Ein Fall yon trachomat~ser I~eubildung im Innern des Auges. Mitgetheilt yon Dr. P a s s a u e r , Stabs. und G~rnisonsarzt in Thorn. Mit einem Zusatz yon Professor Dr. Leber in GSttingen.
Die
dutch lange andauerndes und vernachlassigtes Trachom der Bindehaut gesetztea secundaren StSrungen, denen man in hiesiger Gegend leider nur zu oft begegnet, bestehen mei~tens aus chronischen Entzfindungen tier inneren Gebilde des Auges, ~umal serSser und ~tdh~siver Iritis, auch Chorioiditis unter Vermittlung einer durch die traehomatSse Entztindung gereizten Cornea, welche pannSs, ulcer~s und ektatisch wird. Dass die trachomatSse Bildung als solche auf die Hornhaut iibergreift, kommt zuweilen vor, wenn die Hornhaut unter der Form der pannSsen Entztindung gleichsam eine Fortsetzung der Conjunctiva tr~gt, dass aber die trachomatSse Erkrankung unter gewissen Umstanden setbst bis auf das Innere des Auges, die Chorioidea sich ausdehnen kann, ist bisher noch nicht beobachtet. Deshalb diirfte es den Fachgenossen yon Interesse sein, yon einem derartigen Falle zu lesen.
304 Die unverehelichte M a r i e Schulz aus Friedrichsthai, Kreis Thorn, 21 Jahre alt, trat im Sommer 1869 wegen eines Trachoms in meine ]~ehandlung. Dieselbe will seit 12 Jahren abweehselnd auf den Wangen und auf der Nase an Ausschlag gelitten haben. Vor 9 Jahren erkrankte das linke Auge an einer iiusseren Entztindung, ohne dass dam SehvermSgen dabei gestSrt gewesen wiire. Um Weihnachten 1863 steigerte sich diese Entziindung heftig und setzte um Ostern 1864, wie sich die Kranke ausdrtickte, ,,cinen Htigel am Blauen." Erst mit Auftreten dieser letzten Affection (oftenbar Beginn einer Hornhauterkrankung) traten SehstSrungen ein, Hierauf entwickelte sich allmiilig Erblindung des linked Auges. t)atientin verneint es, bei Beginn tier Krankheit Schmerzen im Auge oder in der Stirn gehabt zu haben. In ~irztlicher Behandluug ist sie nur kurze Zeit gewesen, der dabei betheiligte College weiss sich ihrer nicht mehr zu entsinnen. Als ich die Kranke zum ersten Male sah, hatte sie uuf dam r e c h t e n Auge ein seltenmassiges, derbes und zerkltiftetes Trachom beider Augenlider, ohne Betheilisung der Conjunctica sclerae und der Cornea. Der Bindehautsack des l i n k e n A u g e s war verwachsen, so dass man zwischen den gleichfalls verliitheten Lidr~indern in der Mitte eine etwas mehr als linsengrosse rothgranulirende fl'eie Fl~tche sah, welche, ihrer Lage nach zu urtheilen, der entarteten Cornea angehSren musste. Hinter den etwas zurtickliegenden Augenlidern fiihlte man einen Bulbus yon ziemtich guter Consistenz. Im Uebrigen war eine dicke, scrophulSse Nase bebemerkbar, an deren Flfigeln sich leichte Defecte yon Uleerationen vorfauden. Sonstige Krankheitssymptome waren an dem kr•ftigen Madchen nicht zu entdecken,
305 namentlich waren die Lungen gesund, die Menses regelrecht. Da sich wiihrend der Behandlung des rechten Auges eine Schmerzhaftigkeit des iiberwachsenen linken einsteIIte, dasselbe aueh aufDruck eine erhebliche Empfindlichkeit zeigte, so enucleirte ieh aus Besorgniss vor sympathischem Erkranken den linken Bulbns. Derselbe zeigte sich miissig verkleinert, yon einem dfinnfliissigen Glask(irper angefiillt, ohne Iris und Linse. Die Itornhaut war in traehomatSsem Gewebe ganz aufgegangen, stark verdickt und aa der freien Ftiiche h~ickerig. Yon der ttornhautgrenze aus setzte sich die ~eubildung zwischen Gefassstroma der Chorioidea und Sclera erst in Form einer Zone yon dicht an einander gelagertcn Kiirnern und alsdann tiber den Aequator hinaus und bis nach dem $ehnerveneintritt hin als disseminirte KSrnerbildung fort. Die solitaren KSrnev waren kugelrund, zart, weisslich, durchscheinend, unter einander theilweise durch zarte Fiiden verbunden und lagen meist locker zwisehen Chorioidea and Sclera eingebettet, so dass sie bei vorsichtiger Trennung dieser Hii.ute sowohl an der einen wie an der andern leicht versehiebbar haften blieben. Sie waren yon verschiedener GrSsse, doch hatten die bedeutendsten nur die GrSsse eines Senfkornes. In dem Gefassstroma der Chorioidea sah man ferner einige graue, ftir das unbewaffnete Auge eben noch erkennbare, nieht prominirende Einlagerungen. Bei der mikroskopischen Untersuchung, welche Herr Professor L e b e r gtltigst vervollstiindigte: ergab sich, dass die KSrner aus einem ziemlich gut organisirten Bindegewebe bestaaden, welches innen fest und zellenarm, aussen locker und zetlenreicher war und eine concentrische Schichtung zeigte, wtthrer|d die im Gefilssstroma des Chorioidea liegenden kleinen KnStchen, wohl als Anfangsbildungen anzusehen, noch nicbt aus dem fest v. Gr~efe's Archiv ftir Ol)hthahnologie XIX~ 2,
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306 organisirten Bindegewebe bestandea wie dis grSsseren. Sie zeigten sich als dichtgedrangte Anh~ufang rundlicher einkerniger ZelIen, welche lest zusammenhingen durch eine undeutlich fibrillate und feink~rnige Zwischensubstanz. Sie hatten also mit den ersten Stadien der Miliartuberkeln manehe Aehnlichkeit, doch konnte Herr Professor L e b e r ein kiisig metamorphosirtes Centrum in ihnen nicht entdecken, was mit der progressiven t~ichtung ihrer Entwicklung fibcreinstimmt.*) Die Deutung dieses Falles, welcher nach dem mir schriftlich zugegangenen Ausspruche des verewigten v. Graefe zu den ,,summis curiosis ophthalmologicis" gehSrt, kann unmiiglich eine andere sein, als dass sich dutch die lunge andauernde Verwachsung des Lidsackes unter Vermittelung einer in Granulationsgewebe aufgegangenen Hornhaut die trachomatiise Erkrankung yon yon aussen in das Innere des Auges verbreitet hat. Es spricht ffir diese Anschauang: 1. der I;rankheitsverlauf. Ohne dass Sehstiirangen oder Augenschmerzen zu Beginn der Erkrankung vorhanden waren, entwickelte sich ein Trachom. Dasselbe ging auf die Cornea fiber and leitete dann erst, wie bestimmt ermittelt ist, SehstSrungen ein. 2. Spricht daffir der makroskopische Befund, welcher eine yon aussen nach innen fortschreitende Abnahme des Krankheitsproductes zeigt. Wir sehen den hSchsten Grad der Erkrankung in tier Hornhaut, ~elche ganz in Granulationsgewebe aufgegangen ist; welter naeh inuen in der Gegend des Ciliarkiirpers sind die KSrner schon als solche getrennt unterscheidbar, w~hrend in der dritten Zone, noch ~citer nach hinten, nur vereinzelte K(irner liegen. Erw~gt man endlich, wie das Mikroskop in der *) Vergl. fiber diesen Punkt das unten S. 311 Gesagte (Leber).
307 besprochenen Neubildung Formen dargethan hat, wie sie hiiufig in der Conjunctiva als fibr0se Granulationen gefunden werden, so eriibrigt nichts, was gegen die Auffassung eines ~ yon aussen nach innen fortgeleiteten Trachoms spriiche. Eine andere huffassung, welcher sich hnfangs auch Herr Profi v. Graefe zuneigte, w~ire die, dass sich prim~tr die multiplen Fibrome der Chorioidea entwickelt hiitten, um sich nachher und zufiillig mit dem Trachom zu compliciren. ¥or einigen Wochen hatte ic'h yon Neuem Gelegenheir, die Kranke zu untersuchen. Ihr rechtes Auge tr~tgt ein meist vernarbtes Tr~chom mit beginnendem Pannus corneae. Links ist die Verwachsung der Lidriinder eine vollsfitndige. Thorn im Miirz 1873.