XVI. Aus der med. Klinik des tterrn Professor RIBBINGzU Lund (Sehweden).
Ein Fall von Paralysis agitans, mit verschiedenen Myxiidemsymptomen combinirt. Studien and Gedanken iiber die Pathogenese der ParalysiS agitans. 1) Von
Herman Lundborg. (Mit Tafel IIi, IV und einer Abbildung im Text./ Einleitung. Seit anderthalb Jahren gebe ich mieh damit ab, eine grosse Bauernfamilie aus der Provinz Blekinge zu studiren, eine Famille, in welcher mehrere ~ervenf~lle sehr sonderbarer Art vorgekommen sind. Obgleich meine Untersuchungen bei weitem nicht beendet sind, glaube ich doch schon Verschiedenes gewonnen za haben. Durch Studien am O r t e and in der Literatur ist es mit klar geworden, dass eine verh~itnissm~issig nur geringe Zahljener Krankheits™ die ich dortselbst n~her beobachtet habe, in der Literatur besehrieben worden ist, und zwar unter dem ~amen ,,familiš Myoklonie". Durch die Liebenswiirdigkeit, die mir von Seiten des Karolinischen Institsuts in Stockho]m zu Theil geworden ist, wurde ich in die gliickliche Lage versetzt, behufs n~herer klinischev Untersuchung zwei Fiflle nach Stockholm herauf Zu bekommen. In Fo]ge der Erfahrungen betreffs der Symptomatologie, welche ich damals gemacht~ habe, stieg ih mir der Verdacht anf, die Myoklonie s› eine Krankheitsš welche dureh gewisse Ver/inderungen der Schilddriise bedingt werde. Auf die Griinde einer derartigen Auffassung kann ich hier jetzt nicht n~her eingehen, da es zu viel Zeit in Anspruch nehmen wiirde; ich verspreche aber bel einer anderen Gelegenheit auf diese Sache zurtickzukommen. Kurz, ich bin dahin gekommen, die Myoklonie als die Fo]ge einer Erkrankung der. Thyreoidea aufzufassen. Zu bemerken 1) Bel der Sitzung des ,,Vereins der Aerzte in Lund y den 31. Oct. 1899 vorgetragen.
Ein Fall v.Paralysis agitans, m. verschiedenenMyxSdemsymptomencombinirt. 269 ist jetzt, dass in der n~mlichen Familie nicht weniger als fiinf Fiille von Paralysis agitans vorgekommen sind, welcher Umstand natiirlich gleieh meine Aufmerksamkeit auf sieh lenkte. Ieh ring an, auf die beiden Krankheiten niiher einzugehen und deren Symptome mit einander zu vergleichen, und konnte mich der Ansicht nieht erwehren, dass eine gewisse, und zwar recht grosse Uebereinstimmung unter rien beiden Krankheiten bestehe. Demgemiiss war ich so kiihn, die Consequenzen aueh noeh auf die Pathogenese auszudehnen, indem ich bei mir selbst so daehte: Ist die famili~ire Myoklonie, so wie ieh ste in Blekinge habe auftreten sehen, eine Schilddrtisenkrankheit, so ist allem Anseheine nach die Paralysis agitans dies aueh. Diese meine A u f fassung theilte ich dem Herrn Prof. L e n n m a l m in Stoekholm ~m M~irz v. J. mit und hSrte ieh dann zu meiner grossen Freude von ihm, dass MSbius Ende 1898 sieh in einerlei Rieht, ung ausgesprochen habe. Herr Prof. L e n n m a l m hat die grosse Liebenswiirdigkeit gehabt, mir jene Stelle nachzuweisen, wo MSbius eine derartige Ansieht ge~ussert ha9 Ich kann nicht umhin, meine tterren, Ihnen von seinem diesbeziigliehen kurzen Aussprueh Mittheilung zu maehen, welcher sieh in seinem Werke ,,Neurologisehe Beitr~ge" (Vermisehte Aufs~tze, V. Heft, S. 19), vom Jahre 1898 wiederfindet. Da sehreibt er: ,,Naeh Analogie mSchte man annehmen, dass der Paralysis agitans eine StoffweehselstSrung zu Grunde ]iege, dass ein abnormes Stoffwechselproduc~ oder das Fehlen eines nSthigen S~offes ihre Ursache set. Reizerseheinungen, die ohne grSbere anatomische L~sionen bestehen, deuten auf ehemisehe Einwirkungen. Ich habe frtiher einmal (Combination von Morbus Basedowii und Paralysis agitans. Memorabilien 1883, 3. Heft) auf die Ztige aufmerksam gemacht, die die Paralysis agitans und die Basedow'sehe Krankheit gemein haben: Zittern (~venn aueh versehiedener Art), Hitzegefiihl, Neigung zum Schwitzen, Gefiihl der Unruhe, Pulsbesehleunigung I Einfluss von Gemtithsbewegungen. Haben wir friiher von der merkwiirdigen Thi~tigkeit der Schilddriise~ der Thymus, des Hirnanhangs niehts gewussty so ist es wohl mSglich, dass auch noch andere Drtisen ' aine Ro]le im Stoffwechsel spielen, von der wir keine Ahnung haben. Wenn nun bei manchen Leuten die ,qu~stionirte' Driise dem Alterssehwunde verfiele, so wiirde auf ihre Atrophie die Paralysis agitans folgen kSnnen, wie das MyxSdem auf die der Schilddrtise. Diese Hypothese schein~ mir verntinftiger zu sein als das unaufhSrliche Herumsuchen ira Rtickenmark, ob nicht da oder dort ein Stellchen verh~irtet set oder gar ein paar Blutgef~isse entartet seien." Hieraus erhellt, dass MSbius hinsiehtlich des Wesens der Paralysis agitans einen weit positiveren S~andpunkt einnimmt, als Jemand
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vor ihm gethan hat und dass er die Richtung andeutet, in welcher die Untersuchungen fortgesetzt werden mtissen. Aus diesem Grunde habe ieh sowohl tterrn Prof. L e n n m a l m als Herrn Prof. E d g r e n darum ersucht, auf ihren resp. Abtheilungen Versuche mit Thyreoidinbehandlung in F~llen von Paralysis agitans anstellen zu dtirfen, welche Biffe mir gew~ihrt wurde. W~ihrend des Frtihlings wurde also in jeder Klinik je ein Fall eine Zeit lang auf diese Weise behandelt~ ohne dass man doch etwas Bestimmtes hieraus folgern konnte, auf Grund der verhaltnissm~issig kurzen Zeit, in der wir Gelegenheit hatten die F~lle zu beobaehten. Einen {thnliehen, ziemlich weit vorgeschrittenen Krankheitsfall behandelte ieh in Blekinge w~hrend des Friihlings und Sommers mit Tabletten, ohne dass aber irgend welche gtinstige Einwirkung wahrgenommen werden konnte; eher mSchte ich das Gegentheil behaupten. So]lten auch die Ergebnisse nieht SG gl~nzend werden, halte ieh es doch fiir sehr nSthig, dass noeh mehr Versuche dieser Art gemaeht werden, um grSsseres Licht iiber die Frage zu werfen. Vielleieht, m. H., giebt es einige unter Ihnen, die jetzt diese Einwendung machen mSchten, dass die nur sehr m~issige, manchmal sogar ungtinstige Einwirkung der Thyreoidinbehandlung auf die Kranken mit meiner Auffassung betreffs der Pathogenese der Paralysis agitans im Widerspruch stehe, aber ich biffe solehenfalls diese Herren, zu beachten, dass betreffs der Basedow~sehen Krankheit massenhafte Versuche dieser Art mit sehr sehlechtem Erfolg gemaeht worden sind und immer noch gemaeht werden; trotzdem schreibt man sehr allgemein den Ver~nderungen der Glandula thyreoidea eine sehr grosse Rolle in Bezug auf jene Krankheit zu. Ohnedies steht es lest, dass es versehiedene sehr gut entwickelte B a s e d o w - F a l l e giebt, die ohne Struma verlaufen. Sie kSnnen sieh leicht vorstellen, meine Herren, wie gross meine Ueberrasehung sein musste, SG bald eine SG zu sagen lebende Illustration meiner Hypothese anzutreffen. Gleieh am ersten Tag, als ieh die Runde hier in der Klinik J) maehe, werde ieh eine Frau gewahr, die einige T a g e vorher unter der Diagnose ,,Paralysis agitans nebst trophoneurotisehen StSrungen" aufgenommen worden is& Ihr Aeusseres befremdete mieh gleieh, indem sie in ziemlieh hohem Grade myxSdematSs erschien. Ieh erlaube mir, sie den geehrten Herren vorzufiihren, damit Sie selbst urtheilen kSnnen. Naehher will ich den Krankenberieht und die Epikrise durehgehen. J) In der Abtheilung des Herrn Prof Ribbing.
Ein Fall v. Paralysis agitans, m. verschiedenen MyxSdemsymptomen combinirt. 271 Krankenbericht. C a r o l i n e D,, Wittwe, 54 Jahre a l t . A n a m n e s e . D e r Vater der Patientin hat dus Alter von 83 Jahren erreicht und soll stets gesund gewesen sein. Eine seiner Schwestern, welche mit 69 Jahren starb, litt ara Ende ihres Lebens mehrere 98 an Tremor ira K5rper, besonders in den Armen. Man h~tlt es fiir wahrscheinlich, dass sie an derselben Krankheit wie die Patientin oder wenigstens an einer jener sehr i~hnlichen gelitten bat. Die Mutter der Pat. soll von Kindheit an in der rechten Gesichtshi~lfte und ira Halse derselben Seite Spasmus gehabt h~ben. Im spi~teren Theile ihres Lebens litt sie nach Mittheilungen der Pat. an ,,Tic douloureux". Eiuen ebensolchen Tic soll auch ihre Mutter (die Grossmutter der Pat.) gehabt haben. Sonst weiss die Pat. nichts von etwaigen schwereren Nerven- oder Geisteskrankheiten ihrer Vorfahren. Die Pat. ist die zweiti~lteste von 10 Geschwistern. (Ausser diesen bat die Mutter noch ein todtgeborenes Kind zur W e l t gebracht, dus letzte in der Reihe.) Fiinf Gesehwister sind gestorben. Ein Bruder starb ira Alter von 2 Jahren an einer unbekannten Krankheit, ein zweiter Bruder starb als geisteskrank in der Irrenanstalt zu Lund, 45 3ahre alt. (Er wurde dorts~lbst unter der Diagnose Dementia paralytica gepflegt.) Eine Schwester, welche dus Alter von 42 Jahren erreichte, soll nach i~rztlichem Bericht Riickenmarksleiden gehabt haben, eine andere Sehwester starb an Brustkrebs. Die eine der noch lebenden Schwestern der Patientin ist ,,in der Brust krank", eine zweite hat Tic douloureux, wie die Mutter. Die zwei iibrigen Geschwister (Briider) sind am Leben und beide ,,diek und stark". ~Die Pat. hat dan Partus dreim” durehgemacht. Die Kinder leben und sind gesund. Die Pat. soll in jiingeren Jahren ziemlich schwi~chlieh gewesen sein; nach Angaben des Arztes, welcher die Pat. vor der Aufnahme gepflegt hat, ist sie immer ,,nervSs" gewesen. Die Menstruation in der Jugend mit gewissem Unbehagen, wie Schmerz u. dgl. vereinigt, sp~tter nicht. Diese]be soll stets regelmi~ssig gewesen sein und bat sich bis vor drei Monaten eingefunden, wo sie zum ersten :Mule ausblieb. P a t . wurde mit der Zeit sehr beleibt. Vor 13 Jahren litt sie erheblieh an ,Gallensteinbildung". Die Haut wurde hochgradig gelb gefi~rbt, und schmerzhafte Kolikan9 stellten sich wiederholt ein. Der gerufene Arzt verordnete eine Abmagerungscur, weleher sie sich auch 3 Wochen lang unterwarf. Dann musste sie aufhSren, weil sie sich zu schwaeh fiihlte. Mehrere Jahre hindurch wiederholten sich spi~ter die Kolikanf~lle. W~hrend der letzten 8 Jahre hat die Pat. von diesem Uebel nichts gemerkt. Ihre jetzige Krankheit but sich von jenem Zeitpunkte an allmiihlich entwiekelt. Im Jahre 1891 empfand die Pat. ni~mlieh zuerst ein leichtes Zittergefiihl ira linkeu Ringfinger und in den Zehen des linken Fusses. Hieran reihten sich bald Schmerzen i n der linken Hand, im Unterarme und: Ellenbogen und in der Wade derselben Seite. Um die Schmerzen zu lindern, pfiegte die Pat. so lange auf dieser Hand zu sitzen, bis sie gefiihllos wurde: B i n n e n Kurzem verbreitete sieh der Tremor von den peripher gelegenen Theilen der linken Extremitaten allmi~hlieh aufwarts. FoIgendes Jahr, 1892, zitterte schon der ganze linke Arm, bezw. Bein. Darauf tvurde die link~ Schulter sowie benachbarte Theile d e r Brust befallen. Naeh
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einigen Jahren stellte sich der Tremor auch noch in der rechten Seite ein, wo er sich allm~hlich, genau wie vorher auf der ]inken Seite, langs der Extremiti~ten naeh oben fortpflanzte. Aneh hier fiihlte die Pat. bisweilen Sehmerzen. Der Tremor dehnte sich fortw~hrend ans und ging auf die Brust- und Bauchmuskeln iiber, dann auf Hais, Zunge, Unterkiefer und Lippen. Das Gesicht im Uebrigen blieb verschont. Gleichzeitig mit Auftreten dieser Muskelunruhe ring Pat. an sich kiirperlich steif und matt zu fiih]en. Die Bewegungen wurden langsamer~ und die Pat. immer regungsloser. Seit mehreren Jahren hat sich Pat. im Bette von selbst nicht umdrehen kSnnen. Die meiste Zeit hat sie w~hreud der letzten Jahre in einem Sessel, in vorniiber gebiickter und hockender Stellung zugebracht. Dus letzte halbe Jahr bat sie sogar ira Sessel geschlafen. Der Kopf ist w~hrend der letzten Monate so tief herabgesunken, dass dus Kinn an die Brust iestossen hat, was auf der unteren Fli~che des Kinnes Decubitus zur Folge gehabt bat. Bis vor einem Jahre hat die Pat. ohne Hiilfe, wenn auch langsam, gehen kSnnen. Seit jener Zeit bat man sie beim Gehen unterstiitzen mtissen. Die Sprache bat sich geandert. Die Pat. hat angefangen, langsamer und mit tieferer Stimme zu sprechen und ermiidet schnell. Die Intelligenz, namentlich das Gedlichtniss~ scheint ihr nicht in etwaigem hSheren Grade herabgesetzt zu sein. Dass ihr Gemiith sich aber gei~ndert hat, giebt sie zu. Sie ist so traurig nnd weinerlich geworden. ,,Friiher konnte ich reden, lachen und bel guter Laune sein", sagt sie, ,,das kann ich jetzt nicht mehr." Ausserdem wird sie 5fters von einer inneren Unruhe gequalt. Das Haar, dus friiher so dick war, ist sehr diinn geworden. Auf die Frage, oh sie etwa eine grSssere Ver~nderung seit Anfang der Krankheit an ihrem Aussehen wahrgenommen habe, antwortet sie: ,,Ja, die Augen sind kleiner geworden, die Gesichtsziige rauher, Nase und Lippen grSsser, so dass ich mich gegen frtiher nicht mehr erkenne." Sehon vor einigen Jahren bemerkte die Pat. an verschiedenen Stellen des KSrpers (Ftissen, linker Hand, Gegend des linken AuBes) ein plStzlich auftretendes und dann wieder verschwindendes Oedem. Dus Oedem in der linken Augengegend zeigte sich oft des Morgens ara deutlichsten. Vor etwa 3 Monaten ringen die Unterschenkel und Fiisse an, betrachtlich zu schwellen. Kurz vor der Aufnahme brach die Haut am linken Unterschenkel an mehreren Stellen auf, und eine klare Fliissigkeit begann hervorzusickern. Dieser Zustand dauer~e ein paar Tage an. Dessen ungeachtet nahm das Bein an Dicke nicht ab. Bald heilten die Hautwunden. Der Appetit ist stets sehr gut gewesen, vor einigen Jahren sogar lmtte sie mitunter Heisshunger. Ueber schwereren Durst bat die Pat. nie klagen kSnnen. Sie war, wie oben erwi~hnt worden ist, bis vor einigen Jahren sehr wohlgeni~hrt, wo sie a]lmlihlich zu magern anfing. Stuhlgang stets regelm~ssig. In der letzten Zeit bat die Pat. gemerkt, dass es ihr mitunter sehwer fallt, den lJrin zu halten. Derselbe ist aber bis jetzt noch nie wider Willen gelasseu worden. Der Unterkiefer hat angefangen, eine andere Lage gegen friiher einzunehmen. E r ist nach hinten und ein wenig nach rechts hiniiber geriickt. Ausserdem ist es der Pat. so vorgekommen, als
Ein Fall v. Paralysis agitans, m. verschiedenen MyxSdemsymptomen combinirt. 273 ob die Z~hne sich von einander getrennt h~tten, indem deutliche Liicken. besonders zwisehen den Sehneidez~hnen. entstanden sind. Voriges Jahr litt Pat. eine Zeit lang an Parasthesie auf der rechten Seite des Halses und ira l~acken. Es dfinkte ihr oft, als krieche ein Wurm ihr auf der Haut. Seit mehreren Jahren bat die Pat. in der linken Gesiehtsh~lfte eine Empfindung, als sel sic abgestorben. Seit einigen Jahren treten aueh noch von Zeit zu Zeit ..fSrmliehe Krampfanf~tlle au[. so dass man die Pat. halten nmss". laut Berieht des frfiheren Arztes. Dieselben stellten sieh oft frtih Morgens gleich naeh dem Erwaehen ein, bisweilen aueh am Tage, wenn Pat. sehr t r a u r i g geworden war oder einen 3chreck bekommen hatte u. s . w . Was die Anf~lle betrifft, liefert die Pat. selbst folgende ~[ittheilungen: Der ganze KSrper wurde wahrend einiger Minuten von einem starken K~ltegefiihl durehdrungen, einem wahrem ..Nervenfrost", wie es einer ihrer frfiheren Aevzte genannt bat. Zu gleieher Zeit hatte die Pat. ~fters ganz unbehagliche, nicht zu besehreibende Empfindungen. .Es kam mil" ungef~hr so vor". erz~hlt sic, ,,als wenn man mittelst eines Griffels einen sehrillenden seharfen Ton an einem Fenster oder einer Steintafel hervorbringt". Naehdem der Fros~ aufgehSrt hatte, gerieth der KSrper in Schweiss. wobei diejenigen Muskeln, welche zittern, in heftigere Bewegungen versetzt wurden. grSssere, g]eichzeitige rhythmische Excursionen machend. Ausserdem ste]lten sieh Angst and Athemnoth ein nebst einem starken Schmerzgeffihl ira KSrper. besonders in den Armen In der letzten Zeit haben sich die Anf/~lle sehr gem~ssigt, so dass nunmehr nur ausgesprochene Zittererscheinungen nebst Schwitzen. Angst und Sehmerz sich zu gewissen Zeiten einste]len Das Gefiihl der Kalte und des Schauders hat immer mehr nachgelassen und hat einem fast steten I-Iitzegeffihl den Platz ger~umt. Einige Woehen vor der Anfnahme nahm die Pat. eines Morgens beim Erwaehen wahr. dass sie die linke Hand nieht mehr bewegen konnte. Pat. hat die Gewohnheit. ira Sehlaf~ den Kopf an diesen Arm zu lehnen, weleher von der Seitenlehne des Stuhles gestfitzt wird. Die Hand hing sehlaff herunter, in hoehgradiger Flexionsstellung. sie war kalt nnd geffihllos. Es dauerte aber nicht lange, bis diese Erseheinungen wieder riickgangig wurden. Die Pat. wurde ara 23. Aug. 1899 in die med. Klinik aufgenommen. Es wurden Jodkalium (1 g dreimal t~glich) und Faradisation sowie Chloral, zum n~chtlichen Gebraueh, verordnet. Tagesbemerkungen. 8. Sept. ]899. Das/~odkalium wird ausgesetzt, weil Pat. einen andauernden Sehnupfen bekommen hat. Heute I~acht iiberkam die Pat. ein reeht sehwerer Anfall, naehdem sie eine Weile gesehlafen hatte. Sie wurde von einer sehweren inneren Unruhe gepaekt. Der gewShnliche Tremor ging in ein wahres Schiitteln liber (klonisehe, gleichzeitige Zuckungen in ziemlieh sehnellem l~hythmus, welche besonders in den Armer auftraten). KSrper zusammengekauert, wie gewShnlich. Die Pat. war sehr errSthet und schwitzte stark. Die Thranen liefen ihr herunter, und von der Nase tielen grosse Tropfen einer kiaren Flfissigkeit. Pat. aehzte und stShnte und litt allem Anseheine nach sehr. Das Sensorium ein wenig benommen; Pat. sprach mitunt• unklar. Sie erkannte mieh doeh, als ich zur Stelle kam, phantasirte und meinte, ihre letzte Stunde sei gekommen. Sie redete wie mit ihrem verstorbenen Mann, indem sic ~usserte: ,,Ich komme bald, V~terchen". Dann sehwatzte sie 87
274 XVI. L9 % einem Zuge, der ihre Tochter mitbringen werde u. si w. Die Pat. wurde aus dem Bett genommen und auf ihren gewShnlichen Platz im Stuhle gebraeht i wonach sie sich einigermassen beruhigte. Sie bat mehrmals, wir mSchten sie doch aus dem Stuhle heben und sie einige Schritte gehen lassen, was geschah. Hierdurch empfand sie Linderung. Sie bekam ] eg Morphin und erhielt die Erlaubniss ira Stuhle b]eiben zu diirfen. Nach einer Weile schlief sie ein.
Fig. 1. S t a t u s p r a e s e n s am 12. Sept. Ihre meiste Zeit bringt die Pat. in einem bequemen Lehnsessel zu, wo sie in Kissen wohl eingebettet sitzt, we]che hinter rien Riicken und unter die Arme placirt worden sind. Die Arme ruhen meistentheils auf den beiden Seitenlehnen. D 9 Pat. klagt fiber grosse Mattigkeit und Steife ira KSrper, was zur Folge hat~ dass sie von selbst hSchstens ein paar Bewegungen machen kann. Ausserdem wird sie von Tremor und einem starken Hitzegefiihl nebst Schwitzen heimgesucht. Oft h a t d i e Pat. Schmerzen in verschiedenen Theilen des KSrpers.
Ein Fall v. Paralysis agitans, m. verschiedenen l~IyxSdemsymptomen combinirt. 275 Der Schlaf ziemlich schlecht, weshalb die Pat. fiir die Nacht 5fters beruhigende Mittel erh~lt (1 bis 2 g Chloral). W~hrend des Schlafes ist keine Muskelunruhe beobachtet worden. Der Appetit ist ganz gut. Stuhlgang regelmassig. Die Temperatur afebril. Die Pat. ist blond. Haarwuchs ziemlich schlecht. Die Haare auf ” Kopfe doch gleichmassig vertheilt. Haare an den Augenbrauen, in den Achselhiihlen und an der Scham von hellbrauner Farbe. Die Augen sind matt und blau. Fettpolster ziemlich gering. Die ~Iusculatur nicht stark entwickelt, scheint aber nirgends gerade atrophisch zu sein. Haut meist diinn, blass und von normaler Elastieit~t, mit Ausnahme einiger bestimmter Stellen des Ktirpers, von denen sp~tter die Rede sein wird. Pat. schwitzt mitunter recht erheblich. Dermatographie t r i t t allenthalben sehr deutlich hervor. Der Gesichtsausdruck ist stereotyp. Man kann die Pat. doch lacheln machen, wenn man sie dazu auffordert, spontan thut sie es ausserst selten. Ira Gesicht spiegeln sich Triibsinn, Ernst und Stumpfsinn ab. Pat. ist sehr weinerlich. Spricht langsam und mit ziemlich tiefer Stimme; hSrt sich oft furchtbar traurig an. Intelligenz ziemlich triage. Ged~ehtniss schwach. Ihr Gemiith ist sehr unruhig und fordert sie nicht so wenig von ihrer Umgebung. Dies thut ihr leid und sie klagt, dass sie so viel Besehwerden verursacht! Sie bittet deswegen oft um Verzeihung und erkliirt~ dass sie nicht dafiir ktinne, weil die Krankheit sie derart ver~ndert habe. Die Gesichtshaut weist einen œ Farbenton auf, in dem vorwiegend ein nicht gar zu starkes Roth zum Vorschein kommt, mit einem Stich ins Blaue und auch nocb eiu klein wenig iris Bra` An vielen Stellen und zwar an Backen, Nase und Kinu fiihlt sich die Haut verdickt und wie infiltrirt an. Die Gesichtsziige sind rauh, die Nase ist dick und stumpf. Die Nasolabialfurchen treten deutlich hervor. Die Lider erscheinen 5fters ein wenig angeschwollen. Unterhalb der Augen, insbesondere des linken, hi~ngt die Haut herunter und bildet gewissermassen kleine S~ickchen. Lippen gross, ein wenig cyanotiseh. Si~mmtliche Schneidezahne ira Oberkiefer sind noch vorhanden und s~ehen ziemlich weit von einander getrennt. Unterkiefer etwas nach hinten gezogen: die Pat. ist tro~z der grSssten Anstrengung nicht im Stande, die Yorderz~hne gegen einander zu driicken: die unteren stehen immer dahinter. ~Pat. kann rien ]~Iund ordentlich aufmachen. Zunge von normalem Aussehen, nicht vergrSssert, zeigt Tremor. Das Schlucken in keiner Weise beeinfiuss~. Die Bewegungen der Augen ~'anz normal. Was die hSheren Sinne betrifft, scheint nichts Besonderes der Erw~hnung" werth. Die Sensibilit~t iiberall normal. KSrperstellung hockend. Der Kopf ist so tief herabgesunken, dass das Kinn zumeist an die Brust stiisst. Kopf oft etwas nach rechts rotirt. naeh links flectirt. Um dem Decubitus vorzubeugen, is/ der Pat. eine breite Binde um die Stirn gelegt, nachher gespannt und ara Rticken des Sessels festgemacht worden. Demgemass wird die Pat. gezwungen, den K0pf bedeutend hiiher zu halten, als sie es sonst hi~tte thun kSnnen. Sie kann die Binde doch nur von Zeit zu Zeit anhaben, weil dieselbe ihr auf
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die Dauer zu l~stig wird. Die Beine lasst sic herabh~ngen, indem sie d i e Fusssohlen auf tien Boden stiitztl Pat. ist nieht im Stande, sich von selbst zu erheben, noch kann sie gehen. Stehen kann sic aber, wobei sic ” Beine sowohl in Hiift- wie Kniegelenken flectirt hiilt. Der Riicken bildet eine stark ausgesprochene Rundung, die sieh vorw~rts iiber Hals und Nacken fortsetzt. Das Gesicht sieht nach dem Boden. Die reehte Sehulter ragt deutlich liber die linke empor. Die Arme sind ungeflihr bis zu einem rechten Winkel flectirt. Stiitzt man die Pat. an der einen Hand, so vermag sic. wenn zwar langsam und mit kleinen Schritten; zu gehen. Sie steht gern auf, um ab und zu ein paar Schritte zu nehmen; das schw~eht, meint sic, verschiedene subjective Symlo~ome. Liisst man die Pat. in Ruhe, verhlilt sie sieh ziemlich still; man merkt nur einen gleichf'6rmigen und regelm~tssigen Tremor in den tt~inden und Unterarmen. W i r d sie dagegen in irgend einer Weise beunruhigt, so nimmt der Tremor an St~rke betrltchtlieh zu, die Bewegungsexcursionen werden grSsser, und der Tremor greift auf andere Gebiete des KSrpers liber und zwar auf Beine, Schultern, Brust, Hals, Kopf, Unterkiefer, sowie Kinn und Lippen. Man hSrt dann die Ziihne im Takte des Tremors klappern. Der Schweiss nimmt zu, die Augen werden von Thrltnen gefi 8 und die Nase trSpfelt. L~sst man die, Pat. in Ruhe, so hSren diese Erseheinungen sehr bald wieder auf. Der KSrper ist sehr rigid, wechselnd je naeh dem 0rte. Pat. kann von selbst rien Kopf nur sehr unbedeutend heben; hierbei spannen sieh siehtbar mehrere von den Halsmuskeln~ ver Allem die beiden Sternoeleidomastoidei. Beim Versuch, der Pat. bel dem Heben des Kopfes behiilflich zu sein, gelingt dies zum Theil auch, der Kopf leistet aber einen erheblichen Widerstand. Pat. kann den Kopf sehr langsam nach beiden Seiten drehen. Der Hals ist kurz und stark vorniiber gebeugt. Die Schultern stehen ungefiihr in gleicher HShe mit rien untersten Theilen der 0hren. Der Brustkasten ist in nicht geringem Grade deformirt, zu Folge des steten Druekes des Kopfes gegen den oberen TheiI des Sternum. Das Sternum als Ganzes bildet ungefiihr auf der Mitte einen hinten offenen stumpfen Winkel; zu beiden Seiten dieses Winkels ragen zwei starke gleichf6rmige Ausbuchtungen der Brustwand hervor, an deren Bildung mehrere Rippenknorpel theilnehmen. @leich unter- und ausserhalb derselben gewahrt man die beiden ziemlich schlaffen Mammae. Bel der physikalischen Untersuehung der Brustorgane findet man die Lungen emphysematSs; im Uebrigen nichts Abnormes. Der Radialpuls recht gut und regelmi~ssig; file Frequenz wechselt zwischen 8 0 - - 1 0 0 pro ]Hinute, betrligt gewiihnlieh 8 4 - - 8 6 . Der Baueh weieh und nachgiebig; seine Organe seheinen niehts Abnormes zu bieten. Der Harn klar, sauer, von ges~ttigt-gelber Farbe; enthlilt weder Eiweiss noch Zueker. Spee. Gewieht 1,028. Die Harnmenge pro 24 Stunden weehselt zwiseheu 900 und 1300 ccm. Die Arme und Hi~nde kSnnen noch recht gut bewegt werden. Sie sind trotzdem ziemlir rigid, ebenso wie die Brust sehr ronger, ein Umstand, ” um so mehr in die Augen tritt, als Untersehenkel, Fiisse un” Kopf so lolumlo sind. Am reehten Arm tritt h~ufig der Supin. long. mit seinem gespannten Muskelbauche besonders deutlich hervor; ein Ehnliehes Verhalten ist zuweilen auch ara
Ein Fal[ V.Paralysis agitans, m. verschiedenen MyxSdemsymptomen combinirt. 277 linken Arm wahrgenommen worden. In letzterem zeigt sich nunmehr keine Spur der in der Anamnese besprochenen L~hmung. Die rechte Hand vermag Pat. bis zum Naeken zu heben, die linke dagegen nur bis an den Mund. In den H~nden und Unterarmen t r i t t der Tremor iifters mit grosser Deutlichkeit hervor. Die vier ulnaren Finger der linken Hand sind in rien Metacarpophalangealgelenken fleetirt, in den beiden anderen Gelenken hingegen ein wenig hyperextendirt und zwar st~rker ira ersten Phalangealgelenk als ira zweiten. Die letzte Phalanx des Zeigefingers ist m~ssig fleetirt. Der Daumen ist adducirt, die erste Phalanx befindet sich in Extensionsstellung, die zweite ist in ungefi~hr rechtem Winkel flectirt. Es ist der Pat. so vorgekommen, als ziehe sich der linke Danmen immer mehr in die Hand hinein. An der rechtœ Hand wird keine Hyperextœ irgend welcher Fingergelenke wahrgenommen. Die Haut an den Armen iiberall diinn, kein 0edem. Die Beine sind von rien oberen Theilen der Unterschenkel bis zu den Zehen herab gewaltig verdickt, was aus fo]genden Maassen erhellt: rechterseits linkerseits Umkreis gleieh unterhalb der Patella 34 cm 34 cm ,, Mitte des Unterschenkels 42~5 ,, 44 , , ,, HShe des Malleolus 38 , 39 ,, , Mitte des Fusses 34 , 35 , Zwischen Fuss und Unterschenkel zieht sich beiderseits eine tiefe Hautfurche. Haut an den0bersehenkeln diinn ~md blass: an dœ Unterschenkeln hingegen dick un4EE lest, von blauroter Farbe; dieselbe schuppt ein wenig und weist hie und da mehrere Risse auf. Nirgends ist man im Stande, mit dem Finger einen bleibenden Eindruck hervorzubringen. Ara linken Unterschenkel zeigen sich mehrere harte Krusten als Merkmale der in der Anamnese erwi~hnten Hautrisse. An den Fusssohlen keine nennenswerthe Verdickung, um so mehr aber auf rien Fussriieken and zwar auf der Mitte derselben. Diœ Patellarrefiexe herabgesetzt. D i e Sensibilit~t in den Beinen ungestSrt. Die Pat. vermag van selbst die Beine zu strecken, viillig doch nicht. In denselben kommt unter gewiihnlichen Verhi~ltnissen kein Tremor zum Ausdruck, nur w~hrend der ,,Anf~lle" stellt er sich ein. Bel der Blutuntersuchung stellt sich der H~mo~'lobingehalt (nach F l e i s c h l bestimmt) auf 75. 19. Sept. Die Pat. fangt heute mit der Thyreoidinbehandhmg an und bekommt t~glich eine Tablette (” 33 cg aus Burroughs, Wellcome, London). 10. Oct. Auf der inneren Seite des linken Untersehenkels ist die Haut heute eingerissen, so dass eine kleine blutende Wunde sich gebildet hat. Lapistouchirang. Beide Unterschenkel sowie Fiisse haben au Umfang etwas zugenommen. Der P a t . werden feuehtwarme Umsehlage, mit vœ Liq. acet. alum. durchtr~tnkt, verordnet und bekommen diese ihr wohl. 18. Oct. Die Pat. ist mit ihren Umschli~gen sehr zufrieden. S e i t œ Tagen Schnupfen. 19. Oct. Heute Morgen empfand die Pat. w~hrend circa einer Stunde eiu starkes Ki~ltegefiihl ira Kiirper, welche Erscheinung seit Langem nicht
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aufgetreten ist. Wi~hrend der Morgenrunde ring die Pat. bitterlicli o h a e Schluchzen zu weinen an. Die Muskelunruhe war viel ausgesproehener, a! s sonst der Fall zu sein pflegt. Der Grund war schlechthin, dass die Pat. von einer neuen W~trterin in einer ungewohnten Weise im Stuhle placirt worden war. Ausserdem wurde sie auch noch von Angst und Unruhe gequitlt. Der Speichel floss aus dem Munde heraus und eine klare seriis8 Fliissigkeit aus der Nase. Sobald man die Lage der Pat. ge~ndert hatte und sie auf den alten Platz wieder gekommen war, wurde sie ruhia' Die Intelligenz scheint abzunehmen. 21. Oct. Der SchnupI%n dauert fort. An gewissen Stellen des linken Unterschenkels beginnt eine klare ser(ise Fliissigkeit hervorzusickern. Urinmenge wechselnd zwischen 400 und 750 ccm pro 24 Stunden. Die Thyreoidintabletten werden ausgesetzt und ])iuretin viermal t~glich ordinirt. 29. Oct. Das Diuretin wird ausgesetzt. Fiir Pat. wird Infus. digital., ] EsslSffel 3mal tagl., ausgeschrieben. Der Schnupfen hat jetzt ihst a u f gehiirt. Ara linken Unterschenkel sickert immer noch Fliissigkeit hervor und zwar t~glich eine recht erhebliche Quantitat. Die Unterschenkel noch voluminSser als vorher. H a u t an denselben rSthlich, gl~nzend, durchsichtig. Das 0edem ist nunmehr etwas weicher geworden, se dass man bisweilen bel Palpation bleibende Eindriicke erzeugen kann. Die Maasse rings um die Unterschenkel sind jetzt die nachstehenden: Umkreis ,, ,, ,
gleich unterhalb der Patella Mitte des Unterschenkels Hiihe des Malleolus Mitte des l~~usses
rechterseits 36 cm (Diff. 2 cm) 34 50,5 ,, ( ,, 8 ,, )48,5 43 ,, ( , 5 , , ) 4 2 37 ,, ( ,, 3 , , ) 3 8
linkerseits cm (Diff. ~P cm) ,, ( , 4~5 ,. ) ,, ( ,, :~ , ) ,, ( ,, 3 - , )
])emnaeh haben beide Unterschenkel an l)icke zugenommen, der rechte ara st~trksten. Sait einigen Wochen hat Pat. nieht einmal mit Unterstiitzung zu gehen vermocht. Bel heure vorgenommener Blutuntersuchung betrug der Hi~moglobingœ (nach F l e i s c h l bestimmt) 75. Zahl der rothen BlutkSrperchen pro ebmm 4400000. '~1. Oct. Die Pat. bleibt fiir weitere Beobaehtung in der Klinik. Epikrise. Der jetzt vorgctragene Krankenbericht bietet nach meiner Ansicht riel Interessantes. Der ganze Verlauf der Krankheit ist ein derartiger, dass man sich in der ttauptdiagnose, Paralysis agitans, nicht gut irren kann. Der V e r l a u f ist aber keineswegs ein typenhafter. Die sehr verdickten Unterschenkel und Fiisse, deren gunze Configuration, die dicke infiltrirte Haut, welche den Fingerdruck nicht festh~lt, dies Alles deutet darauf hin, dass es sich hier um eine A r t von Elephantiasis handelt. Diese Erscheinung tritt aber unter sonstigen Verhiiltnissen nieht in Begleitung der Paralysis agitans auf, sondern muss als eine seltene
Ein Fall v. Paralysisagitans, m: verschiedenenMyxSdemsymptomencombinirt. 279 Combination aufgefasst werden. Weiterhin kommen bei unserer Patientin verschiedene Symptome sehr sonderbarer Art vor. Vor Allem ist ihr eigenthiimliches Aeussere zu erw~hnen. Die Ztige sind in den letzten Jahren so rauh, Nase, Backen, Kinn und Lippen so dick geworden. Unterhalb der Augen, die etwas kleiner geworden sind, h:ingt die Haut wie kleine S~ckchen herunter. Die Lider erscheinen mitunter in gewissem Grade angeschwollen. Die Haut fiihlt sich an vielen Stellen des Gesichts dick und infiltrirt an. Dies Alles l~isst gleich den Gedanken an MyxSdem entstehen. Die Patientin sieht im Gesichte myxSdematSs aus, dies li~sst sich nicht leugnen. Forscht man in der jetzt angedeuteten Richtung weiter, erf~hrt man, dass die Haare auf dem Kopfe so dtinn geworden sind, dass hle und da dieses sogenannte ,Oedema fugax" vorgekommen ist; ausserdem ist die Stimme sehr rauh geworden. Zudem kommt, dass die Pat. von einem intensiven K~iltegeftihl im KSrper heimgesucht worden ist,, welche Erscheinung einer ihrer friiheren Aerzte mit dem Namen ,,Nervenfrost" bezeichnet bat. Die Int,elligenz nimmt merkbar ab. Dies Alles sind die Symptome nicht der Paralysis agitans, wohl aber des MyxSdems. Die Symptome der beiden Krankheit,en haben sich, wie ans der Anamnese hervorgeht, so zu sagen nebeneinander eatwickelt,, ohne dass man gerade behaupten kSnnte, die eine Krankheit sel in die andere iibergegangen. Dem oben Gesagten zufolge halte ich mich fiir berechtigt, folgende Diagnose zu stellen: Paralysis agitans und Myx5dem oder vielleicht besser: Paralysis agitans myxoedemat,osa. ttinsichtlich des Morbus Basedowii sind ~ihnliche Uebergangsformen zum MyxSdem von mehreren Aut,oren beschrieben worden, M 5 b i u s schreibt hiertiber Folgendes in seiner Arbeit,: ,,Die B a s e d o w'sche Krankheit" ( i o t h n a g e l's ,,Spec. Pathologie und Therapie"): Durch diese Auffassung und durch die Kenntniss der F~ille von Verbindung wirklichen MyxSdems mit Basedow'scher Krankheit wird ein Licht geworfen auf manche Sympt,ome, die in sp~t,eren St,adien der B a s e d o w schen Krankheit vorkommen. Ich meine damit die derben Oedeme~ die sulzigen Anschoppungen, von denen t3 a s e d o w spricht, die skleromartlge Verdickung der Haut,, die allm~hlich sich ent,wickelnde Stumpfheit und Gediichtnissschw~che, das Ausfallen der ttaare, die Schrumpfung der Brustdriisen und der weiblichen Gesch]echtstheile, bestimmt,e Gelenk- nnd Knochenerkrankungen. Das sind MyxSdemsymptome. Insbesondere scheinen zwischcn demumschriebenen Oedem der B a s e d o w Kranken und dem eigent,lichen MyxSdem Uebergangsstufen vorhanden zu sein. Wie im Verlaufe der B a s e d o w- Krankheit MyxSdemsympt,ome auft,reten kSnnen, so werden zuweilen beim MyxSdem einzelne Ba-
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sedow:Symptome beobachtet. Es is~ ersichtlich, dass diese ganzen Verh'~ltnisse bedeutungsvoll sind." In diesem Zusammenhang will ich nocla einen Parallelfall referiren von einer B asedow-Kranken, welche ~hntiche 5iyxSdemsymptome wie die oben erw~hnten aufwies (Maladie de Basedow avec myxoedem, von S o l l i e r beschrieben: Revue de M› XI, 12. p 1000, Jahrgang 1891), und bediene ich mlch eines Referats von MSbius (Schmidffs Jahrbiieher) 1): ,,Eine 39j~hrige Frau war nach Jahren ehelichen Unglficks vor 2 Jahren erkrank~. Ers~ S c h m e r z e n und S t e i f h e i ~ der tt~nde. Dann A n s c h w e l l u n g auf rien Handr~icken. Dann Sehmerzen und Anschwellung der Knie, erst vorfibergehend, sp~ter dauernd. Reizb a r k e i t und W e i n e r l i c h k e i t . S e h l a f l o s i g k e i t . H i t z e g e 9 mit zeitweiliger Steigerung der KSrperw~rme. Troekener Husten. Durchfall. 9 8 Doppeltsehen beim Blicke nach oben. A_llgemeine S c h m e r z h a 9 und z u n e h m e n d e U n b e w e g l i e h k e i t . Polyurie und Po]lakiurie; nie A l b u m i n u r i e . Als S. zuers~ die Kranke sah, sass sie z u s a m m e n g e b i i c k t , regungslos in einem S t u h l e u n d zwar zu j e d e r B e w e g u n g unf~hig. Der A u s d r u c k des Gesichtes war s t u m p f . Am meisten fiel eine ganz enorme Anschwellung des KSrpers auf. Die unfSrmlichen H~nde und Finger waren halb gebeugt. Jede passive Bewegung war schmerzhaft. In den Gelenken, die offenbar verdiekt waren, Kraehen. Starkes Oedem, das den Fingerdruck nich~ festhielt. Normales Aussehen der trockenen Haut. Die B e i n e w a r e n wie E l e p h a n t e n b e i n e . An d e n U n t e r s c h e n k e l n war die H a u t d u r e h s e h e i n e n d und der F i n g e r d r u c k h i n t e r l i e s s eine Grube. Das Oedem war Abends st~irker ais frfih. Auch Gesicht, Hals und Rumpf waren g e s c h w o l l e n . Auf der Haut zahlreiche Pigmentflecken. Geringer Exophthalmus. Die Augen waren fast immer halb gesehlossen. Herzth~tigkeit regelm~issig, 110--120, bel Erregung 160. S t a r k e s Z i t t e r n . W~hrend der An~'~lle von Hitzegefiihl 38,i ~ Verminderung des Widerstandes der Haut gegen den galvanisehen Strom. Allm~hliche Besserung. Die Kranke lernte allm~hlich wieder stehen und gehen. Das Oedem nahm stetig ab. Der Hautwiderstand nahm zu. Als das Oedem zum grossen Theile gš war, konnte man deutlieh f8 dass die Schilddrfise sehr klein und etwas har~ war. Die Gelenke waren schlaff geworden, so das die Gelenkfl~chen von einander entfernt werden konnten. Der Urin blieb immer normal und war arm an festen Bes~andthellen. -
1) U m grSssereUebersichtlichkeit zu erlangen, habe ich diejenigen Symptome,
welche beiden F~illen gemein sind, gesperrt drucken lassen.
Ein Fall v.Paralysis agitans, m. verschiedenen MyxSdemsymptomen combinirt. 2S 1
Ara Sehlusse dieses Referats fiigt M 5 biu s noch folgende Worte hinzu: ,,Da hier Morbus Basedowii und ein myxSdemartiger Zustand in Verbindung waren, kSnne man annehmen, dass entweder die Erkrankung, bez. Atrophie der Sehilddriise an Beidem sehuld gewesen sei, oder dass ausnahmsweise die B a s e do w'sche Krankheit nicht mit Hypertrophie, sondern mit Atrophie der Sehilddriise einhœ und dass nur diese das Hinzutreten des MyxSdems bewirke. S. entseheidet sich fiir diœ zweite Annahme." Nachschrift. Gleich nachdem ich meine Epikrise bœ hat Herr Doeent P e t r › freundliehst meine Aufmerksamkeit auf einen kleinen (aehtseitigen) Aufsatz von F r e n k e l gelenkt, weleher soeben ira diesj~hrigen Bande der Deu~schen Zeitsehrift ftir Nervenheilkunde ver5ffentlieht worden ist. Derselbe triig™den Titel: ,,Die Ver~nderungen der Haut bei Paralysis agitans." Die Auffassung, die in diesem Aufsatze zum Ausdruck kommt, ist ganz dieselbe wie die meinige, weshalb ieh mit erlaube das anzuftihren, was Verf. zum Sehluss in Betreff der Pathogenese der fraglichen Krankheit ~ussert: ,,Zum Sehluss mSchten wir uns noeh einige Bemerkungen in Betreff der Pathogenese dieser uns in der Klinik so wohl bekannten und pathologiseh-anatomisch so g~nzlich dunklen Krankheit gestatten. Mit der Auffindung einer constanten Veri~nderung der Haut und mit der datait gegebenen MSglichkeit, einen Theil der subjeetiven und objectiven, auf das Iqervensystem direct hinweisenden Symptome auf diese Ver~nderungen selbst zu beziehen, verliert die an und fiir sich sehleeht fundirte Ansehauung, dass wir es mit einer Erkrankung des Gehirns oder Riickenmarks zu thun haben, noeh mehr an Wahrseheinliehkeit. . . . Mit dieser Ansehauung aber, dass n~mlieh zwar das Iqervensystem eine Rolle in der Pathogenese spielt, dass aber zur Erkl~rung der Symptome selbst die Annahme einer Liision des Centralnervensystems ira Sinne einer der uns bekannten organisehen Erkrankungen desselben nieht zul~ssig ist, reiht sieh die Paralysis agitans denjenigen Krankheiten an, welche wie der Morbus Basedowii, das MyxSdem etc. in einer krankhaften StSrung des Chemismus ira weitesten Sinne ihren letzten Grand haben. V i e l l e i e h t ist, was die M u s k e l f a s e r a l t e r i r t , bel der P a r k i n s o n ' s e h e n K r a n k h e i ~ dieselbe Sehi~dliehkeit, w e l e h e den V e r l u s t der Elastieiti~t der H a u t und der Verd i e k u n g v e r s e h u l d e t . 1) Dass eine solche Anschauung neue Aus1) Von Frenkel selbst gesperrt. Deutsch~ Zeitschr. f. Nervœ
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Sichtspunkte fiir die Forschung erSffnet, nachdœ die Sterilit~t der ste™ negativ ausfallenden ana~omischen Untersuchung des bTervensystems fiir diese Krankheit feststeht, ist klar. Mit einer solchen Anschauung erwacht aber auch die Hoffnung, zu der wir in unseren Tagen mehr als je berechtigt sind, dass auch die Therapie dœ Paralysis agitans aus einer symptomatischen eine ~tiologische werden k a n n . tf
Sie miissen gestehen, m. tt., es sieht wahrhaftig nicht so aus, als liege nur ein blosser Einfall der Auffassung zu Grunde, far die ich oben eingetre~en bin. Oder wie will man sich sonst erkl~ren, dass drei verschiedene Personen an weit entfernten 0rten aus verschiedenen Griinden und von einander unabhiingig zu einer ziemlich bestimmten Auffassung von dem Wesen der betreffenden Krankheit gelangen? Glaubt man etwa, es liege kein Grund hierftir vor ? Dies l~sst sich schwerlich denken. Die n~chste Zukunft wird meiner Ansicht nach an Untersuchungen in Betreff der Pathogenese der Para]ysis agitans sehr reich werden. Auszug aus dem Obductionsprotokoll. Kurz, nachdem das Manuscript zum Druck gegeben worden war, verstarb die Patientin in der Klinik. Der Zustand war im Ganzen bis zum Todœ unverKndert, welcher am 9. M~rz 1900 nach einigen Tagen durch ein Brus~iibœ ein~rat (Bronchopneumonie). Die Patientin wurde am folgenden Tage obducirt, und das Obductionsprotoko]l, vom I-terrn Docœ Dr. W a d s t e i n aufgenommen, ist von sehr grossem Interesse. C a r o l i n e D., Wittwe, 54 Jahre. Gestorben am 9. l~I~rz 1900, obducirt ara 10. }Iiirz. Die Leiche von mittlerer L~inge, dœ Riicken mehr als normal gekrtimmt, die Schultern hervorgeschoben. Das Manubrium sterni eingeschwenkt, das ganze Corpus dagegen convex, wodurch die Seitenansicht des Brustbeins eine schwach S-fSrmige Kriimmung aufweist. Demzufolge erhitlt die obere Halfte des Brustkastens die Form einer schr~g nach vorn bis zur HShe der vierten Rippe herabfallenden Ebene. Unterhalb dieser Stelle besitzt der Brustkasten die fiir das Emphysem charaktœ Fassform. Die Beine von eigenthiimlicher Form, oben ziemlich schlank und schlaff, unten dick, angeschwollen, wodurch die ganze Extremitat ein kl8ppe]f'6rmiges Aussehen erhalt. Die 0berschenkel messen in Umkreis beiderseits 34 cm. @leich unterhalb der Tuberositas tibiae misst der Umkrœ rechterseits 33 cm, linkerseits 35, auf der Mitte des Unterschenkels wieder rechts 40, links 46 cm, oberhalb der Malleolen rechts 35, links 34 cm. Auf der Mitte des Fusses misst der Umkreis rechts 33, links 36 cm. Fettpolster und Mnsculatur tiberall schwach entwickelt.
Ein Fall v. Paralysis agitans, m. verschiedenen MyxSdemsymptomen combinirt. 283 Die Haut oberhalb der Kniee ara ganzen Kiirper weich and nachgiebig; unterhalb der Kniee ist sie hinge$en eigenthiimlich grobcarrirt und bekommt dadurch ein matratzenithnliches Aussehen; ara linken Bein ist sic von hellrother Farbe. Rings um die Malleolen ist die Haut wie warzig; die Warzen hanfsamem bis erbseng'ross. Sie sind ziemlich weich und kSnnen bei Druck zum Schwinden gebracht werden; die Haut ist dann an dieser Stelle rein gerunzelt. Die Form der Ftisse und Unterschenkel ist eben die fiir die Elephantiasis charakteristische. Das Herz ist ausserordentlich schlaff; die Fettauflagerung ziemlich stark. Die Musculatur der reehten Kammer erscheint als ein schmaler, brauner Streifen; die Wand 7 mm dick, besteht fast aussehliesslich aus Fettgewebe mit sp~rliehen, querverlaufenden, etwas br~tunlichen Ziigen als Reste der Musculatur. Betreffs der Ostien und Klappen ist nichts zu bemerken. Die linke Kammer ist ein wenig erweitert, die Musculatur von etwa 1 cm Dicke, ira Schnitt trocken und gelbfiammig. Das Balkengewebe atrophisch, abgeflacht. Die Mitra]Sffnung li~sst mit Leichtigkeit drei Finger hindurchtreten. Die Klappenseg'el lang and diinn. In der Aorta kommen zahlreiehe gelbe, oberflaehliche Degenerationsherde vor. In der HShe der Art. subelavia findet sich eine zehnpfenniggrosse Kalkscholle. Ausserdem gewahrt man ira unteren Theile der Aorta verschiedene, ziemlich niedrige Erhebungen, welche auf dem ]9 als halbmondfSrmige Verdickungen der Intima erscheinen. In rien Lungen verschiedene bronehopneumonische Herde. Die Milz ist ziemlich gross und lest. Die Kapsel leicht abziehbar, scheint etwas gespannt zu sein. Die Trabekeln treten deutlich hervor. Die Nieren von normaler @rSsse. Die Kapsel liisst sich mit gewShnlicher Leichtigkeit abtragen, aber die obere Flache der Nieren ist nicht ganz glatt und eben, sondern mit zahlreichen seichten Einbuchtungen und flachen Erhebungen versehen und giebt den Anschein einer ira Werden begriienen Schrumpfniere. Die Rindensubstanz schwillt nicht. Die Consistenz fest. Glomeruli ziemlich deutlich. An mehreren Stellen kleine weissliche, leste Kn(itehen (Fibrome). Beim Versuch, das Gehirn heratlszunehmen, stellt sich heraus, dass das Kleinhirn an dem lateralen Theil der Pars petrosa des Schl~fenbeins ,~angewachsen" ist. Das Gehirn l~sst sich nur mit Miihe von dieser Stelle abpr~pariren. :Naehdem das Gehirn herausgenommen worden ist, nimmt man ara linken vorderen Rande des Kleinhirns eine mehr als wallnussgrosse, leste, rundliche Geschwulstbildunff wahr, welehe in der Substanz des Kleinhirns wohl abgegrenzt liegt und sich leicht heraussch~len l~tsst. Sic fst sehr lest, weshalb tiefere Einschnitte als 1 cm nicht erzielt werden kSnnen. Beim Durchsagen leistet sic einen ~hnlichen Widerstand wie Knochen und weist eine radiaire Structur auf. Wenn man die Schnittfli~che an der Dura untersucht, gewahrt man, dass die Geschwulst mit einem mehr als zehnpfenniggro~sen fibrSsen Stiel von der Dura ausgewachsen ist. Die Dura l~sst sich an dieser Stclle mit gewShnlicher Leichtigkeit abtrennen. Ira ™ bietet weder das Gehirn noch Riickenmark makroskopisch etwas Abnormes. Die Schilddriise ziemlich klein, insbesondere der rechte Lappen, weleher nur 3':/2 cm in der Liinge misst. Der linke Lappen ist 41[oE cm lang. i Ein eigeutlicher Zwischenlappen fehlt. Die Consistenz des rechten Lappens 19"
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ziemlieh fest. Der Querschnitt zeigt nirgends ein fiir die Sehilddriise normales Aussehen, indem die Colloidfollikel nur hie und da, und zwar nur andeutungsweise, zum Vorsehein kommen. Die Farbe ist weisslichgrau, mit zahlreichen rSthlicben Zfigen. Hier und dort treten kleinere, gelbliche •artien auf. Bei der mikroskopisehen Untersuchung, welche aber noch nieht vSllig beendet ist, zeigt dieser Lappen einen Reiehthum an bindegewebigen Fasern; das Follikelepithel ist ira Allgemeinen niedrig, und das Aussehen des Follike]inhaltes von dem normalen bedeutend abweiehend. In dem Verbindungsstfick zwischen den beiden Lappen liegt eine bohnengrosse, von der Umgebung deutlieh abgegrenzte, Partie von etwas hellerer Farbe (Adenom), in deren Mitte eine hanfsamengrosse, gelbliche Stelle vorkommt. Der linke Lappen zeigt ira Allgemeinen normaleres Aussehen als der rechte. Ungef~hr in der Mitte finden sieh zwei dicht neben einander gelagerte, bohnengrosse, gut abgegrenzte cystische Bildungen mit colloidem Inhalt. Hypophysis cerebri ohne Ver~nderung. Anl~isslich des Sectionsergebnisses seien mir hier nur einige kurze Bemerkungen vergSnnt. Was zuerst die Gesehwulstbildung in der linken Kleinhirnhemisph~re betriff~, so scheint es mit nieht sehr wahrscheinlich, dass dieselbe an diesem ganz verwiekelten Krankheitsbilde die Schuld tragen kSnnte. Al]erdings muss einges~anden werden, dass in der Literatur F~lle beschrieben worden sind, wo der Paralysis agitans ~hnelnde Krankheitszust~inde bei Tumoren in der Hirnschenkelgegend vorgekommen sind, aber nie hat man gehSr~, dass eine wallnussgrosse Gesehwulst in der einen Kleinhirnhemisph~re eine so ausgesproehene Para]ysis agitans, wie im vorhandenen Falle, wfirde hervorrufen kSnnen. Zudem hat diese Gesehwulst keines von den Symptomen hervorgerufen, die sonst Kleinhirntumoren zukommen. Ieh bin deshalb ara meisten geneigt, diesen Seetionsfund als etwas Accessorisehes aufzufassen, was mit dem klinisehen Krankheitsbi]de, das ich oben gesehildert, nichts gemein h,~t. Ebensowenig kann ich den geringen Ver~nderungen an rien •ieren etwaige grSssere ]~edeutung beimessen. Es bleibt also nur die Sehilddrfise, welche sieh wirklieh ver'~nder~ zeig~e, und zwar gerade so, wie ich es vom klinisehen Standpunkte aus angenommen hutte. Ich hatte mich ja vor dem Verein der Aerzte in Lund, als ieh meine Pat. demonstrirte, dahin ausgesproehen, d~ss sic in gewissem Grade an MyxSdem leide, welehe Krankhei~ in diesen Gegenden nicht besonders off vorkommt. Ein MyxSdem setzt j~ naeh unserer jetzigen Auffassung eine Schrumpfung oder Insuffieienz der Schilddr~ise voraus. So verhielt es sieh auch mit dieser Patientin. Zwar habe ich noch nieht Gelegenheit gehabt, dieses Organ, das aufbewahr~ und sorg-
Ein Fall v. Paralysis agitans, m. verschiedenen MyxSdemsymptomen combinirt. 285 fiiltig fixirt worden ist, eingehender zu untersuchen, aber so riel steht schon fsst, dass eine Bindegewebswucherung wenigstens im reehten Lappen stattgefunden hat. Dieser war nieht unbedeutend kleiner, als es sonst der Fall zu sein pflegt. Nicht einmal der linke Lappen war von ganz normaler GrSsse. Die m i k r o s k o p i s c h e U n t e r s u c h u n g der Glandula thyreoidea und eines Theils der Haut vom reehten Unterbein ist im pathologisehen institut zu Helsingfors unter Aufsieht des Herrn Professors E. A. H o m › ausgeftihr~ worden, dem ieh hiermit meinen besten Dank ausspreche. Die erwi~hnten Organtheile habe ich thsils in 10prsc. FormollSsung, thsils in absolutem Alkohol, thsils in Sublimat fixirt und zum Verglsich disselben Theile normaler Organe aufbewahrt und auf dieselbs Weise behandelt. Folgsnds F~rbungsmethoden sind zur Anwendung gekommen: Hi~matoxylineosin, van Gisson, B i o n d i - H s i d e n h a i n ' s Triacid, Eisenhitma~oxylin und fiir die Haut ausserdem noch W e i g e r t ' s und 5 f a l o r y ' s Elastinfiirbung und U n n a ' s F~rbung der Plasmazellen. Lobus dexter der Glandula thyrsoidea zeigt iiberall ein gleichartigss Aussehen. Man findet besonders perivasculi~r, aber auch mehr diffus eine manchmal ziemlich bsdeutende Wucherung des Bindegswebes. Dieses Bindsgswebe ist nicht besonders zellenrsich, vislmehr hsmogsn structurlos, was die gefi~rbten und ungsfitrbten Pri~parate sehr dsutlieh zeigen. In diessm Gewebe befinden sich hier und da stark lichtbrschende KSrnchen versehiedsnsr GrSsse, fast nie so gross wie ein Zellksrn; nicht selten sind Usbergangsformsn zwisehen jsnen und den Zsllkernen zu finden. Diese KSrnehen smpfangen begehrlich Hi~matoxylin ( D e l a f i s l d ' s ) . An rien Eisenhi~matoxylinpri~paratsn ersehsinen sie intensiv schwarz gegen die heller gef~trbte Umgebung. Auch Carmin 8 sie. Untsrsucht man dann dis Alvsolen genausr, so findet man sie vielerssits sehr verlindert, bald sind sie eystisch erweitert und csnfluirend, bald degenerirt. Fig. 1 anf Taf'el III. IV giebt sins guts Usbsrsicht clayon. Die intensiv schwarzen Flscke sind dsgsnerirende Alveolen. Das Bild ist von einsm Eisenhi~matoxylinpri~parat genommen. Auf einigen Stellen (b, b, b) sieht man hellere Partisn structurlosen Bindegewebes. In dis Augen fallend ist dsr grosse Gefi~ssreiehthum, trotz der augenfi~lligen Atrophis des Lobus. Wenn man bedenkt, dass der rschte Lobus visl weniger umfangreich als gewShnlieh ist, die Intercellularsubstanz aber bedsutend vermehrt und die Blutgsfi~sse nicht weiter reducirt sind, so gsht daraus ohns Weiterss hsrvor, dass eine bedeutende Reduetion der eigentliehen Drtissnsubstanz des Alveolarspithels vor sich gegangen ist. Es fragt sich, auf welehe Weise diese Reduetisn deuil geschieht? Die Antwort erhalt man bei genauer Untersuchung eines wshlgelungenen Praparates versehiedener Theile. Figg. 2, 3 und 4 auf Tafel III, IV sind naeh demselben Pr~parate gezeichnet. Auf einigen Stellen (Figg. 2 und 3) scheint dus Bindegewebe die Alveolen zu zersprengen, wodureh einzslne Zellen und Zellgruppen hier und da zerstreut liegen. Diese Zellen verschwinden friiher oder spater; ehe sie absr
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vSllig versehwunden sind, sieht man gew(ihnlich ira umgebenden Bindegewebe eine Anhiiufung dœ ebenerwi~hnten KSrnchen, welche KSrnchen naeh meiner Ansicht grSsstentheils ans Zellen, und zwar ara nlichsten aus Zellkernen entstehen, welche zerfallen oder degenerirt sind. MSglich ist, dass ein Theil dieser KSrnchen ans Pigment besteht. (Ich habe keine Eisenreaction gemacht, da ich es weniger wichtig gefunden.) Die Kiirnehen werden seiner Zeit in die Circulation aufgenommen und weggefiihrt. Fig. 2 zeigt ein grosses Gebiet mit solehen einzelnen Zellen und Zellgruppen, die in fast structurlosem Bindegewebe liegen. An den Seiten der Zeichnung finden sich Blutgefi~sse nnd eine grSssere Alveole. Fig. 3 zeigt uns zwei Alveolen, die ira Zerfallen sind; bei a ist das Lumen einer Alveo]e noeh deutlich zu sehen, und auf einem kleinen Gebiet ist etwas Alveolarepithel geblieben. GrSsstentheils ist dieses doch zœ nnd besteht jetzt ans einer kSrnigen Masse ohne i~nssere Abgrenzung; bei b ist der Process riel weiter vorgesehritten. Zwar sieht man eine schwache Andeutung vom Driisenlumen, abcr keine deutlichen Epithelzellen, nur eine dunkle, kSrnige Masse ist weiter zu entdecken. Auf anderen Ste]len scheinen die Alveolen so zu sagen zu verschwinden, hier aber im Zusammenhang. In Fig. 4 suehe ich eine Vorstellung davon zu geben. Der Inhalt so]cher Alveolen fi~rbt sich viel sti~rker als derjenige der tibrigen und zwar mit allen benutzten F~trbungsmethoden. Dies t r i t t sogar an ungef~rbten Pri~paraten sch~trfer hervor. Bel beginnender Degeneration dieser A r t scheint das Alveolarepithe] anzuschwellen, die innere Begrenzung wird undeutlicher, hier und da sieht man eine. oder mehrere vacuoleni~hnliehe he]lere Particn, ebenso einige Kerne oder Kernreste, der Inhalt der Alveolen ist mehr kSrnig und li~sst sich - - wie erwi~hnt wurde - - sehr stark mit Eosinroth, mit Eisenhi~matoxylin schwarz u. s.w. fiirben. Mit sehwacher VergrSsserung zeigen sich solche Alveolen wie dunkle, von helleren Ringen umgebene Flecken (Fig. l a ) . Fig. 4 zeigt dasselbe unter sti~rkerer VergrSsserung. Die mit n bezeichneten Alveolen sind mehr normal, die mit a, b, c und d repri~sentiren dagegen schon etwas degenerirte; a und b geh5ren zu den ersten, friiheren Stadien, c und d zu den sp~tteren. Je weiter der Degenerationsprocess fortgeschritten ist, desto mchr fliesst das Alveolarepithel mit seinem Inhalt zusammen, alle @renzen werden undeutlieher, die Zellstructur wird schliesslich ganz und gar zerstSrt. Zuerst sieht man, wie eine solche degenerirte Partie auf einem mehr begrenzten Gebiete mit dem umgebenden Bindegewebe wie zusammenfliesst, allm~hlich sehreitet der Process weiter, bis es schliesslich unm5glieh wird, eine Alveolarstructur zu sehen. Das Ganze ist in structurlose Interalveolarsubstanz aufgegangen. Die rothen Streifen, die bel der Section makroskopiseh zu sehen waren und welche ira Protokolle erwi~hnt wurden, sind grSssere Gefasse. Der linke Lobus ist dem reehten garnicht gleich. In rien oberen und unteren Partien findet man eine beginnende Cystenbildung, sehm~tlere und weniger blutreiche Bindegewebssepta, grSssere Driisenlumina und niedrigeres Alveolarepithel als gewiihnlich. Inmitten des Lobus ist der Process noch weiter fortgeschritten, da liegen viel grSssere Cysten nebeneinander und das Ganze bat das Aussehen einer emphysematSsen Lunge. Die Haut ist stark verdiekt, was auf reichlicher Entwicklung der Cutis beruht. G]eieh unterhalb der Epidermis findet man oft eine offen-
Ein Fall v.Paralysis agitans, m. verschiedenen MyxSdemsymptomen combinirt. 287 bare Zellinfiltration und tiefer findet sieh ein ziemlich breites Lager eines mehr homogenen structurlosen Bindegewebes, welches von normaler Haut bedeutend abweichende Reaetionen giebt. Es nimmt Farbstof~œ wie Eosin, Fuchsin u. s. w., weit schwacher zu sich als gew5hnlich und giebt auch in gewissem Maasse anderœ Farbennuancen. Mit W e i g e r t ' s Elastinf~rbung treten hier keine elastisehen Fasern hcrvor. In den tieferen Lagen der Unterhaut dagegen sind elastische Fascrn sehr deutlich zu sehen. Mehrere Pr~parate sind gemacht worden und es herrseht constant dasselbe Verh~ltniss. In den untersten Lagen der Cutis sieht m a n doeh nicht zahlreich - - zersprengte schrauben~hnliche Bindegewœ234 welche sich beinahe wie Bindegewebe in normaler Haut f~rben lassen. In den hellœ mehr homogenen Partien zwisehen den Fasern des Bindegewebes befindet sieh eine nieht unbedeutende Zellanh~ufung, oft in Gruppen zerstreut. Erst ziemlich tief unten in der Unterhaut f~ngt das Fettgewebc an. Tafel III, IV, Fig. 5 a und b sind mit LupenvergrSsserung gœ um das obœ Erw~hnte zu verdeutliehen; a ist ein Stiick normaler Haut von demselben Theile wie b, der raciner Patientin entnommen ist. Beide Pr~parate sind auf dieselbe Weise fixirt und gef~rbt ( B i o n d i ' s Triacid). Ich habe die Unna'sche Methode fiir F~rbung der Plasmazellen (in polyehromem ]~[ethylenblau) benutzt and habe dabei recht zahlreiehe Gruppen blaugef~rbter Zellen hervorgebracht, welche den Plasmazellen U n n a ' s doeh nicht ganz zu entsprechen seheinen. Zum Vergleich habe ieh wohlgelungene derartige Pr~parate aus dem hiesigen pathologisch-anatomisehen Institut gebraucht. Zwar haben mehrere Zellen in meinen Praparaten grosse Aehnliehkeit gezeigt, jedoch sind die meisten k]einer als echte Plasmazellen und man vermisst mœ um den hellercn Kern die dunkle, kSrnige perinucleare Zone. In den Controlpr~paraten normaler Haut treten keine Zellen dieser Art hervor. Epikrisis. Die mikroskopische Untersuchung bat ganz die Richtung genommen, die ich veto rein klinisehen Standpunkte aus vermuthete. Es ist wohl ohne Weiteres klar, dass eine Thyreoideadrrlse der Art, wie ich sic beschrieben, in nicht geringem Grade insufficient sein muss. Die Symp~ome, die ich als myxSdematSs gedeutet habe, beruhœ also naeh raciner Ansicht auf dieser Thyreoidea-Insufficienz. Etwas Anderes ist es, die Paralysis agitans zu erkl~ren. Ich habœ ja gefunden, dass der rœ Lobus der Thyreoidea keiner reinœ Atrophie unterworfen ist, dazu ist er zu gef~ssreieh. Weiter ist der ganze linke Lobus cystisch ver~indert. Unter solchen Verh~ltnissen ist man ja gezwungen anzunehmen, dass das Secret, welches die Drtisen lie 9 pathologisch is~; und dass dieses pathologisehe Secret aus einem se wichtigen Organ, wie die G]andula thyreoidea, bedeutende StSrungen ira Innern des K5rpers and eine dauerndœ und schwere Nervenkrankheit hervorrufen kann, ist ja nieht unmSglich. Der Chemismus der Thyreoidea ist leider noch niche bekannt; wir haben noch keine besgmmten mikrochemischen
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Ein Fall von Paralysis agitans etc.
Reaetionen ffir dieses 0rgan. Der Kliniker setzt doch schon jetzt voraus, dass die Thyreoidea unter pa™ Verh[il~nissen auf verschiedene Weise secernirt, und es komm~ jetz~ auf den Morphologen und M9 an, versehiedene Reae~ionen aufzufinden, welche dieses nachzuweisen ira Stande w~ren. Die Secretion der Thyreoidea kann n~mlich bel benignen und malignen Formen der S~ruma (inclusive Morb. Basedowii) nich~ gleieh sein. Ausserdem giebt es ganz gewiss andere, noch unbekannte Thyreoideakrankheiten (ohne Strum~?).