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LI~T: Bildung u. Naturwissensch. - - BLEUL:ER:Mneme als Grundlage d. Lebens u. d. Psyche. [ Die Naturtwissenschaften
Priester, der Jurist, der Seelenarzt halten, sie sind wichtig genug fiir das Zusammenleben, in dem Gesittung, T a k t und eine fl-eundliche Miene weithin bestimmen. Wir wissen zudem, dab irgendwie auch yon der Oberfl~che her die Wasser in der Tiefe in Bewegung kommen k6nnen. Daran m a g sich die Weltanschauung halten, wenn sie es nStig hat. Wichtiger aber Ms alles, was wit f fir uns selbst
und ftir unsere Mitlebenden aus der Zwillingspathologie lernen, und verwerten k6nnen, ist die Forderung, die sie fiir das kommende Geschlecht erhebt. Hier welter und vertieft sich die Verantwortung ffir jeden einzelnen und fiir die Gemeinschaft. Die nach uns kommen, mfissen wohl geboren sein. Ungtinstiges E r b g u t kann aueh durch die glficldichsten ~uBeren Einfliisse nicht beseitigt werden.
Bildung und Naturwissenschaft:. Von TI~. LITT, Leipzig. Der Vortrag wendet sich sowohl gegen die neuen zahlreichen Ver~chter yon Naturwissenschaft ulld Technik wie gegen ihre blinden Anbeter, die glauben, dab ihre Ergebnisse allein den Gehalt unserer Welt ausschSpien k6nnen. \¥allre Bildung muB in sich Autoreferat aus dem Vortragshandbueh.
schlieBen sowohl das Verst~ndnis ffir Sinn, Notwendigkeit und N u t z b a r k e i t des natnrwissenschaftlichen Denkens, Iiir seine logischen Voraussetzungen und seine sachliche B e d e u m n g als auch das Wissen um seine Grenzen und die F~higkeit, seine Ergebnisse grSBeren Zusammenh~ngen einzuordnen.
Die Mneme als Grundlage des Lebens und der Psycheh Von E. BLEIJLE~, Zollikon bei Zfirich. In seinem berfihmten akademischen Vortrag v o m Jahre 187o h a t HERING ~ gezeigt, dab alte lebende Materie ,,Ged~chtnis" besitzt. Der gew6hnliche BegrKf des Ged~chtnisses umfaBt allerdings n u t psychische Vorg~nge, in erster Linie bewugte ,,Erinnerungen", und dann die F~ihigkei*, durch Erfahrung und t~bung ,,lernen" zu k6nnen u. dgl. BewuBtes und BewuBtheit kennen wit aber in "Wirklichl:eit nur jeder an sich selbst, schreiben sie abet nach Analogie nnserer eigenen Innenvorg~nge auch anderen Menschen zu. Auch wenn nnsere Mitmenschen uns sagen, sie handeln bewuBt, hubert wir keine Beweise daftir, dab sie m i t ihren Worten das gleiche meinen wie wir (Geisteskranke !), Tiere geben uns fiberhanpt keine Auskunft; D~SCARTES konnte sie als nnbewuBte Reflexmaschinen ansehen. Wir Modernen betrachten, ohne lunge zu tiberlegen, auch die h6heren Tiere als bewuBtseinsbegabt. Aber h a t ein Krebs BewuBtsein? Eine Am6be ? Keine Beobachtung gibt uns dartiber Aus~ BeweismateriaI und weitere Zusammenh~nge siehe in folgenden Schriften des Verfassers: ,,Naturgeschichte der Seele". II. Aufl. :932. - - ,,Die Psychoide als Prineip der organischen EntwicMung". I925. - - ,,Mechanismus, Vitalismus, Mnemismus". :93:. AlIe drei: BeNin: Julius Springer. ~ Als IlIustration der Tragweite der mnemischen Vorstellungen far die Psychopathologie seien angeffihrt: ,,Psychophysische Theorien in der Auffassung der Hysterie". Z. Neut. I4I, 489 (1932). - ,Suggestionsmechanismen". Z. Neut. x27, 469 (:93o). - ,,Ein Stfick Biopsychologie" (pathologische Triebe, ~¥ille). Z. Neur. SaI, 476 (:929). - - Zum VerhMtnis der Psyche zu tIirn und Seele mug erw~hnt werden: ,,VvTelt, Gehirn, Geisff'. Polska Gaz. lek. :930, Nr 44/45 (Deutsch). - - ,,BioIogische P$ychologie". (Antwort auf die Kritiken der Naturgeschiehte der Seele yon JASPERS U. V. MONAXOW). Z. Neur. 83, 554 (:923). l~lber das Ged~ehtnis Ms eine aHgemeiile Funktion der organisdhen Materie. Wien :87o.
kunft. Und auch nicht, ob VorsteUungen nach A r t unserer menschlichen das T a n der Tiere begleiten. Andererseits wissen wit, dab es bei nns selbst massenhaft Vorg~nge gibt (Wahrnehmungen, Schltisse u.a.), die uns n i c h t bewuBt, aber doch in allem iibrigen identisch sind mit den bewuBt psychischen.
Wenn also die WissenschaJt ~n der T@rreihe nach Geddchtnis ]orscht, so muff sie, u m nicht ins ~abulieren zu kommen, au] Beri~clcsiehtigung des Vorhandenseins oder Yehlens yon Bewufitheit und Vorstellungen verzlehten und das Geddchtnis ob]ektiv "~ seinen Wirkungen st~clieren wrle die Elektrizit(~t oder die Schwerlcra]t. Dieser Verzicht ist tiberhaupt ein Vorteil, denn auch die menschliche Psychotogie ist viel mehr, als m a n denk±, eine objektive, und in unseren Zusammenb~ngen ist nnr ein objektiver GedXchtnisbegriff brauchbar. Da sehen ~ r etwa, wie ein einj~thriges Kind v o m Gtanz einer Christbaumflamme verlockt wird, sie zu berfihren, wie es schIieglich trotz des Verbores die Hand nach ihr ausstreckt, diese schreiend zurfickzieht und yon nun an d e m nur gesehenen Feuer schon ausweicht. Es gibt nns keine Auskunft fiber seine inneren Vorgange; aber wit schlieBen aus unseren und anderer Erlebnissen, es vermeide die Bertihrung der F l a m m e infolge seiner :Erfahrung, dab sie Schmerz macht. Einen seinem Wesen nach gleichen Vorgang beobachten wit z. ]3. bei einem Infusor (Param~zium), dem wit eine Zeitlang rundliche verdauliche, und eckige unverdauliche K6rperchen angeboten haben. Vorher h a t t e es wahllos alle K6rperchen, die in den Bereich seiner Wimpern kamen, in den sog. Mnnd bef6rdert, verdaut, was verdaulich war, und alles Unverdauliche ausgestoBen und dann mit den Vv'impern ganz entfernt. Nun aber werden die ecldgen, nnverdaulichen K6rperchen
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gleich nach den ersten Beriihrungen mit den Wimpern abgestoBen. I ~ diesen beiden F~illen ist durch eine Erjahrung eine neuartige Reaktionsweise erzeugt worden. Beim Kinde nehmen wit ohne weiteres an, es erinnere sich des erlebten Schmerzes und fliehe deshalb dauernd die Flamme. Vom Infusor wissen wir zun~chs% gar nicht, ob es sich erinnert, d. h, eine bewugte Vorstellung yon der Ver~nderung seiner Reaktion in ihren motivischen Zusammenh~tngen erlebt. W'as wir aber bet objektiver Betrachtang als Ged~chtnis herausheben miissen, ist i n beiden F~llen dasselbe: eine F u n k t i o n hinterl~gt eine Ver~nderung, die nachher andauernd analog oder gleich ~de die F u n k t i o n selbst wirkt. Z u m objektiven Begrin des GedSehtnlsses gehSrt also Bewufftheit nicht, wenn w i t auch sub]ektiv oJr beides zusammen kenstatieren. Diesen, BewuBtsein nicht berficksichtigenden, Begriff des Ged~chtnisses h a t SEMON~ Mneme genannt, die gesetzte Veranderung Engramm, das Wirksam-werden des letzteren Ekphorie. In den Engrammen wird das Erlebte in seinen Nusammenhf~ngen fixiert. So kann das Wiedererleben oder die Vorstellung eines friiheren Erlebhisses mit i b m im Neben- oder Nacheinander verbundene E n g r a m m e anderer Erlebnisse ekphorieren, set es, dab eine frfihere W a h r n e h m u n g in F o r m ether Vorstellung wieder auftritt oder dab die Ekphorie eines Engrammes eine direkte Wiederholung des Originalerlebnisses bedeute wie beim Auswendiglernen oder bet der Obung kSrperlicher Fertigkeiten. So ist Ekphorie immer anch Assoziation (ein t3egriff, der indessen nicht n u t Verbindung von Vorstellungen, sondern yon vitalen Vorg~ngen iiberhaupt umfassen muB). Von dem BegriJj der ob]ektiven Mneme aus kann nun das im Prinzip verstii,ndlich werden, was i m Biologischen hinter den rein physikaliseh-ehemischen Vorg(~ngen steckt, atle Zweckmgfiigkeit, das ordnend Treibende in der Entwicklung yon Individuum und Art, und endlieh die Psyche mit Verstand, Trieben, Wollen und Bewufftsein, und in gewissem Sinne das Leben setbst. Alles das bildet einen einheitlichen Komplex yon Erseheinungen, der ale spezi]ische Funktion des Lebens dem anorganisehen, ged(~chtnislosen Geschehen gegeni~bersteht. Die Weehselwirkung zw@chen K6rper und Geist, die ]i~r alle andern Au]]assungen das ewige Geheimnie bleiben muff, wird im Liehte der Identitdgt eine Selbstverstdndliehkeit. Die dazu fiihrenden Gedankeng~nge halte ich im allgemeinen fiir zwingend; n u r die Vorstellung yon der E n t s t e h u n g des Lebens ist eine ganz vorl~ufige, und die yon der BewuBtheit als Eigenschait eines mnemisehen FunktionskompIexes des Gehirns ist n u t ftir den gesichert, der schon yon der hirnfunktionellen N a t a r der Psyche iiberzeugt ist, wenn es auch ohne Mneme kein Bewufftsein geben kann. I m m e r h i n lassen sich Leben n n d BewuBtsein 1 Die Mneme als erhaltendes Prinzip im Wechsel des organischen Geschehens. L Aufl. Leipzig: Engelmann I9o4.
als ,,verst~ndlich" auf die Mnerne zuriickffihren. Die iibrigen Ableitangen, also n a m e n t l i t h die das Denken betreffenden, sind yon der Giiltigkei% der genannten beiden nnabh~ngig. Die Mneme finden wir, wie Stichproben erweisen, in jeder lebenden Substanz (auch in der pflanzlichen), und zwar in alien den elementaren AnBerungen, die wir bet objektiver ]3eobachtung auch des menschlichen Ged~chtnisses konstatieren. I n jedem Falle yon Anpassung, so auch beim erw~hnten Infusor, wird etwas gelernt. ~)bungs]i~Tdgke/~ zeigt sich durch den verst~rkenden EinfluB der Wiederholungen; das Infnsor bringt im Expert. ment zun/ichst auch die unverdaulichen K6rnchen noch bis in den Mund, speit sie n u r schneller aus, und ers£ nach l~ngerer Erfahrung weist es sie gleich bet der ersten Berfihrung mit den Wimpern ab. Wie in der O b u n g summieren sich iiberhaupt gleichartige Reize und E n g r a m m e ; so kommen oft auch unterschwellige Reize durch Wiederholung zur Wirkung. Alle diese Ged~ch±nis~uBerungen sind typische Erscheinungen bet den Lebensfunktionen, seien diese psyehlseh oder physiologisch. Bek a n n t ist die physiologische ,, GewShnunff ", z. t3. an eine andere Nahrung: Infolge der ~ n d e r u n g braucht ein Organismus andere Quantit~ten u n d Verh~ltaisse der Verdaunngsiermente. Zun~chst antwortet er auf die neuen Nahrungsreize qualitativ und q u a n t i t a t i v unsicher. Da die Reize mit ihren Erfolgen und MiBerfolgen engraphiert werden, werden diejenigen Anderungsriehtungen, die die Verdauung verschlechtern, automatisch vermieden, die gtinstigen abet bet jeder Verdauung wieder ekphoriert und so auch durch die Summierung gleicher E n g r a m m e verst~rkt. Mit Hilfe der Mneme probiert also auch der Organismus aus und stellt sich auf ein O p t i m u m ein. I n der Psychologie ist dieser Vorgang b e k a n n t unter dem Namen ,,Versuch n n d I r r t a m " . fJberhaupt k a n n m a n alle die organismischen Anpassungen auch in psychischen Ausdrficken beschreiben und t a t es auch unabsichtlich sehr oft: Der Organismus ,,wehrt sich" gegen Infektionen; bet Hunger ,,trachtet" er, durch niedrigen Umsatz m6glichst zu sparen, usw. Kurz: Die Mneme der lebenden Substanz ist i n allen ob]ektiv erkennbaren Beziehungen das gleiche wie unser psyehisches Geddchtnis. Als eine der bezeichnendsten 5~anifestationen der psychischen Vorg~nge gilt ihre Zielgerichtetheir im Hinblick auI einen Zweek; m a n will ja oft aus zweckhaftem Geschehen objektiv auf bewuBte Psyche schlieBen. N u n haben wir beim Infusor u nd beim Kind gesehen, wie die lWneme zweckhafte Ab~nderungen einer F u n k t i o n einfach dadurch zustande bring±, dab sie die neue Eriahrung m i t einem bestehenden Trieb oder I~Iechanismus (Filehen vor einem Schmerz, AbstoBnng des Unverdaulichen) assoziiert. Diese unleugbare Tatsache ist der Schli~ssel zum Verstdndnis der psyehisehen und der physiologischen Zweckha$tigtceit des Lebendigen und damit der Angelpunkt der mnemistischen Biologie.
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Die Naturwisseaschaften
Es tieBe sich leicht zeigen, dab elne Zweckmgfiig]ce~t ohne Mneme gax nicht mSgl@h 4st, w~hrend
und daft die Mneme in ihren Wirkungen zu trennen ist in eine individuelle und eine phylische.
Mneme in Verbindung mit irgendwelchen Tend e n z e n - biischen, physikalischen, c h e m i s c h e n automatisch im Sinne dieser Tendenzen zweckmil3ige Reaktionen hervorbringen mul3; und wenn Sie das zweckgeriehtete Denken und Handeln des intelligentesten Menschen durchforschen, werden Sie nichts anderes als genau die gleiche mnemische Assoziation Iinden, die wir beim Infusor beobachtet haben, -- bei diesem in Verknfipfung bloB zweier psychischer Etemente, beim Menschen oft i n unfibersehba~er Komplikation. Man braucht sich also hinter zweckmil3igen F u n k tionen nicht immer eine eigentliche :Psyche vorzustellen; so namentlich nicht in den KSrperfunktionen. Bei dem Abkfirzungsvorgang beim Infusor k6nnte m a n sich alles wegdenken bis auf die Mneme und den einzigen Reflexmechanismus, der Verdauliches a n n i m m t nnd Unverdauliches abst6Bt. Nachdem der Reiz ,,Eckig" in Assoziation mit dem Reiz ,,Unverdaulich", der nrsprfinglich die AbstoBung ausl5ste, engraphiert worden ist, mfiBte er auch ganz allein AbstoBung des Unverdaulichen bewirken und so den Umweg fiber den Verdauungsapparat ersparen i.
Noch yon anderer Seile kommen wir zum n~mlichen SchluB und auch zugleich zum Verst~ndnis, wie die Fortwirkung der Mneme in der Generationsreihe m6gtich ist: Es i s t eine Tatsache, dal3 die Engramme sich in der lebenden Substanz ausbreiten k6nnen; Pro-
tisten, die irgendeine Anpassung gelernt haben,
k6nnen diese bei der Teilung auf folgende Generationen fibertragen, in seltenen F~llen auch bei sexuetIer Vermehrung i. Bei den Metazoen, wo besondere Zellen die Vererbungsfunkfion spezialisier£ haben, ist die Saehe etwas komplizierter, abet sehr Ieich% verstfmdlich, ohne Ein/i~hrung eines neuen Prinzipes. Leider k a n n ich I h n e n die ]~berginge nicht aufzeigen; ich muB mich ja fiberhaupt auf die bloBe Andeutung einer Auswaht der wichtigsten E t a p p e n des Gedankenganges beschr~nken. Eine andere Form der mnemischen ~ b e r t r a g u n g ist der h6chst komplizierte intrasomatische Nachrichtendlenst, ohne den das harmonisehe Zusammenspiel aller Funktionen, fiberhaupt die psychische und physisehe Einheit eines Organismus, unmSglich wire. Denken Sie sich n u r den ]3etrieb i n einem grSBeren Bahnhof; Signatdienst mit Meldung nnd RfiCkmeldung ist unerliglich. I m Organismus aber N u n sind auch alle physiologlsehen F u n k t i o n e n mfissen sieh in jedem Moment eine u n n e n n b a r groBe Zahl yon F u n k f i o n e n alle nach allen richten und auf psychischem Gebiete die Insfiinkte zweckund dynamisch, chemisch, physiologisch, zeitlich, m~Big -- im Hinblick auf Erhaltung des Lebens. und zwar genau dosiert, aufeinander und anf das Sie sind aber angeboren und e n t s t a m m e n nicht der Mneme des Individuums. Aber die prinzipielle Ganze abstimmen. Die ]3otschaften erm6gtichen den Zellen eines verungliickten Organs, diesem Gleichheit dieser Zweckm~13igkeit mit der vom Inwieder normale Form zu geben; sie lassen ein eind i v i d u u m durch l~berlegung geleiteten ist yon j eher zelnes Blastomer start eines parfiellen Embryos aufgefMlen: so k o n n t e n HERING und SEMON die einen ganzen bilden; sie regulieren Herz und GeE n t s t e h u n g der Arten als X¥irkungen vererbter f/iBe so, dab jeder K6rperteil seinen n6tigen Anteil Engramme auffassen; m a n spricht im Hinblick auf am Blur b e k o m m t ; sie passen die Vererbungsfunkdie physiologisehe ZweckmiBigkeit yon einer ,,K6rperseele" und betrachtet die Insfinkte Ms Ausflul3 tionen den Bedfirfnissen an, so dab z . B . zu den Keimzellen kommende Nachrichten yon der Noteines ,,Artgedichtnisses", alles allerdings, ohne sich wendigkeit eines l~ngeren Flfigels eine Tendenz d e n Hergang der Obertragung auf die folgende zur Verl~ngerung des Organes bei den NachGeneration genaner vorzustelten. I n ihrem Char a k t e r erweisen sich d e n n auch diese angeborenen kommen schaffen nsw. nsw. Das ist n u t mnemisch m6glich. Eine experiZweckmechanismen als Anpassungen nicht a n die wechselnden Bedfirfnisse des Individuums, sondern mentell reduzierte Anzaht embryonMer Zetlen a n die Durchschnittsbedfirfnisse der Generations- haben z. B. ein Gelenk zu gestalten. Da w~tre die Nachricht einer ZeIle an d{e Mitarbeiter, dab sie reihen. in einem bestimmten Stadium der Arbeit begriffen Diese Tatsachen zeiger~ doch wohI mit Sichersei und a n einer bestimmten Stelle sich befinde, heir, dab die Mneme auch die Erfahrungen der ganz unnfitz ohne die Kenntnis der R@htung des Art n u t z b a r macht -- mutatis mutandis, abet im Schaffens, d . h . yon etwas, das die Vergangenheit Wesen auf gleiche Weise wie die Erfahrungen des Individuums. Das bedeutet aber, daft mnemiseher in sieh schliegt und schon deshalb nur als mnemische F u n k t i o n weitergeleitet n n d empfangen Erwerb au/ die Naehkommen i~bertragen werden kann, werden kann. Die Botschaft m u g abet als zweck1 Natfirlich liegt in der Mneme an sich keine hafte auch die Zukunft berficksichtigen n n d sich Tendenz zu objektiver Zweckhaftigkeit. Wire sie ver- ferner komplizieren k6nnen zu einer Art ,,Bauplan" bunden mit einem unzweekmigigen Reflexmechanismus, des Gelenks, fiberhaupt zu Einheiten verschiedenen so wfirde sie diesem den Weg zu kfirzen erlauben wie Grades ganz nach Art unserer Begriffe und Ideen einem zweckmiBigen. Sie wire zweckm~Big im Sinne 1 Sogar Regenwfirmer, die gelernt batten, unter des Triebes, aber nicht in dem des Organismus als Ganzem. Im Lebenden gibt es indes keine prinzipiell bestimmten Umstinden nut nach rechts zu gehen, besch&dlichen Mechanismen (blo13 falsche An~rendungen halten diese Gewohnheit nach Regeneration des abgeschnittenen Kopfes bei. und irrungen; s. dysteleologisehe Reaktionen),
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alles Leistungen, die nur einer Mneme m6glich sind. Alles das muB nicht nur iibermittelt, sondern y o n der empfangenden Substanz (resp. Funktion) auch ver~tangen werden, d. h. bei dieser auch entsprechende Reaktionen austSsen yon der einfachen Befriedigung eines Organs m i t Blur bis zum komplizierten Bau und Funktionsplan des ganzen Gesch6pfes. Sotche Mitteilungen sind n u t m6ghch m i t Mitteln, die unseren psychischen Symbolen, d. h. mnemisehen ¥org~ngen entsprechen. Denken Sie an die Fernwirkung eines SPENANNschen ,,Organisators", eines yon einer Morula auf eine andere /ibertragenen Stiickchens v o m Urmundteil, das einer gr6Beren Anzahl yon Wirtszellen Auftr~ge gibt, -- jeder einzelnen besondere und ihr sonst nicht ad/iquate. Chemische K6rper k6nnten nieht ffir yon einem Augenblick znm andern wechselnde Bedtirfnisse neue Mechanismen schaffen oder alte den flieBenden (3berg~ngen anschmiegen, und namentlich k6nnen sie keine Orts- und Formbestimmungen enthalten. Die A r t und die Innigkeit des funktionellen Zusammenhanges und die Bedeutung des Nachrichtendienstes werden-besonders deutlich in den Negenerationen. Eine Fingerbeere ist gequetscht, so dab sie u m 6 m m verlfingert und yon einem komplizierten System yon Rigchen durehzogen ist. Die letzteren heilen dutch Granulation und bedecken sich m i t H a n t . Dann beginnt eine U m bildung, die innert kurzer Zeit die friihere Gestalt des Gliedes so wiederher~tellt, dab es nicht mehr als das verletzte zu erkennen ist. Wird die embryonale Knospe, aus der der SchultergfirteI eines SMamanders entstehen sollte, um die tt~lfte reduziert, so entwickelt sich ein richtiger, nur auf die H~lfte verkleinerter Schultergfirtel. I m m e r fibernehmen die Zellen ganz neue Funktionen und -was Iiir uns das ",¥ichtigste ist -- sie arbeiten alle in der Richtung des n~mlichen h6chst komplizierten Zieles, was nur m6glich ist, wenn jede Zelle den ganzen Bauplan und ihre spezielle Aufgabe nnd die Aufgabe jeder anderen kennt und auch weft3, was jede schon getan h a t und nun t u n wird. Es sind nicht willkiirliche Metaphern, wenn hier yon ,,Bauplan", yon ,,I
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Ohne yon dem ,,Psychoid" DnlESCHS zu wissen. Der letztere Begriff enth~lt zusammen mit der ,,Entelechie" des gleichen Autors Teilvorstellungen, die mir fiber das Mnauszugehen scheinen, was naturwissenschaftlich notwendig ist. Ich bleibe deshalb bei dem weiblichen Namen der ,,Psychoide", der nichts Meta-
selbstverst~ndlichen Grfinden lockerer verbunden sind als in dem eng umschriebenen Spezialkomplex der Psyche, so ist sie doch ebensogut eine Einheit wie diese. Man kann sie sich etwa analog vorstellen der Bewegung unseres Luftmeeres, die m a n nach Iokalen Verhaltnissen in einzelne StrSme zerlegen kann, yon den erdumspannenden Passatwinden bis hinunter zu den kleinen Wirbeln, die ein einzelnes Btatt zu unseren FfiBen bewegen; jede Teilbewegung ist v o m Ganzen abh~tngig und bes t i m m t zugleich das Ganze mit. Dieser Vergleich kann sich natiirlich nur auf die Art der Einhelt beziehen; physikati~che Druckverh~ltnisse wirken ja in wesentlich verschiedener \¥eise aufeinander als mnemische Bedentungsfunktionen. Aber wenn ~dr auch nach Analogie unserer zentralnerv6sen Vorg~nge die Wirkungen in die Ferne ,,Botschaft e n " genann± haben und annehmen miissen, dab sic wirklich dem physiologischen Substrat unserer Begriffe analog seien, so dtirfen wir uns selbstverst~ndlich nicht vorstellen, dab etwa yon jeder Zelle, die sich an der Neugestaltung der verstiimmelten Fingerbeere beteiligt, isolierte BegrKfe zu jeder anderen gehen, die erst yon dieser zu einer ,,Gesamtvorstellung" zusammengesetzt werden miiBten. In dieser Beziehung mag die Psychoide etwa der GesamtsehalIkurve eines Symphoniekonzertes entsprechen, die sowohl als Ganzes wirkt, wie anch in allen ihren vielen Komponenten, als Gesamtheit der Geigen, als Spiel einzelner Instrumente, als Chor der Alts~nger, als Melodie oder Harmonie bestimmter S~tze usw. -- DaB der Nachrichtendienst auch chemische K6rper benutzt (Hormone u. a.), ist heutzutage nicht besonders zu betonen; abet das Chemische allein kann nnm6glich der Komplikation der Aufgaben gerecht werden. Auch die ]3iologen, die fast einstimmig die Vererbung somatisch erworbener Eigenschaften Ieughen, berficksiehtigen den Nachrichtendienst viel zu wenig. Nach ihnen mtiBten die Keimzellen -- sie allein -- yon der Benachrichtigung oder yon der Benutzung derselben ausgesehlossen sein. ]3eweisen wollen sie diese Ansich± haupts~chlich damit, dag die Versuche, die Vererbung erworbener Eigenschaften experimenteli zu beweisen, gescheit e r t seien. N u n glaube ich, sie sei doch experimentell belegt 1, aber jedenfalls ist auf sehr unbiophysisches an sich hat, sondern konkret und pers6nlich klingt wie die Bezeichnung ihrer Schwester, der ,,Seele" oder ,,Psyche". Vgl. z. 13. GO~BEL, Lamarckius Redivivus. In: Wandlungen und Fortschritte in Wissenschaft und ~Weltanschauung. Herausgegeben yon D~NNE~T. Leipzig: A. Klein I93I; oder McDouGALLS sorgfMtige Versuche an Ratten, die in 23 Generationen ihre individuelle Lernf~higkeit, einen elektrischen Schlag durch Wahl eines bestimmten Weges zu meiden, kofl~inuierlich so verbesserten, dab die zur LSsung der Aufgabe n6tige Zahl yon SchtXgen yon durchschnittlich 165 auf 25 sank. [Second Report on a Lamarckian Experiment. Brit. J. Psyehol. so, 2oi (i93o)J Ich konstatiere auch, dab ich aus guten Grtinden nicht daran glaube, dab IKA~~ R E ~ mit der Brunstschwiele betrogen habe.
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Iogische V~Teise n a c h solchen Beweisen gesucht worden. W e n n m a n Generationen y o n M~usen die Schw~nze absehneidet, so dart m a n als erste erbliehe R e a k t i o n n i c h t F e h l e n oder V e r k f i m m e r n des Schwanzes erwarten, sondern h6chstens funktionelle oder a n a t o m i s c h e Anpassung an Schwanzlosigkeit, oder N e i g u n g zu E r s a t z des Schwanzes. A b e r auch sotches n i c h t in 29 Generafionen. Wie viele Generafionen der Vorfahren des Menschen h a b e n schon keinen Schwanz m e h r gebraucht, und u n t e r unserer H a u t steck'c er i m m e r noeh. E i n e Art, die so rasch auf zuf~llige Einfifisse ihren wichfigsten G e n b e s t a n d v e r ~ n d e r n wfirde, w~re bald ausgestorben, well sie best~ndig n a c h Mien R i c h t u n g e n und in vielen E i g e n s c h a f t e n vorw~rts und rfickw~rts und seitw~rts m u t i e r e n mfiBte -wie soil d a die n o t w e n d i g e H a r m o n i e ihrer T a u sende y o n E i n z e l h e i t e n e r h a l t e n bleiben? D a t u m h a t sich auch der T y p u s der GliedmaBen v o m ersten VierffiBer bis z u m Menschen erhalten. Diese A n d e u t u n g m u g bier genfigen. Die U n m6glichkeit der V e r e r b u n g somatisch e r w o r b e n e r Eigenschaften, die mi± d e m AusschluB der K e i m zellen y o n der a11gemeinen V e r s t g n d i g u n g der einzelnen Organe u n t e r e i n a n d e r v e r b u n d e n wgre, zwingt die BioIogen, die A r t e n t ~ d c k l u n g rein a n t ZuJall und Auslese abzustellen. O b e r l e g t m a n sich aber, was der Zufa11 leisten kann, a n d was m a n i h m da z u m u t e t , so ergibt sich sofort die absolute Unm6gliehkeit der zuf~lligen E n t s t e h n n g der Arten. U m nur die Kleinigkeit der fichtigen Z e n t r i e r u n g der als sehon existierend vorausgesetzten m a k r o s k o pischen Bestandteile eines Auges in e i n e m Gesch6pf y o n nur e i n e m K u b i k z e n t i m e t e r zu treffen, b r a u c h t e es durchschnitflich m a n c h e Septillionen y o n Versuchen. W e n n Sie sich das m i t alien K o n s e q u e n z e n ausdenken, so m u g I h n e n Mar werden, dab das A l t e r unserer Erde, s u c h w e n n es unsere SchXtz u n g e n millonenfach fibertreffen wfirde, n i e m a l s ausreichte, eine A r t zu schaffen. U n d w e n n einmal d u t c h irgendeinen besonderen Zufa11 doch ein lebendiges D i n g zustande g e k o m m e n w~tre, so mfiBte es raseh wieder z u g r u n d e gehen, well eine l~ixation seiner l e b e n e r h a l t e n d e n E i g e n s c h a f t e n i m Widerspruch W~l'e m i t der Variabilit~t, ohne die d e m Zufa11 ein solches Ausprobieren unm6glich w~re. Die stets zur Hilfe gerufene G6ttin Auslese k a n n ja weder etwas Positives schaffen, noch es erhalten. So wird man, w e n n die Idee ether E n t w i c k l u n g nicht aufgegeben w e r d e n soil, .zu der fibrigens an sich schon h6chst wahrscheinlichen A n n a h m e gezwungen, daft die Keimzellen nieht n u t ehemlsch,
sondern aueh psychoid, d. h. ~n bezug au] den Nachrichtendienst, in lebendiger Weehselbeziehung zu dam i~brigen K6rper stehen, daft sir so gut wie ]edes andere Organ vernehmen, was dora Ganzen ]rommt, das Vernommene in Engrammen au]bewahren und bel ihrer _Funktion der Ontogense zur Auswirkung bringen in Festhalten des bestehenden Lebensfdthigen und in Anpassung des VerbesserungsbediZr]tigen. Meist wird nati~rlieh die Vergnderung yon ether Generation zur ]olgenden unwahrnehmbar klein sein.
[ Die Natur[wissenschafte~
Mit dem Abstelten auf die in ihrer Bedeutung noch ganz unklaren Mutationen ist gar nicht geholfen. Sir haben ja meist deuflich degenerativen Charakter, und jedenfalls kennt man noch weniger P~tlle yon heraufztichtendert Mutationen als yon Vererbung erworbener Eigenschaften. Die Mutationen waren eine Zeiflang die Erl6sung aus der Schwierigkeit, dab man nur allm~.hlige Ver~nderungen kannte, diesen abet keine auslesende Wirkung zuschreiben durfte. Nun abel-, da man die Wertlosigkeit der groBen Mutationssehritte ffir die Entwicklung der Arten eingesehen, rechnet man wieder mit unbemerkbar kleinen Mutationen, die Schwierigkeit yon frfiher ignorierend. Die Ontogenie muB also aufgefaBt w e r d e n Ms ein Kettenreflex, eine Folge der E k p h o r i e h i n t e r einander geschalteter phylisch e r w o r b e n e r E n g r a m m e , wie wir sie uns in F o r m unserer e i n gelernten, a u t o m a f i s c h gewordenen H a n d l u n g e n besonders leicht vorstelten k6nnen. Ffir die mechanistische Auffassung allerdings sind Entwicklung und Funktion bloBe Folgen chemischphysikalischer Konstitution; aber diese VorstelIung istnicht durchffihrbax. Natfirlieh sind bestimmteehemisehe EIemente und Verbindungen immer voranszusetzen, sowohl als Tr~ger der Engramme wie namentItch als Material, das der Organismus zu seinem Aufbau und zu seiner Funktion braucht; er schafft selbst und benutzt auch chemisehe K6rper wie die Hormone und Fermente zur Ausfiihrung bestimmter Funktionen,. aber eine chemisch-physikMische, molekul~r and atomXr genaue Kopie eines lebenden Organismus ohne seine Eugramme und dutch diese geriehtete KrMte w~re nichts als ein Leichnam. Die E n t ~ 4 c ! d u n g der A r t e n ist also eine zielgerichtete F u n k t i o n , genau wie jede andere p h y s i o logische. Ein teilweise fiktives BeispieI: Der Protobippus hatte zu einer gewissen Zeit das Bedfirfnis, mehr oder wetter zu springen als vorher. Dazu stud lange Hebeiarme geeignet, wie jedem Landtier mit versteiften Gliedern geI~ufig ist. Er wird also seine FuBglieder so. stellen, dab das l~ngste zum Haupttr~ger des K6rpers wird und seine L~ngsdimension m6glichst ausgenutzt werden kann. Aus der funkfionellen HaItung und dem st~rkeren Gebrauch resultiert eine Verstgrkung nnd eine, wenn auch beim Individuum nur geringe, so doch unter Umst~nden experimentell nachweisbare Verl~ngerung des Knochens (analog Muskeln, Gef~Bweite und anders). Das ,,weig" die Psychoide und damit auch der Psychoidenanteil in der Keimbahn, und es entwiekelt sich in der Generationsreihe die Tendenz, den mehrzehigen F a g in den einhufigen zu verwandeln. Dieses Beispiel soll nach einem Nritiker ~ zeigen, dab so ,,bi llige" Deduktionen eine Scheinl6snng far alle Fragen bringen k6nnen. Mir zeigt seine Auffihrung, wie sehr ich miBverstanden werden kann. Obschon an dieser Stelle nur eine unvolIstfmdige Antwort gegeben werden kann, erlaubt mir das Ansehen des Kritikers nicht, ihn einfach zu ignorieren. Leider t~useht er sich in bezug an~ die Ieichte Amvendbarkeit mnemischer Erkl~rungen. Mir ist es wenigstens bis jetzt nicht mSglich, alle einsehlXgigen biologischen 2 Fragen befriedigend zu 1 HAR~NANN, Biol. Zbl. 6 (I932). ~berrasehenderweise gibt aber der Mnemismus im Psychologischen ant alle elementaren Fragen Antworten, teils wie mir scheint allgemein zwingende (z. B. Denken), teils wenigstens fflr diejenigen zwingende, die
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Io. 2. 1933J
beantworten; nur ist keine derselben yon der Art, dab sie die mnemistische Auffassung unmSglieh machen wfirde. Meine Anffihrung des Protohippus (S. 79) sollte ausdrficklich nur an einem - - bewul3t teilweise tinglerten - - Beispiel die Analogie zeigen zwischen individuellet und phylischer Anpassung und bildet keineswegs eine Grundlage der Ausifihrungen. Aber was w~re daran ,,Billiges" oder Unrichtiges? DaB bei der Phylogenie ~uBere N6tigungen eine wichtige Rolle spielen, muB die Auslesevorstellung so gut annehmen wie die mnemistisehe. ]DaB zum Springen lange Rebel gtinstig sind nnd dab jedes Tier mit versteiiten Gliedern das zu benutzen weiB, und seine Haltungen und Bewegungen danach richtet, wird niemand leugnen. DaB ferner im allgemeinen die lebhafte Funktion Anpassungen der Organe bewirkt, ist ein unbestrittenes Gesetz, und da man dabei kaum je yon dem Langerwerden der Knochen redet, war es ganz am Platz, das Beispiel vom t t u n d mit den abgeschnittenen Vorderbeinen zu nennen. Aus der Anfflhrung dieser Beispiele abet Iolgert der Kritiker, es sei ,,verst~ndlieh, dab ,dem entsprechend' (yon mir unterstrichen. B.) ffir den Verf. die Vererbung erworbener Eigenschaften ein ,unabweisbares Postulat' ist". Diese Folgerung ist ganz unrichtig. Die Vererbung erworbener Eigenschaiten ist nicht deshalb ein Postulat, weil der Protohippus anfangen mul3te mehr zu springen, sondern weil Zu]aU und Auslese absolut un-
Jghig sind, di~ Entwicklung der Arten zu erkliiren; letzteres glaube ich bewiesen zu hubert, und viele andere geben es zu; n u t fehlt ihnen eine brauchbare andere Erkl~rung. Diese kann der Mnemismus geben. Wenn der Kritiker das verstanden hXtte, so h~tte er in seinem Zitat die Stelle erg~nzen mgssen, die das Beispiel mit dem ganzen Buch verbindet: ,,Diese Hattung wird notwendig mit dem t3edfirfnis und dem Erfolg im besseren Sprung assoziiert." Die Stelle h a t ja nur einen Sinn, wenn man sich dazu denkt, dab die AusIfihrungen auf der Annahme (wie ich meine: dem Beweis) beruhen, dab alles Lebende Mneme besitzt; dann aber ist der Satz unwiderlegbar nnd auch gar nicht so ,,billig"; letzteres geht u. a. daraus hervor, dab die gleichartigen HEl~INa-S~Mo~schen Ausffihrungen in 60 Jahren nut bei einer Minorit~t Verst~ndnis gefunden haben. F/ilschlich ist es auch, wenn der F2ritiker meint, ich merke nicht, dab ich einen extremen Mechanismus des Psychischen ,,predige". Ich weiB sehr genau, inwieJern der Mnemismus mechanisfisch ist, und habe das andernorts (allerdings im Zusammenhange mit ,,Materialismus") deutlich gesagt. Woher well3 fibrigens der Kritiker so bestimmt, dab ein mnemischer Mechanismus eine unrichtige Ansicht ist? Er n e n n t aber den Mnemismus auch , d o g m a t i s c h " und ,,rein spekulativ" - - dogmatisch gerade bei Anlag meiner Ausffihrung fiber allf~lligen I)bergang vom Leblosen zum Lebendigen, die ich ausdrficklich als bloBe ,,Denkbarkeit" und als ,,Nebenbei"-t3emerkung bezeiehne. Ebensowenig wie dogmatisch ist gewiB die Bezeichnung ,,rein spekulativ'" angebracht ffir eine Ansieht, deren tatsgchliche Grundlagen einen erhebliehen Teit yon drei Bfichern fflllen, und die in den Deduktionen sehr viel direkter mit den Tatsaehen zusammenh~ingt, als z. B. die modernen Atom- und Elektrizit~tsdie Psyche ffir eine Hirnfunktion ansehen (BewuBtheit ist Eigenschaft gewisser Hirnfunktionen), teils denkbare (I~lbergang yore Leblosen zum Lebendigen). Rfihrt der Unterschied davon her, dab ich reich nut in der Psychologie gent~gend auskenne?
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theorien. (Wenn jemand meine Beweise ffir ungenflgend h~lt, oder das Tats~chliche nicht anerkennt, so bedeutet das eine andere Ansieht, nicht aber die dogmatische Natur der meinigen.) Wo ist in dem folgenden, die mnemistischen ~3berlegungen abgekfirzt zusammenfassenden Gedankengang fiber die Phylogenese das rein Spekulative? Ausgegangen wird yon folgenden Tatsaehen: Andere Anschauungen haben versagt. Die Mneme ist eine Eigenschaft Mles Lebendigen. Ohne Mneme kann es keine Zweckm~Bigkeit geben. Bei vorhandener Mneme muff unter Umst~nden Zweckmi~Bigkeit entstehen. Die Zweckhaftigkeit ~uBert sich in individuellen (psychischen und somatisehen) Anpassungen und in der Zielgerichtetheit der Lebensfunktionen fiberhaupt. Funktionelle Anpassung kann in anatomische fibergehen. Die Funktionen der einzelnen Teile des K6rpers beeinflussen sich so, dab sie sich nacheinander richten und harmonisch miteinander arbeiten k6nnen, jeden Augenblick in den gew6hnlichen Lebensfunktionen und ausnahmsweise in besonderen Situationen, wie beim Ersatz eines verlorenen K6rperteiles. Nun erst k o m m t ein AnalogieschluB, meinetwegen etwas ,,Hypothetisches", abet doch durchaus Tatsachennahes: Auch die Keimzellen seien nicht vom allgemeinen K o n t a k t der Teile untereinander ausgeschlossen. Diese Annahme ist mindestens so gut begrfindet wie unsere Vorstellungen von den Zusammenh~ngen yon Elektrizit~t und Licht. DARWIN h a t sie auch gemacht, wenn auch chemisch eingekleidet (gemmulae). Meiner Meinung nach ist ferner die Vererbung erworbener Eigenschaften, die ohne diesen Zusammenhang nicht m6glich w~re, nachgewiesen und zugleich ein unabweisbares Postulat. Alle anderen Lebensfunktionen sind zielstrebig; bei der Phylogenese ist das mindestens so n6tig wie in der flbrigen Physiologie; die uns bekannten Tatsachen zeigen den Vererbungsmechanismus als etwas den anderen Funktionen Gleicharfiges. Aus all dem ergibt sich: Ohne Mneme ist eine zweckmXgige Artentwicldung unm6glich, mit Mneme ist sie ohne weiteres verst~ndlich. Mneme sowoht wie Zweckm~Bigkeit der Punktionen sind wirklich im Lebenden vorhanden. Folglich mug man annehmen, die Entwieklung der Al±en beruhe auf Mneme. - - Das ist gewig weder Dogmatismus noch Spekulation. Irrtfimer allerdings kSnnen jedem begeg. hen. Aber ich freue reich zu konstatieren, dab ein ffihrender Biologe, der zugleich mein bis jetzt einziger mir bekannter gegnerischer Rezensent ist, an dem mnemistischen Gerfiste selbst keinen Fehler genannt hat, und dab anch ihm die Kritik des physikalischchemischen Mechanismus eine ,,vernlchtende" ist. Andere sehen eine mnemische Phylogenie deshalb ffir umn6glich an, well niedere Tiere Gelerntes sehr rasch wieder ,,vergessen" sollen, Infusorien unter Umst~inden schon in 20 Minuten. Der Einwand beruht auf einer grfindllchen Verkennung der Natur mnemischer Vorg~nge. ,,Vergessen" heiflt nicht Vern~chtung der Engramme, sondern behinderte Ekphorie (s. Naturgeschichte der Seele). t3ei den h6heren Tieren ist die Unausl6sehbarkeit der Engramme (wAhrend des Lebens) an beliebig vielen Stichproben nachzuweisen, und es besteht kein Grund, bei den niedrigeren eine prinzipiell andere Natur anzunehmen. Vergessen ist ein notwendiger Vorgang. W'enn ein Infusor u n t e r bestimmten Umst~nden gelernt hat, K6rnchen einer bestimmten Gr613e zu verschm~hen, so kann es in einem anderen Milieu in die Notwendigkeit versetzt werden, umgekehrt gerade diese Gr6ge zu w~hlen. J e einfacher das Zoon, um so notwendiger ist das Vergessen, well das einfache Gesch6pf aus der Kompli-
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BLEULF.R: Die Mneme als Grundlage des Lebens und der Psyche.
kation der~Situationen nicht ersehen kann, wann ~s grol3e und wann andere !KSrnchen besser annimmt oder verschm~ht. Kurz, das Vergessen ist eine biologische Funktion, die, so unangenehm sie im Maturit~texamen werden kann, im Prinzip zweckgerichtet ist, und wenn wir i n einem bestimmten Experiment ein Engramm nicht mehr wirksam sehen, so ist das kein Hinweis darauL dab es, oder andere Engramme, in anderer Richtung nicht wLrksam sein kSnnen bis in die folgenden Generationen. Man hat gegen die Anerkennung einer prinzipiellen ZweckmgBigkeit im Organischen und ftir die rein physikalisch-chemische Zufallstheorie auch ins Feld geftihrt, dab manche 1Reaktionen unn~tz, ja geradezu lebenzerst6rend, ,,dysteleologisch" seien, so die Bildung zweier K6pfe bei einer yon vorn eingeschnittenen Planarie, die Bildung eines Fiihlers an Stelle eines verlorenen Auges, der Narbenzug in einer ver~tzten SpeiserOhre. Es laBt sich aber erstens Ieicht zeigen, das auch in diesen Reaktionen ein zweckhaftes Ziel steckt, und zweitens ist in den meisten FXllen leicht ersichtlich, warum und auf welchem Wege die Psychoide zu der ,,Irrung" gekommen ist. Die Psychoide kann ebensowenig allen mSglichen Situationen gewachsen sein wie die Psyche (Beispiele in ,,Mnemismus"). An der Wurzel des Lebens Iinden wit also: erstens eine Tendenz oder gerichtete Energie, und zweitens die Mneme, die der Tendenz die Erffillung ermSglicht oder erleichtert. Wir kennen nun keinen Grund, dab die Tendenz nur eine biische sein k6nne, nnd Mneme kommt, wie lVlAc~ und B o s e 1 gezeige haben, in elementarster F o r m schon im Leblosen vor. So kSnnen wit eine Briicke zwischen Leblos und Lebend finden und uns in einem Gedankenexperiment eine Vorstellung machen, wie das Leben entstanden sein k6nnte: Aber ieh bitte Sie, mir nicht zuzumuten, dab das Folgende als eine Hypothese gemeint sei; es soil nur zeigen, dab die E n t s t e h u n g des Lebens nicht so undenkbar ist, wie m a n zu sagen pflegt, und dab dabei der lVIneme die wesentliche Rolle zuf~llt. Als Tr~ger der Tendenz uncl der Mneme ist ein Stoff n6tig; in allem bekannten Lebendigen ist er ein Kolloid. Es gibt nun Substanzen nnd Substanzgemische, die sich in einem best~ndig schwankenden Gleichgewich± befinden, z. ]3. je naeh W~rme oder Lichteinflfissen sich zersetzen und wieder integrieren. Denken ~4r uns als einfachste 2vI6glichkeit Oxydation und Reduktion bei Abnahme und Zunahme der ]3elichtung. I n einem formbaren Kolloid gibt es leicht aueh noch andere Veranderungen, z. 13. der Oberfl~che dureh irgendwelChe Schrumpfungen oder Ausdehnungen. T r i t t eine Oberfl~chenvergr6Berung ein zu einer Zeit, wo die Anderung der Belichtung ein Sauerstoffbedfirfnis erzeugt, so wird durch die Oberfl~chenvergr6Berung die Oxydation erleiehtert. I s t Mneme vorhanden, so engraphiert diese den ganzen Vorgang. T r i t t nun sparer wieder Tendenz zur Oxydation anf, so wird die mit ihr assoziierte Tendenz zur 1 S. auch E. LI~SCHX~, Die Bedeutung der magnetischen Remanenz fiir das Verst~ndnis mnemischer Engramme. 3/Ifinch. reed. Wschr. x932, 165 I.
Die Naturwissenschafteu
Oberft~chenvergrSt3erung samt dem Weg zu dieser ekphoriert. Dureh die bloBe Assoziation der Be-
wegungstendenz an die der Oxydation wSre in ein chemisches Geschehen das einge]i~hrt, was w i t im Biischen Zwecl~haJtiglceit nennen. I n der Mneme liege ferner eine Tendenz zu WiederhoIung oder Oberdanerung der Aktionen; sie wird also z. 13. leicht fiber den Gleichgewichtspunkt hinaus noch oxydieren und so die Ursache zu einer Riickschwingung auch ohne Lichtschwankung werden. So -- aber auch noch auf andere Weise -- kann ein Spiel yon Oxydation und Reduktion zur E r h a l t u n g des Gleichgewichts nnter verschiedenen ~ul3eren Umst~nden entstehen, mad fiberdauernde Tendenzen (hier zur Vergr6Berung der Oberfl~iche) werden eine Art Selbstzweck. An diese Tend enzen kSnnen mit der Zeit neue Erfahrungen neue U m wege, d . h . Reaktionsarten, zur Erhaltung des labilen Zustandes hinzuEigen, so dab ein immer komplizierter werdendes System en±steht, das sich selbst erhglt, sich vermehren und in Individuen teilen kann, d . h . lebendig ist, und zwar ohne dab irgendein anderes Prinzip beteiligt u,~re als die M n e m e und Tendenzen, die urspr/inglich physikalisch-chemisch waren, dann aber durch die Komplikation mit mnemischen Mechanismen sich. in vitale umwandelten.
M i t einer solehen Genese des Lebens wi~rde bestens ~bereinstimmen, daft w i t die Gesamtheit der Leben& vorgd~nge als ~'olge einer Etcphorie yon dutch die gebsubstanz erworbenen Engrammelodien betrachten n~88en.
Versuchen wit nun die Grenzen des Psychischen, das wir sooft streifen muBten, gegenfiber d e m Psychoiden festzustellen, so stoBen wir auf eine Reihe yon Funktionen, die sowohl psyehisch wie somatisch sind. Denken Sie im Normalen z. t3. an Schlucken, Atmung, Answeiehen vor einem Schmerz, und manches andere, wo Reflex und bewuBter ViTilte zusamlnenarbeiten. Schon daraus ist u . a . ersichtlieh, dab es zwischen somatischen und psychischen Funktionen keinen prinzipiellen Unterschied gibt. Dennoch lassen sich im ganzen die Funktionen hSherer GeschSpfe in zwei Gruppen teilen, die vegetative Payohoide, die den inneren Dienst besorgt, und die animalische Psyche, die aktiv und passiv die Beziehungen des ganzen Individuums zur Augenwelt zu regulieren hat. Die psychoiden Mechanismen werden s~mtlich auf die Welt gebracht, k6nnen sich jedoch unter dem EinfluB individuaI-mnemischer Erfahrungen in gewissem MaBe auch voriibergehenden oder neuen Bedfirfnissen anpassen. Von den psychischen Funktionen sind dem Menschen die Triebe und Instinkte angeboren, die uns nur in ihren \¥irkungen, und als selbstverst~ndlich gegeben, zum BewuBtsein k o m m e n (Thymopsyche STRANSKYS). Ihnen steht in der ttirnrinde ein hochentwiekel±es, abet bei der Geburt Ieeres Magazin zur Seite f/Jr die geordnete Aufbewahrung der pers6nlichen Erfahrungen, aus denen sieh unser bewuBtes Erkennen der Wege zu
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den Triebzielen, unsere ganze in/celIektueIle Er:fassung der VV'el/Chertei/ce/c (Noopsyche). So ist unsere Psyche mit ihrem Bewufltsein, ihrem Ich, ihrem Verstand und den Beweggri~nden ihres ttandelns in erster Linie eln Komplex individualmnemischer -Funlctionen. In der Phylogenese h a t t e sich mit der Vergr6Ber u n g der Individuen und ihrer Differenzierung in vielerlei Organe auch ein besonderer A p p a r a t ffir d i e tokalisierte Leitung yon bestimmten Reizen und Nachrichten Mler A r t und ffir das Zusammenarbei/cen der F u n k t i o n e n herausspezialis!ereu milssen, das Nervensystem. D a wo die individuelle Anpassung an die Umwelterfordernisse wichtig wird, s/celten sich nun den Triebtendenzen die in ihren erfahrungsm~gigen Zusammenh~ngen magazinier/cen persSnlichen Erfahrungen zur Verfilgung. Abet weder mit dem ~rervensystem noch mit der tti/rnrinde Icommt in das Lebewesen etwas Prinzi2ielles hinein, das nicht in ein]acher _Form schon dagewesen ware. Wir linden ja alle objektiv kon~ statierbaren psychischen Funktionen im Keim schon bet den Nervenlosen, selbs/c bet Einzellern. Und umgekehrt l~tBt sich zeigen, dab auch die h6chste Psyche nichts an sich hat, das sich nicht auf die angeborenen Triebe und unser Rindenged~chtnis zurfickffihren liege. D a m i t fehlt jeder Anlag, die sich auf unz~hlige Tatsachen grfindende Vors/cellung anzuzweifeln, daft unsere Psyche eine Hirn]unl~tion is/c, gebildet aus der phylisch-mnemischen Thymopsyche nnd der individualmnemischen Noopsyche. Aber das Dogma, dab die Psyche e/cwas Wesensanderes set al~ alles, was wir sons/c kennen, stellte sich his j e t z t einer na/cmavissenschaftlichen Psychologie unilberwindlich entgegen. Mir scheint indessen, der Schlilssel zu einer mfihelosen LSsung der prinzipiellen Schwierigkeiten liege ffir den, der ihn benutzen will, bereit: Wir kennen doch unsere eigene Psyche, nach der wir den Begriff ether Psyche gebitde/c haben, in erster Linie ,,yon innen", wie m a n sich verst~ndlich, wenn auch bildlich ausdrtiekt -- die ganze ilbrige Welt abet m i t der I-Iirnphysiologie nut w o n a u g e n " durch unsere Sinne. Nun bedingt schon die ~ugere W a h r n e h m u n g eines Vorganges mi/c verschiedenen Sinnen Unterschiede, die m a n als ,,wesen±lich" bezeichnen kann: Die gteiche Schwingung is/c ffir nns etwas ganz anderes, wenn sie m i t d e m GehSr, als wenn sie mi/c dem Getast wahrgenommen wird; der gesehene ApleI ist etwas ganz anderes als der geschmeckte. \¥ieviel gr6ger m u g der Untersehied sein zwischen dem Aspekt einer Hirnfur~ktion, die yon sich selber wahrgenommen wird, und dem Aspek/c, den wir m i t nnseren Sinnen und Apparaten yon ether fremden Hirnfunktion gewinnen. -- Und dennoch ist der Un±erschied zwischen Innen- und Aui3emveI/c gar nich/c so absolu/c, wie ihn die Psychologen voraussetzen: Wenn wir z. B. o b j e k ~ v physiologische Annahme und Ablehnung subjektiv Ms Lust und Unlust empfinden, so tgg/c sich das Parallelgehen yon beiden Be/crachtungsiormen sofort wenigstens
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,,verstehen", sobald wir den Versuch machen, uns vorzustellen, dab umgekehrt psychische Lust mit physiologischer Ablehnung, und Unlust mit Annahme verbunden ~ei. Die Ie/cztere Vorstetlung ist unm6glich. Es ist also/alsch, aus der sub]ektiven Wesensverschiedenheit yon ctu] verschiedene Art Wahrgenommenero au] Wesensverschiedenheit des zugrunde Igegenden Ob]ektes zu schlie]3en. M i t dieser Er]~enntngs i~t die Grundlage der dualistischen Au]]assung hin]allig. Nun aber ~olI die Bewufltheit Ms Eigenschaft ether t=Iirniunktion unverst~ndlich seth. D e m ist en/cgegenzuhal/cen: x. Filr die meisten Jkrz/ce und manche Na%urwissenschaf~er fiberhaup/c is/c es bewiesen, dag die Psyche eine Hirnfunktion is/c. Aus letz/cerem folgt, dab die Bewugtheit eine Eigenschaf/c dieser Hirnfunktion i s t 2. Gewig is/c es ein wissenschaftlicher Gewinn, wenn m a n konsta/cierte Zusammenh/inge auch verstehen kann; abet das Versagen unseres Verst~ridnisses w'~re noch kein Grund, die Zusammenhgnge selbst zn leugnen. Bes/creiten wit die Anziehung ungleichnamiger Elektrizit~tten, well wir sie nich/c verstehen k6nnen ? DaB die Psyche etwas ist, das sich selbst wahrnimmt, ist nun einmal Tatsache, -- und verstehen wit diese Tatsache besser, wean wir die Seele etwa Ms ein Stiick der Go/ctheit erkl~ren ? 3- Wenn m a n auch bei dem je/czigen Stand unseres W'issens die Bewugtheit nicht m i t Sicherhei/c als eine Eigenschaft mnemischer Funktionen zu beweisen vermag, so kann m a n wenigstens zeigen, dab auch die UnmSglichkeit der Ablei/cung gar nicht fes/cs/ceh/c; ich meine sogar, m a n k6nne die Ableitbarkei/c des Bewug/cseins aus der IndividuMmneme geradezu vorstellbar machen. Stelten wit uns ein handebades Ding ohne GedAchtnis vor: Ein Stein erhMt einen StoB, infolgedessen er fortfliegt. Ft~r ihn gibt es keine Vergangenheit; er kommt deshalb nie an einen ,,anderen" Oft, denn es fehlt der Vergleichsort zum jetzigen. Wenn er etwas yon der Bewegung waBte, kSnnte er die Ursaehe derselben (den Stol3) nicht kennen. Er kann iiberhaupt nichts wahrnehmen, weder innen noeh auBen. Nieht einmal die allgemeinen Elemente der Bewegung, Oft und Zeit, existieren ftir ihn; Er kann auch nichts ,,wissen". Auch fflr ein, einem Iliegenden Stein zusehauendes Subjekt kann es weder Ver~nderung, noeh Bewegung, noch Ursache, noeh Wirkung geben, wenn es nicht die aufeinanderfolgenden Momente mit ttilfe des GedXchthisses in eine Einheit zusammeniaBt. Kurz: ta~r kein Ding ohne Ged~htnis Icann es eln Wahrnehmen geben, weder naeh aufien noch nach gnnen gevichtetes. Lebt nun abet der frfihere Moment neben dem jetzigen in einem Engramm wetter, so sind zwei zeittiche Phasen gleichzeitig vorhanden nnd bilden eine Art Einheit. Ein Unterschied, ein Vergleich, ein WahImehmungsgefMle ist gegeben. Ich muff mi~" nun denken, daft ~n einer Funl~tion, die neue Zust~nde aSsimillert, ohne die ]ri~heren aufzugeben, und Gegenwart und Vergangenheit zugleich ist, der Keim der inneren Wahrnehmung, der Bewu/3theit liege. Der Nadelstich, der in einem (fingierten) tEIfimpchen lebenden Protoplasmas das innere ICrXfteverh~ltnis aus dem Gleiehgewicht bringt, oder den in den Kr~ften liegenden Tendenzen entgegentritt, mug objektiv eine Abwehr, und
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Die Naturwissenscbafte~
Ifir den mnemischen Mechanismus selbst, d. h. subjektiv, etwas provozieren, das als ,,nnangenehm" bezeichnet werden mfiBte. Damit w~re ein elementares Bew~flt,se~n gegeben. Wir kennen keine andere Bedingung der Bewul3theit als die zeitliche und funktionelle Einheit der mnemischen Funktion eines (tiberdauernden) Zustandes mit dem eben neueingetretenen Zustand und k6nnen nns auch keine denken. Wfirden wit uns auf einem bekannten Gebiet bewegen, so w~.re daraus zwingend zu schliegen, dab das die einzigen Bedingungen seien, and dal~ fotglich da, wo sic sind, auch Be~vuBtheit vorhanden sein muB. Abet auch auf unserem Neuland konstatieren wir wenigstens die Denkbav~eit, dab aus diesen Voraussetzungen Existenz des BewuBtseins folge. Kann man sich auf diese Weise eine Art elementarer bewuflter Funktion vorstellen, so ist leicht zu verstehen, wie die GesamtbewuBtheit des groBen Funk±ionskomplexes, den wit als unser Ich spilren, unser menschliches Bewugtsein darstelY: (s. ,,Naturgeschichte der SeeIe"). Wer sich zum ersten Male in diese Dinge hineindenken m6chte, dem kann es nicht leicht sein, dem Gedankengang zu folgen; dazu braucht es einige Zeit. Aber erst, wenn man weiB, was gemein~ ist, kann man darfiber urteilen, sei es ablehnend oder zustimmend. Ich hoffe nun, dab der eine oder andere versuche, sich eine Funktion, welche Vergangenheit und Gegenwart zugIeich mad in einem umfaBt, in \Vesen und V¢irkung genauer vorzustellen; dann muB ibm zum BewuBtsein kommen, dab das Vergangene and das Gegenwartige sich hier prinzlpiell anders gegentibersi:ehen Ms in der Wel~ ohne Ged~chtnis.
Phylogenie e i n Verstgndnis erlangen. Nehmen wir unser Infusorbeispiel. Die Wimpern des nichtdressierten Param~ziums berfihren ein beliebiges KSrperchen; dieses wird in den 3/fund gewimpert, und davon wird ausgestoBen, was ~nverdaulich ist. Das kann m a n als einen Automatismus auffassen. Aber auch unsere Psyche h a t Automatismen -- allerdings nicht angeborene; sie entstehen v o r unseren Augen aus bewuBten psychischen Handlungen -- denken Sie etwa an Schreibbewegungen --, kSnnen also nichts diesen Wesensfremdes sein. Die Zweckhaftigkeit der Aktion eines Infusors k6nnen wir entweder einfach als gegebene Tatsache (ftir aIIe angeborenen v e g e t a t i v e n and animalischen Funktionen) arzsehen; oder wir k6nnen uns i m Sinne der obigen Ableitung des Lebendigen darin eine Teilstrebung vorstellen, die sich dureh mnemische Einwirkung dem Streben zur E r haltung eines rein chemisch-physikalischen Gleichgewichtes substituiert hat. Jedenlalls zeigt der Automatismus, dab das Tierchen durch die Berfihrung eines bestimmt geformten K6rnchens m i t der Wimper zur Aufnahme desselben in den Mund veranlaBt wird. Der Vorgang ist sowohl in seinen sichtbaren AnI~ngen als auch in den Erfolge~ wesensgteich einer objektiv betrachteten menschlichen Handlung. Nun stellen Sie sich v o r -- ~de Sie es ja nach Analogie Ihrer eigenen Handlungen Ihren Mitmenschen und den hSheren Tieren gegenfiber best~ndig t u n --, dab das Infusor seine T~tigkeit selbst spiire, so k6nnen Sic a~ seiner Aktion
Wie die Willensphdinomene zu verstehen sind, kann ich nur andeuten durch den ttinweis auf SPI~cozAs Ausspruch: Wenn der fallende Stein wfiBte, dab er f~llt, mtil?te er glauben, willkfirlich zu fallen. In den psychischen Hirnfunktionen sehen wir nun wirMich die Aktionen lind Reaktionen und sogar deren Ursachen, die wit in der Innenschau ,,Motive" nennen, verbunden m i t 13ewuBtsein, mit Selbstwahrnehmmlg. Ich denke, ffir diejenigen yon Ihnen, die sich die Zeit nehmen zu einer genauen 13etrachtung dieser Verh~ltnisse, wird auch 'die Willensfrage dahinfallen. Endlich ist vielen undenkbar, wie unser Verstand eine physiologische Funktion sein kann. Hier abet sind wir meines Erachtens wieder auf sicherem Boden. Es l~gt sich zeigen, dab unser Verstand restlos aus mnemischen Vorggngen abzuleiten ist. Bedenken wir auch, m i t weIcher Zielsicherheit unsere physiologischen Funktionen, die ja noch viel komplizierter sind als unsere Psyche, abzulaufen pflegen; sogar ffir eine KSrperseele scheinen sie manchem zu kompliziert, so daG er sie nur noch einem allwissenden und allm~chtigen SchSpfer zuschreiben mSchte. Die Schwierigkeit, zweckhaftes Oberlegen und Handeln aus der Mneme und den Trieben zu verstehen, besteht aber bloB darin, dab man nicht gewohnt ist, sich die psychischen bzw. mnemischen Funktionen objektiv, d. h. unabhgngig v o m 13ewuStsein, vorzusteIlen. Wer aber das nicht fertigbringt, wird hie weder fiir die physiologische noch die psychische ZweckmgBigkeit noch ffir die
i~berhaupt keinen in Betracht kommenden Unterschied ]inden gegsni~ber Ihrer eigenen Alvtion, einer~ Ap]el zu p]li$cl~en and zu essen. Noch pr~gnanter wird die Gleichheit, wenn Sic start der angeborenen die individuMmnemische Aktion des Tierchens betrachten. Nach dem E x periment mit den zwei K6rnchenal~cen St6/3t es die eckigen K6rnchen -- abet n u t diese -- schon beim K o n t a k t mit einer Wimper ab. Da ist etwas vorgegangen, das wir als Wahrnehmung der Eckigkeit bezeictmen miissen; jedenfalls unterscheidet es nun eckige K6rnchen yon andern. Es assoziiert ferner ,,Eckig"--,,Unverdaulich"--,,Abstof3en". Aus dem ganzen Komplex der Empfindnngsreize h a t es darnit die EigenschMt ,,Ecldg" abstrahiert, indem es die Reaktion nur an diese Eigensehaft ankniipit (das Tier unterscheidet auch andere Reize, z. t3. verschiedene K6rnchengrSl3en). Ist dieser mnemische Vorgang irgend~de bewuBt, so is± er in allen 13eziehungen identisch m i t einer bewul3ten Vorstellung und gewoIlten Handlung; ist er nicht bewuBt -- m i t einer unbewuBten, abet doch psychischen. D e m Vorgang entspricht auf h6herer Stufe der Psychismus : ,,Diese NSrnchen sind ectdg, also unverdaulich; also leite ich sie nicht zum Munde ( = ich nn±erdrficke die angeborene Tendenz)~ sondern ich stoBe die K6rnehen ab.'" Die yon mir hineingesetzten ,,also" driicken in der Assoziation 2klotiv and 2'olge aus. DaB dadureh abet nichts Neues hineingebracht wird, kann gezeigt werden. Charakteristisch ist fiberdies, dab
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SPETHMANN: Entwicklungslinien im lXnderkundlichen Bild des Ruhrreviers.
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mail im bloBen objektiven V o r g a n g diese Fotge ebensogut als kausale ausdrticken k a n n : Durch die assoziative Verbindung ,,unverdaulich--ec!dg" ist auch der Reiz ,,Eckig" zu einer ,,Ursache" des AbstoBens geworden, wie etwa dutch die Verbind u n g eines K6rpers a mit dem K6rper b ein StoB auf b auch a fortbeweg~. Jedenfalls h a t das Tier eine Er/ahrung gemacht; uild es hat den doppelten Analogieschlu]3 gezogen: Eckige K6rnchen silld unverdautich, dies ist ein eckiges t{6rnchen, ,,also" ist es unverdaulich; Unverdauliches llehme ich nicht an, ,,also" stoBe ich das K6rnchen ab. Es hat folglich, objektiv aufgefaBt, gedacht, eillen element a r e n Verst~nd~ gezeigt. Man k a n n also die Sache drehen, wie m a n will, in der mnemisehen Fullktioll steckt altes, was wir im Denkell findeil. Und je genauer m a n die Analogien his i n die h6chsten menschlichen Psychismen hinein verfotgt, u m so deutlicher ergibt sich, dab auch Vorstellell und Denken im Prinzip eJnfache und leicht verstXndliche F u n k t i o n e n Silld. Den~en heiflt: Begri]]e, die
die Mneme aus der Er]ahrung engraphiert hat, ek~phorleren in Zusammenhi~ngen, die yon der Er]ahrung gegeben sin& Dabei besteht n u t ein graduel]er Unterschied zwischen der einfachen Leistullg unseres Infusors und den abstraktesten Gedankeng~ngen eines Philosophen. Wir k6nnen sogar an dem Bilde y o n Schwdngungen ftir die zentralnervSsen Vorg~tnge und yon Phonogrammen ftir die Engramme uns eine symbolische Vorstellung machen nicht nur der Abstraktion, der Zusammenstellung yon Einzelheiten zu Ganzheiteil (GestMten), sondern auch der logischen Zusammenh~nge des Denkens. Doch, n m das zu fibersehen, mnB m a n Zeit haben. Nur eines set hervorgehoben gegeniiber dem stereotypen Vorwurf, dab ich mit der ,,fiberwuildenell Assoziationspsychologie" n u t zuf~llige Ideenverbindungen kenne: Die Wahl der Assoziationswege ist bestimmt durch eine komplizierte, aber erfaBbare Hierarchie yon Wegweisern, sowohl noopsychischen wie triebhaften Charakters, n n d zwar bestimmen gerade
die Triebe das eigentliche Denkzieh Ich ha±re allerdings gemeint, das deuflich n n d oft genug gesagt zu haben. I n einem kurzen Vortrag tiber eill so vielseitiges Thema werdell Sie keine Beweise erwartet haben, und ich wiirde es fiir unvorsiehtig hattell, wenn jemand bloi3 auf Grund dieser Allsffihrnngen schon sich zum Mnemismns bekehren wiirde. Es bleibt mir nichts anderes ~brig, als diejenigen, die sieh ffir die Sache interessieren, zu bitten, sich dieselbe Ilachtr~glich selbst ldarzumachen oder sich a n das Schrifttum zu wenden (s. erste Seite). Ich weig aueh, was ffir eine Zumutullg a n Ihre Aufmerksamkeit es war, so kurz gefaBten Ausffihrungen iolgen zn sollen. Abet dennoch habe ich den Auftrag, gerade der Versammlnng der Dentschen Naturforscher ehvas yon der Bedeutung der Mlleme zu sagen, mit mehr Freude Ms Bedenken angenommen. Ich betrachte meine Aufgabe als erffillt, wenn es mir gelang, I h n e n zu zeigen, dal3 aud~ die Bio-
logie nicht mehr an di~sen Probtemen vorbeigehen dar], und dab der Mnemismus zum mindesten eine fruchtbare Arbeitshypothese darstellt, l~lber K6rper und Seele, fiber Leblos und Lebendig zu diskutieren, hatte bis jetzt die Spekulation fast ein Monopol behalten. Dabei kam entweder nichts oder ein Ignorabimus herans. Wir erillllern uns aber, was die Astronomie geworden ist, seitdem sie sich yon dem astrologischen Ballast befreit hat, die Chemie, seitdem sie nicht mehr Alchimie ist, und ich darI erwarten, dab auch Biologie und Psychologie, die letzten unserer ~rissensgebiete, aus denen die metaphysischen Nebel noch nicht ganz verschwunden sind, ill den H~nden der Naturforscher reine Naturwissenschaften werden. D a n n dtirften mallche endlos diskutierten Probleme ihre L6sung linden oder aufh6ren, Probleme zu seth, wie mir seheint wesentlich dadurch, dab mall alle ZusammenhSnge und Auswirkungen der 3/Ineme verfolgt his in die letztell Nonsequenzen.
E n t w i c k l u n g s l i n i e n i m l~inderkundlichen Bild des Ruhrreviers ~. Von
H.
SPETI-II%{ANN, Essen.
Wet das Ruhrrevier mit seinen indnstrietlen Werken und seiner gewaltigen Zusammenballung yon Menschen aus eigeller Anschauung kennt, der weiB, wie wenig Mer Iloch vom ursprtinglichen Bild der N a t u r zu sehen ist. ES z~hlt zu jeneil Gebieten der Erde, die besonders krXftig und vielseitig mellschlichen Eingriffell und d a m i t auch ether kfiustlichen° Umgestaltung des landschaftlichen Antlitzes ausgesetzt waren. Wir sind dabei in der glficktichen Lage, seinen Werdegang dutch zwei Jahrtausende in zahtreichen Eillzelheiten a n H a n d unwiderleglicher Tatsachen verfolgen zu k6nnen; es ist deshalb einer der wertvollsten l~nderkundlichen Vorwtirfe, die sich ether wissenschafflichen Behandlung erschlieBen. Hierbei k6nneil wit genau abwXgen, wie weft sich die Natur auswirkt 1 Autoreferat aus dem Vortragshandbueh.
und was des Menschen T u n a n d Lassen ist. Vor Christi Geburt war das Ruhrgebiet jahrhundertelang ein Waldland, demgegentiber die Bewohner passiv in die Erscheinung traten. U n t e r der r6mischen Besetzung wird e s durch Rodungsinseln etwas gelichtet, einzelne Wege werden hindurchgelegt, aber der Grundzug eines W'atdlandes bleibt, zumal sich die R6mer rechtsrheinisch bald zurtickziehen mtissen. Erst seit den Tagen Karls des GroBen bis ins 13. Jahrhundert hinein geht das Waldland in eine reiile Rodungslandschaft mit vielerlei Abstufungen i m einzelnen fiber. GroBe Baumbest~nde fallen, an ihre Stelle treten weithin Felder und Fluren. Bald k o m m t durch AckerbtirgerstSdte mit Kleingewerbe ein neuer Zug hinzu, i m Dreil3igj ~hrigen Krieg siedelt sieh in verschiedenen Pl~tzen eine Rfistungsindustrie an. Endlich entwickelt sich