wiener klinische wochenschrift Derfler und Druml, Die Immunadsorption (IAS) wird „erwachsen“
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the middle european journal of medicine 116. Jahrgang / Heft 21–22 · 2004
Editorial
30. November 2004 Wien Klin Wochenschr (2004) 116/21–22: 699–702 © Springer-Verlag 2004
Die Immunadsorption (IAS) wird „erwachsen“ Die Immunadsorption (IAS) ist ein relativ neues extrakorporales Therapieverfahren, mit dem gezielt definierte Einweißkörper, vorwiegend Immunglobuline, aus dem Blut entfernt werden können. Ursprünglich wurde diese Technik für die Lipidapherese entwickelt, wobei mit immobilisierten Antikörpern gegen humanes Apoprotein B selektiv jene Lipoproteine, die dieses Apoprotein enthalten, also vorwiegend LDL und Lp(a), entfernt werden können. Heute wird dieses Verfahren vorwiegend zur Entfernung von Immunglobulinen bei verschiedenen (Auto-) Immunprozessen eingesetzt. In der derzeitigen technischen Realisierung besteht ein IAS-System aus einem Primärkreislauf, in dem kontinuierlich aus dem Körper über eine Blutpumpe entnommenes Blut vom Plasma getrennt wird. In einem Sekundärkreislauf wird das gewonnene Plasma über die Adsorber-Säule geleitet, wo die Entfernung der jeweiligen Substanz stattfindet (Abb. 1 und 2). Diese Säulen enthalten meist Sephadex-Perlen, an denen Moleküle aufgebracht werden, die definierte Plasmaproteine binden (Abb. 3). Dabei kann es sich um antihumane Immunglobulinantikörper, um bakterielles Protein A, das ebenfalls Immunglobuline bindet oder molekularbiologisch hergestellt Peptidsequenzen handeln. Wegen der hohen Kosten sind derzeit regenerierbare Säulensysteme am gebräuchlichsten, mit denen bis zu 50 Behandlungen vorgenommen werden können. Die zukünftige Entwicklung dürfte jedoch, wenn die Indikationsgebiete ausgeweitet werden und damit die Behandlungsfrequenzen steigen, hin zu Einwegsystemen gehen.
Abb. 1. Schema des Immunadsorptionskreislaufes
Die Indikationen Lipidapherese mittels IAS wurde vielfach durch einfachere Systeme abgelöst, die zum Teil direkt Vollblut verwenden und keine Plasmaseparation erfordern [1]. In den meisten Indikationen der IAS werden heute unspezifisch alle Immunglobuline aus dem Plasma entfernt. Prinzipiell können auch selektiv Antikörper gegen definierte antigene Determinanten, wie etwa Antiazetylcholinrezeptorantikörper bei Myasthenia gravis oder Katecholaminrezeptorantikörper bei der kongestiven Kardiomyopathie eliminiert werden. Der Spezifität sind also keine Grenzen gesetzt, die Kosten für derartige Säulen sind allerdings so hoch, dass nicht-spezifische Systeme noch für viele Jahre dominieren werden. Es kann prinzipiell also jedes Protein eliminiert werden, gegen das ein Antikörper oder ein anderer Ligand produziert werden kann; beispielsweise sind auch Säulen für die Entfernung von Fibrinogen entwickelt worden (Rheosorba). Daraus ergeben sich die Hauptindikationen für die IAS (Tabelle 1). Wegen der Seltenheit der Erkrankungen und der hohen Kosten der Technik sind bislang nur wenige kontrollierte Studien vorgenommen worden. Die weltweit umfangreichsten Erfahrungen mit der IAS sind an der Medizinischen Universität Wien gesammelt worden, wo eine eigene, ausschließlich für diese Therapieform ausgerichtete Behandlungseinheit etabliert wurde, an der pro Jahr etwa 2000 Behandlungen vorgenommen werden. Nur zwei Indikationen sind durch kontrollierte Studien gesichert. Die erste Indikation und die einzige, für die in den USA eine Zulassung vorliegt, ist die primär chronische Polyarthritis. Der günstige Effekt einer IAS wurde mit einer Studie belegt, die eine Kontrollgruppe mit Sham-Behandlungen enthalten hatte [2]. Die Therapie wurde mit einem Einmalsystem und mit sehr niedrigen extrakorporal behandelten Volumina vorgenommen, modernere Verfahren der IAS könnten damit noch effektiver sein. Eine weitere Indikation, für die kontrollierte Studien vorliegen, ist die kongestive Kardiomyopathie, für deren Krankheitsverlauf, besonders die Progression der myokardialen Insuffizienz, Autoimmunprozesse verantwortlich gemacht werden. In verschiedenen Studien konnte eine eindrucksvolle Besserung der Myokardfunktion, aber auch der Prognose belegt werden [3, 4]. Die Gruppe aus Wien hat verschiedene Studien publiziert, in denen die IAS bei Patienten, bei denen eine Nierentransplantation geplant bzw. vorgenommen wurde, eingesetzt wurde. Einerseits handelte es sich dabei um hochsensibilisierte, mehrfach transplantierte Patienten,
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Abb. 2. Immunadsorptionssystem
die kaum eine Chance hatten, ein entsprechendes Organ zu erhalten. Mit Unterstützung durch die Immunadsorption konnte bei dieser Hochrisikogruppe ein Organ gefunden werden, die Transplantatüberlebenszeit war vergleichbar mit nicht sensibilisierten Patienten [5]. Selbst Patienten, die vor der Transplantation eine positives „CrossMatch“ aufgewiesen hatten, hatten nach einem Jahr eine exzellente Organfunktion [6]. Eine andere Anwendung betraf Patienten, bei denen nach der Transplantation eine humorale Abstoßungsreaktion aufgetreten war. Auch in dieser völlig neuen Indikation konnte gezeigt werden, dass mit der IAS der Transplantatverlust drastisch reduziert werden kann [7, 8]. Da die Nierentransplantation die häufigste Organtransplantation darstellt und die IAS vorwiegend von Nephrologen durchgeführt wird, liegen Studien zur IAS in der Transplantationsmedizin vorwiegend bei nierentransplantierten Patienten vor. Für andere Organtansplantationen sind die bislang vorliegenden Erfahrungen limitiert. Zu erwarten ist jedenfalls, dass auch andere Organtransplantationen zu den Indikationsgebieten der IAS zählen werden. Eine weitere Erkrankung, die als gesicherte Indikation für die IAS anzusehen ist, ist der erworbene Mangel an Faktor VIII, der Hemmkörperhämophilie. Obwohl kontrollierte Studien fehlen bzw. dazu wohl auch nie vorliegen werden, haben die bislang publizierten Fallserien klar belegt, dass die IAS nicht nur wesentlich effektiver und nebenwirkungsärmer, sondern auch billiger ist gegenüber konventionellen Therapiemöglichkeiten, also der bislang üblichen Gerinnungsfaktorensubstitution [9]. Aus der Wiener Arbeitsgruppe wird in der vorliegenden Ausgabe der Wiener klinischen Wochenschrift die bislang größte Fallserie zur IAS bei Lupus erythematodes (LE) vorgelegt [10]. Bei den meisten der auf eine konventionelle Therapie nicht ansprechenden Patienten
ließ sich nicht nur eine eindrucksvolle klinische Besserung nachweisen, sondern bei Vorliegen einer Lupusnephritis auch die Nierenfunktion stabilisieren und das Ausmaß der Proteinurie vermindern. Der LE und seine verschiedenen Krankheitserscheinungen sind sicherlich als eine der wichtigsten zukünftigen Indikationen der IAS anzusehen. Wie in Tabelle 1 angeführt, ist die IAS bei zahlreichen weiteren Indikationen eingesetzt worden. Vielfach liegen dazu nur Fallberichte oder kleine Fallserien vor. Dazu gehören beispielsweise die Myasthenia gravis [11], das Guillain-Barré-Syndrom [11, 12], das Goodpasture Syndrom [13], die Immunhämolyse [14], bestimmte Formen des nephrotischen Syndroms, der Pemphigus vulgaris, das Sjögren Syndrom, bestimmte Formen der TTP [15]. Zu
Abb. 3. Aufbau einer Immunadsorptionssäule
Derfler und Druml, Die Immunadsorption (IAS) wird „erwachsen“ Tabelle 1. Gesicherte und diskutierte Indikationen für die IAS Durch kontrollierte Studien gesicherte Indikationen primär chronische Polyarthritis kongestive Kardiomyopathie Durch qualitativ hochwertige Fallserien gesicherte Indikationen Hemmkörperhämophilie hochsensibilisierte („Cross-Match“-positive) Transplantatempfänger humorale Abstoßungsreaktion nach Organtransplantation Noch nicht durch entsprechende Studien gesicherte wahrscheinliche Indikationen Lupus erythematodes/Lupusnephritis Myasthenia gravis/Guillain-Barré Syndrom Autoimmunhämolyse bullöses Pemphigoid Diskutierte Indikationen (Fallberichte) Goodpasture Syndrom bestimmte Formen des Nephrotischen Syndroms Immunvaskulitis bestimmte Formen der Glomerulonephritis bestimmte Formen der TTP Diskutierte Indikationen für Fibrinogenelimination Hörsturz Maculadegeneration diabetische Mikrozirkulationsstörung/diabetischer Fuß
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fahren dar. Eine relevante Steigerung der Infektionsrate durch Elimination der Immunglobuline ist, zumindest was bakterielle Infektionen betrifft, nicht zu beobachten [16]. Echte Vergleichsstudien zu den beiden Therapieformen gibt es aber bislang nicht. Derzeit werden mit einer IAS aber vorwiegend Patienten behandelt, die auf eine konventionelle Therapie inklusive Plasmapherese nicht angesprochen haben, die bisherigen Studien haben also eine weitgehend negative Selektion von Patienten aufgewiesen. Der Wirkungsmechanismus der IAS ist einerseits naheliegenderweise die Entfernung des für ein Krankheitsgeschehen relevanten Antikörpers. Es kommt durch die IAS auch zu keiner reaktiven Steigerung der Nachbildung von entfernten Immunglobulinen [17]. Die Wirkung der IAS dürfte aber viel weiter gehen. Viele Daten sprechen dafür, dass eine echte Immuntoleranz induziert werden könnte, dass die endogene Produktion des spezifischen Antikörpers sistiert. Dies konnte eindrücklich bei Patienten mit Hemmkörperhämophilie oder nach Nierentransplantation gezeigt werden [5, 9]. Die IAS wird also „erwachsen“, hat inzwischen einige etablierte Anwendungsbereiche erreicht und viele weitere werden dazu kommen. Eine weitere Ausbreitung der klinischen Anwendungen wird bislang durch die hohen Kosten und den derzeit noch bestehenden Mangel an guten Studien behindert. Wir sind überzeugt, dass dieses Verfahren einen festen Platz im therapeutischen Instrumentarium des 21. Jahrhunderts innehaben wird. Kurt Derfler und Wilfred Druml
erwarten, dass in den nächsten Jahren sich weitere solcher Krankheitszustände, vorwiegend also Autoimmunerkrankungen, als gesicherte Indikationen für die IAS herauskristallisieren werden. Die „Rheopherese“ wurde bei diabetischem Fuß, beim Hörsturz und bei der Maculadegeneration eingesetzt. Die IAS wird somit vorwiegend in jenen Indikationen eingesetzt, in denen bislang die Plasmapherese vorgenommen wurde. Gegenüber dieser konventionellen Therapieform hat die IAS wesentliche Vorteile. Der wichtigste ist wohl die Effektivität der Therapie. Eine Plasmapherese hat mit zunehmendem Austauschvolumen einen geringeren Effekt auf die Elimination, da zugeführtes Substitutionsvolumen wieder entfernt wird. Ein Austausch von etwa 50% des Plasmavolumens (ca. 3 Liter) ist damit eine praktische Grenze. Dies entspricht einer Absenkung der Plasmakonzentration auf etwa 50% des Ausgangswertes. Dagegen ist die Effektivität der IAS ausschließlich von der Menge des prozessierten Plasmavolumens abhängig. Üblicherweise werden zwei bis drei Gesamtplasmavolumina des Patienten (ca. 8 Liter) bearbeitet, was einer Absenkung des Eiweißkörpers auf unter 30% entspricht. Die Therapie kann aber beliebig ausgedehnt werden, die Immunglobuline können bei Bedarf auf nicht mehr messbare Konzentrationen abgesenkt werden [9]. Ein weiterer offensichtlicher Vorteil besteht darin, dass kein Fremdeiweiß (Humanalbumin, Frischplasma) benötigt wird, da der Gesamteiweißverlust sehr niedrig ist und keine Verdünnung von Gerinnungsfaktoren auftritt. Die IAS stellt damit das modernere und effektivere Ver-
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