KLINISCHE WOCHENSCHRIFT :. J A H R G A N G . Nr. 2 4 .
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OBERSICHTEN. DIE HEILENDEN UND SCHADIGENDEN WIRKUNGEN DES SALVARSANS:). Von
Prof. Dr. J. JADASSOI{N, Direktor der Klinik ffir Syphilis u. Hautkrankh, d, Univ. Breslau.
Wie bekannt, ist wieder einmal der Kampf gegen das Salvarsan entbrannt. W e n n es sich nur u m einzelne hetzerische AuBerungen in der Tagespresse handelte, so brauchte man sich darum nicht zu kiimmern ; abet in neuester Zeit beziehen sich diese auI ernste Autoren, und such i n der Fachpresse kommen h/iufiger mehr oder weniger skeptische Bemerkungen. In der Berliner mediz. Gesellschaft war eine groBe Diskussion, und wenn auch die fiberwiegende Mehrzahl der Redner mehr oder weniger energisch ffir das Salvarsan eingetreten ist, so haben doch speziell die Berichte ARNDrS fiber die von ihm erlebten Ungtficksfs und die Bemerkungen des Mten Salvarsangegners :BuscHK]~ auch bet den Arzten Unruhe hervorgerufen. Ich glaubte daher, der Anregung mehrerer Kollegen Folge geben und such in unserer Gesellschaft eine Diskussion fiber die schwebenden Salvarsanfragen herbeiffihren zu sollen. Als Unterlage ffir diese m6chte ich Ihnen in groBen Zfigen den augenblickliehen Stand unserer Erfahrungen /iber die hei-
lenden und tiber die schdidigenden Wirkungen des Salvarsans schildern. !ch stfitze mich dabei im wesentlichen auf ein Referat, das ich im Januar im Preul3ischen Landesgesundheitsrat zu ers%atten hatte. Es ist gewil3 richtig, wenn ~wir yon Zeit zu Zeit dgs Debet und das Kredit einer neuen Behandlungsme~chode aufzustellen versuchen. Wit k6unen uns dabei such selbst am besten fiber den S t a n d p u n k t der ts Eindriicke erheben n n d werden uns fiber das, was schon erreicht und was noch zu erstreben ist, klarer. Aber Wir dfirfen uns doch such bet einem solchen Uberblick nicht verhehlen, dab selbst diejenigenl welche das heiBeste Streben uach Objektivit i t haben, in therapeutischen Fragen der suggestiven Wirkung theoretischer Vorstellungen und einzelner pers6nlicher Erf~hrungen unterliegen. Ich habe bei meinen Er5rterungen diese beiden Momente m6glichst in den Hintergrund gedr/ingt. 3/iit Hypothesen, welche wohl eine gute Grundlage ffir therapeutische Versuche, nie aber einen Beweis ifir deren Erfolge abgeben kSnnen, wird-jetzt gerade auf dem Gebiete der Syphilis-Therapie vielfach wie mi% Ieststehenden Tatsachen gearbeitet, und eine geistreiche Idee gilt vielen mehr als eine setbst exakt ausgearbeitete Statistik. Die persSnlichen Erfahrungen abet sind such bet den Erfahrensten notwendigerweise beschr/~nkt, u m so beschrgnkter, je mehr der Spontane Ablauf einer Krankheit variiert, und je lgnger sie dauert. Ich werde mich heute auf die Wirkungen des Salvarsans bet der Lues beschr/inken und seine sehr bemerkenswerten Erfolge bet einigen anderen Kr~nkheiten nicht besprechen. Ich werde auch die tierexperimentellen und pharmakologischen Grundlagen beiseite lassen und n u t Heilung und Sch~digung beim Menschen er6rtern. Ich halte es ferner nicht ffir notwendig, die verschiedenen Salvarsanprgiparate gesondert zu behandeln; denn wenn sie such i n Einzelheiten differieren, so ist doch nirgends klinisch bewiesen, dab bei richtiger Verwertung der verschiedenen Dosierungen wirklich grund~egende Unterschiede zwischen ihnen vorhanden stud, auch nicht, soweit ich sehe, bet den Nebenwirkungen. Wir mfissen aber berficksichtigen, dab Salvarsan aufierordentlieh o/t n i t Queclcsilber lcombiniert wird. Wir k6nnen ~) N i t Benutzua~ ehles a m I4. J a n u a r ~9~2 fin Preu/3ischen Landesgesundheitsrat erstattetea Referats und nach einem am 7- April in der Schlesischen Ges, f, vaterliiadisehe Kultur gehaltenen Vortrag, Klinische Woehenschriff, I. J a h r g .
wohl trotzdem im ganzen genfigend nrteilen, weil im Anfang der Salvarsantherapie diese vielfach allein angewandt wurde, well das auch jetzt noch yon manchen prinzipiell, von anderen, so such yon mir, gelegentlich geschieht, und well wir die Wirknngen der reine n Quecksilberkuren ja aus ' frfiherer Zeit kennen.
Wenn wit eine Methode der Syphitisbehandlung pri~/en wollen, so mi~sser~ wir unterscheiden: i. Die Wirkung au] die Spirochdten in den verschiedenen Stadien, eventueI1 such au] die ]reilich sehr sehwer z~, beurteilenden verschiedenen Spirochgitenst(imme; 2. au] die Serorealction bzw. au] di e Liquorverdnderungen; 3. au] die augenbliclclich vorhandenen Symptome, wobei sich diese verschieden verhalten k6nnen, ie nach dem Stadium der Infekfion, nach der Lokalisafion und dem Alter der einzelnen Prozesse und nach der 1Reaktionsart des Organismus, die ihrerseits wiederum dutch die verschiedensten ekto- und endogenen M o m e n t e modifiziert sein k a n n ;
4. die Wirkung in, Sinne der Verhinderung weiterer Syphilissyraptome und 5. die schgdigenden Wirkungen. Die wichtigste Frage ist im Prinzip die, woran man die Heilung get Syphilis erkennen, ob und eventuell wann man sie ]eststellen kann. Auch jetzt noch mfissen wir zugeben, dal3 eigentlich nur eines sehr wahrscheinlich das definitive u sehwinden der Syphilis beweist: Die Rein]ektion. I n der T a t spricht die betr/ichtliehe Zunahme yon m. E. unzweifelhaften Reinfektionen nach Salvarsanbehandlung in allererster LiMe fiir die stS,rkere Iteilwirkung des Salvarsans gegeniiber dem Quecksilber. Auch die relativ groBe Zahl der Fglle, in denen man mit mehr oder weniger groBer Wahrscheinlichkeit eine Reinfektion annehmen, wenngleich nicht beweisen kann, ist in dem gleichen Sinne verwertbar. Aber wir werden doch nicht sowohl y o n theoretischen als vom praktisehen Standpunkte aus yon Heilung sprechen dfirfen, wenn naeh AbschluB der Behandlung Jahre hindurch klinische, serologische u n d Liquorverfinderungen vollst/~ndig fehlen, eine Provokation negativ verl/~uft, in der Ehe eine Infektion nicht erfolgt. Wie viele Jahre wir daffir verlangen, das ist freilieh ganz ,,Temperamentssache". Niemals ist die tteilung bewiesen, abet sie wird doch n i t dem Ablauf der Jahre wahrscheinlicher. Die Schwierigkeit, fiber die Heilwirkung bet Syphilis Feststellungen zu machen, ist such alarum so groB, well wenige stark verbreitete Krankheiten der statistischen Eriassung so schwer zuggnglich sind wie sie, und zwar wegen ihres auBerordenflieh chronischen Verlaufs, der tt/iufigkeit langer Latenzperioden und der Neigung zahlloser Pafienten, sich trotz aller Mahnungen als geheilt anzusehen und sich der ]3ehandlung zu entziehen. Beim Salvarsan kommt noch hinzu, daft es erst seit I I Jahren bekannt, und dab seine Anwendung in dieser Zeit naturgemM3 noeh sehr verschieden und namenflich in den ersten Jahren nach unseren heutigen Begriffen sehr unzureichend gewesen ist. I. Mit Beriicksiehtigung aller dieser Punkte m6chte ich fiber die Heilwirkungen des Salvarsans folgendes hervorheber~ : I. Die Salvarsanpr~parate bedingen bet den an der Ober]l#iehe des Organismus lebenden Spirochgiten nach den Untersuchungen FR~IS t) an der hiesigen Klinik zuerst eine oft konstatierbareVermehrung liirkurze Zeit, dann schnelIe Abt5%ung, so dab sie nach mittleren Dosen schon naeh 24 Stunden meist nicht mehr nachweisbar stud. Die relativ seltenen F/ille, in denen diese ~rirkung nicht eintritt, haben dann viNreiENtkeine gr613ere ]3edeutung, wenn die S15iroch/iten noch n a c h tr/~glich Bach der ersten oder nach weiteren Einspritzungen verschwinden. Es gibt abet auch vereinzelte F~lle, in denen das erst nach wesentlich lgngerer Zeit geschieht, oder in denen 8o
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die Spiroch/iten selbst w/ihrend der Behandlung wieder manifest werden, oder in denen sehr bald nach Aussetzen des Salvarsans wieder neue spiroch/ktenhaltige Prozesse auftreten. DaB die Syphiliserreger sich in den verschiedenen Stadien versctlieden gegen Salvarsan verhalten, geht daraus hervor, dab sie bei den irischesten Infektionen durch unsere gew6hnlichen Salvarsankuren augenscheinlich oft definitiv vernictlt e t werden k6nnen (worfiber noch weiterhin zu sprecllen sein wird), w&hrend das in den sp/~teren Stadieii bekaniitlich vielfaeh nicht geschieht, was sich in ldinischen Rezidiven anzeigt. Unter gewisseii Bedingungen und namentlich bei bestimmten Formen (parenchymatfse Erkrankungen des Zeiitralnervensystems) gelingt es auch bei wiederholten energischen Kuren oft nicht, die Spiroch~Lten definitiv zu t f t e n . Von ,,festen" Spiroch~itenst/~mmen wissen wir noch sehr wenig. I m m e r ist ein Unterschied zu machen zwischen den bei der Untersuchung der E x s u d a t e festgestellten und den in der Tiefe des H a u t - oder Schleimhautgewebes oder im Inneren des Organismus vorhandenen Spirochgten, welche augenscheinlich viel widerstandsf&higer sind. 2. Bei der noch immer nicht aufgeld/irten N a t u r der Seroreaktion ist es sehr schwer, etwas Besfimmtes fiber die Bedeutung zu sagen, welche ihre Beeinflussung durch die Therapie ffir die Heilungsfrage der Syphilis hat. Unzweifelhaff ist: a) dab die Seroreaktion sich nach der syphilitischen Infektion auBerordentlich oft nicht eiitwickelt, wenn die Salvarsanbehandlung zeitig genug einsetzt; b) dab sie, wenn sie positiv war, dutch Salvarsan sehr oft negativ wird, nicht selten abet besonders im Sp/its t a d i u m gar nieht oder nur vorfibergehend; c) dab sie, weiin sie negativ ist, durch Salvarsan unter bestimmteii Umstgnden positiv werden kann (,,Provokation"). Gewil3 beweist die negative Reaktion niemals das Freisein yon Spiroch&ten oder yon spiroch/it/iren Prozessen. Die positive Reaktion beweist nicht mit Sicherheit, dab solche Prozesse im K6rper vorhanden sind. Sie macht aber das Vorhandenseiii der Spiroch/iteii sehr wahrscheinlich. Sie beweist ferner nicht die Ansteckungsgejiihrlichlceit oder die Notwendigkeit klinisch noch manifest werdender Rezidive. Trotz alledem ist es bei dem uiizweifelhaft innigeii Zusammenhang zwischen Spirochgten und Wassermann-Reaktion, und auch zwischen dieser und spiroch/~t/~ren Prozessen gewil3 richtig anzunehmen, dab ein Mittel, welches, wie das Salvarsan, einen sehr intensiven, wenngleich nicht gesetzm/~Bigen EinfluB auf die Seroreaktion hat, d a m i t auch seine spezifische Bedeutung ffir die Syphilis manifestiert. Weniger deutlich ist die Eiiiwirkung a u f die Ver/inderungen des Liquors. Abet auch bei ihnen kann man nicht daran zweifeln, dab sie bei im frfihesten Stadium einsetzender Behandlung vielfach verhindert werden. Man kann auch bei der gew6hnlichen intravenfsen Therapie der sekund/iren Syphilis sehr oft nachweisen, dab die Liquorsymptome verh/iltnism/iBig schnell und mehr oder weniger vollst/indig zurfickgehen. In manchen Fgllen, und ganz besonders in den sp~teren Stadien, erweisen sie sich oft als recht hartn/ickig, k6nnen aber auch danii no2h, nach den Erfahrungeii einzelner Autoren, dutch die endolumbale Behandlung beseifigt werden. Die klinischen Erscheinungen und die therapeutischen Erfolge gehen allerdings oft nicht mit den Liquorver/inderungen parallel. Am wichtigsten sind natfirlich der 3- und 4. der oben angeffihrten Punkte. 3. Unzweifelhaft ist, dab die meisten Erscheinungen, die man frfiher als ,,eigeiitlich syphilitische" den sogenannten ,,meta• oder parasyphilitischen" entgegenstellte, durch die Salvarsanbehandlung sehr gfinstig beeinfiuBt werden; aller1) Wenn BUSCt{KE diese Erscheinung als Hinweis darauf betrachtet, dab die Salvarsanbehandlung unter Umstfinden das Contagium anreizen und seine Tfitigkeit erhfhen kann, so iibersieht er ihren durchaus transiterisehen Charakter. Die Annahme E. t { O F F M A N N s , dab diese vorfibergehende Reizwirkung n u t bei den kleineren der iibliehen Dosen auftriite, entspricht F R E I s Ergebnissen (auch bei Dosen yon 0,4 5 Neosalvarsan !) nicht.
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dings sind auch bei den ersteren noch wesentliche Unterschiede vorhanden. Vor allem muB man seit kurzer Zeit bestehende Prozesse der verschiedenen Stadien yon denen unterscheiden, welche schon 1/ingere Zeit persistieren. Das gilt auch ffir die Haut- und Schleimhauterkrankungen, yon denen man aber sagen kann, dab sie mit seltenen Ausnahmen zur Rfickbildung gebracht werden, soweit eine solche iiberhaupt oder in kfirzerer Zeit m6glich ist (vgh Narben, Pigment- und Haaranomalien, sog. organisierte Papeln, Leukoplakie, bei welcher der ProzeB wohl nur zu einem Teil eigelitlieh syphilitisch ist, usw.). Sehr eklatant ist der Erfolg bei einzelnen gegen Quecksilber besonders widerstandsf/ihigen Formen, wie bei den lichenoiden, den schweren palmaren und plantare n Syphiliden, einzelnen ulcer6sen, und Knochenprozessen terti/irer Natur, manchen Zungenerkrankungen und ganz vor allem bei der sog. malignen Lues, welche jetzt durch Salvarsan ihres Charakters zum groBen Teil e n t k l e i d e t ist. Aber auch bei syphilifischen E r k r a n k u n g e n der inneren Organe ist das Resultat oft ein auBerordentlich gfinstiges. Hier allerdings k o m m t die Zeit, welche seit dem Beginn der Prozesse selbst vergangen ist, noch viel mehr in F r a g e ; denn es liegt in der Natur vieler dieser Affektionen, dab sie oft lunge l a t e n t bleiben, so dab die B e h a n d h n g erst zu einer Zeit einsetzt, zu der schon irreparable Zerst6rungen eingetreten sind. Es k a n n sich dann also h/~ufig nur mehr um eine Heilung mit Defekt handeln und dieser Defekt selbst kann in seinen Folgeerscheinungen delet/~r wirken, selbst wenn der eigentlich syphilitische ProzeB schon 1/ingst erloschen ist (vgl. Aneurysmen). Auf Einzelheiten kann ich hier nicht eingehen. In der Frfihperiode sind die Nierenver&nderungen und der Ikterus der zun~chst sehr vorsichtig anzuwendenden Salvarsantherapie im allgemeinen sehr zug/tnglich; aber auch die meningealen Erkrankungen, die der Augen und der Ohren, reagieren in dieser Zeit meist gut, oft erstaunlich gut. In bezug auf die Sp~terkrankungen der inneren Organe brauche ich nt~r an die Erfahrungen zu erinnern, die in der L i t e r a t u r niedergelegt sind, und die jeder auf diesem Gebiete t/~tige Arzt machen konnte: bei Aortitis und selbst bei Aneurysmen, bei den verschiedenen Formen der cerebrospina!en Lues im ~lteren Sinne, bei der Leber- und Lungenlues usw; dab und warum es gerade auf diesem Gebiet zahlreiche refrakt&re F/~lle geben muB, habe ich schon betont. Schon aus diesem Grunde ist die Beurteilung hier so viel schwerer als bei der externen Syphilis, dab man sich fiber divergierende Urteile nicht wuiidern kann. Sehr viel zweifelhafter ist die Antwort auf die Frage, was w i r mit der Salvarsantherapie bei der ,,parenchymatfsen Syphilis" des Zentralnervensystems erreichen. Bei der Paralyse h a t eiiie Anzahl yon. Autoren h/iufigere und st&rkere 1Remissionen gesehen, welche fiber das bisher Bekannte hinausgehen sollen. Ich selbst kenne nur einen psychiatrisch Ms sicher diagiiostizierten Fall, der unter Salvarsan vollst/indig berufsf/ihig geworden und lange geblieben ist. DaB aber die Paralyse, deren Ullheilbarkeit allerdings j e t z t nicht mehr in d e m Umfange als Axiom gilt, wie bis vor kurzer Zeit, durch Salvarsan nachweisbar im Sinne der Besserung in einem auch IIur einigermagen betr/ichtlicheii Prozentsatz der F~lle beeinflugt wird, kann man gewiB nicht behaupten. ]3ei der Tabes sind die AuBerungen yon seiten mancher Neurologen und Syphilidologen viel zuversichtlicher ; besonders in frischen F/illen reagieren einzelne tabische Symptome, wie vor allem die lanzinierendeii Schmerzen und die Ataxie, oft in gfinstiger Weise. M a n kann wohl auch zugeben, wenngleich schwer beweisen, dab die Tabes dutch grfindliche Salvarsanbehandlung in ihrem Gesamtverlauf im Siiine eiiier Stabilisierung des Prozesses ge~ndert wird. So skeptisch man sich auch gegenfiber den einzelneii Berichten fiber Wiederkehr yon Reflexen verhalten, und so sehr man auch an dem Aiisdruck: ,,Heilung der Tabes" AnstoB nehmeii mag -- der Fortschritt, der gerade bei dieser K r a n k h e i t durch die Salvarsaiibehandlung gemacht worden ist, wird. von vielen hoch eingesch/itzt. Andere ~reilieh, und zwar auch Autoren yon anerkannter Erfahrung,
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verhalten sich skeptischer oder negieren sogar die Erfolge. Es gibt auch AuBerungen (z. t3. NONI~E), nach denen der Verlauf der Tabes ulld Paralyse durch Salvarsan ullgfinstiger gestaltet werden kann. Ich glaube auch hier den Eindruck aus der Literatur objektiv wiedergegeben zu haben. Meine eigenen Erfahrungen sind bei manchen F~llell sehr, bei anderen weniger giinstig. Mir fehlt aber das genfigende Vergleichsmaterial mit der nicht durch Satvarsan beeinflul3ten Tabes aus frfiherer Zeit. Keinesfalls aber k6nnen wit uns dem Urteil BUSCHKES anschliel3en, wenn er sagt: ,,dab die Metasyphilis fiir eine wirklich objektive Behandlung nicht nennensweft in Betracht kommt, wird yon alien ernsten Beobachtern anerkannt." Durch ein solches Urteil wird sonst sehr anerkannten Neurologen die ,,Ernsthaftigkeit" abgesprochen. Nicht nur die akcluirierte, sondern auch die kongenitale Syphilis ist ein sehr brauchbares Objekt zur Beurteilung tier HeiIwirkullg des Salvarsans, und zwar in doppeltem Sinlle. Eillmal werden die syphilitischen S/iuglinge, wenn man das Mittel vorsichtig und doch energisch, und vor allem frfih genug anwendet, oft sehr gfinstig beeillfluBt. Die Zahl der Kinder, welche sich nicht nur am Leben erhalten lassen, sondern welche sich auch k6rperlich und geistig normM'entwickeln (llatiirlich soweit wir das bisher beurteilen k6nllen), ist auch nach meinen persSnlichen Erfahrungen nicht ullbetr/~chtlich. Die reille Hg-13ehandlung der frfihen kongenitalell Syphilis h a t im allgemeinen wenig befriedigt, t3USCHKE freilich findet die Prognose bei dieser ,,im groflen und ganzen gfinstig". Auch bei den ihrer Natur nach noch zu beeinflussenden sp~Lten Erscheinungen der kongenitalen Lues sind die Erfolge oft sehr befriedigend. Nach beiden Richtungell stehen den zahlreichen giinstigen Berichten auch ungfinstigere gegellfiber. Als wenig befriedigend gelten die Resultate im allgemeinen bei der parenchymat6sen Keratitis. Sie bleiben nattirlich aus bei den sog. ,,Stigmata". In zweiter Linie ist sdhr wichtig der Einflu13, den die grtindliche Salvarsalltherapie der syphilitischen F r a u e n vor und w~hrend der Gravidit/it auf die Descendenz ausfibt. Es scheillt mir auf Grund der Literatur ulld eigener Erfahrungen nicht zweifelhaft, wieviel besser die Lebens- und Gesundheitsaussichten dieser Kinder sind. 4. Von ausschlaggebender Bedeutung I fir die Beurteilung der Heilwirkungen des Salvarsans ist die vierte der oben yon mir aufgestellten Fragen: ,, Wie verhalten sich die rait Salvarsan behandelten Syphilitiker in bezug au] die Rezidive ?" Hier ist es besollders wichtig, die verschiedenen Stadien der Syphilis gesondert zu betrachten. Ich halte an der ,,Stadien"Eillteilung fest, nicht etwa, well ich glaube, dab eine strellge Scheidung der verschiedellen Entwicklullgsperioden einer /itiologisch einheitlichen Krankheit biologisch berechtigt ist. Ich habe selbst oft genug das Schematische aller solcher Bezeichnungen betont, habe auf das (fast a priori notwendige) Vorkommen yon Uberg/ingen und Kombinationen aufmerksam gemacht, gerade well ich yon der Bedeutung der Allergieentwiekelung fiir die verschiedene Ausbildullg der syphilitischen Prozesse sehr frfih fiberzeugt war. Ich lege aus diesen Griinden auch den neuesten Bestrebungen, die seropositiven PrimRrf/~lle schon der Sekulld/irperiode zuzurechllen, keine besolldere Bedeutung bei. Fiir die Praxis silld die altell Schemata lloch immer das Bequemste. Die Betrachtung der Salvarsanwirkung muB beginllen bei dem frfihesten, sogenannten seronegatlven Prira~irstadiura. Ich gehe auf die yon mir schon 1918 skeptisch beurteilte Berechtigung der prinzipiellen Scheidung zwisehen seronegativ und seropositiv hier nicht ein. Sie ist insoweit brauchbar, als die seronegative Phase im ganzen der frischeren Infektion entspricht llnd deswegen gfinstigere Chancen darbietet. Die Diskussion fiber die Frage, ob eine Abortivheilung der Syphilis im seronegativen Stadium m6glich resp. in welchem Umfange sie sicher ist, h a t in den letzten Jahren zu sehr zahlreichen VerSffentlichungen AnlaB gegeben. Man unterscheidet bekanntlieh die eigentlich seronegativen F/ille, welche es auch w/ihrend der Kur bleiben, und diejenigen, welche nach der oder den ersten Injektiollen noch umschlagen. Von den Autoren, welche ffir die Abortivbehandlung eintreten, wird meist
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nur die ersterw/ihnte Gruppe als geeignet angesehen. Wie stark diese Behandlullg sein, ulld ob sie noch mit Quecksilber kombiniert werden soll, dariiber sind die Ansichten sehr geteilt, ebenso darfiber, wann man die Beobachtung Ms abgeschlossen, die Abortivbehandlung als gelungen ansehen soil. Zusammenfasselld kalln man fiber d e n angenblieklichen Stand der Abortivfrage wohl sagell: Bei starken Kurell scheint in der bei weitem gr6gten Zahl die Abortierung der Syphilis im ,,eigelltlich seronegativen" S t a d i u m insoweit zu gelillgen, dag man Jahre hindurch keinertei Erscheinungen (auch serologisch) kollstatieren kann, und Reinfektionen relativ oft eintreten. Ausnahmen kommell vor, sind aber im ganzen doch selten und in einer Anzahl yon solchen Fgllen noch auf unzureichende Behandlung oder aut zu sp/~ten Beginn derselben (speziell fehlende Blutulltersuchung w/threlld der Kur!) zurfickzuffihren. Meille eigenen Erfahrungen auf diesem Gebiete sind im gallzen recht gfinstig, aber noch nicht sehr grol3, weil ich es erst relativ sp~t gewagt habe, mich auf Mne Kur zu beschr/tnken, vielmehr nut allm~hlich m i t der Zahl der Behandlullgsserien bei der prim/iren Syphilis zurfickgegangen bin. Bei e i n m a l oder mehrfach wiederholten Kuren werden die Erfolge wohl noch sicherer 1). I m spiiteren (seropositiven) Prim~'rstadlura sind die Erfolge eillmaliger Kuren 6fret nicht genfigend, wie man bei den a u s der Behandlung 1/ingere Zeit weggebliebenen und dann mit Rezidivell zuriickkehrenden P a t i e n t e n konstatieren kann. N o c h mehr gilt das fiir die erst ira sekundgiren Stadium in Behandlung genomraenen. Werden aber bei der seropositiven Frfihlues mehrere energische Kuren gemacht, so sind die Resultate insofern wesentlich gfinstiger, als sehr zahlreiche F$lle Minisch ~nd serologisch (eille geringere Zahl beziiglich der Liquorvergnderungen, auf die allerdillgs zu selten ulltersucht wird) negativ bleiben. Es herrscht im allgemeinen der Eindruck vor, daB, je sp/iter in der Friihperiode die Behandlung beginnt, um so zahlreicher die resistenten F~Llle werden. Ich kann aber die Beobachtung yon SCI~OLTZnicht bestgtigen, daB, wenn eine SMvarsankur nicht zum definitiven Erfolg geffihrt hat, eine zweite den Rezidiven gegenfiber versagt. Ich habe auch unter diesen Bedingungen Freibleibell in jeder Richtullg noch l~ngere Zeit kollstatieren kSnnen. Die bei der symptomatischen und bei der chronisch-intermittierenden Quecksilberbehandlung h/tufigen papulSsen Rezidive der Haut, Schleimhaut, Iris llsw. sind bei Salvarsallbehandlung fiberhaupt wesentlich seltener, beiwiederholt enerzisch Behandelte n geradezu Ausnahmen. Die statistischen Zusammenstellungen, die wir fiber diese Frage besitzen (die letzten, die mir zu Gesicht gekommen sind, und die auch das literarische Material zum Tell berficksichtigen, stammen yon SCI~OLTZ und WILLMER und yon PONTOPPIDAN), ergaben eille unzweifelhaft starke Vermillderung der sekundgren Rezidive, nicht blog bei dell abortiv, sondern auch bei den erst etwas sp/~ter behalldeltell F~llen. Wo die Resultate ungfinstiger sind ( L o w E N S T E I N ) , da ist auch die Behandlung nach jetzigen Begriffen r e c h t unzureichend gewesen. i) PrinzipieI1 m6chte ieh hierzu • bemerken : Wenn es sieh bei einer ehronischen zeitweise latent verlaufenden Krankheit datum handelt, das Behandlungsma/3 zu be~ stimmen, so gehen wir zun~chst meist tiber das zur Beseitigung der Symptome notwendige Mal3 7ainaus. Das hat man bei der Syphilis wohl immer getan; bei der chroniseh-intermittierenden Methode hat man die Behandlung wfihrend der Latenz zum Gesetz erhoben. Beim Salvarsan haben wir zun~chst in mehr oder weniger festem Glauben an die ,,Therapia magna sterilisans" alle zu wenig getan. Als die ,,Rtieksehl~ge" kamen, sind wir dantl zu dem Prinzip der ehronisehdntermittierenden Behandlung zurfiekgekehrt, wobei Blut- und weiterhin Liquoruntersuchungen mit - - abet nieht allein - bestimmend wirken sollten. Als erkannt wurde, dab yon den frfihen primfiren F~Ilen eine grM3e Zahl naeh einer Kur lange frei blieb, haben die einen das Prinzip der ,,Abortivbehandlnng" auf den Scl~ild gehoben, die anderen sind allm~hlieh mit der Zahl der Kuren zuriiekgegangen - - zu den letzteren geh6rte aueh ich. Und das gleiche gilt ftir die Behandlung der seropositiven Frtihlues. Gewig ist es notwendig, besonders b e i einer Krankheit, deren Behandlung nicht ganz ohne Gefahren ist (wie die mit Salvarsan u n d Hg), das notwendige MinimalmaB der Kuren zu erforsehen. ,~ndert man aber das Prinzip plStzlicl~, so setzt man evtL eine grebe Anzahl auf einmal der Gefahr lmzureiehender Behandlung aus. Ieh huldige also keineswegs dem ,,Maximalschraubsystem", sondern verfolge nut ein vorsiehtiges Ansprobieren des ausreichenden geringsten Be/aandlungsmages; das ist m. E. das Rationellste selbst dann, wenn man mit FR. LESSER die Gefahrenehance bei den ,,Sieherheitskuren" beriicksichtigt - - man mug nur nicht die ,,Gewinnchance" so klein ansetzen, wie es dieser Autor rut. 8o*
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Gerade bei den in der seropositiven Primer- und den in Neurorezidive aber provozieren. Es ist hier noch ein an Under Sekund/~rperiode behandelten Patienten kommen die klarheiten sehr reiches Gebiet. bereits erwghnten selteneren resistenten F/ille vor, bei denen Was die Spdterscheinungen an den inneren Organen andie Erscheinungen ls Zeit hindurch nicht zurfickgehen geht, so sind sie fiir uns Syphilidologen vim schwerer zu erund selbst w/~hrend oder h/~ufiger kurz nach der K u r rezidi- fassen als die ~uBeren Symptome, well sie naturgem~B viel vieren. Das k a n n auch bei den Sero- und Liquorreaktionen weniger zu uns, Ms in die anderen Kliniken kommen. W e n n der FM1 sein. ich aber zun/~ehst vom Zentralnervensystem absehe, so kann man wohl behaupten, dab irgendein A n h a l t s p u n k t nicht Nach der Salvarsanbehandlung tertiiirer Haut- und Sehleimhautprozesse scheinen Rezidive sehr selten zu sein. Da wir gegeben ist, anzunehmen, dab sie auf energische Salvarsantherapie h~ufiger folgen Ms die Hatlt- und Schleimhautjedoch fiber die Rezidive dieser Form auch nach der alten symptome. W e n n jetzt z. B. die Aortitis in der Literatur eine spezifischen Therapie statistisch wenig orientiert sind, ist ein so groBe Rolle spielt, so liegt das doch an der gr6geren Aufvergleichendes Urteil hier bisher k a u m m6giich. 9 merksamkeit, die ihr geschenkt wird, und an der weiteren Bei der Behandlung besonders der seropositiven Frfihlues Verbreitung der Blutuntersuchung und der R6ntgendurchmacht sich aber nicht nur die ungenfigende Wirkung einmaliger leuchtung, d. h. an der besseren Diagnostik. Wir kennen auch Kuren h~ufig geltend, sondern hier ist aueh das Gebiet, auf Aul3erungen hervorragender innerer Kliniker, die betonen, welchem die sch/~dliche Wirkung der zu kurzen Anfangsdab die Aortitis speziell bei ganz unzureichend Behandelten behandlung mit Salvarsan (sog. ,,Anbehandluruj") zutage tritt. Es ist eine nicht zu leugnende, fibrigens gleich im t3eginn vorkommt. Da sie aber bei einer groBen Anzahl von Fgtlen erst sehr sp/it nach der Iniektion manifest wird, werden wir der Salvarsan/ira b e k a n n t gewordene, in letzter Zeit wieder mit unserem Urteil darfiber noch zurfickhalten mfissen, in mehr besprochene Tatsache, dab bei ungeniigender Salvarsanwelchem Umfang sie und ebenso die anderen internen Manizufuhr, wie mir scheint, namentlich auch dann, wenn diese ohne Quecksilber erfolgt, die Hirnnerven und die Meningen festationen durch die frfihe und energische Salvarsanbehandlung vermieden werden k6nnen. in auffallender Hgufigkeit frfih erkrankefl. Es ist nicht zu Das schwierigste Kapitel ist die Frage, welehen Einflufi bezweifeln, dab solche Neuro- und Meninyorezidive auch ohne die Salvarsantherapie a,u] die Entstehung der syphilogenen jede und auch bei reiner Quecksilbertherapie vorkommen. Es Nervenerkranlcungen hat. Von den Neuro- und Meningoist aueh sicher, dab sie selbst bei energischer Salvarsananwendung und bei K o m b i n a t i o n mit Quecksilber g e l e g e n t l i c h rezidiven habe ich sehon gesprochen. Ieh habe den Eindruck, dab die vielfach wiederholte Behauptung yon der starken auftreten. Es scheint mir aber, auch auf Grund eigener Erfahrungen, ebenso sicher, dab sie bei der ,,Anbehandlung" Vermehrung der Nervensyphilis seit der Einffihrung des SaN varsans sich jedenfalls zu einem groBen Teil auf diese F/ille mit Salvarsan wesentlich h~ufiger sind. Gerade weiI ich im bezieht. Irgendwelches statistische Material, welches eine Anfang sehr vorsichtig mit Salvaxsan war u n d e s ohne Hg Zunahme der vasculgren und gumm6sen Formen der ceregab, habe ieh damals verhgltnism~igig vim Neurorezidive gesehen. Sie wurden bei den yon mir resp. in meiner Klinik brospinalen Syphilis beweisen kSnnte, ist mir nicht b e k a n n t Behandelten sehr viel seltener, Ms ich zu Serien yon Salvarsan- geworden. Aber auch die jetzt 6fret ge.h6rte Annahm.e, dab 9 Tabes und Paralyse durch die Salvarsanbehandlung h~ufiger injektionen und zur Kombination mit Hg fiberging. geworden sind, scheint mir durch Statistiken nicht gestfitzt. AuI die theoretische Erkl/~rung dieser Formen k a n n ich BONH6FFER hat sich viel eher, wenn auch sehr vorsichtig, im bier nicht eingehen. Ihre Prognose ist nach meinen Erfahumgekehrten Sinn ausgesprochen. Und FINGER sagt zwar, rungen im allgemeinen giinstig, wenn sie frfih genug zur Kenntdaf3 ,,woM s u c h " eine Vermehrung von Tabes und Paralyse nis und zur vorsiehtig eingeleiteten, abet energisch fortgesetzten eingetreten ist, aber er gibt nieht an, worauf er sich dabei spezifischen Behandlung kommen. DaB sie unter diesen Umstfitzt. Selbst BUSC~KE will das nicht behaupten. Richtig st/inden ffir den weiteren Ablauf der Syphilis eine ungiinstige ist unzweifelhaft, dab diese Krankheiten in einzelnen Fgllen Bedeutung haben, ist keineswegs sicher, ja es erscheint nicht auch nach in unserem Sinne ausreichenden Kuren beobachtet gerade sehr wahrscheinlich, da sonst entsprechende Erwurden, und aus einigen Angaben in der Literatur scheint fahrungen eigentlich schon in gr6Berer Zahl vorhanden sein hervorzugehen, dab die Anbehandlung ein h/iufigeres und mfil3ten. NONNE hebt Mlerdings hervor, dab in nicht wenigen frSheres Auftreten der Tabes u n d Paralyse I bedingen soll. F/illen die fortgesetzte antisyphilitische Therapie gegen die W e n n es schon bewiesen v/ire, dab diese Krankheiten unRezidive machtlos ist, besonders bei den Aeusticuserkran- mittelbare Konsequenzen der meningeMen Frfihlues sind, d a n n kungen ; aber er sagt nichts dariiber, warm sie nach dem Aufwfirde die schon hervorgehobene, durch die Anbehandlung treten des Neurorezidivs begonnen wurde. bedingte Vermehrung der letzteren j a ein leicht verstgndliches 9 Von sehr viel geringerer Bedeutung sind andere ,,Monorezidive" an Haut und Schleimhaut, wie sie bei unzureichender Salvarsantherapie 6fret einmal vorkommen. Sie heilen bei weiterer SMvarsanbehandlung sehr gut, u n d e s ist nicht erwiesen, dab sie fiir den weiteren Verlaui eine wesentliche Rolle spielen. Von den SpSterscheinunge~ der Syphilis sind die der Haut, der Schleimhaut, der Knochen an den mit Salvarsan auch n u t einigermaBen kr~ftig behandelten Patienten bisher sehr selten vorgekommen. Wir wissen aus frfiheren Statistiken, dab ein sehr groBer Teil der sogenannten terti/iren Symptome sich schon in den ersten 5 - - 6 Jahren nach der Infektion zeigt. W e n n wir solche jetzt bei unseren friiheren SMvarsanPatienten n n r so wenig beobachten, so k a n n das daran liegen, dab sie durch Salvarsan viel seltener geworden sind, oder dab sie in ihrem Auftreten hinausgeschoben werden. Diese Frage lgBt sich zurzeit natfirlich nicht entscheiden. Wenn FINGER sagt, dab die 13ehandlung, und besonders die mit Salvarsan, die gumm6sen Formen auf ein Minimum reduziert, wohl aber die latente Meningitis provoziert, so ist das erstere wohl richtig, das letztere aber namentlich mit Riicksicht auf die h/iufigen positiven Liquorreaktionen bei friiher nicht mit SMvarsan behandelter terti/irer I-Iaut- usw. Lues bisher nieht bewiesen, abgesehen von den unzureichenden Salvarsankuren, welche vielleieht geniigen, u m gumm6se Formen zu verhindern, die
Bindeglied zwischen ihr und der freilich nur angeblichen Vermehrung yon Tabes und Paralyse abgeben. Aber vorl~ufig ist such die ersterwghnte Behauptung noch fraglich. Jedenfalls wird man hier yon Gesetzen nicht spreehen dfirfen, da ParMyse einigemMe nach vorher vollst/indig negativem Liquorbefund aufgetreten ist, u n d da auf der anderen Seite positive Liquorbefunde bei tertigrer externer Lnes relativ oder nach einigen ~ u t o r e n sogar sehr h~ufig sind, bei der bekanntlich ausgesprochene Tabes und Paralyse reeht selten vorkommen. Die Frage ist meines Erachtens noch Ms eine ganz offene zu bezeichnen. Dafiir sprieht such eine ~92~ erschie~enen Zusammenfassung yon NONNGS Material durch PETTE, welcher betont: F i n sicheres Urteil, wieweit Salvarsan Tabes und Paralyse verhindert, sei noch nieht m6glich, die Gesamtzahl der F~lle sei zum mindesten nieht gr6Ber geworden, die Inkubationszeiten anscheinend kiirzer. (Auch das k a n n BONtI6FFER nieht bestgtigen.) Die zur Beobachtung gekommenen F/ille h/itten im ersten bzw. zweiten Stadium immer unzureiehende Dosen yon SMvarsan bek o m m e n ; kein F a l l sei nach u n s e r e n heutigen Begriffen genfigend behandelt gewesen. Dem widersprach am Hamburger Dermatologen-KongreB such NONNE, der gerade in diesem Zusammenhang mehrfach zitiert wird, nicht. Er sagte nur, m a n weiB noch nicht, was wirklich eine genSgende
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Behandlung set. Er hat aber zur energischen kombinierten sehr oft ausgezeichnet auf Saivarsan; auch schwere Formen Behandlung der Frfihlues geraten und an anderer Stelle bewie die Aortitis und Tabes k6nnen relativ gut beeinfluBt tout, dal3 das in seiner Privatpraxis konstatierbare frfihere werden; bet Paralyse bleiben die Aussichten sehr ungfinstig. Auftreten der Tabes und Paralyse wahrscheinlich dutch unDie Akten fiber die Einwirkung auch der unzureichenden Salgenfigende Frfihbehandlung bedingt set. varsantherapie auf h/iufigeres und frfiheres Auftreten der Tabes und Paralyse sind noch nicht geschlossen. Beweisendes Wfirde die Anbehandlung wirklich in gr6Berem Umiange Material darfiber liegt nicht vor. zur Vermehrung und zu einem wesentlich frfiheren Auftreten yon Tabes n n d Paralyse fiihren, so mfigten wir das jetzt Noch eines muB betont werden, was freilich nicht als eigentlich schon in erschreckendem Mage konstatieren H e i l w i r k u n g gebucht werden kann, was mir aber ether der wesentlichsten Vorteile des Salvarsans zu sein scheint: k6nnen. Nirgends wfirde ein Zweifel darfiber noch bestehen. Denn im Aniang der Salvarsanira war die Behandlung eigentdie Verminderung der Anstect~ungsgeJghrliehkeit der ]ri~hen Syphilis. Selbst eine einmalige, einigermaBen grfindliche lich prinzipiell eine Anbehandlung, und es ist ffir jeden Letter einer Poliklinik, ffir jeden besch/iftigten Facharzt eine t~ig- Kur bedingt nicht nur ein schnelles Verschwinden-der Spirochgten an der Oberfls sondern macht auch das Auftreten lich gemachte, auBerordentlich betrfibende Erfahrung, wie ansteckender Frfiherscheinungen seltener. Noch viel mehr ist ungeheuer oft sie es auch jetzt noch ist, tells weft die Arzte vielfach viel Zu wenig Salvarsan geben, tells well sich unge- das bet wiederholten Kuren der Fall. Dadurch wird der einzelne Syphilitiker in viel geringerem Grade zur Quelle neuer z/~hlte Kranke vorzeitig den Kuren entziehen, and wir das Ansteckungen. Man hat dagegen eingewendet, daB, wenn nach dem bisherigen Stande unserer Gesetzgebung nicht das so wgre, doch die Statistik der Syphilis schon eine Wirverhindern k6nnen. kung davon zeigen miil3te. Dieser Einwand erscheint mir nicht I n allen Perioden der Syphilis k6nnen wit yon den t-Ieilberechtigt. Ist schon in normalen Zeiten die Ausbreitung der wirkungen des Salvarsans d a n n ganz besonders vorteilhaft Syphilis yon vielen anderen Momenten neben der BehandGebrauch machen, wenn aus irgendeinem Grund (wegen Idiosynkrasie, wegen nichtspezifischer Nierenerkrankung, lung abh/ingig, so hat der Krieg, der. 3 Jahre nach Einffihrung des Salvarsans ausbrach, doch selbstverst/~ndlich so ungfinstig wegen schwerer Tuberkulose) der Gebrauch des anderen -- was man auch immer sagen m6ge, ebenfalls m~ichtigen -- Anti- eingewirkt, dal3 er auch die Wirkung des besten Antisyphitisphiliticums, des Quecksilbers, unm6glich oder nur in geringem ticums fiberkompensieren mul3te. Und obgleich die deutschen Kriegsteilnehmer vielfach -- abet doch keineswegs durchweg -Grade m6glich ist. verhfiltnismil3ig gut mit Salvarsan behandelt worden sind, so W e n n ich jetzt zusammen]assend fiber die klinischen Heilhaben doch die einzelnen t(ranken sehr oft schon, ehe das geerfolge tier Salvarsanbeh~ndlung urteilen soll, so mul3 ich noch einmal betonen, dab die Literatur fiber die kombinierte schah, Ansteckungen auch in der Heimat ausgeteilt, and die Salvarsanbehandlung der syphilitischen Frauen hat keinesMethode die ausgiebigste Auskunft erteilt, und dab ich selbst wegs mit der der Armee Schritt halten k6nnen. Auch hat die nach der schon erw/~hnten ersten lira der vermehrten Neurorezidive prinzipiell mit Ausnahme einzelner Krankheitszustgnde fiberstfirzte Demobilisierung die beabsichtigte planm/iNge Fortsetzung zahlloser Syphiliskuren unm6glich gemacht. Es und -f/ille wesentlich kombiniert behandelt babe (abgesehen sind daher sehr viele Kriegsteilnehmer in ansteckungsgeighryon einer Periode reiner Silbersalvarsantherapie). Wir vergleichen naturgemgB die Kombinationsbehand- lichem Zustand in die t t e i m a t zurfickgekehrt und haben bier lung mit der Quecksilbertherapie, speziell mit der chronisch- ihre Krankheit ausgebreitet. Ich bin so test v0n der Bedeutung des Salvarsans ffir die intermittierenden ; auch bet der letzteren liegen wirklich nmVerminderung der Syphilisausbreitung iiberzeugt, dab ich fassende Rezidivstatistiken nicht vor. Wir mfissen uns also meine: Man mfiBte, selbst wenn sein Sfindenregister noch leider noch immer nicht sowohl auf das statistische Material viel gr6Ber wXre, diese Sch/iden in Kauf nehlnen. Die einzelnen Ms vielmehr ant unsere Eindrficke stfitzen. Als ich zur SalSalvarsanschgden, so beldagenswert sie auch stud, wtirden varsantherapie /iberging, hatte ich schon 25 Jahre lange ErOpfer ffir die Volksgesundheit sein wie etwa die Impffahrungen mit der Quecksilbertherapie, u n d zwar speziell mit der chronisch-intermittierendenMethode, hatte abet natfir- schgdigungen, als sie noch relativ hgufig waren. Die Kranken selbst haben bet frfiher energischer SalvarsanItch auch sehr zahlreiche Fi~lle gesehen, welche n u t symptobehandlung nach meiner ~berzeugung mehr Chancen zur Gematisch mit Quecksilber behandelt waren. Ich bin auch nesung als ohne diese. Aber sie erkaufen diese Chaneen mit jetzt noeh trotz des modernsten Antimerkurialismus yon der einem gewissen Risiko, das fibrigens beim Quecksilber doch grogen Bedeutung der Quecksilberbehandlung fiberzeugt auch keineswegs fehlt, nach manchen Richtungen sogar und m6chte sie vorerst nicht missen. Abet der, wie ich glaube, gr6Ber ist. Dafiir aber werden so viele Ansteckungen verunbefangene Vergleich ergibt doch in ether ffir reich unhindert, die doch auch wieder der Ausgang schwerer Syphiliszweifelhaften Weise: Das SMvarsan beseitigt die Spiroch/iten an den der Untersuchung leicht zug/inglichen Stellen aul3er- erkrankungen werden k6nnen, dab schlieBlich ein Minus von diesen resulfieren muB; u n d diejenigen, die ihre Tabes ordentlich viel schneller und sicherer als Quecksitber. Bet reiner Salvarsan- und bet kombinierter Therapie verschwinden oder Paralyse wirklich der vernaehl/issigten Frfihbehandlung verdanken sollten, mfil~ten die Schuld entweder ihrem eigenen die meisten externen Symptome, auch die gegen Hg sehr resistenten Formen, viel sctmeller nnd volIstgndiger. Selbst Leichtsinn oder der Anschauung derjenigen Arzte zuschieben, welche in der Frfihperiode unseres Erachtens zu wenig Sallange mit ttg erfolglos behandelte F~lle reagieren oft gut auf Salvarsan. Das Umgekehrte kommt unzweifelhaft eben- varsan geben. Der Plan FRITZ LESSEZS, durch prophylaktische Salvarsanfalls vor, ist aber viel seltener; es gibt auch Fglle, die gegen injekiionen bet den Prostiluierten die Syphilisiniektion zu verhinbeide Spezifica resistent sind. Die Aborfivbehandlnng der seronegativen prim/iren Lues gibt, wenn auch nicht ausnahms- dern, ist praktisch wohl nich* in gr6Berem Umfange zu befolgen. Bet einzelnen Menschen, die sich der Infektionsgefahr ausgesetzt los, giinstige, freilich noch nicht als sieher definitiv zu buchende haben, kann man yon einer solchen prophylakfischen Therapie Resultate. I n dieser Beziehung leistet das Quecksilber wenig. evil. Gebrauch machen, t3IJSCI~KEbeffirchtet, dab durch die BeReinfektionen sind relativ recht hgulig geworden. Wiederseitigung der Syphilis bet den Prostituierten diese immer wieder holte energische Kuren in der sero-positiven Primer- und in reinfiziert werden und dadurch yon neuem und wiederholt anstekkende Symptome aufweisen k6nnen, wShrend die durch die Therapie der frfihen Seknndgrperiode ffihren ebenfalls oft zu den nicht sterilisierten sotche nach einigen Jahren nicht mehr bekommen. gleichen anscheinenden Dauerresultaten. Die ~rfiher allDieses Bedenken hat praktisch nur geringe Bedeutung. Die Prot/igliehen externen Sekund/ir- und Tertigrrezidive sind viel stituierten werden, gerade well sie meist erst in der zweiten Periode seltener geworden. Grol3 ist aueh der Vorsprung des Salund oft unvollkommen behandelt werden, gar nicht so oft wirk~"varsans bet der Verhfitung and Behandlung der kongenitaten lich geheilt. Sie bekommen, wenn sie unzureichend mit QueckSyphilis. Ungenfigende Salvarsanbehandlung bedingt eine silber behandelt werden, nicht selten noch lange ansteckende Vermehrung der Neuro- and Meningorezidive. Auch naeh Papeln. AuBerdem aber erscheint es nicht berechtigt, ihre evtl. unserer jetzigen Anschauung genfigende Kuren k6nnen sie mSgliche Heilung zu unterlassen und sie damit der Gefahr schwerer spiterer Rezidive auszusetzen. u kehren doch in nicht mit Sicherheit verhinder_n. Interne Syphilis reagiert
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ein geordnetes Leben zurfick, und die wirklich Reinfizierten k6nnen yon neuem behandelt und vor weiteren infekti6sen Rezidiven his zu einem hohen Grade geschfltzt werden. II. Sehdigigungen. Von den sch/idlichen Wirkungen der Salvarsanpr/iparate babe ich eine Gruppe schon besprochen. Es sind das die Einwirkungen auf den Ablauf der Syphilis in ungiinstigem Sinnel). Was die sog. Provokationserschelnungen angeht, so sind die Temperatursteigerungen, wie sie sich vor allem nach den ersten Einspritzungen yon Salvarsan, besonders bei frischer seropositiver Lues einstellen, ohne wesentliche Bedeutung. Das gleiche gilt yon der b e k a n n t e n JARISCI~-HERxHEIMERschen Realction an der. Haut. An den inneren Organen, speziell im Ketflkopf und im Zentralnervensystem, k6nnte diese gelegentlich sehr wichtig werden ; aber bei geeignes Vorgehen, bei Beginn mit Quecksilber bzw. mit kleinen Dosen Salvarsan, wie ich sie seit den ersten intraven6sen Injektionen gegeben babe, sind solche gef/ihrliche Erscheinungen meist zu vermeiden. Sonst spielt die Provokation zwar in der Theorie eine groBe Rolle, tats/ichlich aber wissen wir yon ihr, auBer in bezug aug die meningealen Reaktionen, fiber deren Bedeutung die Akten noch keineswegs geschlossen sind, recht wenig. NONNE hat speziell vor der B e h a n d h n g bei spgter seroposifiver Lues gewarnt ; ich habe diese viel angewendet und k a n n mir nicht denken, dab sch/idliche Wirkungen mir dabei nicht b e k a n n t geworden w/iren. Ich weiB aber, dab gelegentlich Provokationen angenommen werden, wo solche gewil3 nicht vorliegen. Wer es, wie ich, erlebt hat, dab eine syphilitische Apoplexie u n d in einem anderen Falle ein erster paralytischer Anfall eintrat, gerade ehe eine beabsichtigte I~ur begonnen wurde, wird auch in dieser Beziehung skeptischer werden. Die F u r c h t vor dem ,,Quieta movere" k a n n zu weir gehen und dann schaden. Ich bitte reich nicht miBzuverstehen: Auch ich glaube an die Bedeutung der Provokation -- ich sah erst in dieser Woehe ein kongenital-luetisehes M/idchen unter einer Salvarsankur an Keratitis parenchymatosa erkranken. Bei Fortsetzung der Kur heilte diese sehr gut. Jedenfalls aber habe ich die Provokation keine groBe Nolle spielen seheii, und dab ihre Resultate besonders schlecht aug die Therapie reagieren, muB auch erst noch bewiesen werden. Die anderen Sch/idigungen, welche dutch das Salvarsan entstehen k6nnen, sind sehr mannigfMtiger Natur. Ich sehe bier yon denjenigen ab, welche durch teehnischeFehler in der Anwendung bedingt sind (Thrombophlebitiden, Nekrosen usw.). Sie sind zwar sehr unangenehm, haben abet meist keine schweren Fotgen. Das gleiche gilt von den Infiltraten und Nekrosen nach intramuskul~ren Injektionen, wie sie jetzt, aul3er bei Kindern, wenig mehr vorgenommen werden. Nut Nervenlghmungen, wie sie auch nach Quecksilber vorkommen, sind ernsterer Natur. Aueh wenn Thrombosen slch einmal im AnschluB an eine anseheinend vollst~ndig normal verlaufene intraven6se Injektion entwickeln, hat das keine groBe Bedeutung. Ich sehe ferner ab yon den Gefahren, welche durch Anwendung des Salvarsans aus schadhaften Ampnllen oder zu lange aufbewahrter L6sungen bedingt sind. Diese Dinge lassen sich dutch die notwendige Vorsicht meist vermeiden. Die Wasserfehler spielen bei den konzentrierten L6sungen der neuen Salvarsanprgparate keine wesentliche Rolle mehr, zumal wenn fiberall frisch doppelt-destilliertes und sterilisiertes ~Vasser bzw. das Iabrikm/iBige hergestellte vorschriftsmiiBige Wasser verwendet wird. Nicht beschMfigen m6ctite ich mich auch mit den spezielten Schgdigungen dutch einzelne Behandhngsmethoden, besonders die endo-lumbale. Da diese vorerst noch nicht Allgemeingut der -~rzte geworden ist und auch zun~chst wohl nicht werden kann, erfibrigt es sich bier, die einzelnen Fglle, in denen bedenkliche Nebenwirkungen aufgetreten sind, zu besprechen. Es bleiben somit fibrig: die sog. vasomotorischen Erschei-
nungen, die alzuten Magen- und Darmsymptome, die rheumatischen Beschwerden, die hdmorrhagischen Affelctionen (aplastische Angimie), die Dermatosen, die Lebererkrankungen und die Encephalitis haemorrhag@a. -Die sehr seltenen Erscheinungen yon Nierensch/idigungen, Gangr/in, mulfiplen Neuritiden, Netzhautblutungen, Fernthrombosen, chronischen 1) Die Behauptung, dab die Syphilis an Schwere zugenommen hat (z. 13. BUSCHKE), i#: nicht bewiesen; weni1 sic es w~ire, so wiire der Nachweis nicht erbrachf und wohl auch nicht zu erbringen, dai3 das dutch das Salvarsan geschehen sei.
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Odemen usw. lasse ich als zwar sehr bedauerlich, aber praktisch, eben wegen der Seltenheit, nicht geniigend wichtig beiseite. Es ist im Rahmen dieses Vortrags unm6glich, auf die Pathogenese aller dieser Formen einzugehen, deren Kenntnis natfiflich die beste Grundlage f/ir die gegen sie zu ergreigenden vorbeugenden und therapeufischen MaBnahmen bilden wfirde, Eine solche Er6rterung ist u m so weniger m6glich, als das meiste auf diesem Gebiete noch hypothetisch ist. 3 Momente sind es vor allem, welehe jetzt zur Erkl/irung der Salvarsannebenwirkungen herangezogen werden mfissen:
Die individuelle Disposition, Fehler in der Indikationsstellung bzw. in der Dos@rung und in den Intervallen und fehlerhaJte Pr~'parate. Diese 3 Momente sind abet keineswegs scharf auseinanderzuhMten. Es lgBt sich nicht leugnen, dab die individuelle Disposition, das, was man vieKach als ,,Idiosynkrasie" oder ,,spezielle Uberempfindlichkeit" bezeichnet, sich bei manchen Patienten entweder yon vornherein oder wesenflich h/iufiger im Verlauf der Salvarsanbehandlung geltend gemacht hat, ohne dab sich vorher ein Grund zu irgendeiner Befiirchtung oder nachher ein A n h a l t s p u n k t zur Erld/irung h/itte auffinden lassen. Die Ausdrficke ,,Idiosynkrasie" oder ,,IYberempfindlichkeit" bezeichnen natfirlich n u r unsere U n k e n n t n i s der eigenflichen Ursache dieses abnormen VerhMtens einzelner Menschen. Ffir die grogen Differenzen der Empfindlichkeit spricht nicht NoB das h/iufigere Vorkommen der verschiedenen Nebenwirkungen bei Frauen ( I ~ U Z N I T Z K Y und Fvc~s), sondern auch speziell der Dermatosen bei der ~veiBen Rasse (MooRE und KEIDEL). Ich habe sowohl Gew6hnung Ms auch ,,Weckung der Idiosynkrasie" in sehr ausgesprochener Weise beobachtet, wie es yon den Arzneidermatosen b e k a n n t ist. I n manchen F/illen k a n n man einen Grund fiir das Auftreten der Nebenwirkung doch aufdecken, der vielleicht durch eine g e n a u e r e Untersuchung vor der Behandlung h/itte festgestellt werden k6nnen. Es w/ire d a n n diese unterlassen oder bei der Dosierung und den Intervallen geniigend darauf Rficksicht genommen worden. Hierzu geh6ren Nierenanomalien, welche zu Retention und damit zu Kumulation des Salvarsans b z w . seiner Derivate AnlaB geben und keineswegs immer dutch die gewShnliche Eiweiguntersuchung augzufinden sind, Herzaffekfionen, der Status thymico-lymphaticus, Hyperthyreoidismus, besondere Empfindlichkeit des Nervensystems, kurz alles, was die Toleranz des Organismus oder einzelner seiner Organe herabsetzt oder seine Reizbarkeit erh6ht. Es ist aber auch in solchen F/illen unzweifelhaft, dab die Empfindlichkeit keineswegs immer dem konstatierbaren Dispositionszustand parallel geht. Man k a n n bei relativ hohem Grade der zu den Nebenwirkungen disponierenden Momente von der Toleranz, bei sehr niedrigen Graden von der Intoleranz fiberrascht werden. I n vielen F/il!en setzen, wie erw/ihnt, die Sch/idigungen ganz pl6tzlich nach 2 oder mehreren oder selbst vielen Injektionen ein n n d zeigen sich yon vornherein in sehr intensiver Weise. I n anderen F/illen aber treten zun/iehst sehr unbedeutende Erscheinungen auf und steigern sich bei Weiterbehandlung zu hoehgradigen, so dab die Beachtung der ersteren vor den letzteren sehfitzen kann. Noch eine allgemeine Bemerkung m6chte ich voransehicken: Man hat vielfach betont, dab die Salvarsansch/idigungen yon der Dosis unabh~ngig sind. Man hat ja fiberhaupt oft gemeint, dab das, was m a n gew6hnlich als Idiosynkrasie bezeichnet, gerade durch diese Unabh~ngigkeit yon der Dosierung charakterisiert ist. Das scheint mir in dieser Allgemeinheit nieht richtig zu sein. Gewil3 kommen idiosynkrasische Wirkungen auch bei kleinsten Dosen vor ; aber sie sind doch, da die st/irksten Intoleranzen seltener sind als die mittleren oder schwachen, im Durchschnitt h/tufiger bei gr6Beren D0sen resp. geringeren Intervallen. Das ist ffir das Salvarsan speziell aus der K61ner Statistik hervorgegangen. * Auch bei den fehlerhaften Pr/iparaten, yon denen weiterhin zu sprechen sein wird, spielt wahrscheinlich sowohl die individuell verschiedene Empfindliehkeit als aueh die Dosierung eine sehr wesentliche Rolle. Es kommt noeh hinzu, dab
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die ,,Disposition" wechseln kann, und zwar sowohl ill bezug alff die A r t der Reaktion als auch in bezug auf ihre St/~rke. Differenzen in der Reaktion k6nnen auch durch alle m6glichen chronischen oder akuten Krankheitszust/iilde,bedingt sein. Wie weir die Kombination mit Hg die seh~digende Wirkung des Salvarsans erh6hen kann, ist nicht sicher. I m Prinzip ist die M6glichkeit gewig zuzugeben. Es kann hier llicht meine Aufgabe sein, die einzelnen Symptome zu schildern. Ich will nur kurz ihre Bedeutung er6rtern und gleich einige wenige Bemerkungen fiber die spezielle Prophylaxe und Behaildlullg hinzuf6gen. Die ,,vasomotorischen Nrseheinungen" k6nnen zwar sehr bedrohlich aussehen, aber der Exitus t r i t t bei ihnen wohl kaum je ein. Sie k6nnen dutch Verminderuilg der Dosis, durch Wechsel des Pr/iparates, durch vorherige Einspritzung yon Adrenalin evil. auch durch sehr lailgsames Spritzen vermieden werden. In der Literatur siild auch noch manche andere Vorbeugungs- und BehandluilgsmaBnahmen (Afropin, Alkalizufuhr, Vorgabe ldeinster Dosen usw.) angegeben. Nicht schwer sind im allgemeinen die akuten Mcuyen- und Darmsymptome; speziell das Erbrechen kann oft schon durch Zudrficken der Nase w/ihrend der Injektionen vermieden werden. Die rheumatischen Erscheinungen ~n Form yon Gelenlcschmerzen (KuzNITZKY), fast nur bei Frauen, haben Ilach unseren bisherigen Erfahrungen keiile wirklich~(ernste Bedeutung. Wohl abet k o m m t eine solche den Temperatursteigerungen, abgesehen voll dem bereits erw~ihnten initialen ,, Spirochgtenfieber"zu, da man darnach bei weiteren Inj ektionell nicht selten bedenldichere St6rungen, wie Dermatosen, beobachtet hat, Sehr schwer ist die bisher llur ill wenigen F/illen festgestellte Neiguiig zu H/~morrhagien in H a u t und Schleimhaut (aplastiscke An~mie). Auch unsere Klinik h a t einell solchen Todesfall zu beklagen. In eiiligen anderen leichteren, hierher geh6rigen Fgllen ist Heilung eingetreten. Dabei wird die Beobachtung yon Blutuilgell in die Haut, z. B. bei der Stauung am A r m vor der Injektion, als Warnungszeichen dienen k6nnen. Die Behandlung dieser Zust/~nde kann wohl nur nach allgemeinell Prinzipien erfolgen. Die gr6Bte Bedeu~ung auf dem Sfindenregister des Salvarsans haben die 3 zuletzt genannten Krankheitsgruppen: die Dermatosen, die Leberaffektioilen und die Encephalitis haemorrhagica oder P u r p u r a cerebri. Die Dermatosen sind sehr verschieden zu hewerten, je nachdem es sich um die auch bei Zufuhr yon anorganischem
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Arsen nicht seltenen Hautver~nderungen (Zoster, Melanodermie, Hyperkeratosen) oder um flfichtige urticaria- und erythemartige Ausschl~ge und sog. ,,fixe F o r m e n " oder um sich generalisierende ekzematoide und exfoliierende Dermarosen handelt. Die sog. eigentlichen Arseildermatosen und die fixen Formen haben keine schlimme Bedeutung, abet auch sie bediilgell natiirlich sehr g-roBe Vorsicht. Die urticariellen und erythemat6sen kSllnen zwar bei unvorsichtiger Weiterbehandlung in die schweren Eruptionen fibergehen, sie sind also sehr ernst zu beachteilde ,,pr/imonitorische" Symptome (nach MILIA~ geh6rt dazu auch eine einseitige Conjunctivitis), oft aber sind sie insoferll harmloser Natur, als sie bei genfigender Berficksichtiguilg der Dosierung und der Intervalle evil. auch bei Wechsel des Pr~iparates Ilicht wieder erscheinen, und schlieBlich solche Patienten auch normale Dosell vertragen. Von den augenscheinlich seltenen Purpuraexanthemen habe ich schon in meiner ersten Salvm'san-Arbeit einen Tall erw/ihnt: sie sind mit Rficksicht auf die aplastische Angmie besonders sorgfgltig zu untersuchen. Eine sehr groBe Bedeutuilg abet haben die Dermatitiden mit Neigung zu allgemeine r Ausbreitung (Odem und N~ssen) gewonllen, auch sie k6nnen zwar in einigen Wochen glatt abheilen, nicht selten aber sind sie sehr schwere, monatelang dauernde Kr~nkhei%zust~nde. Sie k6nnen zu Hornhautgeschwtiren fiihren (ein eigener, mehrere F/~lle in der Literatur) uild bedingeil eine besondere Disposition zu Pyodermien uild Bronchopileumonien, so dab eill Teil der SalvarsantodesfNle durch sie bedingt wird. AuBer durch die erwghnte Berficksichtigung der Warnungszeichen k6nneil wir zu ihrer Vermeidung nichts Bestimmtes tun. Bei ihrer Behandluilg spielen gr6Bte Sauberkeit, sorgf~ltigste Hautpflege, Durchspfilung des Organismus, R6ntgenbestrahlungen, permanente B/~der usw. usw. die Hauptrolle. Evtl. wird man auch zu Staphylokokkenvaccinen, Argochrom u . a . greifen. IVlir scheint, als wenn die Neigung zu schweren Pyodermien bei den Salvarsandermatitiden doch etwas Eigenartiges w/ire, w~hrend sie ARNDT wegen der ansgedehnten EntblgBung der H a u t yon der tIornschicht ganz nattirlich findet.~Aber weder bei den generalisierten Ekzemen noch bei der Dermatitis herpetiformis, Iloch selbst beim Pemphigus sind so schwere Pyodermien mit ausgesprochener Neigung zu akuter Allgemeininfektion gleich hfiufig. (Schlul3 folgt.)
ORIGINALIEN. ZUR
ACIDIT•TSVERTEILUNG
IN
DER
ZELLE.
Von
Prof. K , SPmo. Vorsteher der Physiologisch-chemischen Anstalt der Universit~t Basel.
Die Gliederung fast aller lebender Wesen in einzelne .Organe, der Orgaile wiederum i n einzelne Zellen ist so ailschaulich und durchsichtig, dab all dieser A r t des Aufbaus der meisten Lebewesen ein ZweKel wohl nirgends mehr besteht. DaB aber auch Zelle nnd Zellplasma im physikalischeil Sinne keille homogene Eiuheit sind, solldern ein mikroheterogenes System darstellen, das lehreil bis zu eillem gewissen Grade der Sicherheit ebeiiso die Erfahrungell der Histologen, die im Geftige des Protoplasmas zahllose K6rnchen und Tr6pfchell aufdeckteI, wie die Versuche der ]3iochemiker, die das Ineiilandergreifen nicht nebeneinander verlaufender, solldern aufeinander folgender, sich gegenseitig ausl6sender, dabei r~umlich getrennter Prozesse in der Zelle nachweisen, das zeigell endlich die Ergebnisse der experimentellell Pathologie, weiill der mechailischen Zertrtimmeruiig der Zellell ein Stillstaild bestimmter Funktioilen folgt. DaB dieses ftir dell normaleil Ablauf der Lebensprozesse Ildtweildige GeJ~ge ill den Zellell durch derell Gehalt an Kolloiden erm6glicht uiid wohl bediilgt ist, entspricht der herrschellden allgemeinell Ansicht. Diese ersckeint auch experimelltelt gut iundier% seitdem von
FR. HOFMEISTER, W. PAtJ~I, mir uild sp/iter vielell allderen gezeigt wurde, dab an Leimplatten ulld anderem kolloiden Material durch Quelluilg in salzhaltigem Milieu jene ungleiche Verteiluiig y e n Wasser und Salzen erreicht werden kann, wie sie fiir den Bau der Zelle postuliert wird, ulld dab auch Gewebe und Zellen sich bei derartigen Quellungs- uild Entquellungsversuchen ganz wie typische Kolloide verhalten. Dementsprechelld lgBt sich auch leicht ein dem Zellprotoplasma im physikalisch-chemischen Sinne ~ihnliches, kolloides, heterogenes System einfachster A r t im Reagensglas herstellen, das ans zwei qualitativ gleich, abet qualltitativ verschieden zusammeilgesetzten, Jliissigen Phasell besteht und ill diesem Sinne Ms Modell des Zellaufbaus dienen kailn, z. t3. 1/iBt sick ein solches durch Zufiigullg r o l l Natriumsulfat zu einer 5proz. Gelatinel6suilg bei 37 ~ jederzeit leicht reproduzierenl). Schon vor lgngerer Zeit habe ich 2) die Auffassmlg zu begrfinden gesucht, dab es sich bei den kolloiden Substanzen um Systeme ~hnlich denen zweier miteinander nicht misehbarer Fli~ssiglceiten handle; ill systematischer Weise h a t bekanntlich Wo. OSTWALDm i t glficklichstem Gelillgen eine eiltsprechende Einteilung der Kolloide auf der Unterscheidung yon disper1) Hofmeisters Beitrgge 4, 300. i9o4. 2) Uber pkysikalische und physiotogische Selektion, SiraBburg I897.