PRAXIS
Kaizen-Controlling – Konsequente Verknüpfung von prozess- und ergebnisorientiertem ProduktionsControlling Werner Hug
Von der kontinuierlichen Verbesserung der Ergebnispotentiale zur Steigerung des Free Cash Flow Imai, der Nestor des KAIZEN postuliert „Das prozess-orientierte Denken überbrückt die Kluft zwischen Prozess und Ergebnis, zwischen Zweck und Mittel, zwischen Zielen und Maßnahmen und verhilft Mitarbeitern zu einer ganzheitlichen und vorurteilsfreien Sichtweise“… „[Durch KAIZEN wird sich]… die allgemeine Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens langfristig entscheidend verbessern“ (Imai 1993, S. 44). Dass KAIZEN (und artverwandte Konzepte wie KVP, TPM und TQM oder Reengineering und Empowerment, die im Folgenden vereinfachend ebenfalls mit der Bezeichnung KAIZEN umfasst werden sollen) zwangsläufig zu besseren Ergebnissen führt, wie von Imai implizit unterstellt, wird nicht nur von den Protagonisten des Balanced Scorecard Konzepts Kaplan/Norton bezweifelt (Kaplan/Norton 1997, S. 145). Auch in Deutschland gibt es zahlreiche Unternehmen, bei denen solche Verbesserungsprogramme zu reinem Selbstzweck verkommen (Weber/
● Immer häufiger stellt sich die Frage ob, wo, wann und in welcher Höhe sich positive Effekte von KAIZEN-Projekten im Betriebs- und Finanzergebnis niederschlagen. ● Controller müssen ein konsequentes Kaizen-Controlling betreiben; nur so wird es gelingen, die im Rahmen von kontinuierlichen Verbesserungsprozessen erarbeiteten Ergebnispotentiale auch finanzwirksam umzusetzen. ● Controller müssen die Chancen ergreifen, die sich aus den sich ergänzenden Management-Konzepten der BSC und des KAIZEN-/TQM ergeben. Insbesondere Produktions-Controller müssen eng mit dem Qualitätsmanagement zusammenarbeiten. ● Hierbei können Controller ihre Stärken ausspielen: Leistungsgrößen in Geldgrößen zu überführen. Gleichzeitig müssen sie lernen, Geldgrößen in Leistungsgrößen umzusetzen. ● Controller müssen in der Lage sein, Kaizen-Controlling und ManagementErfolgsrechnung zukunftsweisend und strategieorientiert mit einander zu verzahnen. ● (Produktions-)Management und (Financial) Controlling sollten vorurteilsfrei über eine organisatorische Verknüpfung von Produktions-Controlling und Qualitätsmanagement nachdenken.
Schäffer 2000, S. 8) und immer häufiger stellt sich das Top-, aber auch das Mittel-Management die Frage ob, wo und wann sich die positiven Effekte von KAIZEN-Projekten (vgl. Wildemann 2002, 387 f.) im Finanzergebnis niederschlagen.
Prof. Dr. Werner Hug lehrt seit 1997 an der Fachhochschule Südwestfalen im Fachbereich Technische Betriebswirtschaftslehre, Haldener Straße 182, 58095 Hagen, Controlling und Supply Management.
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Kaizen-Philosophie und Wertstrom-Design – Prozessperspektive der BSC Eine systemorientierte KAIZEN-Philosophie lässt sich durch folgende Zielsetzungen charakterisieren (vgl. Imai 1993):
Das Controlling von Geschäftsprozessen sowie Controlling-Themen des Supply Management bilden den Schwerpunkt seiner Forschungstätigkeit. E-Mail:
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• Umstellung von der Push- zur PullFertigung, • Fertigung im Kundentakt (Just-inTime-Fertigung mit Losgröße 1 und kürzesten Rüstzeiten) bei kurzen Durchlaufzeiten und hoher Flexibilität, • Verbesserung der Lieferperformance (Lieferzeit und Liefertreue) und gleichzeitig eine • geringere Anzahl von Transporten, Buchungen (Lagerentnahmen, Fertigmeldungen u. ä.) und Lagervorgängen bei drastisch reduzierten Beständen, • Verbesserung der Qualität u. a. durch Flussfertigung (One Piece Flow) und transparente klar strukturierte und segmentierte Produktion, • Steigerung der Produktivität und Reduzierung des Ressourcenverbrauchs (bessere Kapazitätsnutzung, reduzierte Investitionsvolumina, weniger Fläche, geringerer Personaleinsatz, bessere Ausbeute usw.). Der KAIZEN-Ansatz von Imai wurde von Rother/Shook (2000) und Rother/ Harris (2001) konzeptionell und systematisch durch das Value-Stream-Mapping weiterentwickelt. Das ProduktionsManagement muss sich demzufolge im Sinne eines ganzheitlichen Ansatzes – unternehmensübergreifend – mit der Verknüpfung von Informations-, Materialfluss und Produktionsprozess auseinandersetzen (zur Einbeziehung der Lieferanten vgl. Hug 2001). Erst die intensive Auseinandersetzung mit größeren Abschnitten des Wertschöpfungssystems eröffnet Optionen für den großen Sprung nach vorn. Um der Komplexitätsfalle zu entfliehen, ist eine Segmentierung der Wertschöpfungsprozesse nach Produktfamilien sowie eine Analyse im Gegenstromverfahren (Pull-Prinzip) zu empfehlen.
Konsequente Vernetzung von Controlling- und KAIZEN-/TQM-Know-how Wenn Controlling eine Antwort auf die Frage „Welchen Beitrag leistet KAIZEN zur Steigerung des Shareholder Value?“ geben will, dann muss das ProduktionsControlling prozess- und ergebnisorien-
Abbildung 1: Ursache-Wirkungszusammenhänge KAIZEN und Balanced Scorecard
tiertes Controlling verknüpfen und die Ursache-Wirkungsketten von der Innovations- und Lernperspektive über die Prozess- und Kundenperspektive konsequent bis zur Finanzperspektive zu Ende denken (vgl. Abbildung 1). KAIZENControlling muss folglich zukunftsorientiert jene Leistungstreiber identifizieren und mit Kennzahlen hinterlegen, die den strategisch-operativen Führungsprozess bestmöglich unterstützen. Controlling muss somit überprüfen, ob und unter welchen Bedingungen sich eine verbesserte Performance nachweisbar im FreeCash-Flow niederschlagen (kann). Diese Forderung wird in der Controlling-Praxis nur selten erfüllt. Häufig ist KAIZEN eine ausschließliche Domäne des Quality Management, dem viele (Financial)Controller häufig noch skeptisch gegenüberstehen. In diesem Zusammenhang muss auch intensiv über die organisatorische Einbindung des funktionalen (Produktions-)Controlling nachgedacht werden. Wenn man der These folgt, dass TQM (KAIZEN) und BSC zwei sich ergänzende Managementkonzepte sind (vgl. Töpfer 2000, S. 311– 332 sowie Scheibeler 2001), dann darf auch die organisatorische Verschmelzung von Qualitäts-Management und funktionalem (Produktions-)Controlling kein Tabu mehr sein. Damit könnte ein maßgeblicher Beitrag zur Überwindung ingenieurwissenschaftlicher und betriebswirtschaftlicher Sprach- und Kommunikationsbarrieren geleistet und
zugleich Synergien im Performance Measurement realisiert werden. Controlling muss aufzeigen, mit welchen zeitlichen Verzögerungen und in welchem Umfang sich Erfolge der Leistungsebenen (Innovations-/Lernperspektive, Struktur-/Prozessperspektive, Kundenperspektive) in finanziellen Erfolgen niederschlagen. Dies setzt ein tiefes Verständnis finanz-, kosten- und leistungsrechnerischer Wirkungszusammenhänge voraus. Eine höhere Produktivität (verringerte Leistungsinanspruchnahme bei konstanter Ausbringung – erhöhte Ausbringung bei konstanter Leistungsinanspruchnahme) bedeutet nicht zwangsläufig eine Reduzierung der Kosten und/ oder der Auszahlungen oder eine sofortige Steigerung von Erlösen, Erträgen oder/ und Einzahlungen (vgl. Abbildung 2). Die frühzeitige Einbindung des Controlling in Wertstrommanagement-Workshops bietet die Chance, dass sowohl die Zielprojektion als auch der Ressourcenbedarf der mit dem Wertstromdesign verbundenen Projekte unmittelbar in den laufenden Controllingprozess mit eingebunden werden kann. Folgende Fragen sind zu beantworten: 1. „Wie kommt das KAIZEN-Team zu seinen Zielsetzungen? – Was sind die Benchmarks?“, 2. „In welcher Zeit soll das Team die gesetzten Ziele erreichen?“, 3. „Werden die avisierten Ziele in der vorgegebenen Zeit erreicht werden?“, 4. „Mit welchen Kennzahlen soll die Zielerreichung für wen (Mitarbeiter, Leitungsebene, Top-Management) 47. Jg. 2003, H.3 | Controlling & Management | ZfCM
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Abbildung 2: Systematische Verknüpfung Performance Measurement – Potentiale & Ressourcen – Finanzund Betriebsergebnis – Cash Flow
gemessen werden?“, und 5. die vor allem interessierende Frage: „Wann und in welchem Umfang schlagen sich die vornehmlich auf der Prozessebene gemessenen Leistungssteigerungen in der Kundenund vor allem in der Finanzperspektive nieder?“ Ergebnis solcher Workshops sind oft deutliche Leistungssteigerungen (vgl.
Abbildung 3). In der Euphorie der zu erwartenden Erfolge wird allerdings häufig übersehen, dass diese Projekte teilweise erhebliche personelle und finanzielle Ressourcen binden. Häufig wundert sich das für die Projekte verantwortliche Management über eine mangelnde Würdigung der „nachweislich realisierten Erfolge“ durch das Produktions-Con-
Abbildung 3: Beispiele für ein visualisiertes Leistungs- und Kaizen-Controlling
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trolling. Es ist Aufgabe des Controlling dieses scheinbare Paradoxon aufzulösen, indem Projektcontrolling und laufendes Kosten- und Erlöscontrolling miteinander verzahnt und aufeinander bezogen werden. Ein konsequentes BSC- bzw. KaizenControlling, das einerseits Motivation, Begeisterung und Engagement der Mitarbeiter anfeuert und beflügelt und andererseits die nachhaltig positive Einwirkung auf die Finanzperspektive konsequent im Auge behält, tut Not. Die erzielbaren Performance-Verbesserungen (Teil A – Abbildung 4) sind gut messbar und können so durch mitarbeiterorientiert aufbereitete visualisierte Kennzahlen einen hervorragenden Beitrag zum Self-Controlling leisten (vgl. Abbildung 3). Ein Nachweis, dass die erarbeiteten Performanceverbesserungen auch finanz- bzw. (betriebs-) ergebniswirksam werden, ist damit allerdings nicht erbracht. Wann und wie sich die in den visualisierten Kennzahlen (vgl. Wildemann 2001, S. 353 ff.) zum Ausdruck kommende Leistungssteigerung im Finanzergebnis niederschlagen, muss jeden Controller interessieren. Andernfalls besteht die Gefahr, dass er bei zunehmender Prozessorientierung an der Wertschöpfungsbasis – im Produktionsbereich – unter Legitimationsdruck gerät (vgl. Weber/Schäffer 2000, S. 253 ff.). Controller müssen ihre Stärken ausspielen: Leistungsgrößen in Geldgrößen umsetzen. Im Mittelpunkt stehen dabei, gemäß ihrer erfolgswirtschaftlichen Bedeutung, Personal-, Bestandsund Raumkosten, Qualitätskosten sowie Investitionen und Abschreibungen (s. u.). Am besten kann sich Controlling dann einbringen, wenn es gelingt das Controlling-Know-how sinnvoll mit dem KAIZEN- bzw. TQM-Know-how zu verknüpfen. In der Praxis hat sich folgende Vorgehensweise bewährt: (Produktions-)Controlling muss das typische Kennzahlen-Tableau zum Performance Measurement (vgl. Abbildung 4 – Teil A) konsequent hinsichtlich Ergebnis-Relevanz und Ressourcen-Einsatz ergänzen (vgl. Abbildung 4 – Teil B [rot]), um so die scheinbaren Widersprüche zwischen deutlicher Leistungssteigerung und (noch)
nicht realisierten Ergebnispotentialen aufzulösen bzw. zu erklären. Gleichzeitig lässt sich damit eine oft klaffende Lücke im strategischen Handlungsrahmen – Verknüpfung von Leistungskennzahlen mit (finanziellen) Anreizen – schließen: Controller und Manager lernen damit nämlich auch wesentlich gezielter Geldgrößen in finanzwirksame Leistungsgrößen zu übersetzen. Dies könnte die Problematik Ursachen-Wirkungs-Zusammenhänge und Anreiz-/Prämiensysteme (vgl. Schäffer/Weber 2000, S. 8) nachhaltig abschwächen, vor allem dann, wenn es gelingt diese Erkenntnisse mit dem Half-Life-Konzept (vgl. Schneidermann 1988) und einem erweiterten Benchmarking-Verständnis (vgl. Wildemann 2002, S. 372 – 384) gemäß TCOPrinzipien (vgl. Elram 1999) zu verknüpfen.
Motivation, Personalbedarf und Personalkosten Quelle des Erfolgs aller KAIZEN-Workshops ist die Motivation und das Engagement der beteiligten und letztendlich betroffenen Mitarbeiter. KAIZEN profitiert von einer Gewinnermentalität. Doch der Erfolg darf keine Verlierer produzieren. Die Zusage von Beschäftigungsgarantien gehört somit zu den Spielregeln erfolgreicher KAIZEN-Workshops. Da in den Workshops regelmäßig Produktivitätssteigerung in erheblichem Umfang herausgearbeitet werden (vgl. Abbildung 3 und 4), stellt sich die Frage, ob und wie sich diese positiven Effekte im Betriebsergebnis niederschlagen. Personalkosten reduzieren sich nicht automatisch mit der verringerten zeitlichen Inanspruchnahme. Mitarbeiter-Ressourcen sind zeitlich befristet zur Verfügung stehende Potentiale, die vertragsgemäß zu entlohnen sind, solange gültige Arbeitsverträge bestehen. Personalkosten sind Bereitschaftskosten, selbst wenn sie aus kalkulatorischen Gründen und zum Zwecke der Verhaltenssteuerung wie variable Kosten behandelt werden. Unmittelbar ergebniswirksam umsetzen lässt sich die Leistungssteigerung nur, wenn im gleichen Maße die Absatzmen-
Abbildung 4: Kennzahlen-Tableau Performance-Verbesserung Value Stream Mapping (Teil A = Standard QM-Ansatz, Teil B = notwendige Controlling-Ergänzung)
gen steigen. Gleiche Preise unterstellt steigen Umsätze und Deckungsbeiträge proportional zur Leistungssteigerung. Gleiche Effekte treten auf, wenn Produktivitätssteigerung 1:1 in einen Abbau von Überstunden oder Zusatzschichten umgesetzt werden können. Kann eine 1:1Umsetzung nicht realisiert werden, besteht die Gefahr, dass Produktivitätssteigerung ergebnisunwirksam verpuffen. Durch ein systematisches Erfassen der erarbeiteten mitarbeiterwirksamen Produktivitätssteigerungen – eingesparte Lohnstunden und sonstige Mitarbeiterzeiten – in Potential-Bilanzen (PersonalPool) kann dem Verpuffungseffekt entgegengewirkt werden. Dabei ist es zweckmäßig, die Potentiale nach Mitarbeiterqualifikationen zu differenzieren (vgl. Abbildung 5), denn immer öfter werden auch administrative Bereiche – Arbeitsvorbereitung, Bestellabwicklung, Disposition – durch KAIZEN-Projekte optimiert.
Die Gegenüberstellung der durch unterschiedliche KAIZEN-Projekte erarbeiteten Personal-Ressourcen und deren Verwendung, differenziert nach unterschiedlichen Verwendungskategorien, bringt die notwendige Transparenz, um beurteilen zu können, wie sich personalrelevante Produktivitätssteigerung letztendlich auf das Betriebsergebnis auswirken. Ein Teil der durch KAIZEN-Aktivitäten freigesetzten Personalressourcen werden für die Aufrechterhaltung des Prozesses selbst benötigt. Ein weiterer Teil wird für den Aufbau neuer Aktivitäten benötigt: ergebnissteigernde Erhöhung der Fertigungstiefe, Reduzierung von Fremdleistungen usw. Nur jener Teil, der zur Besetzung vakanter Stellen und der Befriedigung von Ersatzbedarf (Personalabgang durch Fluktuation und Ruhestand) herangezogen wird, schlägt sich sofort und unmittelbar positiv im Be47. Jg. 2003, H.3 | Controlling & Management | ZfCM
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Abbildung 5: Potential-Bilanz „erarbeitete Personal-Ressourcen“ und „Nutzung erarbeiteter PersonalRessourcen“
triebsergebnis nieder. Zur Optimierung der Ergebnisse ist eine Verknüpfung mit dem Personalbedarfsplan und somit die Zusammenarbeit mit dem Personalmanagement ebenso unerlässlich wie die konsequente Einarbeitung der Kostensenkungspotentiale in die Budgets der Folgeperiode. Damit wäre ein erster Schritt hin zu einer Erfolgspotentialrechnung im Sinne einer strategieorientierten Ergänzung und Erweiterung der kurzfristigen Erfolgsrechnung (vgl. Schweitzer/Küpper 1998, S. 694 ff.) getan. Zudem könnte so eine Brücke zwischen unterschiedlichen Denkschulen der Erlös- und Kostenrechnung – moderne Konzepte der Vollkostenrechnung vs. Einzelkosten- und Deckungsbetragsrechnung – geschlagen werden (Vgl. Hug 2003).
Logistik, Bestandsund Raumkosten Eine systemorientierte KAIZEN-Philosophie revolutioniert logistische Strukturen und Abläufe. Kurze Wege und rollende Bestände (Roll-Container) machen oft teure Fördereinrichtungen überflüssig (vgl. z. B. Rother/Harris 2001, S. 45 f.). Alte prozess-untaugliche und raumgreifende Lager- und Logistiksysteme müssen verschrottet und durch neue KANBANtaugliche Systeme ersetzt werden. Bestände müssen um obsoletes Material bereinigt werden, Lagerhüter verschrottet, abgewertet oder für den Wiedereinsatz im
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Produktionsprozess vorbereitet oder einer anderweitigen Verwertung zugeführt werden. Dies kann soweit gehen, dass Fertigwarenbestände von entfernten Standorten zurückgeholt werden, damit eine erfolgreiche Umstellung von der Pushzur Pullfertigung gewährleistet werden kann. In dem Maße, wie abfließende Bestände zu einem reduzierten Materialzufluss führen, wird der Abfluss finanzieller Mittel für den Materialeinkauf geringer. Durch die Verminderung des Working Capital steigt unter sonst gleichen Bedingungen der Free Cash Flow. Einfluss auf das Betriebsergebnis hat dies zunächst nicht, da Materialkosten (gemäß wertmäßigem Kostenbegriff) und Materialaufwand davon unberührt bleiben. Anders sieht dies bei Verschrottungen und Abwertungen aus. Der aus diesen Maßnahmen resultierende Aufwand (abzüglich etwaiger Schrotterlöse) belastet das Betriebsergebnis unmittelbar, nicht jedoch den Cash Flow. Weitere Effekte sind zu berücksichtigen. Reduzierte Bestände reduzieren Kapitalbindung und Zinsaufwand. Das Finanzergebnis wird entlastet, die Inanspruchnahme von Lagerkapazitäten reduziert. Freiflächen entstehen und können anderen Verwendungen zugeführt werden. Dies wiederum kann sich entlastend hinsichtlich notwendiger Gebäudeinvestitionen auswirken. Gleiches gilt für Layoutoptimierungen, die sich aus modifizierten Fertigungspro-
zessen ergeben (vgl. Abbildung 4). Analog zu einem Personal-Ressourcen-Pool empfiehlt es sich, Flächen-Bilanzen aufzustellen (vgl. Abbildung 5). Positive Effekte bezüglich Ergebnis und Cash Flow lassen sich am ehesten dann erfassen, wenn die Freiflächenverwendung in einen Flächenbedarfsplan eingearbeitet wird. Zu einem unmittelbaren positiven Ergebnis- und Cash-Flow-Effekt kommt es dann, wenn die freie Fläche vermietet werden oder angemietete Flächen aufgegeben werden können. Die Herstellkosten werden entlastet, wenn andere Unternehmensbereiche die Freiflächen nutzen, ob dadurch auch die kalkulierten Selbstkosten reduziert werden – Umlagenproblematik! – sei dahin gestellt. Den positiven Effekten steht entgegen, dass bei Layout-Bereinigungen oft übersehen wird, dass Investitionen in eine neue hoch flexible Infrastruktur (Anschlüsse für Energieversorgung, Datennetzwerke, Entsorgung etc.) einen entsprechenden Finanzmittelbedarf induzieren, mit daraus resultierenden Abschreibungen. Gleichfalls ist zu beachten, dass obsolete Infrastruktureinrichtungen gegebenenfalls aufwändig zurückzubauen, zu verschrotten und ebenfalls ergebnisbelastend abzuschreiben sind. Etwaige Kosten bzw. Aufwendungen – insbesondere der damit einhergehende Bedarf innerbetrieblicher Leistungen – sind zu ermitteln und dem zu erwartenden Nutzen gegenüber zu stellen.
Anlagen, Investitionsbedarf und Abschreibungen Teilweise dramatische Konsequenzen ergeben sich aus KAIZEN-Projekten für bestehende Anlagenkonzeptionen. Montagelinien werden durch Fertigungsinseln in U-Form abgelöst, teilweise unter Verwendung einzelner Bearbeitungsstationen des bisherigen Anlagenkomplexes. Überdimensioniert komplexe Steuerungseinheiten und Transporteinrichtungen werden überflüssig und müssen verschrottet werden. Hieraus resultieren oft Vorteile für die Instandhaltung: weniger komplex und weniger teuer. Immer häufiger übernehmen auch Maschinenbediener (einfachere)
Instandhaltungsarbeiten, z. B. Wartung und Inspektion. Einfacher konzipierte Maschinen sind weniger anfällig und damit wird automatisch eine höhere Betriebsmittelnutzung möglich (Vgl. Hartmann 1997). Das Investitionsvolumen kann infolge einfacher Maschinenkonzepte häufig zurückgefahren werden. Allerdings sind nicht alle Anlagenhersteller bereit, Konzepte für solch ein Lean Investment aktiv zu unterstützen und entsprechende Lösungen offensiv zu vermarkten. Dies führt dann oft zu langen Umsetzungszeiten von der Idee bis zur betrieblichen Nutzung. Veränderte Anforderungen an die betriebliche Anlagenwirtschaft (Männel 1988, S. 1– 51) sind die Folge. Zu bewältigende Aufgabeninhalte unterliegen einer deutlichen Wandlung. Insbesondere das Zusammenwirken von Anlagenbeschaffung, Anlagen(weiter)entwicklung, Anlageninstandhaltung und Anlagenausmusterung/-Ersatz muss im Hinblick auf die neuen Anforderungen intensiviert werden. Umbau und Ergänzung bestehender Anlagen werden bei eingeschränktem Marktangebot zu Veränderungen bezüglich Personalbedarf und Arbeitsinhalt der Instandhaltung als einem Kernelement der Anlagenwirtschaft führen. Hier besteht die Chance, das durch KAIZENAktivitäten freigesetzte Personal mit hochwertigen Aufgaben zu vertrauen (vgl. Abbildung 5). Insgesamt kann bezüglich der Anlagenkosten konstatiert werden, dass sich die Kapitalkosten (Abschreibungen plus Zinsen) sowie die Instandhaltungskosten, möglicherweise auch die Energiekosten rückläufig entwickeln werden, mit entsprechenden Verbesserungen des Betriebsergebnisses und des Free Cash Flow. Kurzfristig stehen diesen positiven Effekten jedoch häufig das Betriebsergebnis belastende außerordentliche Abschreibungen gegenüber.
Controlling-Konsequenzen für die Kosten- und Erlösrechnung Ein konsequentes KAIZEN-Controlling muss aufzeigen können, dass BSC-kon-
Abbildung 6: ROCE läuft dem ROI voraus
forme KAIZEN-Projekte eine deutliche Reduzierung der Maschinenstundensätze und damit auch der Herstellkosten zur Folge haben. Bei entsprechender Aufbereitung und Darstellung der aus diesen Projekten resultierenden Effekte kann schon kurzfristig der Nachweis geführt werden, dass sich Betriebsergebnis und Free Cash Flow (unter sonst gleichen Bedingungen) positiv entwickeln. Folgende Vorgehensweise empfiehlt sich: Das Betriebsergebnis ist um den projektbedingt anfallenden außerordentlichen Aufwand (außerordentliche Abschreibungen, Aufwand für ungenutztes Human Capital, Bestandsabwertungen u. ä.) zu bereinigen. Ebenso muss das betriebsnotwendige Kapital um nicht benötigte Elemente (ungenutzte und veräußerbare Freiflächen und Immobilien) bereinigt werden. So lässt sich eine aussagefähigere Betriebsvermögensrendite (ROCE – return on capital employed) ermitteln, die der späteren Verbesserung der Gesamtkapitalrendite (ROI – return on investment) vorausläuft (vgl. Abbildung 6). Ergänzend hierzu muss man die Entwicklung des Free Cash Flow im Auge behalten, der durch kaizen-bedingte außerordentliche Abschreibungen im Gegensatz zum Betriebsergebnis bzw. Jahresüberschuss nicht belastet wird. Hier kommt es letztendlich darauf an, nachzuweisen, wie sich der Free Cash Flow im Saldo durch einen cash-flowerhöhenden Abbau von Rohmaterial-, Halbfertig- und Fertigwarenbeständen, Effekte aus einem verkürzten Cash-toCash-Zyklus (Desinvestment Working Capital) und durch cash-flow-verzehrende Ersatz- und Veränderungsinvestitionen
verändert. Als geeignete Kennzahlen („sehr frühe“ Spätindikatoren), mit denen diese Entwicklung verfolgt werden kann, sind der „Free Cash Flow je Mitarbeiter“ oder der „Free Cash Flow in Prozent vom Umsatz“ zu nennen. Eine moderne Kosten- und Erlösrechnung muss diese Informationen entsprechend aufbereitet liefern. Die von der Produktion erarbeiteten, aber vom Gesamtunternehmen noch nicht realisierten Kosteneinsparungen sind aus den Produktionskosten auszugliedern und im Sinne der Fixkostendeckungsrechnung den Unternehmenseinzelkosten – als Kosten ungenutzter Potentiale – zuzuordnen. Es ist dann Aufgabe des (Top-) Management, diese Kosten umgehend abzubauen beziehungsweise frei gewordene Ressourcen schnellstens ertragreichen Nutzungen zuzuführen (vgl. Schweitzer/Küpper 1998, S. 695 – 699). Von einer derart modifizierten mehrstufigen Deckungsbeitragsrechnung kann frühzeitig und an geeigneter Stelle die entsprechend vorwärtsweisende Signalwirkung ausgehen. Insbesondere Vertrieb und Marketing erhielten neben den gleichfalls durch das Controlling bereitzustellenden Performance-Kennzahlen (z. B. Lieferzeit und Liefertreue, Reklamationsquote) umgehend wichtige Kosten-Informationen über die zukünftige Entwicklung der Herstellkosten. Erst damit steht der notwendige Mix an Basis-Informationen zur Fundierung einer erfolgreichen Marketing-Politik zur Verfügung. Die Schaffung der Voraussetzungen für eine derartig prozessorientierte Verzahnung von Produktions- und Absatz-Controlling ist eine außerordentlich interessante, herausfordernde Aufgabe für ein 47. Jg. 2003, H.3 | Controlling & Management | ZfCM
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Virtuelle Organisationen Das erfolgreiche Lehrbuch
modernes prozess- und potentialorientiertes strategisch agierendes Controlling. Ein an der Balanced Scorecard ausgerichtetes strategisches Controlling kann nur dann erfolgreich sein, wenn das operative Controlling die notwendigen Verknüpfungen zwischen Finanzperspektive und Kostenund Leistungsrechnung bzw. Kosten- und Erlösrechnung herstellen kann.
Literatur
Arnold Picot / Ralf Reichwald / Rolf T. Wigand
Die grenzenlose Unternehmung Information, Organisation und Management. Lehrbuch zur Unternehmensführung im Informationszeitalter 5., akt. Aufl. 2003. XXII, 642 S. Geb. EUR 36,90 ISBN 3-409-52214-X
„ ... Hier wird ein theoriegeleitetes und dennoch spannendes Lehrbuch vorgelegt, das das Veränderungspotential der Informations- und Kommunikationstechnik für die Struktur und für das Management der Unternehmen umfassend darlegt. In hohem Maße auch für Praktiker lesenswert...“ Frankfurter Allgemeine Zeitung Die 5. Aufl. wurde aktualisiert. Insbesondere wurden die zahlreichen Praxisbeispiele in allen Kapiteln überarbeitet.
Die Autoren: Prof. Dr. Dres. h.c. Arnold Picot ist Vorstand des Instituts für Unternehmensentwicklung und Organisation – Informations- und Kommunikationsforschung – der Ludwig-Maximilian-Universität München und Vorsitzender des Vorstandes des Münchner Kreis. Prof. Dr. Dr. h.c. Ralf Reichwald ist Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine und Industrielle Betriebswirtschaftslehre und Dekan der neugegründeten Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der Technischen Universität München. Prof. Dr. Rolf T. Wigand ist Inhaber des Maulden-Entergy Chair und Distinguished Professor of Information Science and Management am Department of Information Science der University of Arkansas at Little Rock, AR, USA.
Änderungen vorbehalten. Erhältlich im Buchhandel oder beim Verlag.
Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Tel: 06 11.78 78-124, www.gabler.de
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