und an Stelle Seines iibersehenen Vorgi~ngers irrthiimlicherweise kurz naeh einander zweimal - - ehne den geringsbn Nachtheil - - eingetri~ufelt worden war. Mit einem Worte: die Erfahrungen fiber die Prophylaxis nach C r e d ~ sind in der hiesigen Anstalt durchweg befriedigend; zum guten Theil mit dadurch, als sein Verfahren auch ganz genau naeh seinen Vorschriften ausgefiihrt wird und alles Modifieiren durch ANinderung der LSsung, durch Anwendung eines Tropfglischens u. s. w. unterbleibt. Sehr zu wfinschen wire es, wenn zuniichst noeh zahlreiche Mittheihngen aus anderen Anstalten erfolgten, welehe das Verfahren bis in die kleinsten Einzelheiten genau nach seinem Autor durchgefiihrt haben. Bei der Beobachtung dieses Materials dringte sieh unwillkiirlich die vielbesprochene and auch yon Z w e i f e l in seiner jiingsten Arbeit (dieses Archiv Bd. XXII, Hft. 2) ausfiihrlich erSrterte Frage auf, ob der Ophthalmoblennoisrhoea neonatorum ein ganz bestimmtes Gift zu Grunde liege und ob dies speciell die Neisser'schea Gonocoecen seien. Die Beantwertung dieser Frage li~sst sieh yon versohiedenen Gesichtspunkten aus in Angriff nehmen. Man hat entweder nachzuweisen, dass dureh Uebertragung yon genoeoceenfreiem Loehialsecret auf die Conjunetiva der Neugeberenen keine Blennorrhoe hervorgerufen wird, eder man hat den Beweis zu liefern, dass, wenn bei Schwangeren oder Gebirenden gonococeenhaltiges
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Scheidensecret gefunden wird, auch deren Neugeborene an tier Ophthalmoblennorrhoe unbedingt erkranken. Den ersten Weg hat Zweifel (1. c.) in Verbindung mit S a t t l e r betreten. Sie iibertrugen Lochialseeret, das yon Gonococcen absolut frei war, in den Conjunctivalsack yon sechs Neugeborenen, und nicht einmal zeigte sich dunach eine Ophthalmoblennorrhoe. Um den zweiten Weg einzuschlagen, hatte man yon der Ueberlegung auszugehen, dass alas die Ophthalmoblennorrhoe bedingende Contagium, welches mit Sicherheit dutch die prophylaktische Behand lung zerstSrt wird, in den Augen der Neugeborenen zur Wirkung gelangen miisse, sobald die HSllensteinbehandlung ausgesetzt werde. So]lten die Gonococcen wirklich die specifischen Infectionstr~ger sein, so durften nut die Kinder solcher Miitter erkranken, in deren Genitalseeret sich obige Mikroorganismen naehweisen liessen. Aufgabe war es d~her, bei einer Reihe yon Schwangeren und Geb~renden das Scheidenseeret auf die Anwesenheit yon Gonococcen zu untersuchen; u n d e b e n s o w o h l in a l l e n den Fs wo sich G o n o e o c c e n f a n d e n , wie in d e n e n , wo sieh k e i n e f a n d e n , die E i n t r s n i c h t v o r n e h m e n zu lassen. H a t t e m a n d a n ~ c h in der e r s t e n G r u p p e die O p h t h a l mie u n b e d i n g t zu e r w a r t e n , so musste sie in der and e r e n G r u p p e der F~lle a u s b l e i b e n . Zu diesen Untersuchungen dienten 18 Schw~ngere und Gebiirende, deren Kinder s~mmtlich der prophylaktischen Methode nicht unterzogen wurden. B e m e r k e n s w e r t h ist n u n gewiss in h o h e m Grade, dass n u r bei e i n e r Person G o n o c o e c e n g e f u n d e n w u r d e n , d e r e n K i n d a u c h schon am d r i t t e n Tage die b e k a n n t e n E r s c h e i n u n g e n der O p h t h a l m o b l e n n o r r h o e d a r b o t . Bei den s i e b z e h n a n d e r e n a b e r l i e s s e n sich G o n o c o e c e n n i r g e n d s n a c h w e i s e n : und die n i c h t e i n g e t r ~ u f e l t e n K i n d e r b l i e b e n f r e i yon j e d e r E n t z i i n d u n g d e r Augen. Ueber den Gang dieser Untersuchungen sind folgende Bemerkungen zu machen. Zuniichst war es nothwendig, mit der zur Herstellung yon Gonoeoccenpr~paraten erforderlichen Teehnik genau vertraut zu werden. Zu diesen Uebungsversuchen wurde das Secret frischer und behandelter Gonorrhoen aus anderen Hospit~lern benutzt,
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und an ibm die Beschaffenheit der Gonococcen, ihre eigenth[imliche Haufenbildung und ihre Anlagerung an Zellen eingehend studirt. Als Farbstoff diente anfangs nach N e i s s e r ' s Vorschrift eine ges~ttigte MethylenblaulSsung. Durch ein sehr sehSnes Gonococcenpr~iparat des Herrn Dr. L i e b e , Internen am hiesigen Entbindungsinstitut, warde die Aufmerksamkeit auf die FuchsinfSrbung gelenkt, welche des nieht immer ganz miihelose Auffinden der Gonococcenhaufen wesentlich erleichterte. Seitdem diente zur Fiirbung eine ra~ssig ges~ttigte LSsung yon alkalischem Diamantfuchsin, ia welcher die Pr~iparate '/2--2 Stunden liegen blieben. Die F~irbung war stets eine ausgezeichnete. Das Secret der zu Untersuchenden wurde mit einer sorgfiiltig gereinigten und desinficirten Glaspipette nur in dem ersten Falle dem Scheideneingang entnommen. Die in zahlloser Menge darin enthaltenen F~ulnissbacterien erschwerten zu sehr die Priifung der Pr~parate, so dass fortan nur Secret aus dem hinteren Theile der Scheide, mittels Speculum und Pipette gewonnen, verwendet wurde. Die Zahl der yon jeder Person, zumal yon den ~erd~chtigen, angefertigten Pr~iparate belief sich meistens auf fiinf his sechs. Es mSgen nun die Befunde kurz angefiihrt sein: I. Fall. Menzel, 25 Jahre alt, unverheirathet. Ipara. Im Secret eine grosse Menge kurzer und langer St~bchenbaeterien, auch viele Epithelien; Eiterzellen dagegen fehlten. Austreibungszeit 1 Stunde 2 Minuten. Blasensprung erfolgte nach vollst~ndiger Erweiterung des Muttermundes. Das 3140 g schwere, in erster Sch:~tdellage geborene Madchen blieb gesund. II. Fail. Weber~ 25 Jahre alt, unverheirathet. Ipara. B e f u n d : Wenig Epithel- und Eiterzellen; um so mehr ganz kurze St~bchen, welche allerdings sehr verd~tchtige ttaufchen bildeten. Blasensprung frfihzeitig. Austreibungszeit 5 Stunden 25 Minuten; ein M~dehen geboren in zweiter Sch~dellage, 3745 g schwer, 511/~ cm lang. Nach diesem mikroskopischen Befunde war eine blennorrhoische Erkrankung des Kindes nicht zu erwarten. Um so mehr iiberraschte es, a]s am vierten Tage Schwellung und Injection tier Lider des rechten Auges bei dem Kinde wahrgenommen wurden und am n~ichsten Tage die deutlichen Zeichen der Ophthalmoblennorrhoe auftraten. Die Schwellung und RSthung der Lider hatte erheblich zugenommen; bei Dr'uck entleerte sich aus dem Conjunetivalsack eine reichliche Menge gelben flockigen Eiters,
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Ersch6inungen, die rich seJdr bald auch ~uf dem linken Auge bemerkbar machten. Unter solchen Umstgnden wurden die Pr@arate der W e b e r nochmals einer sorgfgltigen Controle unterworfen, und in der That unzweifelhafte Gone- resp. Diplococcenhaufen, wenn such in geringer Zahl mit Oelimmersion und A b b e' scher Beleuchtung naehgewiesen. Auch die Herren C r e d 6 senior und B i r c h - H i r s c h fel d iiberzeugten rich yon der charakteristischen maulbeerartigen Haufenbildung und yon der Doppelform. E i n e g l e i e h z e i t i g v o r g e n o m m e n e U n t e r s u c h u n g des C o n j u n c t i v a l s e c r e t e s des erkrankten Kinder ergab, dass darin neben Eiterz e l l e n e i n e g r o s s e M e n g e YX!eisser'scher G o n o c o c e e n enthalten waren. Dieser Fall war geeignet, fiber die Verbreitung und Yermehrung der Gonoeoccen bei Mutter und Kind weitere Studien zu machen. In dem Lochialsecret der Mutter, welches his untersucht wurde, hatte eine ausserordentliehe Vermehrung tier Gonoeoccen stattgefunden. Wghrend man in den vor der Entbindung angefertigten Pr~paraten nur mit grSsster Aufmerksamkeit und Geduld rich yon dem Vorhandensein derselben iiberzeugen konnte, geniigte nunmehr die Einstellung eines beliebigen Punktes des Pr~parates, um Gonococcenhaufen in grSsserer Zahl wahrzunehmen. Man wird demnach in der Annahme nicht fehlgehen (vgl. auch Z w e i f e l 1. c. S. 325), dass das Lochialsecret ein ausgezeichneter ~ h r b o d e n fiir Gonocoeeen sei. Eine Anlagerung der letzteren an Plattenepithelien war in keinem Pr@arate wahrnehmbar. Die Gonococcen waren fast ausnahmslos an Eiterzellen gebunden und h~ufig so eigenthiimlich an dieselben gelagert, dass es den Eindruek maehte,_ als sei die Zelle yon dem Gonococcenhaufen angefressen. Auffallend war, dass viele der im Lochialsecret enthaltenen Haufen erheblich kleiner waren als die, welche in anderen Prgparaten gesehen wurden; vielleieht, dass mit der Vermehrung der Gonoeoecen zugleieh eine Theilung der Haufen einhergeht. Das Conjunctivalsecret des Kinder wurde ebenfalls zu wiederholten Malen untersucht. Obwohl die Eiterabsonderung allmglig geringer wurde, war eine deutliehe Verminderung der Gonococeen nicht wahrzunehmen. Iqoch am neunten Tage der Behandlung enthielten die Prgparate fast ebensoviel Gonoeoccenhaufen, wie bei der ersten Untersuchung.
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Noeh in der dritten Woche war bei dieser P e r s o n ( W e b e r ) das Lochialsecret reich durchsetzt yon Gonoeoccen; denn sie inficirte ein 21 Tage altes Kind lediglich dadureh, dass~ sie es -ohne jede Erlaubniss - - mit an die Brust nahm und hSchst wahrscheinlich durch die unsauberen H~nde das Virus in das Gesicht des Kindes iibertrug. Zum Gliicke wurde diese erneute Slo~tinfection bald beseitigt. III. Fail. Berg, 24 Jahre alt, unverheirathet, Ipara. Befund: Starker Fluor; darin viele Epithe]ien, wenig Eiterzellen. Viele crosse gebogene Kettenbacterien. Blasensprung rechtzeitig. Austreibungsperiode 1 Stunde 20 iginuten. Erste Sch~idellage. Knabe 3350 g, gesund. IV. F~I1. Litzner~ 31 Jahre air, unverheirathet~ IIIpara. Befund: Schleimiges Secret mit vielen Epithelzellen und Stabchen. Eiterzellen fehlen. Blasensprung rechtzeitig. Austreibungsperiode 16 iKinuten. Erste Schadellage. Knabe 3100 g, gesund. V. Fall. F r i e d e l , 21 Jahre alt, unverheirathet, Ipara. Stark eitriger Ausfluss, Colpitis g r a n u l 0 s a . Im Secret Eiterzelien und St~tbchcn in grosset Menge. Wenig Epithelien. Da dieser Fall sehr verd~chtig war~ wurden die Pr~parate mit der allergrSssten Sorgfalt untersucht, ohne dass es gelang Gonococcen naehzuweisen. Blasensprung rechtzeitig. Austreibungsperiode. 18 Minuten. Erste Seh~idel= lage. Knabe 2805g, gesund geblieben. VI. Fall. Codde, 24 Jahre alt, unverheirathet, Ipara. Starker Ausfluss, wenig Eiter- und Epithelzellen darin, um so reichlicher Kugel- und St~ibchenbacterien, welehe zum Theil zu ttaufen gruppirt waren. Austreibungsperiode 8 Stunden, Blasensprung 2 Stunden vor der Geburt. Zweite Schiidellage, Knabe 3550g, gesund geblieben. VII. Fall. Schock~ 23 Jahre alt, uuverheirathet, Ipara. In dem sp~rlichen Secret Epithelien, rothe BlutkSrperchen und St~ibchen. Blasensprung 10 Minuten vor vollst~indiger Erwekerung des Muttermundes. Austreibungsioeriode 35 Minuten. Erste Sch~dellagei Knabe 3725 g, gesund geblieben. VIII. Fall. Bilz, 153/~ Jahre alt, unverheirathet, Ipara. Starker Ausfluss. u Eiter- und Epithelzellen, wenig Sti~bchen. Blasensprung rechtzeitig. Austreibungsperiode 3 Stunden 22 Minuten. Erste Sch~dellage. M/idchen 3220 g, gesund geblieben. IX. Fall. F o t t e r a , 27 Jahre alt, unverlieirathet, Ipara. Befund: Viel Stabchen- und Kugelbaeterien, wenig Epithel- und Eiterzellen. Blasensprung 26 Stunden vor der Geburt, zweite Geburtsperiode 5 Stun-den. Erste Schi~dellage. Madehen 2850 g, gesund. X. Fall. B e u t l e r , 28 Jah~'e air, unverheirathct, Ipara. Grosse Stiibchen un~ Plattenep~thelien. Blasensprung rechtzeitlg. Zweite Geburtsperiode 2 Stunden 45 Minuten. Zweite Seh~tdellage. M~idchen 3010 g, gesund geblieben.
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XI. Fall. T r e p t e , 32 Jahre alt, verheirathet, IVpara. Starker Ausfluss, enth~lt g'rosse Massen yon Eiterzellen; daneben viele Plattenepithelien und grosse gebogene Kettenbacterien. Blasensprung 1 Stunde vor der Geburt. Zweite Geburtsperiode 35 Minuten. Erste Seh~idellage. Mgdchen 3532 g~ nicht erkrankt. XII. Fall. G o l d m a n n , 18 Jahre alt, unverheirathet~ Ipara. Befuud: u St~bchen, vielfaeh in Haul~n geord.net, vereinzelte Epithelien. Blasensprung 1 Stunde 25 Minuten vor der Geburt. Zweite Geburtsperiode 52 Minuten. Zweite Sch~tdellage. Mi~dchen 2800 g, gesund geblieben. XIII. Fall. S t r a d o w s k y , 29 Jahre alt, unverheirathet, Ipara. Befund: Starker Ausfluss mit vielen Eiterk5rperchen und St~bchen, wenig Epithe]ien. Blasensprung reehtzeitig. Zweite Geburtsperlode 35 Minuten. Erste Schadellage. Knabe 3200 g, gesund. X]XV. Fall. K n o b l o c h , 26 Jahre alt, unverheirathet, Ipara. Befund: Epithelieu, zahlreiche kurze St~behen~ theilweise in Haufen. Blasensprung 7 Stundeu vor der Geburt. Zweite Geburtsperiode 6 Stunden 15 Minuten. Erste Setl~idellage. Forceps. M~.dehen 2790g, gesund. XV. Pall. Kamm, 22 Jahre alt, unverheirathet, Ipara. Befund: Sehr viel Stabehen und rothe Blutk~rperchen, vereinzelte Epithelien. Blasensprung rechtzeitig. Zweite Geburtsperiode i Stunde 30 Minuten. Erste Schgdellage. ~tdcheu 3500g, nicht erkrankt. XVI. Fall. Sehrer, 36 Jahre alt, verheirathet, XIIIpara. Befund: Starker Ausfluss lnit vielen Eiterzellen nnd St~tbchen in Haufenform; wenig Epithelien und Kugelbacterien. Blasensprung rechtzeitig. Zweite Geburtsperiode i Stunde 25 Minuten. Zweite Sehgdellage. Mgdehen 2800 g, gesund geblieben. XVII. }I~ihle, 23 Jahre alt, unverheirathet, Ipara. Colpitis granulosa. Sehr stark eiteriger Ausftuss. Viele EiterkSrperehen und ganz vereinzelte Mikroeoecen im Secret. Blasensprung 50 Minuten vor vSllig erweitertem Muttermund. Zweite Geburtsperiode 2 Stunden 45 Minuten. Erste Sch~tdellage. Mgdchen 2900g, nicht erkrankt. XVIII. Pall. R i c h t e r , 19 Jahre alt, unverheirathet, Ipara. Starke Colpitis g r a n u l o s a mit reichlieh eitrigem Ausflusse. Im Secrete viel kurze und lange Stgbehen, vereinzelte Coecen; .zahlreiche EiterkSrperehen, Epithelien sp~rlieh. Gonocoeeen nicht aufzufinden. Blasensprung rechtzeitig. Zweite Geburtsperiode 11 Stunden 40 Minuten. Zweite Sch~dellage. 5~[~ideheu 3048 g. Was lehren nun diese Beobachtungen? In siebzehn Fgllen fanden sich keine Gonoeoccen; die betreffenden Neugeborenen wurden demnach nicht eingetrKufelt; und wio erwartet werden musste, blieb jede speeifische Augenerkrankung aus. In einem Falle dagegen (II. Fall, W e b e r ) fanden sich unzweifelhafte N ei s s e r' sche Gonococcen; das Kind wurde ebenfalls Archly f. Gynli~kologie. Bd. XX].V. rift. 1.
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nicht eingetri~ufelt, und am vierten Tage stellte die Ophthalmoblennorrhoe sich ein. Kaml es nach einem solchen Ergebnisse noch zweifelhaft sein, dass der letzterw~hnten Krankheit ein specifisehes Virus zu Grunde liegt und dass dies speciell die Gonococcen sind? Die achtzehu mitgetheilten Fi~llesind allerdings noch zu gering ml Zahl; gleichwohl liegt in ihnen eine so sehwerwiegende Thatsaehe, dass sie die eingehendste Beriieksiehtigung erfordert. Sieht man sieh die obigen Mittheilungen genauer an, so f~llt auf, class gerade in den Fs we man eine Infection erwartete, die letztere ausblieb, wghrend umgekehrt in dem scheinbar ganz unverdgehtigen Falle W e b e r eine blennorrhoische Erkrankung naehfolgte. In den Fs V, XVII und XVIII handelte es sieh um ausgesprochenste Colpitis granulosa mit stark eitrigem Fluor; und in den Fs iII, VI, VIII, XI, XIII, XVI um ehronisehen Scheidenkatarrh. Obwohl die ersten drei Fs jeden Untersueher auf das Bestehen einer Gonorrhoe hingewiesen hs fanden sieh doch in keinem einzigen Pri/parate Gonococeen. Iu sehroffem Gegensatze hierzu steht der Fall Web e r. Weder ein besonders starker Ausfluss, noeh eine grauulirende Colpitis erweekten bier den Verdaeht einer Gonorrhoe; aueh der geringe BeNnd an Eiterzellen in dem Secrete hgtte zweifellos gegen das Vorhandensein einer solehen gesprochen, wenn nicht die Anwesenheir yon Gonoeoeeen festgestellt worden wiire. Nimmt man folgende Faeta zusammen: Deutlieh naehweisbare Gone- resp. Diioloeoeeen vor der Geburt, bald auftretende Ophthalmoblennorrhoe des Kindes mit massenhaften Gonoeoccen im Conjunctivalsack; zahlreiche Diploeoeeen enthaltendes Loehialseeret der Mutter, das noeh naeh drei Woehen ein f r e m d e s Kind inficirt, und Iange naehweisbarer Gonoeoeeengehalt des Augenseeretes des Kindes trotz entspreehender B e h a n d l u n g , - so ist dies eine Kette yon Erseheinungen, die einen erd'riiekenden Beweis fiir die Speeifitiit der Ophthalmobleunorrhoea, speciell Nr den N ei s s er'schen Diioloeoeeus enths Weitere Untersuehungen werden festzustellen haben, ob eine noch grSssere geihe, naeh gleichen Prineipien verwertheter Fi~lle zu denselben Resultaten fiihren. Fragt man naeh der praktisehen Verwerthung der letzteren, so lehren die mitgetheilten Fiille eindringlich genug, dass man einen Fehler begehen wiirde, wollte man bei unbedeutendem, zureal nicht eitrigem Seheidenausfluss Schwangerer oder Gebgrender
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die Anwesenheit yon Gonoeoceen a u s s e h l i e s s e n ; andererseits, wollte man sie bei Colpitis granulosa, der bisher allgemein angenommenen Begleitkrankheit der Gonorrhoe, als selbstverstgndlich anwesend voraussetzen. Bei dieser Unsieherheit der Erscheinungen kann es daher fiir Entbindungsanstalten niehts Sichereres geben, als die prophylaktische Eintri~ufelung naeh CredS. Sie macht Tabu]a rasa; Bin Segen, der unausbleiblich ist. In der Privatpraxis dagegen, in welcher mit Gonorrhoe behaftete Frauen ungleieh seltener vorkommen, steht die Sache anders. Wet als Arzt fiir seine Clientel sehr besorgt ist, wird sich bei verdgehtigem Seheidensecret tier Schwangeren oder Gebgrenden wohl die Miihe nehmen kSnnen, nach Gonococcen zu suchen oder suchen zu lassen, genau so, wie er nach Cylindern im Harn, naeh Tuberkelbaeillea und anderen Dingen sueht. Finden sich Gonococcen, dann erweist er dem Kinde, der Familie und sich eine grosse Wo]althat, wenn er nach der Gebur~ in jedes Auge einen Tropfen zweiprocentiger HSllensteinlSsung fallen liisst.
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