Mitteflung aus der kgl. ungar. P~zms P6ter-Universits ffir Neurologie u n d Psyehiatrie zu Budapest. - - D i r e k t o r : Dr. L. B e n e d e k , o. 5. Univ.-Professor.
Ein Fall yon Kopfnystagmus bei multipler Sklerose. Von
Dr. L. v. Angya] und Dr. Z. Biisz~irm6nyi. Bei Tieren tritt auf Reizung des Labyrinths - - im Gegensatz zum Menschen - - am h~ufigsten ein Kopfnystagmus und nicht ein Augenzittern auf. U r b a n t s c h i t s e h suchte die Erkl~rung dieser Erscheinung darin, dai5, w~hrend die Augen des Menschen frontal angelegt, auf binokul~tres Sehen eingestel]t und ~ul3erst beweglich sind, die Augen der Tiere, haupts~chlich der Vsgel, in der sagittalen Ebene liegen, weniger beweglich und als monokul~re Sehapparate zu betrachten sind. Das Tier bedarf daher zur Fixierung irgendeines Punktes aul3er den Augenbewegungen unbedingt auch ausgiebiger Kopfbewegungen; wit stehen also hier einer niedrigeren Stufe der Entwicklung gegenfiber, bei der in der Aktion der Fixierung die Augen- und die Kopfbewegungen noch gemeinsam funktionieren, ja, die Bedeutung der Kopfbewegungen ist den Augenbewegungen gegentiber haufig noch erht~ht. S t s c h e g l o w ffihrt entgegen dieser Theorie m i t Recht an, dal3 der Kopfnystagmu s aueh an dGnjenigen Tieren zu beobaehten ist, deren Augen, WiG Z. B. dig des Meerschweinchens, fronta] angelegt und auf binokul~res Sehen eingestellt sind. Dieser Einwand entkr~ftigt jedoch nicht die Tatsache, dal3 in der archaischen Form der Fixierung den Kopfbewegungen eine bedeutende Rolle zukommt. Beim Menschen entwickelt sich in einigen F~llen die Fixierung nur mit dem Auge nicht (einige cerebrale Geburtssch~den, angeborene EntwicklungsstOrungen des Gehirns, WiG der Fall yon G a m p e r , einige hydrocephale Idioten), in anderen F~lten kehrt die Fixierung infolge einiger, mit schwerer Destruktion des Gehirns einhergehender Erkrankungen wieder zu ihrer archaischen Form zuriick, wie das z. B. an arteriosklerotisch Dementen, verbl6deten Paralytikern usw. h~ufig zu beobachten i s t . Das Wesentliche ist also nicht die frontale oder sagittale Lage der Augen, auch nicht das binokul~re oder monokul~re Sehen, sondern
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das Bestehenbleiben oder die Wiederkehr einer primitiveren Fixierungseinriehtung. Dieser Feststellung entspricht anch jene Tatsache, dal~ an Fr~ihgeborenen, ja sogar anch an zu normaler Zeit geborenen Saug]ingen der Kopfnystagmus verhaltnismal~ig noch ziemlich oft beobachtet werden kann ( B r u n n e r , S t s c h e g low) und dab Voss an einem 3jahrigen Idioten spontanes Augenzittern und reaktive Kopfdeviation vorfand. Als Erklarung des Kopfnystagmus nimmt S t s c h e g l o w an, da~ an Tieren bei I~eiznng des Labyrinths die Erregung sich iiberwiegend auf die vestibnlospinalen Bahnen ausbreitet (zum spinalen Kern des N. aceessorius und zu den motorischen Zellen der oberen Halssegmente, u n d e r sieht diese Verbindung phylogenetisch archaischer als die vestibulo-nuclearen, zu den Augenmuskelkernen verlaufenden Bahnen an. Beim Sgngling pravaliert noch die vestibulo-spinale .Bahn, aber an Hand der Markreifung der differenzierteren Fasersysteme des Zentralnervensystems wird die Lenkung der aus dem Labyrinth ausgehenden Reflexe yon der vestibulo-nuclegren Bahn fibernommen. T r i t t also beim Menschen bei der Calorisierung ein Kopfnystagmus auf, so ist dies nach S t s c h e g l o w als eine atavistisehe Erscheinung zu bewerten. Dieser Ansicht schliei3~ sich aueh K l e s t a d t in seiner ira B u m k r Handbueh erschienenen Monographie an, wodnrch er auch ftir die Beobachtung eine Erklgrung finder, dal~ der Kopfnystagmus oder die Kopfdeviation bei Erwachsenen hauptsgchlich in den 2 Krankheitstypen in Erscheinung treten, welche dutch die Unregelmgl~igkeit oder ~berempfindlichkeit der Erregbarkeit des Vestibularis gekennzeichnet sind, so teils in Labyrinthfisteln, tells in supranuclearen vestibularen StOrungen (multiple Sklerose, Pseudobulbarparalyse, epidemisehe Encephalitis). Die den Kopfnystagmus besprechenden Mitteilungen betreffen gr~Btenteils Labyrinthfisteln ( R u t t i n , Hofer, Baldenbeck und B l o c h , G o l d b e r g e r , S t s e h e g l o w usw.). In diesen Fallen ist d e r Kopfnystagmus meistens durch Druck auf die Fistel oder durch Sondierung der Fistsl auszul6sen, im allgemeinen - - zum mindesten im Anfang - - mit dem Angenzittern synchron und gleichgerichtet (eine Ansnahme stellt der Fall R u t t i n s dar, bei dem die Richtung entgegengesetzt war). Die Mitteilungen von M y g i n d , G a t s c h e r und A l e x a n d e r betreffen Untersuehungen an Nengeborenen mit Drehversuchen. Die Zahl der einsehlggigen
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n e u r o p a t h o l o g i s e h e n M i t t e i l u n g e n ist sehr gering: R u t t i n land X o p f n y s t a g m n s bei e i n e m Falle y o n K l e i n h i r n t u m o r , in e i n e m Falle B e r r i e s ' b e s t a n d eine disseminierte Sklerose m i t A u g e n m u s k e l p a r e s e n , in seinen w e i t e r e n 3 FSJlen k o n n t e n n r eine h o c h g r a d i g e E m p f i n d l i c h k e i t des vestibul/~ren A p p a r a t e s festgestellt werden, d e r P a t i e n t l ~ o s e n f e l d s litt a n m u l t i p l e r Sklerose, der y o n K l e s t a d t a n E n c e p h a l i t i s . I n den a u f g e z ~ h l t e n F~llen t r a t der K o p f n y s t a g m u s f a s t ohne A u s n a h m e auf D r e h e n oder Calorisation auf, beim Patienten yon Klestadt k a m er s p o n t a n z u m Vorsehein, d o e h w a r e n hier gleiehzeitig unregelmgBige s p o n t a n e K o p f b e w e g u n g e n zu b e o b a e h t e n . Vor k u r z e m h a t t e n wir Gelegenheit, bei e i n e m a n m u l t i p l e r Sklerose leidenden K r a n k e n u n t e r gewissen Umst~tnden regelmN3ig einen s p o n t a n e n K o p f n y s t a g m u s zu b e o b a e h t e n . D u r e h unsere U n t e r s u e h t i n g e n k o n n t e n wir den l a b y r i n t h ~ r e n U r s p r u n g d e s K o p f n y s t a g m u s m i t Sieherheit aussehliel3en. Da unsere B e o b a e h t u n g e n in H i n s i e h t der P a t h o p h y s i o l o g i e des K o p f n y s t a g m u s n e u e A n g a b e n liefern, m 0 e h t e n wir d e n F a i l k u r z besprechen. B. J., 22j/~hriger Universit~sstudent, wurde vom 8. bis 30. VII. 1942 in der Klinik behandelt. Von Iamili/~rer Belastung niehts bekannt. Geburt, Entwieklung normal. Seit 7 Jahren Versehleehterung des Sehverm6gens hauptsaehlieh am reehten Auge, die Beine wurden allm/~hlieh sehw/~eher, der Gang schwerf/~llig, unsieher, die tts ungeschickt, die Sprache ersehwert. Zeitweise Schwindel und Ohrensausen. In le~z~er Zeit ersehwerter ttarnabgang. S~a~us praesens : Mittelm/~gig entwiekelt und gen/ihr~. Internistiseh normal. Augenhintergrund: ~emporale H/~lfbe beider Papillen dekolorier~. Beim Blick naeh rechts und links trit~ ein mi~ der rasehen Komponente naeh aullen, d.h. naeh der Blickriehtung zu sehlagender horizontaler Nystagmus auf. Gehirnnerven im tibrigen intakt. Die Sehnen- und Periostreflexe der oberen Extremit&ten gesteigert, Mayer- und L6ri-Reflexe reehts tr/tge, links fehlend, H o f f m a n n - und T r 6 mner- Reflexe beiderseits ausl6sbar. Bauehreflexe fehlen, Cremasterreflexe ~r~ge. Benedek-Angyalscher Muse. pyramidMis-Reflex deutlieh positiv. Patellar- und Achillesreflexe beiderseits gesteigert. 1%Bklonus beiderseits; Babinski mit F/~eherph/~nomen, Gordon-, Schemer-, Rossolimo- und ChadoekReflexe beiderseits posi~iv. Bei Untersuchung des Romberg-Symptoms 1%11neigung wiederholt naeh links und hinten. Gang spastisch-paretisch-ataktiseh. An den oberen Extremi~en deutlieher Intentionstremor. In beiden Hiinden, besonders links Dysdiadochokinese. Sensibilit/~t intakt. Spraehe gezogen, skandierenden Charakters. Psyehiseh, abgesehen yon einer unbegrtindeten leiehten euphorisehen Stimmungslage, intakt. Bliekt der Patient bei Untersuehung des Augenzitterns naeh rechts, so tritt zusammen mit der Manifestierung des Augenzitterns im Kopf eine in der HorizontMebene ablaufende, rhythmisehe Bewegung auf, die ~hnlieh dem Augenzittern
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aus zwei Komponenten besteht.' aus einer langsamen, naeh aul]en bzw. naeh rechts und aus einer raschen, zur Medianlinie des KSrpers geriehteten Bewegung. Dieses Kopfzi~tern ist mit dem Augenzittern nieht synehron, seine Freqnenz ~st geringer als die des letzteren, sein Schlag gr6ber, die langsamen und raschen Komponenten der beiden rhythmischen Bewegungen sind entgegengesetzt gerichtet, indem beim Bliek nach rechts da~ Augenzittern mit der raschen Komponente nach rechts, das Kopfzittern hingegen nach links schl~gt. In dieser entgegengesetzten Richtung des Augen- und Kopfzitterns ist eigentlieh ein gemeinsames Prinzip zu erkennen, n~mlich die rasehen Komponenten beider Nystagmi treten immer naeh der intendierten Riehtung zu in Erscheinung. Der Kopfnystagmus war sowohl im Sitzen~ wie aueh im Liegen zu beobaehten, jedoeh nur beim Blick , a e h rechts, dag~gen trat Kopfzittern beim Bliek naeh links oder naeh vorwgrts niemals auf. Geh6rsprfifung: Fliisterspraehe reehts yon 4m, links yon 5 m geh6rt, Weber nach rechts lateralisiert, Stimmgabel bfs zum Ausklingen geh6rt, Rinn6 positiv. Die ealorische Labyrinthuntersuehung nach K o b r a k - V e i t s (20 cem Wasser yon 18 ~ ergibt: Am reehtea Ohr Nystagmus II. Grades 75 Sekunden, Nystagmus I. Grades 17 Sekunden (92 Sekunden), am linken Ohr ~ystagmus II. Grades 67 Sekunden, I. Grades 25 Sekunden (92 Sekunden). Otologische Diagnose: Rechts geringgradige GehSrssehw~tche, beiderseits sehr lebhafte vestibul~re Reaktion (Dr. B. Szende). Bei der calorischen Prfifung beobaehteten wir sorgf~ltig das Verhalten des Kopfnystagmus u n d konnten feststellen, dal~ die auBerordentlich lebhafte vestibul~re Reaktion don Ablauf des Kopfnystagmus nicht beeinfluBte, und zwar a) bei Calorisierung des rechten Ohres tritt beim Blick nach links kein Kopfnystagmus auf, beim Blick naeh rechts bestand der Kopfnystagmus unver~ndert; b) bei Calorisierung dos linken Ohres war mit dem starken Augenzittern II. Grades (also in iKittelstellung) gleiehzeitig kein Kopfzittern zu sehen und e) ebenfalls bei Calorisierung des linken Ohres behielt der Kopfnystagmns w~hrend der Dauer des Augenzittern I. Grades, also beim Blick naeh rechts, seinen oben beschriebenen Typ unver/s bei. In ~hnlieher Weise erwies sich als unwirksam auf den Verlauf des Kopfnystagmus aueh die galvanische Reizung des Vestibularis. - - Toniseher Halsreflex auf den K6rper negativ. Urin negativ. WaR. im Blute und im Liquor negativ. Im Liquor: Zellzahl 11/3, Gesamteiwei$ 32 mg%i Globulinreaktionen : ~ Benzoe-, bikolorierteMastix-, T a k a t a - A r a - und Schellaek-Reaktionen negatiw Patient bekam in der Klinik therapeutisehe l~6ntgenbestrahlungen auf das l%fiekenmark, weiterhin Germanin, Exhepar und B~-Vitamin, auSerdem ffihrte er Gehund Zieliibungen aus. Nach 3wOchiger Behandlung besserte sich etwas der Gang, der Kopfnystagmus und das Augenzittern nahmen an St/irke wesentlieh ab. Gebessert entlassen. Der bei unserem Patienten beobachtete Kopfnystagmus ist zweifellos eine dem Augenzittern entsprechende Spontanbewegung : r h y t h m i s c h , regelm/~Big, b e s t e h t a u s e i n e r l a n g s a m e n u n d e i n e r rasehen Komponente, zeigt kaum eine ErschOpfungstendenz. Es handelt sieh hier wohl nieht um den bereits yon Bs163 besehriebenen Kopfbewegungsnystagmus, da bei unserem Patienten das Kopfzittern ohne vorangehende passive Bewegung oder
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8ehtitteln des K0Pies eintrat. Die Bedingungen des Erseheinens des Symptoms untersehieden sieh jedoch vollkommen yon den friiher besehriebenen Kopfnystagmusarten. So fiel bei der Beobaehtung auf, daft das Kopfzittern mit dem Augenzittern nieht ~synehron verli~uft und dab ihre rasehe Komponente mit der des letzteren entgegengesetzt ist. Auf Grund dieser Erseheinung hatten wir v0n vornherein den Eindruek, daft Clas beobaehtete Phiinomen nieht mit der Erkrankung des Vestibularapparates in Zusammenh~ng steht. Auf Grund der otologisehen Untersuehung konnte die Erkrankung des Labyrinths ausgesehlossen werden; .der Befund: eine ealorisehe iJ-berempfindliehkeit des Vestibularis spraeh im Sinne einer L/~sion der supranueIe/iren Vestibularisbahnen, was bei multipler Sklerose ziemlieh h/~ufig vorkommt. Dieser Eindruck erhielt bei den calorisehen und den galvanisehen Vestibularisprtifungen eine voile Unterstiitzung, indem bei. Reizung des Labyrinths der Typ des Kopfzitterns unveritndert blieb und w~hrend der Dauer des Augenzitterns II, Grades das Kopfzittern tiberhaupt nieht in Erseheinung trat. Wir k0nnten den ausl0senden Faktor fiir den Kopfnystagmus jn u n s e r e m Falle in dem propriozeptiven Reiz suchen, welcher aus dem Rechtsblieken tier Bulbi herstammt, jedoeh stellte M a g n u s in seinen an Thalamus- und Mittelhirntieren durchgeftihrten Versuchen lest, daft dureh Bewegungen der Augen sieh keine Reflexe auf die Halsnnd K6rpermuskulatur auslSsen lassen, d. h. er land die aus den Augenmuskeln herstammenden propriozeptiven Reize auf die tibrige Kt~rpermuskulatur vollkommen wirkungslos. Es blieb uns danaeh als einzige M0glichkeit anzunehmen, daft in u n s e r e m t0alle d e r d e n K o p f n y s t a g m u s a u s l S s e n d e Reiz aus d e r A k t i o n d e r F i x i e r u n g in d e r o c e i p i t a l e n l~inde e n t s t e h t u n d dab d u r c h d i e s e n Reiz ein p a r t i e l l e r opt i s e h e r ~Stellreflex in d e r H a l s m u s k u l a t u r a k t i v i e r t w i r d . Diese Erkl/~rung entsprieht vollkommen such den M a g n u s und de K l e y n s c h e n Erfahrungen. Diese Autoren gelang es n~mlieh, an Alien, Hunden und Katzen mit Sieherheit zu beweisen, daft die optisehen Stellrefle:~e an das Vorhandensein der Rinde gebunden sind. Diese optisehen Stellreflexe traten besonders nach doppelseitiger Labyrinthresektion in Erseheinung. Mit diesem Meehanismus 1/iftt sieh also in nnserem Falle die langsame Komponente des Kopfnystagmus - - die E w a l d geaktions-
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phase nennt - - erkl/~ren; dieser folgt die rasche, in die Richtung der urspriinglichen Kopfstellung schlagende und die Korrektion der Abweichung bezweckende Komponente, die yon E w a l d Nystagmnsphase genannt wird. K l e s ~ a d ~ erwahnt bet der IJbersicht der bislang mitgeteilten Kopfnystagmusf~lle, dab das Augenzittern und der Kopfnystagmus aueh mit Angendeviation und Kopfdeviation kompliziert sein k6nne. Zum Verstgndnis unseres Falles is~ es nnumg~nglieh notwendig, dab wir die einfachsten Formen aus diesen Nystagmnsa n d Deviationsm6glichkeiten kurz ins Auge fassen. 1. M i t d e m e a l o r i s c h e n N y s t a g m n s haben wir uns nnr kurz zu besch/~ftigen. Unter normalen Umst~nden zeigt sieh bet Calorisiernng eines Ohres mit kaltem Wasser ein in die entgegengesetzte l%ichtung schlagender Nystagmus. Die Erregung des Labyrinths wird vom Kerngebiet des Vestibutaris auf die im mittleren nnd seitliehen Tell des Fasc. long. reed. verlaufende Blickhahn ( S p i t z e r ) weitergefiihrt, yon hier arts dann auf die entspreehenden Angenmuskelkerne. Daraus entstammt die langsame Komponente des Angenzitterns, das dem gereizten Vestibularis zu gerichtet ist~. Der ans der Verkiirzung der Angenmnskeln and aus den Spannungs- und Bewegnngsempfindungen des Augapfels stammende proprio- and exterozeptive Reiz gelangt durch den Trigeminns, dann dureh den dorsalen Teil des Lemniscus in d e n Thalamus, yon wo aus die Erregung wahrsoheinlieh via StriatumPallidnm-Ansa lenticularis-Nucl, fasc. long. med.-absteigendes mediales ~Btindel des Fase. long. reed. wieder zu den Augenmuskelkernen gelangt. Dieser efferente Schenkel liefert wahrscheinlich die zur rasehen Komponente notwendigen Korrektionsimpulse ( K o l l a r i t s , v. S ~ n t h a u. a. m.). 2. Bet Calorisierung wghrend der Narkose verschwindet zuerst die rasehe Komponente des Angenzitterns, dann e r s c h ein t w ~h rend des eintretenden tiefen Komas eine der l%ichtung der langsamen Komponente en~spreehende, minutenlang anhaltende konjugierte D e v i a t i o n . Naeh t ~ o s e n r e i d ist ,,die langsame Phase des Nysgagmns in jedem Falle das Ultimum moriens des Nervensystems. In der Narkose erliseht .... dieser reflektorische Vorgang I in dem Moment, in welehem die Pupillen weir werden and Pals and Atmung zu sistieren anfangen". Es ftihren aber aueh sehwere suprannele~re L~sionen
Ein F~ll yon Kopfnystagmusbei multipler Sklerose.
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des V e s t i b u l a r i s k e r n g e b i e t e s , i n s b e s o n d e r e das Zug r u n d e g e h e n des m e d i a l e n B t i n d e l s des Fasc. long. reed. bei C a l o r i s i e r u n g z u m E r l 0 s c h e n d e r r a s c h e n K o m p o n e n t e und d a d u r e h zur k o n j u g i e r t e n D e v i a t i o n d e r Bulbi. Nach v. S g n t h a s Beobachtung verl/iuft parallel mit dem Erl6sehen der raschen Komponente des Nystagmus auch die Entwieklung der Parese bzw. Lghmung der willkfirlichen Bliekbewegung, woraus er den SchluB zieht, dal~ die willktirliehe Bliekbahn ebenfalls in der medialen Portion des Fasc. long. reed. verlguft. 3. In Erwggung dessen, dal3 in der Aktion der l~ixierung ursprtinglich die Augenmuskeln und die Kopfwender gemeinsam funktionieren, mtissen wir annehmen, dag die zur Fixierung notwendigen Innervationen in identischen Bahnsystemen verlaufen. Diese Bahn, die zugleich die B a h n des l a b y r i n t h g r e n K o p f n y s t a g m u s darstellt, i s t w a h r s c h e i n l i c h e b e n f a l l s d e r Fasc. long. reed., u n d z w a r d e r D e i t e r o - s p i n a l e A b s c h n i t t d e s s e l b e n , deren absteigende Fasern im Riickenmark in den Kernen der Kopfwender endigen. Allem Anschein naeh ist d as Znstandekommen der langsamen Komponente des v e s t i b u l a r e n K o p f n y s t a g m u s dieser Bahnportion zuzuspreehen, wghrend die absteigende, mediale Portion des tease, long. med. die aus dem Kern des Fast. long. reed. herstammt und gleichfalls in das I-Ialsmark verfolgt werden kann, /ihnlich der rasehen Komponente des Augennystagmus auch die rasehe Phase des Kopfnystagmus ausl0st. S t s c h e g l o w hglt die vestibulo-spinale Bahn ftir phylogenetisch archaiseher nnd will damit den Kopfnystagmus der Tiere erklgren. Beim Menschen kommt in der Lenkung der aus clem Labyrinth ansgehenden Reflexe der vestibulo-spinalen Bahn nur im S/iuglingsalter eine Bedeutung zu, sp/iter iibernehmen diese l%olle v01hg die vestibulo-nuclegren Bahnen, also die das Vestibulariskerngebiet mit den Augenmuske]kernen verbindende, aufsteigende }ease. long. med.-Faserung. In Fgllen yon Labyrinthfisteln tritt der Kopfnystagmus gewt~hnlieh auf unmittelbare mechanisehe geizung der Canales semicirculares-auf. Diesen Kopfnystagmus k/3nnen wir demnach so auffassen, dab der guBerst starke t%eiz kurzsehluBartig in die phylogenetisch arehaischeren Bahnsysteme ansstrahlt. Im wesentlichen erk]iirt K l e s t a d t den an yon G a m p e r und S e h e n k mitgeteilten MiBgeburten und an
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einem yon V o s s publizierten 3j~thrigen Idioten beobachteten Kop~nystagmus und Kopfdeviation in ~thnlicher Weise, indem er tells an versp~tete Reifungsprozesse denkt, tells daran, dab Geburtssch~den die Entwicklung verzSgerten. 4. Auf Grund des oben Erw~hnten haben wir daher an Stelle yon Kop~nystagmus mit dem E r s c h e i n e n y o n e i n e r v e s t i b u l ~ r e n K o p f d e v i a t i o n dann zu rechnen, wenn die Bedingungen ffir den Kopfnystagmus vorhanden sind und die zur Raphe ngchstliegende Portion des Fasc. long. reed. isoliert lgdiert wird. Es harrt noch einer L0sung die Frage, ob diese Bahnportion unmittelbar oder durch das Kerngebiet des Vestibularis ihre die rasche Phase des Augen- und Kopfzitterns hervorrufende Funktiou ausfibt; die Tierversuche S p i e g e l s sprechen z. B. deutlich ffir letzteren Standpunkt. 5. In den obigen Ausfiihrungen beschgftigten wir uns ausdrficklich mit dem Augen- und Kopfzittern bzw. -deviation labyrinthgren Ursprungs, es w a r jedoch - - wie gesagt - - in u n s e r e m F a l l e die labyrinth~re Genese des Kopfzitterns mit Sicherheir auszuschlie6en. Die einzig mOgliche Erkl~trung des bei unserem Patienten beobachteten Kopfnystagmus erblicken wit daher darin, dal~ hier ein partieller Augenstellreflcx auf den Kopf auRritt, der so zustande k o m m t , dal~ beim Blick nach rechts die aus der Aktion der Fixierung in der occipitalen Rinde entstehende Reizung durch die occipito-tektale Fassung auf die tekto-spinale Bahn fibergreift. Letzterer kommt in der tonischen Innervation tier axialen KSrpermuskulatur besonders im Falle yon Labyrinthl~si0nen eine Bedeutung zu. Wir kOnnten auch daran denken, dal~ der beim Blick nach rechts in den Augenmuskeln entstehende propriozeptive Reiz via Trigeminus--Thalamus--Striatum--Pallidum--Nucl, ruber oder Lamina quadrigemina--Fasc, rubro- bzw. tektospinalis die langsame Komponente des beobaehteten Kopfnystagmus zustande bringt, dieser Erkl~rungsversuch ist aber nach den obenerw~hnten M a g n u s schen Untersuchungen unwahrscheinlich. M a g n u s u n d R a d e m a k e r suct~en d a s Z e n t r u m d e r Augenstellreflexe im N i v e a u d e s o b e r e n T e i l e s d e r L a m i n a q u a d r i g e m i n a . Die rasche Komponente des in unserem Falle beobachteten Kopfzitterns unterscheidet sich durch nichts yon derjenigen des vestibul~ren Kopfzitterns, und auch ihre Bahnen sind aller Wahrscheinlichkeit nach identisch.
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E i n Fall y o n K o p f n y s t a g m u s bei multipler Sklerose.
Dcr beschriebene Kopfnystagmus ist zweifellos auf eine infolge der schweren multiplen Sklerose verursachte supranucle~re L~sion und auf die dadurch entstandene Enthemmung gewisser snbcorticater Tonnszentren zurtiekzufiihren, weiterhin auf ein gewisses Freiwerden yon dem harmonisehen Znsammenwirken der Tonusbahnen des den optisehen Tonus vermittelnden oceipito-tektospinalen Bahnsystems. Als weitere Enthemmnngserseheinungen waren tibrigens aueh die vestibulgre Hyper/~sthesie und vielleicht auch die unbegrtindete Euphoric aufzufassen. Zum Schlul~ sei noeh erw~hnt, dab die besehriebene Kopfnystagmusart in der Literatur sicherlieh nicht alleinstehend ist, es geschah blog bisher nicht die Abtrennung derselben vom Kopfnystagmus labyrinthgren Ursprungs. B e c k bcobachtete z. B. in einigen seiner F/~lle, dab gleiehzeitig mit dem Augenzittern nicht nur Kopfnystagmus auftrat, sondern es zeigten sich in der Richtung der langsamen Komponente auch Gliedbewegungen (zit. naeh S t s c h e g l o w ) . In der Mitteilnng finder sich keine Angabe dafiir, ob der Kopfnystagmus und die begleitenden Gliedbewegun: gen bereits w~hrend des Nystagmus II. Grades zu beobachten waren oder ob sie lediglich bei der Untersuchung des Nystagmns I. Grades zum Vorsehein k~men: in letzterem Falle w~re ns der aus dem Seitwgrtsblieken der Bulbi herstammende I~eizfaktor cbenfalls vorhanden und k6nnte sieh an der Ausl6sung der iangsamen Komponente des Kopfnystagmus wie auch an den gleich= gerichteten Gliedbewegungen beteiIigen. Dasselbe gilt auch for .den Fall yon Kopfnystagmus bei Torsionsdystonie Gr a b s c h ei d s. Zusammenfassung. Verfasser beobachteten bei einem Falle yon multipler Sklerose beim Blick nach reehts einen Kopfnystagmns. Der Kopfnystagmus zeigte keine Ersch6pfungstendenz, war mit dem Angenzittern n i c h t synchron, etwas grobschl~giger als letzterer, die rasche Komponente war der des Augenzitterns entgegengesetzt geriehtet. Dutch die Calorisationsprttfnng wie aneh dureh galvanische I~eizung des Labyrinths konnte zweifellos festgestellt werden, dag der beobaehtete Kopfnystagmus nieht labyrinth/tren Ursprungs war. Naeh einer schematisehen symptomatologischen und gehirnphysiologischen IJbersieht des ealorischen Augenzitterns, der calorisehen Augendeviation, d e s Kopfnystagmus und der KopfDeutsche Zeitsehrift f. Nervenheilkunde. Bd. 154.
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L . v . Angyal u. Z. BSsz6rm~nyi: Kopfnystagmus bei multipler Sklerose.
deviation labyrinth/~ren Ursprungs fithren Verfasser die langsame Komponente des beobachteten Kopfnystagmus auf eine auf der Aktion der Fixierung herstammende oeeipitale Reizung zuriiek u n d f a s s e n d i e s e l b e als e i n e n p a r t i e l l e n A u g e n s t e l l r e f l e x a u f d e n K o p f auf. D i e E r k l ~ r u n g l t i r d i e s e w i r d d a r i n g e s u e h t , d a b i n f o l g e supranuele/~rer L~sionen subeortiealer Tonuszentren die obere P o r t i o n d e s V i e r h t i g e l g e b i e t s als OlOtisehes T o n u s z e n t r u m w i e d e r in Aktion tritt. Die Bahn der rasehen Komponente des Augenzitterns, des labyrinth/~ren Kopfnystagmns und der besehriebenen Kopfnystagmusart wird gleiehzeitig in den medialsten absteigenden Teil des Fase. long. reed. verlegt. Literatur.
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