Schwerpunkt | Im Dialog
Reinhold Achatz im Dialog mit Utz Schäffer
„Das Controlling muss unternehmerisch denken und agieren“ Die letzten Jahre waren für die Thyssenkrupp AG nicht einfach. Umso größer ist die Herausforderung, will der Konzern in Zeiten der digitalen Transformation weiter in der oberen Liga spielen. Für den Chief Technology Officer ist das Controlling ein wichtiger Begleiter, wenn es um Entscheidungen für oder gegen digitale Innovationen geht. Es hilft, die richtigen Prioritäten zu setzen.
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Schwerpunkt | Im Dialog Dr. Reinhold Achatz
Fotos: © Kai Myller
ist Chief Technology Officer und Leiter der Corporate Function Technology, Innovation and Sustainability bei der Thyssenkrupp AG in Essen. In dieser Funktion ist er konzernweit und global für die Innovations- und Nachhaltigkeitsthemen von Thyssenkrupp zuständig. Seine Schwerpunkte liegen auf zukunftsorientierten Projekten, der Nutzung von technologischen Synergien im Konzern und der Prozessverbesserung. Vor seinem Wechsel zu Thyssenkrupp im Jahr 2012 war Reinhold Achatz in verschiedenen Management-Funktionen bei der Siemens AG tätig, zuletzt als Leiter der globalen Forschung. Er ist in einer Reihe von Organisationen und Institutionen aktiv, unter anderem im deutschen Wissenschaftsrat, in Kuratorien der Fraunhofer- und der MaxPlanck-Gesellschaft, als Vorstand des Industrial Data Space e. V. und als Mitglied des Vorstands des Ausschusses für Forschung, Innovation und Technologie des BDI.
Herr Dr. Achatz, die Bedeutung der Themen „Digitalisierung“ und „Industrie 4.0“ kann man für einen Industriekonzern wie Thyssenkrupp wahrscheinlich nicht hoch genug einschätzen. Wie weit ist Thyssenkrupp bei der digitalen Transformation? Achatz: Wir sind mittendrin, aber lassen Sie mich zunächst sagen: Niemand braucht die digitale Transformation, … …das überrascht mich jetzt … Achatz: …, solange sie keinen zusätzlichen Wert generiert. Dieser zweite Teil der Aussage ist mir sehr wichtig und zentral dafür, wie wir diese Themen bei Thyssenkrupp angehen. Als Ingenieur bin ich naturgemäß von einer Vielzahl von neuen Technologien begeistert; der Einstieg in die digitale Transformation sollte aber gerade nicht zuerst über Technologien erfolgen. Es geht vielmehr um neue Geschäftsmodelle, zusätzlichen Kundennutzen und effizientere Abläufe. Für uns sind es drei Elemente, die über den Erfolg der digitalen Transformation entscheiden: erstens das Internetgeschäft, zweitens Industrie 4.0 und drittens Big Data und Predictive Analytics.
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Das Internetgeschäft verbinden wahrscheinlich nur wenige Leser mit Thyssenkrupp. Was machen Sie dort genau? Achatz: In unserer Business Area Material Services ist es bereits seit einigen Jahren in den USA möglich, Material aus Metall und Kunststoff online zu bestellen und zu sich nach Hause liefern zu lassen. Seit diesem Jahr bieten wir diesen Service auch in Deutschland an. Der direkte Zugang zum Endkunden ist für uns von großer Bedeutung. Wir wollen
„Die Digitalisierung bringt einen dazu, die Welt zu sortieren.“ nicht, dass sich jemand zwischen uns und unseren Kunden schiebt, zum Beispiel mit einer Plattform, wie es in anderen Industrien bereits geschehen ist. Der Kunde ist es heute einfach gewohnt, rund um die Uhr bestellen zu können. Die Lieferung erfolgt je nach Größe und Menge über unsere etablierte Logistik oder über Logistikpartner. Die Digitalisierung bringt einen dazu, die Welt zu sortieren: Wer ist Wett-
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bewerber? Wer ist Partner? Wobei selbst Wettbewerber in bestimmten Bereichen Partner sein können. Führt die Preistransparenz, die durch den Online-Handel geschaffen wird, nicht zu niedrigeren Margen? Achatz: Schon davor gab es Preistransparenz. Es gibt eben nur vier bis fünf große Anbieter, und die konnte der Kunde auch vorher anrufen, um einen möglichst geringen Preis zu zahlen. Die Plattform generiert zudem zusätzlichen Umsatz und kannibalisiert nicht einfach nur das „klassische“ Geschäft. Das
Thyssenkrupp AG ist ein diversifizierter Industriekonzern mit traditionell hoher Werkstoffkompetenz und einem wachsenden Anteil an Industriegüter- und Dienstleistungsgeschäften. Über 155.000 Mitarbeiter erwirtschafteten in knapp 80 Ländern im Geschäftsjahr 2014/2015 einen Umsatz von rund 43 Milliarden Euro. Gemeinsam mit seinen Kunden entwickelt das Unternehmen in den Anwendungsfeldern Mechanik, Anlagenbau und Werkstoffe wettbewerbsfähige Lösungen für die Herausforderungen der Zukunft. Mit seiner Ingenieurkompetenz ermöglicht Thyssenkrupp seinen Kunden, innovative Produkte wirtschaftlich und ressourcenschonend herzustellen.
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Online-Geschäft hat heute noch keinen großen Anteil, aber langfristig wird sich die Plattform durchsetzen. Als Endto-End-Lösung bietet sie einfach zu viele Vorteile für den Kunden und für uns. Der Controller interessiert sich beispielsweise für die Chancen zur Optimierung der Logistikkette, die sich daraus ergeben. Wir sind zwar nicht die Einzigen, die solch eine Plattform etablieren wollen, aber wir sind überzeugt, den Kunden die beste Lösung anbieten zu können. Bei Industrie 4.0 denke ich zuerst an Effizienzsteigerungen durch die vollständige Vernetzung der Produktion. Gibt es denn ein aktuelles Beispiel bei Thyssenkrupp, von dem Sie berichten können? Achatz: Ein wirklich neues Thema ist die horizontale Integration mit unseren Lieferanten und Kunden. Nehmen Sie als Beispiel die Hoesch Hohenlimburg GmbH in Hagen, die Mittelband – warmgewalzten Bandstahl – produziert und zu unserer Business Area Steel Europe gehört. Der Kunde, zum Beispiel aus der Automobilindustrie, bestellt direkt im gemeinsamen System und gibt dort die gewünschten Spezifikationen ein. Aufgrund dieser Anforderungen werden die Brammen von unserem Lieferanten produziert, die wir zur Herstellung des Mittelbands benötigen. Wenn die Brammen das Hüttenwerk des Lieferanten verlassen, wissen wir genau, wo jede von ihnen auf dem Zug liegt und für welchen Kunden sie bestimmt ist. Dieser kann noch bis unmittelbar vor Produktionsbeginn bei uns die definierten Walzparameter verändern. Der Kunde hat vollständige Transparenz und Flexibilität. Durch die digitale Steuerung
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und Vernetzung sind wir in der Lage, seine Aufträge innerhalb von 48 Stunden abzuschließen. Wenn Sie sich vergegenwärtigen, dass es sich um Produkte handelt, die mehrere Tonnen wiegen, und nicht um übliche Paketsendungen, wird die logistische Herausforderung deutlich, die hier bewältigt wird.
sicherlich bei anderen Themen. Ich bin ja nicht nur für Technologie und Innovation verantwortlich, sondern auch für Nachhaltigkeit – übrigens ein wichtiger Bestandteil unserer Innovationsstrategie. Um hier angemessen steuern zu können, brauche ich natürlich Daten, beispielsweise über den
Bei dem dritten Element, das Sie genannt hatten, Big Data und Predictive Analytics, sollte man meiner Erfahrung nach nicht unterschätzen, wie viel Vorarbeit erforderlich ist, um die dafür notwendige Datenqualität zu erreichen. Teilen Sie diese Einschätzung? Achatz: Absolut. Die Reduktion der IT-Systeme und die Harmonisierung von Daten und Prozessen haben für uns eine hohe Priorität. In der Vergangenheit waren wir als Konzern sehr dezentral aufgestellt. Umso größer ist für uns nun die Herausforderung, zu einheitlichen Standards zu kommen. Aktuell gibt es bei uns zwei sehr große Initiativen: Mit „unITe“ streben wir an, nur noch fünf Clouds in fünf Regionen zu haben. Dagegen zielt „daproh“ auf die Harmonisierung unserer Daten und Prozesse.
„Es geht um neue Geschäftsmodelle, zusätzlichen Kundennutzen und effizientere Abläufe.“
Läuft man in einem ehemals so stark dezentral aufgestellten Konzern wie Thyssenkrupp mit seinen vielen unterschiedlichen Geschäftsfeldern bei so einer Standardisierungsinitiative nicht Gefahr, beim kleinsten gemeinsamen Nenner zu enden? Achatz: Die Standardisierung von Controlling- und Accounting-Daten ist vergleichsweise einfach. Schwieriger ist es
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Wasser- und Stromverbrauch, die konzernweit einheitlich vorliegen müssen. Umgekehrt gibt es Bereiche, wo unsere Business Areas spezifische Anforderungen haben. Letztlich geht es darum, nicht einfach etwas zu machen. Man muss das Richtige machen. Dies gilt genauso für die Verknüpfung interner mit externen Datenquellen. Und wenn die Daten in der erforderlichen Menge – weswegen man frühzeitig mit dem Sammeln anfangen sollte – und Qualität vorliegen, beginnt die Arbeit beim Thema Big Data und Predictive Analytics ja erst … …, um neue Erkenntnisse zu gewinnen. Achatz: Genau. In unserer Aufzugssparte kooperieren wir beispielsweise mit Microsoft bei der Datenanalyse, um die Effizienz bei Wartung und Service zu steigern. Hierzu haben wir die sogenannte „Blue Box“ entwickelt, die für jeden Aufzug alle Komponenten überwacht, relevante Parameter aufzeichnet
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Schwerpunkt | Im Dialog und in die Cloud sendet. Mittels Algorithmen, die aus der Internet-Welt stammen, werden die Daten analysiert. Damit ist es uns möglich, frühzeitig zu erkennen, wann ein Aufzug auszufallen droht. Wir können dann rechtzeitig einen Techniker schicken. Sie brauchen also demnächst keine Call Center mehr? Achatz: Zumindest deutlich weniger. Außerdem haben wir zufriedenere Kunden, wenn der Aufzug nicht ausfällt – typischerweise in einem ungünstigen Moment. Und nicht zuletzt können wir unsere Techniker effizienter einsetzen, wenn wir sie nicht erst losschicken, wenn der Aufzug schon ausgefallen ist und wir sofort reagieren müssen. Der nächste Schritt wäre daher, Verkehrsdaten zu integrieren und unsere Leute dann zum Kunden zu schicken, wenn auf den Straßen gerade wenig los ist und sie nicht im Stau steckenbleiben. Wie sieht es mit dem Thema Datensicherheit aus, insbesondere wenn Sie verstärkt mit Partnern zusammenarbeiten und Daten austauschen? Achatz: Datensicherheit ist von enormer Bedeutung und eine wesentliche Voraussetzung – ebenso wie Vertrauen. Nur so können solche Modelle der digitalen Vernetzung und Steuerung funktionieren, wie im Beispiel aus unserem Stahlbereich.
„Entscheidend ist die enge Kooperation zwischen dem Controlling und den Technikverantwortlichen.“ Weil ich fest davon überzeugt bin, dass hier ein großes Potenzial liegt, engagiere ich mich ja auch in der Initiative „Industrial Data Space“, welche von der Fraunhofer-Gesellschaft und der Bundesregierung initiiert wurde. Ziel der Initiative ist es, weltweit einheitliche Regeln und Standards zu etablieren, die einen Datenaustausch über Unternehmensgrenzen hinweg ermöglichen und befördern. Welche Rolle spielt denn das Controlling bei der digitalen Transformation von Thyssenkrupp? Achatz: Wie allgemein bekannt ist, bewegen wir uns seit einiger Zeit in einem schwierigen wirtschaftlichen Umfeld. Wir müssen uns daher die Frage stellen, was wir machen und was wir nicht machen. Hier ist das Controlling natürlich ein wichtiger Begleiter von Innovationen und digitaler Transfor-
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mation. Als solcher muss es unternehmerisch denken und agieren. Können Sie ein Beispiel nennen? Achatz: Bei elektrischen Lenksystemen haben wir mittlerweile sehr gut gefüllte Auftragsbücher. Dafür waren aber hohe Vorabinvestitionen notwendig. Wenn da das Controlling mit einer reinen Budgetsicht rangeht, macht man solche Investitionen nicht, die heute wehtun, aber den Erfolg in fünf Jahren sichern. Wie haben Sie die Felder identifiziert, in die Thyssenkrupp trotz der begrenzten Mittel verstärkt investiert? Achatz: Wir haben uns gefragt, wie die Welt nicht in fünf, sondern in 20 Jahren aussieht. Was sind die globalen Trends, und was bedeutet das für die Geschäftsfelder, in denen wir aktiv sind? Darauf aufbauend haben wir uns entschieden, ob wir investieren oder uns von Geschäften trennen wollen.
„Es ist wichtig zu verstehen, dass die digitale Revolution längst begonnen hat.“ In meiner früheren Tätigkeit bei Siemens haben wir das auch getan und waren nah dran mit unserer Vorhersage, was viele Entwicklungen angeht. Beispielsweise haben wir vor zehn Jahren die aktuellen Trends in der Automobilindustrie recht gut prognostiziert. Bei Thyssenkrupp haben wir bereits seit Längerem eine klare Strategie. Das sehen Sie auch daran, dass wir bei Vorträgen seit Jahren immer das gleiche Chart zu unserer Strategie zeigen. Diese Kontinuität ist wichtig, wenn man ein Unternehmen nachhaltig entwickeln und zukunftsfähig machen will. Entscheidend ist hier das Commitment unseres Vorstands und insbesondere unseres CEOs Dr. Heinrich Hiesinger, diese Zukunftsthemen anzugehen, auch in finanziell nicht einfachen Zeiten. Ich sage aber immer: „Eine Transformation ist keine Addition.“ Wenn wir etwas Neues machen, dann stellt sich eben umgekehrt die Frage, was wir an einer anderen Stelle nicht mehr tun. Wie funktionieren das Controlling von Innovationen und die Zusammenarbeit mit dem Controlling bei Thyssenkrupp? Achatz: Wir leben die Matrix. Ich habe bei mir im Bereich einen Controller sitzen, der an unseren Konzern-ControllingLeiter Philipp Conze berichtet, aber ebenfalls in einer so-
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Schwerpunkt | Im Dialog genannten „dotted line“ an mich. Der Controller ist zwar nicht bei jedem Meeting dabei – zum Beispiel wenn es um rein technische Fragen geht –, aber immer dann, wenn es um finanzielle Themen geht, sitzt der Controller mit am Tisch. Ich empfinde diese frühzeitige Einbindung des Controllings als wertvolle Unterstützung. Die Zusammenarbeit läuft wirklich gut. Das liegt aber ehrlicherweise nicht nur an der Organisation der Zusammenarbeit, sondern ist eben – wie in vielen anderen Bereichen auch – personenabhängig.
Was können Sie anderen Unternehmen mit auf den Weg geben, die bei der digitalen Transformation noch ganz am Anfang stehen? Achatz: Es ist wichtig zu verstehen, dass die digitale Revolution längst begonnen hat und alle Bereiche eines Unternehmens verändern wird. Ich kann daher nur empfehlen, einfach mal zu starten, auch wenn noch nicht alle Schritte im Voraus planbar sind. Hier gilt das amerikanische Motto „Learning by Doing“. Herr Dr. Achatz, ich bedanke mich sehr für das Gespräch.
Wo sehen Sie generell den Beitrag des Controllings bei der digitalen Transformation? Achatz: Entscheidend ist hier die enge Kooperation zwischen dem Controlling und den Technikverantwortlichen. Sie müssen einen Kompromiss finden. Dabei sollte die Diskussion über das angemessene Verhältnis von Kosten und Nutzen – vor allem für den Kunden – im Vordergrund stehen.
Das Gespräch führte Prof. Dr. Utz Schäffer, Direktor des Instituts für Management und Controlling (IMC) der WHU – Otto Beisheim School of Management in Vallendar und Mitherausgeber der Controlling & Management Review.
Internationaler Controller Verein
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