434
H. Z e m a n e k :
115. Jg. (1998). H, 9
Die Sprache des Ingenieurs und des Programmierers Ein Essay v o n Heinz Z e m a n e k ~
Es ist eine Trivialit~it: der Ingenieur mug seine Zeichnungen oder Schaltungen in natª Sprache erl~iutern k6nnen, seinen Lehrern und Prª seinem Chef und seinen Kunden, den Lesern seiner Publikationen und den Zuh6rem seiner Vortr~ige. In seiner Muttersprache und in der in seinem Fach Professor ª Hauptfremdsprache, Heinz Zemanek,der das ist heute Englisch. Selbst ~sterreichische Pionier mathematische Ver6ffentlider Informationsverar- chungen enthalten mehr Zeilen beitung und ComputerProsa als Zeilen Algebra. Und wissenschaften weil er ja in Deutsch maturiert hat und Englisch aus zahllosen Schlagern kennt, ist das doch nicht erw~ihnenswert. Die Fachsprache eignet er sich zugleich mit seinem Fachwissen an, das geht ohne weitere Linguistik. Es ist alles in Ordnung. Wirklich? Die Trivialit~it ist nicht mehr trivial. Informale und formale Sprache entfernen sich immer weiter voneinander. Die formale und quasiformale Sprache eines Teilgebiets setzt sich mit der fortschreitenden Spezialisierung immer mehr von dem Gemeingut ab, das die Sprache einmal war, und damit fliehen die Teilgebiete voreinander wie MilchstraBensysteme, und ihr Vokabular erinnert an die Sonnen eines Milchstragensystems. Und wie in der Astronomie werden sinnvolle Namen immer schneller durch Abkª und Nummern ersetzt. Aus einem solchen Milchstragensystem wieder zurª auf die Erde, in die Sprache des unverdorbenen Laien, wird von Jahr zu Jahr schwieriger. Leider ist aber auch die informale Sprache, das Deutsch des Gebildeten, in be~ingstigende und kommunikationswidrige Verlotterung geraten. Es bilden sich - Gegenstand fª die Soziologen - Sprach-Teilgebiete, deren Sprachgewohnheiten und Spezialausdrª ebenfalls voreinander fliehende Milchstraf3en' O. Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. techn. Dr. techn, h.c. Dr.-Ing. E. h. HeinzZemanek,TechnischeUniversit~itWien, Institutfª Nachrichtentechnik,Gu8hausstrage25-29, A-1040 Wien.
systeme bilden und sich ª in sich selbst ver~indern. Eine Generation versteht die folgende nicht, und der Abstand ist nicht dreiBig Jahre sondern fª und weniger. Die unverbindliche Verwendung von Hauptw6rtern macht sie unscharf. Viele Hauptw6rter nehmen die Bedeutung von einem halben Dutzend anderen W6rtem in sich auf, und wenn man einmal unbedingt eine scharfe Bedeutung ausdrª will, mug man ein halbes Dutzend heranziehen und mª verknª hoffend, dag die Logik des Lesers mitkommt. Das hat natª mit der Ausbildung der Deutschlehrer zu tun, und historisch gesehen geht die Katastrophe aufjene Zeit zurª wo man die Universit~iten von der Universalsprache Latein auf die Nationalsprachen konvertierte. Mit dem Effekt, dal3 wir uns nun das zu Primitivit~it abgeschliffene germanisch-romanische Konglomerat Englisch als Lateinnachfolger zugezogen haben, aber nicht auf dem Weg systematischer Ausbitdung, durch ein Studium oder eine Disziplinierung, sondern durch ein unsystematisches Nachreden, dem nicht immer die Verst~indnisbildung folgt. Immerhin waren die Sprachlehrer in meiner Jugend noch von Lateinkenntnissen gepragt. Seit damals hat man Latein als ,,altmodisch" und unn6tig immer mehr aus den Lehrplanen entfernt. Man bezieht lieber den englischen Zweitaufgug. Warum hilft es weit mehr, Latein als Hintergrund fª das Englisch-Lernen zu besitzen, als Englisch hilft, ins Latein zu kommen? Weil Latein in der Sprachlogik ausbildet. Das liegt sehr an der antiken Latein-Grammatik, in der es undenkbar ist, daB ein Zeitwort wie ,,put" (das ira Computer steckt) fª alle Situationen ausreicht. Aber eine gute Portion stammt auch aus der Tatsache, daB Latein von deutschen Universit~itslehrem auf eine h6here Ebene gehoben wurde, als Volkssprachen von selbst erreichen k6nnen. Und das Paar Latein plus Nationalsprache ergibt eine Stereoskopie, aus der man die Tiefe der Sprache erkennt und pflegt. Heute lemt man Deutsch von Deutschlehrern, die bereits Deutschlehrer hatten, die kein Latein beherrschten. Das hat den Widerstand gegen schlechtes Deutsch gebrochen. Der Sinn der Zeitw6rter wird in Hauptw6rter verlegt, so daB man mit Hilfszeitw6rtern durchkommt, die dann auch noch betont werden.
115.Jg. (1998),H.9
Die Sprache des Ingenieurs und des Programmierers
Auf diese Weise wird die Lebendigkeit der natª Sprache reduziert und die informale Sprache der formalen angen~ihert, aber nicht zum Zweck der h6heren Pr~izision und Allgemeingª sondem zur F6rderung der Klischee-Verwendung. Das aus anderen Sprachen importierte undeutsche Singen ist ein zus~itzlicher Unfug. Was man sich auf dem Nachahmungswege einheimst, merkt man nicht, wenn man es einmal hat. Und die Medien erheben es zur Norm. Der Fachjargon veranstaltet die Verlotterung auf seine professionelle Weise. Auf seine noch ~rgere Vorliebe fª Hauptw6rter und betonte Hilfszeitw6rter komme ich gleich zu sprechen. Fª diese seine HauptwOrter zieht er englische vor; da sein nichtenglischer H/3rer oder Leser den vollen Bedeutungsumfang des Hauptworts nicht kennt, kommt ihm dieses scharf definiert vor: auf den Zusammenhang reduziert, in welchem er es gelemt hat. Der unleugbare Vorteil ist: Man erspart sich die bei der unsystematischen Eindeutschung unvermeidliche Vieldeutigkeit. W~ihrend der englische Name zugleich mit der Sache selbst entwickelt wird, f~inde oder findet die • an zahlreichen Orten statt, und es ist nicht garantiert, dag manan allen Orten zum gleichen deutschen Wort findet. Mit der • nahme des Fremdworts ist die Gefahr derartiger Zersplitterung gebannt.
Beispiele: Intemet, Online, Pointer, Label, Shopping Center, Mainframe, Sandwich, Hardware und Software, Marketing, Show, Jackpot, Electronic Publishing, Outsourcing, Teletraining, Information Highway, Schuh-Polish, CD-Player, Decoder. Wenn sich der Leser die Mª macht zu sammeln, hat er im Nu vier Dutzend weitere und nach einer Woche Hunderte beisammen.
Noch sprachsch~idigender sind die Abkª Natª haben die Informatik-Erfinder weit mehr namensbedª Ideen als die deutsche Sprache W6rter hat. Man mul3 zur Wort-Zusammensetzung greifen und das ergibt schrecklich lange Gebilde. Also erscheint die Abkª ohne Gedanken daran, dag Informatik-Erfinder auch eine gr6Bere Zahl von Ideen haben als 263 oder 265. Da es im www keine vollst~indige Sammlung aller einfach und mehrfach besetzten Tripel bzw. Quintupel gibt (so glaube ich, wer weiB dergleichen mit Sicherheit?), kann ein Erfinder nicht feststellen, ob er ein Tripel mit der dritten Variante besetzt, und der Leser ist nicht sicher, welche gemeint ist. Verfasser setzen in der Eile voraus, dag man ihre Abkª kennt und erklSren sie nicht. Sie verwenden sie sogar in ihren • Die Sprache
435
nimmt eine Halb-Formalit~it an. Und damit verliert sie immer mehr an Ausdruckskraft. Die alte Literatur wird kaum mehr gelesen und die moderne feiert die Auflassung der Disziplin. Offene Vieldeutigkeit ist ,,edles" Ausdrucksmittel.
Beispiele: OK, EDV, PC, PVC, TV, EKG, USA, VHS, TNT, DDT, ORE SPO, 0 V E FPO etc. (frª NSDAP, KP UdSSR). In einem Antwortbrief hat mir ein deutscher Manager einer holl~indischen Weltfirma allen Emstes versichert, dag den K~iufem seiner Telephonapparate die beiden Abkª OGM und ICM gel~iufig seien. Da der Leser nicht zu diesen K~iufem geh6rt, seien sie ihm erkl~irt: OGM heigt ,,outgoing message" und ICM heigt ,,incoming message". Er sieht sofort ein, dag man so viel Deutsch wirklich k6nnen mª Feinheit: diese ,,messages" sind nicht schriftlich, sondem Aufzeichnungen des Anrufbeantworters (der nicht wirklich antwortet, sondem nur sagt, dal3 er, wenn man will, eine Mitteilung aufnimmt.)
Dazu kommt eine geradezu kindische Sucht nach Originalit~it. Jeder Druckfehler eignet sich fª die Werbung, und wer ihn oft genug aufgenommen hat, bewugt oder unbewugt, nimmt ihn in sein Vokabular auf. Der erfolgreiche Kampf gegen das AutoritSxe macht jene schweigen, die den Unfug noch eind~immen k6nnten. In der Sprache ist nichts mehr verboten. Dadurch ist auf die Sprache kein Verlag mehr. Und schlieglich nagt auch noch die sogenannte Gleichberechtigung der Frau an der Qualit~it der Sprache. Meine Leser und Leserinnen, kª aber doch zu lang auch LeserInnen genannt, m6gen mir verzeihen, aber diese zwecklose Umst~indlichkeit Innen ist ein B~rendienst an der Sprache. In meiner Jugend wul3te man noch, dag die Leserinnen aus Grª der Sprach6konomie in den Lesern inbegriffen sind. Das war keine M~innerdominanz. So viel zur Sprache im allgemeinen. Jetzt wende ich mich der Fachsprache zu und den Fachbeschreibungen im besonderen. Das Klagelied ª arg unzureichende Ger~ite- und Programmbeschreibungen ist universell: Nicht sehr gutes Japanisch wird in schlechteres Englisch und weiter in noch schlechteres Deutsch ª so lautet die globale Klage. In diese Klage eingeschlossen geh/3rt die Kette jener Leute, die tolerieren, dag dies passiert. Hfitten die Vorgesetzten ein ausgebildetes Sprachgefª wª sie sehr viel nicht drucken lassen, wª sie
436
H. Zemanek:
eine Wort-Qualit~itskontrolle einfª Der Mangel an humanistischer Bildung hat viel mehr Aspekte, als die pragmatischen Modemisierer und Enthumanisierer der Ausbildung denken. Hier mischt sich ein humanistischer Defekt auf eigenartige Weise mit einem technischen. Denn wenn man sich die ª technische Beschreibung in Goethesche Hochsprache ª denkt, ist das Dokument immer noch miserabel. Weil kaum ein Beschreibungsverfasser lernt, wie man systematisch beschreibt, schreibt er hin, was ihm der Reihe nach einf~illt und nicht selten l~igt er es bei dieser Reihenfolge. Am besten trifft er noch die Beschreibung des Auspack-Vorgangs; schw~icher ist schon jene des Zusammenfª oder des Einfª in den Speicher. Letzteres wird mit groBen Stolz automatisiert, bis am Bildschirm eine Erfolgsanzeige erscheint - mit der Wirkung, daB der Benutzer keine Ahnung hat, was alles passiert ist. Das ist nur deswegen nicht so arg, weil er ohnehin nicht weil3, wie es ira Betriebssystem aussieht. Und dafª gibt es den Trost, daB so viel ira PC steckt, daB sich das ohnehin niemand vorstellen kann, auch nicht die Mitarbeiter des Herstellers: Man mª ein globales Dorf zusammentrommeln, um das Gesamtwissen vertreten zu haben. Erst bei diesem Gedanken beginnt man zu begreifen, wie wichtig eine Prosabeschreibung hoher Ausdruckskraft w~ire. Immerhin, fª die Aufstellung und die erste Inbetriebnahme pflegt das • zu reichen. Wehe aber, es tritt unterwegs, d. h. im Betriebsablauf, ein Problem auf. Da weiB man dann n~imlich nicht, wo man mit den in der Beschreibung aufgez~ihlten Schritten anfangen mul3 und von welcher Ausgangslage die Anleitung ausgeht. Man wird dazu vergewaltigt, im Nebel zu operieren. Eigentlich liefern alle Ger~itebeschreibungen den Beweis, dal3 kein Hersteller die Anweisungen nachprª die er mit seinen Produkten liefert, und ich meine Prª natª durch professionelle Beobachtung des unbeholfenen Neubenutzers und nicht durch einen vom Betrieb und seinem Vorwissen umzingelten Angestellten. Einen Zusatz-Beweis bringen die Software-Hilfen, die Texte, die man mit antupfbaren Fragezeichen oder dergleichen auf den Bildschirm holen kann. Ich versuche das gar nicht mehr, es hat mir n~nlich noch niemals einer geholfen. Das Fragezeichen beantwortet, wenn ª nur eine Frage, die ich gar nicht stelle. Meist sendet es mich in eine Verweiskette, bis zu deren Ende mir die Geduld fehlt. Ich mache es wie fast alle Kollegen: Ich suche einen, der sich in diesem Punkt auskennt, und wir praktizieren dann die Lehrinstitution mit der gr613ten Bedeutung fª die Informatik: HiJrensagen. ,,Drª
Strg und C und kurz danach das Zeichen #"
Die Initiierten wissen n~imlich, was dann passiert (meistens). Wenn es mir gelingt, diesen Satz fª den Rest
115. Jg, 11998).H.9
des Lebens meines Systems zu merken, habe ich einen Benutzungsschritt dazugelemt. Die Beschreiber und die Software-Freunde-und-Helfer beherrschen keine der Sprachen, die erforderlich w5.ren, wie sollten sie auch? Sie schwimmen durch die W6rter, ª und pr~igen Brocken und Klischees und bauen damit ihre Texte auf, und unser Fachgebiet ist glª darª Das ist n~imlich besser als nichts. Die Initiierten sitzen vor der Tastatur und lassen ihre Bedingten-Reflex-Ketten spielen, wie ich das mit einem Schimpansen im Pawlow-Institut in Moskau erlebt habe (nein, nein, nicht auf Software gerichtet, sondern auf eine Banane - der Mensch ist intelligenter). Erleben Sie einen solchen Initiierten, dann sind Sie von seinem K6nnen tief beeindruckt. Lemen aber werden Sie nur wenig, denn seine Bedingten-ReflexKetten laufen weit rascher als seine Worte. Der Mindesteffekt ist, daB er drei Tasten drª w~ihrend er die erste zu erkl~iren versucht. An dieser Situation ist der Ausbildungsdefekt zu erkennen, den ich hier beklage: Wir bringen den Studenten Informatik bei, aber nicht die Sprache, um sie zu beherrschen. Informatik ist ein Fach der Sprachbehinderten, und die Folge ist, dal3 sich alle den Sprechblasen zuwenden, die man Icons nennt (ich m6chte dem Wort Ikone ersparen, in diesem Zusammenhang vorzukommen). Man schiebt den Mauspfeil auf das Icon und drª hugh, ich habe gesprochen (eine technische Sprechblase). Und das wirkliche Reden schrumpft in diese Richtung und wird chinesisch: Man setzt Ideogramme nebeneinander. Nur dag die Kultur hinter den Ideogrammen nicht chinesisch ist, sondem technisch. Und die Sprache ist nicht Chinesisch, sondern Experten-Chinesisch. Das hat Scharen von Folgen. Eine davon ist, dag die Informatik ihren Platz im Kreis der hergebrachten Wissenschaften nicht zu besetzen vermag: Mit den Formalsprachen und mit Icons kann man einen Computer betreiben, aber nicht den Wettbewerb der Fachgebiete in einer Akademie der Wissenschaften. Die Folgen, die man den Unternehmensverantwortlichen in das Stammbuch schreiben mª (leider sind sie nur ª e-mail erreichbar und k6nnen dort die Information 16schen, ehe sie der Verdauung ausgesetzt ist), sind 6konomisch: Unverst~indliche Sprache kostet im technischen Zeitalter n~imlich Geld, und gar nicht wenig. Mein StoBseufzer lautet: Ich m6chte das Geld haben, das Industrie, Beh6rden und die akademische Welt durch miserable Systembeschreibungen verliert. Ich w ~ e Instant-Milliard~ir und kiSnnle mir ein Privatinstitut fª die • von Informatik-Texten in Sprache leisten. Wer Zweifel an der Wahrheit dieser Darlegungen hat, braucht nur zu ª dal3 ein Kandidat durchfallen kann wegen der Formfehler, die er sich in seiner Pro-
115.Ig.(1998),H.9
Die Sprache des Ingenieursund des Programmierers
grammiersprache zuschulden kommen l~iBt, niemals aber wegen seines Behindertendeutschs. Das ist auch gerechffertigt: Wie sollte denn der Informatiklehrer das Deutsch beurteilen? Er hat es selbst nicht ausreichend erlemt. Und die Deutsch-Fachleute besch~iftigen sich mit einer Rechtschreibreform, weil sie meinen, dag die mangelhafte Sprache ihrer Schª eine Folge der altmodischen, emeuerungsbedª unreformierten Rechtschreibung sei. Und daB die G~imse die Situation erleichtem wird. Ja, Schnacken. Ein Hoch auf die Politiker, die die Reform durchtreiben!
437
PS. Ist dieser Beitrag zu destruktiv? Nein, er pagt zum Zustand. Das Konstruktive ist leicht zu sagen: Wiederherstellung des Humanistischen Gymnasiums und fª Informatiker vorschreiben. (Es soll eine alte Statistik der Technischen Hochschule Wien geben, die den Gymnasiasten bessere Prª zuordnet als den Realschª - ich bin Realschª und nicht etwa Gynasiast!). Allerdings werden sich die P~idagogen fragen mª woher sie die Lehrer fª diese Wiederherstellung bekommen ...