Z Rheumatol 64:198–201 (2005) DOI 10.1007/s00393-005-0543-9
QUALITÄTSSICHERUNG Redaktion: Prof. Dr. E. Genth und Prof. Dr. J. Kekow
K. Herlyn J. Höder W. L. Gross E. Reinhold-Keller
A new patient education program: vasculitis n Zusammenfassung Aus zahlreichen Studien ist bekannt, dass die Schulung von Patienten mit chronischen Erkrankungen als additive Maßnahme effektiv ist. Konzepte zur Patientenschulung basieren auf kognitiven Verhaltenstherapien. In den letzten Jahren wurden in der Rheumaklinik Bad Bramstedt/Universität Lübeck im
Eingegangen: 10. Juni 2003 Akzeptiert: 3. Juli 2003
Dr. med. Karen Herlyn, M.P.H. ()) Dr. phil. Jürgen Höder Prof. Dr. med. W. L. Gross PD Dr. med. E. Reinhold-Keller Medizinische Krankenhausabteilung Rheumaklinik Bad Bramstedt/ Poliklinik für Rheumatologie Universitätsklinikum Schleswig-Holstein Campus Lübeck Oskar-Alexander-Str. 26 24576 Bad Bramstedt, Germany E-Mail:
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Ein neues Schulungsprogramm – ein Statusbericht: Vaskulitis
interdisziplinären Team Seminare in Modulform entwickelt, um Vaskulitis-Patienten Informationen über ihre Erkrankungen, Therapien, Nebenwirkungen, Umgang mit der Erkrankung, Ernährung und Krankengymnastik zu vermitteln. Zur Evaluation des neuen Programms wurde ein Instrument erstellt, das sozioökonomische und krankheitsbezogene Parameter sowie einen Fragebogen zur Messung des Wissenszuwachses beinhaltet und vor, vier Wochen, sechs und zwölf Monate nach Teilnahme an der Schulung dokumentiert wird. Bisher nicht geschulte Patienten werden in geschlossenen Gruppen mit 10–15 Teilnehmern an Wochenenden geschult. An 40 Patienten konnte ein statistisch signifikanter Wissenszuwachs und eine Steigerung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität nach Teilnahme an der Schulung gezeigt werden. n Summary Referring to the literature, it is known that structured standardized patient education represents an effective additional treatment in patients with chronic diseases. Programs are based on
cognitive behavioral interventions. Within the last years an interdisciplinary approach for providing information on disease, therapies, side effects, coping strategies, nutrition and physiotherapy has been developed for patients with primary systemic vasculitides (PSV) in the vasculitis center Medical University of Luebeck/Bad Bramstedt. The contents of the seminars were revised and condensed into five modules. To evaluate the new program a documentation system consisting of patient and physician-administered questionnaires assessing socioeconomic, knowledge and disease-related outcomeparameters has been designed. Patients completed the questionnaires at baseline, 4 weeks, 6 and 12 months after training. First results show statistically significant improvement of knowledge and health-related quality of life. n Schlüsselwörter Patientenschulung – Vaskulitis – Evaluation – Outcome n Key words Patient education program – vasculitis – evaluation – outcome – disease assessment
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K. Herlyn et al. Ein neues Schulungsprogramm – ein Statusbericht: Vaskulitis
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Einleitung
n 1. Ärzte – Medizinisches Wissen
Aus zahlreichen Studien ist bekannt, dass die Schulung von Patienten mit chronischen Erkrankungen als additive Massnahme effektiv ist (6, 7, 10). Aufgrund der Seltenheit der PSV (9) ist es besonders wichtig für den Patienten, seine Krankheit, mögliche Komplikationen, Therapien und Nebenwirkungen der Behandlungen, zu (er)kennen und ggfs. seinen Hausarzt auf z. B. erneute Krankheitsaktivität aufmerksam zu machen, der in der Regel kaum Erfahrung mit diesen Krankheitsbildern hat. Darüberhinaus ist der Patient nahezu immer der Einzige in der Familie oder im Freundeskreis mit dieser chronischen Erkrankung, somit ein Austausch mit anderen Betroffenen nur sehr begrenzt möglich. Das bisher einzige Vaskulitisschulungsprogramm soll durch das Erlernen von Fähigkeiten, mit der Krankheit, der jeweiligen Therapie und möglichen Nebenwirkungen umzugehen, eine Verbesserung des Wissens, der gesundheitsbezogenen Lebensqualität und durch additive Wirkung zur medikamentösen Therapie einen Rückgang der Krankheitsaktivität bewirken. Schwerpunkte liegen in der Früherkennung von Therapiekomplikationen und Rezidiven, noch bevor ein (lebens-) bedrohlicher Zustand eintritt. Die Patientenschulung kann also als sekundäre Prävention verstanden werden, indem Nebenwirkungen von Krankheit und Therapie durch frühes Erkennen vermieden werden. Somit besteht ein weiteres Ziel darin, die Frequenz und Dauer von Krankenhausaufenthalten zu minimieren und im weiteren Verlauf Berentungen und Arbeitslosigkeit zu vermeiden.
Der Patient lernt den Namen ,seiner‘ Vaskulitis, den Unterschied zwischen primärer und sekundärer Vaskulitis, mögliche Organmanifestationen, wichtige Komplikationen wie Niereninsuffizienz, pulmonale Hämorrhagien, Erblindung, Herzinfarkt etc., verschiedene Krankheitsstadien und Frühzeichen eines Rezidivs. Darüberhinaus sollte er über diagnostische Möglichkeiten, Behandlungsmethoden, -nebenwirkungen und -ziele informiert sein. Immunsuppressiva, hierunter Cyclophosphamid (Endoxan), Methotrexat, Leflunomid (Arava), Azathioprin (Imurek) und Corticosteroide sowie deren Haupt- und Nebenwirkungen, Komplikationen und Verlaufskontrollen sollten bekannt sein. Ein weiteres Ziel besteht darin, dem Patienten ein Schema zu vermitteln, wie in Krisensituationen zu handeln ist. Für die regelmäßigen Verlaufskontrollen stehen Vaskulitispässe zur Verfügung, in die der Patient mit seinem Hausarzt gemeinsam wichtige Laborparameter und Dosierungen der aktuellen Medikation eingetragen soll. Je nach Interesse und Fragen werden aktuelle Studienergebnisse aus der Literatur und eigenen Abteilung bekannt gegeben.
Entwicklung des Vaskulitis-Schulungsprogramms Um eine Evaluation und Standardisierung nach den Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (5) zu ermöglichen, wurden fünf Module erstellt, die als Kompaktkurs an einem Wochenende in geschlossenen Gruppen angeboten werden.
Inhalte des Vaskulitis-Schulungsprogramms Allen Disziplinen gemeinsam sind die Ziele, den Patienten zu einer gesundheitsfördernden Verhaltensänderung zu motivieren, Verantwortung zu übertragen und seine Ängste zu mindern (2).
n 2. Pflege Der Patient lernt schwerpunktmäßig praxisnahe Fakten, wie Art und Einnahme von Medikamenten, z. B. die morgendliche Einnahme der Corticosteroide und des Endoxans, korrekte Nasenpflege bei Beteiligung des HNO-Trakts, Festlegen der individuellen täglichen Trinkmenge, Kontrolle von Ein- und Ausfuhr, selbständiges Durchführen von Urinstix-Untersuchungen, Wichtigkeit des Blasenschutzes mit Uromitexan (Mesna) bei Cyclophosphamidtherapie, Nebenwirkungen wie die hämorrhagische Zystitis, Leukopenien, Vorsichtsmassnahmen und Verhaltensregeln bei erhöhtem Infektionsrisiko, Informationen über den Klinikalltag, diagnostischen Maßnahme in der Abteilung und den kooperierenden Universitätskliniken Lübeck und Kiel. Der Patient lernt den Umgang mit dem Vaskulitis-Pass und erhält Informationen über Aktivitäten und Ansprechpersonen der Selbsthilfegruppe.
n 3. Psychologie Patienten können den Unterschied zwischen akzeptieren und resignieren und positive Aspekte des Akzeptierens benennen. Patienten lernen, dass Akzeptieren der Erkrankung ein Prozess ist, der nicht immer gleich gut gelingt und unterschiedlich lang dau-
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Zeitschrift für Rheumatologie, Band 64, Heft 3 (2005) © Steinkopff Verlag 2005
ern kann. Der Patient kann drei Faktoren nennen, die das Akzeptieren erleichtern, z. B. hilfreiche Gedanken, Persönlichkeit, konstruktive Einstellungen, positiver Krankheitsverlauf und sagen, welche Faktoren bei ihm zur Anwendung kommen. Patienten wissen, dass eine Vaskulitis wahrscheinlich nicht durch Stress oder psychische Konfliktsituationen auslösbar ist und können angeben, wie ihr Körper auf Stress reagiert. Patienten können drei Methoden nennen, mit Stimmungsverschlechterungen umzugehen.
n 4. Physiotherapie Ziele des Moduls Krankengymnastik liegen im Erlernen eines Übungsprogramms für zuhause. Der Patient lernt, dass Bewegung Freude machen kann, Leistung und Kondition durch aktive Bewegung gestärkt werden. Er lernt, seine individuelle Leistung und Grenzen seiner Leistungsfähigkeit einzuschätzen, wie häufig und lange er trainieren kann/sollte und welche Atemübungen und Regeln der Rückenschule für ihn sinnvoll anwendbar sind.
n 5. Ernährung Der Patient lernt Gründe, seine Ernährung so umzustellen, damit die Erkrankung günstig zu beeinflussen. Er ist in der Lage, Nahrungsmittel zu benennen, die sich positiv oder negativ auf die Entzündung auswirken können. Er wiederholt Nebenwirkungen einer Kortisontherapie und wie sich diese durch entsprechende Ernährung verhindern lassen. Die Gestaltung der einzelnen Module erfolgt möglichst abwechslungsreich, basierend auf den Schilderungen persönlicher Erfahrungen als Grup-
pengespräch und Diskussion, Brainstorming, Sammeln von Fragen und Antworten an der Tafel oder auf Metaplankarten, um den Patienten angesichts des Informationsvolumens nicht zu überfordern. Theoretische Fakten werden in Kurzvorträgen, die nicht länger als 20 Minuten/Stunde betragen sollten, vermittelt. Ein Handordner mit den wichtigsten Inhalten auf Folien steht zur Verfügung (3).
Evaluation und Ergebnisse Die Evaluation des Schulungsprogramms erfolgt derzeit mit einer Studie im Prä/Post-Design in der Rheumaklinik Bad Bramstedt, und wurde als Projekt im Bereich Versorgungsforschung des Kompetenznetzes Rheuma (C 5.3) gefördert. Eingeschlossen werden Patienten mit einer PSV nach Chapel-Hill Definition (4) und einer Krankheitsdauer von mindestens drei Monaten. Gewährleistet sein müssen Sprachverständnis und Motivation. Neben standardisierten Instrumenten wie dem Birmingham Vasculitis Activity Score (BVAS) zur Messung der Krankheitsaktivität (8), dem Disease Extent Index (DEI) zur Erfassung der Krankheitsausdehnung (1), dem Short Form 36 (SF-36) zur Bestimmung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität (11), Fragen zum sozioökonomischen Status, zur Berentung, Krankheitstagen, Frequenz von Arztbesuchen und Laborparametern wurde ein Instrument zur Erfassung des Wissens entwickelt. Mit 16 „Wissensfragen“ werden Aspekte zu den Krankheiten, Therapien, Nebenwirkungen und ihrer Vermeidung, Krankengymnastik und Ernährung erfragt. Die maximal erreichbare Punktzahl beträgt 45. 40 Patienten, die in vier Gruppen zwischen 9/2001 und 2/2003 geschult wurden (45% Männer, 55% Frauen, durchschnittliches Alter 54,5 Jahre), verbes-
Tab. 1 Inhalt der Module in der Übersicht Modul
Disziplin
Inhalte
1
Ärzte/Pflegepersonal
2
Ärzte/Pflegepersonal
3
Psychologen
4
ErnährungsberaterIn
5
PhysiotherapeutIn
Vaskulitisarten (Wegener’sche Granulomatose, Churg-Strauss-Syndrom, mikroskopische Polyangiitis, Riesenzellarteriitis, Polyarteriitis nodosa, Schoenlein-Henoch-Purpura, Takayasu), Symptome, lebensbedrohliche und andere Manifestationen, diagnostische Maßnahmen, immunologische Hintergründe, Aetiologie, Prognose und präventive Maßnahmen Behandlung: Corticosteroide, Wirkungen, Nebenwirkungen, Prävention von NW, Stadien der Krankheitsaktivität, Remission, Rezidiv, Verlaufsparameter, Vaskulitispass Krankheit und Stress, Akzeptieren einer chronischen Erkrankung, Krankheitsbewältigung, Entspannungstechniken, Abhängigkeit von anderen durch physische Funktionsstörung, soziale und berufliche Aspekte bei chronischen Erkrankungen Ernährung bei Corticosteroidtherapie und eingeschränkter Nierenfunktion, Fettsäuren, Antioxidantien, individuelle Ernährungsumstellung Verbesserung der Leistungsfähigkeit, Muskelkräftigung, Erlernen eines individuellen Programms für zu Hause, Atemübungen, Rückenschule
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Abb. 1 Wissen vor (T0), vier Wochen (T1), 6 (T2) und 12 Monate (T3) nach der Schulung
serten ihr Wissen in den Bereichen Medizin/Pflege, Physiotherapie und Ernährung statistisch signifikant (Abb. 1) und dokumentierten eine Steigerung der gesundheitsbezogenen LQ in allen Dimensionen nach 6 und 12 Monaten. Der bei T1 gemessene Wissenszuwachs konnte auch nach 6 (T2) und 12 Monaten (T3) nachgewiesen werden. Das Leistungsvermögen
veränderte sich nicht signifikant. Geschlechtsspezifische Unterschiede konnten nicht beobachtet werden. Auch die Krankheitsdauer hatte keinen Einfluss auf den Wissenszuwachs. Die endgültigen Ergebnisse an 80 geschulten Patienten und der Langzeitverlauf sind abzuwarten.
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