Zeitschrift ffir angewandte Mathematik und Physik (ZAMP) Vol. 30, 1979
Birkh~user Verlag Basel
Ein Algorithmus zur Berechnung der Vielfachheiten von Gewiehten Von Karl Fl6scher, Seminar ftir Angewandte Mathematik, ETH, Ziirich Meinem verehrten Lehrer, Professor E. Stiefel gewidmet
1. Einleitung Ein zentrales Problem der Darsteliungstheorie ist die Charakterenberechnung, beziehungsweise die Bestimmung der Gewichte mit ihren Vielfachheiten. Die meisten Methoden dazu sind recht aufwendig, besonders bei h6herdimensionalen Gruppen. In dieser Arbeit wird ein Algorithmus angegeben, tier die Berechnung der Vielfachheiten mit einem verniinftigen Rechenaufwand erlaubt. Dieser Algorithmus ergibt sich in natfirlicher Weise durch Ausdividieren der Weyl'schen Charakterenformel, wobei die Division im Stiefel-Diagramm geometrisch durchgefiihrt wird. Dabei entstehen einfache Beziehungen, die es erm6glichen, eine rekursive Formel fiir die Vielfachheiten der Gewichte anzugeben.
2. Das Stiefel-Diagramm Es sei G eine kompakte halbeinfache Lie-Gruppe der Dimension n und es sei T die gr6sste abgeschlossene abelsche Untergruppe in G mit Dimension l. Man nennt T das maximale Toroid. Zu jedem Element von G gibt es mindestens ein konjugiertes Element in T. Der I-dimensionale euklidische Raum R z wird als Ueberlagerungsraum des Toroids aufgefasst. Werden kanonische Koordinaten eingeffihrt, dann entspricht der Multiplikation zweier Elemente in T die Addition zweier Vektoren in R z. Die inneren Automorphismen von G, die T invariant lassen, bilden eine endliche Gruppe qb von Abbildungen von T auf sich. qb ist isomorph zu einer Gruppe ~F von Drehungen und Spiegelungen des R z, welche den Nullpunkt festlassen. Die Punkte in R z, welche das Einselement e von G fiberlagern, bilden ein Punktgitter gZ, das sogenannte Einheitsgitter. E. Stiefel [l] hat die diskrete Gruppe I~ eingeffihrt, die dutch W und die Translationen von gZ erzeugt wird. Er hat gezeigt, dass zu jeder Gruppe I" eine kompakte, halbeinfache und einfach zusammenh/ingende Lie-Gruppe G geh6rt und dass durch jedes F eindeutig ein G bestimmt ist und umgekehrt. Die Translationen des Gitters gZ k6nnen abet auch erzeugt werden durch sukzessive Spiegelung an paraUelen und /iquidistanten Ebenen. Die Gesamtheit, dieser Ebenenscharen nennt
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m a n das S t i e f e l - D i a g r a m m der G r u p p e G. Es wird von m Ebenenscharen gebildet, wobei m = 89 - 1) > list. Die wichtigsten Eigenschaften des D i a g r a m m s sind: (a) (b)
(c)
r wird erzeugt durch die Spiegelungen an den Ebenen des Diagramms. Aus jeder Ebenenschar gibt es eine Ebene, die durch den Nullpunkt l/iuft. Die Spiegelungen an diesen Ebenen erzeugen tF. Unter den m Ebenen gibt es' I linear unabhiingige. Werden die Transformationen von F a u f den Nullpunkt angewendet, so entsteht das Gitter g~.
Beispiel: S U ( 3 ) = G r u p p e aller dreireihigen unit~iren Matrizen mit Determinante + 1. Das Toroid T von SU(3) ist die Untergruppe aller Diagonalmatrizen mit Diagonalelementen e 2taxi ,
e2nlx2,
e - znf(xx +xz).
D a n = 8 und I = 2 ist, wird m = 3. In Figur ! ist das Stiefel-Diagramm von SU(3) gezeichnet. Als G r u n d v e k t o r e n des R' w/ihlen wir l primitive Translationen des Gitters g~, el, e2 . . . . . et. Wir k6nnen nun diese G r u n d v e k t o r e n so ausw~ihlen, dass folgendes gilt: (a) (b)
die el, e2 . . . . . el spannen den R a u m R z a u f jede andere primitive Translation ist eine Linearkombination der ea . . . . . ez mit lauter nichtnegativen oder lauter nichtpositiven ganzzahligen Koeffizienten.
t
~ Punkt des Gitters g', lell ~ = le212 = 2
Y~ I
Figur 1
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In Figur 1 sind die 6 primitiven Translationen und die 2 ausgewS.hlten ex, ez eingezeichnet. Die m Vektoren ex. . . . . era, die eine Linearkombination der e~. . . . . e~ mit positiven Koeffizienten sind, heissen positive Vektoren. Zu diesen m positiven Vektoren definieren wir m neue Vektoren durch ek
~k = 2,_-z----z~_ ~, ~ek, ek)
k = 1,2 . . . . . m
und nennen sie positive Wurzeln. Es bedeutet ( . , .) das tibliche Skalarprodukt in R t. Die Ebenen, die senkrecht a u f den Translationen el . . . . . e~ stehen und durch den Nullpunkt laufen, begrenzen einen Fundamentalbereich (in der Figur 1 schraffiert).
3. Eine rekursive Formel fiir die Vielfachheiten der Gewichte Es sei eine stetige irreduzible Darstellung D der G r u p p e G vorgelegt. D a der Charakter X eine Klassenfunktion ist, wird er zu einer F u n k t i o n X = X(Yl . . . . . Yz) in R z. X ist eine S u m m e von Ausdriicken der F o r m e2'~t%lyl + ~j2~2 +"" + ~j,~,>
(1)
wobei die FJ~ ganze Zahlen sind. D e r Charakter ist invariant gegeniiber W, also enth~ilt X mit jedem A u s d r u c k der F o r m (1) auch alle Ausdriicke die entstehen, wenn die Transformationen von ~F a u f den Vektor Fj = (Fix, p-jz. . . . . p-jr) ausgetibt werden [2]. Die K o m p o n e n t e n v o n / z j beziehen sich auf die zu {ex. . . . . ez} duale Basis. Wir nennen den Vektor/zj ein Gewicht der Darstellung D. Unter allen in X auftretenden Gewichten/z gibt es ein h6chstes Gewicht ~ beztiglich der folgenden O r d n u n g : Es seien F = ~ = ~ k ~ und F' = ~ = ~ k't~ zwei Gewichte. D a n n ist /z > F' genau dann, wenn in der Differenz /z - F' die erste nichtverschwindende K o m p o n e n t e (ky - k)) positivist. N a c h E. Cartan tritt das h6chste Gewicht A i m Charakter X genau einmal auf. Der Charakter l/isst sich nun folgendermassen darstellen:
X(Y) = Ra(y) + miR~l(y) + m2R,2(y) + . . . + mMR, M(Y)
(2)
wobei
R~j(y) = ~ e2~
Die S u m m a t i o n ist tiber alle F; zu erstrecken, die beztiglich ~F zu/zj/iquivalent sind. my gibt die Vielfachheit an, mit der das Gewicht Fy im Charakter auftritt. Weiter nehmen wir an, die Gewichte/zj liegen im Fundamentalbereich und seien so geordnet, dass
> FI > ~2 > ' " >
FM
gilt.
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Zu einem vorgegebenen h6chsten Gewicht A hat H. Weyl [3] eine Formel fiir den Charakter angegeben: sg((A + r)'). e 2~"~A§ +'" +<~+')f~,~ Xa(Y) =
r = ~ ,~1 ~'"
(4)
Es bedeutet s g ( r ' ) die Signatur der Transformation r ~ r', also ist s g ( r ' ) = + 1, falls r ' durch eine eigentliche Bewegung aus r hervorgeht; anderfalls ist s g ( r ' ) = - 1 . Der Division zweier Ausdriicke der Form (1) entspricht im Raume des Diagramms die Subtraktion der entsprechenden Gewichte/z. Wir fiihren nun die Division des Quotienten (3) schrittweise aus. Nach der 1. Division gilt: Rest
X~(Y) = R~(y) + A(y)"
(5)
A(y) steht ftir den Nenner in (3). Der Rest bestimmt sich durch Multiplikation der Gleichung (5) mit A(y). Die geometrische Interpretation des Restes im StiefelDiagramm erlaubt eine Iteration des Divisionsverfahrens. Ein Vergleich des auf diese Weise ausdividierten Quotienten (3) mit der rechten Seite von (2) fiihrt auf eine rekursive Formel ftir die Vielfachheiten m j d e r Gewichte /~j (siehe auch [4]): m0 =
mit
I
1 4=0
(6)
MJ = {~ E 9 [ ~(r) = m + r - / , }
dabei durchI~uft ~'~ alle zu/~ ~iquivalenten Gewichte (beziiglich W). Die Auswertung der Formeln (6) ist aber sehr miihsam und aufwendig, miissen doch bei der Bestimmung der Mengen M~ alle Elemente der Gruppe ~F bekannt sein. Im n~chsten Abschnitt wollen wir einen Algorithmus angeben, der die Berechnung der Koeffizienten oJ auf einfache Art liefert. 4. Algorithmus zur Berechnung der Vielfachheiten mj
Wir benutzen die Tatsache, dass die Elemente yon ~F orthogonale Transformationen in R ~ sind.
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Es seien F~ und Fs aus dem Fundamentalbereich mit F~ > Fs. Urn abzukl/iren, ob eine Transformation ff existiert, sodass (7)
~ ( r ) = ~j + r - ~,,
ist die Bedingung l~J + r -
(8)
~ l = Irl
notwendig und hinreichend. Ist (8) erfiillt, 15.sst sich ausserdem zeigen, dass es genau ein solches Element ~ gibtl Falls gilt: [/zs + r - / ~ t l > ]rl,
(9)
lfisst sich zeigen, dass es kein ~be W mit Bedingung (7) gibt. Es bleibt noch der Fall I~s + r - ~,l < Ir[.
(10)
Nehmen wir an, es existiere ein/z', ~,quivalent zu F,, sodass ~(r)=/z s+r-F]
fiirein~W.
D a n n ist l
d,
= ~
+ (," -
q,(r)) =
~
k,~,
t=1
mit k= > 0. Es miissen also diejenigen /z'~ berechnet werden, die sich als Linearkombination der al . . . . , ~ mit positiven Koeffizienten darstellen lassen. Ist jedoch der Abstand von Fs + r zu den Begrenzungsebenen des Fundamentalbereiches gr6sser als Irl, so miissen keine F'~ berechnet werden, denn dann existiert kein ~ e W mit (11). Alle diese Bedingungen verifiziert man leicht im Stiefel-Diagramm. Damit sind wir nun in der Lage, den Algorithmus zur Berechnung der Vielfachheiten m s zu formulieren.
Algorithmus A. W/ihle unter den 2m primitiven Translationen des Einheitsgitters gZ im StiefelDiagramm l unter ihnen so aus, dass sie den R a u m R z aufspannen und dass jede andere Translation eine Linearkombination dieser ausgew/ihlten 1 primitiven Translationen mit lauter nichtnegativen oder lauter nichtpositiven Koeffizienten ist. Die m primitiven Translationen, die positive Linearkombinationen sind, bezeichnen wit mit el, e2. . . . . et . . . . . em und definieren neue Vektoren durch (z i =
2
et
(e,, e,)
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Bilde die halbe S u m m e dieser so definierten Yektoren
D e r Fundamentalbereich besteht aus allen Vektoren a, fiir die gilt: (a, aj) > 0,
fiir alle j = 1, 2 . . . . . L
B. Sei Adas h6chste Gewicht der gegebenen Darstellung. 1. Bestimme alle Gewichte/z nach der Vorschrift I
/z=,~-~kta~,
k~ > 0, ganz
und ordne sie in absteigender Reihenfolge: -- /z0 > /zl > "'" > /z~. 2. Bestimme fiir i = 0, 1. . . . . M - I ; j = 1, 2 . . . . , M die Koeffizienten g~ fiir i < j nach der Vorschrift: (a) fiir I/zj + r - / z , [ > Irl ist o~ = 0 (b) fiir [/zj + r - u~[ = Irl ist cr~ = -sg(r~--~/zj + r - / z , ) (c) fiir [/zj + r - / z , [ < Irl und
i) (~'/zj ( ~ , ~+ ) r)2 > . Irl. fiir .alle k. = I , . ii) (c~k'/zj ( ~ , ~+ ) r) 2 <
1, ist or} = 0
It[ fiir ein k = 1, . . . . 1, berechne die zu/zt/iquivalenten
Gewichte/z'~ fiir die gilt: l
/z't= ~,P,~,,
P, > 0
und
l/z,+r-/zi[
= [rl.
t=l=
D a n n ist o~ = - S u m m e
der Signaturen der Transformationen ~: r~--~
/zt + r - / z ; . 3. Berechne f i i r j = 1, 2 . . . . . M die Vielfachheiten m s der Gewichte/zj mit m0 = 1 nach der Vorschrift: 1-1
mt = ~, m,.tr~. 1=o
Bei der A n w e n d u n g des Algorithmus stellt sich das Problem, die Signatur einer Transformation von W zu bestimmen, falls Bild und Urbild bekannt sind. Fiir die vier Cartan'schen Klassen At, Bt, Ct, D~ heisst das im Wesentlichen, die Signatur einer Permutation zu bestimmen. D a z u existieren C o m p u t e r - P r o g r a m m e , die mit A u f w a n d n log n arbeiten, wobei n die L/inge der Zahlensequenz ist, die geordnet werden muss.
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E i n A l g o r i t h m u s zur B e r e c h n u n g der Vielfachheiten yon Gewichten
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/*o = 3ea + 2e2 ~1 =2el
p2 =
=
81 +
a-
8z = A -
a=tao>t**
=2 ~1 -
a=
> ~,r=2ex
+ e 2 , lr] 2 = 2
Figur 2
Beispiel: D a r s t e l l u n g (r~ [l'1 + r - / Z o [ 2
v o n S U ( 3 ) g e g e b e n d u r c h A = 3ex + 2e2
= 2 =
Die Signatur der Transformation a~
1/*2 + r - / , o 1 2
It*= + r Die Signatur
mo=
r ~/*1
+ r -/*o
i s t - 1, a l s o ~o = 1.
tz;] 2 = 2.
a~: [/~2 + r -
Damit
a l s o F a l l (b).
= 0 u n d (~1,/*2 + r ) 2 < 2, d . h . F a l l (c, ii). (~1, ~1)
der Transformation
Die Signatur
It[ 2,
r~
t*2 + r - / z g
i s t - 1, a l s o (r~ = 1.
/zx] = = 2, d . h . F a l l ( b ) .
der Transformation
r ~
t~2 + r -
t~l i s t - 1, a l s o ~r~ = 1.
erhalten wir 1
ml = mo'~~ = 1-1 = 1 m2 = mo(r ~ + m l ' ( r ~ = 1 . 1 + 1 . 1 = 2. Diese Darstellung,
bestimmt
durch das h6chste
Gewicht
A, h a t
die Dimension
15.
Literaturverzeichnis
[1] E. ST1EFEL,Ober eine Beziehung zwischen geschlossenen Lie'schen Gruppen und diskontinuier-
lichen Bewegungsgruppen euklidischer Riiume und ihre Anwendung auf die Aufzdhlung der einfachen Gruppen, C o m m . Math. Helv. 14, 350-380 (1942). [2] E. STIEI~EL, Kristallographische Bestimmung der Charaktere der geschlossenen Lie'schen Gruppen, C o m m . M a t h . Helv. 17, 165-200 (1944).
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[3] H. WEVL, Darstellung kontinuierlicher halbeinfacher Gruppen, Math. Z. 24, 328-395 (1926). [4] K. FL6SCnER, Zur Berechnung der Gewichte und Charaktere yon Darstellungen halbeinfacher Lie Gruppen, Diss. ETH (1978).
Zusammenfassung Es wird ein Algorithmus zur Berechnung der Vielfachheiten der Gewichte yon Darstellungen halbeinfacher Lie-Gruppen angegeben, der auf der Division des Weyl'schen Quotienten ffir den Charakter beruht. Dabei wird diese Division im Stiefel-Diagramm geometrisch interpretiert.
Abstract This paper is concerned with the multiplicities of the weights of representations of semisimple Lie groups. An algorithm for the calculation of these multiplicities using the division of Weyl's quotient for the character is given. By means of the Stiefel diagram this division is geometrically interpreted. (Eingegangen: November 29, 1978)