Berufspolitisches Forum Unfallchirurg 2010 · 113:504–512 DOI 10.1007/s00113-010-1793-9 Online publiziert: 30. Mai 2010 © Springer-Verlag 2010 Redaktion
H. Siebert, Berlin
T. Mittlmeier1 · F. Bonnaire2 · P.A. Grützner3 · H. Lill4 · G. Matthes5 · A. Prokop6 · J. Seifert7 · C. Voigt8 · F. Walcher9 · C. Wölfl 10 · H. Siebert11 1 Abt. für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, Chirurgische Klinik und Poliklinik der Universität Rostock 2 Klinik für Unfall-, Wiederherstellungs- und Handchirurgie, Städtisches Klinikum Dresden-Friedrichstadt 3 Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie, BG-Unfallklinik Ludwigshafen 4 Abteilung des BG-Unfallkrankenhauses Hamburg, Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, Diakoniekrankenhaus Friederikenstift Hannover gGmbH 5 Unfallkrankenhaus Berlin 6 Klinik für Unfallchirurgie, Klinikum Sindelfingen, Klinikverbund-Südwest 7 Unfallkrankenhaus Berlin 8 Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, Diakoniekrankenhaus Friederikenstift Hannover gGmbH 9 Klinik für Unfall,- Hand- und Wiederherstellungschirurgie, Zentrum der Chirurgie, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt/Main 10 Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie , BG-Unfallklinik Ludwigshafen 11 Generalsekretär, Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie e.V., Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie e.V., Berlin
Der Weg zum Unfallchirurgen Situationsanalyse und Konzepte zur Nachwuchsförderung in der Unfallchirurgie im Umfeld des neuen gemeinsamen Fachs Orthopädie/Unfallchirurgie – Teil I
In Deutschland entwickelt sich ein umfangreicher Mangel an Nachwuchs in der Medizin. Die Versechsfachung des Anzeigenteils im „Deutschen Ärzteblatt“ in den letzten 3 Jahren belegt, dass zurzeit mehr Stellen als ausgebildete Ärzte vorhanden sind. In einigen ostdeutschen Landstrichen werden Krankenhäuser schließen müssen, nicht aus Mangel an Patienten, sondern weil kein ausgebildetes Personal mehr zur Verfügung steht. Zwar zählen heute 36-h-Dienste und AIP-Gehalt glücklicherweise zur Vergangenheit, eine extreme Verdichtung der Arbeitsintensität mit gleichzeitiger notwendiger Umsetzung des Arbeitszeitgesetzes führt jedoch zu immer schwierigeren Bedingungen in Bezug auf die Weiterbil-
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dung der einzelnen Mitarbeiter. Eine hohe Dienstbelastung und kritische Arbeitskonditionen durch ökonomisch getriggerte Verknappung des ärztlichen Gesamtpersonals, immer noch erkennbare ausgeprägt hierarchische Strukturen in der Klinik, einer teils nach wie vor unbefriedigenden Einkommenssituation und die zunehmende Belastung der ärztlichen Mitarbeiter mit Dokumentations-, Qualitätssicherungs- und Verwaltungsaufgaben, führen zu immer unattraktiveren Rahmenbedingungen [2, 7]. Dies mag zu den Hauptgründen zählen, warum sich nur noch etwa 60% der Medizinstudienabgänger für eine klinische Weiterbildung in Deutschland entscheiden [14]. In den chirurgischen Disziplinen stellt sich die Lage eher noch
verschärfter dar [10, 14], wobei das Fach Orthopädie und Unfallchirurgie unter den chirurgischen Fächern noch mit am attraktivsten beurteilt wird [2, 11]. Die Frage nach der heutigen Lebensqualität der Chirurginnen und Chirurgen in Deutschland und deren beruflichen, motivationalen, familiären und weiteren Einflussgrößen wird in Kürze eine Antwort erfahren [3]. Eine Bestandsaufnahme aus der Sicht des Nichtständigen Beirats (NSB), des Jungen Forums, des Grundsatz- und Bildungsausschusses der DGU, der AG Lehre der DGOU und des Generalsekretärs im Wesentlichen als ein Resultat der Klausurtagung Reisensburg II vom 02.–04.09.2009 (Sprecher T. Mittlmeier der dortigen AG Nachwuchsförderung, die übrigen Autoren in alphabetischer Reihenfolge).
Zusammenfassung · Abstract Unfallchirurg 2010 · 113:504–512 DOI 10.1007/s00113-010-1793-9 © Springer-Verlag 2010 T. Mittlmeier · F. Bonnaire · P.A. Grützner · H. Lill · G. Matthes · A. Prokop · J. Seifert · C. Voigt · F. Walcher · C. Wölfl · H. Siebert
Der Weg zum Unfallchirurgen. Situationsanalyse und Konzepte zur Nachwuchsförderung in der Unfallchirurgie im Umfeld des neuen gemeinsamen Fachs Orthopädie/Unfallchirurgie – Teil I Zusammenfassung Der Nachwuchsmangel in der Medizin, insbesondere in den operativen Fachgebieten, u. a. der Orthopädie und Unfallchirurgie, ist ein allgegenwärtiges und aktuelles Diskussionsthema geworden. Neben gesellschafts- und gesundheitspolitischen Ursachen wird den großen operativen Disziplinen ein Attraktivitätsproblem bescheinigt, das zum einen in der starken Arbeitsbelastung sowie ungünstigen Dienstzeiten – insbesondere in Fächern mit hohem Notfallaufkommen wie in der Unfallchirurgie – zum anderen in der mangelnden Strukturierung und Kalkulierbarkeit der Weiterbildung begründet ist. Zur Abwendung eines Versorgungsengpasses durch den drohenden Nachwuchsmangel muss eine Reihe struktureller und inhaltlicher Maßnahmen zur Optimierung der Lehre, Ausund Weiterbildung erfolgen. Im vorliegenden Artikel werden aufgrund der zahlreichen Facetten der Thematik die Analyse und Empfehlungen zum Vorgehen zeitlich orientiert zu-
nächst im ersten Teil auf die Periode bis zur Wahl des speziellen Weiterbildungsfachs beschränkt. Für ein fundamentales Verständnis und das Interesse für das Gebiet der Orthopädie und Unfallchirurgie mit dem Tätigkeitsschwerpunkt Unfallchirurgie kann der Grundstein bereits in der Phase vor dem Studium gelegt werden. Im Studium gilt es, die traditionellen Strukturen im Rahmen der aktuell gültigen Approbationsordnung kreativ umzugestalten und den besonderen Reiz des Zusammenspiels praktischer Fähigkeiten und theoretischem Wissen für die verbesserte Wahrnehmung unseres Fachs herauszuarbeiten. Dies betrifft gleichermaßen Veranstaltungen in der Vorklinik (Klinikerseminare) als auch curriculare Praktika des klinischen Studienabschnitts (Querschnittsbereich Notfallmedizin, Blockpraktikum Chirurgie) mit praxisorientierten Kursen (Nahtkurs, TEAMTraining) in sog. SkillsLabs. Darüber hinaus
gehende extracurriculare Wahlangebote (AO-Kurs, Doktorandenseminare), ggf. unter Generierung eines Mentorenkonzepts, können das Fach entsprechend darstellen. Eine gleichermaßen inhaltliche wie strukturelle Qualitätsverbesserung des Praktischen Jahres erscheint unabdingbar für eine Stimmungsumkehr der Studierenden. Gemeinsam mit den aktuellen Angeboten der Fachgesellschaft für Studierende, wie der strukturierten Begleitung auf dem Jahreskongress, Stipendien und der inaugurierten „summer school“, können diese Optionen den Rahmen für eine umfassende Information des Studierenden und Anreiz für einen Übergang in die Weiterbildungsphase unseres Fachs bieten. Schlüsselwörter Nachwuchsmangel · Orthopädie und Unfallchirurgie · Schule und Studium · Strukturmaßnahmen
How to become a trauma surgeon. Analysis of the current situation and concepts for career development in the new common field of orthopaedics and trauma surgery – part I Abstract The lack of clinical residents especially in the surgical domains, including orthopaedics and trauma surgery, is not only omnipresent but also a topic of lively discussions. This lack originates from sociopolitical and healthcare policy issues as well as from a loss of attractiveness of all surgical disciplines. The loss is caused by the high workload and disadvantageous working hours especially in those disciplines with a high rate of emergencies, e.g. trauma surgery. Moreover, it is caused by the poorly structured and unpredictable period of residency. In order to anticipate the bottleneck in supply due to the lack of trainees, a number of structural and contextual measures have to be taken to improve both undergraduate und postgraduate surgical
training. Due to the numerous facets of the topic the first part of this analysis refers to the period until the trainee decides on the field of training. A basic insight into the field of orthopaedics and trauma surgery can already be offered far before the period of medical studies itself. During undergraduate medical education the existing structures should be modified, the characteristics of the discipline should be emphasized and the charm of combining theory and practical skills should be highlighted in order to enhance student’s perception of the discipline. This might begin during preclinical training and should be continued throughout clinical training and elective courses (basic wound care, TEAM ap-
proach, AO course for students and seminars for M.D. candidates). Contextual and structural improvements of the practical year are indispensable to arouse students’ interest in our discipline. These options conjoined with the actual offers for students provided by our scientific society, such as guided tours during the annual congress, travelling grants and the recently inaugurated summer school, might provide the basis for clearly structured information and offer a distinct stimulus to apply for residency in our field. Keywords Career development · Orthopaedics and traumatology · High school and university phases · Structure measures
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Berufspolitisches Forum In den kommenden 10 Jahren gehen 50% der niedergelassenen Chirurgen und ca. 1/3 aller Krankenhauschirurgen in den Ruhestand [1]. Bedarfsberechnungen zeigen, dass deutschlandweit durch Abgänge und Berentungen im stationären und ambulanten Sektor ein jährlicher Bedarf von etwa 1000 Chirurgen besteht [1]. Das heißt, dass ca. 1000 Studienabsolventen sich jedes Jahr für das Gebiet Chirurgie entscheiden müssten. Aktuell allerdings interessieren sich nur 5–12% eines Jahrgangs für das Gebiet Chirurgie [2, 10, 13, 15]. Daraus ergibt sich ein erhebliches und unter dem Aspekt der manifesten Arbeitszeitverkürzung und des mit der gewünschten und erforderlichen Feminisierung der chirurgischen Profession steigenden Bedarfs an Teilzeitstellen jährlich steigendes Defizit [2, 14]. Krüger [10] bescheinigt der Chirurgie weder ein Zugangs- und/oder Absolventen-, sondern ein scheinbares Attraktivitätsproblem. Einer der Kernkritikpunkte des Nachwuchses sind die fehlende Planbarkeit und Strukturiertheit der chirurgischen Weiterbildung: 2007 gaben 95% der befragten chirurgischen Assistenten an, dass sie über keinen Weiterbildungsplan verfügten, 77% – 21% mehr als 2004 – berichteten, dass in ihrem Hause keine strukturierte Weiterbildung existierte [10]. Immerhin beinahe 40% unfallchirurgische Häuser in Deutschland hatten laut Befragung von 396 Kliniken vakante Stellen im Jahr 2008 [4]. > Die deutsche Unfallchirurgie
hat bislang einen international anerkannten hohen Standard
Eine BDC-Umfrage aus dem Jahre 2008 unter chirurgischen Assistenzärztinnen und -ärzten hatte ergeben, dass etwa 18% ihre Entscheidung zur Wahl des Fachs Chirurgie bereits in der Schule, 50% während des Studiums und 32% nach dem Studium getroffen hatten. Da 20% der Entscheidungen zufällig getroffen und 25% durch Vorbildwirkung beeinflusst wurden, erscheint die Möglichkeit der Einflussnahme auf die Entscheidung durch einerseits Ordinarien, Chef- und Oberärztinnen und -ärzte andererseits durch Krankenhausträger groß. Die deutsche Unfallchirurgie hat bislang einen international anerkannten
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hohen Standard, nicht zuletzt begründet durch die ganzheitliche Sichtweise des Unfallverletzten durch das bei der Behandlung interdisziplinär arbeitende Team, einer in Weiterbildung vermittelten und gelebten „Begleitung des Unfallverletzten vom Unfallort bis zur Wiedereingliederung des Verletzten in sein berufliches und privates Umfeld“. Verbunden war dies traditionell mit einer langwierigen, aber auch fundierten und in der Basis maßgeblich durch allgemeine chirurgische Aspekte geprägten Weiterbildung. Im Jahr 2007 waren je 3 Mio. von über 8 Mio. chirurgischer Operationen an vollstationären Patienten in deutschen Krankenhäusern dem Fachbereich Allgemeinund Viszeralchirurgie sowie der Orthopädie und Unfallchirurgie zuzuordnen [2]. Allerdings stellt die Unfallchirurgie mit oftmals schwer voraussagbarem Tagesprogramm und einer 24-stündigen Verfügbarkeit an 365 Tagen im Jahr sehr hohe Anforderungen an die Ärzte, die sich für diese Fachrichtung entscheiden. Eine neue Weiterbildungsordnung, zudem eine die zunächst nicht mit einer wahrnehmbaren Anhebung der Weiterbildungsqualität verknüpft war, aber auch die skizzierten veränderten medizinökonomischen Rahmenbedingungen, haben das Berufsbild der im Krankenhaus tätigen Ärzte in geradezu dramatischer Weise beeinflusst [11, 12]. Gleichermaßen erscheinen die Karriereperspektiven für spezielle Unfallchirurgen zunehmend zweifelhaft und suggerieren ein leichteres Erreichen der beruflichen Ziele durch eine frühzeitige Spezialisierung oder Subspezialisierung. Umso schwieriger könnte es werden, geeignete junge Ärzte für diesen Beruf zu begeistern. Wenig tröstlich erscheint in diesem Zusammenhang, dass in Nachbarländern und auch den USA über ähnliche Probleme berichtet wird [8, 9]. Um auch in Zukunft eine ausreichende Zahl an Ärzten im gemeinsamen Fach Orthopädie/Unfallchirurgie mit der Schwerpunkttätigkeit in der Unfallchirurgie ausbilden und so auch den Versorgungsbedarf der Bevölkerung abdecken zu können, müssen Initiativen entwickelt werden, bereits sehr früh, quasi von den Kindesbeinen an bis zur Facharztausbildung, für den Beruf zu werben, ohne Abstriche an den bisherigen Ansprüchen für die
Kernaufgaben unserer Tätigkeit zu akzeptieren [15]. Der Nichtständige Beirat im Präsidium der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie, unterstützt von Mitgliedern des Grundsatz- und Bildungsausschusses, des Jungen Forums und der AG Lehre der DGOU, hat sich daher die Aufgabe gesetzt, den offensichtlichen Attraktivitätsverlust der Unfallchirurgie im gemeinsamen Facharzt Orthopädie und Unfallchirurgie zu analysieren und Vorschläge zur Verbesserung der Karriereperspektiven und somit zur Attraktivität des Fachs anzubringen. Ohne einen Richtungswechsel bei den Arbeitgebern, den Weiterbildern, den medizinischen Fachgesellschaften, aber auch den politischen Gremien und Kostenträgern, wird sich der in Deutschland sehr hohe Standard der unfallchirurgischen Versorgung in den jetzt bestehenden Strukturen nicht aufrecht erhalten lassen. Es stellt sich weiterhin auch die Frage, welchen Beitrag der einzelne heute in Klinik und Praxis tätige Unfallchirurg hierzu leisten kann. Rein an der Zeitachse orientiert soll sich die Analyse und die Konzeption der Nachwuchsförderung auf folgende 3 Bereiche erstrecken, wobei der Übersicht halber der Beitrag zweigeteilt wird: F den Zeitraum vor dem eigentlichen Studium und das Studium selbst bis zur Entscheidung über das Weiterbildungsfach (Teil I) sowie F die eigentliche Weiterbildungsphase (Teil II).
Phase vor dem Studium Jede Aktivität bedeutet zusätzliches zeitliches Engagement, das sich aber kurz-, mittel- und auch langfristig bezahlt macht, denn die Kinder von heute sind die Kollegen von übermorgen. Daher sollte das erste Engagement bereits hier ansetzen. Regelhafte erste Kontakte zum Fachgebiet, spielerisch unterlegt, können bereits im vorschulischen Abschnitt gelegt werden. Im Krankenhaus Sindelfingen werden beispielsweise regelmäßig Führungen mit allen Kindergartenkindern des Umkreises durchgeführt. Eine Ambulanzärztin, die selbst Mutter von 2 Kindern ist und halbtags arbeitet, demonstriert den Kindern die Ambulanz inklusive
Berufspolitisches Forum Notarztwagen (mit und ohne Blaulicht), zeigt die Behandlungsräume und das Wartezimmer und legt zum Abschluss den Kindern noch kleine Gipsverbände an Fingern und Händen an. Das Interesse ist groß und die Kinder verlieren gleichzeitig die Angst vor dem Krankenhaus. Der emotional bedeutsame und nachhaltig wirksame Positivfaktor für das Krankenhaus durch das Weitererzählen in der Familie ist enorm. Entsprechend gute Erfahrungen können von Notfallambulanzführungen mit praktischen Gipsraumübungen aus dem Uniklinikum Rostock berichtet werden. Für die 6- bis 12-jährigen Kinder finden in den Sommerferien an derzeit 45 aktiven Hochschulstandorten ausgerichtete Kinderuniversitäten statt (http://www.diekinder-uni.de). In kleinen kindgerecht servierten Themen werden verschiedenste Fachthemen besprochen. Abends können die Kinder Gelerntes im Internet anhand eines Fragebogens überprüfen und erhalten am Ende ein Zertifikat. Hier lassen sich die Kinder für den späteren Beruf begeistern. Zu jeder Zeit der schulischen Laufbahn bieten sich unterschiedliche Konzepte an. Zur Beantwortung der Frage „Wie sehen Schüler das Krankenhaus?“ wurde im Krankenhaus Sindelfingen mit einer Kunstlehrerin ein Projekt gestartet. Alle Schüler malten ein Bild zum Thema. Die Bilder wurden dann in der Ambulanz aufgehängt und bei Saft und Brezeln eine offizielle Ausstellungseröffnung und Vernissage durchgeführt. Der Besucherzustrom war groß, die Bilder zierten die kahlen Ambulanzwände und wurden ins Internet eingestellt (http://www. klinikverbund-suedwest.de). Von den 30 teilnehmenden Schülern wollten 28 Ärzte werden. Kooperationen mit weiterführenden Schulen erlauben es, z. B. im Rahmen spezifischer Aktionen (Hochschulinfotage für angehende Absolventen) und Projekte (etwa im Biologieunterricht) oder der berufsorientierenden Seminare und Praktika zu Beginn der Oberstufe, mit den zahlreichen Facetten des Fachgebiets in praktischen Kontakt zu treten und Wege dorthin aufzuzeigen. In der Oberstufe einer Schule im Südwesten findet jedes Jahr ein Berufsorientierungsseminar statt (http://www.mpg-
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boeblingen.de). Hier werden verschiedene Berufsbilder vorgestellt. Mit am besten besucht sind die Veranstaltungen der Ärzte („Chirurg – aber ich kann doch kein Blut sehen?!“). Alle den Beruf betreffenden Fragen werden diskutiert. Häufig gestellte Fragen, ob und wie man auch ohne einen Abiturdurchschnitt von 1,0 Medizin studieren kann, oder ob man Familie und Beruf unter einen Hut bringen kann, lassen sich beantworten. Die Klinik bietet den Schülern, die ihre Eindrücke vertiefen wollen, regelmäßig Plätze zum berufs- und studienorientierenden Praktikum für Gymnasien (BOGY) an. Die Schüler begleiten einen Kollegen über eine Woche und werden neben dem Ambulanz- und Stationsbetrieb auch mit in den OP genommen. Die Erfahrungsberichte der Schüler sind im Internet abrufbar (http://www.klinikverbund-suedwest.de). Der Grundsatzausschuss der DGU hat 2008 eine Umfrage zum Thema „Berufswahl: Unfallchirurg und Orthopäde“ an 2 Berliner Schulen durchgeführt [15]. Unter den insgesamt 140 befragten Oberstufenschülern im Alter von 16–20 Jahren (mittleres Alter 17±1 Jahre) waren 87 weibliche und 53 männliche Teilnehmer. Sämtliche Teilnehmer waren Schüler der 12. Klasse. Konkrete Angaben zum Berufswunsch machten 102 Schüler. Neunzehn Schüler hatten sich eindeutig für das Fach Medizin entschieden (19%, 95%-Konfidenzintervall [KI] 12– 28%). Die geschlechtsdifferenzierte Analyse dieses Ergebnisses zeigte keine statistisch signifikanten Unterschiede. Interessant erscheint, dass, obwohl dem Berufsbild des Arztes viele positive Eigenschaften zugeordnet werden, der überwiegende Teil der Befragten sich eher nicht vorstellen kann, Orthopäde und Unfallchirurg zu werden: F weibliche Teilnehmer 2,42 (Skalierung 0–5, 95%-KI 1,78–3,07), F männliche Teilnehmer 1,66 (Skalierung 0–5, 95%-KI 0,82–2,49). Die Diskrepanz, einerseits mehr über den Beruf wissen zu wollen und sich aber gleichzeitig nicht vorstellen zu können, das Fach Orthopädie/Unfallchirurgie zu ergreifen, muss weiter analysiert und die Ursachen erforscht werden.
Im Studium Im Studium erscheinen die chirurgischen Fächer dem Studierenden zunächst wenig attraktiv; im klinischen Bereich dominiert der Eindruck einer rüden und steilen Hierarchie mit hektischem Arbeitsrhythmus. Diesen Vorurteilen gilt es frühzeitig mit „Gegenbeweisen“ entgegenzutreten. Eine entsprechende Abstimmung der Lernziele der Vorklinik mit der jeweiligen Fakultät und eine systematische Vernetzung der Unfallchirurgie mit den vorklinischen Fächern (z. B. Anatomie, Physiologie und physiologische Chemie), z. B. im Rahmen der Klinikerseminare, erlauben dem Studierenden etwa über die Demonstration der klinisch relevanten Anatomie oder über die Vermittlung der Bedeutung der Physiologie der Wundund Knochenbruchheilung für entsprechende Krankheitsbilder (quasi als „Appetithappen“) eine Kontaktaufnahme zum klinischen Fachgebiet. Regelmäßig sollte es den vorklinischen Studenten frühzeitig ermöglicht werden, mit dem Fachgebiet Orthopädie/Unfallchirurgie in Kontakt zu treten. Gerade in der z. T. trockenen Lernatmosphäre der vorklinischen Fächer fällt die Möglichkeit des Kontakts zur Klinik auf besonders fruchtbaren Boden. Im gemeinsamen Lernzielkatalog [16] findet sich eine große Anzahl an Lernzielen, die auf eine interdisziplinäre Vernetzung nicht nur hinweist, sondern diese aufgrund der Inhalte quasi einfordert. > Im klinischen Studienabschnitt
sollte es möglich sein, den Studenten am Versorgungskonzept teilhaben zu lassen
Im klinischen Studienabschnitt sollte es möglich sein, den Anspruch der unfallchirurgischen Versorgung vom Unfallort bis zur Rehabilitation und Reintegration des Verletzten in zahlreiche Querschnittsbereiche im Sinn eines Spannungsbogens einzuflechten und den Studenten am Versorgungskonzept teilhaben zu lassen. Die Lernenden könnten an der positiven Motivation eines rekonstruktiven Konzepts im Rahmen der Versorgung eines Schwerverletzten beteiligt werden – das was unseren Beruf eben so spannend und positiv gestaltet, wie es naturgemäß tatsäch-
lich ist. Dies kann den Studierenden empathisch wie auch fachlich exemplarisch in Praktika, Vorlesungen oder auch im Rahmen des „bedside teaching“ praxisnah vermittelt werden. Darüber hinaus kann extracurricular der Studierende in den klinischen Alltag etwa im Bereitschaftsdienst (nachts, am Wochenende) einbezogen werden, was zudem eine realistische Veranschaulichung des klinischen Alltags und dessen Problematiken, aber auch dessen immanente positive Spannung bietet. Da die Studierenden stets über eine Theorielastigkeit des gesamten Studiums klagen, bietet die Unfallchirurgie wie kaum ein weiteres klinisches Fach praktische Betätigung und diverse Optionen für die Vermittlung praktischer Fertigkeiten an (Notfallpraktikum, „skills lab“, Naht- und Knotenkurse, Zugangswegekurse, AO-Kurse und ATLS für Studenten, strukturierte Demo von Lehroperationen etwa im Rahmen des Blockpraktikums). Hieraus resultiert auch ein früher natürlicher Kontakt mit potenziellen Doktoranden, studentischen Hilfskräften mit vertieftem Interesse für die Unfallchirurgie und potenziellen zukünftigen Mitarbeitern, da die Weichenstellung für eine berufliche Entscheidung des Studierenden teils deutlich vor der PJ-Phase erfolgt. Der Aufbau einer entsprechenden Struktur wie eines Mentorensystems, zumindest eines verlässlichen Ansprechpartners oder von Fördergruppen bzw. Doktorandenseminaren ist Voraussetzung. Der Grundsatzausschuss der DGU hat hier wegweisende Aktivitäten ähnlich wie die DGCh [6] im Jahr 2009 entwickelt und zur praktischen Umsetzung der Vorschläge wesentlich beigetragen [15]. Die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) hat deshalb ein „Patenschaftsprogramm Orthopädie und Unfallchirurgie“ zwischen Studierenden und ihren örtlichen Hochschullehrern eingerichtet, vernetzt mit einer 2-tägigen in kleinen Gruppen organisierten „summer school“ Orthopädie und Unfallchirurgie [6, 15]. Ein weiterer Baustein des längerfristig angelegten Programms der DGOU zur Gewinnung unseres Nachwuchses ist der vom Grundsatzausschuss nach einer ersten Erfahrung im Jahre 2003 weiterentwickelte „Studie-
rendentag beim DKOU“ in Berlin. Hierzu wurde von der DGOU ein Stipendium für 100 Studierende über Internet ausgelobt, den Jahreskongress in Begleitung erfahrener Kollegen („Bärenführer“) zu erleben. So waren Einblicke in Wissenschaft und Forschung, Praxis, Alltag und Berufspolitik möglich. Jeder Studierende erhielt 2009 Reisekostenzuschüsse bis zu einer Höhe von 300 EUR. Die Kampagne soll zukünftig integraler Bestandteil des gemeinsamen Kongresses der DGOU werden. Die Kampagne „Stipendium für Studierende“ wurde bisher mit großem Interesse von den Studierenden aufgenommen. Insgesamt gingen 486 Bewerbungen ein. Ob das „Patenschaftprogramm O und U“ die erhofften Begegnungen mit Studierenden und Förderung für unser Fach bringt, hängt im Wesentlichen von dem zusätzlichen Einsatz der Hochschullehrer vor Ort und der Attraktivität der Gestaltung der „Patenschaft O und U“ ab. > Eine Schlüsselaufgabe ist
die Optimierung des PJ
Die Einbindung der Studierenden in vorhandene nationale und internationale Vernetzungen (z. B. spezifische themenorientierte studentische Austauschprogramme mit Partneruniversitäten) sind weitere Optionen zur systematisierten Kontaktaufnahme. Die „Nur Mut!“Kampagne des BDC zeigt exemplarisch auf, dass der Interessentenkreis für die 8 Säulen der Chirurgie prinzipiell groß ist und die Angebote von der Infoveranstaltung im Hörsaal bis zum Workshop von zahlreichen Studierenden gerne aufgegriffen werden [1]. Die Lehre im Fachgebiet sollte in jedem Fall für den Studierenden im ursprünglichen Sinne des Wortes „merkwürdig“ erscheinen. Eine weitere Schlüsselaufgabe kommt der Optimierung des PJ, das gerade in der Chirurgie zunehmend im Ausland (30–40%) abgeleistet wird und in dem ein 60%iger Interessenschwund für das Fach Chirurgie zu verzeichnen ist [10], zu. Transparenz der zu vermittelnden Kenntnisse und Fertigkeiten im Rahmen eines PJ-Logbuchs („Lockbuch“), der Anreiz zu vertiefter praktischer Betätigung, eine interprofessionelle Vernetzung der Ausbildung unter Einbildung der medizinischen
Assistenzberufe, das Angebot strukturierter Repetitorien für das M2-Examen und ein Bewerbungstraining sind hier stellvertretend zu nennen. Die bereits genannte Studie des BDC belegt sehr eindringlich, dass Studierende, die sich bereits für eines der chirurgischen Fächer als Berufsziel entschieden haben, durch den „ruppigen und rüden Ton, die allzu hierarchische Struktur der Abteilungsführung und die alleinige Verwendung als Hakenhalter“ sich entsetzt für ein anderes Fach entschieden haben [10]. Das zeigt, dass auch für diesen Bereich der Nachwuchsgewinnung und -Förderung „human skills“ und Vorbild der Leitung und älteren Kolleginnen und Kollegen von großer Bedeutung sind. Dies ist ohne Aufwand umsetzbar! Der neu gegründeten Arbeitsgemeinschaft Lehre der DGOU kommt eine Schlüsselrolle zu. Diese wird mit 4 Arbeitskreisen zentrale Aufgaben wahrnehmen, um die Interessen des Fachs Orthopädie/Unfallchirurgie im Studium zu vertreten. Mit der Erstellung eines Lernzielkatalogs [16] ist die Grundlage geschaffen worden, die Curriculumsentwicklung des Fachs an den einzelnen Fakultäten voranzutreiben und als Kristallisationspunkt zum Aufbau einer interdisziplinären Vernetzung zu fungieren. Um den Klinikern an den Universitätsund Lehrkrankenhäusern die praxisorientierte Lehre nicht als unattraktive zusätzliche Last erscheinen zu lassen, muss sich die Stellung der Lehre grundsätzlich neu positionieren. Bislang wird die Durchführung der Lehre häufig als lästige Dienstaufgabe gesehen, die es in der Routine irgendwie unterzubringen gilt. Es sollte jedoch das Bewusstsein entwickelt werden, dass die Lehre einen integralen Bestandteil der täglichen Arbeit darstellt und den gleichen Stellenwert wie der OP, die Ambulanz, die Rettungsstelle oder eines der arztbesetzten Rettungsmittel einnimmt. Die Zeit ist reif, dass die Lehre nicht mehr ein „Anhängsel der Klinik“ und lästiges Übel der universitären Tätigkeit darstellt, sondern die gleiche Wertigkeit erhält wie eine klinische Studientätigkeit oder die Grundlagenforschung im Labor. Neben ideellen müssen hier auch wirtschaftliche Anreize gesetzt werden. Für die Kliniken an Universitäts- und Lehrkrankenhäusern ergibt sich darDer Unfallchirurg 6 · 2010
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Berufspolitisches Forum aus zwangsläufig die Notwendigkeit einer Änderung der Organisationsstrukturen. Für die Absolvierung guter Lehrveranstaltungen bedarf es der Rekrutierung erfahrener Kliniker mit ausreichend Zeit für die Vorbereitung. Wohl wissend, dass nicht jeder Mitarbeiter auch naturgemäß ein guter Lehrender ist, bedarf es der strukturierten Weiterbildung jedes Einzelnen auf dem Gebiet der Didaktik („train the trainers“ oder „teaching the teachers“, Verbreitung von Zusatzqualifikationen wie dem „Master of Medical Education“ [MME]), Unterrichtsvorbereitung, Prüfungen und vieles mehr. Für diese Form der Weiterbildung, auch „faculty development“ genannt, müssen zeitliche und finanzielle Ressourcen bereitgestellt werden, auch wenn die intrinsische Motivation der Habilitationsanwärter traditionsgemäß ausreichen würde, dies nach Feierabend zu absolvieren. Doch genau dieser alte Pfad der Tugend ist allzu sehr ausgetreten und reicht nur unmittelbar bis zur Erteilung der Venia legendi, um dann schlagartig wieder zu enden. Die Lehre im klinischen Alltag wird aber nicht nur von den sich habilitierenden Oberärztinnen und Oberärzten durchgeführt, sondern auf der Station auch von den frisch approbierten Ärzten, die wenige Monate zuvor noch im Status des PJ-Studenten waren und noch selbst in der täglichen Routine auf Unterstützung angewiesen sind. Auch diese jungen Kollegen sollten bereits frühzeitig in der Lehre ausgebildet werden, da eine unprofessionelle oder improvisierte Lehrveranstaltung im Kleingruppenformat negativ richtungsweisend und demotivierend für beide Seiten ist. Die sog. LOM (Leistungsorientierte Mittelvergabe) scheint sich in vielen Fakultäten als ein Zauberwort für die Optimierung der Lehraktivitäten entwickelt zu haben. Durch die Evaluation haben die Studierenden ein Instrument erhalten, den Status quo einer Veranstaltung zeitnah reflektieren und gute Lehre einfordern zu können. In manchen Kliniken entwickelt sich damit neben einer bewussten Wahrnehmung der Ist-Situation sowie des Vergleichs mit Anderen das Bewusstsein, dass mit der LOM gute Lehre zu einem gewissen Prozentsatz refinanziert werden kann. Wenn sich daraufhin noch ein Bonussystem entwickeln würde, dass
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der einzelne Lehrende auch noch von seiner guten Arbeit profitieren könnte, wäre der Kreis wieder geschlossen und jeder der Beteiligten hätte einen Nutzen davon getragen. Schließlich würde die Lehre erheblich profitieren, wenn sich die Lehrforschung, die in Deutschland tatsächlich in den Kinderschuhen steckt, nicht nur belächelt, sondern einen gleichberechtigten Stellenwert neben der Grundlagenforschung einnehmen und sich auch Karriere fördernd für den Einzelnen auswirken würde. Die Entwicklung von evidenzbasierter Lehre wäre ein Fundament für eine echte Professionalisierung des akademischen Unterrichts.
Nach dem Studium (Wahl des Weiterbildungsfachs) Warum soll ich das Fach Orthopädie/Unfallchirurgie und die spezielle Unfallchirurgie wählen? F Versorgung akut Unfallverletzter vom Unfallort bis zur Rehabilitation und Wiedereingliederung ins Berufsleben, F von der Frakturversorgung über die Sporttraumatologie bis hin zur navigierten Endoprothetik und F den vielfältigen Methoden konservativer funktioneller Behandlungsmaßnahmen, bei Kindern oder den an Krankheiten des rheumatischen Formenkreises Leidenden. Nur wenige medizinische Fachrichtungen bieten dem medizinischen Nachwuchs eine solch große Fülle an interessanten Subgebieten. Allein die Entscheidung, ein solches zum einen Akutmedizinfach mit all seinen Facetten, zum anderen auch ein elektives Fach mit anspruchsvollen rekonstruktiven Eingriffen, zu wählen, fällt vielen schwer. Warum also soll eine junge Ärztin, ein junger Arzt dieses Fach wählen (vgl. [5])? Viele Gedanken spielen in diese Entscheidung hinein: F Kann ich das körperlich leisten? F Wie ist die Belastung in der Klinik? F „Work-live balance“ – verträgt es sich mit einer Familie? F Kann ich forschen?“ Die Antwort ist JA!
Das Fach unterliegt einem Wandel. Aber auch der Nachwuchs unterliegt diesem. Eine Orthopädie/Unfallchirurgie ohne Frauen ist heute überhaupt nicht mehr denkbar. Die Strukturen in den Kliniken werden angepasst, Teilzeitregelungen sind zunehmende Realität ebenso wie Kinderbetreuungsstätten an Kliniken und Krankenhäusern! Das Fach kann man mit einem großen Buffet vergleichen. Ob man nach seiner Weiterbildung in einer Akutklinik als „Generalist“ oder „Spezialist“ Verletzte und Schwerverletzte betreut, in einer Fachklinik mit speziellen Schwerpunkten in der Gelenktumorchirurgie oder Kinder und Rheumachirurgie, in einer mehr konservativ ausgerichteten Klinik der Akutrehabilitation arbeitet oder sich in einer Gemeinschaftspraxis auf spezielle Tätigkeiten spezialisiert hat, die Optionen sind vielfältig. Ursprünglich war Orthopädie die „Betreuung von Krüppeln“, Unfallchirurgie wurde als Unfallheilkunde bezeichnet. Beide Bereiche haben in den letzten 30 Jahren überwiegend konservativer Vorgehensweisen einen großen Schritt in Richtung Chirurgie in Form komplexer Spezialoperationen mit modernsten Implantaten, endoskopischen Verfahren und computerassistierter Chirurgie gemacht. Begeisternde Forschungsgebiete, wie z. B. die Biomechanik der Gelenke oder der Knochenstoffwechsel im Rahmen der verschiedenen Frakturheilungsphasen, machen das Fach auch für den wissenschaftlichen Nachwuchs sehr interessant. Mussten Patienten früher noch lange im Krankenbett liegen, stehen uns heute viele Implantate zur Verfügung, die Übungsstabilität und oft sogar Belastungsstabilität ermöglichen. Dies erlaubt gerade in der Alterstraumatologie phantastische Ergebnisse, die es den oft alleinstehenden Patienten ermöglichen, wieder schnell selbständig zu werden. Unfälle, oft nur wenig dramatische Stürze Älterer, bedürfen eines Umdenkens in den Therapieansätzen: neben den modernen Implantaten zur Frakturstabilisierung steht die umfassende und interdisziplinäre Betreuung auch der Grundleiden (Osteoporose, arterielle Hypertonie und Rhythmusstörungen, neurologische Krankheitsbilder) in darauf eingerichteten Zentren im Vorder-
grund. Hier müssen wir im Team – inter diziplinär und interprofessionell – diesen Patienten ein würdiges Genesen ermöglichen.
Unfallchirurgie als Generationenvertrag Die moderne präklinische sowie klinische Notfallmedizin ist ein weiterer Schwerpunkt unseres Fachs. Gerade der „kritische“ Traumapatient braucht einen erfahrenen und umfassend ausgebildeten Arzt/Ärztin. Dies gilt im Notarztwagen oder Rettungshubschrauber ebenso wie im Schockraum, im OP und auf der Intensivstation. Am „Puls des Lebens“ müssen hier in kürzester Zeit wichtige Entscheidungen getroffen werden – eine viel Empathie fordernde, aber häufig belohnende Aufgabe gerade auch für den jungen Arzt/Ärztin! In einer Umfrage unter Assistenten in Weiterbildung wurde gerade dieser Aspekt besonders positiv bewertet [11]. > Die moderne präklinische
sowie klinische Notfallmedizin ist ein weiterer Schwerpunkt der Unfallchirurgie
Unsere Fachgesellschaft mit ihren vielen Arbeitsgruppen bringt sich nicht nur in die Förderung der Wissenschaft, der Versorgungsforschung und der Arbeitsbedingungen ihrer Mitglieder ein, sie engagiert sich auch mit hoher Priorität für eine fachgerechte und praxisorientierte Aus-, Fort- und Weiterbildung und übernimmt damit auch eine große Verantwortung für „ihren“ ärztlichen Nachwuchs. „Junges Forum Orthopädie und Unfallchirurgie“, der „Nichtständige Beirat der DGU“ haben sich speziell auch dieser Aufgabe angenommen, um u. a. zu zeigen und vorzuleben, wie interessant und abwechslungsreich die Aufgaben in der modernen Orthopädie und Unfallchirurgie sind. Hierzu werden dem interessierten Nachwuchs zahlreiche Angebote gemacht, die u. a. oben unter den Stichworten „summer school“ und „Studierendentag“ beschrieben sind. Weitere Schwerpunkte dieser Arbeitsgruppen sind die Verbesserung der Aus- und Weiterbildung, die Förderung des wissen-
Abb. 1 7 R. Gnos, Schweiz, in der Via 94° (Schwierigkeitsgrad 6b) am Pilastro Lomasti, Arnad-Bard, Valle d’Aosta. (Mit freundl. Genehmigung von T. Mittlmeier)
schaftlichen Nachwuchses innerhalb der gemeinsamen Fachgesellschaft und eine Förderung der Netzwerkbildung zum Erfahrungsaustausch und der Intensivierung der Kommunikation.
Zusammenfassung und Ausblick Die Wahrnehmung des Nachwuchsmangels in der operativen Medizin kann auch eine Chance bedeuten, eine Chance zum Umdenken in der Unfallchirurgie [15], die es zu ergreifen gilt. Weder die zur Schau getragene Frustration über die derzeit herrschenden Arbeitsbedingungen und die gesundheitspolitischen „Zustände“, noch das Räsonieren über die stetige Ökonomisierung der Medizin im DRG-Zeitalter und den damit verbundenen strukturellen Wandel in der Krankenhauslandschaft, der kaum aufzuhalten ist, sind geeignet, den Nachwuchs für unser Fach zu begeistern. Wir haben es über weite Strecken selbst in der Hand, nicht nur eines der faszinierendsten Fächer der operativen Medizin mit ganzheitlichem Anspruch zu bewerben, sondern den Anspruch der Verletztenversorgung rund um die Uhr und der Rekonstruktion von Verletzungsfolgen auf höchstem Niveau auf die nächste Generation von Unfallchirurgen zu übertragen. Wie wir zeigen konnten, kann jeder im Fach Tätige in seinem persönlichen und regionalen Umfeld hierzu einen Beitrag leisten, wobei die Weichenstellung für die Wahrnehmung und Wertschätzung des Fachs weit vor dem Studium beginnt. Die Feminisierung der Medizin und somit auch des chirurgischen Fächerkanons ist längst Realität und sollte heu-
te kein Handicap mehr für die spezifische Wahl des Interessengebiets und Weiterbildungsfachs darstellen dürfen. Die Schlüsselfunktion kommt sicher der Wahrnehmung des Fachgebiets und seiner Facetten während des Studiums zu. Die konstruktive Umgestaltung der Ausbildungskonditionen ist somit von größter Relevanz: über die vielgestaltigen Optionen der Vermittlung praktischer Fähigkeiten haben wir ein wertvolles Instrument an der Hand, Studierende zu begeistern, über die systematische Präsentation der breiten Forschungsmöglichkeiten von der Grundlagenforschung bis zur klinischen Anwendung und der Versorgungsforschung mit entsprechenden Angeboten zur Mitarbeit als Doktorand und zukünftiger Weiterzubildender können wir auch mit den klassischen „intellektuellen“ Gebieten der Inneren Medizin und der Neurologie um die Besten konkurrieren. Eine curriculare Weiterentwicklung des PJ ist weiterhin unabdingbar für eine Stimmungsumkehr der Studierenden. Unter Fortschreibung und Ausgestaltung der Kontaktmöglichkeiten zwischen Studierenden und Fachgesellschaft, wie es die bisherigen Erfahrungen eindeutig belegen, schaffen wir den Rahmen für eine umfassende Information, die über das reguläre Angebot im Studium hinaus reicht, und den Anreiz, sich mit dieser Thematik auch während der Weiterbildung „einzulassen“.
Nicht weil es schwer ist, wagen wir es nicht, sondern weil wir es nicht wagen, ist es schwer (Seneca, . Abb. 1).
Der Unfallchirurg 6 · 2010
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Lesetipp Korrespondenzadresse
Der Orthopäde
Univ.-Prof. Dr. T. Mittlmeier Abt. für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, Chirurgische Klinik und Poliklinik der Universität Rostock Schillingallee 35, 18055 Rostock
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Die Zeitschrift „Der Orthopäde“ bietet Ihnen jeden Monat umfassende und aktuelle Beiträge zu interessanten Themenschwerpunkten aus allen Bereichen der Orthopädie. In mehreren Übersichtsartikeln wird ein Sachgebiet vertiefend dargestellt.
Interessenkonflikt. Der korrespondierende Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Literatur 1. Ansorg J, Schröder W, Krones C (2007) Nur Mut! Die Nachwuchskampagne des BDC. BDC-Online 01.03.2009 2. Bauer H (2009) Zur aktuellen Situation der chirurgischen Weiterbildung. Deutsche Gesellschaft für Chirurgie – Mitteilungen 38(4):336–345 3. Bohrer T, Koller M, Krannich J-H et al (2009) Welche Lebensqualität haben Chirurginnen und Chirurgen in Deutschland? Deutsche Gesellschaft für Chirurgie – Mitteilungen 38(3):240–241 4. Bonk AD, Hoffmann R, Siebert H, Wölfl C (2009) Zur Versorgungsrealität unfallchirurgischer Kliniken in Deutschland. Unfallchirurg 112:906–920 5. Bucknall V, Pynsent PB (2009) Sex and the orthopaedic surgeon: a survey of patient, medical student and male orthopaedic surgeon attitudes towards female orthopaedic surgeons. Surgery 7:89–95 6. Burghardt B, Kauffmann C (2009) Feel like a surgeon – Erfahrungsbericht zweier Studentinnen vom 126. Kongress der DGCH. Deutsche Gesellschaft für Chirurgie – Mitteilungen 38(3):209–210 7. Buxel H (2009) Arbeitsplatz Krankenhaus: Der ärztliche Nachwuchs ist unzufrieden. Dtsch Ärztebl 106:506–1509 8. Endorf FW, Esposito TJ, Reed RL et al (2008) Broken bones and orthopedist groans: can an acute care surgeon fix both? J Trauma 64:673–678 9. Gaskill T, Cook C, Nunley J, Mather RC (2009) The financial impact of orthopaedic fellowship training. J Bone Joint Surg 91-A:1812–1821 10. Krüger M (2009) Nachwuchsmangel in der Chirurgie. Worin liegen die Probleme einer Reform der Weiterbildung? Sichtweise eines Betroffenen. Unfallchirurg 112:923–928 11. Matthes G, Rixen D, Tempka A et al (2009) Ärzte in der Unfallchirurgie – unglücklich und vom Aussterben bedroht? Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie – Mitteilungen und Nachrichten 59:64– 68 12. Rixen D, Tempka A, Lob G (2006) Hat sich etwas in der Qualität der orthopädisch/unfallchirurgischen Weiterbildung geändert? Unfallchirurg 109:339– 347 13. Sauer J, Dommisch K (2006) Chirurg – ein Wunschberuf? Auswertung einer deutschlandweiten Umfrage unter Studenten des Jahrganges 2000/2001. Chirurg BDC 5:145–148 14. Schröder W, Ansorg J, Krones C (2009) Akquise von chirurgischem Nachwuchs; was ist zu tun? BDCOnline 01.03.2009 15. Seifert J (2009) Die Chance wahrnehmen: Nachwuchsmangel fordert Umdenken in der Unfallchirurgie. Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie – Mitteilungen und Nachrichten 60:56–58 16. Walcher F, Dreinhöfer KE, Obertacke U et al (2008) Entwicklung des Lernzielkatalogs: Muskuloskelettale Erkrankungen, Verletzungen und traumatische Notfälle“ für Orthopädie-Unfallchirurgie im Medizinstudium. Unfallchirurg 111:670–687
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Der Unfallchirurg 6 · 2010
Heft 6/2010: F Mikrochirurgische Dekompression der lumbalen Spinalkanalstenose F Langzeitergebnisse der Dynesys-Implantation F Biomechanik der interspinösen Platzhalter F Langzeitergebnisse des interspinösen Distraktionssystems X-STOP F Ergebnisse des interspinösen Wallis-Implantates F Langzeitergebnisse, Studienlage und Differenzialindikation des DIAM-Implantates F Pedikelschrauben-gestützte Systeme zur dynamischen Stabilisierung F Status quo des Fecettengelenkersatzes F CME: Arthrosen bei hereditären Stoffwechselerkrankungen Heft 7/2010: F F F F F F
Ballonkyphoplastie Pedikelschraubenaugmentation aus biomechanischer Sicht Zementverteilung bei Vertebroplastieschrauben unterschiedlichen Designs Füllmaterialien zur Augmentation von osteoporotischen Wirbelkörperfrakturen Ergebnisse des interspinösen Wallis-Implantates Anästhesieverfahren und systemische Komplikationen bei zementbasierten Augmentationsverfahren an der Wirbelsäule F Sinterungsprophylaxe eines Wirbelkörperersatzes F Traumatische Wirbelsäulenfrakturen F CME: Chirurgie des vorderen Kreuzbandes
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