ZFAS 1 (2008) 1:6-15 DOI 10.1007/s12399-008-0002-1 A na ly sen
Die Wahlen in den USA und die Zukunft des deutsch-amerikanischen Verhältnisses Karsten D. Voigt*
Zusammenfassung: Der Beitrag analysiert aus deutscher Sicht den amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf und die politischen Positionen der beiden Kandidaten John McCain und Barack Obama. Zudem wirft er einen Blick auf die amerikanischen Kongresswahlen, die parallel zu den Präsidentschaftswahlen am 4. November 2008 stattfinden. Auf der Grundlage dieser Analyse nimmt der Autor eine Einschätzung der zukünftigen Außenpolitik der USA und möglicher Konflikt- und Kooperationsfelder in den transatlantischen Beziehungen vor. Schlüsselwörter: Amerikanische Außenpolitik · Präsidentschaftswahlen · Kongresswahlen · Barack Obama · John McCain · Transatlantische Beziehungen Abstract: The article analyses the U.S. presidential election campaign and the political views of the two major candidates, John McCain and Barack Obama. It also casts a light on the congressional elections, which will take place alongside the presidential elections on November 4, 2008. Building on this analysis, the author develops an outlook on the future course of American foreign policy and on prospective areas of conflict and cooperation in transatlantic relations. Keywords: American Foreign Policy · Presidential Elections · Congressional Elections · Barack Obama · John McCain · Transatlantic Relations
Basisdemokratie und Medienhype in den USA Die bevorstehenden Präsidentschafts- und Kongresswahlen in den USA am 4. November 2008 haben auch in Europa schon weit im Voraus zu einer intensiven Diskussion über die Kandidaten und die künftige Politik Washingtons geführt. Der sehr frühe Beginn der Vorwahlen in Form von Primaries und Caucuses Anfang Januar 2008 zwang die Bewerber in beiden politischen Lagern bereits seit Herbst 2007 zu einem beispiellosen Karsten D. Voigt (*) Koordinator für die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit, Auswärtiges Amt, 11013 Berlin E-Mail:
[email protected] * Karsten D. Voigt ist seit 1999 Koordinator für die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit im Auswärtigen Amt. Dieser Artikel gibt seine persönliche Meinung wieder. Er wurde im Juni 2008 verfasst und reflektiert die Situation zu diesem Zeitpunkt.
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Wahlkampfmarathon und zur Einwerbung ungeheurer Spendensummen. Das monatelange Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen den demokratischen Senatoren Barack Obama und Hillary Clinton, der Erfolg des Außenseiters John McCain auf der republikanischen Seite und schließlich der basisdemokratische Vorwahlprozess selbst trieben nicht nur die Wahlbeteiligung der Amerikaner in die Höhe, sondern schlugen auch die Medien und die Bevölkerung in Europa in ihren Bann. Während John McCain sich im Vorwahlkampf der Republikaner schnell durchsetzte, blieb das Rennen um die Nominierung bei den Demokraten bis zum Schluss spannend, zumal sich Obama und Clinton programmatisch kaum voneinander unterschieden. Die demokratische Partei befand sich in dem Dilemma, über zwei starke Kandidaten zu verfügen, von denen keiner aufgeben wollte und die sich gegenseitig beschädigten, bevor es überhaupt zu einer Auseinandersetzung mit dem republikanischen Kontrahenten kam. Erst nach den letzten Vorwahlen Anfang Juni räumte Hillary Clinton ihre Niederlage ein und bekundete ihre Unterstützung für die Kandidatur Obamas. Die Sympathien vieler Deutscher richteten sich dabei von Anfang an stärker auf Senator Obama, der als über den Parteien stehende Integrationsfigur und gleichsam als Mischung aus John F. Kennedy und Martin Luther King wahrgenommen wurde. Aber auch Hillary Clinton als erste weibliche Bewerberin mit einer guten Chance auf die Nominierung und John McCain waren in den Medien sehr präsent, so dass beinahe das politisch wichtige Faktum in den Hintergrund geriet, dass am 4. November nicht nur der Präsident, sondern auch das US-Repräsentantenhaus und ein Drittel der Senatoren gewählt werden. Der Kampf um das Weiße Haus: Die Zauberformel lautet „Change“ Nach acht Jahren der Administration von George W. Bush sehnt sich ein Großteil der Amerikaner nach einem Wandel im Land. Laut Umfragen waren im Frühjahr 2008 69 Prozent der Amerikaner mit der Politik des Präsidenten unzufrieden. Der Anteil der Amerikaner, die glauben, das Land sei auf dem falschen Weg, betrug sogar 82 Prozent (Cohen/ Balz 2008). Die Bevölkerung ist fünf Jahre nach dem Beginn des Militäreinsatzes im Irak kriegsmüde und beunruhigt über die hohen Opferzahlen und die finanziellen Belastungen für Staatshaushalt und Steuerzahler. Der anhaltende Konjunkturabschwung und die Immobilien- und Finanzkrise verunsichern die amerikanische Mittelklasse zusätzlich. So wurden die Begriffe „Change“ und „Hope“, Wandel und Hoffnung, zu Schlagern des Wahlkampfes. Zuerst griff Barack Obama diese Motive auf, die anderen Bewerber folgten schon bald. Clinton sprach im Vorwahlkampf umständlich davon, dass sie über 35 Jahre Erfahrung im Herbeiführen von Wandel habe. Auch Senator McCain wahrte sichtlich Distanz zur Bush-Administration und kritisierte beispielsweise heftig ihren Umgang mit der Überschwemmungskatastrophe von New Orleans 2005, um zu demonstrieren, dass auch er für eine neue Politik stehe. Doch Barack Obama verkörpert den Gedanken des Wechsels und Neubeginns am stärksten. Als relativ junger Kandidat, Aktuelle Daten sind auf der Website www.realclearpolitics.com zusammengestellt. Das Gallup Institut ermittelte im April 2008, dass 63 Prozent der Amerikaner die Invasion Iraks für einen Fehler hielten (Page 2008).
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als Sohn eines kenianischen Vaters und einer Mutter aus dem amerikanischen Herzland, der an den Veränderungswillen aller Amerikaner appelliert, gilt er seinen Anhängern als Repräsentant einer modernen, ethnisch gemischten Gesellschaft, die mehr an kreativen Problemlösungen als an den alten Grabenkämpfen zwischen Ethnien, Parteien und Gesellschaftsschichten interessiert ist. Abzuwarten bleibt allerdings, ob die mehrheitlich konservative amerikanische Wählerschaft tatsächlich einen durchgreifenden Wandel in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft wünscht oder ob sie am Ende nicht eher mit vorsichtigen Korrekturen an einem im Prinzip funktionierenden System einverstanden wäre, wie sie von John McCain vorgeschlagen werden. Obama findet viele Anhänger bei gebildeten und wohlhabenden Wählern aller Hautfarben. Schwarze Amerikaner unterstützen ihn mit großer Mehrheit. Vor allem aber mobilisiert er zahlreiche junge Wähler, die wiederum bei ihren Eltern für ihn werben. Schon im perfekt organisierten Vorwahlkampf zogen sie von Haus zu Haus, machten das Internet zum Wahlkampfmedium und warben dabei viele Spendengelder für ihn ein. Während Hillary Clinton mit ihrer Erfahrung und rationalen Argumentationsweise zu punkten versuchte und vor allem ältere Wähler, Frauen, Wähler lateinamerikanischer Herkunft und die weiße Arbeiterschaft ansprach, glich Obamas Kampagne von Anfang an einer quasi-religiösen Bewegung, die an die Great Awakenings und andere charismatische Strömungen in der amerikanischen Geschichte erinnert. Der Kandidat wurde im Vorwahlkampf zur Projektionsfläche der Träume und Wünsche seiner Anhänger, oft ohne inhaltlich besonders konkret werden zu müssen. Dabei spielt er auch mit den Anti-Washington- und Anti-Establishment-Reflexen der amerikanischen Gesellschaft und verspricht eine grundsätzlich neue, überparteiliche Politik. Seine Gegner kontern mit dem Vorwurf der Unerfahrenheit und Naivität, der Substanzlosigkeit oder gar der Demagogie (Podhoretz 2008). Obama argumentiert dagegen, dass es mehr auf Urteilskraft ankomme als auf Erfahrung in öffentlichen Ämtern. Er verweist vor allem darauf, dass er von Beginn an gegen den Irakkrieg gewesen sei, während z.B. Clinton und McCain trotz all ihrer Erfahrung den Einmarsch in den Irak im Kongress mitgetragen hätten. Mit seiner noch vergleichsweise kurzen politischen Karriere und seinen gesellschaftspolitisch liberalen Ansichten ist Obama jedoch in der Tat verwundbar. Sollten sich die Ängste der Amerikaner z.B. durch neue Terrorgefahren oder eine Verschärfung der Wirtschaftskrise verstärken, könnten die Wähler letztlich doch einen konservativen und erfahrenen Politiker wie John McCain bevorzugen. Es ist zudem offen, ob die im Schnitt eher älteren, der weißen unteren Mittelschicht und Arbeiterschaft zugehörigen Anhänger Clintons den Kandidaten Obama im Hauptwahlkampf gegen McCain unterstützen werden. Es bereitet Obama Sorge, dass der lange und für die Demokraten bisweilen quälende Vorwahlkampf beide demokratische Bewerber Beliebtheitspunkte gekostet hat. Auf republikanischer Seite stand der Kandidat bereits Anfang März 2008 fest. Dabei wirkte sich auch das bei den Republikanern in einer Reihe von Staaten angewandte Winner-takes-all-Prinzip aus, das dem Sieger einer Vorwahl sämtliche Wahlmännerstimmen des Bundesstaates einbringt. Die demokratischen Bewerber hingegen teilten wegen des in der Partei vorherrschenden Proportionalsystems die Wahlmänner in jedem Staat gemäß dem Stimmenverhältnis unter sich auf. Der 71-jährige John McCain, der aufgrund seiner unorthodoxen und impulsiven Persönlichkeit und seiner politischen
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Unangepasstheit oft als Maverick (Einzelgänger oder Außenseiter) bezeichnet wird, ist ein sicherheitspolitischer Experte mit langer außenpolitischer Erfahrung, der im Vietnamkrieg diente und dabei Gefangenschaft und Folter überstand. Die Deutschen kennen den Senator aus Arizona als langjährigen Gast auf der Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik und als einen an Europa und der NATO sehr interessierten Parlamentarier. Ehre und Patriotismus sind McCains Leitmotive. Er ist politisch schwer einzuordnen und gilt als „Falke“ in der Außenpolitik, der für eine Stärkung der amerikanischen Streitkräfte und für den Verbleib, nötigenfalls sogar für die Aufstockung der US-Truppen im Irak bis zum Sieg eintritt. Im Mai 2008 stellte er allerdings einen Abzug der Mehrheit der Truppen bis 2013 in Aussicht (Bumiller 2008). Er sieht im islamischen Extremismus die zentrale Bedrohung für den Westen und ist äußerst kritisch gegenüber Russland eingestellt. Zugleich ist er undogmatisch und hat als Senator oft über Parteigrenzen hinweg für politische Projekte geworben. Er wird bei sozialen und weltanschaulichen Themen wie der Einwanderung und der Abtreibung als moderat und bei der Ächtung von Folter als prinzipienfest eingeschätzt. Wie sein demokratischer Rivale argumentiert er für die Schließung des Gefangenenlagers in Guantánamo, für verbindliche Regelungen zum Klimaschutz und ein internationales System zum Handel mit Emissionsrechten (Bumiller/Broder 2008). Damit gewinnt er bei unabhängigen Wählern und konservativen Demokraten Sympathien, schreckt jedoch gleichzeitig konservative republikanische Stammwähler ab. In vielerlei Hinsicht ist der diesjährige Wahlprozess von Besonderheiten geprägt. Entgegen gängiger Klischees setzten sich in den Vorwahlen der beiden Parteien nicht die Kandidaten durch, die über das größte Privatvermögen verfügten und von Beginn an die Unterstützung des Parteiestablishments hatten, sondern eher untypische Charaktere, mit deren Erfolg anfangs niemand wirklich gerechnet hatte. McCain als unangepasster Republikaner, Obama als erster aussichtsreicher schwarzer Kandidat – beide entsprechen nicht dem Zerrbild amerikanischer Politik in vielen Teilen der Welt. Die amerikanische Demokratie hat einmal mehr bewiesen, zu welcher Kraft sie fähig ist, sich ständig neu zu erfinden und eine Begeisterung für die Mitgestaltung der Politik zu wecken, die auch nach Europa ausstrahlt und für die USA viele neue Sympathie gewinnt. Zugleich spielen Wahlkampfspenden dieses Mal eine noch größere Rolle als zuvor in der amerikanischen Geschichte. Die Spendeneinnahmen beider Parteien werden am Ende über einer Milliarde US-Dollar liegen, während sie in den Jahren 2000 und 2004 noch für alle Kandidaten zusammen 335 Millionen US-Dollar bzw. 671 Millionen US-Dollar betrugen (Kronholz 2008). Allein die beiden demokratischen Bewerber Obama und Clinton hatten bis April 2008 zusammen 485 Millionen US-Dollar eingeworben. Geld spielt also weiterhin eine überragende Rolle und zwingt die Kandidaten, große Energien in das fundraising zu investieren. Auch hier war Obama bislang der erfolgreichste Bewerber. Es gelang ihm, über seine Aktivisten und das Internet viele Kleinspenden einzuwerben und dabei Clinton und McCain zu übertrumpfen, die eher auf die finanzielle Unterstützung durch wohlhabende Bürger und größere Institutionen gesetzt hatten. So genannte Political Action Committees, die Unternehmen oder Interessengruppen vertreten, dürfen jeweils in den Vor- und Hauptwahlen höhere Summen pro Kandidat spenden (bis zu 5.000 US-Dollar) als private Einzelspender (bis zu 2.300 US-Dollar).
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Neu an diesem Wahlkampf ist die überragende Bedeutung des Internets. Die Websites der Kandidaten und damit verbundene Funktionen, wie E-Mails, Blogs und Video-Podcasts, erreichen eine ungewöhnlich große Zahl vornehmlich junger Wähler (Pannen 2008: 2). Insbesondere der Obama-Kampagne gelang es im Vorwahlkampf, das Internet schlagkräftig zur Mobilisierung der eigenen Anhänger und zur Einwerbung von Spenden einzusetzen. Monatlich besuchten zwei bis drei Millionen Menschen die Website Obamas. Die Seite des Republikaners John McCain kam auf wesentlich geringere Nutzerzahlen. Religion spielt in amerikanischen Wahlkämpfen stets eine große Rolle. Während die Demokraten die evangelikalen Christen bei den Präsidentschaftswahlen von 2004 noch vernachlässigten und dafür abgestraft wurden, versuchen sie 2008, dieses Wählersegment stärker anzusprechen. Wiederholt diskutierten die demokratischen Bewerber im Fernsehen über Glaubensfragen. Obama bedient die religiöse Grundstimmung in Amerika sehr effektvoll durch seinen pastoralen Redestil, der auffallend dem Martin Luther Kings ähnelt. Seine frühere Zugehörigkeit zur Trinity United Church of Christ in Chicago bereitete ihm aufgrund umstrittener Äußerungen des Pastors Jeremiah Wright allerdings auch Probleme. Die Methodistin Hillary Clinton, die aufgrund ihres politischen Werdegangs bei vielen sozial und religiös konservativen Wählern auf starke Vorbehalte stieß, versuchte im Vorwahlkampf mit religiösen Bekenntnissen zu punkten. John McCain ist mit seinen pragmatischen gesellschaftspolitischen Ansichten sicher nicht der Wunschkandidat der evangelikalen Konservativen (dies wäre der ehemalige Baptistenprediger Mike Huckabee gewesen), aber in der Abwägung zwischen ihm und einem gesellschaftspolitisch liberalen Kandidaten könnten sich die religiösen Wähler dennoch für McCain entscheiden. Wahlen zum 111. Kongress: Zugewinn für die Demokraten? Die mediale Fokussierung auf die amerikanischen Präsidentschaftswahlen hat die ebenfalls für den 4. November angesetzten Wahlen zum 111. Kongress weitgehend in den Hintergrund gedrängt. Dabei nimmt der Kongress u.a. durch seine Kompetenzen in der Haushalts-, Steuer- und Handelspolitik eine starke Stellung im amerikanischen Verfassungsgefüge ein. Ohne die Zustimmung des Senats kann der Präsident zudem keine Verträge abschließen und keine Minister, Verfassungsrichter und Botschafter ernennen. In der amerikanischen Geschichte gehörten Präsident und Kongressmehrheit nicht selten unterschiedlichen Parteien an. Lediglich in 14 von 32 Kongressen nach dem Zweiten Weltkrieg herrschte Parteieinigkeit zwischen der Exekutive und Legislative. Das als divided government bezeichnete Phänomen ist nicht zwangsläufig eine negative Konstellation, kann jedoch die Handlungsspielräume des Präsidenten insbesondere in der Innenpolitik einschränken. Es kommt aber auch vor, dass ein Präsident Mühe hat, seine Gesetzgebungsprojekte durch einen mehrheitlich von der eigenen Partei beherrschten Kongress zu bringen. Bei den anstehenden Wahlen entscheiden die Bürger über die Besetzung aller 435 Sitze des Repräsentantenhauses und eines Drittels der Sitze im Senat (Maisel 2007). Die Wiederwahl der meisten derzeitigen Abgeordneten gilt als gesichert. Dennoch wird es auch bei den Kongresswahlen zu einer Reihe von spannenden Disputen um einzel-
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ne Sitze kommen. Vor allem in der republikanischen Partei gibt es ruhestandsbedingt einige so genannte open seats, bei denen sich kein Amtsinhaber zur Wiederwahl stellt. Bei den Senatswahlen 2008 haben die Demokraten die bessere Ausgangssituation. Die Republikaner müssen insgesamt 23 der 35 zur Wahl stehenden Senatssitze verteidigen, die Demokraten hingegen nur zwölf. Unter diesen Sitzen befinden sich bei den Republikanern auch fünf open seats, was ihre Situation zusätzlich verschärft. Bei den Demokraten zieht sich keiner der derzeitigen Senatoren in den Ruhestand zurück. Die geringe Beliebtheit der gegenwärtigen republikanischen Administration beeinflusst die Lage für die republikanischen Abgeordneten zusätzlich negativ. Die zehn am stärksten umkämpften Senatssitze verteilen sich auf neun republikanische Sitze und nur einen der demokratischen Partei. Allerdings haben die Demokraten im derzeitigen Senat nur einen knappen Vorsprung von 51 zu 49 Stimmen, und das nur aufgrund der parteinahen Position von zwei unabhängigen Senatoren. Nach einer komfortablen demokratischen Senatsmehrheit nach dem 4. November sieht es derzeit nicht aus, zumal 60 Senatorenstimmen benötigt werden, um das so genannte filibuster der Minderheitsfraktion – also die Taktik, durch Dauerreden eine Beschlussfassung der Mehrheit zu verhindern – auszuhebeln. Im Repräsentantenhaus haben die Demokraten derzeit einen Vorsprung von 236 zu 199 Sitzen vor den Republikanern. Voraussichtlich 34 Repräsentanten werden nach der gegenwärtigen Kongressperiode ihren Sitz aufgeben (Cook Political Report 2008). Die meisten dieser Sitze werden hart umkämpft werden. Dies gilt auch für weitere 25 Sitze, die teilweise von Demokraten besetzt sind, die ihre Sitze erst bei den letzten Wahlen von Republikanern übernahmen. Prognosen weisen darauf hin, dass die Demokraten im November einige Sitze dazu gewinnen könnten (Maisel 2007). Schon im Frühjahr 2008 errangen sie bei Nachwahlen drei Sitze in Wahlbezirken, die zuvor als republikanische Hochburgen gegolten hatten. Die Demokraten sollten jedoch durch Umfragen gewarnt sein. Nicht nur die gegenwärtige Regierung unter Präsident Bush ist im Volk unpopulär. Die Wähler sind von der Arbeit des mehrheitlich demokratischen Kongresses sogar noch stärker enttäuscht. So gaben Mitte Mai 2008 71 Prozent der befragten US-Bürger an, mit der Arbeit des Kongresses unzufrieden zu sein. Als die Demokraten 2006 die Kongressmehrheit errangen, versprachen sie, den Irakkrieg zu beenden, die Haushaltsdisziplin auf Bundesebene wiederherzustellen und die Regierung stärker zu kontrollieren. Diese Versprechen wurden jedoch auch aufgrund der knappen Mehrheitsverhältnisse und der verfassungsrechtlichen Machtfülle des Präsidenten kaum erfüllt. So billigte der demokratisch geführte Kongress z.B. zusätzliche Mittel für die Militäreinsätze im Irak und in Afghanistan, und er schaffte es nicht, Präsident Bush im Gegenzug auf einen Zeitplan für den Abzug der Truppen aus dem Irak festzulegen (Weisman/Kane 2007). Was haben wir von der US-Außenpolitik zu erwarten? Die Bundesregierung könnte mit beiden im November zur Wahl stehenden Kandidaten gut zusammenarbeiten. John McCain ist der Kandidat mit der größeren außen- und sicherheitspolitischen Erfahrung und dem ausgeprägteren Interesse an Europa. Obama ist
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derzeit Vorsitzender des Unterausschusses für europäische Angelegenheiten im Senat, er kennt Europa aber kaum. Im Wahlkampf spielen europäische Themen bislang keine Rolle. Beide Kandidaten versprechen jedoch eine größere Bereitschaft der USA, auf ihre Partner zuzugehen, ihre Standpunkte zu berücksichtigen und multilaterale Institutionen ernster zu nehmen, als dies bei der Bush-Administration der Fall war. Viele Europäer verbinden mit den Wahlen daher große Erwartungen und hoffen auf eine grundsätzliche Neuausrichtung der amerikanischen Außenpolitik. In den außenpolitischen Zielsetzungen sind die Unterschiede zwischen den Kandidaten weniger klar, als viele Europäer vermuten. Trotz aller Bekenntnisse zur Bedeutung multilateraler Zusammenarbeit wird keine US-Administration dem Multilateralismus den gleichen Stellenwert einräumen wie es z.B. Deutschland tut. Vor allem aber wird der Kongress das Völkerrecht niemals als übergeordnete Instanz anerkennen, die Vor-rang vor dem nationalen Recht hat. Dem widersprächen nicht nur die verfassungspolitische Tradition, sondern auch der Weltmachtstatus und die politische Kultur der Vereinigten Staaten. Weder McCain noch Obama werden die Anwendung militärischer Gewalt ausschließen, wenn es um die Durchsetzung und Verteidigung wichtiger amerikanischer Sicherheitsinteressen geht. Dies kann notfalls auch ohne die Unterstützung der Verbündeten geschehen. So schreibt Barack Obama in seinem Beitrag „Renewing American Leadership“ in der angesehenen Zeitschrift Foreign Affairs vom Juli/August 2007, dass er nicht zögern werde, Gewalt anzuwenden – falls nötig auch unilateral – um die amerikanischen Bürger und die vitalen Interessen der USA zu verteidigen, wenn sie angegriffen oder unmittelbar bedroht würden (Obama 2007). Größere Unterschiede zwischen Republikanern und Demokraten werden in der Irakpolitik gesehen. So versuchte die demokratische Kongressmehrheit wiederholt, Präsident Bush auf ein Abzugsdatum für die US-Truppen festzulegen. McCain argumentierte schon früh für eine Aufstockung der Truppen, um die Gewalt im Irak einzudämmen und die Regierung in Bagdad zu stabilisieren. Auch gegenwärtig ist McCain für die „Fortsetzung der Bemühungen, den Krieg im Irak zu gewinnen“ (McCain 2007), während Obama für einen schrittweisen Abzug der Truppen und eine Übergabe der Verantwortung an die Iraker plädiert. Letzten Endes werden jedoch die konkrete militärische Situation und die Stabilität der irakischen Regierung für den Zeitplan des Truppenabzugs entscheidend sein und weniger die Absichtserklärungen im Wahlkampf. Sowohl Demokraten als auch Republikaner denken über eine neue außenpolitische Organisation nach, die als „Bund“, „Konzert“ oder „Allianz der Demokratien“ bezeichnet wird. Es geht um die Idee, einen neuen institutionellen Rahmen für die demokratisch regierten Länder der Welt zu schaffen, damit diese besser bei der Bewältigung internationaler Sicherheitsprobleme kooperieren könnten, und zwar v.a. dann, wenn die Vereinten Nationen aufgrund ihrer Entscheidungsprozesse gelähmt wären. Dahinter verbirgt sich der Gedanke, dass Legitimität, v.a. beim Einsatz militärischer Macht, weniger aus der möglichst breiten Zustimmung der internationalen Gemeinschaft erwachse als aus der moralischen „Richtigkeit“ der Entscheidungen und der „inneren Legitimität“ demokratischer Staaten. Es ist jedoch fraglich, nach welchen Kriterien über die Mitgliedschaft in dem neuen Bund entschieden wird. Provoziert man mit einer solchen Einen Überblick zu dieser Diskussion bietet Peter Rudolf (2008).
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Idee nicht eine erneute Blockbildung in der Welt und schließt Staaten wie Russland und China aus, deren Unterstützung für die Bewältigung globaler Probleme unerlässlich ist? Sollte sich dieses Projekt in der Regierungspolitik der neuen Administration wiederfinden, werden die Europäer hier Gesprächsbedarf haben und Widerspruch äußern. Auch das Verhältnis zum Iran wird ein wichtiges Thema auf der transatlantischen Agenda bleiben. John McCain sieht Iran als „den Hauptsponsor des Terrorismus auf der Welt“. Der nächste Präsident müsse dieser Bedrohung mit stärkeren politischen und wirtschaftlichen Sanktionen begegnen. Auch die „militärische Option“ müsse auf dem Tisch bleiben, falls Teheran nicht kooperieren wolle (McCain 2007). Obama erregte Aufsehen mit seiner Forderung, dass die USA direkte und hochrangige Gespräche mit dem Iran führen und ökonomische Anreize bieten sollten, um das Regime zur Aufgabe seines Atomprogramms, der Unterstützung des Terrorismus und regionaler Aggression zu bewegen. Im Kongress herrscht bei Republikanern und Demokraten eine sehr irankritische Haltung. Bei Abgeordneten beider Parteien gilt die Darstellung im Geheimdienstbericht National Intelligence Estimate vom Dezember 2007 (National Intelligence Council 2007), laut dem Iran im Herbst 2003 sein Nuklearwaffenprogramm stoppte, als problematisch oder gar verharmlosend. Sie fordern die Administration auf, die Verbündeten zu mehr Druck auf Iran zu bewegen, z.B. durch Sanktionen gegen ausländische Firmen, die mit Iran Geschäftsbeziehungen unterhalten, und durch weitere Finanzsanktionen gegen Iran. Auch wenn Deutschland seine früher engen wirtschaftlichen Beziehungen zum Iran bereits deutlich eingeschränkt hat, sollten wir uns also darauf gefasst machen, dass von der neuen Administration im Weißen Haus mit Unterstützung durch den Kongress sehr schnell Forderungen nach weiterem wirtschaftlichen und politischen Druck auf Iran kommen werden. Eine kontroverse Debatte gibt es auch um die Beziehungen zu Russland. In der Administration und im Kongress ist die Enttäuschung über die inneren Entwicklungen und das außenpolitische Auftreten des wieder erstarkten Russland groß. John McCain schrieb in einem in der Süddeutschen Zeitung veröffentlichten Artikel: „Wir brauchen eine gemeinsame Linie des Westens gegen ein revanchistisches Russland, dessen Führer offenbar eher einen alten Konfliktkurs einschlagen wollen“ (McCain 2008a). Zudem solle die G-8 „wieder ein Klub führender Marktdemokratien“ werden. Er plädiert für die Aufnahme Indiens und Brasiliens in die Staatengruppe, jedoch gleichzeitig dafür, dass Russland aus der Organisation ausgeschlossen und China aus ihr herausgehalten wird (McCain 2008b). Dies würde eine gravierende Brüskierung zweier globaler Mächte bedeuten und wäre eine Abkehr von der bisherigen Politik Washingtons, Peking und Moskau so weit wie möglich in die internationale Ordnung einzubinden. Angesichts der ökonomischen Verflechtungen und politischen Kooperation Europas mit Russland wäre eine Konfrontationspolitik aus deutscher Sicht nicht akzeptabel, auch wenn uns manche innere Entwicklung in Russland nicht gefallen mag. Die EU und Russland sind direkte Nachbarn und in vielfältiger Weise aufeinander angewiesen – nicht nur im Gashandel, wie oft verkürzt dargestellt wird. Russland wird z.B. bei den Bemühungen um Abrüstung und Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen sowie bei der Stabilisierung von Krisenregionen dringend gebraucht. Die neue amerikanische Administration sollte Europa daher nicht vor die Wahl zwischen der Fortentwicklung der transatlantischen Beziehungen und einem gedeihlichen Verhältnis zu Russland stellen.
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Kooperationsfelder für eine verstärkte transatlantische Partnerschaft Weitere drängende internationale Probleme und regionale Krisen bleiben der transatlantischen Agenda unter der neuen US-Administration erhalten: von der gemeinsamen Bekämpfung des Terrorismus, der Verwirklichung einer Friedensordnung im Nahen Osten, der geopolitischen und wirtschaftlichen Herausforderung durch aufstrebende Mächte wie China, Indien und Brasilien bis hin zu den Konflikten in Afghanistan, auf dem Balkan, in Afrika und Asien. Die Präsidentschaftskandidaten der Republikaner und Demokraten haben ihre Bereitschaft bekundet, ihre Verbündeten stärker in die Lösung solcher Konflikte einzubeziehen. Zugleich werden sie aber auf eine aus US-Sicht gerechtere Lastenverteilung pochen und Deutschland und andere europäische Staaten mit neuen Forderungen nach der Übernahme militärischer und ziviler Aufgaben in Krisengebieten konfrontieren. Vor allem mit Blick auf Afghanistan dürfte sich der amerikanische Druck auf Deutschland und die EU, mehr für die gemeinsame Sicherheit zu leisten, noch verstärken. Außerdem ist zu erwarten, dass die neue US-Administration auch mit der Bitte an die Verbündeten herantreten wird, zusätzliche Beiträge zur zivilen Stabilisierung Iraks zu leisten. Angesichts der erheblichen Skepsis in der deutschen öffentlichen Meinung gegenüber den Auslandseinsätzen der Bundeswehr bedeutet dies eine große Herausforderung für die Bundesregierung und den Bundestag. Europa und die USA können aber auch in vielen anderen Bereichen noch enger kooperieren. Die transatlantische Wirtschaftspartnerschaft, die Millionen Arbeitsplätze auf beiden Seiten des Atlantiks sichert, bietet dafür gerade in Zeiten einer sich abschwächenden Weltkonjunktur und von Turbulenzen auf den Finanzmärkten große Chancen. Die EU und die USA sollten die im Frühjahr 2007 beschlossene Vertiefung dieser Zusammenarbeit im Rahmen des Transatlantischen Wirtschaftsrats verstärken und Streitigkeiten über Details wie das Importverbot von chlorbehandeltem Geflügelfleisch durch die EU baldmöglichst beilegen. Hinderlich für die Handelsbeziehungen sind auch zunehmende protektionistische Reflexe in der amerikanischen Bevölkerung, die vor allem von den Demokraten aufgegriffen werden, während der Republikaner McCain weiterhin den Freihandel verteidigt. Von großer Relevanz für die Zukunft unserer Gesellschaften ist der Themenkomplex Klimaschutz und Energiesicherheit. Während sich die EU ehrgeizige Reduktionsziele für Treibhausgase setzt, hat sich die Bush-Administration mit dem Thema schwer getan. Sie lehnte eine verbindliche Begrenzung von CO2-Emissionen ab, solange große Schwellenländer wie China und Indien, die einen immer größeren Anteil an den Emissionen haben, nicht ebenfalls in die Pflicht genommen werden. Mittlerweile hat sich jedoch auch in den USA die Diskussion verändert. Eine Reihe von Bundesstaaten, darunter Kalifornien und Florida, haben eigene Gesetze zur Begrenzung von Treibhausgasen und zur Förderung erneuerbarer Energien verabschiedet, und Barack Obama wie John McCain haben sich für verstärkte Maßnahmen zum Klimaschutz ausgesprochen. Der Boden ist also sehr fruchtbar für eine Zusammenarbeit zwischen den USA und Europa nach den Wahlen im November. Bei all diesen Themen bleibt die transatlantische Partnerschaft die notwendige Vorbedingung für Problemlösungen. Zwar müssen in einer zunehmend globalisierten und vernetzten Welt auch viele andere Partner eingebunden werden, doch ohne die enge
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Kooperation zwischen den USA und Europa wird es keine Fortschritte bei der Bewältigung der drängenden Probleme unserer Zeit geben. Für die Europäer bleiben die USA der wichtigste Partner, und auch amerikanische Politiker wissen, dass die Schnittmenge gemeinsamer Interessen und Werte mit keiner anderen Region der Welt so groß ist wie mit Europa. Die bevorstehenden Präsidentschafts- und Kongresswahlen bieten einen guten Anlass, um dieser Partnerschaft neuen Schwung zu verleihen. Dabei werden auch Unterschiede in den Meinungen und außenpolitischen Ansätzen zwischen Europa und den USA bestehen bleiben. Amerikaner und Europäer sollten lernen, mit solchen Differenzen gelassen umzugehen und aus Widersprüchen gemeinsame, konstruktive Lösungen zu entwickeln. Literatur Bumiller, E. (2008). McCain Sees US Troops Leaving Iraq by 2013. International Herald Tribune, 16.5.2008. Bumiller, E. & Broder, J. (2008). McCain Differs With Bush on Climate Change. New York Times, 13.5.2008. Cohen, J. & Balz, D. (2008). U.S. Outlook is Worst Since 1992. Poll Finds. Washington Post, 13.5.2008. Cook Political Report (2008). 2008 House Summary. March 20, 2008. http://www.cookpolitical. com/ (13.6.2008). Kronholz, J. (2008). Democrats’ Rules Set Stage for Messy Nomination. Wall Street Journal, 22.4.2008. Maisel, L. (2007). Congressional Elections. eJournal USA, Oktober 2007. http://usinfo.state.gov/ journals/itdhr/1007/ijde/maisel.htm (13.6.2008). McCain, J. (2007). An Enduring Peace Built on Freedom. Foreign Affairs, 86 (6), 19-34. McCain, J. (2008a). In alter Freundschaft. Süddeutsche Zeitung, 8.2.2008. McCain, J. (2008b): Remarks by John McCain to the Los Angeles World Affairs Council, 26.3.2008. http://www.johnmccain.com/Informing/News/Speeches/872473dd-9ccb-4ab49d0d-ec54f0e7a497.htm (13.6.2008). National Intelligence Council (2007). Iran. Nuclear Intentions and Capabilities. http://www.dni. gov/press_releases/20071203_release.pdf (13.6.2008). Obama, B. (2007). Renewing American Leadership. Foreign Affairs, 86 (4), 2-16. Page, S. (2008). Bush’s Disapproval Rating Worst of any President in 70 Years. USA Today, 22.4.2008. Pannen, U. (2008). Campaigning Online. US-Amerikanischer Präsidentschaftswahlkampf im Internet. Fokus Amerika, 1/2008. Washington: Friedrich Ebert Stiftung. http://library.fes.de/ pdf-files/bueros/usa/05176.pdf (13.6.2008). Podhoretz, N. (2008). Obama ist der erste amerikanische Demagoge seit den Dreißigerjahren. Die Welt, 18.3.2008. Rudolf, P. (2008). Ein „Bund der Demokratien“. Amerikas neuer globaler Multilateralismus? SWP-Aktuell 28, April 2008. Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik. http://www.swp-berlin.org/common/get_document.php?asset_id=4874 (13.6.2008). Weisman, J. & Kane, P. (2007). Key Setbacks Dim Luster of Democrats’ Year. Washington Post, 20.12.2007.