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© Magna Powertrain
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„Durch vollautomatisierte Fahrzeuge wird das Getriebe noch effizienter“ Elektrifizierung und Automatisierung machen auch vor dem Getriebe nicht halt. So kommen neue Hybridvarianten auf den Markt, und perspektivisch führen autonom fahrende Autos zu geringeren Belastungen im Antriebsstrang, sodass Getriebe kleiner ausgelegt werden können. Ron Frawley, Magna Powertrain, und Didier Lexa, Getrag, sprechen im ATZ-Interview über die Chancen nach dem Getrag-Kauf, über aktuelle und zukünftige Entwicklungen in der Getriebetechnik und warum Dedicated Hybrid Transmissions (DHTs) gar nicht so neu sind.
Ronald Frawley, B. Eng. (Jahrgang 1960) arbeitet seit Oktober 2014
als Director Strategic Planning & Corporate Development bei Magna Powertrain in Troy, Michigan (USA). In dieser Position leitet er Magna Powertrains langfristige strategischen Planungen und Aktivitäten. Frawley erhielt seinen Bachelor in Maschinenbau vom Lawrence Technological Institute in Southfield, Michigan (USA). Er begann seine Karriere 1982 bei Allison Transmission, wechselte 1990 zur früheren Firma New Venture Gear. 2004 wurde Frawley von Magna Powertrain als Director Engineering angestellt und hatte seitdem mehrere Managementpositionen inne.
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Didier Lexa, M. Sc. MBA (Jahrgang 1953) ist seit 2001 Executive Vice President und Chief Technology Officer bei Getrag in Untergruppenbach. Nach seinen Studiengängen am Oekreal Zürich (Schweiz) und am ECAM in Lyon (Frankreich), arbeitete er von 1978 bis 1984 als Entwicklungsingenieur bei ZF. Im Jahr 1984 wechselte Lexa zu General Motors. 1986 kehrte er zu ZF in Saarbrücken zurück, wo er zehn Jahre als Chief Engineer Application Engineering tätig war. Von 1997 to 2011 war er Director Research & Development and Marketing für Getriebesysteme in Pkw und Nutzfahrzeugen bei Valeo in Paris (Frankreich).
ATZ _ Herr Frawley, Herr Lexa, Magna konnte im Januar 2016 seinen Kauf von Getrag abschließen. Wie profitieren beide Seiten davon?
Magna-Getrag setzt weiter auf Doppelkupplungsgetriebe. Warum kann ich zum Beispiel vom 7. Gang nicht in den 5. direkt herunterschalten, ist das nicht ein Nachteil?
LEXA _ Es
LEXA _ Beim
gibt viele Bereiche, in denen wir kurz- und mittelfristig Synergieeffekte nutzen können. Das gilt für Antriebsstrangarchitekturen wie integrierte Allradlösungen, mehr Möglichkeiten bei der Hybridisierung und Elektrifizierung oder die gemeinsame Nutzung funktionaler Komponenten. Es betrifft aber auch viele Bereiche wie Entwicklungs- und Produktionsprozesse oder Fertigungsverfahren. So hat Magna beispielsweise Kompetenzen bei Metallumformverfahren, die bei uns einfließen könnten. Wir haben also viele Chancen der vertikalen Integration von Produkten und Verfahren, aber auch in der Breite der gesamten Systembetrachtung. FRAWLEY _ Mit der Übernahme von Getrag ist Magna Powertrain zu einem „Powertrain System Integrator“ geworden. Man kann sagen, dass wir nun das Beste aus zwei Welten unter einem Dach versammelt haben. Mit unserem Produktportfolio decken wir praktisch alle Anforderungen ab, die in den Bereichen Antriebsstrang und Triebstrang zukünftig entstehen können. Zusammen haben wir sozusagen die volle Kontrolle über den Antriebsstrang.
DKG sind die Gänge wechselweise auf zwei Teilgetriebe aufgeteilt, für die Überschneidungsschaltung ist die Doppelkupplung zuständig. Eine direkte Schaltung zwischen Gängen auf derselben Welle ist somit nicht möglich. Wir nutzen jedoch kurze Stützschaltungen mit sehr hoher Schaltgeschwindigkeit,
„Sieben Gänge sind in vielen Fällen eine optimale Gangzahl“ das heißt wir können zum Beispiel die 7/5-Schaltung unter kurzer Einbindung des 6. Gangs extrem schnell und ohne Zugkraftverlust ausführen. Davon merkt der Fahrer praktisch nichts. Wichtiger sind für uns die Effizienzvorteile des DKGs. Der Drehmomentpfad ist hinter der jeweils geschlossenen Kupplung vollständig formschlüssig. Außerdem können wir beim DKG die Übersetzungen
der einzelnen Gänge fast beliebig auslegen. Es ist absolut üblich, ein Getriebe in drei oder vier Varianten mit unterschiedlichen Übersetzungen und Spreizungen für verschiedene Anwendungen anzubieten. Das DKG ist nicht weniger komfortabel als eine Wandlerautomatik, aber flexibler und effizienter. Eine Zeitlang setzte man bei DKG auf trockene Kupplungen, denn sie haben keine Schleppverluste. Warum geht nun die Tendenz doch in Richtung nasse Kupplungen? LEXA _ Wir
haben weiterhin unser DKG mit Trockenkupplungen im Programm, das 6DCT250, weil es im Bereich bis 280 Nm nach wie vor eine sehr effiziente und zweckmäßige Lösung ist. Darüber stößt man mit trockenen Kupplungen an Grenzen, weil sie eine große thermische Masse darstellen. Bei unseren DKGs der dritten Generation haben wir uns aus mehreren Gründen für nasse Kupplungen entschieden: Sie haben eine höhere Leistungsdichte, sind kleiner und haben eine geringere Massenträgheit. Außerdem verfügen wir heute mit der Pumpenaktuatorik über eine elektrohydraulische On-Demand-Aktuierung, deren Leistungsaufnahme extrem gering ist. Wir verbauen
Welche generellen Trends sind bei Getriebe und Antriebsstrang erkennbar?
Allgemein sehen wir einen Trend in Richtung mehr Automatisierung und Elektrifizierung in unterschiedlichsten Ausprägungen. Im globalen Maßstab gewinnt das Doppelkupplungsgetriebe, kurz DKG, weiter Marktanteile, in letzter Zeit auch verstärkt bei Kleinwagen und Low-TorqueAnwendungen. Zudem ist mehr Elektrifizierung zu erwarten, zunächst vor allem Mildhybride, im Hinblick auf emissionsfreie Zonen aber auch Plugin-Hybride. Rein elektrische Antriebe werden sicher kommen, aber klare langfristige Vorhersagen sind hier kaum möglich. Klar ist, dass die Automobil industrie in den nächsten zehn Jahren einen gewaltigen Transfor mationsprozess durchlaufen wird. Es wird neue Fahrzeug- und Antriebsarchitekturen geben, darauf stellen wir uns mit unserem Portfolio ein. Der Antrieb der Zukunft erfordert hochintegrierte und funktional anspruchsvolle Systeme. 12I2016
118. Jahrgang
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FRAWLEY _
Für Frawley ist klar, dass die Automobilindustrie wegen der zunehmenden Elektrifizierung in den nächsten zehn Jahren einen gewaltigen Transformationsprozess durchlaufen wird
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Welche Vorteile hat ein Doppelkupplungsgetriebe mit zehn Gängen, wo doch mehr Gänge zu mehr Gewicht und CO2-Ausstoß führen? LEXA _ Das ist nicht unser Ansatz. Zum Hintergrund: Es gibt derzeit eine Marktverschiebung in Richtung zu Front-QuerArchitekturen, für die sehr kompakte und kurz bauende Getriebe erforderlich sind. Wenn Sie bei unverändertem Package zehn Gänge wollen, geht das nur mithilfe vieler Windungsgänge durch Mehrfachnutzung vorhandener Gangräder. Praktisch heißt das aber, dass man wie bei Planetengetrieben die Gangstufen nicht mehr frei auslegen kann und sich etwas mehr Reibung einhandelt. Wir wissen heute, dass sieben Gänge in vielen Fällen eine optimale Gangzahl darstellen, mit allen Freiheiten für die Auslegung der Gangstufen. Im LowTorque-Segment sind oft sechs Gänge
„Wir haben bereits 2010 ein DHT vorgestellt“ ausreichend, bei Anwendungen mit höherem Drehmoment wie Sportwagen oder SUVs vielleicht auch einmal acht. Das alles lässt sich handhaben, ohne die Effizienzvorteile des DKG aufzugeben. Bei unseren kleinen Doppelkupplungsgetrieben nutzen wir einen Windungsgang für den ersten Gang und sparen damit das größte Gangrad ein. Das ist hier kein Nachteil, weil der erste Gang nur wenige Sekunden beim Anfahren benötigt wird. Das Mindergewicht dagegen zahlt sich ständig in Form von weniger Kraftstoffverbrauch aus.
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diese Komponenten mittlerweile auch in unseren kleinen Doppelkupplungsgetrieben wie dem 6DCT150 und erreichen so hohe Stückzahlen auf Komponentenebene. Auch hier haben wir funktionale Vorteile, weil kleine Downsizing-Motoren in der Regel von der geringeren Massenträgheit der nassen Kupplungen profitieren. Beide Lösungen haben also ihre jeweilige Berechtigung.
Zusammen mit Magna Powertrain sieht Lexa neue und vielfältige Chancen für die Elektrifizierung des Antriebsstrangs
FRAWLEY _ Auch der Elektromotor muss unterschiedliche Fahrsituationen bewältigen können. Man braucht zum Beispiel einen kurzen Gang, um etwa eine Rampe mit 30 % Steigung aus einer Tiefgarage hochfahren zu können. Am anderen Ende will man vielleicht mit gutem Wirkungsgrad 150 km/h fahren. Und dazwischen erwartet der Kunde eine sportliche Beschleunigung. Zwei oder drei Gänge können also von Vorteil sein. Mehr Gänge erlauben es auch, E-Maschinen kompakter zu gestalten, um Gewicht, Bauraum und Rohstoffkosten zu sparen. Das nur eine richtige Getriebe für PHEVs gibt es unserer Sicht bisher nicht, weil wir mit unterschiedlichen Anwendungsfällen und volatilen Rahmenbedingungen umgehen müssen, sei es bei der Batterietechnik, Ladeinfrastruktur – oder umgekehrt bei der Verfügbarkeit fossiler und regenerativer Kraftstoffe. Allgemein könnte man sagen, „der richtige“ Plug-in-Hybrid ermöglicht effizientes elektrisches Fahren, muss aber auch im Hybridbetrieb dem konventionellen Verbrennungsmotor-Betrieb überlegen sein.
Welchen Einfluss wird das autonome Fahren auf das Getriebe haben? LEXA _ Das
Warum benötigt ein Elektroauto noch ein Getriebe? Der Motor hat doch aus dem Stand heraus kräftig Drehmoment. Welches ist das richtige Getriebe für PHEV?
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ist ein spannendes Thema mit vielen Ebenen, wenn es auch zum vollautomatisierten Fahren sicherlich noch ein weiter Weg ist. Stellen wir uns vor, wie sich dadurch der Verkehr verändert:
Je mehr Fahrzeuge ohne Fahrereingriff auf den Straßen unterwegs sind, desto gleichmäßiger wird der Verkehr, desto kooperativer verhalten sich die Autos. Es ist kaum anzunehmen, dass vollautomatisierte Fahrzeuge ständig überholen oder sportlich beschleunigen, sie werden sich so verhalten, dass der Ressourcenverbrauch des gesamten Fahrzeugschwarms möglichst gering ist. Das bedeutet geringere Lasten und somit die Chance, Getriebe noch leichter und effizienter auszulegen. Vermutlich werden sich auch die Getriebearchitekturen verändern, denn auf der Zeitschiene wird auch die Hybridisierung und Elektrifizierung zunehmen. Diese beiden Entwicklungen können sich gegenseitig Auftrieb geben. Wie reagiert Magna-Getrag auf den Trend der Dedicated Hybrid Transmissions? LEXA _ Wir
verfolgen diese Diskussion natürlich mit großem Interesse. In gewisser Weise bestätigt uns dieser Ansatz, denn wir haben bereits 2010 ein DHT vorgestellt, die Bezeichnung war allerdings noch nicht erfunden. Heute wird allgemein anerkannt, dass mit einer dominanteren Rolle der E-Maschine kompaktere Hybridantriebe möglich sind. Denn je mehr die E-Maschine die Dynamik übernimmt, desto weniger Gänge benötigt der Verbrennungsmotor. Wir versuchen wie gesagt, uns flexibel aufzustellen, um schnell auf Marktent-
The Road in Your Lab
wicklungen reagieren zu können. Die Vorteile unserer Grundtechnologie gelten für unsere derzeitigen Hybridgetriebe genauso wie für ein mögliches DHT: zum Beispiel freie Auslegbarkeit der Übersetzungen, höchster Wirkungsgrad, gemeinsame Komponenten und Fertigungskonzepte. Wann werden E-Achsen die klassischen Allradantriebe mit Kardanwelle verdrängen? FRAWLEY _ Ich weiß nicht, wann es soweit ist, aber das ist durchaus eine realistische Option. Wir setzen bei Magna Powertrain bereits heute darauf, die parasitären Verluste im Triebstrang zu verringern, sodass wir selbst bei konventionellen Allradkonzepten eine sehr hohe Effizienz erreicht haben. Wir können beispielsweise mithilfe von zwei Trennkupplungen die Längswelle komplett abtrennen und erhalten so einen OnDemand-Allradantrieb. Wenn wir nun einen Schritt weiterdenken, ist es möglich, elektrische Hinterachsen in ein Hybridkonzept einzubinden. Genau wie beim DHT ist allerdings klar, dass dies fortgeschrittene Betriebsstrategien und Systemansätze erfordert, denn der Allradkunde erwartet, dass der Allradantrieb unter allen Umständen zur Verfügung steht. Es wäre ein interessanter Paradigmenwechsel, wenn der Allradantrieb zukünftig helfen würde, CO2-Emissionen zu senken.
Herr Frawley, Herr Lexa, ich danke Ihnen für das Gespräch.
Mobile Abgasmessung (PEMS) Das von MAHA-AIP entwickelte kompakte Messsystem dient zur mobilen Abgasmessung während einer realen Straßenfahrt. Eine ultraleichte Messbox (17,5 kg) wird am Testfahrzeug angebracht und beinhaltet kompakte Abgasanalysegeräte, eine Wetterstation, ein GPS-System sowie die Anbindung an das Fahrzeugnetzwerk [OBD / CAN interface / INCA-interface (ASAP3)] und eine Auswerteeinheit. Über eine Sonde (optional 2 Sonden) werden während der Fahrt die Fahrzeugabgase der Messbox zugeführt und im Echtzeitmode der Schadstoffausstoß (CO, CO2, NOX [oder NO + NO2], [optional particle number PN]) zusammen mit den zugehörigen Motor-, Fahrzeug- und Umgebungsparametern aufgezeichnet.
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www.maha-aip.de
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Anwendungsbeispiele • Messung und Auswertung der Abgasemissionen direkt am Fahrzeug, während einer realen Straßenfahrt • Analyse zur Motorentwicklung und Abgasnachbehandlung • Bauteileprüfung.
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INTERVIEW: Michael Reichenbach
Vorteile • Wetterfestes, robustes Schutzgehäuse (IP67) (B 510 x H 390 x T 220 mm) • Kompaktes, leichtes Design: 17,5 kg (inkl. Akku) • Clevere, schnelle Fixierung an der Fahrzeug-Anhängerkupplung • Autarke Stromversorgung durch Lithium-Ionen-Akku – einfacher Batteriewechsel ohne Systemabschaltung – Messdauer bis zu 5h • DEKRA geprüft • Online-Auswertung mit Betriebszustands-Anzeige für den Fahrer – ‚EMROAD‘ (JRC) – ‚CLEAR TOOL‘ (TU Graz).
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