V. Kleinere 51ittheilungen. 1-.
Ein Fall
yon schwerer
Rachitis.
Von
Dr. F. Steudener in Halle.
(Hierzu Tafel I u. II.) Im Juni d. J. kam in der hiesigen Diakonisscnanstalt die Leiche eines kleinen Miidchcns zur Section, welches daselbst wegen einer hochgradigen R a c h i t i s aufgenommen und an einer hinzugetretenen Pneumonie verstorben war. Das Kind war im Januar 1872 im hiesigen Entbindungsinstitut ausserehelich geboren und voa der Mutter, welche sich als Amine vermiethete, einer sogenannten Ziehefrau in Pfiege gcgeben worden. Von Geburt schon klein und schw~tchlich, litt es viel an h~iufig wiederkeh-rendcn Bronchial- und Darmkatarrhen, und btieb in Folge dessert in Wachsthum und Ern~thrung sehr zuriick. Sehr bald stellten sich Zeicheu vou Rachitis ein. In Folge einer im Juni 1872 erlittenen F r a c t u r des linken Oberarms kam das Kind in die Behandlung der chirurgischen Poliklinik, wo die Fractm. oder Infraction lange Zeit mit festen Verb~tnden behandelt wurde, ohne jedoch eine feste Vereinigung der Bruchenden zu erreichen. Die mehr und mehr hervortretende R a c h i t i s veranlasste endlich die Aufnahme des Kindes in die hiesige Diakonissenanstalt, wo es sehr bald in Folge einer Pneumonie verstarb. !ndem ich den ausftihrlichen Sectionsbefund als unn6thig iibergehe, beschrlinke ich reich auf die Mittheilung der beohachteten K n o c h e n v c r ii n d e r u n g e n. An der Uebergangsstelle der Rippen iu die Rippenknorpel zeigten sich die fib" Rachitis charakteristischen Anschwellungen sehr stark entwickelt. Wenigcr auffallend waren die Verdickungen der Gelenkenden an den Extremitiitenknochen. Die R0hrenknochen an den unteren Extremit~iien zeigten sich fast gar nicht verkrtimmt und wenig biegsam, so dass sic bei ~iusserer Betrachtung nur wenig yon dem Normalen abwichen.
V. Kleinere Mittheilungen.
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Dagegen wtu'en die s ~ t m m t l i e h e n R 6 h r e n k n o e h e n der o b e r e n E x t r e m i t i i t e n a u s s e r o r d e n t l i c h b i e g s a m ~ alswenn sic ausKautselmk bestitnden. Die genauere Untersuchung dieser Knochen ergab nun Folgendes: Der linke Oberarm zeigte ziemlich in dcr Mitte der Diaphyse eine stark winklige Knickung, w~thrend dcr rechte Oberarm und die Knochen der beidcn Unterarme nur eine deutliehe flachc Bogenkrfimmung erkennen liessen. Ein L~tngsdurehschnitt des linken Oberarms, der sieh mit einem dtinhen scharfen Sealpell mit grosser Leichtigkeit anfertigen liess, zcigte ausser den gew6hnlichen raehitischen Verlinderungen an tier Grenze zwischeu Dial)hyse und Epiphyse, die nicht einmal einen sehr hohen Grad darboten, als Ursache der winkligen Eritmmung eine I n f r a c t i o n , welche durch eine m~tchtige Cailusmasse, die sich besonders zwischen den Sehcnkeln des Winkels entwickelt hatte, geheilt worden war (Taf. I u. II. Fig. 1). Der Callus erstreckte sieh eigentlich his zu den Epiphysen den ganzen Raum zwischen den Schenkeln des Winkels in einer fiachen Bogenlinie ausftillend. An tier Bruchstelle war die Markh0hle durch die wuehernden Callusmassen vollst~tndig obturirt. Lctztcre waren aber tiberall yon k a u t schukartigcr B e s c h a f f e n h e i t und liessen sich mit der grOssten Leichtigkeit mit dem Rasirmesser schneiden. In der oberen Epiphyse war noch keine Spur von einem Knochenkern zu bemerken. Auch die anderen Knochen liessen sich leicht mit dem Scalpe|l schneiden, welches nur in der Gegeud der Markh6hle einigeu Widerstand erfuhr. Von I n f r a c t i o n e n war an ihnen keine Spur zu bemerken. Qnersehnitte durch die Mitte der Diaphyse zeigten bei Radius und Ulna die Markh6hle exeentriseh gelegen und den Umriss des Durehschnitts in der Weise veriindert, dass an d e r e o n e a v e n 8 c i t e der K n o e h e n b i e g u n g eine s t / t r k e r e K n o c h e n n c u b i l d u n g odor Knochenwaehsthum stattgehabt hatte, als an den {ibrigen 8tellen der Knochenperipherie. Dadurch war dann die Knochenleiste, welche zum Ansatz des Ligamentum interosseum dient, vollst~tndig verwiseht (Tar. I u. II. Fig. 2). Auch der reehte Oberarm zeigte liings der eoneaven 8cite seiner Biegung ein ahnliehes Verhalten. Bei der enormen Biegsamkeit der Knoehen war kS von lntcresse die feinere histologisehe Beschaffenhcit derselbeu kenncn zu leruen. Die gerknOeherungsgrenzc zwisehen Diaphyse und Epiphysc zeigte die seit Virchow*) und H. 5[tiller**) bekanntcn Befunde, auf die ieh hier nicht weiter einzugehen brauche, da die raehitisehe 8tOrung hier keinen besonders hohen Grad erreiehte und nur bereits Bekanntes darbot. Quersehnitte dureh die Mitte dcr Diaphyse, die sieh am Radius des linken Armes leieht mit dem Rasirmesser anfcrtigen liesseu, liessen folgendes Verhalten erkenuen: DieKnoehensubstanz zeigt durehaus einen s p o n g i S s e u C h a 1,akter, j e d e A n d e u t u u g yon c i n e r e o m p a c t e u R i n d e n s c h i e h t feh lt. In der Markh0hle findet sieh rothes Knoeheumark. Die der Markh6hle zunitehst gelegenen 1,hmehenbiilkehen zeigten ein sehr merk*) Virchow, Das normale Knochenwachsthum uud die rachitisehe Stiirung desselben. Arch. f. path. Anat. V. 409. **) H. Mill lc r, Ueber die Entwickelung dcr Knochensubstanz. Leipzig 1>5S.
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wiirdiges Verhalten. Sic cuthielten niimlich rim' zum Theil echten Knochen; an dieses feine Knoehe~b~tlkehcl~ sehh)ss sieh (lann eine mehr oder we~)iger s/arke Schicht gatlz horn ogenen o s t e o i d e n (~ e w e b e s (K~iocl:enknorpel } an {Tar. I u. II. Fig. 3), wobci der ochre Kno(.hen bald mehr i~ der Mitte, meistens aber exeentrisch gelegen war. Beide Theile setzten sich aber meistens nieht scharf yon einander ab, sondern zeigten einen gatJLz alhnaligeu Uebergang yore kalkfreien (osteoide~) zum kalkhaltigcn (Knoehen-)Gewebe, indem yon ausscn naeh innen zu zun~iehst erst einzelne Kalkkriimel auftreten, die dann immer zahlreieher werden, bis sie sieh schlicsslich zu homogener I~,noehengrundsubstanz verdiehten. An manehen Stellen zeigte sieh indessen dieser Uebergang ziemlieh scharf und pli)tzlieh. Je weiter man sieh nun beim Durehmustern der t~uersehnitte yon der MarkhShle entfernte, desto sparsamer wurden die kalkhaltigen Theile in den Knoehenb~tlkehen. Endlieh hSrten sie g a n z a u f und inder g a n z e n P e r i p h e r i e des K n o e h e n s faaden sieh die Knoehenbiilkehen nur aus o s t e o i d e m G e w e b e ohne jede Spur yon Kalksalzen gebildet. Sie watch ausserdem bier sehr schmal und zeigten an manehen Stellen eine radi~trc Anordmmg. Die Markr~tume zwisehen den Knochenbiilkchen enthietten in der Ntthe der 5[arkhiihIe ebenfalls wie diese rothes Knochenm'trk. In der Peripherie, d. h. im ttusscren und mittleren Drittel des Knochcnquerschnittes setzte sich die osteogenc Schicht des Periost in die weiten Zwischenr~tume zwischen den Knochcnbitlkchen fort (Tar. I u. II. Fig. 4). Die genauere Untersuchung des Knochenmarks ergab, dass dasselbe aus den bekannten runden granulirten Markzellen bestand, sehr reichlich vascularisirt war und der Fettzellen vollstandig entbchrte. Als Belag der inneren Fltiche der Markhiihle fanden sich zahlreiche v i e I k e r n ig e Ri es e n z e l l e n (Osteoklasten K S l l i k e r ' s ) yon verschiedener GrSsse. Sic fanden sich welter aber auch in den mit rothem Knochenmark gefttllten Riiumen zwischen den Knochenbitlkchen ziemlich h~tufig, wo sie ganz besonders den Fliichen der Knochenb~tlkchen anlagen, welche der MarkhShle zugewendet sind. Ich vermisste sic dagegcn ausnahmslos an den der Markh0hle abgewendeten Fl~icbem Die itbrigen Knochen zeigten ein ganz ~tbereinstimmendes Verhalten. Die Catlusmasse des linken Oberarms war ohne jede Spin" von Kalksalzen und repritsentirte in Sehnitten ebenfalls das sch()nste osteoide Gewebe mit sparsamen Markkanalen. In diesem Falle yon Raehitis ist besonders bemerkenswerth der hohe Grad, den die StOrung des normalen Knoehenwaehsthums erreieht, und weleher besonders das periostale Waehsthum der Diaphyse betroffen hat. In Folge dessert ist eine solehe Biegsamkeit der Knoehen eingetreten, wie wir sie nut yon hohenGraden der O s t e o m a l a c i e kennen. Und in der That boten einzelne Stellen der Quersehnitte der Diaphysen eine iiberrasehende Aehnlichkeit mit dem mikroskopisehen Befunde bei der Osteomalaeie (Taf. I u. II. Fig. 3)*). Indesscn liisst sieh doeh aus dem Verhalten vollstitndiger Quersehnitte der Diaphysen leieht zeigen, d a s s e s sieh nieht um ein Versehwinden der Kalksalze aus dem Knoehen, wie bei Osteomalaeie, son*) Vergl. die Abbild. in V o l k m a n n , Krankheiten der Bewegungsorgane, Fig. (}3.
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dern u~n e i n e n M a n g e l an A b l a g e r u n g derselben in der vorgebildeten osteoidon Substanz handelt. Wir fandeu ganz constant die grOsste lXlenge echten Knoehens in der Umgebung der Markhiihle, naeh der Peripherie zu nimmt die Masse derselben mehr und mehr ab und tritt osteoides Oewebe an die Stelle. Es fehlen daher die Kalksalze den jangst gebildeteu 1)eriphcrisehen Theilen des Knoehens vollst~tndig; wetter nach der Markh6hle zu, d. h. in den etwas Nteren Theilen des Knoehens, sind sic nur sparsam vorhanden, endlieh in der Umg-ebung der Markh6hle, also in den 5.1testen Theilen, finden sic sieh am reiehliehsten vor. Mit einer derartigen Erklitrung der mikroskopisehen Befunde stehe ich natiirlich auf dem Boden der itlteren yon V i r e h o w * ) nnd H. Mtiller**) besonders ausgebildeten Lehre des Knoehenwaehsthums dm'eh Apposition. Abet gerade dig Veritnderungen, welehe der Knoehen dureh den raehitisehen Process erleidet, seheinen mir eine direete Stiitze der Appositionstheorie gegeniiber tier neueren you W o l f f * * * ) so exelusiv vertretenen Lehre vom interstitiellen Knoehenwaehsthum zu sein. Naeh dem letzteren wtirde man die Befunde bet der liaehitis kamn befriedigend erkl~tren k6nnen, withrend die Umformung in der inneren Arehitektur der Knoehen sowolll im Laufe des normalen Waehsthums als aueh in Folge pathologiseher Zustande sieh aueh dureh die Appositionstheorie erkli~ren li~sst. Die Resorption der i~lteren Knochensnbstanz, wit sic bet jedem waehsenden Knoehen stattfindct, zeigte sieh aueh bier an dem raehitisehen Knoehen in der Anwesenheit zahlreieher vielkerniger Riesenzellen, deren Bedeutung flit die Knoehenresorption K611iker'~-) und W e g e n e r ' [ ' j ' ) neuerdings Mar gemaeht haben. Ieh ]robe bercits oben ihr Vorkommen gerade an denjenigen Stellen, an welehen naeh der Appositionstheorie eine Resorption von Knoehensubstanz erfolgen muss, erwithnt. Ein anderer Pnnkt, der mir in diesem Falle yon Interesse zu sein seheint, ist die s t a r k e A n b i l d u n g o s t e o i d e n G e w e b e s a n d e r e o n e a v e n S e i t e der verbogenen Unterarmknoehen. Warum es liter, wo keine lnfl'action tier Verbiegung zu Orunde liegt~ zu ether solehen x~erstih'kten osteoiden Wueherung gekommen ist, ist nieht reeht einzusehen. Jedenf~lls berubt auf einem derartigen auf einzelne Stellen besehri~nkten vermehrten l)iekenwaehsthum die Entstehung der eigenthiimliehen A bplattungen der ROllrenknoehen, welehe nach sehwereren Fallen yon Raehitis aueh naeh der Heilung zurtiekbleiben und yon denen V o l k m a n n-i-'['-;-) eine instructive Abbildung gegeben hat. Endlieh ist bemerkenswerth, class nebeu der mehr hervortretenden Erkrankung" der oberer Extremitaten gerade die periostale Seite der raehitisehen St6rung in so iiberwiegender Seite ansgebildet ist, w/ihrend doeh die Ver~tnderungen an der Epiphyse gew6hnlieh die fiberwiegenden zu sein pfiegen. *1 u 1. s. e **) H. Miiller 1. s. c. ***) Wolff, V i r e h o w ' s Arehiv L. S. 3S9. j'i Wiirzburger phys. reed. Gesellschaft. Sitzungsberiehte. ~'t') V i r c h o w ' s Arch. LVI. S. 523. 1tj) V o l k m a n n 1. s. e. Fig. !~1.
1872.
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V. Kleinere Mittheilungen. Erkl:arung
dcr Abbildungen
(Tafel I u. II).
Fig. 1. L i n k e r t i u m e r u s . Litngsschnitt..Nattirliche GrSsse. a. Caput humeri, b Trochlea, c die durch m~tehtige Callusmasse geheilte Infraction. Fig. 2. Querschnitt durch die Mitre des Radius. Vergr. 2. ~t MarkhShle, der dunklere Saum um dieselbe entsprieht der Verbreitung der noch wahren Knoehen enthaltenden spongi(isen Substanz. b Ansatzstelle des Ligamentum interosseum, c starkgewucherte osteoide Substanz der Concaviti~t der Knochenbiegung entspreclhend. Fig. 3. Ein Theil des Knochenquerschnitts nahe tier Mat kh(ihle, Vergr. 100. Die Knochenbiilkchen a bestehen vorzugsweise aus osteoidem Gewebe, im Innern von schmalen Streifen wirklichen Knochens b durehzogen. In den Markrliumen c rothes Knochenmark. Fig. 4. Querschnitt dutch Periost und Knochen. Vergr. 300. a iiussere Faserschicht des Periost, b osteogene 8chicht desselben, c osteoides Gewebe ohne jede Spur yon Kalksalzen, d osteogenes Gewebe zwischen den osteoiden Biilkchen.
. Bericht. V,)n
Dr. J, B. Ullersperger.
Der Secret/ire der Sociedad anatomica espai~ola zu Madrid, Don Francisco V i d a u r r e ver~Jffentlicht in :No. 6 vom 15. April 1873 de el Anfiteatro anatomico espafiol p. 73 unter Ortopedia espafiol eine kurze Besprechung tiber eine Memoria von Don Pedro C o r t y M a r t i , welche in der Sociedad anatomica zu Madrid war vorgelesen worden. Er macht niimlich seine Leser mit ,Feldapparaten" bekannt, erfunden und construirt vom vorgenannten Professor. Sie bestehen aus 12 Metallstiicken you Stahl, vermittels Scharnieren mit einander verbunden, die der Chirurg oder Praktikant nach Belieben wieder zerlegen kann. Es gehSrcn dazu ausserdem 2 Hauptpiecen oder Polsterchen auf 2 Blechplatten mit dreireihigen Schrauben und geeignet, damit den entsprechenden und angezeigten Druck ausiiben zu kiinnen. Sie sind so leicht anzuwenden~ dass sogar jeder Soldat sie seinem Kameraden ohne alle Schwierigkeit anlegen kann auf jede Gegend, jeden Theil, wo sich die Wunde befindet, welehe dadureh comprimirt wird und aus welcher jede Blutung verhindert wird, bis dem Verwundeten tier erste Verband kann angelegt werden. V i d a u r r e beabsichtigt zun~ichst die Aufmerksamkeit competenter Fachgenossen und BehSrden auf die Ntttzlichkeit dieser Apparate zu lenken, bestimmt die Verluste zu verringern, welche das Heer im Felde zu erleiden hat, damit,