J. Verbr. Lebensm. (2014) 9:263–295 DOI 10.1007/s00003-014-0900-1
Journal fu¨r Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit Journal of Consumer Protection and Food Safety
ANNOUNCEMENTS AND REPORTS
Die Grenzen des ,,rationalen‘‘ Konsumierens – Empirische Erkenntnisse und verbraucherpolitische Konsequenzen 2. Verbraucherforschungsforum an der Zeppelin Universita ¨t, Friedrichshafen, 3. und 4. April 2014
Received: 21 May 2014 / Published online: 25 July 2014 Bundesamt fu ¨ r Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) 2014
Die Grenzen des ,,rationalen‘‘ Konsumierens: Eine kommentierende Einfu ¨ hrung in ein transdisziplina ¨res verbraucherwissenschaftliches Forschungsgebiet mit verbraucherpolitischen Implikationen Peter Kenning1, Gerhard Raab2 und Lucia A. Reisch3 1
¨t Friedrichshafen Zeppelin Universita Hochschule Ludwigshafen am Rhein 3 Copenhagen Business School und ¨t Universita
[email protected] 2
Zeppelin
Kaum ein Konzept wird in der verbraucherwissenschaftlichen Forschung so oft beansprucht und ¨t. Mit dieser fast verworfen wie das der Rationalita ¨rend mitleidserweckenden Beobachtung sollte erkla die Betonung verbunden werden, dass dieser ¨ßig auf dem Missversta ¨ndnis Umstand regelma ¨t‘‘ ha ¨tte einen u basiert, ,,Rationalita ¨ ber die enge, normative Bedeutung hinausgehenden deskriptiven Anspruch. Dass dies nicht der Fall ist, steht heute wohl weitgehend außer Frage. Es verwundert daher nicht, dass die erfolgreiche Widerlegung des damit ¨tsaxioms im verbundenen, deskriptiven Rationalita ¨ berschrift ,,misinternationalen Kontext unter der U sion accomplished‘‘1 gefeiert wird. Gleichzeitig stellt sich aber nicht nur aus einer wissenschaftlich informierten verbraucherpolitischen Perspektive die Frage danach, wie es nun weitergehen ko ¨ nnte. Um 1 Vgl. Simonson (2014) Mission accomplished: What’s next for Consumer BDT-JDM Researchers, Stanford Graduate School of Business, Research Paper No. 2142.
¨ngende Frage in die Diskussion zu diese durchaus dra tragen, adressierte das 2. Verbraucherforschungsfo¨t (VFF|ZU) am 3. und rum an der Zeppelin Universita 4. April 2014 ,,DIE GRENZEN DES RATIONALEN KONSUMIERENS‘‘. Ziel der hier vorliegenden Einfu ¨ hrung ist es, diese Diskussion in strukturierter und knapper Form zu skizzieren und damit eine Einfu ¨ hrung in die dann ¨ge vorzunehmen. folgenden Beitra Eine erste wissenschaftliche Perspektive, die in den letzten Jahren maßgeblich zur Abkehr des ¨tsaxioms im deskriptiven Kontext beiRationalita getragen hat, ist die Verhaltenso ¨ konomik. Als einer der weltweit fu ¨ hrenden Vertreter dieser Forschungsrichtung behandelt KLAUS WERTENBROCH (INSEAD Paris) das Thema ,,HOW (NOT) TO PROTECT META¨sentiert einige RATIONAL CONSUMERS FROM THEMSELVES‘‘ und pra damit verbundene, hochinteressante Forschungsbefunde. Daru ¨ ber hinaus zeigt WERTENBROCH ¨t resulAnsatzpunkte, wie aus fehlender Rationalita tierendes, problematisches Verhalten vermieden werden kann. Hierbei weist er interessanterweise auch darauf hin, dass auf den ersten Blick irrationales Verhalten durchaus vernu ¨ nftig sein kann und verdeutlicht damit auch noch einmal, die mit der ¨tsbegriffs oftmals verbunDiskussion des Rationalita dene begriffliche Strohmann-Diskussion. Diese besteht darin, rationale Entscheidungen als per se vernu ¨ nftig und emotionale Entscheidungen als per se unvernu ¨ nftig zu bezeichnen. Der Beitrag zeigt deutlich, dass diese pauschalisierenden, per se wertenden Bezeichnungen nicht zielfu ¨ hrend sein ko ¨ nnen. Vielmehr geht es darum, intelligentere Kategorien zu entwickeln, um das Verbraucherverhalten besser verstehen zu ko ¨ nnen.
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¨ndnis sein kann, Wie nu ¨ tzlich dieses bessere Versta wird im Beitrag ,,PATHOLOGISCHES KAUFEN – EINE PSYCHISCHE ERKRANKUNG?‘‘ von ASTRID MU¨LLER (Medizinische Hochschule Hannover) deutlich. MU¨LLER thematisiert das ¨t Zusammenspiel von Selbstkontrolle und Impulsivita und die Folgen eines Kontrollverlusts beim Konsumieren – dem pathologischen Kaufverhalten. Im Ergebnis wird klar, dass pathologisches Kaufen eine ernstzunehmende psychische Erkrankung darstellt, ¨t und Leidie mit hoher psychischer Komorbidita densdruck bei den Betroffenen und ihren Angeho ¨rigen einhergeht. Zuku ¨ nftige Forschungsak¨ten tivita sollten neben der Entwicklung ¨ ¨ therapeutischer und praventiver Ansatze auch auf die Validierung diagnostischer Kriterien und die ¨ berpru ¨tiologischer Modelle empirische U ¨ fung a fokussieren, damit das Sto ¨ rungsbild Eingang in die herko ¨ mmlichen Klassifikationssysteme psychischer Sto ¨rungen findet. Die damit auch angesprochene neurowissen¨ge schaftliche Forschung adressieren dann die Beitra ¨t Friedrichshavon PETER KENNING (Zeppelin Universita ¨t Bonn) und STEFAN KNECHT fen), BERND WEBER (Universita ¨t Du (Heinrich-Heine-Universita ¨ sseldorf). Dabei zeigt ¨chst einmal der Beitrag ,,CONSUMER NEUROSCIENCE zuna ¨ R DIE UND BRAIN BASED BEHAVIORAL ENGINEERING: IMPULSGEBER FU VERBRAUCHERFORSCHUNG UND -POLITIK?‘‘ von PETER KENNING welche neuralen Strukturen nach dem aktuellen Stand der Forschung mit einer Kaufentscheidung assoziiert sind. Darauf aufbauend entwickelt KENNING ein hypothetisches Modell zur Beschreibung des Kaufverhaltens auf neurowissenschaftlicher Ebene. Anschließend fu ¨ hrt er das Konzept des ,,Brain Based Behavioral Engineering‘‘ ein und entwickelt einige ¨ge, um mit Hilfe dieses Konzepts als proVorschla blematisch empfundenes Verbraucherverhalten wissenschaftlich fundiert beeinflussen zu ko ¨ nnen. ¨tze einer Zugleich betont er, dass entsprechende Ansa begleitenden gesellschaftspolitischen Diskussion bedu ¨ rfen, auch um die erfolgskritische Verbrau¨hrleisten zu ko cherakzeptanz gewa ¨ nnen. ¨hnlich fundierten Weise In einer methodisch a adressiert BERND WEBER die Fragestellung, welchen Beitrag die Neurowissenschaften im verbraucherwissenschaftlichen und -politischen Kontext leisten ¨ssigten ko ¨ nnen. Dabei betont er den oft vernachla Aspekt, dass die Neurowissenschaften durchaus auch von den in den Verbraucherwissenschaften entwickelten Methoden und Problemstellungen profitieren ko ¨nnen, da deren Nutzung bzw. Erfor¨ndnis der Funktionsweise schung ein besseres Versta des menschlichen Gehirns in alltagsrelevanten Situationen ermo ¨ glicht. Daru ¨ ber hinaus zeigt er an
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einigen Neuroimaging-Studien, welche neuralen Strukturen mit verbraucherpolitisch relevanten Verhaltensweisen – z.B. im Bereich des Konsums von Biolebensmitteln – assoziiert sind. Im Anschluss daran verdeutlicht der Beitrag ,,DER GESUNDHEITSKONSUMENT‘‘ von STEFAN KNECHT, dass Forschungsergebnisse im Bereich der betrieblichen Markt- und Kommunikationsforschung wertvolle Hinweise fu ¨ r die erfolgreiche Beeinflussung gesundheitsrelevanten Verhaltens liefern ko ¨nnen. KNECHT ¨rung und fordert daher, dass sich Gesundheitsaufkla ¨vention die Mittel der erfolgreichen Krankheitspra betrieblichen Kommunikation in der Konsumwelt zunutze machen sollten. Anschließend diskutiert er ¨tze, weist die in diesem Kontext erkennbaren Ansa aber auch darauf hin, dass deren Umsetzungswahr¨ngt, inwiefern es scheinlichkeit auch davon abha gelingt, systemische Gegebenheiten im Gesund¨ndern. heitssektor zu vera In Fortfu ¨ hrung dieser Arbeiten sowie des Beitrags von ASTRID MU¨LLER behandelt der Beitrag von MIRJA ¨t Friedrichshafen), MARCO HUBERT (Zeppelin Universita ¨t Friedrichshafen), WENCKE HUBERT (Zeppelin Universita GWOZDZ (Copenhagen Business School), GERHARD RAAB (Hochschule Ludwigshafen am Rhein) und LUCIA A. REISCH (Copenhagen Business School und Zeppelin ¨t) eine Langzeitstudie, die die Pra ¨valenz Universita von kompulsivem Kaufverhalten in Deutschland und ¨nemark untersuchte. Dabei zeigen die Autoren Da ¨chst, dass die Pra ¨valenz dieses Verhaltens zuna ¨tzt wird und derzeit im internatizumeist unterscha onalen Vergleich auf einem Niveau von 5 % bis 9 % ¨sentieren und liegen du ¨ rfte. Darauf aufbauend pra diskutieren HUBERT ET AL. Ergebnisse aus ihrer Langzeitstudie mit nahezu sechstausend Teilnehmern und zeigen dabei unter anderem die Bedeutung soziodemografischer Variablen fu ¨r kompulsives Kaufverhalten. Demzufolge scheinen zwar Frauen ¨rker davon betroffen zu sein, gleichtendenziell sta ¨nner wohl steigt auch die Zahl der betroffenen Ma ¨tzlich davon ausgegangen stark an, so dass grundsa werden kann, dass es sich nicht nur um ein ,,weibli¨nomen handelt. ches‘‘ Pha Eine weitere internationale Perspektive bringt der Beitrag von KARL KOLLMANN (Verbraucherrat – Austrian Standards Institute) zum Thema ,,EINE NOTWENDIGE NEU¨NDNIS – O ¨ STERREICHISCHE DIMENSIONIERUNG IM VERBRAUCHERVERSTA ERFAHRUNGEN‘‘ ein. In diesem Beitrag betont KOLLMANN ¨ kono¨chst, dass die Unzufriedenheit mit der O zuna mie und ebenso mit der Verbraucherforschung in ¨ sterreich durchaus greifbar ist. Dies begru O ¨ ndet er damit, dass beiden wissenschaftlichen Disziplinen der oft zu enge und damit kurze Blick auf ihre
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Objekte (die Menschen und ihre kulturell geschaffenen Organisationen und Strukturen) sowie der wenig kritische Umgang mit den gesellschaftlichen Einbettungen, in welchen sich diese Objekte und die Politik insgesamt bewegen, gemeinsam ist. Aufbauend auf dieser Defizitanalyse entwickelt er einige interes¨ge, wie sich diese Defizite beheben sante Vorschla ließen und fordert im Ergebnis nichts weniger als eine neuorientierte Verbraucherbildung, -politik und -forschung. ¨ge von JUSTUS Abschließend diskutieren die Beitra ¨t Du HAUCAP (Heinrich-Heine Universita ¨ sseldorf) und MARCO LEHMANN-WAFFENSCHMIDT (TU Dresden), welche ¨ bernahme des Konzepts der einImplikationen die U ¨nkten Rationalita¨t der Verbraucher fu geschra ¨ r die Verbraucher- und Wettbewerbspolitik haben ko ¨nnte. In seinem Beitrag ,,WETTBEWERB UND WETTBEWERBSPOLITIK BEI ¨NKT RATIONALEM VERBRAUCHERVERHALTEN‘‘ skizziert EINGESCHRA HAUCAP ausgehend vom Konzept der ,,bounded rationality‘‘ die Entwicklungen der o ¨konomischen Entscheidungstheorie hin zur aktuell besonders bedeutsamen Verhaltenso ¨konomik. Darauf aufbauend umreißt er die damit verbundenen Implikationen fu ¨ r die Wettbewerbspolitik im Kontext des ,,more economic approach‘‘, nach dem die Wettbewerbspolitik letztendlich dem Verbraucher dienen soll. Dabei differenziert er zum einen die mit dem Nachweis von o ¨konomisch relevanten Verhaltensanomalien verbundenen wettbewerbspolitischen Implikationen, zum anderen Implikationen fu ¨ r die prozessuralen Regeln des Wettbewerbsrechts. Im Fortgang
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illustriert er dies an verschiedenen Beispielen und verdeutlicht so anschaulich die Herausforderungen vor welche die Verhaltenso ¨ konomik die Wettbewerbspolitik stellt. Im Anschluss daran thematisiert der Beitrag ,,PLA¨DOYER FU¨R EINEN PRAGMATISCHEN RATIONALITA¨TSBEGRIFF – ZWISCHEN HEROISCHER VERNUNFT UND TAUTOLOGIE‘‘ von ¨tsbegriff MARCO LEHMANN-WAFFENSCHMIDT den Rationalita aus o ¨konomischer Perspektive. In diesem Zusammenhang fokussiert LEHMANN-WAFFENSCHMIDT ¨tskonzepts und verschiedene Stufen des Rationalita betont dabei auch die besondere Bedeutung konsistenten Verhaltens sowie das interessante Konzept der ,,Erwartungs-Erwartungen‘‘. Letzteres verdeutlicht er dann im sogenannten ,,Holmes-MoriartySpiel‘‘ sowie am ,,Zahlenwahlspiel‘‘. Im Ergebnis zeigt sich dann, dass die in solchen Spielsituationen oft verwendeten Heuristiken zu einer ,,pragmatischen ¨t ho Rationalita ¨herer Ordnung‘‘ fu ¨ hren ko ¨nnen. Ein Befund, mit dem sich der Bogen zum Ero ¨ffnungsbei¨sst. trag von WERTENBROCH wieder schließen la ¨ge des 2. VerbrauInsgesamt zeigen die Beitra ¨t, cherforschungsforums an der Zeppelin Universita dass – und teilweise auch wie – die verbraucherpolitische Forschung und Praxis von den Erkenntnissen ¨t der der neueren Forschung zur (Nicht-)Rationalita Verbraucher enorm profitieren ko ¨nnen. Ein empirisches, realistisches Bild vom Konsumenten und seinen Entscheidungsprozessen scheint uns eine unabdingbare Voraussetzung fu ¨ r ,,wirksames Regieren‘‘ zu sein.
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How (not) to protect meta-rational consumers from themselves Klaus Wertenbroch2 INSEAD, Europe Campus, Boulevard de Constance, 77305 Fontainebleau, France,
[email protected] In September 2012, New York City’s Board of Health voted to ban the sale of sugar-sweetened drinks in cups larger than 16 ounces (0.5 l) in restaurants and many other retail outlets, a regulation subsequently rejected in court. The policy objective was to help limit consumers’ sugar intake and prevent obesity. Regulations that constrain marketers’ and consumers’ freedom of transaction to protect social welfare abound, from the European Union’s ban of incandescent light bulbs to Australia’s plain packaging of cigarettes. With voters complaining about unfettered capitalism on the one hand and the intrusive nanny state on the other, (how) should policy makers protect consumers from themselves? In democratic societies with legal principles rooted in enlightenment thinking, the answer lies in whether consumers are sovereign and rational (Wertenbroch et al. 2008). Externalities and internalities There are two principal arguments for constraining consumer choice. First, consumer choice may generate externalities, costs imposed on uninvolved third parties (Coase 1960; Sunstein & Reisch 2014; e.g., increased health care costs for society from individual obesity). Second, consumers may not make sovereign and rational choices in their own self-interest; instead, their choices generate so-called negative internalities, that is, delayed costs that consumers inadvertently impose on themselves when choosing (Herrnstein et al. 1993; e.g., the negative individual health effects of excessive sugar intake). Leaving aside society’s legitimate interest in regulating choices with negative externalities for other consumers, I focus below on how policy makers can detect and address the risk of costly internalities in consumer choice. In the spirit of Thaler and Sunstein’s (2003) libertarian paternalism – nudging consumers to make choices in their own self-interest without limiting their freedom of choice – it is important to derive criteria to distinguish internalities 2
I am grateful to Lucia Reisch, Peter Kenning, Mirja Hubert, and the Forschungszentrum Verbraucher, Zeppelin Universi¨t, Germany, for their support. ta
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from rational choice. That is because a standard conception of rationality precludes regulation to prevent internalities, as rational consumers take these delayed costs into account when choosing, discounting them at a constant rate (Strotz 1956). Rational consumers need not be protected from their own preferences – they are sovereign, no matter how deep they discount the future; they do not face internalities as even addiction can be analyzed as utility-maximizing (Becker & Murphy 1988). Rationality versus internalities Western consumer societies are organized around legal frameworks that view consumers as rational, utility-maximizing decision makers, derived from a standard notion of rationality in neoclassical economics. Consumers make budget-constrained choices conforming to stable personal values (Stigler & Becker 1977). What they choose is not a criterion for rationality as long as the choice process is consistent with a set of rules, or axioms (von Neumann & Morgenstern 1944). Following these axioms ensures that consumers’ personal values can be described by real numbers, or utilities, such that a consumer chooses one choice option with probabilistic consequences over another only if the first option has a greater expected utility (Dawes 1988). To make these utility-maximizing choices, consumers need information. Hence, some of the classic work in economics concerns the role of information in choice, including information asymmetry and search, signaling, and price formation (Akerlof 1970; Fama 1970; Spence 1973; Stigler 1961). Such a standard view of consumer rationality allows policy makers and regulators to stick to enforcing contracts and to ensuring that consumers have, or at least can access, all relevant information to prevent fraud – a necessity for efficient free markets (e.g., labeling genetically modified food so that consumers can make informed, rational choices based on their preferences). After four decades of research in psychology, behavioral decision-making, marketing, and other, adjacent disciplines, social scientists, including many economists and legal scholars, conclude that consumer behavior can often not be described as rational in the utility-maximizing sense. Psychologists’ Tversky & Kahneman’s (1974; Kahneman & Tversky 1979) decades-long, Nobel prize-winning research program into heuristics and biases was key in demonstrating systematic principles of how human judgment and choice systematically deviate from the norms of rationality.
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In particular, consumer choice often involves goods whose consumption has consequences over time, involving smaller, sooner benefits (costs) and larger, later costs (benefits). The behavioral literature characterizes the temptation to impulsively overconsume (underconsume) these goods as hyperbolic (as opposed to constant) discounting (Ainslie 1975; Frederick et al. 2002). Consumers discount the future consequences (e.g., health effects) of their current consumption disproportionately, excessively underweighting them relative to the immediate consequences (e.g., taste), yielding internalities. Preferences between smaller, sooner and larger, later choice consequences thus vary with whether the smaller, sooner ones are imminent – implying socalled myopic, present-biased, or time-inconsistent preferences that induce temptation and thus create self-control problems (DellaVigna & Malmendier 2004; Strotz 1956). Marketers offer many products and services that are tempting to overconsume (e.g., many processed foods, tobacco products, and alcohol but also credit, mobile telephones, privacy-based information services) or to underconsume (e.g., savings, education, exercise; Wertenbroch 2003). How can we detect misconsumption in the marketplace, such that without regulatory intervention consumers would make suboptimal choices measured against the rational, normative benchmark? The natural sciences and medicine offer practical guidance (e.g., the body mass index) but lack the normative precision derived from economic rationality. I suggest that consumers’ own attempts to curb internalities are diagnostic of a need for policy intervention to protect consumers from themselves. Sophistication in the marketplace: self-control by precommitment O’Donoghue & Rabin (1999) distinguish between rational individuals who discount the future constantly and time-inconsistent consumers who discount the future hyperbolically. Among the latter, some are naı¨ve – they do not foresee their self-control problems – whereas others are sophisticated – they do foresee these problems. A difficulty in applying the rationality criterion is to tell naı¨fs apart from rational consumers. After all, it is possible that a consumer who, say, leads an unhealthy lifestyle simply discounts the future consequences deeply yet constantly. Sophisticates, on the other hand, may either try to resist temptation by exerting willpower (Baumeister et al. 2008) or to avoid (being able to yield to) temptation, by self-imposing limits on their own future freedom
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of choice, a mechanism called precommitment. Such sophistication is not new – Homer’s Ulysses invented the prototype of precommitment when he had himself tied to the mast of his ship so he could hear the sirens sing yet not give in to the fatal temptation to approach them. Yet precommitment to limit one’s own choice options contradicts the fundamentals of rational choice theory (Dhar & Wertenbroch 2012; Schelling 1984) – more (freedom of) choice is better than less for a utility-maximizing consumer (although Gul & Pesendorfer 2001 axiomatize precommitment preferences). The first systematic empirical evidence of consumer precommitment in the marketplace came from Wertenbroch (1998) who showed that consumers prefer to buy ‘vice’ goods, which are tempting to overconsume, in smaller package sizes than ‘virtue’ goods, which are tempting to underconsume. Experimental participants were more willing to forgo quantity discounts as an incentive to buy a larger quantity of potato chips when the chips were framed as 25 % fat (a relative vice) than when they were framed as 75 % fat-free (a relative virtue). And modeling store-level scanner data from a large supermarket chain in Chicago showed that consumer demand for relative vices across different categories (e.g., regular sodas) was some 25 % less price-elastic than demand for comparable relative virtues (e.g., diet and light sodas), consistent with the hypothesis that consumers are reluctant to trade up to larger purchase quantities of vices to limit their vice consumption. In a follow-up study, Ariely and Wertenbroch (2002) showed that experimental participants voluntarily selfimpose early costly deadlines to curb the temptation to procrastinate with a task until the end of the allotted time, at the risk of incurring penalties for missing their own deadlines. Since then, researchers in psychology, marketing, economics, and medicine have accumulated much additional evidence of precommitment preferences (e.g., Ashraf et al. 2006; John et al. 2012), including evidence of neural mechanisms of precommitment (Crockett et al. 2013), and commercial companies offer consumers precommitment contracts (Thaler & Benartzi 2004; http://www.stickk.com). Meta-rationality and consumer protection Precommitment is important for two reasons. First, it offers a normative empirical benchmark for identifying intervention needs in specific choice domains (e.g., tobacco products, savings behavior, etc.). Consumers who self-impose a costly constraint,
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paying a self-control premium, reveal that they are aware that their preferences in a domain deviate from rationality and that they are freely trying to resolve the conflict between their immediate and longer-term preferences in favor of the latter (Fennell 2009). Second, precommitment is eminently reasonable, or meta-rational. Neither temptation, which arises from time-inconsistent preferences, nor selfimposing constraints on one’s freedom of choice are utility-maximizing. Meta-rational consumers strategically deploy one type of non-rational behavior to curb another. Thus, instead of imposing blanket regulation on all consumers, policy makers can follow the commercial examples and offer precommitment mechanisms to allow at least such meta-rational consumers to help themselves.
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Pathologisches Kaufen – eine psychische Erkrankung? Astrid Mu ¨ ller Medizinische Hochschule Hannover, Klinik fu ¨ r Psychosomatik und Psychotherapie, Carl-Neuberg-Str. 1, 30625 Hannover
[email protected] 1 Historischer Hintergrund Beim pathologischen Kaufen handelt es sich um ein ¨nomen. So wurde die seit Langem bekanntes Pha ,,krankhafte Kauflust‘‘ bereits Anfang des letzten Jahrhunderts von Kraepelin (1909) in einem Psychi¨hnt. Bleuler (1923, S. 412) atrielehrbuch erwa beschrieb als typische Kennzeichen einer Kaufsucht ,,das Besondere …. das Triebhafte, das Nicht-andersKo ¨nnen‘‘, weswegen ,,die Kranken trotz guter Schul¨ndig unfa ¨hig sind, anderes zu intelligenz vollsta denken, sich die unsinnigen Folgen ihres Handelns und die Mo ¨glichkeiten, es nicht zu tun, vorzustellen‘‘. Trotz dieser fru ¨ hen Ausfu ¨ hrungen ist erst in den letzten 40 Jahren ein wachsendes wissenschaftliches Interesse an dem Sto ¨rungsbild zu beobachten, das sowohl in der Konsum- als auch der medizinischpsychologischen Forschung verortet ist. Im Folgenden soll vor allem auf Erkenntnisse aus dem letztgenannten Bereich eingegangen werden. 2 Pha ¨nomenologie und diagnostische Kriterien Das Kernsymptom pathologischen Kaufens ist ein ¨ngiger, nicht-zweckgeentgleister, bedarfsunabha bundener, unkontrollierbarer Warenkonsum, der zu finanziellen, beruflichen und sozialen Problemen fu ¨ hrt und mit Leidensdruck bei den Betroffen und deren Angeho ¨rigen einhergeht (McElroy et al. 1994). Meistens handelt es sich um einen episodenhaften, ¨llen kommt es zu chronischen Verlauf. In schweren Fa Beschaffungsdelinquenz, um den Kaufdrang trotz ¨sse weiter zu befriedigen. finanzieller Engpa Menschen mit pathologischem Kaufen stellen keine homogene Gruppe dar. So kaufen manche ¨ften ,,offline‘‘ ein, wa ¨hrend ausschließlich in Gescha ¨ufen neigen und natu andere v. a. zu ,,online‘‘ Ka ¨ rlich gibt es auch Mischformen. Alles, was gekauft werden ¨hrend kann, kann auch exzessiv gekauft werden. Wa manche Betroffene nur bestimmte Dinge (z.B. Kleidung, Bu ¨ cher, Handwerkerartikel, Bastelmaterialien), nur exklusive oder ausschließlich verbilligte Waren ¨sst sich bei anderen gar kein exzessiv konsumieren, la
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Muster erkennen. Typischerweise werden die Konsumgu ¨ ter nach dem Kauf kaum oder gar nicht ¨ufen sich dann oft an, sodass benutzt. Die Dinge ha ¨ bersicht u die U ¨ ber die Besitztu ¨ mer vo ¨llig verlorengeht. Es geht also um die Erfu ¨ llung eines momentanen starken Besitzwunsches und den damit verbundenen Bestell- oder Kaufakt an sich, der als angenehm, entspannend, ablenkend oder euphorisierend empfunden wird. Im Nachhinein stellen sich Schuldgefu ¨ hle wegen des unangemessenen Konsums ein (Christenson et al. 1994). Da die negativen Kon¨chsten sequenzen bei der na Kaufattacke ausgeblendet werden, mu ¨ nden sie nicht in einer nachhaltigen Normalisierung des Kaufverhaltens. Pathologisches Kaufen ist u ¨ blicherweise mit belastenden psychischen Symptomen assoziiert, ¨t ausgegangen wobei hier von einer Bidirektionalita wird. So ko ¨nnen psychische Beschwerden Kaufattacken auslo ¨ sen und vice versa. Dabei muss ¨hrend pathologisches Kaufen von Kaufattacken wa manischer Episoden abgegrenzt werden. Wenn die Kaufexzesse ausschließlich im Verlauf einer Manie auftreten, sollte die zugrundeliegende bipolare Sto ¨rung diagnostiziert werden (McElroy et al. 1994). 3 Klassifikation Die Uneinigkeit bezu ¨ glich der passenden Klassifikation von krankhaftem exzessiven Kaufverhalten spiegelt sich in den verschiedenen, oft synonym verwendeten Begrifflichkeiten wieder, z.B. ,,Kaufsucht‘‘, ,,zwanghaftes Kaufverhalten‘‘ oder ,,pathologisches Kaufen‘‘. Die ¨ufig verwendete Bezeichin der Konsumforschung ha ¨ufe‘‘ bezieht sich nung ,,impulsives Kaufen/Impulska auf nicht-behandlungsbedu ¨ rftige, kurzzeitige Episoden gesteigerten Warenkonsums, die vorrangig von der Umwelt getriggert werden und eher keinen engen Zusammenhang zu anhaltenden klinisch relevanten psychischen Sto ¨rungen erkennen lassen (DeSarbo & Edwards 1996; Faber 2011). ¨ß der von der Pathologisches Kaufen kann gema Weltgesundheitsorganisation herausgegebenen Internationalen Klassifikation psychischer Erkrankungen im Kapitel ,,Abnorme Gewohnheiten und Sto ¨rungen der Impulskontrolle‘‘ klassifiziert werden (ICD-10, Dilling et al. 1991). Fu ¨ r diese Einordnung spricht die Unangemessenheit des Verhaltensmusters, das durch einen starken Kaufdrang, Impulsdurchbru ¨ che und den Mangel an vernu ¨ nftiger Kaufmotivation gekennzeichnet ist. Gleichwohl ist die Einordnung umstritten. Alternativ ko ¨nnte pathologisches Kaufen als eine Verhaltenssucht
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eingeordnet werden. Kaufdrang (Craving), Kontrollverlust beim Kaufen und die Fortfu ¨ hrung des unangemessenen Kaufverhaltens trotz immenser negativer Konsequenzen ko ¨nnen als typische Suchtmerkmale verstanden werden (Mann et al. 2013). Leider beinhaltet das ICD-10 keine Kategorie ,,Verhaltenssucht‘‘. Anders gestaltet sich die Situation in den USA. Dort wurde im Mai 2013 die nunmehr 5. Auflage des Klassifikationssystems der American Psychiatric Association (APA 2013) publiziert, die eine neue Kategorie ,,Verhaltenssu ¨ chte‘‘ beinhaltet, in die pathologisches Kaufen jedoch noch keinen Eingang gefunden hat. 4 Psychische Komorbidita ¨t Untersuchungen von Patienten mit pathologischem Kaufen, die sich deswegen in eine Therapie begaben, ¨t haben wiederholt eine hohe psychische Komorbidita ¨ufigsten Begleiterkrankungen sind aufgezeigt. Die ha Depressionen und Angststo ¨ rungen (Mueller et al. 2010). Ebenso leiden viele kaufsu ¨ chtige Patienten an Esssto ¨ rungen, vor allem an der sogenannten Binge ¨ufige objektive Eating Sto ¨rung, die sich durch ha Essattacken ohne kompensatorische Gegenmaßnah`ndez-Aranda et al. 2008; men auszeichnet (Ferna Mueller et al. 2009). Viele Kaufsu ¨ chtige horten die Waren und ko ¨ nnen sich nicht davon trennen, wes¨ufige wegen zwanghaftes Horten als eine weitere ha komorbide psychische Sto ¨rung angesehen wird (Frost & Mu ¨ ller 2014). Manche Studien haben auch eine ¨ufung von Substanzabha ¨ngigkeiten bei kaufsu Ha ¨ chtigen Personen gefunden (Sansone et al. 2012). Daru ¨ ber hinaus sind bei vielen Betroffenen zwanghafte, selbstunsicher-vermeidende, impulsive oder antisoziale Perso ¨ nlichkeitszu ¨ ge (Kellett & Bolto 2009) und oft sogar das Vollbild einer Perso ¨nlichkeitssto ¨rung zu beobachten (Schlosser et al. 1994; Mueller et al. 2009). ¨ tiologie 5A ¨hnliches Kaufverhalten wird mit UmweltSuchta faktoren in Zusammenhang gebracht. Dazu geho ¨ren ein reichhaltiges Produktangebot, wachsende Verfu ¨ gbarkeit der Waren z.B. u ¨ ber das Internet, ansprechende Marketingstimuli, erleich¨ndertes ternde Zahlungsmo ¨ glichkeiten, ein vera Kreditnahmeverhalten usw. Studien aus der Konsumforschung haben zudem gezeigt, dass eine hohe materielle Werteorientierung mit mehr suchta¨hnlichem Warenkonsum assoziiert ist (Dittmar 2005). Ein Zusammentreffen dieser Aspekte mit spezifischen
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psychischen Dispositionen wie z.B. narzisstischen, zwanghaften oder impulsiven Perso ¨ nlichkeitszu ¨ gen erho ¨ht das Risiko fu ¨ r pathologisches Kaufen (Billieux et al. 2008; Rose 2007; Kellett & Bolton 2009). Zudem haben Untersuchungen an Patientenstichproben ergeben, dass das Ausmaß pathologischen Kaufens mit Problemen in der Selbstregulation und vor allem auch mit einer vermehrten depressiven Symptomatik assoziiert ist (Mu ¨ ller et al. 2014). Es wird davon ausgegangen, dass die Kaufepisoden der Emotionsregulation dienen. Zu Beginn der Erkrankung ruft Kaufen vorrangig positive Gefu ¨ hle wie z.B. Freude, Euphorie oder Entspannung hervor (positive ¨rkung). Chronisches, krankhaftes Kaufen Versta scheint indes eher von sogenannten negativen Ver¨rkungsprozessen aufrechterhalten zu werden, d.h., sta negative Befindlichkeiten (z.B. Deprimiertheit, Angst, ¨ rger, Minderwertigkeitsgefu A ¨ hle, Langeweile) werden durch Kaufen zumindest voru ¨ bergehend reduziert und Kaufen stellt die bevorzugte, wenn ¨ltigungsstrategie fu nicht sogar einzige, Bewa ¨ r unangenehme Gefu ¨ hle, Situationen und Konflikte dar (Mu ¨ ller et al. 2012; Kellett & Bolton 2009). Die wenigen bisher publizierten Bildgebungsstudien lassen zudem eine neurobiologische Komponente im Sinne ¨t und verringervon erho ¨hter Belohnungssensitivita tem Verlustempfinden vermuten (Raab et al. 2010). 6 Behandlung ¨hrend Medikamentstudien bisher keinen u Wa ¨ berzeugenden Nachweis fu ¨ r die Wirksamkeit einer psychopharmakologischen Behandlung erbracht haben (Steffen & Mitchell 2011), scheint Psychotherapie hilfreich zu sein. Basierend auf drei kontrollierten Behandlungsstudien (Mitchell et al. 2006; Mueller et al. 2008; Mu ¨ ller et al. 2013) wird davon ausgegangen, dass kognitiv-behaviorale Gruppentherapie effektiv ist. Besagte Studien stu ¨ tzten sich auf ein Behandlungskonzept, das Probleme in der ¨chlich fu Selbstregulation als ursa ¨ r pathologisches ¨rkung von SelbstkonKaufen ansieht und auf die Sta trolle abzielt, um das Kaufverhalten nachhaltig zu normalisieren (Mu ¨ ller, de Zwaan & Mitchell 2008). Das Therapiemanual empfiehlt eine motivierende ¨ nderungsmo¨chsfu ¨rkung der A Gespra ¨ hrung zur Sta tivation (Miller & Rollnick 2005) und beinhaltet typische kognitiv-verhaltenstherapeutische Module. 7 Zusammenfassung Pathologisches Kaufen stellt eine ernstzunehmende psychische Erkrankung dar, die mit hoher
Die Grenzen des ,,rationalen‘‘ Konsumierens
¨t und Leidensdruck bei psychischer Komorbidita den Betroffenen und ihren Angeho ¨ rigen einher¨ten sollten geht. Zuku ¨ nftige Forschungsaktivita ¨neben der Entwicklung therapeutischer und pra ¨ ventiver Ansatze auch auf die Validierug ¨ berdiagnostischer Kriterien und die empirische U ¨thiologischer Modelle fokussieren, damit pru ¨ fung a das Sto ¨ rungsbild endlich Eingang in die herko ¨ mmlichen Klassifikationssysteme psychischer Sto ¨ rungen findet.
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Consumer neuroscience und brain based behavioral engineering: Impulsgeber fu ¨ r die Verbraucherforschung und -politik? Peter Kenning ¨t, Lehrstuhl fu Zeppelin Universita ¨ r Marketing, Am Seemooser Horn 20, 88045 Friedrichshafen sowie Lehrstuhl fu ¨ r Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Marketing, ¨t Du ¨tsstr. 1 Heinrich-Heine-Universita ¨ sseldorf, Universita 40225 Du ¨ sseldorf,
[email protected] Der Beitrag basiert auf einem gleichnamigen Vortrag des Verfassers auf dem zweiten Friedrichshafener Verbraucherforschungsforum am 3. April 2014 sowie auf dem Beitrag Kenning P (2011) Consumer Neuroscience und Brain Based Behavioral Engineering. In: M. Freytag (Ed.), Verbraucherintelligenz. Kunden in der Welt von morgen (pp. 79–93). Frankfurt a. M.: F.A.Z. Institut. 1 Einfu ¨hrung Die vielleicht spannendsten wissenschaftlichen Entwicklungen finden derzeit an der Grenzlinie zwischen den Natur- und den Geisteswissenschaften statt. Die Verbraucherwissenschaften, die zum einen naturwissenschaftlich-mathematische Methoden nutzen, zum anderen in vielen Bereichen aber auch Charakterzu ¨ ge einer Geisteswissenschaft haben, befinden sich derzeit genau in diesem Grenzbereich, ja mehr noch: Die ¨uft genau durch sie hindurch. Die daraus Grenze verla resultierenden Spannungen bedingen gelegentlich, dass neue und ganz eigenartige Disziplinen entstehen, die den Versuch unternehmen, beide Welten miteinander zu verbinden. Eine solche Transdisziplin bildet die ,,consumer neuroscience‘‘. Ihr Gegenstand ist die systematische Integration neurowissenschaftlicher ¨uferMethoden, Theorien und Erkenntnisse in die Ka und Konsumentenverhaltensforschung. Ihr explizites Ziel ist es, eine ,,unified theory of human behavior‘‘3 (mit) zu entwickeln, die im Kern auf neurobiologischen ¨tzen basiert. Bei Begriffen, Konzepten und Theorieansa allem mit dieser ambitionierten Zielstellung verbundenen wissenschaftlichen Ehrgeiz sollte jedoch beachtet werden, dass eine gelegentliche Reflektion und Systematisierung des Erforschten und Erkannten ¨higkeit zu gewa ¨hrleisten. notwendig ist, um Anschlussfa Vor diesem Hintergrund ist es das Ziel des vorliegenden ¨ren Zielgruppe, na ¨mlich den Beitrags, seiner prima verbraucherwissenschaftlich interessierten Lesern, einen kurzen Einstieg in die Thematik zu geben. Damit verbunden soll die Fragen diskutiert werden, welchen 3
Vgl. Glimcher/Rustichini (2004).
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Beitrag die consumer neuroscience zur Weiterentwicklung der Verbraucherwissenschaft und -politik ¨chlich aus einer leisten kann. Dies geschieht hauptsa ¨chst einige ausdeskriptiven Perspektive, wobei zuna ¨ gewahlte Methoden und Ergebnisse beschrieben und darauf aufbauend erste Implikation fu ¨r die Verbraucherforschung und -politik skizziert werden.4 2 Methoden und ausgewa ¨hlte Ergebnisse 2.1 Methoden In der consumer neuroscience ist das Verbraucherverhalten eine biologische Variable bzw. Kategorie, die mit anderen biologischen Variablen bzw. Kategorien im Zusammenhang steht und durch diese ¨rt werden kann. Es handelt sich somit um eine erkla neue theoretische Perspektive, die auf der quasi paradigmatischen, aber keineswegs neuen Annahme beruht, dass das menschliche Gehirn das fu ¨ r das Verbraucherverhalten – im wahrsten Sinne des Wortes – entscheidende Organ ist.5 Aus diesem ¨nge im Grund sind bildgebende Verfahren, die Vorga menschlichen Gehirn visualisieren und damit verstehbar machen, das methodische Ru ¨ ckgrat der consumer neuroscience. Von besonderer Bedeutung sind in der aktuellen wissenschaftlichen Literatur dabei die Elektroencephalographie (EEG) sowie die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT).6 ¨ltere der beiden Methoden ist die EEG. Mit ihr Die a gewinnt der Forscher Informationen u ¨ ber die ¨ ber elektrophysiologische Aktivita¨t des Gehirns. U Elektroden, die an der Kopfhaut der Probanden angebracht werden, ko ¨ nnen Spannungsschwankun¨che gemessen werden. Das gen an der Hirnoberfla zeitliche Auflo ¨sungsvermo ¨ gen der EEG bewegt sich im Millisekundenbereich. So ermo ¨glicht sie eine exakte Bestimmung der Reihenfolge auftretender Hirnaktivierungen, die gerade im Hinblick auf die zeitliche Auflo ¨ sung von verbraucherwissenschaftlich relevanten, neuralen Entscheidungsprozessen wert¨zision geht jedoch zu voll ist.7 Diese zeitliche Pra ¨umlichen Darstellung, da nur oberfla ¨Lasten der ra ¨ten gemessen werden. chennahe Aktivita Dieses Problem wird durch die Verwendung neuerer Verfahren wie z.B. der MEG, der PET sowie insbesondere 4
Vgl. weiterfu ¨ hrend auch Kenning/Plassmann/Ahlert (2007a) sowie Kenning/Linzmajer (2011). 5 Vgl. hierzu kritisch Habermas (2004). 6 Vgl. hierzu Plassmann/Ramsoy/Milosavljevic (2012) sowie zum Folgenden: Kenning (2011). 7 Ein gutes Beispiel hierfu ¨ r bietet eine Studie von Achtziger/ Alo ´s-Ferrer (2013).
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¨rste Technologie ist derzeit der fMRI gelo ¨st. Die popula wohl die fMRT bzw. fMRI (fu ¨ r englisch: functional Magnetic Resonance Imaging). Dieses Verfahren nutzt magnetische Felder und Radiowellen, um Ko ¨rpergewebe abzubilden. Je nach Dichte des Ko ¨rpergewebes ¨rke der ausgesendeten MRunterscheidet sich die Sta Signale. Diese werden von Empfangsdetektoren aufgefangen und von einem Computer mittels statistischer Rechenverfahren in ein Bild umgesetzt. Aktivierungen spezifischer Hirnregionen lassen sich aufgrund spezifischer magnetischer Eigenschaften des Blutflusses isoliert ¨umlicher Auflo und mit relativ hoher ra ¨sung darstellen. Dazu wird das Gehirn in tausende sogenannter ,,Voxel‘‘ ¨t in jedem (Volumen-Pixel) unterteilt und die Aktivita ¨ngeren Zeitraum aufgezeichnet. Mit Voxel u ¨ ber einen la Hilfe weiterfu ¨ hrender statistischer Analysen wird so ermittelt, welche neuralen Prozesse und Strukturen mit ¨renden Verbraucherverhalten (z.B. dem dem zu erkla Kauf eines bestimmten Produktes im Lebensmitteleinzelhandel) verbunden sind.8 Vermutlich aufgrund ihrer ¨umlichen Auflo besonders guten ra ¨sung aber auch aufgrund ihres inszenatorischen Werts hat die fMRT unter den bildgebenden Verfahren die gro ¨ßte Bedeutung ¨tzte der Tu erlangt. So scha ¨ binger Neurowissenschaftler ¨hrlich etwa 1.100 Nikos K. Logothetis in 2008, dass ja fMRT-Studien vero ¨ffentlicht werden.9 2.2 Ergebnisse: Die neuralen Mechanismen der Kaufentscheidung Ein wesentliches Ziel der consumer neuroscience ist es, dazu beizutragen, beobachtbares Verbraucherverhalten ¨ren zu ko besser erkla ¨nnen als dies mit klassischen Verfahren, z.B. Befragungen, derzeit mo ¨glich ist. Es verwundert daher nicht, dass erste Studien sich zentralen Konzepten und Prozessen des Verbraucherverhaltens widmeten.10 Neben umfangreichen Arbeiten im Bereich der Markenwirkung untersuchten einige Studien die neuralen Mechanismen von Kaufentscheidungen. Eine in diesem Zusammenhang besonders bedeutsame Studie wurde 2007 von Brian Knutson und Kollegen vero ¨ffentlicht.11 In dieser Studie ließen Knutson ¨t echte und Kollegen 26 Probanden in einem MR-Gera Kaufentscheidungen fu ¨ r jeweils vierzig Produkte jeweils zweimal treffen. Dabei identifizierten die Forscher drei Strukturen, die mit dem Kaufverhalten verbunden sind: Das Striatum (genauer: der Nukleus Accumbens), die ¨frontale Kortex. Nach aktuellem Stand Insula und der pra
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der Forschung kann die Aktivierung dieser drei Struk¨ren.12 turen bis zu 75 Prozent des Kaufverhaltens erkla ¨rungswert, der in derDieser Wert u ¨ bertrifft den Erkla selben Studie mit Hilfe einer Befragung ermittelt wurde. Verbindet man diese Studie mit anderen Ergebnissen, ¨nzende Rolle des anterioren Cingulums – die die erga einer gu ¨ rtelfo ¨rmigen Struktur im Gehirn – bei der Integration von Kontextinformationen betonen,13 scheinen fu ¨ r das Zustandekommen einer Kaufentscheidung etwas vereinfacht vier Impulse bzw. Strukturen bedeutsam zu sein: 1.
Der dem Produkt bzw. der Marke vom Gehirn beigemessene Belohnungswert. Dieser wird im Striatum kodiert. 2. Der in der Kaufentscheidung empfundene Preisschmerz: Dieser manifestiert sich in Aktivierungen der Inselregion. 3. Der Integration dieser beiden Impulse in der ¨frontalen Struktur des Gehirns. In dieser pra Struktur ist auch die Exekutionskontrolle bzw. Selbstkontrolle verortet. 4. Moderierende Faktoren wie Referenzpreise und Rahmenbedingungen (Frames), die im anterioren Cingulum verarbeitet werden. ¨sst sich damit das folgende, Zusammenfassend la ¨rung des Kaufverhypothetische Modell der zur Erkla haltens wichtigsten neuralen Strukturen entwickeln. ¨sst sich die Anatomie des KaufMit diesem Modell la verhaltens nach aktueller Befundlage skizzieren.
Hypothetisches Modell
ACC Exekutionskontrolle
VMPFC
Moderation/ Vorentscheidung/Framing
Insel Preisschmerz (PS)
Striatum/NaCC Belohnungswert (BW)
Im Normalfall sollte gelten: BW > PS
Abb. 1 Die neuralen Mechanismen der Kaufentscheidung
12
8
Vgl. weiterfu ¨ hrend: Kenning/Plassmann/Ahlert (2007b). 9 Vgl. Logothetis (2008). 10 ¨ berblick Kenning/Hubert/Linzmajer (2012). Vgl. fu ¨ r einen U 11 Vgl. Knutson et al. (2007).
Vgl. Grosenick et al. (2008). Es sei an dieser Stelle aber auch darauf verwiesen, dass zur Erreichung dieser relativ hohen ¨ndige Varianzaufkla¨rung eine aus Sicht des Verfassers aufwa statistische Analyse notwendig ist. 13 Vgl. Deppe et al. (2007).
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3 Der Ansatz des brain based behavioral engineering Von verbraucherwissenschaftlicher und -politischer Relevanz sind die bis hierhin vorgestellten Methoden und Ergebnisse insofern, als das sie ein besseres ¨ndnis des Ka ¨ufer- und Konsumentenverhaltens Versta und darauf aufbauend die theoretisch fundierte Entwicklung von ggf. intervenierenden Maßnahmen erlauben.14 Das damit angesprochen Konzept des brain based behavioral engineering kann definiert werden als Ansatz, der die Erkenntnisse der consumer neuroscience nutzt, um als problematisch ¨ufer- und Konsumenten-) Verhalten empfundenes (Ka (ggf. mit Hilfe spezifischer Technologien) zu beein¨higen, flussen und den Verbraucher damit zu befa ,,bessere‘‘ Entscheidungen zu treffen. Konkret lassen sich hierzu drei Wirkungsrichtungen unterscheiden. 1.
Remoratoren: Hierbei handelt es sich um bewusste ggf. technisch unterstu ¨ tze Unterbrechungen bzw. Interventionen des Entscheidungsprozesses (z.B. ,,If-than-Strategien‘‘).15 ¨limitationen bzw. Selbstbindungen16: Merk2. Pra mal dieses Instrumentes ist es, dass bereits im Vorfeld der Entscheidung die ,,problematische‘‘ Alternative ausgeschlossen wird (z.B. Verzicht auf Kreditkarten bei Vorliegen einer Kaufsucht17). 3. Consumer supporting systems: Hierbei handelt es sich um Entscheidungsunterstu ¨ tzungssysteme, die dabei helfen, die jeweilige Problematik aufzulo ¨sen (z.B. verhaltensbezogene Assistenzsysteme wie das Rationalizer System fu ¨r Daytrader18). Zu betonen ist an dieser Stelle, dass diese Zusammenstellung einen induktiv-explorativen Charakter hat. Es ist somit davon auszugehen, dass im Zuge weiterer Forschungsarbeiten und Systematisierungen weitere Instrumente identifiziert werden ko ¨ nnen. 4 Ausblick Im Hinblick auf die eingangs gestellte Frage, welchen Beitrag die consumer neuroscience zur 14
Vgl. zum Beispiel im Kontext des impulsiven Kaufverhaltens Hubert et al. (2013). 15 Vgl. hierzu auch Achtziger/Jaudas (2013). 16 Vgl. Ariely/Wertenboch (2002). 17 Vgl. Scherhorn/Reisch/Raab (1990). 18 Vgl. hierzu www.mirrorofemotions.com.
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Weiterentwicklung der Verbraucherwissenschaft und -politik leisten kann, kann das folgende Fazit ¨chst einmal erlaubt der Eingezogen werden. Zuna ¨hnten bildgebenden satz der hier nur sehr kurz erwa Verfahren die Beschreibung der (Neuro)Anatomie eines – aus welchen Gru ¨ nden auch immer – als problematisch empfundenen Verbraucherverhaltens. Darauf aufbauend ist es mo ¨ glich, Ansatzpunkte fu ¨r Interventionen zu entwickeln (z.B. Selbstregulationsstrategien, Selbstbindungen) deren Erfolg dann ¨t und Effizienz zu kontrolhinsichtlich der Effektivita lieren ist. In diesem Bereich liegt noch ein erheblicher Forschungsbedarf, der methodisch sicher nicht nur durch entsprechende Laborexperimente ¨ngig von der gewa ¨hlgedeckt werden kann. Unabha ten Methode sollte jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass dieser Prozess sowie der Einsatz der genannte Interventionen von einer gesellschafts- und verbraucherpolitischen Diskussion und Weiterentwicklung – z.B. im Kontext der oftmals geforderten Evidenzbasierung19 – flankiert werden muss. Denn nur so kann die erfolgskritische gesellschaftliche und individuelle Akzeptanz gewahrt bleiben.
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Vgl. Oehler et al. (2013).
Die Grenzen des ,,rationalen‘‘ Konsumierens developments in consumer behavior. Edward Elgar Publishing, Cheltenham Glos, pp 419–460 Kenning P, Linzmajer M (2011) Consumer neuroscience—an overview of an emerging discipline with implications for consumer policy. J Verbrauch Lebensm 6(1):111–125 Kenning P (2011) Consumer neuroscience und brain based behavioral engineering. In: Freytag M (ed) Verbraucherintelligenz. Kunden in der Welt von morgen, pp 79–93. Frankfurt a. M., F.A.Z. Institut Kenning P, Plassmann H, Ahlert D (2007a) Consumer Neuroscience - Implikationen neurowissenschaftlicher Forschung fu ¨ r das Marketing. Marketing - Zeitschrift fu ¨ r Forschung & Praxis (ZfP) 29(1):57–68 Kenning P, Plassmann H, Ahlert D (2007b) Application of neuroimaging techniques to markting research. Qual Mark Res 10(2):135–152
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Neurowissenschaftliche Konsumentenverhaltensforschung – Wo kann die Hirnforschung helfen? Bernd Weber1,2,3 1
¨tsklinik Bonn, Klinik fu Universita ¨ r Epileptologie, Sigmund-Freud Str. 25, 53127 Bonn 2 ¨t Bonn, Center for Economics and NeuroUniversita science, Nachtigallenweg 86, 53127 Bonn 3 ¨tsklinik Bonn, Life&Brain Center, SigUniversita mund-Freud Str. 25, 53127 Bonn
[email protected] In den letzten Jahren haben sich verschiedene Disziplinen zusammengeschlossen, um menschliches Entscheidungsverhalten gemeinsam zu untersuchen. ¨tze aus der Psychologie, Neurowissenschaft sowie Ansa der experimentellen Wirtschaftsforschung werden unter der Bezeichnung Neuroo ¨konomik zusammengefu ¨ hrt, um gemeinsam Modelle menschlicher Entscheidungsfindung zu generieren (Glimcher 2003). Dabei differenziert sich dieses neue Feld weiter und bildet verschiedene Facetten aus, von denen eine sich ¨ndnis von Verbraucherverhalten gezielt mit dem Versta ¨ftigt (Consumer Neuroscience oder neurowissenbescha schaftliche Konsumentenverhaltensforschung) (Yoon et al. 2012). Ich mo ¨chte in diesem Artikel aufzeigen, dass die Neurowissenschaft und Psychologie auf drei verschiedenen Ebenen in der Konsumentenforschung hilfreich sein kann: i) um basale Prozesse besser zu ver¨nomene zu untersuchen stehen; ii) um Verhaltenspha und iii) um die Vorhersage des Konsumentenverhaltens zu verbessern. Das Versta ¨ndnis basaler kognitiver Prozesse la ¨sst sich auf Konsumentenverhalten anwenden Die Psychologie und Neurowissenschaft bescha¨ftigt sich seit Jahrzehnten mit basalen kognitiven ¨chtnisProzessen, wie Aufmerksamkeit oder Geda funktionen. Empirische Arbeiten in diesen Bereichen ¨t und Beeinhaben unser Wissen um die Komplexita flussbarkeit dieser Prozesse stark erho ¨ ht. Ein ¨chtnis dar. wichtiges Beispiel stellt unser Geda Anhand eines Beispieles mo ¨ chte ich erleuchten, in ¨chtnisprozesse Einwieweit unser Wissen um Geda ¨ndnis von Konsumentenverhalten fluss auf das Versta haben kann. ¨hrend auch heute noch geha ¨uft das Bild eines Wa Festplattenspeichers als Analogon fu ¨ r das menschli¨chtnis herangezogen wird, wissen wir che Geda heute, dass Erinnerungen keineswegs stabil sind. Studien an Tieren konnten zeigen, dass unsere
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¨nderbar Erinnerungen gerade dann instabil und vera ¨chtnis abrufen. sind, wenn wir sie aus unserem Geda Das urspru ¨ ngliche Modell, welches von einem kurzfristigeren (short-term) und einem langfristigen ¨chtnisspeicher (long-term memory) mit einer Geda dazwischen liegenden Konsolidierungsphase ausging, ist einem anderen Modell gewichen. Dieses unterteilt unsere Erinnerungen in inaktive und aktive Erinnerungen. Sobald eine inaktive Erinnerung reaktiviert wird, wird sie ,,labil‘‘ und ¨nderbar und wird erneut abgespeichert (Nader & vera ¨t des Geda ¨chtnisses kann Hardt 2009). Diese Labilita ¨nderten Erinnerungen fu zu subjektiv vera ¨ hren, welche unser Verhalten beeinflussen ko ¨nnen. Dies wurde in einer Studie von Rajagopal und Montgomery im Kontext der Verbraucherforschung untersucht (Rajagopal & Montgomery 2011). Die Autoren konnten zeigen, dass eine Werbeanzeige mit hoher Bildhaftigkeit dazu fu ¨ hrte, dass die Probanden im Vergleich zu einer Textanzeige eher eine ¨chliche Erinnerung an den Nutzen des bewortatsa benen Produktes hatten und diese falsche ¨nderung der ProduktbeErinnerung zu einer Vera wertung fu ¨ hrte. Es gibt zahlreiche weitere Beispiele, welche die Bedeutung basaler kognitiver Funktionen fu ¨ r das Verbraucherverhalten belegen. Eine interdis¨re Zusammenarbeit ist hier essentiell und ziplina kann helfen, Verzerrungen in Verbraucherverhalten besser zu verstehen. Neurowissenschaftliche Methoden zur Untersuchung von Verhaltensmodellen Der wohl gro ¨ßte Anteil der neurowissenschaftlichen Forschung im Bereich des Verbraucherverhaltens ¨ftigt sich mit dem Einsatz bildgebender bescha Methoden, wie der funktionellen Kernspintomographie, um Prozesse hinter Entscheidungsverhalten von Konsumenten sichtbar zu machen. Daraus lassen sich Ableitungen fu ¨ r Verhaltensinterventionen kreieren (s. auch Beitrag von Peter Kenning). Ein Beispiel stellen hier Placeboeffekte im Marketing dar (Shiv et al. 2005). Auszeichnungen von Produkten, z.B. im Bereich von Lebensmittelkennzeichnungen, fu ¨ hren ¨ nderungen der Bewertung und sogar der Effekzu A ¨t von Medizinprodukten (Shiv et al. 2005). Wir tivita haben vor einiger Zeit in einer Studie zeigen ko ¨nnen, dass die Auszeichnung als ,,Bio‘‘-Produkt zu einer ho ¨heren Zahlungsbereitschaft von Nahrungsmitteln fu ¨ hrte und konnten mittels funktioneller Kernspin¨nderung tomographie die zu Grunde liegende Vera von bewertungsrelevanten Hirnregionen zeigen (Linder et al. 2010). Diese erho ¨hte Aktivierung
Die Grenzen des ,,rationalen‘‘ Konsumierens
¨chlichen Kauffrequenz von korrelierte mit der tatsa Bioprodukten der Probanden. Neben diesen belohnungsassoziierten Regionen fanden wir auch eine erho ¨hte Aktivierung in eher kognitiven Arealen des ¨frontalkortex, welcher auch in dorsolateralen Pra anderen Studien einen direkten Einfluss auf belohnungsrelevante Strukturen zeigt, um den ,,Belohnungswert‘‘ von Nahrungsmitteln zu beeinflussen (Hare et al. 2009). Ein anderes Beispiel stellen Finanzentscheidungen und Anlageverhalten dar. Hier hat die neurowissenschaftliche Forschung in den letzten Jahren starke Hinweise fu ¨ r ein duales System identifiziert, welche durch kognitive Kontrolle den akuten Belohnungs¨ltlichen Belohnungen beeinflusst wert von sofort erha (McClure et al. 2004). Das Wissen um die zu Grunde liegenden neurophysiologischen Prozesse kann dabei ¨ufig myopischen helfen, die Verzerrungen und ha Entscheidungen von Anlegern zu verstehen und ¨tze zur Vera ¨nderung dieser Entscheidungen zu Ansa kreieren (Thaler & Benartzi 2004). Nutzen neurowissenschaftlicher Methoden zur Vorhersage von Verhaltensa ¨nderungen ¨ndeDer Einfluss von Kampagnen auf Verhaltensa rungen von Verbrauchern ist ein sehr wichtiges Thema sowohl im Bereich von Marketing von Unternehmen, als auch in der Kommunikation politischer und gesundheitlicher Maßnahmen. In den letzten Jahren wurde in verschiedenen Studien ¨tsmuster gezeigt, dass neurophysiologische Aktivita u ¨ ber die reine Befragung von Probanden hinaus eine Vorhersagekraft fu ¨ r reales Verhalten und ¨nderungen von Verbrauchern haben. Verhaltensa Zwei Studien von Emily Falk und Kollegen setzen funktionelle Kernspintomographie ein, um die Wirkung von Gesundheitskampagnen zu untersuchen. In beiden Studien, einmal in Bezug auf Sonnencremenutzung und einmal im Bereich des Rauchverhaltens, konnte gezeigt werden, dass die Reaktion auf die Kampagnen im Bereich des ventro¨frontalkortex mit der tatsa ¨chlichen medialen Pra ¨nderung korrelierte (Falk et al. 2010, Verhaltensa 2011). Das interessante an diesen Studien war vor Allem, dass die neurophysiologischen Daten eine ¨tzliche Erkla ¨rungskraft zu den Verhaltensdaten zusa
277
zeigten und nicht einfach nur mit diesen korrelierten. Weitere Studien sind hier definitiv no ¨tig, aber es scheint sich zu zeigen, dass neurophysiologische Daten einen Nutzen im Bereich der Verhaltensvorhersage aufweisen ko ¨nnten. Zusammengefasst kann man sagen, dass die Zusammenarbeit der verschiedenen Disziplinen zu ¨ndnis von Verbraucherverhaleinem besseren Versta ten fu ¨ hrte und noch weiter fu ¨ hren wird. Das gemeinsame Ziel sollte es sein, ein Umfeld fu ¨r Verbraucher zu schaffen, in dem sie in ihren Entscheidungen bestmo ¨ glich unterstu ¨ tzt werden.
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123
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Der Gesundheitskonsument Stefan Knecht ¨ventive & Rehabilitative Neurologie, Mauritius Pra ¨t Du Klinik Meerbusch und Universita ¨ sseldorf;
[email protected] Das Konzept des Patienten und das Konzept des ¨ngen zusammen. Konsumenten Konsumenten ha sind – wie auch zunehmend in der Verbraucherpolitik beru ¨ cksichtigt – keine homines oeconomici und ¨hrdet, Entscheidungen mit gesundheitsdaher gefa ¨dlichen Folgen zu treffen (Kenning und Reisch scha ¨den eingetre2013; Lucis 2013). Sind Gesundheitsscha ten, wird definitorisch aus dem Konsumenten ein Patient. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass ihn dies zu einem homo oeconomicus macht. Gleichwohl unterstellt das medizinische System eben dieses – ¨mlich einen hineichend informierbaren, konsisna tent im Eigeninteresse und verzerrungsfrei entscheidenden Akteur. In der Vergangenheit herrschten durch plo ¨tzliche ¨ußere Ursachen, vor allem durch Infektionen und a Verletzungen bedingte Erkrankungen von begrenzter Dauer vor. Hier begaben sich Patienten in die Hand des Arztes und folgten seinen Anweisungen. Diese Verantwortungsdelegation und Folgsamkeit waren Ausdruck einer rationalen, eigeninteressierten und ergebnisoptimierten Entscheidung angesichts ¨gt das begrenzter Ressourcen. Dieses Modell pra ¨ rzten, Patienten und medizinischen Denken von A ¨ger (Knecht Institutionen einschließlich der Kostentra 2009). Mittlerweile dominieren jedoch sich langsam entwickelnde, chronische Erkrankungen des Herzkreislauf- und Stoffwechselsystems wie Schlaganfall, Herzinfarkt und Diabetes. Wesentliche Ursachen dieser Erkrankungen sind Konsum- und Verhaltens¨lfte aller vorzeitigen stile, die fu ¨r u ¨ ber die Ha ¨lle verantwortlich sind (Khaw et al. 2008) Todesfa (Kulshreshtha et al. 2013) (Tab. 1). Auf Verhinderung ¨ rzte noch dieser Krankheiten sind bisher weder A Patienten hinreichend eingestellt. Wie schwer das Umdenken von voru ¨ bergehenden zu chronischen Erkrankungen ist, zeigt sich bei der Medikamenteneinnahme: Selbst bei einem so irreversiblen Problem wie Bluthochdruck nimmt innerhalb des ersten Jahres nach Behandlungsbeginn fast jeder zweite Patient seine Medikamente nicht weiter (Vrijens et al. 2008). ¨vention von Krankheit muss vor dem Die Pra Stadium des Patienten, also im Stadium des Konsu¨t und menten einsetzen. Der Appell an Rationalita damit Mu ¨ ndigkeit du ¨ rfte dabei nicht ausreichen, wie
123
Die Grenzen des ,,rationalen‘‘ Konsumierens ¨ngeren Tab. 1 Konsum- und Verhaltensstil, der mit einem la und gesu ¨ nderen Leben von im Mittel u ¨ ber 15 Jahren assoziiert ist 1. Tabakverzicht 2. Alkoholbegrenzung (\1 Drink fu ¨r Frauen und \2 Drinks fu ¨r Ma ¨nner/Tag) 3. Kalorisch angemessene Erna ¨hrung (\BMI 30 (Kilogramm/ Gro ¨ ße zum Quadrat) 4. Gemu ¨se- und obstreiche Erna ¨hrung ([5 Portionen/Tag) 5. Ko ¨rperliche Aktivita ¨t ([30 Minuten zu ¨giges Gehen an 5 von 7 Tagen) 6. Regelma ¨ßige und dauerhafte Medikamenteneinnahme bei Bluthochdruck oder Blutzuckererho ¨ hung
die Diskussionen u ¨ ber den rationalen Konsumenten gezeigt haben (Oehler und Reisch 2008). Die Her¨mlich ausforderung ist von ganz neuer Art, na ¨hrdet Konsumenten dort zu begegnen, wo sie gefa ¨t sind. Dies ist die Ebene der begrenzten Rationalita und der Entscheidungsverzerrungen. Diese Ebene wird erfolgreich u. a von der Werbung bedient. Das ¨chen mag paternalistisch und Zielen auf diese Schwa manipulativ klingen, ist es aber wahrscheinlich nicht, weil Konsumenten wie Patienten an ihrer Gesundheit und Lebenserwartung interessiert sind, nur an der Umsetzung dieser langfristigen Ziele in kurzfristiges Handeln scheitern (Borland et al. 2012). ¨rung und Daher sollten sich Gesundheitsaufkla ¨vention die Mittel der erfolgreichen, Krankheitspra betrieblichen Kommunikation in der Konsumwelt ¨tze: zunutze machen. Hierzu gibt es bereits Ansa 1.
Information wird sowohl gegenu ¨ ber Patienten wie Konsumenten eingesetzt. Allerdings ist Information im medizinischen Setting bisher noch weitestgehend ¨uterung komplexer Sachverauf die einmalige Erla ¨ bersetzung von halte begrenzt, gewissermaßen der U Fachexpertise in Laiensprache. In der Konsumwelt ist ¨ufig Information schlagwortartig aufbereitet und ha durch umfassende Marktforschung auf Wirksamkeit ¨tzlich wird sie meist multimodal eingepru ¨ ft. Zusa gebettet und maximal wiederholt, um so einen ¨cheffizienten Lernprozess bei potentiellen und tatsa lichen Konsumenten zu bewirken. ¨ngiges Mittel in den Konsum2. Regulation ist ga welt etwa in der Form von Besteuerung von Alkohol, Tabak oder seit kurzem gesu ¨ ßten ¨nken in Mexiko (Boseley 2014). Dies zielt Getra bereits auf Krankheitsvorbeugung ab. Es gibt mittlerweile aber auch Beispiele bonifizierender Regulation zur Gesundheitsfo ¨ rderung wie etwa die finanzielle Belohnung der Teilnahme
Die Grenzen des ,,rationalen‘‘ Konsumierens
an Gesundheitsprogrammen (Forget 2013). ¨rer Anreize Auch wenn die Wirkung moneta ¨cher ist als die intrinsische auf Dauer schwa Motivation, zeigen betriebliche Bonus- und ¨tze Erfolge Rabattprogramme, dass diese Ansa erzielen ko ¨ nnen. 3. Erleichterungstechniken haben einen hohen Stellenwert in der Konsumwelt, wie erfolgrei¨tze des ‘‘Solution selling’’ zeigen, die che Ansa ausgehend von komplexen Konsumproblemen des Kunden angebotsseitige Lo ¨ sungen als Netzwerk konzipieren (Bosworth 2004). Diese Philosophie ist der Medizin noch fremd, weil Interesse und Verantwortung dem Patienten ¨ hrend Leistungen nur restrikzugeordnet, wa tiv erbracht werden. Dies fu ¨ hrt u. a. dazu, dass Patienten zur Bluthochdruckbehandlung ¨ßig ihren Arzt aufsuchen, sich ein regelma neues Rezept ausstellen lassen und dann zur Apotheke bringen mu ¨ ssen, statt dass Medika¨ßig nach Hause geliefert mente regelma werden. Dies ist ein weiterer Grund fu ¨ r die schlechte Kontrolle chronischer Erkrankungen (Lee et al. 2006). 4. Werbung fo ¨ rdert Konsum, indem sie Verbraucher u ¨ ber Mo ¨ glichkeiten der Befriedigung manifester oder latenter Bedu ¨ rfnisse informiert ¨hnlicher oder auch Bedu ¨ rfnisse weckt. In a Weise kann Werbung auch Medikamenteneinnahme fo ¨ rdern, wie Neuseeland und USA zeigen. Dort ist direkt an Patienten gerichtete Medikamentenwerbung erlaubt. Notwendig ¨re allerdings ein intelligenterer Reglungswa ¨ndern, wo vor rahmen als in den genannten La ¨chtige Neupra ¨parate in der allem margetra Markteinfu ¨ hrungsphase beworben werden (Wang and Kesselheim 2013). ¨ berlappungen der Diese Beispiele belegen U Konzepte Konsument und Patient. Sie zeigen gleichzeitig die bisher nicht ausgescho ¨ pften Mo ¨ glichkeiten, Menschen bei der Befriedigung ihres Bedu ¨ rfnisses nach Krankheitsvermeidung zu helfen. ¨hrend sich das Denken langsam wandelt und Wa ¨ren, Techniken aus dem Marketing transferierbar wa scheitern Fortschritte jedoch noch an unseren Institutionen. Bisher existiert keine Einrichtung, die systematisch medizinisches Wissen in die Sprache
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und die Mechanismen der Konsumwelt u ¨ bersetzt und so Gesundheitsfazilitierung vermarktet. Mit passenden Rahmenbedingungen ko ¨nnte sie durchaus u ¨ ber ihren Erfolg organisiert und finanziert werden. Leider sind unsere derzeitigen Gesundheitsinstitutionen noch im Wesentlichen u ¨ ber Erkrankungen organisiert und finanziert – also u ¨ ber den Misserfolg.
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280
Compulsive buying: an increasing problem? Investigating and comparing trends in Germany and Denmark, 2010–2012 Mirja Hubert, Marco Hubert, Wencke Gwozdz, Gerhard Raab and Lucia A. Reisch,
[email protected] 1 Introduction Compulsive buying behavior has been attracting the interest of consumer researchers, psychiatrists, politicians and public media for more than a century (Neuner et al. 2005; Black 2007; Mueller et al. 2010). The terms ‘‘compulsive buying’’, ‘‘addictive buying’’, or ‘‘pathological buying’’ are used interchangeably and are defined as repeated episodes of extensive buying that cannot be controlled, and which are followed by feelings of guilt. This behavior has negative effects on personal relationships, and frequently causes distress and high levels of debt (O’Guinn & Faber 1989; Black 2007; Mueller et al. 2010). During the last decade, compulsive buying has become a severe societal problem in Western societies. Several studies indicate that the prevalence of compulsive buying has reached levels of 5 % to as much as 9 % of the population, with range variations based on country and sample (Kollmann & Kautsch 2001; Koran et al. 2006; Mueller et al. 2010; Mueller & de Zwaan 2010; Neuner et al. 2005; Steiger & Mu ¨ ller 2010; Otero-Lo ´ pez & Villardefrancos 2014). Against this background, we present first insights from a 3-year study of the prevalence of compulsive buying tendencies in Germany and Denmark in order to answer the following questions: Q1) Is compulsive buying a generalizable phenomenon with similar developments regarding age and gender in Germany and Denmark? With respect to age, studies show that compulsive buying is a phenomenon that often affects younger people (Neuner et al. 2008; Kollmann & Kautsch 2011; Otero-Lo ´pez & Villardefrancos 2014). If compulsive buying is a generalizable phenomenon, we expect to find comparable relations between age and the tendency to buy compulsively in Germany and Denmark: H1a: Age is negatively correlated with the tendency to buy compulsively in Germany and Denmark. With regard to gender, the current state of research is rather heterogeneous. Some studies found explicit gender differences, with women showing stronger tendencies toward compulsive buying than
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men (Scherhorn et al. 1990; Faber & O’Guinn 1992; Mc Elroy et al. 1994; Reisch et al. 2004; Otero-Lo ´pez & Villardefrancos 2014). But these differences could also be attributed to methodological artifacts (Reisch & Neuner 2002). This assumption is supported by other research that did not reveal gender differences in the samples (Koran et al. 2006; Mueller et al. 2010). If we assume that compulsive buying is a generalizable phenomenon, we also expect to find comparable relationships between gender and compulsive buying tendencies: H1b: Significant gender differences are evident with regard to compulsive-buying tendencies. Though women show stronger compulsive buying tendencies, men are also affected. Q2) Is compulsive buying an increasing problem in Germany and Denmark? Studies show that compulsive buying is an increasingly prevalent problem in Western societies (Neuner et al. 2005; Otero-Lo ´pez & Villardefrancos 2014). In the last years, the rapid development of the consumer culture had a substantial impact on shopping behaviors. For example, the trend toward shopping online is steadily increasing—in 2005 only 25 % ordered merchandise through the Internet, but by 2012 more than 42.3 % regularly purchased online (www.statista.com). Furthermore, studies show that many online purchases are impulse buys, indicating that people were more tempted to purchase in the Internet (Madhavaram & Laverie 2004; Dittmar et al. 2007; Sundstro ¨m et al. 2013). H2: In Germany and Denmark, the tendency to buy compulsively has increased from 2010 to 2012. Q3) Do consumers in Germany and Denmark show differences regarding compulsive buying tendencies? We selected Denmark as country for comparison because no studies have been carried out with regard to the prevalence of compulsive buying tendencies in the Danish population. As well, Germany and Denmark have a similar standard of living and sociodemographic profile, making them appropriate samples populations for comparison. Referring to our hypotheses (H1–H2), we expect differences in the number of people with compulsive buying tendencies between the two countries, but we also assume that compulsive buying is a generalizable problem with similar developments with regard to age, gender, and trend: H3: There are differences in the number of people with compulsive buying tendencies in Germany and Denmark, but no differences with regard to age, gender, and trend.
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2 The study 2.1 Sample
Table 1 Sample characteristics Germany
Denmark
Year
2010
2011
2012
2010
2011
2012
N
992
946
972
1,015
1,100
964
MAge
46.05
48.96
49.17
51.63
43.57
45.13
SDAge
16.85
17.54
18.07 13.92
15.68
16.02
Gender 52.1/47.9 55.4/44.6 55/45 54.6/45.4 55.1/44.9 50/50 (f/m in %) Overall N = 5,989, Mage = 47.35, SDage = 16.601 f/m: 53.7/44.3 f female, m male
The samples were representative by age, gender, region, and education for the given year. 2.2 Methodology We applied the German Addictive Buying Scale (GABS) (Raab et al. 2005; Scherhorn et al. 1990), for measuring compensatory and compulsive buying behavior. The method allowed us to distinguish between ‘‘inconspicuous’’, ‘‘compensatory’’ and ‘‘compulsive’’ buying on the basis of threshold values. Results of the 16 items were compiled (a = 0.916 with N = 5,989; AVE = 45.101), leading to a composite score (GABS score) ranging from 16 to 64 points. To assess the categories of compulsive buying tendencies, we used the criteria suggested in Raab et al. (2005): consumers who score between 36 and 44 points are referred to as compensatory buyers, individuals with scores higher than 44 points as compulsive buyers, and scores below 36 points imply inconspicuous buying behavior. Additionally, we asked socio-demographic questions and spendingrelated questions. 2.3 Results First, with regard to the interrelation of age and GABS score (H1a), we found a highly significant correlation (r = -0.241, p \ 0.001; rGER = -0.178, p \ 0.001; rDK = -0.330, p \ 0.001). This significant relationship between age and tendency toward compulsive buying were the impetus for using age as the control and correction variable for further analysis.
Second, with regard to country, gender and differences between the years of data acquisition we used a univariate analysis of variance with the GABS score as the dependent variable. Country (GER, DK), gender (male, female), and year (2010, 2011, 2012) were included as independent factors and age as covariate. We found significant main effects for country [F (1, 5952) = 20.47, p \ 0.001], for gender [F (1, 5952) = 131.21, p \ 0.001], for year [F (2, 5952) = 24.71, p \ 0.001, corrected post-hoc tests revealed a significant effect for the 2010–2012 and 2011–2012 development], and for age [F (1, 5952) = 338.24, p \ 0.001]. However, we found no interaction effects between country*gender [F (1, 5952) = 0.02, p = 0.884], between country*year [F (2, 5952) = 1.96, p = 0.142], between gender*year [F (2, 5952) = 0.56, p = 0.571], and between country*gender*year [F (1, 5952) = 0.89, p = 0.408] (Fig. 1). Third, with regard to the categories of conspicuous buying tendencies (compensatory, compulsive), we also identified significant changes of the group compositions (in %) for the compensatory group in Germany [V2 (2, 344) = 5,940, p = .051] and for the compulsive group in Denmark [V2 (2, 139) = 6,995, p = .030]. Furthermore, within the compensatory group of both countries, we observed significant changes in the group compositions (in %) for female participants [V2 (2, 446) = 9,171, p = .010] and for male participants [V2 (2, 217) = 6,301, p = .043) (Fig. 2). 3 Discussion In this article we present first results from a longterm study that investigated compulsive buying tendencies over 3 years (2010–2012) in German and Danish societies. In a first analysis we focused on three main questions. With regard to Q1, we analyzed age and genderspecific developments of compulsive buying tendencies in Germany and Denmark. According to our hypothesis and in line with previous research, we found a negative correlation between age and compulsive buying tendencies in both countries. It follows that the younger the people are, the stronger their tendencies toward compulsive buying will be (H1a). The data analysis also confirmed H1b: gender differences are evident in compulsive buying tendencies in Germany and Denmark. In accord with previous research (Neuner et al. 2008; Kollmann & Kautsch 2011; Otero-Lo ´pez & Villardefrancos 2014), we also found that, in both countries, women exhibit
123
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Fig. 1 Results based on the GABS score for gender and trend in GER and DK
Fig. 2 Group development (2010–2012) in % for GER (above) and DK (below)
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significantly stronger compulsive buying tendencies than men do. However, we found that compulsive buying is a phenomenon that also affects men: Even though women show a greater tendency toward compulsive buying (average GABS score GER 28.83, DK 27.71) as compared to men (average GABS score GER 26.05, DK 24.99), the data provide evidence that compulsive buying is also a relevant problem for men also. This outcome is especially true for Germany, where there was no significant difference between the compulsive female group (9.7 %) and the compulsive male group (7.5 %). In contrast, we found greater differences between women and men in the compulsive group in the Danish sample (female 6.8 % and male 1.9 %). Another notable result of the study is the explicit increased share of women belonging to the compensatory group in Germany from 2011 to 2012 (Fig. 2). Further research is needed to investigate how this growth can be explained. With respect to Q2, we analyzed whether compulsive buying tendencies in German and Danish societies increased over the 3-year period of the study. Our data reveal that the average GABS score increased significantly [GER: from 26.44 (2010) to 28.89 (2012), DK: from 25.99 (2010) to 27.29 (2012)]. With regard to group composition, we also found a shift toward shopping behavior that is more conspicuous, with significant growth in the compulsive group [GER: from 6.9 % (2010) to 10.4 % (2012), DK: from 4.0 % (2010) to 5.1 % (2012)] and in the compensatory group [GER: from 10.9 % (2010) to 14.7 % (2012), DK: from 8.0 % (2010) to 11.9 % (2012)]. This effect was detectable for women and for men in both groups. These results may reflect a number of factors, including new shopping possibilities due to online shopping, buying in order to bolster self-identity and individualism, and shopping as a way to spend leisure time (Dittmar et al. 2007). However, these causes are only speculative, and further research should be conducted to investigate the specific reasons. With regard to Q3, we concentrated on countryspecific differences between Germany and Denmark. We found that in both countries the tendencies developed similarly with regard to age, gender, and trend. However, the mean GABS score between both countries is significantly higher in Germany than in Denmark [GER: 27.44 (GABS score)/8.7 % (compulsive group), DK: 26.35 (GABS score)/4.5 % (compulsive group)]. Thus, in Germany compulsive buying is an even more serious problem than in Denmark.
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From the results of this 3-year study, we are able to conclude that compulsive buying is, unquestionably, an increasing problem, particularly in Germany, where a high percentage of the population shows strong tendencies toward shopping compulsively. Though women evidence a far greater tendency for this behavior, the 3-year data reveal that increasing numbers of men—in both countries—show a propensity toward compulsive buying. The number of people affected in Germany and in Denmark differs, but with regard to age, gender, and trend we find that tendencies show far more similarity in a cross-national perspective. We can thereby conclude that compulsive buying truly is a generalizable phenomenon. Having identified both the seriousness of the problem and the feasibility of broader research, we use our first study to emphasize the need for further investigation of compulsive buying behavior as a cross-national concern.
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Die Grenzen des ,,rationalen‘‘ Konsumierens
Eine notwendige Neudimensionierung im Verbraucherversta ¨ndnis – o ¨ sterreichische Erfahrungen Karl Kollmann Verbraucherrat - Austrian Standards Institute, Heinestraße 38, 1020 Wien,
[email protected] ¨ konomie und ebenso Die Unzufriedenheit mit der O mit der Verbraucherforschung ist greifbar. Beiden gemeinsam sind der oft zu enge und damit kurze Blick auf ihre Objekte (die Menschen und ihre kulturell geschaffenen Organisationen und Strukturen) und der wenig kritische Umgang mit den gesellschaftlichen Einbettungen, in welchen sich diese Objekte und die Politik insgesamt bewegen. Es ließe sich aber anders machen. Unzureichendes Verbraucherversta ¨ndnis in Forschung und Politik In der Verbraucherforschung wie in der Verbraucherpolitik haben sich Leitbilder und implizierte Verbrauchermodelle vereinfacht.20 In der Verbraucherpolitik wird ein Subjekt angesprochen, das zugleich Opfer und Nachhaltigkeitsakteur sein soll, in der Verbraucherforschung wird dieses Subjekt auf seine Marktentnahmefunktion reduziert, Forschung selbst wird als Struktur der empirisch-quantitativen Evidenzbasierung fu ¨ r die Verbraucherpolitik verstanden. Dazu kommt, dass insbesondere die Verbraucherpolitik mit einfachen, privat generierten und mit dem Hausverstand abgeleiteten ,,Commonsense-Verbraucherbildern‘‘ u ¨ berschwemmt wird, wenn die Rechts- und Naturwissenschaften Verbraucherfragen abhandeln. ¨chlich gibt es alltagsada ¨quate InterpretatioTatsa nen des Verbrauchers in der Soziologie und in den Kulturwissenschaften, die allerdings – Drama mono¨ren Denkens – nicht in die Verbraudisziplina cherforschung Einzug finden.21 Gemeinsam ist jenen 20
Fragen wie diese standen im Zentrum der Diskussion um die Verbraucherforschung im Jahr 2012 im Journal fu ¨ r Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (JVL). Vgl.: Andreas Oehler, Lucia A. Reisch: Sie lebt! Zur Verbraucherforschung im deutschsprachigen Raum: Eine empirische Analyse, in: JVL 2/2012. Michael-Burkhard Piorkowsky: Ja, sie lebt – ¨doyer fu ¨ndaber…! Pla ¨ r ein ganzheitliches Verbraucherversta ¨nkt - statt nis, in: JVL 4/2012. Karl Kollmann: Eingeschra ¨chtigt. Ein erga ¨nzender Beitrag zur Diskussion, inwieweit erma die aktuelle Verbraucherforschung nun wirklich lebt. in: JVL 4/ ¨mpfe. 2012. Christian Balla, Klaus Mu ¨ ller: Tote haben keine Ka Anmerkungen zur Debatte u ¨ ber den Zustand der Verbraucherforschung, in: JVL 1 + 2/2013.
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der Blick auf einen mehrdimensionalen Verbraucher: auf den Menschen als individuelles, mehr oder weniger stimmiges ,,Aggregat‘‘ aus Lebewesen, sozi¨tigen, Verbraucher, alem Wesen, Bu ¨ rger, Erwerbsta Eigenproduzenten und Technikverwender. ¨lt Konsum das Spektrum zuru Damit erha ¨ ck, das er ¨tkaheute im Alltag des wohlhabenden Teils der spa pitalistischen Menschheit hat: zwar immer wieder auch Bedarfsdeckung und Bedu ¨ rfnisbefriedigung, aber zusehends o ¨ fter Convenience, Baustein fu ¨r perso ¨nliche Zufriedenheit, Substitut von Haushaltsproduktion, soziales Anerkennungs-Mittel, kompensatorisch-individuelles Ersatz-Mittel, MachtMittel, Kommunikations-Mittel, Stoff fu ¨ r perso ¨nliche ¨t und Element privater Sinngebung. Identita Konsum als Anerkennungs- oder Kommunikationsmittel wird seit geraumer Zeit von vielen Bevo ¨lkerungsgruppen genutzt, in der ,,leisure class‘‘ war das schon lange vorher da22: ,,Mode hat mich schon immer fasziniert, in meiner Jugend war sie identita ¨tsstiftend. Damals gab es nur Rocker, Popper, Mods, Punks und Normalos. An der Kleidung war bereits zu erkennen, welcher Gruppe jemand angeho ¨rt, welche Weltanschauung man hatte.‘‘23 Dazu kommt, dass Menschen mehrheitlich (noch) in Mehrpersonenhaushalten leben und deshalb Kaufak¨ten, neben den erwa ¨hnten vieldimensionalen tivita perso ¨nlichen Motiven, oft nur als abgesandt von ihren Haushaltsmitgliedern unternommen werden. Defizite im Verbraucherhandeln Evident ist, dass viele Konsum- und Kaufentscheidungen heute, nimmt man als Richtschnur den halbwegs rational entscheidenden: einen gut infor¨ufig mierten und bedarfs-bewussten Verbraucher, ha weit entfernt davon getroffen werden. Menschen sind durch Werbung, Medien und Bezugsgruppen inspiriert, manipuliert und korrumpiert. Wie bei vielen anderen Entscheidungen ist Konsum oft ¨rbt, zudem ist meist soziale Anerkenemotional gefa nung im Hinterkopf und die Angst, nicht ,,dabei‘‘ zu sein, zu kurz zu kommen. Ein paar Prozent der Verbraucher, etwa ,,test-Leser‘‘, entscheiden bei manchen Dingen, die sie im Fokus haben, wohl 21
Etwa: Jo ¨ rn Lamla: Verbraucherdemokratie, Berlin 2013; (Roland Barthes, Pierre Bordieu, Michael Foucault), bzw.: Yiannis Gabriel, Tim Lang: The Unmanageable Consumer. Contemporary Consumption and its Fragmentation. London, Thousand Oaks, New Dehli 1995. 22 Thorstein B. Veblen: Theorie der feinen Leute, Berlin, Ko ¨ln o. J. (1958). 23 DJ Peter Kruder in: Der Standard, Rondo, 19.3.2014, S. 14.
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rational (im Sinn der Orientierung an Testergebnissen), die u ¨ brigen Verbraucher tun dies anhand weniger Parameter (,,cues‘‘), etwa des Markenimages, mit dem Preis, eigenen oft tru ¨ ben Erfahrungen, der Anmutung der Ware und meist mit der halbbewusst ¨t, welche ja dem gelernten Heuristik: Preis = Qualita ¨re dieses Marktwirtschaftsmodell entspra¨che, wa ¨ndig durch Anbietergestaltung verzerrt. nicht vollsta ¨tzung Hinzu kommt eine enorme Selbstu ¨ berscha der perso ¨nlichen Kenntnisse und Fertigkeiten, die Menschen heute haben. Aktuell, etwa bei Computerkenntnissen: 78 Prozent der Menschen meinen sie haben gute (und sehr gute), dabei haben 75 Prozent schlechte (und sehr schlechte) Kenntnisse.24 Natu ¨ r¨glich gekauften Gu lich ist es bei allta ¨ tern und Dienstleistungen,25 beim Finanzwissen,26 oder beim Autofahren und der Beeinflussung durch Werbung27 nicht anders.28 Basisdefizite ¨ischen Bevo Was der großen Mehrheit der europa ¨lkerungen fehlt, ist das Grundwissen und die Fertigkeit, mit einer von Wirtschaft, Politik, Medien und Gesellschaft gestalteten Wirklichkeit im eigenen ¨quat umzugehen. Zwar ist das UnbeLebensalltag ada hagen der Menschen mit der Gesellschaft inzwischen ¨gt, das belegen politologische Studeutlich ausgepra dien umfassend, aber diese Unzufriedenheit bleibt diffus, das praktische Leben ist weitgehend unberu ¨ hrt davon. Der Stellenwert von Konsum, sowie die 24 ¨ Osterreichische Computer Gesellschaft (OCG) Studie: Com¨ sterreicher, PK 18.3.2014 http:// puter-Grundkenntnisse der O www.ocg.at/sites/ocg.at/files/medien/pdfs/OCG_Computerkenn tnisse_OesterreicherInnen_PK_Pressetext_KURZ_03_2014_FINAL. pdf. 25 ¨uChristine Lu ¨ ftenegger: Das Konsumentenwissen u ¨ ber gela fige Produkte und Dienstleistungen. Diplomarbeit ¨t Wien, Wien 2011. Wirtschaftsuniversita 26 Eldina Halvadzija: Nach 10 Jahren Euro – Wie tun sich die ¨hrung und wie sieht ihr Verbraucher mit der neuen Wa Finanzwissen aus? Diplomarbeit Wirtschaftsuniversita¨t Wien, Wien 2012. 27 Karl Kollmann: Ein ungelo ¨stes Problem der Verbraucherpolitik. Verbraucherleitbild – Wunsch und Wirklichkeit. Diskussionspapier Konsumo ¨ konomie und Konsumo ¨kologie, ¨t Wien, Juli 2012, ftp://ftp.wu.ac.at/wuw/ Wirtschaftsuniversita kollmann/EinungeloestesProblemderVerbraucherpolitik-2012. pdf 28 ¨tzung, a ¨hnlich dem Dunnig-KrugerDiese Selbstu ¨ berscha Effekt ist wohl eine psychische Reaktion auf Informationsu ¨ berlastung, Wettbewerbsdruck und narzißtischer ¨tkapitalistischen, neoliPerso ¨nlichkeitsentwicklung in der spa beralen Postmoderne. Vgl. dazu aus kultureller Perspektive: Pierangelo Maset: Geistessterben. Eine Diagnose. Stuttgart 2010.
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Die Grenzen des ,,rationalen‘‘ Konsumierens
Wu ¨ nsche nach mehr an Konsummo ¨glichkeiten sind ¨gt und werden auch von Politik, umfassend ausgepra ¨ konomie) und Medien, sofern es sich Wissenschaft (O nicht um heterodoxe Minderheitsbeteiligungen handelt, andauernd reproduziert. Perso ¨nliches Glu ¨ ck bleibt heute im wesentlichen definiert durch Konsummo ¨glichkeiten, zureichender Erwerbsarbeit und einer halbwegs zufriedenstellenden Liebes- bzw. fami¨rer Beziehung – genau diese beno lia ¨tigt jedoch meist ¨hige Basis, selten Konsum und Erwerbsarbeit als tragfa kann romantische Liebe fehlendes Geld ersetzen. Sinnvolle Verbraucherfertigkeiten Bereits angesprochen wurden die Defizite bzw. Gegebenheiten beim Verbraucherhandeln. Herko ¨ mmliche Verbraucherbildung versucht, diese Kaufentscheidungen ,,extensiver‘‘ zu machen, die Informationsbasis der Menschen zu erho ¨hen, im Sinne von: ,,guter Konsum ist halt viel vorausgehende ¨tzliche Arbeit‘‘. Eben – Wissenserwerb ist Arbeit, zusa Konsumarbeit in der Freizeit, und die steht einerseits diametral den Versprechungen der Werbung gegenu ¨ ber, die auf das Diktum hinauslaufen: ,,Konsum ist Lust‘‘. Andererseits ist es fu ¨ r die meisten Menschen ein simples Zeitproblem – fu ¨ r Einkaufen ¨glich vom geht ohnedies eine Stunde kalenderta Freizeitbudget drauf, seit Jahrzehnten hat sich hier ¨ndert.29 u ¨ brigens nichts Entscheidendes gea Dazu kommt, dass dort wo Konsumgu ¨ ter Kommunikations-, Anerkennungs-, Zugeho ¨rigkeitsund ¨tsfunktionen haben (vorhin wurde es schon Identita ¨hnt: ,,An der Kleidung war bereits zu erkennen, erwa welcher Gruppe jemand angeho ¨rt, welche Weltanschauung man hatte.‘‘) eine extensive eigene Konsumund Kaufentscheidung ohnedies obsolet wird. Hier ¨ltnisse heißt es nur mehr ,,Hopp oder Tropp‘‘, die Verha sind von den Peer-Groups oder medial-kulturell fremdbestimmt, da wird auf weitergehende Information im Sinne einer Vorab-Dissonanzreduktion besser verzichtet. Statt einem Mehr an warenkundlich/lexikalischem ¨ren fu Wissen wa ¨ r Verbraucher praktizierbare Heuristiken, halbwegs valide Regeln fu ¨ r Entscheidungen, ¨sentes, durch Marketing wohl sinnvoller, und: ein pra nicht u ¨ berspu ¨ lbares Grundwissen, dass Unternehmen in erster Linie auf das Geld der Verbraucher bedacht ¨rkte sind keine Wohlta ¨sind. Unternehmen und Ma tigkeitsveranstaltungen, auch die modernen Staaten sind es nicht. Diese sind am leicht verwalt- und u ¨ berwachbaren Bu ¨ rger interessiert – nur zur 29 ¨ STAT und Folgt man den Zeitbudgeterhebungen von O DESTATIS.
Die Grenzen des ,,rationalen‘‘ Konsumierens
Erinnerung: alle Bu ¨ rgerrechte und Wohlfahrtsstrukturen wurden den politischen Eliten abgetrotzt und nicht den Menschen geschenkt, um das einmal so salopp zu formulieren. Also Basiswirtschafts- und Konsumwissen als ¨tzlicher Startpunkt politischer Bildung, das grundsa auch die Einsicht ermo ¨glicht, dass zwanghafte Bestrebungen nach mehr Konsum (und mehr Einkommen) oberhalb einer (großzu ¨ gig verstandenen) Armutsschwelle in Anbetracht der kurzen Men¨ndnis schenleben trivial sind. So ein Ausgangsversta von Ethik (der Mensch als sterbliches Lebewesen in begrenzter Natur) geho ¨ rt prinzipiell zu den Elementarstrukturen politischer und o ¨konomischer Bildung. Genauso geho ¨rt dazu das Wissen, dass die Men¨higkeiten ha ¨tten, als schen umfassende Handlungsfa ¨tige und Verbraucher. Versorgung Bu ¨ rger, Erwerbsta mit Energie, Wasser, Transport, Wohnen, Freizeit¨sst sich auch kommunal lo mo ¨ glichkeiten usw. la ¨sen, anstatt kommerziell. Ebenso mu ¨ ssten Unternehmen nicht nur kommerziell, sie ko ¨nnen auch sozialo ¨konomisch konstruiert sein.30 Was nun? Fu ¨ r diese Einsichten braucht es nur einen Blick u ¨ ber ¨ konomie hinaus in andere Disziplinen, die die O ¨t vielleicht etwas besser beherrMehrdimensionalita schen. Eine Alternative bietet sich noch an: in die Urspru ¨ nge der oikonomia, der Hauswirtschaftslehre zuru ¨ ckzugehen und Aristoteles neu zu lesen. Was ko ¨ nnte sich aus dieser kleinen Skizze einer multidimensionalen und komplexen Konsumlandschaft fu ¨ r die verbraucherorientierten Arbeitsfelder ableiten lassen? Eine Neu- oder Reorientierung – das jedenfalls. Neuorientierte Verbraucherbildung Eine neuorientierte Verbraucherbildung wu ¨ rde sich ¨ufers beschra ¨nken, nicht nur auf die Rolle des Ka sondern den Menschen als Verbraucher ganzheitlich zu denken und zu verstehen suchen, also so, wie Menschen eben in ihrem Alltagsleben reagieren und ¨re auch Wirtschaftsbildung und handeln. Sie wa soziale wie politische Bildung – heute wird dies weitgehend isoliert voneinander und fu ¨ r ein hand¨ndnis lungsorientiertes Bildungsversta folgenlos abgehandelt.
30
¨ konomie. Wien 2012. Christian Felber: Die Gemeinwohl-O
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Neuorientierte Verbraucherpolitik Eine neuorientierte Verbraucherpolitik wu ¨ rde sich ¨chlich auf Verbraucherrechtspolitik nicht nur hauptsa ¨nken, sondern sich und Marktinformation beschra auch als gesellschaftspolitischen Akteur begreifen. ¨tten ja wirtschaftspolitische, Verbraucherfragen ha marktordnungspolitische31 und sozialpolitische etc. ¨tigen Akteuren auch Reichweiten, die von den dort ta meist nur eindimensional verstanden werden. Bleibt ¨tig, weist man sich selbst bloß eine man hier unta Reparaturfunktion zu. Dieser gesellschaftspolitische Anspruch ist u ¨ brigens nicht neu, er hat das deutsche ¨ndnis in den 1970er und verbraucherpolitische Versta ¨gt. 1980er Jahren gepra Neuorientierte Verbraucherforschung Eine neuorientierte Verbraucherforschung wird vom Betroffenen aus die Konsum- und Alltagswirklichkeit ¨ren und nicht zuletzt auch die beschreiben, erkla Verbraucherpolitik kritisch und beratend ermuntern. Das schließt beim Verbraucherhandeln die bereits ¨hnten, miteinander verflochtenen Lebensbeerwa dingungen (Lebewesen, soziales Wesen, Bu ¨ rger, ¨tiger, Verbraucher und Medienkonsument, Erwerbsta Eigenproduzent und Technikverwender) ein, ebenso wie die Zielvorstellungen, die Menschen haben oder die ihnen abhanden gekommen sind. Natu ¨ rlich muss sie sich dabei von der eindimensionalen Fokussierung auf eine Ausgangsdisziplin freimachen, ein ¨res Versta ¨ndnis entwickeln und auch transdisziplina gesellschaftspolitische Reichweite akzeptieren. Neurowissenschaftliche oder behavioristische Additive bringen hier noch keinen qualitativen Sprung. ¨hnlich wie politische Teil-Felder – Wissenschaft hat – a immer gesellschaftspolitische Relevanz, selbst wenn sie auf diesen Pfad verzichtet, sich mit Auftragsforschung begnu ¨ gt und es bei traditionellen Verwertungskontex¨sst: sie bleibt dann halt sehr genu ten bela ¨ gsam. ¨ ¨t Einen Impuls fu ¨ r jene erwahnte Transdisziplinarita und Sympathie fu ¨ r einen besseren gesellschaftspolitischen Zugang ko ¨nnte u ¨ brigens das auf Initiative von Michael-Burkhard Piorkowsky hin entstandene ,,Bam¨ndnis‘‘ berger Manifest fu ¨ r ein neues Verbraucherversta leisten, das ku ¨ rzlich publiziert wurde.32 31 ¨nkungen oder bei Etwa in Hinblick auf Marketingbeschra der Standardisierung von Dienstleistungen, wenn hier an die ¨ltigen Produktbild- und Tarifdifferenzierungen gedacht vielfa wird. 32 Fridrich C et al. (2014) Bamberger Manifest fu ¨ r ein neues Verbraucherversta¨ndnis. J. Verbr. Lebensm. doi:10.1007/s00003014-0880-1.
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Wettbewerb und Wettbewerbspolitik bei eingeschra ¨nkt rationalem Verbraucherverhalten Justus Haucap,
[email protected] 1 Einleitung: Verhaltenso ¨ konomie und Wettbewerbspolitik Vor mehr als 50 Jahren fu ¨ hrte Herbert Simon das ¨nkten Rationalita ¨t (‘‘bounded Konzept der eingeschra ¨ konomie ein. Wie der Ausdruck rationality’’) in die O ¨ndig irratibereits suggeriert, ist damit nicht vollsta onales Verhalten gemeint, sondern eine begrenzte Form durchaus rationalen Verhaltens. Simon (1957, S. xxiv) zufolge ist davon auszugehen, dass Entschei¨ger zwar intendieren, rational zu handeln, dungstra ihnen dies aber nur in begrenztem Maße gelingt. Die Annahme nur begrenzt rationalen Verhaltens weicht deutlich vom lange Zeit gu ¨ ltigen Paradigma der ¨ konomie ab, der zufolge sich neoklassischen O menschliches Verhalten am besten mit Hilfe der ¨ndiger Rationalita ¨t erkla ¨ren und Annahme vollsta ¨ vorhersagen lasst. Heute ist Simons Idee begrenzter ¨t nicht nur im Mainstream der o Rationalita ¨konomischen Theorie angekommen, o ¨konomische Modelle begrenzt rationalen Verhaltens sind geradezu en vogue. Zu konzedieren ist jedoch, dass die oft verwendete u ¨ bertriebene Fiktion des Homo Oeconomicus – so ¨ndig wie ihn z. B. Kreps (1990, S. 745) als ein vollsta rationales Individuum charakterisiert hat, das die ¨higkeit besitzt, alle u Fa ¨ berhaupt denkbaren Eventu¨ten vorherzusehen und zu bewerten, um aus alita allen mo ¨ glichen Handlungsoptionen dann die beste ¨hlen, und zwar alles im Bruchteil eines zu wa Augenblicks und ohne irgendwelche Kosten – noch nicht einmal in der neoklassischen Mikroo ¨konomie durchgehend verwendet wurde. So stu ¨ tzt sich z. B. die gesamte informationso ¨ konomische und suchtheoretische Literatur, wie sie von Stigler (1961) ¨ndiger begru ¨ ndet wurde, auf die Annahme unvollsta ¨rkten. Auch Coase (1937, 1960, Information auf Ma ¨gen stets davon aus, 1988) ging in all seinen Beitra ¨ten vorherdass es nicht mo ¨glich ist, alle Eventualita zusehen und vertraglich zu regeln, ebenso wie auch ¨ konomen der Chicagoer Schule (z. viele andere O B. Telser 1960). ¨ konomen nun Relativ neu ist jedoch, dass viele O die (kaum zu leugnende) Tatsache anerkennen, dass ¨ssigbaren Teil der es zumindest einen nicht vernachla Verbraucherinnen und Verbraucher gibt, die in ihren Konsumentscheidungen systematischen Verzerrungen unterliegen und dass diese Verzerrungen ggf.
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von Unternehmen ausgenutzt werden ko ¨nnen. Hier geht es nicht einfach nur um das schon lange bekannte Problem asymmetrischer Information (dazu schon Chamberlin 1953; Akerlof 1970), das in Vertragstheorie und Institutioneno ¨ konomik seit langem breit ero ¨ rtert wird (dazu Richter & Furubotn 2010), bei der eine Vertragsseite bessere Informationen u ¨ ber den Vertragsgegenstand hat als die andere. Vielmehr geht ein wachsender Teil der o ¨konomischen Forschung, auch in der Industrie- und Wettbewerbso ¨ konomik, nun davon aus, dass in bestimmten Situationen Verbraucherinnen und ¨ger) Verbraucher (oder auch andere Entscheidungstra durchaus vorhandene, eigentlich unverborgene Informationen systematisch nicht korrekt verarbeiten und immer wieder – gerade auch aus ihrer eigenen Sicht – Fehler zu machen scheinen. Offensichtlich hat dies auch Implikationen fu ¨ r die Wettbewerbspolitik, die schließlich – so zumindest ¨ndnis des sog. ,,More Economic Approach‘‘ das Versta (vgl. z. B. Christiansen & Kerber 2006) – ultimativ dem Verbraucher dienen soll. Hier ist die wettbewerbso ¨konomische Forschung noch am Anfang (vgl. z. B. Haucap 2011), aber schnell wachsend. Ganz allgemein lassen sich zwei Forschungs¨nge unterscheiden, die unterschiedliche Fragen stra von wettbewerbspolitischer Bedeutung behandeln. Zum einen geht es um die naheliegende Frage, welche Implikationen die oftmals so bezeichneten Verhaltensanomalien auf Verhalten von Wettbewerbsakteuren sowie Struktur und Ergebnisse von Wettbewerbsprozessen haben. Wie z. B. Spiegler ¨tzlicher (2006) gezeigt hat, kann der Eintritt zusa Anbieter fu ¨ r Verbraucherinnen und Verbraucher sich ¨tzliche Angebote sogar negativ auswirken, wenn zusa es den Verbrauchern erschweren, die Angebote miteinander zu vergleichen (verwandt auch Piccione & Spiegler 2012; Heidhues & Ko ¨ szegi 2010). In diesem Bereich der verhaltenso ¨konomisch inspirierten Industrieo ¨ konomik gibt es bereits eine ganze Reihe von Forschungsergebnissen (fu ¨ r Surveys siehe z. B. Armstrong 2008; Huck & Zhou 2011 sowie Spiegler ¨ berlegungen 2011 fu ¨ r ein erstes Lehrbuch). Wenige U gibt es jedoch in Bezug auf die Frage, welche Implikationen diese Ergebnisse fu ¨ r die konkrete Wettbewerbspolitik haben und haben sollten. Wie sind unternehmerische Verhaltensweisen gegenu ¨ ber ¨nkt rationalen Verbraucherinnen und eingeschra Verbrauchern zu interpretieren und wie sollten diese wettbewerbspolitisch behandelt werden? Welche Implikationen ergeben sich fu ¨ r die materiellen Regeln des Wettbewerbsrechts, welcher Anpassungsbedarf besteht hier?
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Der zweite sich entwickelnde Forschungsstrang dreht sich um die Frage, welche Implikationen ¨nkt rationales Verhalten und Verhaltenseingeschra anomalien fu ¨ r die prozessualen Regeln des Wettbewerbsrechts haben und haben sollten. Aus¨ berlegungen ist die Einsicht, dass gangspunkt der U ¨nkte Rationalita ¨t und Verhaltensanoeingeschra malien nicht nur bei Verbraucherinnen und Verbrauchern vorzufinden sind, sondern ebenso bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Wettbewerbs- und Regulierungsbeho ¨ rden und auch von Gerichten. Absolut lesenswert sind hier ju ¨ ngere ¨ge von William Kovacic, der selbst von 2006 bis Beitra 2011 der Federal Trade Commission (FTC) in den USA angeho ¨rte und somit eine Innenperspektive auf diese Probleme aufzeigen kann (z. B. Cooper & Kovacic 2012). Dieser zweite Forschungsstrang soll aus Platzgru ¨ nden nicht Thema dieses Kurzbeitrags sein, stattdessen wollen wir im Folgenden anhand von Beispielen illustrieren, welche Implikationen verhaltenso ¨konomische Erkenntnisse fu ¨ r die kartellrechtliche Beurteilung von Unternehmensstrategien haben ko ¨nnen. 2 Wie Preisdifferenzierung zwischen netzinternen und -externen Verbindungen Wettbewerb auf Mobilfunkma ¨rkten beeinflusst ¨nkt Das erste Beispiel, das illustriert, wie eingeschra rationale Verbraucherentscheidungen, Wettbewerbsprozesse beeinflussen ko ¨nnen, kommt aus der ¨ischen MobilMobilfunkbranche. Auf vielen europa ¨rkten mussten Verbraucher fu funkma ¨ r netzinterne ¨che und SMS lange Zeit wesentlich weniger Gespra zahlen als fu ¨ r netzexterne Verbindungen. Diese Preispolitik hat in einer Reihe von Staaten Regulierungs- und Wettbewerbsbeho ¨ rden auf den Plan gerufen, die befu ¨ rchten, dass große Anbieter mit Hilfe dieser Preispolitik kleine Anbieter vom Markt ¨ngen ko verdra ¨nnten. So hat z. B. das Bundeskartellamt diese Praxis en Detail untersucht (das Verfahren ¨ter eingestellt), nachdem KPN, die niederjedoch spa ¨ndische la Konzernmutter von E-Plus, eine Beschwerde dahingehend eingereicht hatte, dass T-Mobile und Vodafone den Markt mit Hilfe dieser Preisdifferenzierung vor Wettbewerb abschotten wu ¨ rden. Das wesentliche Argument besteht darin, dass es fu ¨ r Verbraucher aufgrund der Preisdifferenzierung zwischen netzinternen und -externen Verbindungen attraktiver ist, sich einem großen Netz anzuschließen als einem kleinen, weil bei großen ¨Netzen die gu ¨ nstigen Tarife fu ¨ r netzinterne Gespra ¨ufiger Anwendung finden. che ha
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In der Tat suggeriert die o ¨konomische Standardtheorie, dass die Verbindung von preisinduzierten Netzeffekten und sog. First-Mover-Vorteilen (also eine große Kundenbasis) dazu fu ¨ hren kann, dass Marktmacht ,,gehebelt‘‘ wird (vgl. z. B. Hoernig 2007). Interessanterweise ist es jedoch nicht einfach, diesen ¨rten (vgl. Haucap et al. Verdacht empirisch zu erha 2010). Des Weiteren ist interessant zu beobachten, dass es oftmals gerade neue Wettbewerber waren und eben nicht die etablierten Anbieter, die die Differenzierung zwischen netzinternen und -externen Verbindungen eingefu ¨ hrt haben. Beispiele sind E-Plus selbst in Deutschland, Orange in Norwegen, Digicell ¨ sterreich. in Irland, oder tele.ring in O Um besser zu verstehen, wie Verbraucher auf diese Art der Preisdifferenzierung reagieren, haben Haucap & Heimeshoff (2011) an der Ruhr-Universita¨t Bochum eine Befragung von u ¨ ber 1000 Studierenden vorgenommen, aufbauend auf einer Idee von Bolle & Heimel (2005). Die Studierenden wurden gebeten, einen Mobilfunktarif entweder von Anbieter A oder ¨hlen, so wie in der Tabelle unten Anbieter D auszuwa ¨tzlich wurde den Studierenden angegeben. Zusa ¨utert, dass sie von einer sicheren, nicht fluktuieerla renden Nachfrage von 80 Verbindungsminuten pro Monat ausgehen sollten und dass Anbieter A einen Marktanteil von 40 % habe, Anbieter B 35 %, Anbieter C 15 % und Anbieter D 10 %. Wie aus der Tabelle ersichtlich ist, variieren die Tarife in den Preisen fu ¨r ¨che. Die fu netzinterne und netzexterne Gespra ¨ nfte Spalte in der Tabelle zeigt die hypothetische Rech¨che nungsho ¨he an, wenn die Verteilung der Gespra der Verteilung der Marktanteile folgt. Diese Spalte wurde den Studierenden jedoch nicht gezeigt.
Nr Anbieter Netzinterner Netzexterner Rechnungsho ¨he Gewa ¨hlt Preis Preis von (%) 1 2
A
0,19
0,69
39,20
37
D
0,19
0,59
44,00
63
A
0,29
0,59
37,60
25
D
0,09
0,59
43,20
75
Wie in der letzten Spalte angegeben, hat sich in beiden Szenarien die Mehrheit der befragten Studierenden fu ¨ r den kleineren Anbieter entschieden, dessen Tarif gu ¨ nstiger erscheint, wenn die Verteilung der Marktanteile außer Acht gelassen wird. Nimmt man jedoch an, dass die Wahrscheinlichkeit eines ¨ches bei Anbieter D 90 % betra ¨gt netzexternen Gespra ¨gt), aber nur (da der eigene Marktanteil nur 10 % betra
123
290
60 % bei Anbieter A (da der eigene Marktanteil dort ¨gt), dann wa ¨re Anbieter A immer der 40 % betra gu ¨ nstigere Anbieter. Aus der Psychologie und der experimentellen Wirtschaftsforschung ist weithin bekannt, dass viele Menschen Schwierigkeiten bei Entscheidungsprozessen haben, wenn Wahrscheinlichkeiten eine Rolle spielen. Aus dieser Perspektive ist das Ergebnis nicht besonders u ¨ berraschend. Viele der Befragten gewichten die Wahrscheinlichkeiten von netzinter¨chen ggf. nicht korrekt. nen und -externen Gespra Sofern dies zumindest fu ¨ r eine hinreichend große Zahl von Verbrauchern gilt (es mu ¨ ssen nicht unbedingt alle Verbraucher sein), ergeben sich gewichtige Implikationen fu ¨ r die Wettbewerbspolitik. In diesem Fall sind gu ¨ nstige Preise fu ¨ r netzinterne Verbindungen eher ein teures Marketinginstrument fu ¨ r etablierte Anbieter, da eine Preisreduktion fu ¨r ¨che die Erlo diese Gespra ¨se des Anbieters aus dieser ¨hrend zumindest ein Teil der Quelle kannibalisiert, wa Verbraucher den vollen Umfang der Reduktion nicht erkennt, da sie den niedrigen Preis fu ¨ r netzinterne ¨che nicht mit der ada ¨quaten WahrscheinlichGespra keit gewichten (welche bei einem großen Anbieter tendenziell relativ hoch ist). Im Gegensatz dazu sind ¨ßigungen fu fu ¨ r kleine Anbieter Erma ¨ r netzinterne ¨che relativ gu Gespra ¨ nstig, da die Verbraucher die ¨che tendenWahrscheinlichkeit netzinterner Gespra ¨tzen. In diesem Fall ko ziell u ¨ berscha ¨nnten ¨ßigungen fu ¨che auch ein Erma ¨ r netzinterne Gespra Instrument zum Markteintritt sein und nicht unbedingt eine Markteintrittsbarriere, sodass sich eine ¨ndig andere Bewertung dieser Preispolitik aus vollsta wettbewerbso ¨konomischer Sicht ergeben wu ¨ rde. Eine detaillierte Beschreibung des o. g. Experiments findet sich bei Haucap & Heimeshoff (2011), experimentelle Evidenz in diese Richtung bei Grimm et al. (2014) und empirische Evidenz bei Zucchini et al. (2013). 3 Weitere Beispiele: Preisgestaltung im Lebensmitteleinzelhandel und Werbekartelle Aus der Marketingforschung ist schon lange bekannt, dass sich Verbraucherinnen und Verbraucher nur einen kleinen Teil der Preise merken ko ¨nnen (vgl. z. B. Evanschitzky et al. 2004). Konsequenterweise ist dann zu erwarten, dass sich der Preiswettbewerb insbesondere auf die Preise konzentriert, die sich viele Verbraucherinnen und Verbraucher besonders gut merken. Dies du ¨ rften vor allem schnell drehende Verbrauchsgu ¨ ter sein wie z. B. Milch oder Kaffee, die ¨sst sich viele Kunden sehr oft kaufen. Theoretisch la
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schnell zeigen, dass aufgrund der Neigung vieler Verbraucherinnen und Verbraucher nicht einzelne Lebensmittel zu kaufen, sondern ganze Warenko ¨ rbe (anhand von Einkaufszetteln) eigentlich unzusam¨ngende menha Produkte, eine negative ¨t zueinander entfalten: Steigt der Kreuzpreiselastizita Preis fu ¨ r Milch in einem Supermarkt, kaufen die Verbraucherinnen und Verbraucher dort nicht nur weniger Milch, sondern auch weniger andere Pro¨ren. In dukte, die sonst im Warenkorb gelandet wa solchen Situationen wiederum ko ¨nnen Verkaufspreise unterhalb der Einstandspreise vo ¨llig natu ¨ rliches Wettbewerbsverhalten widerspiegeln ¨llen ein Zeichen und du ¨ rften nur in Ausnahmefa ¨ngungsstrategien sein. Das antikompetitiver Verdra in Deutschland geltende Verbot des Verkaufs unter Einstandspreisen nach §20 Abs. 4 GWB ist dann eher wettbewerbshemmend als -fo ¨rdernd, ebenso wie ein simpler Vergleich der unterschiedlichen Margen bei schnell und langsam drehenden Produkten irrefu ¨ hrend ist (vgl. dazu auch Monopolkommission 2007). Aus Platzgru ¨ nden weitgehend entfallen soll hier die vertiefte Diskussion u ¨ ber unterschiedliche Wir¨hnt kungen verschiedener Werbeformen. Kurz erwa sei lediglich, dass Absprachen im Bereich der Werbung fu ¨ r die Verbraucher durchaus positiv wirken ko ¨ nnen, wenn (a) Verbraucherinnen und Verbraucher nur begrenzte Aufmerksamkeitsspannen haben und sich ein großer Teil der Werbung neutralisiert oder (b) Werbung von Verbraucherinnen und Verbrauchern als sto ¨rend empfunden wird (vgl. z. B. Dewenter et al. 2011). 4 Fazit Die Verhaltenso ¨konomie stellt die Wettbewerbspolitik vor neue Herausforderungen. Der Großteil der Analyse konzentriert sich bisher auf die Analyse des ¨nkt rationalen) Verbraucherverhaltens und (beschra untersucht, welche Implikationen dies fu ¨ r unternehmerische Strategien hat. Welche Implikationen dies fu ¨ r die konkrete, praktische Wettbewerbspolitik hat, welchen Anpassungsbedarf es ggf. bei den materiellen Regeln des Wettbewerbsrechts gibt, ist bisher noch zu wenig beleuchtet. Klar ist jedoch, dass sich zum einen aus der Beurteilung unternehmerischer Strategien (anhand der Auswirkungen), zum anderen aus der Beurteilung von Markteintritt und auch Absprachen Folgen fu ¨r eine optimale, am Verbraucher ausgerichtete Wettbewerbspolitik ergeben. Wenige Analysen existieren bisher zu eingeschra¨nkt rationalem Verhalten in den Kartell- und Regulierungsbeho ¨rden sowie Gerichten selbst und
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mo ¨ gliche Implikationen fu ¨ r die Verfahrensregeln bzw. deren Governance Structure, z. B. zum Zusam¨nden und menwirken von Verbraucherschutzverba Wettbewerbsbeho ¨ rden. Hier ist erheblicher weiterer Forschungsbedarf.
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Pla ¨doyer fu ¨ r einen pragmatischen Rationalita ¨tsbegriff zwischen heroischer Vernunft und Tautologie Marco Lehmann-Waffenschmidt ¨t Dresden, Fakulta ¨t Technische Universita schaftswissenschaften, 01062 Dresden,
[email protected]
Wirt-
1 Einleitung Fragt man danach, wieso das rational entscheidende und handelnde Subjekt das Grundelement der Wirtschaftswissenschaft darstellt, liegt die Standard¨nde man sich Antwort auf der Hand: Sonst befa außerhalb des wirtschaftswissenschaftlichen Gegenstandsbereichs – z. B. in der (Sozial)Psychologie, der Biologie, der Mikro- oder Makrosoziologie oder gar in der Philosophie. Aber wann entscheidet denn ein Subjekt rational? Die naheliegende Antwort lautet: Das ist in einer Theorie oder einem Modell jeweils definiert – oder wird dem homo-oeconomicus-Leit¨ndigkeit, bild folgend implizit mitverstanden. Vollsta ¨t und Transitivita ¨t der subjektiven Pra ¨feReflexivita renzordnung oder das Gewinnmaximierungsprinzip sind Standardbeispiele dafu ¨ r. Der Beitrag ko ¨ nnte an dieser Stelle bereits zu Ende sein, wenn nicht mindestens zwei wesentliche Fragen auftauchen wu ¨ rden: 1.
Woher kommt die jeweilige Definition von Rati¨t in einer Theorie oder einem Modell? onalita 2. Gewinnt man so einen naturalistischen Zugang zum Gegenstandsbereich der Wirtschaftswissenschaft, und wie mu ¨ sste, falls die Antwort ,,nein‘‘ ¨tsbegriff reformuliert lautet, der Rationalita werden? ¨tsbegriff in der WirtAd 1. Auch der Rationalita schaftswissenschaft ist begru ¨ ndet in der kultur-, philosophie- und wissenschaftshistorischen semantischen Tradition. Die Antwort ex negativo auf diese Frage lautet: Rationales Verhalten bedeutet, nicht emotional, affektiv, triebgesteuert, automatisiert, paranoid oder sonstwie unreflektiert oder ignorant hinsichtlich Informationen zu entscheiden und zu handeln. Ex positivo ist das prototypische Leitbild des rationalen Akteurs der homo oeconomicus, der ¨ngst nicht mehr vollkommen rational ist, natu ¨ rlich la sondern seine Zielfunktionen unter Unsicherheit und ¨nkenden Nebenbedingungen optianderen einschra miert. Der große Nachteil einer solchen Art ¨t ist freilich die Gefahr der Definition von Rationalita
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Tautologie bzw. Immunisierung gegen Falsifikationsversuche: Ist doch alles beobachtbare Entscheiden ¨nkt und Handeln als in diesem Sinne eingeschra rational rekonstruierbar, wenn man nur die indivi¨nkenden duelle Zielfunktion und die einschra Nebenbedingungen entsprechend anpasst. ¨t nicht Wichtig ist die Feststellung, dass Rationalita ¨gliche einfach eine zweckvolle, dem Akteur zutra Realisierung einer Mittel-Ziel-Relation bedeutet – das ¨re rationelles Verhalten, wie es z. B. auch im wa Tierbereich zu beobachten ist –, sondern dass der Akteur in einem konsistenten intentionalen Planungsmodus entscheidet und handelt. Viktor Vanberg (2004) beschreibt die drei Stufen des Ratio¨ konomik so: nalita¨tskonzeptes in der O Lokales Rationalita ¨tsprinzip: Entscheiden und Handeln eines Subjekts sind in einem bestimmten Entscheidungszusammenhang konsistent mit sei¨ferenzen, Intentionen und nem Wertesystem (Pra ¨ berzeugungen in Bezug auf kausale Ziele, U ¨nge in der Welt, Motivation usw.). Zusammenha Damit ist eine ,,lokale‘‘ interne Konsistenz definiert, die aber einen tautologischen Charakter hat: Die lokale Konsistenz kann – zumindest gedanklich – fu ¨ r jeden Entscheidungsfall ex post als lokal rational in diesem Sinne rekonstruiert werden, indem das Wertesystem entsprechend ¨rt wird. (nach)erkla 2. Rationalita ¨tshypothese 1: Entspricht dem lokalen Rationalita ¨tsprinzip mit der Ersetzung … in allen Entscheidungs- und Handlungssituationen … Diese ,,globale‘‘ interne Konsistenz individuellen Entscheidens und Handelns ist als ein heroisches Konzept anzusehen, da eine sehr hohe Anforderung an das Subjekt gestellt wird, das offensichtlich mit heldenhaften Eigenschaften ausgestattet sein sollte. ¨tshypothese 3. Rationalita ¨tshypothese 2: Rationalita ¨nzt um die faktische instrumentelle Passfa ¨1 erga ¨t higkeit, Viabilita zu den externen Gegebenheiten. Die Rationalita ¨ tshypothese 2 bedeutet eine globale interne und externe Konsistenz, ist aber offensichtlich noch heroischer als die Rationalita ¨ tshypothese 1.
1.
Nicht von der Hand zu weisen ist freilich der Ein¨r gedacht. Evolutorisch wand, alles bisher sei stationa ¨tsbegriff vielmehr verstanden mu ¨ sste der Rationalita beru ¨ cksichtigen, dass (1) Zielfunktionen und Neben¨nde einem bedingungen sowie Unsicherheitszusta ¨ndigen Suchprozess und Wandel unterliegen, der sta – zum Teil wenigstens – durch das Subjekt selbst gestaltbar ist und dass (2) Subjekte zudem nicht
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notwendig maximieren oder optimieren, sondern z. B. in ergebnis- und verlaufsoffenen Suchprozessen Anspruchsniveaus zu realisieren versuchen und daher (3) in der Regel keine gleichgewichtigen Zu¨nde erzeugt werden. Aber auch der eingeschra ¨nkt sta rationale oder in dem eben beschriebenen Sinne evolutorische Akteur ist immer noch rational im ¨tzlieigentlichen o ¨ konomischen Sinn, da keine zusa ¨ußerungen aus dem (alten) chen Verhaltensa Verhaltensinventar des homo sapiens einbezogen ¨tskonsind. Hier fu ¨ hrt das evolutorische Rationalita zept des ,,naturalistischen Ansatzes‘‘ bzw. der ¨tshypothese‘‘ (Ulrich Witt) weiter, ,,Kontinuita wonach die alten Verhaltensprogramme in menschlichen Akteuren als Basis von Entscheiden und ¨ berformung ¨ndigen U Handeln zusammen mit der sta durch kulturelles Lernen, also durch die ,,kulturelle Evolution‘‘, das aktuelle Verhalten bestimmen. Damit ¨llt reales Verhalten in die verhaltenswissenschaftlifa ¨ne, che – bis hin zu neurowissenschaftlichen – Doma ¨tsbegriffe wie z. woraus sich erweiterte Rationalita ¨t, Meta-Rationalita ¨t, Rationalita ¨t B. X-Rationalita ¨t, Verho ¨herer Ordnung, pragmatische Rationalita ¨t oder Rationality for Mortals haltensrationalita ableiten lassen. Auf einen dieser Begriffe – die ¨t ho ,,Rationalita ¨herer Ordnung‘‘ – soll im Folgenden mit Hilfe des psychologischen Konzepts der ,,theory of mind‘‘ und experimentellen Befunden zu ,,Erwartungs-Erwartungen‘‘ ein Schlaglicht geworfen werden. 2 Ein Experiment zu ,,Erwartungs-Erwartungen‘‘: das ‘‘Holmes-Moriarty-Spiel‘‘ Den Ausgangspunkt fu ¨ r eine experimentelle Untersuchung der Bildung von ,,Erwartungs-Erwartungen‘‘ an der TU Dresden in den vergangenen Monaten bildet eine Geschichte von Sir Arthur Conan Doyle (,,Das letzte Problem‘‘, 1911). Sherlock Holmes und sein Freund Dr. Watson werden von Holmes‘ ¨hrlichstem Gegner, Professor Moriarty, verfolgt gefa ¨ngen, dass sie auf und versuchen, ihn dadurch abzuha der Bahnstrecke London Dover an einem Zwischenhalt in Canterbury aussteigen. Falls Moriarty diese Strategie erahnt und ebenfalls in Canterbury aussteigt, sind Holmes und Watson verloren, ihr Ziel ist also die Diskoordination der Ausstiegsbahnho ¨fe Canterbury und Dover, Moriartys Ziel ist die Koordination, d.h. der Ausstieg am selben Bahnhof. Welchem theoretischen Problem sieht sich Holmes gegenu ¨ ber? Er kann einmal von Moriarty und sich selbst als vollkommen rationalen Akteuren ausgehen, ¨nkte Rationalita ¨t oder er unterstellt eine eingeschra
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bei seinem Gegner und transformiert das Problem damit in ein pragmatisches Entscheidungsproblem ohne theoretische – wohl aber mit einer verhaltensrationalen, also ohne eine theoretische Fundierung funktionierenden – Lo ¨sung. Im Fall der Unterstellung durch Holmes, Moriarty sei so wie er selbst vollkommen rational, fu ¨ hrt die Situation auf einen prinzipiell unendlichen (infiniten) Regress mit einer unendlich langen Reflexionsspirale ¨ berlegungen ho strategischer U ¨ herer Ordnung. Es gibt dann keine Lo ¨sung im Sinne eines selbststabilisierenden Nash-Gleichgewichts, weil sich die beste Handlung jedes Akteurs, wo er aussteigen soll, bei jeder Reflexionsstufe umkehrt, so dass ein zyklisches Problem mit oszillierenden besten Antworten generiert wird: Wu ¨ rde Holmes ein strategisches Denken der Ordnung Null anwenden, also wu ¨ rde er sich gar nicht in Moriarty versetzen, dann wu ¨ rde sich Holmes keine Gedanken machen, in Canterbury eventuell auszusteigen, sondern nach Dover durchfahren. Strategisches Denken erster Ordnung bedeutet, dass Holmes daru ¨ ber nachdenkt, welche Ziele Moriarty hat, und zum Ergebnis kommt, dass Moriarty nach Dover fahren mo ¨ chte, um Holmes dort zu treffen. Also muss Holmes diskoordinativ in Canterbury aussteigen. Denkt Holmes allerdings im strategischen ¨mDenken zweiter Ordnung einen Schritt weiter, na lich was Moriarty u ¨ ber Holmes‘ Nachdenkergebnis der ersten Stufe denkt, und diskoordiniert Holmes dann seine Entscheidung, dann muss er in Dover aussteigen, denn Holmes wird zum Schluss kommen, dass Moriarty in diesem Fall in Canterbury aussteigen wird. Wieder eine Stufe weiter, beim strategischen Denken dritter Ordnung, denkt Holmes daru ¨ ber nach, was Moriarty daru ¨ ber denkt, was Holmes daru ¨ ber denkt, was Moriarty u ¨ ber Holmes‘ Nachdenkergebnis der ersten Stufe u ¨ ber Moriarty denkt, und diskoordiniert dann seine Entscheidung: Holmes muss jetzt doch in Canterbury aussteigen. ¨sst sich ins Unendliche fortsetDiese Oszillation la ¨ndige Paralyse des Handelns bei zen, und eine vollsta ¨re die Folge. Eine mo beiden Akteuren wa ¨ gliche Zeitbegrenzung fu ¨ hrt nicht zu einer stabilen Lo ¨ sung, ¨lligen Entscheidung. Die wirksondern zu einer zufa liche Frage fu ¨ r Sherlock Holmes ist aber nicht, wie die theoretisch generierte infinite Reflexionsspirale aussieht und ob wirklich eine vollsta¨ndige Paralyse von Entscheiden und Handeln bei beiden Akteuren eintreten ko ¨ nnte, sondern wie er, Holmes, u ¨ berlebt, also die beiden Entscheidungen diskoordinieren kann. Im Roman von Conan Doyle lo ¨st Holmes das Problem erfolgreich: Er ,,rechnet‘‘ seinen Gegner korrekt aus, steigt in Canterbury aus und entkommt
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seinem Gegner. Das heißt, Holmes hat in der Reflexionsspirale des strategischen Denkens ho ¨herer Ordnung auf jeden Fall eine ungerade Stufe angewandt, vielleicht sogar strategisches Denken erster Ordnung – der Romanautor sagt dazu nichts. Mit anderen Worten, Holmes unterstellt in verhaltensrationaler Weise seinem Gegner Moriarty keine ¨nkte Rationalita ¨t, vollkommene, sondern eingeschra das heißt, Holmes traut Moriarty nicht zu, die theoretische Indeterminiertheit durch die unendliche Reflexionsspirale zu erkennen. In experimentellen Untersuchungen an der Tech¨t Dresden sollte die Frage gekla ¨rt nischen Universita ¨ werden, ob Probanden tatsachlich strategisches Denken ho ¨herer Ordnung in der Holmes-MoriartySituation anwenden. Es zeigte sich, dass ein solches Denken von einem signifikanten Teil der Probanden ¨chlich angewandt wurde – in allen untersuchten tatsa Treatment-Varianten gab es einen Anteil der Teilnehmer zwischen 20 und 50 %, die strategisches Denken erster Ordnung anwendeten, und einen etwas kleineren Anteil mit strategischem Denken zweiter Ordnung. Es gab zwei weitere signifikante Gruppen in der Probandengruppe: diejenigen, die strategisches Denken dritter Ordnung und zugleich auch die unendliche Reflexionsspirale erkannten (zwischen 15 und 35 %), und diejenigen, die ihre Entscheidung nicht in der gerade beschriebenen Weise der Reflexionsspirale begru ¨ ndeten, sondern ¨ssigen Argumenten. Dies war ein umso mit nicht zula erstaunlicherer Befund, als in den Instruktionen aller Treatments derartige Begru ¨ ndungstypen ausdru ¨ cklich ausgeschlossen worden waren. Dieser Befund weist also auf eine weitere Kategorie nicht im u ¨ blichen Sinne rationalen Verhaltens hin: Menschliche ¨ndern, in der sie Akteure versuchen, die Situation zu a eine Entscheidung treffen sollen, offenbar auch dann, wenn dies in den Regeln ausdru ¨ cklich ausgeschlossen wird. 3 Ein ,,klassisches‘‘ Experiment zu ,,ErwartungsErwartungen‘‘: das Zahlenwahlspiel Im Zahlenwahlspiel-Experiment sollen die Probanden diejenige Zahl zwischen 1 und 100 ohne Kommastelle aufschreiben, von der sie glauben, dass ¨chsten liegt zu zwei Drittel des Durchsie am na schnitts aller von den Experiment-Teilnehmern angegebenen Zahlen. Damit sind also drei empirische Werte von Interesse: 1. der Durchschnitt aller genannten Zahlen, 2. die Zielzahl = zwei Drittel des Durchschnitts und 3. die Gewinnerzahl, also die zur ¨chst gelegene der genannten Zahlen. Die Zielzahl na
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spieltheoretische rationale Lo ¨sung, das Nash-Gleichgewicht, ist natu ¨ rlich 1: Wenn alle Teilnehmer 1 angeben, hat kein einzelner Teilnehmer Anlass, isoliert davon abzuweichen, da dies seine sichere Siegchance zersto ¨ ren wu ¨ rde. Wie findet man diese spieltheoretische Lo ¨ sung? Indem man als vollkommen rationaler Teilnehmer eine ,,strategische Kaskade‘‘ abschreitet, also alle dominierten Strategien = Zahlen gro ¨ ßer 1 eliminiert. Analog zum strategischen Denken ho ¨ herer Ordnung im Holmes¨sst sich die strategische KasMoriarty-Experiment la kade folgendermaßen notieren: Strategisches Denken der Ordnung 0 bedeutet fu ¨ r einen Probanden i, davon auszugehen, dass alle Teilnehmer ¨llig wa ¨hlen, der Durchschnitt also 50 betra ¨gt, so zufa dass i die Zahl 33 = zwei Drittel von 50 notiert. ¨chlich nennen Teilnehmer des Zahlenwahl(Tatsa ¨ufig in der ersten spielexperiments in der Praxis ha Runde die Zahl 66, also zwei Drittel von 100. Das macht allerdings schon bei einer nur sehr ober¨chlichen Reflexion keinen Sinn, denn damit 66 die fla Zielzahl ist, mu ¨ ssten alle anderen Teilnehmer 100 ¨hlen.) Strategisches Denken der Ordnung 1 fu wa ¨ hrt i dazu, davon auszugehen, dass alle in der strategi¨hlen, so dass i schen Ordnung 0 denken, also 33 wa ¨hlt. Denkt i in der zwei Drittel von 33 also 22 wa ¨hlt er zwei Drittel zweiten Ordnung nach, dann wa von 22 also 15 und kommt schließlich bei fortge¨her an die Zahl 1. setzter Iteration zusehends na Was zeigen empirische Befunde bei experimentellen Realisierungen? Es gibt bei genu ¨ gend großen Gruppen in der Regel eine Streuung der genannten Zahlen zwischen 1 und 100 mit peaks bei 66, 50, 33, 22 und 15 sowie bei 1 und 100, was die stufenweise Elimination suboptimaler, also dominierter, Strategien belegt, aber zugleich zeigt, dass keineswegs die rationale Lo ¨sung 1 eine Gewinnerzahl sein wird. Letztere liegt empirisch zwischen 10 und 25. Will ¨ndig informierter und rationaler man also als vollsta Teilnehmer bei diesem Experiment gewinnen, ist es ¨tzen, wie viel Prozent der Teilnehwichtig abzuscha mer welchen Typ entsprechen bzw. welche Vorinformation sie haben, um daraus erfolgreich mit Hilfe der fru ¨ heren Befunde auf die empirische Zielzahl zu schließen und so die eigenen Gewinnchancen zu erho ¨hen. Das Problem ist, dass damit eine zweite strategische Kaskade sogenannter verhaltensrationaler Teilnehmer entsteht. Diese ko ¨ nnte so aussehen: In der Ordnung 0 der Kaskade denkt Teilnehmer i, er sei der einzige verhaltensrationale Teilnehmer, alle ¨hlen also 1, oder einanderen seien vollrational, wa ¨nkt rational im Sinne der fru geschra ¨ heren ¨ß des Experimentalbefunde: i wird also gema
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empirischen Musters seine Zahl zwischen 10 und 25 ¨hlen. Denkt i in der strategischen Ordnung 1, dann wa rechnet er mit x-Prozent (x 0) verhaltensrationalen ¨hlt eine ho Teilnehmern und wa ¨here Zahl als in Stufe 0, da verhaltensrational gewordene Teilnehmer aus dem Kreis der ehemals vollrationalen Teilnehmern in der als gemischt angenommenen Teilnehmerschaft die Zielzahl erho ¨hen. Denkt i in der strategischen Ordnung 2, so wird er gedanklich die Zielzahl weiter erho ¨hen, da er dann vermutet, dass unter den vermuteten x-Prozent verhaltensrationalen Teilnehmern einige wissen, dass es verhaltensrationale Teilnehmer gibt und daher ihrerseits ihre Zielzahl erho ¨hen. Irgendwann wird sich die Tendenz zur Erho ¨hung der genannten Zahl wieder umkehren, da dann verhaltensrationale Teilnehmer zu der Einsicht kommen, dass die u ¨ brige Probanden¨ß fru gruppe gema ¨ herer Befunde empirisch nicht u ¨ ber 25 hinausgeht. 4 Das Zahlenwahlspiel mit vielen gleichgewichtigen Lo ¨sungen ¨re, interessant zu fragen, was im ZahlenwahlEs wa spiel-Experiment passiert, wenn die Instruktionen so gestaltet sind, dass keine eindeutige theoretische Lo ¨sung vorhanden ist – wie auf realen Wertpapier¨rkten, fu ¨sslichen Preis-Prognosema ¨ r die keine verla Methoden existieren –, sondern z. B. so viele NashGleichgewichtslo ¨sungen existieren, wie das angege¨lt. Dies tritt bene Zahlenintervall (ganze) Zahlen entha
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z. B. ein, wenn die Regel, zwei Drittel des Durchschnitts als Zielzahl zu verwenden, durch die Regel ersetzt wird, lediglich den Durchschnitt aller genannten Zahlen als Zielzahl zu verwenden. Wenn ¨ssige Zahlenintervall sehr groß ist, dann noch das zula haben weder vollkommen rationale noch verhaltensrationale Probanden einen begru ¨ ndbaren A-priori-Anker fu ¨ r eine Zahl mit guter Gewinnchance. Erste experimentelle Evidenzen im Experimentallabor der TU Dresden deuten darauf hin, dass die Probanden in einem MehrrundenDesign einer solchen ,,orientierungslosen‘‘ Entscheidungssituation nach Orientierungsankern suchen und sich solche selbst konstruieren. Als Heuristiken der Probanden zu ihrer Entscheidungsunterstu ¨ tzung, ¨hlen sei, konnten in den bisher welche Zahl zu wa erhobenen Experimentalbefunden sowohl die statio¨re Prognose, die realisierte Zielzahl der Vorrunde na sei erfolgversprechend fu ¨ r die kommende Zielzahl, als auch einfache adaptive Korrekturregeln identifiziert werden, d. h., die von Teilnehmer i in der ¨chsten Runde genannte Zahl ist seine vorhergena hende Zahl ? Korrekturterm aus der Abweichung ¨chlichen Zielzahl. Wie der letzten Nennung zur tatsa solche Heuristiken zu einer Form ,,pragmatischer ¨t ho Rationalita ¨ herer Ordnung‘‘ fu ¨ hren ko ¨ nnen z. B. im Sinne von Herdenverhalten – oder sogar zu erfolgreicher Koordination mit mehreren Siegern –, soll in weiteren Experimenten untersucht werden.
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