OSC (2009) 16:220–227 DOI 10.1007/s11613-009-0128-6 DISKURS
Ausgelernt? Professor/innen im Prozess der Professionalisierung Johannes Wildt
Zusammenfassung: Haben Professor/innen ausgelernt, wenn sie auf eine Professur berufen werden? Die Frage lässt sich mit nein beantworten, wenn man den Erkenntnisfortschritt in den spezialisierten Fachgebieten durch Forschung als Lernen betrachtet. Eher scheint dies für die Aufgaben in Lehre und Hochschulmanagement zuzutreffen. Auffällig ist hier jedenfalls eine weitgehende Enthaltsamkeit von Professor/innen in der Wahrnehmung von Weiterbildungs- und Beratungsangeboten. Lernen findet hier vorwiegend beiläufig, im „learning by doing“ statt. Professionalisierung wird jedoch erst dann im vollen Sinne erreicht, wenn sich Kompetenzen auch in diesen Aufgabenbereichen entwickeln. Wie dies durch Lernen in Weiterbildung und Beratung unterstützt werden kann, ist zentrale Aufgabe der akademischen Personalentwicklung. Schlüsselwörter: Professor/innen · Professionalisierung · Lernprozesse
Finished to learn? Full professors in the process of professionalization Abstract: Do university teachers have finished to learn, when they are hired for a position as full professor? That seems to be false, if you look at knowledge enrichment by research as learning. For Teaching and management it seems more justified. Factually full professors very seldom participate at corresponding continuing education or consulting. Learning takes place mostly on the side as learning by doing. Professionalization in a full sense however is only realized, if competences are developed also in these fields. As corresponding learning can be supported by continuous education and consulting is a very important task of academic personnel development. Keywords: Full professors · Professionalization · Processes for learning
© VS-Verlag 2009 Prof. Dr. Dr. h.c. J. Wildt ( ) TU Dortmund, Hochschuldidaktisches Zentrum, Vogelpothsweg 78, 44227 Dortmund, Deutschland E-Mail:
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1 Zum Tätigkeitsspektrum und zur beruflichen Laufbahn von Professor/innen Kaum ein Beruf zeichnet sich durch eine vergleichbare Vielfalt in den Aufgabenfeldern, Komplexität von Anforderungen und Höhe in den Leistungsansprüchen aus wie der von Professor/innen. Professor/innen forschen und entwickeln dabei oft eine hochgradig spezialisierte Expertise in ihrem Fachgebiet. Sie lehren und beraten Studierende im Rahmen der Studiengänge und vertreten dabei ihr Fachgebiet nicht nur in ihrer spezialisierten Expertise, sondern auch in der durch die Studiengänge geforderten fachlichen Breite. Mehr oder weniger umfangreich sind sie darüber hinaus an Verwaltung und Selbstverwaltung der Universitäten beteiligt. Im Rahmen von Leitungsfunktionen übernehmen sie dabei Führungsverantwortung gegenüber wissenschaftlichem und nichtwissenschaftlichem Personal. Nicht selten sind sie auch außerhalb der Hochschule in Beratung, Weiterbildung, mit dem Verfassen von Gutachten oder in Unternehmen tätig. Alle diese Tätigkeiten unterliegen im Zuge der Hochschulentwicklung einem tief greifenden und teilweise rasanten dynamischen Wandel. Mit der Berufung wird den Professor/innen die Zuständigkeit zugeschrieben, sie auch verantwortungsvoll auszuüben. Man könnte also erwarten, dass sich die Professor/innen sorgfältig und umfassend auf diese verantwortungsvollen Tätigkeiten vorbereiten und sich fortlaufend die Kenntnisse und Fähigkeiten aneignen, die sie instand setzen, sie den Anforderungen der Praxis entsprechend auch auszuüben. Zweifel sind daran angebracht. Auch wenn einflussreiche Wissenschaftsorganisationen wie der Wissenschaftsrat (2008) oder die Hochschulrektorenkonferenz (2008) in ihren Empfehlungen auf das Erfordernis hinweisen, den sich wandelnden Anforderungen an den Beruf von Hochschullehrer/innen Rechnung zu tragen, scheint die herrschende Praxis davon weit entfernt. Ausschlaggebend in den Berufungsverfahren sind – wenn man einmal von der Wirksamkeit von Seilschaften oder Schulenbildung absieht – nach wie vor die Leistungen in der Forschung und deren Passfähigkeit zu der fachlichen Konstellation in den berufenden Fakultäten. Die meisten Hochschulangehörigen, die wie der Autor über lange Jahre im akademischen Senat einer Hochschule alle Berufungsverfahren bis in die jüngste Vergangenheit verfolgt haben, dürften wohl zu dem übereinstimmenden Schluss kommen, dass die Kriterien, die jenseits der wissenschaftlichen Publikationen liegen (möglichst gemessen an Zitationsquoten und ausgewiesenen Reviewverfahren, den durchgeführten Forschungsprojekten und eingeworbenen Drittmitteln, der Platzierung auf möglichst internationalen Kongressen und der Übernahme von Ämtern in Fachgesellschaften und Forschungsorganisationen), höchstens ceteris paribus zum Zuge kommen, dann nämlich wenn sich mit den Forschungsleistungen keine Berufungsentscheidungen differenziert begründen lassen. Erst dann haben Lehr- oder Leitungs- bzw. Selbstverwaltungserfahrungen überhaupt eine nennenswerte Chance, entscheidungsrelevant zu werden. Aber auch in diesen Fällen scheint es lediglich auf die Erfahrungen anzukommen. Die Qualifikation für die Lehre oder Selbstverwaltung wird an der Praxis in diesen Tätigkeitsbereichen abgelesen, nicht aber an nachweisbaren Bemühungen, sich für die Ausübung dieser Praxis systematisch Kenntnisse und Fähigkeiten anzueignen. Die jungen Wissenschafter/innen, die den so genannten Wissenschaftlichen Nachwuchs für die Professor/innen bilden, sind sich dieser Lage sehr bewusst. Zwar beteiligen sie sich mittlerweile in beachtlichem Umfang an hochschuldidaktischer Weiterbildung; eine
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repräsentative Internetbefragung von Schmidt (2007) zählt über 50% an Universitäten. Wie die Erfahrungen aus der Praxis der hochschuldidaktischen Weiterbildung und Beratung jedoch immer wieder zeigt, wissen sie ziemlich genau, an welchem Maß sie in ihrer beruflichen Karriere in Hochschulen letztendlich gemessen werden. Auch wenn – was erheblich seltener vorkommt – Angebote zur Personalentwicklung im Bereich des Hochschulmanagements durchgeführt werden, wie etwa im vergangenen Jahr ein Modul zum „Hochschulmanagement Postdocs“1 (das sind promovierte wissenschaftliche Mitarbeiter/ innen, die eine Hochschulkarriere anstreben), so läuft auch hier als Subtext immer mit: Auf die Forschung kommt es an. Alles andere bleibt dem persönlichen Engagement jedes Einzelnen überlassen. Ja, es wird mitunter als abträglich für die eigene Karriere angesehen, zuviel Engagement außerhalb der Forschung zu zeigen. Dies – so die Befürchtung – könne, wenn nicht als Eingeständnis von persönlichen Problemen, so doch mindestens als Zeitvergeudung oder fehlgesteuerte Motivation interpretiert werden. Nicht selten wird dann unter der Hand oder nebenbei erzählt, dass ein solches Engagement nicht gerne gesehen werde, manchmal auch ohne Kenntnis der Vorgesetzten wahrgenommen werde.
2 Die Vertretung des Fachs als Kern professoralen Selbstverständnis der Professor/ innen Ins Bild passt da der auf den ersten Blick vielleicht irritierende Befund, dass sich nach Enders & Teichler (1995) – jedenfalls noch Mitte der 90er Jahre, spätere repräsentative Erhebungen liegen für die deutschen Hochschulen nicht vor – ca. 85% der Professor/innen gut oder sehr gut für die Lehre vorbereitet fühlen, für die im Übrigen im Durchschnitt genauso viel Zeit aufgewendet wird wie für die Forschung. Dieses Selbstbild herrscht mit leichten Abstrichen im Übrigen auch unter Professor/innen an Fachhochschulen vor, deren Dienstaufgaben stärker durch Lehraufgaben geprägt sind.2 Erklärungsbedürftig ist es, dass zwar auf der einen Seite sich etwa hochschuldidaktische Weiterbildungs- und Beratungsangebote einer zunehmenden Nachfrage unter dem wissenschaftlichen Nachwuchs erfreuen, sich die Bereitstellung solcher Angebote auch zusehends verbreitet (Battaglia 2008) und ihre Ausweitung von besagten Wissenschaftsorganisationen gefordert wird, dass aber die Rekrutierung von Professor/innen auf der anderen Seite davon nahezu unberührt bleibt. Unter Professor/innen herrscht offensichtlich eine Berufszufriedenheit, die – von Ausnahmen abgesehen – nur wenig Bereitschaft erkennen lässt, sich außerhalb der Forschung systematischen Lernanstrengungen zu
1 Das Modul wurde mit Beteiligung des Verfassers in der Regie der drei Ruhruniversitäten Bochum, Dortmund und Duisburg-Essen durchgeführt. 2 Die hier mitgeteilten Beobachtungen und Reflexionen beziehen sich im Wesentlichen auf Erfahrungen des Verfassers mit Professor/innen an Universitäten. Die Rekrutierung von Fachhochschullehrer/innen aus der beruflichen Praxis außerhalb von Hochschulen schafft andere Voraussetzungen. Da in dieser Laufbahn nicht regelmäßig Erfahrungen mit der Lehre wie beim wissenschaftlichen Nachwuchs in den Universitäten vorausgesetzt werden kann, ist die Akzeptanz dort auch offensichtlich größer, in der beruflichen Eingangsphase hochschuldidaktische und hochschulmanagementbezogene Weiterbildung anzunehmen.
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unterziehen. Die Zählebigkeit dieser Auffassung verweist auf eine tiefe Verankerung in der Mentalitätsgeschichte in der Berufsgruppe der Professor/innen. Einen Aufschluss gibt die Wortbedeutung der Berufsbezeichnung „Professor“ – der an dieser Stelle in seinem maskulinen Genus verwendet wird, da dieser Beruf bis weit ins letzte Jahrhundert exklusiv Männern vorbehalten war –, eine Berufsbezeichnung, die sich vom lateinischen „profiteri“ herleitet, das seiner etymologischen Herkunft nach soviel wie „laut und öffentlich erklären“, bzw. fateri „sprechen, kundtun“ (Kluge 1995: 648) bedeutet. In der klassischen Rollenkonfiguration an den Hochschulen steht dieser Professor den Studenten gegenüber, die – nach der Wortbedeutung von „studere“ – aus eigenem Eifer „sich um etwas bemühen, betreiben“ (Kluge 1995: 804). Man mag füglich bezweifeln, dass die in diesem Bedeutungsgehalt zum Ausdruck kommende Arbeitsteilung, der entsprechend die einen, die Professoren, das Wissen verkünden und damit öffentlich zugänglich machen, um das die anderen, die Studenten, sich dann selbstständig bemühen, die tatsächlichen Rollenkonfigurationen an den Hochschulen jemals adäquat beschrieben hat. In ihr scheint aber die Entwicklung des heute vorherrschenden Selbstverständnisses von Professor/innen angelegt zu sein, ihre vornehmliche Aufgabe sei, ihr jeweiliges Fach zu vertreten. Professor/innen tun dies, indem sie das Wissen, für das sie zuständig sind, nach den Regeln, die in ihrem Fach gelten, theoretisch und empirisch generieren bzw. prüfen und damit den wissenschaftlichen Rationalitätsstandards verpflichtet in der Öffentlichkeit vertreten. Insofern verstehen sie sich vornehmlich als Sachwalter des Fachs, für das sie berufen sind, und folgen damit der Funktionsbestimmung des „kognitiven Komplexes“ der Wissenschaft, wie ihn Parsons & Platt (1964) als Charakteristikum der Universität herauskristallisiert haben. Verpflichtet sind Professor/innen demnach dem zentralen gesellschaftlichen Wert der „Wahrheit“, an dessen Verwirklichung sie nach allen Regeln der wissenschaftlichen Kunst in dem ausdifferenzierten System der Wissenschaft(en) arbeiten.
3 Fachvertretung und Beziehungsarbeit – eine professionelle Sicht der Professur Im Sinne der Funktionsbestimmung in Bezug auf den zentralen gesellschaftlichen Wert der Wahrheit lässt sich die Tätigkeit von Professor/innen der Klasse der Berufe zu ordnen, die gemeinhin auch im Anschluss an Parsons & Platt als „Professionen“ bezeichnet werden. Allerdings werden im herrschenden Sprachgebrauch der Professionstheorie Professionen zwar mit Bezug auf die Verwirklichung zentraler gesellschaftlicher Werte definiert. Die Verwirklichung dieser Werte ist in der Regel aber mit „personenbezogenen Dienstleistungen“ (Stichweh 1994; Combe, Helsper 1996) verbunden. Paradigmatisch stehen dafür die Ärzte, die Gesundheit als Wert in der Dienstleistung gegenüber ihren Patienten, oder Rechtsanwälte, die den Wert der Gerechtigkeit in der Dienstleistung gegenüber ihren Klienten verwirklichen. Sie tun dies, indem sie ihren Patienten zur Gesundheit bzw. ihren Klienten zu ihrem Recht verhelfen. Sie begrenzen die Teilhabe an den jeweiligen Werten allerdings immer in Rücksicht auf gesellschaftliche Verantwortung. Insofern wirken sie an der Inklusion bzw. Exklusion in Bezug auf die Teilhabe an den gesellschaftlichen Zentralwerten mit.
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In diesem speziellen Sinn einer Zugehörigkeit zu Professionen als Bezeichnung für Berufe mit der Funktion personenbezogener Dienstleistung ist dieses Selbstverständnis von Professor/innen unzureichend. Die Beschränkung auf die Vertretung ihres Fachs im Bezug auf den kognitiven Komplex der Wissenschaft klammert die für die spezielle Professionskonzeption grundlegende Auffassung aus, das sich die Praxis der Berufsausübung in sozialen Beziehungen abspielt. Erst eine bewusste Wahrnehmung und Ausgestaltung dieser Beziehungen macht aus Professuren Professionen. Um die Professur zu einer Profession weiterzuentwickeln, bedarf es einer Erweiterung des Rollenverständnisses und der Kompetenz von Professor/innen. Dies soll im Folgenden kurz am Beispiel der hochschuldidaktischen Kompetenz erläutert werden, ist aber im Grundsatz auf alle anderen Beziehungsaspekte im Tätigkeitsspektrum von Professor/innen verallgemeinerbar.
4 Hochschuldidaktik als Beziehungsarbeit Im Unterschied zur eingeschränkten Selbstdefinition durch die Vertretung des jeweiligen Fachs betrachtet die Hochschuldidaktik die Grundkonstellation von Lehre und Studium immer im Dreieck zwischen Lehrenden, Wissensdomäne und Studierenden.(vgl. dazu Wildt 2002). Lehre ist dabei nie nur die Lehre des Fachs als die mehr oder weniger geordnete Organisation der im Fach enthaltenen Wissensbestände. Ihre Funktion ergibt sich vielmehr aus ihrem Bezug zum Studium als Lernprozess der Studierenden. Von hochschuldidaktischer Warte wird Lehre insofern immer unter dem Gesichtspunkt der Lernförderlichkeit betrachtet. Dazu bedarf es nicht nur einer Ausrichtung der Lehre an den Rationalitätskriterien der in Frage stehenden Wissenschaft. Vielmehr geht es gleichzeitig um die Teilhabe der Studierenden am zentralen gesellschaftlichen Wert der Bildung (im Falle der Universität: Bildung durch Wissenschaft). Eine professionelle Auffassung von Lehre vollzieht dabei einen „Shift from Teaching to Learning“ von einer lehrenden – zu einer studierendenzentrierten Konzeption (Wildt 2004; Welbers, Gaus 2005). Studieren wird dabei durchaus im Anschluss an das oben skizzierte Verständnis eines „studere“ als selbstverantworteter, – organisierter bzw.gesteuerter Lernprozess verstanden, durch den die Studierenden am Wert der Bildung durch Wissenschaft teilhaben. In einer konstruktivistischen Perspektive lassen sich die einzelnen Lernenden als Konstrukteure ihres Wissens und Könnens auffassen, das in sozialen Beziehungen entsteht. Ein solcher Prozess ist von mannigfaltigen Unsicherheiten im Hinblick auf Ziel, Anforderungen, Weg, Möglichkeiten und Hindernisse begleitet. Deren Bewältigung ist an einen Vertrauensvorschuss seitens der Lernenden gegenüber den Lehrenden gebunden. Die Lehrenden sind in diesem Prozess nicht nur die Experten für das Fach, sondern haben die Aufgabe, Lernarrangements zu treffen und Lernumgebungen zu schaffen, in denen sich die Studierenden zielgerichtet bewegen können. Die Hochschuldidaktik hält dafür eine Fülle von Handlungsmustern bereit, die eine Vielzahl von Konzepten aktiven Lernens von problembasierten, über fallbezogenen, projektorientierten bis hin zu forschenden Lernkonzepten umfassen (vgl. Berendt, Voss, Wildt 2002 ff.). Zweifelsohne fallen den Lehrenden dabei klassische Vermittlungsaufgaben einer instruktionalen Lehre zu, ihre Rolle verschiebt sich aber in dem Maße, in dem die Studierenden Verantwortung
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für ihre Lernprozesse übernehmen, hin zu Beratung und Begleitung von Lernprozessen. Lehre in diesem Sinne ist demnach als personenbezogene Dienstleistung immer auch Beziehungsarbeit. Der Gedankengang lässt sich mutatis mutandis auch auf andere Arbeitsbeziehungen übertragen, die das Tätigkeitsspektrum von Professor/innen prägen. Insbesondere ist dies augenfällig in der Ausübung von Leitungsfunktionen im Rahmen von Projekten, Instituten, Fakultäten oder der gesamtuniversitären Ebene, die eine Verantwortung für von Ihnen abhängige Beschäftigte einschließen. Verwaltung und Selbstverwaltung, in denen diese Beziehungen reguliert werden, sind einem ebenso tief greifenden Wandel ausgesetzt wie die Beziehungen zu den Studierenden. Verantwortliches Handeln von Vorgesetzten auch in Universitäten kann ohne akademische Personalentwicklung (vgl. Pellert, Widmann 2006) nicht mehr auf dem „state of the art“ einer professionellen Berufsauffassung von Professor/innen gedacht werden.
5 Weiterbildung und Beratung im Prozess der Professionalisierung Professionellen wird Kompetenz in zweifacher Bedeutung zugeschrieben. Einerseits erhalten sie die Zuständigkeit zur Ausübung einer bestimmten, in diesem Fall professionellen Praxis. Mit dieser Kompetenzzuschreibung wird andererseits auch die Erwartung verbunden, über die erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeit und Bereitschaft zu verfügen, diese auch verantwortlich einzusetzen. Wo diese nicht hinreichend entwickelt sind, bedarf es gezielten Lernens. Wie wir gesehen haben, wird Professor/innen mit der Berufung die Zuständigkeit für die Vertretung des Fachs und die Gestaltung der Lern- und Arbeitsbeziehungen zugeschrieben. Für die Vertretung des Fachs als „kognitivem Komplex“ werden die Lernprozesse, die zu dem erforderlichen Kennen und Können führen, durch Qualifikationsnachweise (Promotion, Habilitation oder habiltationsäquivalente Leistungen) nachgewiesen und durch die Forschungsleistungen dokumentiert. In der Berufstätigkeit im Rahmen der Professur zeigt sich dann durch die Erarbeitung weiterer Forschungsergebnisse und ihre öffentliche Vertretung in Publikationen und auf Kongressen, inwieweit die Fachkenntnisse erweitert wurden, mithin aus den gewonnenen Erkenntnissen gelernt wurde. Der Lernprozess, der die soziale Seite, also die Gestaltung von Lern- und Arbeitsprozessen betrifft, verläuft demgegenüber traditionell auch heute noch vergleichsweise informell und autodidaktisch als „learning by doing“, gewissermaßen beiläufig in der Praxis. Sicher kann ein solches Lernen im günstigeren Fall zur Kompetenzentwicklung beitragen. Es bleibt aber lediglich auf dem Niveau von gering reflektiertem, implizitem Erfahrungswissen bzw. „tacit knowledge“. Zwar wird seit einigen Jahren versucht, mit verschiedenen Evaluationsprozeduren auf die Qualität der Lehre einzuwirken. Aus Metastudien ist jedoch bekannt, dass diese Maßnahmen häufig wirkungslos bleiben. Ihre Wirksamkeit ist daran gebunden, dass sie mit einem lernförderlichen Feedback und insbesondere mit Unterstützungsangeboten für die betroffenen Lehrenden verbunden werden (vgl. Szczyrba, Wildt 2009).
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Hochschuldidaktische, aber auch auf andere Aspekte der sozialen Beziehungen ausgerichtete Weiterbildungs- und Beratungsangebote werden in immerhin wachsendem Umfang von Angehörigen des wissenschaftlichen Nachwuchses wahrgenommen. Workshops, die nach bundesweit in der Deutschen Gesellschaft für Hochschuldidaktik (vormals Arbeitsgemeinschaft für Hochschuldidaktik) abgestimmten Standards (Wildt 2006) die wichtigen Themenbereiche des Lehrens und Lernens, der Prüfung, Beratung und Innovation in Lehrveranstaltungen umfassen und dabei in einer teilnehmer-, erfahrungs- und handlungsorientierten Konzeption gestaltet sind, werden durch unterschiedliche hochschuldidaktische Beratungsformate wie Consulting, Coaching und Supervision ergänzt (Wildt, Szczyrba, Wildt 2006). Die Konzeptionen sind mittlerweile so entwickelt, dass es sich lohnen dürfte, sie im Sinne des Wissenschaftsrates und der Hochschulrektorenkonferenz flächendeckend auszuweiten, wie dies in avancierten Ländern, insbesondere in Nordeuropa und dem anglophonen Sprachraum, heute schon der Fall ist. Die praktizierten Formate zeigen dabei interessante Möglichkeiten, das informelle und autodidaktische Lernen mit den formellen Lernangeboten produktiv zu verbinden und dabei das implizite, stillschweigende Erfahrungswissen aus der Praxis in explizites und reflektiertes Wissen umzuwandeln. Was zurzeit relativ erfolgreich in wachsendem Umfang vom wissenschaftlichen Nachwuchs angenommen wird, kommt bei berufenden Professor/innen nur in Ausnahmefällen an. Eine systematisch aufgebaute und mit einem Zertifikat abgeschlossene Weiterbildung, wie sie beispielsweise in Bayern, Baden-Württemberg, Niedersachsen oder NordrheinWestfalen mit dem wissenschaftlichen Nachwuchs praktiziert wird, scheint für Professor/ innen wenig Anreiz zu bieten. Unter Zuhilfenahme von Erfahrungen aus Weiterbildung und Beratung mit einer Klientel in höheren beruflichen Statuspositionen muss es deshalb darum gehen, angemessene Formate einer Weiterbildung und Beratung für Professor/ innen zu entwickeln und anzubieten. Dazu könnten z. B. zählen: 0
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überschaubare Zeitformate, wie z. B. die so genannten brown bag lunches, die in faculty clubs in amerikanischen Universitäten üblich sind, Einladungen angesehener Fachvertreter zum Erfahrungsaustausch, mit professionellen Weiterbildnern oder Beratern inszenierte „Kamingespräche“, überhaupt individuelle Gesprächsangebote, die in kontraktierten Einzelcoachings übergehen können, oder auch die Einbindung in anspruchsvolle Studienreformprojekte, oder die Übernahme von Mentorenfunktionen gegenüber dem wissenschaftlichen Nachwuchs mit Unterstützung durch professionelle Berater, Angebote an individuellem Coaching.
Erst mit solchen niedrigschwelligen Angeboten, die klug an die vorhandenen Kompetenzen (im erwähnten doppelten Sinne von Zuständigkeiten und Kenntnissen bzw. Fähigkeiten) anschließen, lassen sich Professor/innen schrittweise in Lernprozesse verwickeln, bis sie aus der dabei gewonnenen Erfahrung zu der Erkenntnis gelangen, dass es sich auch im Hinblick auf die Gestaltung sozialer Beziehungen, nicht nur im Hinblick auf die Weiterentwicklung des Fachs innerhalb und außerhalb der Hochschullehre lohnt weiter zu lernen.
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Literatur Battaglia, S. (2008). Auf dem Vormarsch – die Hochschuldidaktik bahnt sich ihren Weg, Forschung und Lehre 15 (9), 602–603. Berendt, B., Voss, H-P. & Wildt, J. (Hrsg.) (fortlaufend seit 2002). Neues Handbuch Hochschullehre. Berlin: Raabe. Combe, A. & Helsper, W. (Hrsg.) (1996). Pädagogische Professionalität: Untersuchungen zum Typus pädagogischen Handelns. Frankfurt/M.: Suhrkamp. Enders, J. & Teichler, U. (1995). Berufsbild der Lehrenden und Forschenden an Hochschulen – Ergebnisse einer Befragung des wissenschaftlichen Personals an Hochschulen. Bonn: Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie. Hochschulrektorenkonferenz (HRK). Für eine Reform der Lehre in den Hochschulen. Bonn 22.4. 2008 (Entschließung). Kluge, F. (1883). Etymologisches Wörterbuch. Berlin/New York: Walter de Gruyter (24. Aufl., 2002). Parsons, T. & Platt, G.M. (1973). The American University. Cambridge, MA.: Harvard University Press. Pellert, A. & Widmann, A. (Hrsg.) (2006). Personalmanagement in Hochschule und Wissenschaft. Münster: Waxmann. Schmidt, B. (2007). Personalentwicklung für junge wissenschaftliche Mitarbeiter/innen. Kompetenzprofil und Lehrveranstaltungsevaluation als Instrumente hochschulischer Personalentwicklung. Universität Jena: Dissertation. Stichweh, R. (Hrsg.) (1994). Wissenschaft, Universität, Professionen: soziologische Analysen. Frankfurt/M.: Suhrkamp. Szczyrba, B. & Wildt, J. (2009). Hochschuldidaktik im Qualitätsdiskurs. In R. Schneider, B. Szczyrba & J. Wildt (Hrsg.), Zum Wandel der Lehr-Lernkulturen an Hochschulen (S. 190–205). Bielefeld: Bertelsmann. Welbers, U. & Gaus, O. (Hrsg.) (2005). The Shift from Teaching to Learning. Bielefeld: Bertelsmann. Wildt, J. (2004). Vom Lehren zum Lernen. In B. Berendt, H-P. Voss & J. Wildt (Hrsg.), Neues Handbuch Hochschullehre. Berlin: Raabe, 2002, Griffmarke A. 3.1. Wildt, J., Szczyrba, B. & Wildt, B. (Hrsg.) (2006). Einführung in die hochschuldidaktischen Beratungsformate – Consulting, Coaching und Supervision. Bielefeld: Bertelsmann. Wissenschaftsrat (2008). Empfehlungen zur Qualität von Lehre und Studium. Köln: Für eine Reform der Lehre in den Hochschulen, www.hrk.de/109_4298.php. Prof. Dr. Dr. h.c. Johannes Wildt, Hochschullehrer, Professur für Hochschuldidaktik und Lehrerbildung, kooptiert in der Fakultät für Erziehungswissenschaft und Soziologie der TU Dortmund.