XIII. Aus dem Alt-Katharinenspital in Moskau. E i n F a l l yon p r i m ~ r e r P a r o t i s t u b e r c u l o s e . Yon
W. Mintz.
Die Arbeit yon L e c 6 n e l ) , welche im April 1901 erschienen ist, registrirt neben einer neuen Beobachtung des Autors nur 7 Ffille yon Parotistuberculose. So jung die Frage an sicb noch ist - - der erste Fall ist 1894 veriiffentlicht --, so geniigt das wenige herangeschaffte Material, um den Speieheldriisen den Nimbus einer Immunit/~t gegen tubereulSse Infection zu nehmen. Was die bekannt gewordenen F/ille in klinischer und pathologischanatomischer tIinsicht darbieten, finder sich in kurzer und priiciser Form im Handbuch der praktischen Chirurgie, Bd. I, 1900 niedergelegt. Daselbst theilt K i i t t n e r den 7. Fall einer Parotistubereulose mit. Die IIauptziige seiner Auseinandersetzungen seien hier kurz wiedergegeben: Die diffuse Form ist h~iui'iger beobaehtet; bei derselben ist die Driise yon Abscessen, resp. Verkiisungsherden durchsetzt. Das iibrige Driisenparenehym pflegt iidematiis, briichig, manehmal fibrSs entartet zu sein. Die cireumscripte Form kommt seltener in Frage, sei es in Gestalt eines kalten Abscesses~ einer Speiehelcyste oder eines begrenzten aussch~ilbaren Tumors (Fall Lee 6n e). Es handelte sich gewShnlich um 13--61j~ihrige, heredit~r n i c h t tuberculSs belastete Individuen. Das Wachsthum der Geschwulst war stets ein langsames. Nut in einem Falle trat nach heftigen Neuralgieen eine Facialisliihmung ein, noch ehe eine Geschwulst sich wabrnehmen liess. Neuralgieen sind 3 real beobachtet worden. Einmal eommunicirte der Abscess mit dem Ausfiihrungsgang der Dr[ise, was zu einer Mischinfection fiibrte. In allen F/illen wurde die richtige Diagnose 1) Un nouvcau cas de tuberculose primitive de la parotide. Revue do chirurgie.
Ein Fall yon prim~irer Parotistuberculose.
291
erst nach mikroskopiseher Untersuehung gestellt. Die Prognose ist bei dem exquisit loealen Charakter der Erkrankung eine gute. Ein Reeidiv in der gegeniiberliegenden Drtise beobaehtete nur de P a o l i . Die einzig rationelle operative Therapie will K t i t t n e r mtigliehst wenig radical angewandt wissen. Ist ein grosset Theil der Driise gffieirt, so soll er naeh M~igliehkeit entfernt werden, unter mdglichster Sehonung der Faeialis~ste. Bei der Brtichigkeit des Gewebes soll das anstandslos gelingen. Dieser Forderung wird jedoeh nieht immer in gleiehem Maasse geniigt werden kSnnen. Ein Beispiel hierfiir ist der welter unten besehriebene Fall, der ein Paradigma ~usserst schwerer tubercultiser Infection der Parofis darstellt. Krankengeschiehte. Yr. 3833. 1901. Die Mutter des 3j~thrigen Jungen leidet an Lungentubereulose. Im Februar 1901 machte er eine Diphtherie durch. Am 5. Mai bemerkte die Mutter links unter dem Backenknoehen eine erbsengrosse sehmerzlose Geschwulst, die zusehends wuchs und allm~hlich die ganze linke Wangengegend einnahm. Das Kind hat hie fiber Schmerzen geklagt~ auch ist Fieber nicht dagewesen. Eine yon mir verordnete 2wSchentliche Jodkalicur liess den Process unbeeinflusst. Am 24. Mai liess sich eine indolente Geschwulst eonstatiren, die sieh streng an die Grenzen der linken Parotis hielt und wie diese sich um den Unterkiefer herum nach der Tiefe erstreckte. Die ttaut fiber der Geschwulst war unver~ndert, frei verschieblieh. An der Papille des Ausfiihrungsganges und auf der 8chleimhaut liess sich niehts Besonderes entdecken. Desgleichen ersehienen Mund- und RaehenhShle gesund keine Stomatitis, tadellose Z~thne, keine Tonsillitis. Das Kind ist ausgezeichnet genahrt, alle inneren Organe erscheinen gesund. Die im Spital controllirte K5rpertemperatur stieg nicht fiber 36,90 Unter der Diagnose einer wahrscheinlich malignen Geschwulst wurde am 27. Mai ein Liingsschnitt auf die Ohrspeicheldriise gemaeht, welcher der Temporalarterie parallel verlief. Die Driise erseheint zum grSssten Theil in brtichiges grauweissliehes, geschwulstiihnliches Gewebe verwandelt. Damit erscheint die Tumordiagnose verificirt und es wird die Totalexstirpation tier Parotis und stark veranderter Parotis accessoria angesehlossen, wobei es gelingt, den Hauptstamm des N. facialis und die zur Augengegend hinziehenden :Nerven~iste zum Theil aus der Geschwulst zu isoliren, bTaht, Tampon im unteren Wundwinkel. - - An den nachfolgenden Tagen blieb die Temperatur normal, es entwickelte sich jedoch Bin betr~ichtliches linksseitiges GesichtsSdem, das nach einigen Tagen verschwand. Am 7. Juni, 11 Tage nach der Operation, wurde Patient mit geheilter Wunde entlassen. Im Facialisgebiet war eine bleibende Paralyse der linksseitigen Gesichtsmuskeln, ferner eine leichte Parese des linksseitigen M. orbicularis orbitae zu constatiren. Tagstlber gelingt votlkommencr Lidschluss nieht - - im Schlaf ist die linke Lidspalte vollkommen gesehlossen. Etwas iiberraschend kam der mikroskopische Befund. Ich untersuchte -
-
292
XIII. MI~TZ
Sttlek% die an 8 getrennten Stellen der Drtise entnommen waren, ebenso die veranderte Parotis aeeessoria. Ieh sehicke voraus, dass ieh gleieh naeh dem Ergebniss der ersten Probesehnitte in den Tamor einen frisehen Sehnitt maehte und den dureh Druck gewonnenen Tumorsaft nach Z i e h l - b l e e l s e n farbte. Es fanden sieh s:iurefeste Baeillen~ die ieh als TuberkelbaeiIlen anspraeh. An den mikroskopisehen Sehnitten fanden sieh folgende Einzelheiten: Schon bei sehwaeher LupenvergrSsserung fallen an den gefarbten Sehnitten in den im Verhaltniss zu den Bindegewebssepten intensiver gefarbten Quersehnitten der Drtlsenlappehen hellere panktf6rmige Inselehen auf, welche versehieden gross~ in den L~ippchen in Ein- oder aueh Mehrzahl enthalten sind. An an' den vielen Pr~iparaten~ die gemaeht wurden, liess sieh kaum sin L~tppehen entdeeken~ das nieht derartige Veranderungen anfwies. Bei mikroskopiseher Betraehtung erwiesen sieh all' die heller gefiirbten Punkte als mitten im Parenehym sitzende Taberkelkniitchen~ welche Riesenzellen in grSsserer hnzahl enthielten. Es liessen sieh alle Stadien yore eben entstehenden Tuberkel bis zur vollkommenen Verdrangung des Driisengewebes und Verk~isung eonstatiren. Die zwisehen den Driisenlappehen gelegenen Bindegewebssepta zeigten stellenweis starke iidematSse Durchtrankuug~ und namentlieh in der Umgebung des starker affieirten Parenehyms waren dieselben dieht kleinzeIlig infiltrirt. Eine im Bindegewebe sitzende initiale Tuberkelbiidung habe ich an all' den vielen Priiparaten nicht finden kSnnen. Ais weiteren Befund erwi~hne ieh noeh yon dichter kleinzelliger Infiltration umg'ebene Ausftlhrungsgange mit stark gesehiehtetem~ stellenweis in kbstossung begriffenem Epithel. Die genannten Veranderungen waren an allen Stricken und an der Parotis aeeessoria wiederzufinden. Die Gefasse wiesen keine endarteriitischen oder adventitiellen Entztlndungsproeesse auf. Nunmshr konnte eine tuberculSse Affection dcr Parotis nieht mehr zweifelhaft erscheinen. Ueber den Infectionsmodus ist noch keine Einigkeit erzie|t. Geg'enfiber S t u b e n r a u c h vertritt z. B. B o c k h o r n (Archiv f. klin. Chir. Bd. LVI. S. 196) auf Grund seiner mikroskopisehen Bsfunde eine primiire Erkrankung des interlobul~iren Bindegewebes~ in welchem er l~iesenzellen~ Epitheloid- und Rundzellen nachweisen konnte. Wenn ein solcher Befund auch fiir meine Pr~parate nicht zutrifft und die Erkrankung sich topographisch streng an das Driisenl~ppchen zu halten scheint, so vermuthen wir trotzdem den Herd fiir die Tuberkelbildung in den feinsten Bindegewebslamellen~ welche die einzelnen Driisenschl~uche yon einander trennen, und die ja anatomisch mit den interlobul~iren Bindegewebssepten zusammenh~ngen. Jedoch kann ich fiir meinen Fall nicht den Einsehleppungsmodus der Infsction zugeben, wie sis B o c k h o r n fiir den seinen annimmt. Er h~ilt ein Aufsteigen der schKdlichen Keime durch den Ausfiihrungsgang der Speicheldriise, entg'egen dem Secretionsstrom nicht gerade fiir unm~ig-
Ein Fqll yon primiirer Parotistuberculose.
293
lieh, al)er ftir unwahrscheinlich. Er setzt des Weiteren auseinander, wie die Infection auf dem l,ymphwege in das Zwisehcngewebe der Parotis dngeschleppt worden ist, wie es ja analoge Untersuehungcn f~ir die Lungentuberculose gezeigt haben wollen. B o c k h o r n nimmt in seinem Falle ein Eindringcn der schitdlichen Keime durch die nicht mehr normalc Mundschlcimhaut an, welch' letztere durch cariSse Zithne und Stomatitis zur Infection l)r/i.disl)onirt ersehien. Solches trifft ftir meinen Fall nieht zu - - keine Spur yon einer 8tomatitis, durchwegs gesunde Ziihne und tadellose Mundtoilette! Wenn ich reich ftir eine , a u s d e m K a n a l s y s t e m d e r D r t i s e e i n g e d r u n g e n e I n f e c t i o n " ausspreche, so geschieht dies erstens wegen der diffusen, streng an das einzelne Driisenl@pchen gebundenen Erkrankung der ganzen Parotis; was an den Bindegewebssepten zu schen war, ist lediglich reactiyer, entziindlicher Vorgang. Es w~tre auch kaum zu verstehen, w~e em den Lymphbahnen entlang kriechender Process, so spurlos am Bindegewebssystem vortibergehend, sich so zielbcwusst nach dem Centrum so gut wie aller Drtisenl@l)chert begeben hat. Zudem 15sst sich an den Priq)araten eine scharfe Abgrenzung zwischen den afficirten L~ippehen und den BindegewebsstrSngen constatiren. Ferner spricht wohl zu Gunsten dieser Auffassung die diffuse Affection der schwer ver~tnderten Parotis aceessoria, welche ja nShcr zur Miindungsstelle, gesondert in den Duetus Stenonianus miindet und damit den cindringenden Infectionskcimen besonders ausgesetzt gewesen ist. Dass die Parotis aeeessoria die erste Infeetionsetappc g'ewescn ist, gcht auch aus der Erzithlung der Mutter hervor, welehe auf im Anfang entstandene kleine Geschwulst unter dem Baekenknochen hinwcist. Erst Sl)itter sehwoll die welter nach aussen geleo'erie Wangengegend an. Fiir das Eindringcn yon Tuberkelbaeillen in den Mund hat es in meinem Fall Gelegenheit genug gegeben - - ich nenne nur das wiederholte Kiissen auf den Mund seitens der ldlthisischen Mutter. Die Tuberkelbacillen bind wohl auf dem Wege durch das Driisenelfithel in die feinsten Bindegewebssepten eingedrungen, mn hier Tuberkelbildung anzurcgen. Veto Kanalsystem aus haben sic die derberen Wandungen grSsserer Ausftihrungsgitnge nieht forciren k~nnen, deshalb sind die intcrlobuliircn Septen auch nicht infieirt worden. Itingegen dnrchdrangen sic offenbar leichter die feine Wand dcr terminalen Driisentubuli und riefen die intralobuliiren Tuberkel hervor. lnwieweit EpithelverSnderungen im Drtisentubulus, Epithelwucherung und Absehuplmng in den Ausfiihrungsgttngen, ldeinzellige Infiltration um sic herren, Residuen der Bacillenwanderung, resp. Reactionserscheinungen seitens der erkrankten Drtise sind -- dariiber litsst sich nur in Vernmtlmngen reden. 3Ioskau, im August-1901.