Leitthema Bundesgesundheitsbl 2014 · 57:549–556 DOI 10.1007/s00103-013-1929-5 Online publiziert: 25. April 2014 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
P. Sebastian1 · U. Mackenstedt2 · M. Wassermann2 · E. Wurst2 · K. Hartelt1 · T. Petney3 · M. Pfäffle3 · N. Littwin3 · J.L.M. Steidle4 · P. Selzer4 · S. Norra5 · D. Böhnke5 · R. Gebhardt5 · O. Kahl6 · H. Dautel6 · R. Oehme1 1 Ref. 93, Allgemeine Hygiene und Infektionsschutz, Landesgesundheitsamt Baden-Württemberg, Stuttgart 2 FG Parasitologie, Institut für Zoologie, Universität Hohenheim 3 Abteilung für Ökologie und Parasitologie, Zoologisches Institut,
Karlsruher Institut für Technologie, Karlsruhe 4 FG Tierökologie, Institut für Zoologie, Universität Hohenheim 5 Institut für Geographie und Geoökologie, Karlsruher Institut für Technologie, Karlsruhe 6 tick-radar GmbH, Berlin
Ökologie von Zecken als Über- träger von Krankheitserregern in Baden-Württemberg und biologische Zeckenbekämpfung Zecken und von Zecken übertragene Krankheitserreger sind von großer Bedeutung für die Gesundheit von Mensch und Tier. Zu den übertragenen Pathogenen gehören Bakterien, Viren und Parasiten, darunter die Erreger der LymeBorreliose (Borrelia burgdorferi sensu lato) und das Frühsommer-Meningoenzephalitis-Virus (FSME-Virus). Bei allen Vertretern dieser Tiergruppe handelt es sich um blutsaugende Parasiten. Man unterscheidet zwischen Lederzecken (Argasidae) und Schildzecken (Ixodidae). Schildzecken spielen für den Menschen eine zentrale Rolle als Krankheitsüberträger. Alle Schildzecken in Deutschland haben einen sog. dreiwirtigen Entwicklungszyklus. Zurzeit sind für Deutschland 17 Arten von Zecken bekannt, unter ihnen die 3 für Baden-Württemberg medizinisch und veterinärmedizinisch wichtigsten Arten, der Gemeine Holzbock (Ixodes ricinus), die Auwaldzecke (Dermacentor reticulatus) und die Schafzecke (Dermacentor marginatus) (. Abb. 1). Ixodes ricinus ist die häufigste Zeckenart und ist deutschlandweit außer in Gebirgsregionen über 800 m bevorzugt in Wäldern (Laub- und Mischwälder mit geschlossener Laubstreu), an Waldrändern und auf Wald-
lichtungen, aber auch in Parkanlagen und Gärten zu finden und kann das ganze Jahr über aktiv sein. Adulte Zecken und Nymphen haben ihre Aktivitätsmaxima im Frühjahr und Herbst, Larven eher im Frühsommer. Die beiden Dermacentor-Arten D. marginatus und D. reticulatus kommen erheblich seltener in Deutschland vor als I. ricinus. Die Auwaldzecke tritt vor allem im Süden und Osten Deutschlands auf, während die Schafzecke nur in Süddeutschland anzutreffen ist. Beide Arten bevorzugen sonnige und warme Habitate. Sie bevorzugen z. B. sonnenexponierte, offene und lichte, mit Büschen und Bäumen durchsetzte Flächen in Wäldern, an Waldrändern und -lichtungen oder Wiesen. Adulte Zecken sind zwischen Februar und Mai und nochmals ab August bis Winterbeginn aktiv. Dermacentor ist deutlich größer als Ixodes. Das Vorkommen zeckenübertragener Krankheitserreger in einer Region wird von einer Vielzahl verschiedener Faktoren beeinflusst. So wirken sich z. B. ökologische und mikro- bzw. makroklimatische Faktoren auf das Vorkommen der Zecken und ihrer Wirte aus. Obwohl die meisten dieser Faktoren bereits bekannt sind und in den letzten Jahrzehnten viel
über Zecken und zeckenübertragene Krankheiten publiziert wurde, konzentrieren sich diese Studien nur auf Teilaspekte der Zecke-Pathogen-Dynamik. Bislang gibt es keine Langzeitstudie, die die komplexe Beziehung zwischen Zecken, zeckenübertragenen Pathogenen und der biotischen und abiotischen Umwelt umfassend untersucht und in der die Einflüsse von Umweltfaktoren, der Populationsdynamik der Vertebratenwirte von Zecken, der Zecken selbst, ihre eigenen Pathogene oder Parasiten und der von ihnen übertragenen Pathogene hinreichend dokumentiert werden. Ohne gekoppelte Informationen über diese Faktoren ist es allerdings unmöglich, Veränderungen in der Abundanz und Ausbreitung von Zecken und zeckenübertragenen Krankheiten des Menschen richtig darzustellen und zu verstehen. Gleiches gilt für die Entwicklung und Einführung geeigneter Präventionsund Kontrollstrategien.
Ziele des Projekts Das vorrangige Ziel dieses im Rahmen des Förderprogrammes BWPLUS vom Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg
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Abb. 1 8 a Weibchen des gemeinen Holzbocks Ixodes ricinus (Foto: mit freundl. Genehmigung von www.zecken.de). b Männchen einer Auwaldzecke Dermacentor reticulatus (Foto: © Rainer Altenkamp, Titel „Dermacentor reticulatus“) (http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Dermacentor_reticulatus_M_070825.jpg). c Weibchen einer Schafzecke Dermacentor marginatus (Foto: ©Lucarelli, Titel „Dermacentor marginatus“) (http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Dermacentor_marginatus. JPG). Die Teilabbildungen b und c sind lizenziert unter der Creative Commons Attribution-ShareAlike 3.0 International License (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/). Es wurden keine Modifikationen durchgeführt
1
Modul 1
Modul 2
Modul 3
Umwelt
Detailstudien
Pathogene
- Großflächige Verteilung und Landnutzung - Klimadaten
- Mikroklima - Säugetiere - Habitatfragmentierung - Zeckenaktivität
4
5
Individuelle Analysen
Individuelle Analysen
- Pathogenprävalenz Borrelia burgdorferi s.l. und Rickettsia spp. - Vorkommen bzw. Abwesenheit FSME-Virus (FSME-V) und Babesia spp.
Individuelle Analysen
Modul 4 Zusammenfassung der Daten und Modellentwicklung
Mindestlaufzeit (Jahre)
Abb. 2 8 Struktur des Projekts zur Erstellung eines Risikomodells für zeckenübertragene Krankheitserreger in Baden-Württemberg; die 4 Module und ihre jeweiligen Komponenten
finanzierten Projektes ist die Erstellung eines Risikomodells für zeckenübertragene Krankheitserreger in Baden-Württemberg (BW) unter Berücksichtigung des Einflusses abiotischer und biotischer Faktoren auf die Dynamik von Zeckenpopulationen und der Verbreitung von zeckenübertragenen Pathogenen. Bisherige Risikokarten zeigen zum einen die Inzidenzen bestimmter zeckenübertragener Krankheiten. Sie basieren aber nur auf den Orten, an denen die Krankheitsfälle gemeldet wurden, und nicht auf den Orten, an denen Patienten von Zecken gestochen wurden. Zum anderen gibt es Karten, die das Risiko bewerten, von einer Zecke an einem bestimmten Ort gestochen zu werden, ohne dabei die Prävalenz infizierter Zecken zu berücksichti-
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gen. Im Gegensatz dazu, soll das geplante Modell, basierend auf den untersuchten Daten, über das Jahr hinweg dynamisch anzeigen, wann und wo das Risiko erhöht ist, von einer infizierten Zecke gestochen zu werden. Auf folgende Punkte soll genauer eingegangen werden: F auf die Analyse des großflächigen Verbreitungsmusters von Zecken innerhalb Baden-Württembergs unter Berücksichtigung von Landschaftsmustern, Habitatcharakteristika und lokalem Klima, F auf die Durchführung detaillierter, lokaler Langzeitstudien über Zecken und ihre Kleinsäugerwirte zur Erhebung von saisonalen und jährlichen Schwankungen in der Zeckenaktivität und Pathogenpräva-
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lenz in Abhängigkeit von Mikroklima, Habitatstruktur und Wirtspopulationen, F auf die Analyse des Auftretens und der Dynamik der wichtigsten humanpathogenen, zeckenübertragenen Erreger (Borrelia spp., FSMEVirus, Rickettsia spp., Babesia spp.) in unterschiedlichen Habitaten Baden-Württembergs in Abhängigkeit von Habitatstruktur, Mikroklima und Wirtspopulationen, F auf die Entwicklung eines Modells zu Umwelt-Zecke-Wirt-PathogenInteraktionen in Baden-Württemberg, auf dem dann eine zukünftige Risikokarte auf Basis der tatsächlichen Häufigkeitsmuster von Zecken erarbeitet wird. Diese Untersuchungen befassen sich vornehmlich mit der häufigsten Zeckenart Baden-Württembergs, dem Gemeinen Holzbock Ixodes ricinus, mit den wichtigsten Kleinsäugerwirten für Larven und Nymphen dieser Art und mit den Krankheitserregern, die sie übertragen. Das Projekt basiert auf einer Literaturstudie, die von Mitarbeitern des Projekts angefertigt und im Fachdokumentendienst FADO der LUBW veröffentlicht wurde [1].
Projektstruktur In diesem Projekt arbeiten Spezialisten aus verschiedenen Fachbereichen zusammen, um den Einfluss von Wetter, (Mikro-)Klima, Habitat, Landnutzung, menschlichen Eingriffen und der Wirtstierpopulationsdynamik auf die Verbrei-
Zusammenfassung · Abstract tung und Dynamik von Zecken und auf die von ihnen übertragenen Krankheitserreger für Baden-Württemberg zu bestimmen. Neben dem Landesgesundheitsamt Baden-Württemberg (Referat 93) sind das Karlsruher Institut für Technologie (Abteilung Ökologie und Parasitologie; Institut für Geographie und Geoökologie), die Universität Hohenheim (FG Tierökologie) und die tickradar GmbH (Berlin) an der Durchführung dieses Projekts beteiligt. Die Studie ist in 3 Forschungsmodule (1 bis 3) unterteilt, die der Erhebung von Daten dienen, und in ein Modul (4), das sich mit der Analyse der Forschungsmodule 1 bis 3 beschäftigt (. Abb. 2). Die Module 1 bis 3 sind jeweils in mehrere Submodule untergliedert, die sich mit bestimmten ökologischen Variablen befassen. Modul 1 untersucht das großflächige Verbreitungsmuster von Zecken und zeckenübertragenen Krankheitserregern in Baden-Württemberg in Abhängigkeit von landschaftlichen, klimatischen und ökologischen Faktoren. Anhand eines landschaftsökologischen Kriterienkatalogs wurden mittels eines geografischen Informationssystems (GIS) 25 Standorte ausgewählt, die typischen Zeckenhabitaten in Baden-Württemberg entsprechen und unterschiedliche Vegetationsgesellschaften, Böden und Klimate abdecken. Einmal pro Monat und Standort werden aktive Zecken auf einer Fläche von 100 m2 um die Klimamessstationen mit einem 1 m2 großen Baumwolltuch geflaggt. Zusätzlich werden an diesen Standorten wichtige mikroklimatische und bodenkundliche Daten erhoben. Am Institut für Geographie und Geoökologie werden in einem Geoinformationssystem (GIS) die Daten der Zeckenabundanzen mit den jeweiligen Landschaftsmustern und dem lokalen Klima verknüpft, um die Lebensräume, die für Zecken besonders günstig erscheinen, zu identifizieren. Im Modul 2 wird im Detail untersucht, inwiefern Mikroklima, Habitat und Wirtstiere die Populationsdynamik von Zecken beeinflussen. An 5 Intensivmessstationen werden monatlich Kleinsäugerwirte lebend gefangen und auf Zeckenbefall untersucht, Zecken auf der Vegetation gesammelt und mikroklimatische Daten aufgenommen. Das Ziel
Bundesgesundheitsbl 2014 · 57:549–556 DOI 10.1007/s00103-013-1929-5 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 P. Sebastian · U. Mackenstedt · M. Wassermann · E. Wurst · K. Hartelt · T. Petney · M. Pfäffle · N. Littwin · J.L.M. Steidle · P. Selzer · S. Norra · D. Böhnke · R. Gebhardt · O. Kahl · H. Dautel · R. Oehme
Ökologie von Zecken als Überträger von Krankheitserregern in Baden-Württemberg und biologische Zeckenbekämpfung Zusammenfassung Zecken und von Zecken übertragene Krankheitserreger sind von großer Bedeutung für die Gesundheit von Mensch und Tier. Über die Faktoren, die die Verbreitung und Dynamik von Zecken beeinflussen, ist allerdings nur wenig bekannt. In einem vom Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg im Rahmen des Förderprogrammes BWPLUS finanzierten Projektes arbeiten daher Spezialisten aus verschiedenen Fachbereichen zusammen, um den Einfluss von Wetter, (Mikro-)Klima, Habitat, Landnutzung, menschlichen Eingriffen und der Populationsdynamik der Wirtstiere auf die Verbreitung und Dynamik von Zecken und den von ihnen übertragenen Krankheitserregern in Baden-Württemberg zu untersuchen. Das Projekt ist in 4 Module unterteilt, die sich mit dem großräumigen Verbreitungsmuster von Zecken in Baden-Württemberg (Modul 1), mit Detailstudien zu ZeckenWirt-Pathogen-Interaktionen im Zusammen-
hang mit dem Bestandesklima (Modul 2) und mit dem Auftreten wichtiger, durch Zecken übertragener Pathogene befassen (Modul 3). Das vierte Modul beinhaltet eine übergreifende Analyse und Synthese aller Daten, um die relative Bedeutung der untersuchten Faktoren zu bestimmen und um damit ein Risikomodell zu entwickeln. Darüber hinaus wurden in den letzten Jahren intensive Versuche mit verschiedenen entomopathogenen Pilzen, Nematoden sowie mit einer parasitoiden Erzwespe durchgeführt. Ziel dieser Versuche war und ist es zu überprüfen, ob diese natürlichen Antagonisten eingesetzt werden können, um die Anzahl der Zecken im Freiland wirksam zu reduzieren. Schlüsselwörter Zecken · Zeckenübertragene Krankheiten · Ökologie der Zecken · Biologische Zeckenbekämpfung · Zecken-Wirt-Dynamik
The ecology of ticks, tick-borne diseases and biological tick control in Baden-Württemberg Abstract Ticks and tick-borne diseases are of great significance for the health of humans and animals. However, the factors influencing their distribution and dynamics are inadequately known. In a project financed by the BadenWürttemberg Ministry of the Environment, Climate and Energy Industry, as part of the program BWPLUS, interdisciplinary specialists work together to determine the influence of weather, (micro)climate, habitat, land use, human activities, and the population dynamics of host animals on the distribution and abundance of ticks and the diseases that they transmit in Baden-Württemberg. The project comprises four modules: the largescale distribution of ticks in Baden-Württemberg (module 1), detailed studies of host– tick–pathogen interaction in relation to the
dieses Moduls ist es, Schwankungen in der Zeckendynamik sowohl mit dem Mikroklima als auch mit der Wirtsdynamik zu korrelieren. Um den statistischen Vergleich aller Sammelstellen zu gewährleisten, werden für Modul 1 und 2 durchge-
microclimate (module 2), and the spatial occurrence of important tick-borne pathogens (module 3). The fourth module involves the comprehensive analysis and synthesis of all data in order to determine the relative importance of the factors studied and to develop a risk model. Recently, intensive investigations into tick control have been undertaken using various entomopathogenic fungi and nematodes as well as a parasitoid wasp. Our aim was to determine whether these natural enemies could be used to effectively reduce the number of free-living ticks. Keywords Ticks · Tick-borne diseases · Ecology of ticks · Biological tick control · Tick-host dynamics
hend die gleichen Sammelmethoden verwendet. Um die Zeckenaktivität abhängig von Jahreszeit, Wetter und Tageszeit messen zu können, haben das Karlsruher Institut für Technologie sowie die Universität Hohenheim zusätzlich Zeckenstatio-
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Abb. 4 8 Lebenszyklus von Ixodiphagus hookeri (Fotos: mit freundl. Genehmigung von J. Collatz)
Abb. 3 9 Karte der naturräumlichen Gliederung Baden-Württembergs und die für das Projekt ausgewählten Standorte
nen im Umland von Karlsruhe und Stuttgart aufgebaut, die mehrmals wöchentlich kontrolliert werden. Die Zeckenaktivität wird nach einer Methode von Dautel et al. [2] erfasst. Sie umfasst das Sammeln von Zecken im Freiland (Larven, Nymphen, Adulte), ihre Fütterung im Labor (Insect-Services GmbH, Berlin) und die Überführung der frisch gesogenen Zecken auf Feldparzellen von jeweils 1 m2 Größe mit einer 10 cm hohen Laubschicht aus Eichen- und Buchenblättern, die mit einem Drahtnetz bedeckt sind und in die 48 Holzstäbe (jeweils 60 cm) in einem 6×8 Gitternetz angeordnet sind. Nach erfolgter Entwicklung der Zecken zum nächsten Entwicklungsstadium (Häutung) im darauf folgenden Sommer wird ihr Aktivitätsmuster über eine Zeitspanne von bis zu etwa 1,5 Jahren in kurzen Abständen bestimmt. Von März bis Oktober finden 3-malige Kontrollen, von November bis Februar 1- bis 2-malige Kontrollen pro Woche statt. Dazu parallel wird 1-mal pro Woche in der Nähe dieser Standorte nach Zecken geflaggt (jeweils 24 Flaggenzüge à 10 m), soweit es die Wetterbedingungen und das Substrat zulassen. In Modul 3 werden alle gesammelten Zecken aus Modul 1 und 2 auf das Vorkommen verschiedener Erreger untersucht. Ne-
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ben den beiden wichtigsten Krankheitserregern (Borrelia burgdorferi sensu lato und das FSME-Virus) werden die Zecken auch auf das Vorhandensein von Rickettsien und Babesien getestet. Im Modul 4 findet eine übergreifende Analyse aller Daten aus den vorherigen Modulen statt, um die relative Bedeutung der untersuchten Faktoren zu bestimmen und um damit ein populationsökologisches Modell der Zeckenaktivitäten in Baden-Württemberg zu erstellen. Dieses soll auch genutzt werden, um die Bedeutung von Klimaveränderungen für zeckenübertragene Erkrankungen in Baden-Württemberg zu bewerten.
Erste Ergebnisse Modul 1 – großflächige Verteilung Zunächst wurden über thematische Karten zur Geologie, zur Topographie, zu den Bodentypen, zum Klima, zur potenziell natürlichen und zur real vorkommenden Vegetation sowie zu naturräumlichen Einheiten möglichst unterschiedliche, typische Bereiche Baden-Württembergs identifiziert. Die Standortwahl erfolgte anschließend über Geländebegehungen. So konnten 25 Standorte in Ba-
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den-Württemberg spezifiziert werden (. Abb. 3). Erste Ergebnisse der Messreihen zeigen die generelle Häufigkeitsabnahme der Zecken mit der Höhe und der damit abnehmenden mittleren Temperatur des Standortes sowie einen Einfluss der relativen Feuchte. Eine genauere Analyse zum Einfluss der von uns untersuchten Faktoren auf die Zeckenabundanz ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht möglich, da die ermittelten Zeitreihen der Klimaund Zeckendaten noch nicht in ausreichender Zeitdauer zu Verfügung stehen, um eine genaue Aussage zur Gewichtung bestimmter Faktoren zu tätigen. Bisher einmalig in der Zeckenforschung wird die Verwendung bereits vorhandener geografischer Daten des Landes Baden-Württemberg (WIBAS) für weitere statistische Auswertungen sein. Relevant sind Grundwasserkarten, großflächige Daten zu den Böden und zur Vegetationsbedeckung. Außerdem sollen zusätzlich Satellitenkarten zum Klima, aber auch zur Landschaftsnutzung hinzugezogen werden.
Tab. 1 Vorkommen von Ixodes ricinus auf Kleinsäugern an den Intensivmessstationen im
Jahr 2012 (Prävalenzen der Zecken auf Kleinsäugern) Habitat
Anzahl Kleinsäuger
Anzahl abgesammelter Zecken
Abundanz Larven
Abundanz Nymphen
Abundanz gesamt
Michaelsberg Hardtwald Auwald Schwarzwald Alle
351 316 386 405 1458
1855 1331 1693 828 5707
5,28 (80,1%) 4,18 (70,9%) 4,36 (72,8%) 2,03 (49,6%) 3,9 (67,7%)
0,01 (0,6%) 0,03 (3,2%) 0,03 (2,3%) 0,01 (1%) 0,02 (1,7%)
5,28 (80,1%) 4,21 (71,2%) 4,39 (72,8%) 2,04 (49,6%) 3,91 (67,8%)
Modul 2 – detaillierte Langzeitstudien Im Jahr 2012 wurden in den Projektstandorten insgesamt 1458 Kleinsäuger gefangen. Die dominierenden Arten in allen Habitaten sind die Gelbhalsmaus Apodemus flavicollis und die Rötelmaus Myodes glareolus. Weniger präsente Arten sind die Zwergspitzmaus (Sorex minutus), die Waldspitzmaus (S. araneus), die Erdmaus (Microtus agrestis) und die Waldmaus (A. sylvaticus). Insgesamt wurden auf den Kleinsäugern 4 verschiedene Zeckenarten gefunden, darunter der Gemeine Holzbock Ixodes ricinus, die Auwaldzecke Dermacentor reticulatus sowie jeweils in geringer Anzahl I. acuminatus und I. trianguliceps. Für I. acuminatus ist es in Deutschland die Erstbeschreibung. Der Holzbock ist in allen Habitaten die dominierende Art auf den Wirten. . Tab. 1 zeigt die Gesamtzahl, die Abundanz und Prävalenz der gefundenen I. ricinus auf den gefangenen Kleinsäugern. Im Schwarzwald wurden am wenigsten Zecken gefunden, obwohl die Kleinsäugerdichte dort am höchsten war. Dies hängt wahrscheinlich mit der Höhenlage und den entsprechenden klimatischen Bedingungen an diesem Standort zusammen. Beim Vergleich zwischen der Zahl an gefundenen Kleinsäugerarten mit der Zahl von I. ricinus, die jeweils auf diesen Kleinsäugern gefunden wurde, fällt auf, dass die meisten Zecken auf A. flavicollis zu finden sind. Dies gilt auch im Auwald und Schwarzwald, obwohl hier im Verhältnis mehr M. glareolus als A. flavicollis gefangen wurden. Im Vergleich zu anderen Kleinsäugerarten scheint A. flavicollis eine wichtigere Rolle für die Aufrechterhaltung von I.-ricinus-Populationen zu spielen.
Die Auwaldzecke Dermacentor reticulatus wurde, außer im Schwarzwald, in allen Habitaten auf den Kleinsäugern gefunden, in hoher Anzahl allerdings nur im Hardtwald mit Peaks für Larven im Juli und für Nymphen im August. In den anderen Monaten wurden nur eine geringe Zahl an oder keine Auwaldzecken gefunden. Auf der Vegetation wurden nur im Mai im Hardtwald adulte Zecken gefunden. D. reticulatus zeigt eine andere Ökologie als der Gemeine Holzbock. Larven und Nymphen leben möglicherweise in den Nestern ihrer Wirte, allerdings ist nicht bekannt, ob es Wirtspräferenzen gibt. Es deutet sich allerdings an, dass Rötelmäuse die Hauptkleinsäugerwirte von D. reticulatus sind. Untersuchungen an Zeckenstationen wurden im Siebenmühlental durchgeführt, da diese durch tickradar und die Arbeitsgruppe in Stuttgart (FG Tierökologie, Universität Hohenheim) bereits im Herbst 2009 installiert wurden. Die Zecken auf diesen Parzellen wurden in größerer Zahl erstmalig im Frühjahr 2011 aktiv, sodass es für diesen Standort bereits für 2011 und 2012 lückenlose Beobachtungsdaten gibt. Sie zeigen für beide Untersuchungsjahre einen Beginn der saisonalen Zeckenaktivität Anfang März, wobei adulte Zecken früher aktiv wurden als Nymphen. Eine Tendenz, die beim Fangen mit der Flaggmethode nicht erkennbar ist. In beiden Jahren ergab die engmaschige Beobachtung der Zecken in den Parzellen (von Anfang März bis Ende Oktober 3-mal pro Woche, ansonsten meist 1-mal pro Woche) weniger stark fluktuierende Daten als der meist wöchentliche Fang der Zecken mit Flaggen. Für eine statistische Analyse der Beziehung zwischen Zeckenaktivität und Wetterbedingungen liegen aktuell noch zu wenige Daten vor.
Modul 3 – Pathogenuntersuchungen Insgesamt wurden 2012 an den 4 Intensivmessstationen 766 Zecken geflaggt. Die Homogenate der Zecken wurden im ersten Schritt gepoolt untersucht (10 Nymphen bzw. 5 adulte Zecken). Das FSMEVirus und Babesia spp. konnten nicht nachgewiesen werden. Die Prävalenzen für B. burgdorferi s.l. in den Zeckenpools lagen bei 22% im Hardtwald und bei 30% am Michaelsberg. Bei einzeln aufgereinigten Zecken konnten für Borrelien nur Prävalenzen von 0% (Schwarzwald und Hardtwald), 2% (Michaelsberg) und 4% (Auwald) ermittelt werden. Um diese Ergebnisse zu spezifizieren, werden weitere Einzelaufreinigungen durchgeführt. Die untersuchten Zeckenpools zeigten eine hohe Rickettsia-spp.-Prävalenz – zwischen 33% im Schwarzwald und 80% im Auwald. Die Einzelaufreinigungen ergaben eine Durchseuchung von ca. 20% an allen 4 Standorten. Daraus lässt sich schließen, dass neben den bekannteren Erregern wie dem FSME-Virus und B. burgdorferi s.l., auch Rickettsien eine wichtige Rolle als zeckenübertragene Pathogene spielen und dass hinsichtlich ihrer Verbreitung und Typisierung weitere Untersuchungen notwendig sind. Die im Modul 2 von Kleinsäugern abgesammelten Zecken wurden nach Art und Stadium bestimmt. Die Zecken wurden in 3 Saugzustände eingeteilt: Klasse 1= Nichtgesogen; Klasse 2= Teilgesogen und Klasse 3= Vollgesogen. Hierdurch sollen Rückschlüsse auf die Übertragung von Pathogenen vom Wirt auf die Zecke gewonnen werden. Die Mehrzahl der gesammelten Zecken waren Larven. Larven vom gleichen Saugstatus, gleicher Art, gleichen Sammeldatums und vom gleichen Wirtstier wurden gemeinsam untersucht. Die meisten abgesammelten Zecken gehörten zu Klasse 2. Es wurde hauptsächlich I. ricinus auf den Kleinsäugern gefunden. Bei den von Kleinsäugern abgesammelten Zecken wurden keine Babesien nachgewiesen. Das FSME-Virus wurde in 2 Larvenpools von 2 verschiedenen Kleinsäugerindividuen aus dem Hardtwald gefunden. Insgesamt konnten nur in I. ricinus Pathogene nachge-
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Abb. 5 8 Entwicklung von Metarhizium anisopliae als Beispiel für einen entomopathogenen Pilz. 1 Konidie heftet sich an die Zeckenkutikula an, 2 Konidie bildet einen Keimschlauch, 3 Keimschlauch durchdringt die Kutikula, 4 Keimschlauch bildet Blastosporen im Zeckenkörper, 5 M. anisopliae bildet ein Myzel, dass die ganze Zecke ausfüllt, 6 der Pilz durchbricht die Kutikula der toten Zecke und bildet erneut Konidien
wiesen werden. Die Prävalenzen von B. burgdorferi s.l. und Rickettsia spp. liegen mit 3–7 bzw. 7–11% für die untersuchten Larvenpools unter den Prävalenzen dieser Erreger bei den geflaggten Zecken. Allerdings handelte es sich bei den geflaggten Zecken vorwiegend um Nymphen und Adulte, bei denen die Durchseuchungsrate mit Pathogenen meist höher ist. Pathogene kamen nur in Larvenpools des Saugzustandes der Klasse 2 und 3 vor. Dies lässt die Annahme zu, dass die Erreger erst mit zunehmender Dauer des Saugaktes in die Zecke übertragen wurden und keine transovarielle Übertragung stattgefunden hat. Die höchsten Prävalenzen für Borrelien zeigte die Klasse 2 vom Standort Auwald mit 11%, während in dieser Klasse am Standort Michaelsberg keine Borrelien nachgewiesen wurden. Mit 17% Borrelia-positiven Larvenpools der Klasse 3 zeigte der Schwarzwald die höchste Verbreitung dieses Erregers. Bei Rickettsien lag die Prävalenz in beiden Saugzuständen wie in den geflaggten Zecken in einem höheren Bereich von 7–19% (Klasse 2) bzw. 11–33% (Klasse 3; Auwald 0%). Auch hier zeigt sich die Dringlichkeit weiterer Untersuchungen im Hinblick auf das Vorkommen, die Verbreitung und die Übertragungshäufigkeit von Rickettsien. Die Larvenpools werden in kommenden
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Abb. 6 8 1 Nematoden dringen in den Wirt über natürliche Körperöffnungen (Steinernema sp.) und Kutikula (Heterorhabditis sp.) ein, 2 Nematoden entlassen Bakterien, 3 Zecke stirbt, Nematoden entwickeln sich, 4 geschlechtliche (Steinernema sp.) oder zwittrige Vermehrung (Heterorhabditis sp.), 5 Entwicklung der infektiösen Larvenstadien (L3), 6 infektiöse Larven verlassen Zecke, 7 Behandlung mit infektiösen Larven
Untersuchungen weiter entschlüsselt und die Ergebnisse, falls möglich, pro Maus nach Art und Saugstadium analysiert. Es wurde bisher gezeigt, dass neben B. burgdorferi s.l. vor allem Rickettsien in den untersuchten Zecken vorkommen und diese sowohl in den geflaggten als auch in den von Kleinsäugern gesammelten Zecken die höchsten Prävalenzen aufwiesen. Die Untersuchungen der verschiedenen Saugzustände der Zeckenlarven (von Mäusen) zeigten, dass Erreger erst nach einer gewissen Zeit des Saugaktes in den Zecken nachweisbar sind. Um diese ersten Studienergebnisse zu bestätigen und zu verfeinern, sind weitere Untersuchungen zur Prävalenz und eine genaue Artbestimmung der Erreger zwingend notwendig.
Ausblick Die durchgeführten Arbeiten wurden im Jahr 2013 weitergeführt. Durch den Vergleich der Daten aus dem Jahr 2012 mit denen aus dem Jahr 2013 könnten eventuell schon Einflüsse verschiedener Parameter auf die Zeckenabundanzen oder die Pathogenprävalenzen erkennbar werden. Zusätzlich zu den bisherigen Versuchen werden Untersuchungen zur Variabilität des Mikroklimas, zum Zecken- und Pathogenvorkommen an Hö-
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henstandorten zum Einfluss von Überschwemmungen auf Zeckenpopulationen durchgeführt. Auch wird das untersuchte Pathogenspektrum um den Erreger Candidatus Neoehrlicha mikurensis erweitert. Schließlich sollen im weiteren Projektverlauf Larven und Nymphen von Ixodes ricinus auf das Vorkommen des natürlichen Antagonisten Ixodiphagus hookeri untersucht werden. Diese parasitoide Wespenart könnte zur Bekämpfung von Zecken eingesetzt werden.
Bekämpfung von Zecken Schildzecken sind reine Blutsauger, d. h. alle postembryonalen Zeckenstadien (Larve, Nymphe, adulte Zecke) ernähren sich ausschließlich vom Blut ihrer Wirte, das sie in einem Saugakt von mehreren Tagen aufnehmen. Eine Bekämpfung von Zecken durch das Ausbringen von toxischen Substanzen, die die Zecken mit der Nahrung aufnehmen müssten, ist daher nicht möglich. Auch der Einsatz von direkt wirkenden Akariziden (z. B. durch Flächensprühungen) scheidet aus Umweltgründen (Toxizität) aus. Versuche mit natürlichen Feinden von Zecken wurden bisher hauptsächlich in Israel, Amerika und Afrika durchgeführt, allerdings nicht an Ixodes ricinus, dem Gemei-
nen Holzbock, der 95% der in Deutschland heimischen Zeckenpopulation ausmacht [3]. Aus diesem Grund wurden in den letzten Jahren intensive Versuche mit verschiedenen entomopathogenen Pilzen (Metarhizium anisopliae, Beauveria bassiana), Nematoden (Steinernema carpocapsae, Steinernema feltiae, Heterorhabditis bacteriophora) sowie mit der parasitoiden Erzwespe Ixodiphagus hookeri durchgeführt. Ziel dieser Versuche ist es zu überprüfen, ob diese natürlichen Antagonisten eingesetzt werden können, um die Anzahl der Zecken im Freiland wirksam zu reduzieren.
Die Erzwespe Ixodiphagus hookeri Die parasitoide Zeckenerzwespe Ixodiphagus hookeri ist der einzige bekannte, natürliche Antagonist der Zecken in Europa. Da aus anderen Systemen bekannt ist, dass Parasitoide die Vorkommensdichte ihrer Wirte erheblich reduzieren können, darf vermutet werden, dass auch die Zeckenerzwespe lokal eine wesentliche Rolle für die Häufigkeit des Auftretens von Zecken spielt. Nach dem aktuellen Stand des Wissens treten die Wespenweibchen in Mitteleuropa nur im Hochsommer auf. Sie finden ihre Zeckenwirte vermutlich über den Geruch der Säuger, auf denen die Zecken gerade saugen, und legen ihre Eier in saugende Larven und Nymphen, wobei Letztere deutlich bevorzugt werden (. Abb. 4). Unabhängig davon, ob Larven oder Nymphen parasitiert wurden, beginnt die Entwicklung der Eier erst, nachdem die Nymphen ihre Blutmahlzeit abgeschlossen haben. Die sich entwickelnden Wespenlarven fressen die Zecken von innen auf, verpuppen sich in der toten Zeckenhülle und schlüpfen nach 4 bis 10 Wochen. Versuche, Zeckenpopulationen durch die massenhafte Freilassung von I. hookeri biologisch zu bekämpfen, gab es im letzten Jahrhundert in Russland, in den USA und in Kenia [4]. In Kenia konnte die Dichte der Zeckenart Amblyomma variegatum auf einer Rinderfarm erfolgreich reduziert werden, indem über 4 Monate hinweg Wespen in der Nähe
der Rinder freigelassen wurden [5]. Die Versuche in Russland und in den USA scheiterten, vermutlich weil dort zu wenig über die Lebensweise der eingesetzten Wespen bekannt war und weil teilweise standortfremde Wespen verwendet wurden [6]. Dies zeigt, dass die Bekämpfung von Zecken mithilfe der Zeckenerzwespe prinzipiell möglich ist, allerdings nur, wenn die ökologischen Rahmenbedingungen hinreichend beachtet werden. Um die Grundlagen für eine erfolgreiche Zeckenbekämpfung mithilfe der Zeckenerzwespe unter mitteleuropäischen Bedingungen zu schaffen, wird an der Universität Hohenheim seit einigen Jahren ihre Ökologie untersucht. Nach Arbeiten zum Wirtsfindungsverhalten [7] und der Anpassung der Wespen an die Phänologie der Zeckenwirte [6] stehen aktuell ihre Häufigkeit und Verbreitung sowie die ökologischen Bedingungen für ihr Auftreten im Vordergrund. An ausgewählten Standorten werden Zeckennymphen in großen Mengen gefangen und im Labor mit molekularen Methoden auf eine Parasitierung durch I. hookeri untersucht. Gleichzeitig wird das Habitat beschrieben, in dem die Tiere gefangen wurden, um Rückschlüsse auf ökologische Faktoren ziehen zu können, die für die Wespen wichtig sind. Während das Auftreten der Zeckenerzwespe zu Beginn der Arbeiten lediglich von 3 Standorten in Deutschland bekannt war, konnte sie mittlerweile an 19 weiteren Standorten nachgewiesen werden. Bislang wurden 20 Standorte untersucht. Offenbar ist die Zeckenerzwespe sehr weit verbreitet, wurde aber bisher aufgrund ihrer geringen Größe und komplexen Biologie übersehen. Darüber hinaus arbeiten wir an der effektiven Zucht der Wespen ohne Säugerwirte im Labor. Hierbei sollen Zecken ihre Blutmahlzeit in einem Fütterungsröhrchen durch eine Membran aufnehmen. Nachdem sich die Zecken in der Membran verankert haben und Blut saugen, sollen adulte verpaarte Wespenweibchen in das Fütterungsröhrchen gesetzt werden, um die Zecken zu parasitieren. Der Vorteil dieser Methode wäre eine kontrollierte Zucht der Wespen im Labor, ohne die sehr aufwendige Verwendung von Kaninchen oder Mäusen als Zeckenwirte.
Entomopathogene Pilze Der Entwicklungszyklus entomopathogener Pilze umfasst mehrere Schritte (. Abb. 5). Nach dem Anheften der Konidie (asexuelle Spore = Dauerstadium) an die Zeckenkutikula keimt die Konidie unter Bildung eines Keimschlauchs aus und dringt nach dem Ausscheiden histolytischer Flüssigkeit in die Zecke ein. Zunächst vermehrt sich der Pilz in der Hämolymphe, indem er Blastosporen ausbildet. Dabei wird er zu hefeartigen Hyphenkörpern, die durch Teilung und Sprossung der Hyphen entstehen. Schließlich durchzieht und erfüllt der Pilz die ganze Zecke, die im Verlauf dieser Entwicklung abstirbt. In einem letzten Schritt wächst der Pilz aus der Zecke heraus und bildet erneut Konidien. Entomopathogene Pilze sind in der Natur weit verbreitet und in Europa häufig anzutreffen. Ihre Wirkung gegen Schädlinge wurde mehrfach untersucht und nachgewiesen, allerdings überwiegend in Laborversuchen und nicht an I. ricinus [8]. In den letzten Jahren wurden an der Universität Hohenheim umfangreiche Versuche unternommen, um zum einen geeignete Pilze aus toten verpilzten Zecken zu isolieren und zum anderen bereits charakterisierte Pilzstämme auf ihre Wirksamkeit gegen Zecken zu klären. In Labor- und Parzellenversuchen zeigte sich, dass insbesondere Metarhizium anisopliae alle Zeckenstadien abtötet. Die Wirkung des Pilzes ist dosisabhängig, und es werden Mortalitätsraten von nahezu 50% bei Larven und Nymphen beobachtet. Bei adulten Zecken ist die Mortalität geringer. Langwierige Versuche zeigten, dass Metarhizium anisopliae auch die Entwicklung der Zeckenstadien beeinflussen kann. So häuten sich befallene Larven nur zu einem sehr geringen Anteil zu Nymphen, Nymphen häuten sich nach der Blutmahlzeit nicht zum Adultus, oder frisch gehäutete Zecken sterben ab. Da die Bedingungen in Parzellenuntersuchungen den Bedingungen im Freiland sehr ähnlich sind, sollten hier durchgeführte Versuche mit entomopathogenen Pilzen eindeutige Ergebnisse zur Wirkung ihres Einsatzes gegen Zecken erwarten lassen. Parallel dazu wird untersucht, ob die eingesetz-
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Leitthema ten Pilze Auswirkungen auf die Bodenfauna haben und wie lange diese nachzuweisen sind.
Entomopathogene Nematoden Entomopathogene Nematoden werden schon seit vielen Jahren gegen Pflanzenschädlinge in Gewächshäusern eingesetzt. So sind z. B. die infektiösen Larven von Steinernema-Arten käuflich zu erwerben und können bereits jetzt ausgebracht werden, um Zecken zu bekämpfen. Die Nematoden dringen dann aktiv in ihre Wirte ein und entlassen zunächst Bakterien, die die Schädlinge abtöten [9]. Die Entwicklung der Nematoden setzt sich weiter fort, bis erneut das infektiöse dritte Larvenstadium freigesetzt wird, das mit der Wirtssuche beginnt (. Abb. 6, [10, 11]). In verschiedenen Labor- und Parzellenuntersuchungen wurde an der Universität Hohenheim festgestellt, dass insbesondere Steinernema carpocapsae sehr wirksam gegen Ixodes ricinus ist und die Zecke auch als potenziellen Wirtsorganismus erkennt, was eine notwendige Voraussetzung für den Einsatz dieses en tomopathogenen Nematoden gegen Ixodes ist. Die Nematoden dringen über Körperöffnungen wie den Anus in die Zecke ein und entwickeln sich im Zeckenkörper weiter. Neben der direkten Abtötung, insbesondere der Nymphen und adulten Zecken durch die freigesetzten Bakterien, wird auch die Entwicklung der Zecken gestört, sodass sich nur ein kleiner Teil der gesogenen Nymphen zu adulten Zecken häutet. Die bisherigen Untersuchungen haben gezeigt, dass entomopathogene Pilze und Nematoden direkt gegen Zecken eingesetzt werden können. Die Effizienz dieser natürlichen Feinde variiert und ist abhängig von der eingesetzten Dosis, aber auch von den verschiedenen Zeckenstadien. Es deutet vieles darauf hin, dass auch die Entwicklung der Zecken nach der Blutmahlzeit durch die Antagonisten gestört oder sogar unterbunden wird, sodass auch Langzeiteffekte auf die Anzahl der Zecken möglich sind. Zusammengefasst zeigen unsere Versuche, dass die biologische Bekämpfung von Zecken mit ihren natürlichen Fein-
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den eine vielversprechende Strategie sein kann. Allerdings besteht bei allen bisher untersuchten Antagonisten – bei Zeckenerzwespen, entomopathogenen Pilzen und Nematoden – die große Herausforderung in der Entwicklung von Freisetzungskonzepten, die gewährleisten, dass die natürlichen Feinde auch in ausreichender Dosis mit den Zecken in Kontakt kommen können.
Korrespondenzadresse Dr. R. Oehme Ref. 93, Allgemeine Hygiene und Infektionsschutz, Landesgesundheitsamt Baden-Württemberg Nordbahnhofstr. 135, 70191 Stuttgart
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Danksagung. Die Arbeiten zur Ökologie von Zecken als Überträger von Krankheitserregern in BadenWürttemberg werden im Rahmen eines vom Förderprogramm BWPLUS finanzierten Projektes des Ministeriums für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg durchgeführt. Die Untersuchungen zur biologischen Zeckenbekämfungen wurden teilweise vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit und der BadenWürttemberg Stiftung (ehemals Landesstiftung Baden-Württemberg) finanziert.
Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt. P. Sebastian, U. Mackenstedt, M. Wassermann, E. Wurst, K. Hartelt, T. Petney, M. Pfäffle, N. Littwin, J.L.M. Steidle, P. Selzer, S. Norra, D. Böhnke, R. Gebhardt, O. Kahl, H. Dautel und R. Oehme geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.
Literatur 1. Petney T, Pfäffle M, Skuballa J, Taraschewski H (2011) Literaturrecherche zum Thema Zecken und zeckenübertragene Krankheiten in Baden-Württemberg – Stand des Wissens, Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz BadenWürttemberg, FADO Schlussbericht L75 29006. http://www.fachdokumente.lubw.baden-wuerttemberg.de/servlet/is/101587/?COMMAND=DisplayBericht&FIS=203&OBJECT=101587&MODE=METADATA 2. Dautel H, Dippel C, Kämmer D et al (2008) Winter activity of Ixodes ricinus in a Berlin forest. Int J Med Microbiol 298(Suppl 1):50–54 3. Samish M, Rehacek J (1999) Pathogens and predators of ticks and their potential in biological control. Annu Rev Entomol 44:159–182
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4. Hu R, Hyland KE, Oliver JH Jr (1998) A review on the use of Ixodiphagus wasps (Hymenoptera: Encyrtidae) as natural enemies for the control of ticks (Acari: Ixodidae). Syst Appl Acarol 3:19–28 5. Mwangi EN, Hassan SM, Kaaya GP, Essuman S (1997) The impact of Ixodiphagus hookeri, a tick parasitoid, on Amblyomma variegatum (Acari: Ixodidae) in a field trial in Kenya. Exp Appl Acarol 21:117–126 6. Collatz J, Selzer P, Fuhrmann A et al (2011) A hidden beneficial – biology of the tick-wasp Ixodiphagus hookeri in Germany. J Appl Entomol 135:351–358 7. Collatz J, Fuhrmann A, Selzer P et al (2010) Being a parasitoid of parasites: host finding in the tick wasp Ixodiphagus hookeri by odours from mammals. Entomol Exp Appl 134:131–137 8. Kirkland BH, Westwood GS, Keyhani NO (2004) Pathogenicity of entomopathogenic fungi Beauveria bassiana and Metarhizium anisopliae to Ixodidae tick species Dermacentor variabilis, Rhipicephalus sanguineus, and Ixodes scapularis. J Med Entomol 41:705–711 9. Samish M, Glazer I (2001) Entomopathogenic nematodes for the biocontrol of ticks. Trends Parasitol 17:368–371 10. Kocan KM, Blouin EF, Pidherney MS et al (1998) Entomopathogenic nematodes as a potential biological control method for ticks. Ann N Y Acad Sci 849:355–364 11. Ehlers RU (2001) Mass production of entomopathogenic nematodes for plant protection. Appl Microbiol Biotechnol 56:623–633