Publizistik (2017) 62:241–242 DOI 10.1007/s11616-017-0329-5 BUCHBESPRECHUNG
Julia Niemann: Risiken und Nutzen der Kommunikation auf Social Networking Sites. Theoretische Modellierung und empirische Befunde auf Basis der „Theory of Reasoned Action“ Köln: Herbert von Halem Verlag 2016. (Reihe Neue Schriften zur Online Forschung, 14). 424 Seiten. Preis: C 34 Teresa K. Naab Online publiziert: 16. März 2017 © Springer Fachmedien Wiesbaden 2017
Selbstoffenbarung auf Social Networking Sites (SNS) ist in gewissem Maße notwendig, um an einem Netzwerk teilzuhaben und Gratifikationen daraus ziehen zu können. Julia Niemann hat sich in ihrer Dissertation der theoretischen Modellierung und empirischen Prüfung von Einflüssen auf das Selbstoffenbarungsverhalten auf Facebook gewidmet. 2014 wurde sie dafür mit dem Herbert von Halem-Nachwuchspreis für ein vielversprechendes Dissertationsprojekt ausgezeichnet. Die Arbeit folgt einem klassischen Aufbau. Die Autorin erarbeitet zunächst eine detaillierte Konzeption der Konstrukte Privatsphäre und Selbstoffenbarung. Sie stützt sich auf einen aufschlussreichen Überblick über bisherige theoretische Konzeptionen und den empirischen Forschungsstand und weiß diese gekonnt zu integrieren. Sie begegnet damit dem Desiderat, dass Privatsphäre zwar häufig thematisiert, aber selten expliziert wird. Entsprechend führt sie eine Konzeption von Selbstoffenbarung aus. Sie bezieht dabei deren Häufigkeit, Intimität, inhaltliche Breite, Valenz und Authentizität als zentrale Dimensionen ein und erweitert die bisherige Forschung, die vorrangig Umfang und Zugänglichkeit von Informationen betrachtet hat. Anschließend erörtert Julia Niemann die Risiken, die sich für die soziale und institutionelle Privatsphäre auf SNS ergeben können. Sie arbeitet den Forschungsstand zu Umfang, Inhalten und Reichweite des Selbstoffenbarungsverhaltens auf SNS umfassend auf und reflektiert über die methodischen Herausforderungen. Damit präsentiert sie wertvolles Material für Anschlussforschung. Julia Niemann löst sich dezidiert von einem alleinigen Fokus auf Risiken von SNS für die Privatsphäre und stellt auch die potenziellen Gratifikationen aus der Nutzung heraus. Bei der em-
Dr. T. K. Naab () Institut für Medien, Wissen und Kommunikation, Universität Augsburg, Universitätsstraße 10, 86159 Augsburg, Deutschland E-Mail:
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pirischen Prüfung stellt sich das als Vorteil heraus, denn die Autorin kann zeigen, dass das Verhalten auf SNS sich plausibel aus der Nutzen-Risiko-Abwägung ergibt. Wie das scheinbar paradoxe Verhältnis von Wunsch nach Privatsphäre einerseits und die Offenherzigkeit der Kommunikation andererseits nahelegt, kann nicht von einem unmittelbaren Zusammenhang von Vorstellungen und Verhalten ausgegangen werden. Julia Niemand führt deshalb im zweiten Teil ihrer theoretischen Überlegungen die Theory of Reasoned Action als Rahmenmodell für die Erklärung des Selbstoffenbarungsverhaltens ein. Auch hier gibt sie einen umfassenden, wohl reflektierten und gut strukturierten Überblick über den Forschungsstand. Zusätzlich greift die Autorin eine Entwicklung auf, die im Zusammenhang mit Rational Choice-Ansätzen verstärkt Berücksichtigung findet: Sie integriert die Habitualisierung des Verhaltens als zusätzlichen Einflussfaktor auf Selbstoffenbarung in das Modell. Tatsächlich zeigen auch ihre empirischen Ergebnisse, dass das Selbstoffenbarungsverhalten auf Facebook nur teilweise unter willentlicher Kontrolle erfolgt. Im bruchlos an die theoretischen Überlegungen anschließenden empirischen Teil der Arbeit führt Julia Niemann eine aufwändig konzipierte und schlüssige, standardisierte Befragung in zwei Panelwellen durch. Eine Befragung zu dem vorliegenden Untersuchungsgegenstand trägt sich mit grundsätzlichen Validitätsproblemen, die die Autorin angemessen reflektiert. Letztlich ist die methodische Herangehensweise für die Forschungsfrage jedoch alternativlos. Anders als einige Vorgängerstudien beschränkt sich Julia Niemann explizit nicht auf Jugendliche, sondern wählt Erwachsene bis 69 Jahre als Grundgesamtheit. Unter anderem findet sie Hinweise, dass nicht Jüngere, sondere Ältere unbedarfter auf Facebook kommunizieren. Bezüglich der detailreichen Ergebnisse seien interessierte LeserInnen auf die Dissertationsschrift selbst verwiesen. Diese enthält zusätzlich aussagekräftige und differenzierte Quantifizierungen des Selbstoffenbarungsverhaltens auf Facebook. Julia Niemann kann die Anwendbarkeit der Theory of Reasoned Action auch für ihren Untersuchungsgegenstand belegen. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Arbeit auf einer weitgehend bekannten Theorie fußt. Sie zielt weniger auf eine Weiterentwicklung eines theoretischen Ansatzes ab, als auf die fundierte Beschreibung und Erklärung eines Phänomens. Die Dissertation liefert dazu wohlreflektierte und klar dargestellte Erkenntnisse. Sie dürfte für KommunikationswissenschaftlerInnen ebenso wie für VertreterInnen angrenzender Forschungsbereiche, MedienpädagogInnen und -praktikerInnen eine nützliche Ressource darstellen. Dr. Teresa K. Naab ist Akademische Rätin a. Z. am Institut für Medien, Wissen und Kommunikation der Universität Augsburg.
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