Leitthema Unfallchirurg DOI 10.1007/s00113-016-0281-2
L. Claes Institut für Unfallchirurgische Forschung und Biomechanik, Universitätsklinikum Ulm, Ulm, Deutschland
© Springer Medizin Verlag Berlin 2016 Redaktion L. Claes, Ulm W. Mutschler, München
Mechanobiologie der Frakturheilung Teil 2 Bedeutung für die Osteosynthese
Die Stabilität der Osteosynthese beeinflusst die Knochenheilung. Welche Stabilität (Steifigkeit) die beste für eine Frakturfixation ist, kann aufgrund klinischer Studien nicht beantwortet werden. Durch neue numerische Verfahren ist es jetzt möglich, den Zusammenhang zwischen Osteosynthesesteifigkeit und Frakturheilungsverlauf herzustellen. Dadurch können die Eignung bestehender Osteosyntheseverfahren analysiert und Vorschläge für deren Verbesserung gemacht werden.
Hintergrund Schon früh wurde in klinischen Studien beobachtet, dass die Stabilität der Osteosynthese einen großen Einfluss auf die Knochenheilung hat [27, 31]. Da die Stabilität ein nicht definierter Begriff ist, wird sie in der Biomechanik besser durch die Steifigkeit der Osteosynthese oder die interfragmentäre Bewegung (IFB) charakterisiert. Allgemeine klinische Beobachtungen zeigen unter Instabilität (große IFB) eine große Kallusbildung, aber häufig keine knöcherne Überbrückung (hypertrophe Pseudoarthrose [32, 35, 40]). Auf der anderen Seite führt das Fehlen einer IFB (sehr hohe Stabilität z. B. bei Kompressionsplatten) oder eine extrem kleine IFB (z. B. unter winkelstabilen Platten) zu einem reduzierten oder ausbleibenden Reiz für die Kallusheilung [30, 36]. Unter Kontakt und Kompression der Fragmentflächen oder unter sehr kleinen Frakturspalten und extrem kleiner IFB kommt es zur direkten osteonalen
(primären) Knochenheilung [38], die jedoch klinisch bei den heute häufigsten Osteosyntheseverfahren wie Marknagelungen, Fixateuren und winkelstabilen Platten kaum vorkommt. Den Einfluss der Stabilität auf die Knochenheilung zu quantifizieren, ist in klinischen Studien schwierig, weil die Osteosynthesen nur schwer biomechanisch charakterisiert werden können und die IFB bei klinischen Frakturheilungsstudien, nur bei wenigen Fixateur externe Studien gemessen wurden. Die Kenntnis dieser klinischen Beobachtungen reicht deshalb nicht um zu definieren wie eine Osteosynthese gezielt gestaltet werden sollte um kritische biomechanische Zustände zu vermeiden und optimale Osteosynthesebedingungen zu gestalten. Dadurch kam es immer wieder zu unbefriedigenden Knochenheilungsergebnissen nach Einführung neuer Osteosynthesetechniken [3, 29, 30]. Durch die Grundlagenforschung zur Mechanobiologie der Frakturheilung gibt es nun erstmals eine Voraussetzung den Zusammenhang zwischen der Steifigkeit der Osteosynthese (IFB) und dem Verlauf der Knochenheilung zu beschreiben (s. „Mechanobiologie der Knochenheilung“, Teil 1). Diese mechanobiologischen Regeln [13, 43, 44] basieren auf interfragmentären Gewebedehnungen, Größen, die jedoch unter klinischen Bedingungen nicht zu ermitteln sind. Im nachfolgenden Artikel wird beschrieben, welche Methoden eingesetzt werden können, um die mechanobiologischen Regeln mit klinisch zugänglichen biomechanischen Größen zu korrelieren, um dadurch Erkenntnisse
für die Verbesserung von Osteosynthesen zu erreichen.
Numerische Knochenheilungssimulation Mit numerischen Knochenheilungsmodellen ist es möglich, den Verlauf der Knochenheilung zu simulieren, wenn die Stabilität (Steifigkeit) der Osteosynthese und die Belastung des Knochens bekannt sind oder realistisch angenommen werden können. In solchen numerischen Modellen wird am Anfang ein „FiniteElement-Modell“ mit der Geometrie des Knochens und der Fraktur erstellt sowie die Belastung des Knochens definiert (. Abb. 1). Danach werden für jedes Element die Dehnungen (gestalt- und volumenändernde Dehnung) berechnet. Ausgehend vom Hämatom wird jedem Element entsprechend den Gewebedifferenzierungsregeln eine neue Gewebezusammensetzung mit entsprechend anderen mechanischen Gewebeeigenschaften zugeordnet oder es bleibt bei den bestehenden Gewebe. Neben den Gewebedifferenzierungsregeln ([43, 44], s. „Mechanobiologie der Knochenheilung“, Teil 1) gibt es noch eine Reihe anderer Regeln z. B. hinsichtlichderDurchblutung, die in einem Regelwerk (Fuzzy Logic) zusammengefasst sind [43]. Nachdem verschiedene Elemente mit neuen mechanischen Gewebeeigenschaften (z. B. Elastizitätsmodul) belegt sind, kann nun wieder eine Dehnungsverteilung auf der Basis des veränderten Modells berechnet und diesenwiederentsprechend denGewebedifferenzierungsregeln neue Gewebe zugeordnet werden. Dieses Rechenverfahren läuft in Form eines iterativen ProDer Unfallchirurg
Leitthema
Startkonfiguration Geometrie, Last
FE Analyse Dehnungsverteilung
Vaskularität
Fuzzy Logic Gewebedifferenzierung und Vaskularität
Ergebnis Zeitpunkt der Heilung
a
b
Abb. 1 8 Numerische Simulation des Knochenheilungsprozesses [43]. a Nach Definition der Startkonfiguration (Geometrie der Fraktur, [Finite-Elemente]-FE-Netz, Belastung, Hämatom, keine Durchblutung) werden die gestaltändernde Dehnung und die volumenändernde Dehnung (hydrostatische Druck) in allen Volumenelementen berechnet und entsprechend den Gewebedifferenzierungsregeln (Fuzzy Logic [43]) jedem Element eine Gewebezusammensetzung zugeordnet. Dadurch entsteht ein Modell mit veränderten mechanischenEigenschaften, was unter Belastung zu einer neuen Dehnungsverteilung und entsprechend veränderter Gewebezusammensetzung führt. Dieser iterative Prozess wird solange fortgesetzt, bis die Fraktur knöchern überbrückt (geheilt) ist. b Von oben nach unten Ergebnis einer schrittweisen Berechnung der Gewebedifferenzierung im numerischen Frakturheilungsmodel. Dunkelblaue Elemente stellen Bindegewebe, gelbe Elemente Knorpel und rote Elemente Knochen dar. Oben beginnende Kallusbildung frakturfern am Periost. Nach unten wachsende Kallusspangen bis zur knöchernen Überbrückung des Frakturspalts (unten). (Mit freundlicher Genehmigung von U. Simon)
zesses so lange ab, bis das Modell eine knöcherne Überbrückung des Frakturspalts anzeigt (. Abb. 1).
Mit numerischen Modellen ist »es möglich, die Knochenheilung zu simulieren Neben dem numerischen „Ulmer Modell“ [43, 44] gibt es auch andere numerische Knochenheilungsmodelle, die z. B. neben der gestaltändernden Dehnung nicht die volumenändernde Dehnung (hydrostatischen Druck), sondern die „fluid velocity“ des viskösen Gewebes als regelnde Größe annehmen [28]. Vergleiche zwischen den Modellen haben jedoch gezeigt, dass weder die volumenändernde Dehnung noch die „fluid velocity“ allein die Gewebedifferenzierung voraussagen können und v. a. die gestaltändernde Dehnung wie in unserem Modell Der Unfallchirurg
die größte Bedeutung hat [25] und auch unter den verschiedensten mechanischen Bedingungen den Knochenheilungsverlauf gut voraussagen kann [44]. Mit solchen numerischen Frakturheilungsmodellen ist es grundsätzlich möglich, den Frakturheilungsverlauf für verschiedene biomechanische Situationen (Osteosynthesebedingungen) zu berechnen und die günstigsten Bedingungen für eine schnelle Frakturheilung zu ermitteln.
Anwendung der Frakturheilungssimulation auf die Osteosynthese Ein Beispiel für die Anwendung der numerischen Frakturheilungssimulation ist die Berechnung des Einflusses des Marknageldurchmessers und Implantatmaterials auf den Heilungsverlauf von Tibiafrakturen [48]. Simuliert wurde
der Knochenheilungsverlauf bei einer Tibia mit einem endostalen Knochendurchmesser von 12 mm auf Höhe des Frakturspalts nach einer unaufgebohrten Nagelung mit Marknägeln von 9, 10 und 11 mm Durchmesser. Die kritische IFB resultiert überwiegend aus der Differenz von endostalem Knochendurchmesser und Nageldurchmesser. Die knöcherne Überbrückung der Fraktur wird durch die Abnahme der IFB auf Null charakterisiert. Die Ergebnisse der Simulationsberechnung zeigen mit abnehmenden Nageldurchmesser eine deutliche Zunahme der Heilungszeit. Die Berechnung ergab für den 11-mm-Nagel eine Heilungszeit von ca. 12 Wochen, für 10 mm ca. 15 Wochen und für 9 mm ca. 23 Wochen. Bei der Verwendung steiferer Nägel aus Stahl statt aus Titan könnte die Heilungszeit weiter verkürzt werden. Der positive Effekt der dickeren Nägel war umso größer, je größer der Frakturspalt und das Körpergewicht des Patienten waren. Dies bestätigt noch einmal die bereits erwähnte Bedeutung der Stabilität besonders in Fällen beeinträchtigter Heilungsbedingungen wie z. B. der größeren Frakturspaltbreite [11, 16, 19].
Je größer der Nageldurch»messer, desto schneller die Knochenheilung Diese Berechnungen bestätigen im Prinzip für geschlossene Tibiafrakturen die klinisch gefundenen besseren Ergebnisse der aufgebohrten Marknagelungen mit großem Nageldurchmesser (trotz der temporären Vaskularitätsstörung durch den Aufbohrvorgang) gegenüber den unaufgebohrten Nägeln [3, 29], die signifikant längere Knochenheilungszeiten mit höheren Komplikationsraten für die dünnen unaufgebohrten Nägel zeigten. Dabei wird heute der Markraum nicht mehr exzessiv aufgebohrt, sondern die vorsichtige Aufbohrung bevorzugt („gentle reaming“). Numerische Berechnungen können zwar nicht die Heilungszeit auf Tage genau voraussagen, erlauben aber generalisierte Aussagen über den Einfluss der Biomechanik (Steifigkeit der Osteosyn-
Zusammenfassung · Abstract these) auf die Frakturheilung. Sie setzen aber auch die Anwendung komplexer numerischer Knochenheilungsprogramme voraus, was sie für die allgemeine klinische Anwendung zu aufwendig macht. Wir haben deshalb eine klinisch anwendbare Möglichkeit gesucht, um die Erkenntnisse der Mechanobiologie für die verbesserte Gestaltung von Osteosynthesen zu nutzen.
Osteosynthesesteifigkeit als Zielgröße für die Optimierung der Knochenheilung Leider ist es unter klinischen Bedingungen nicht möglich, die Gewebedehnung im Frakturheilungsgebiet auch nur annähernd zu bestimmen. Um die Erkenntnisse aus der Mechanobiologie der Frakturheilung für klinische Anwendungen zu nutzen, ist es deshalb nötig, mechanische Kenngrößen für die Stabilität zu finden, die klinisch oder in vitro ermittelt werden können und eine Korrelation zur Gewebedehnung erlauben. Die Steifigkeit der Osteosynthese ist eine Größe, die am ehesten ermittelt werden kann. Sind die Belastung und die Spaltbreite einer Fraktur annähernd bekannt, können unter Berücksichtigung der Gewebedifferenzierungshypothese die Steifigkeiten berechnet werden, die unter guten Durchblutungsbedingungen eine komplikationsfreie Frakturheilung erlauben sollten.
größer als »300Steifigkeiten N/mm in Scherung und 1000–2500 N/mm axial sind günstig Die Steifigkeit einer Osteosynthese kann durch 6 Freiheitsgrade beschrieben werden, von denen jedoch v. a. die Steifigkeit in axialer Richtung des Knochens und senkrecht dazu (Schersteifigkeit) wichtig sind. Durch Modellrechnungen mit unserem numerischen Frakturheilungsmodell haben wir für 96 verschiedene Kombinationen von axialer Steifigkeit und Schersteifigkeit ein Kennfeld berechnet, das für jede Kombination von axialer Steifigkeit und Schersteifigkeit
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Mechanobiologie der Frakturheilung Teil 2. Bedeutung für die Osteosynthese Zusammenfassung Klinische Studien erlauben keine quantitative Korrelation zwischen der Beschreibung der Osteosynthesestabilität und dem Erfolg der Knochenheilung. Damit ist keine gezielte biomechanische Verbesserung der Osteosynthesetechnik möglich. Die geeignetste Größe, um die Stabilität der Osteosynthese quantitativ zu beschreiben, ist die Steifigkeit der Frakturfixation. Diese wurde für verschiedene Osteosyntheseverfahren in vitro biomechanisch und in wenigen Studien in vivo am Patienten bestimmt. Mithilfe numerischer Knochenheilungsprogramme ist es erstmals möglich, die in der Grundlagenforschung gefundenen Regeln zur Gewebedifferenzierung (Knochenheilung) zu nutzen, um günstige Osteosynthesesteifigkeiten zu berechnen. Am Beispiel der Tibiafraktur mit einer Marknagelstabilisierung konnten die Möglichkeiten der numerischen Simulation der Frakturheilung gezeigt werden. Solche Programme erlauben die Simulation des Einflusses verschiedener Osteosynthesefaktoren wie Marknageldurchmesser, Frakturform, Frakturspaltbreite und Nagelmaterial. Um
aufwendige Berechnungen für verschiedene Osteosynthesen zu vermeiden, wurde ein Kennfeld berechnet, das die zu erwartende Knochenheilungsqualität in Abhängigkeit von der axialen Steifigkeit und der Schersteifigkeit der Osteosynthese darstellt. Vergleicht man die aus der Literatur bekannten Steifigkeiten der wichtigsten Osteosyntheseverfahren mit diesem Kennfeld, wird deutlich, dass die Verfahren meistens eine sehr geringe Scherund/oder Torsionssteifigkeit aufweisen und damit die Heilung verzögern können. Bei der Plattenosteosynthese dagegen gibt es neben geeigneten und zu geringen Steifigkeiten auch Situationen, wo hohe axiale Steifigkeiten direkt unterhalb der Platte nur kleinste Gewebedehnungen erlauben, die einen zu geringen Reiz für die Knochenneubildung setzen und dadurch eine Verzögerung der Knochenheilung verursachen können. Schlüsselwörter Stabilität · Knochenheilung · Numerische Simulation · Optimale Steifigkeiten · Kennfeld
Mechanobiology of fracture healing part 2. Relevance for internal fixation of fractures Abstract Clinical studies do not allow a quantitative correlation between stability of fracture fixation and outcome of bone healing. This limits the biomechanical improvement of fracture fixation techniques. The most practical quantitative parameter to describe the stability of a fracture fixation is the stiffness. This can be determined for several types of fixation through biomechanical methods and in some clinical studies in vivo. By using numerical fracture healing models, it is now possible to use the tissue differentiation rules found in basic research to calculate optimal stiffness parameters for various fixation techniques. For a tibial fracture as an example the possibilities of a numerical fracture healing simulation have been demonstrated. The effects of the diameter of an intramedullary nail, type of fracture, fracture gap size and nail material on healing could be demonstrated. To
circumvent complex and time consuming calculations for several fixations a map was calculated which shows the expected bone healing quality as a function of the axial stiffness and the shear stiffness of the fixation device. By comparing the stiffness of various fixation techniques with the stiffness map it becomes evident that the methods most often used (e.g. unreamed nail, plate and external fixator) have a low shear and/or rotational stiffness that is too low to achieve the optimal healing outcome. The high axial stiffness of plates next to the plate surface can lead to very low tissue strain directly adjacent to the plate and can delay the bone healing process at this location. Keywords Stability · Fracture healing · Numerical simulation · Optimal stiffness · Characteristic map
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Leitthema reduzieren (. Abb. 2). Für kleinere Frakturspalten wären größere Steifigkeiten generell besser. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt eine Studie, welche die Knochenheilungsqualität nach Tibiafrakturen am Schaf und Osteosynthese mit unterschiedlich steifen Systemen untersuchte [18]. Hier wurden eine axiale Steifigkeit von ca. 2000 N/mm und eine Schersteifigkeit über 200 N/mm als Optimum vermutet [18].
Steifigkeiten verschiedener Osteosyntheseverfahren an der Tibia Abb. 2 8 Knochenheilung als Funktion der axialen Steifigkeit und Schersteifigkeit einer Osteosynthese für einen Frakturspalt von 3 mm. Für kleinere Frakturspaltbreiten sind höhere Steifigkeiten besser. Ellipsen Bereiche häufiger klinischer Osteosynthesesteifigkeiten. F.e Fixateur externe, UMN unaufgebohrter Marknagel
Abb. 3 9 Interfragmentäre Bewegungen von Tibiaosteosynthesen und Möglichkeiten, die Osteosynthesestabilität (Steifigkeit) zu verbessern. a Marknagelung, b Fixateur-externe-Osteosynthese. N Nagel, MR Markraum, VR Verriegelungsschraube, SB Scherbewegung, RB Rotationsbewegung, AB axiale Bewegung, A Abstand Fixateurstabilisator zum Knochen, B Abstand zwischen Stabilisatoren, C Durchmesser Schanz’schrauben, D Abstand zwischen Stabilisatoren
die zu erwartenden Heilungssituationen simuliert und darstellt (. Abb. 2; [46]). Der Vergleich mit Ergebnissen tierexperimentellen Frakturheilungsstudien zeigte, dass diese Kennfelder gut mit den In-vivo-Studienergebnissen übereinstimmte [46]. Die besten Voraussetzungen für eine diaphysäre Kallusheilung, mit den häufig vorgefundenen Frakturspaltbreiten von ca. 3 mm, sind damit für Osteosynthesen mit einer Der Unfallchirurg
Schersteifigkeit von mehr als 300 N/mm und axialen Steifigkeiten zwischen 1000 und 2500 N/mm zu erwarten (. Abb. 2). Abweichungen von diesen günstigen Steifigkeitsbereichen führen nach unseren Modellen zu einer Verzögerung der Knochenheilung, und gravierend geringere Steifigkeiten können zur Pseudoarthrose führen (. Abb. 2). Extrem hohe axiale Steifigkeiten sind ungünstig, weil sie den Reiz zur Knochenheilung
Während bei Frakturen mit großem Weichteilschäden, Infekten und großen Knochendefekten die Verbesserung der Vaskularität und damit der biologischen Heilungsmöglichkeiten im Vordergrund steht, spielt bei den weniger beeinträchtigten Frakturen die richtige Stabilisierung der Frakturen die entscheidende Rolle. In den folgenden Darstellungen soll speziell auf die Bedeutung der Mechanobiologie der Knochenheilung am Beispiel der Tibiafrakturen eingegangen werden, weil sie eine hohe Rate von bis zu 22 % Knochenheilungsstörungen aufweisen, die häufig biomechanische Ursachen haben und z. T. Reoperationen erforderlich machten [3, 4]. Zudem sind Tibiafrakturen am besten durch große klinische und experimentelle Studien untersucht, was einen Vergleich mechanobiologischer Erkenntnisse und mit klinischen Ergebnissen am besten erlaubt. Die Steifigkeiten für verschiedene Osteosyntheseverfahren wurden durch biomechanische In-vitro-Experimente bestimmt oder in seltenen Fällen auch unter klinischen Bedingungen gemessen. In-vitro- und In-vivo-Steifigkeiten können sich dabei etwas unterscheiden, weil gegenüber den Messungen an isolierten Tibiae in vitro, in vivo normalerweise die Fibula als stabilisierendes Element vorhanden ist [23] und die Weichteile ebenfalls einen Beitrag zur Stabilisierung des Unterschenkels leisten [41].
Abb. 4 8 Verteilung der interfragmentären Dehnung bei der Plattenosteosynthese. a Bei steifer Osteosynthese, b bei elastischer Osteosynthese, c gewünschte, annähernd gleiche Dehnung unter der Platte und auf der plattenfernen Seite. Solche Dehnungsverteilungen sind nur durch elastische Schrauben-Platten-Verbindungen möglich. d Geringe axiale interfragmentäre Bewegung (AB) und Dehnung bei Osteotomie mit medialer Plattenosteosynthese und lateraler Abstützung. e Bleibender Knochendefekt nach Plattenentfernung 17 Monate nach Osteotomie aus [36], mit freundl. Genehmigung von Elsevier
Osteosynthesen mit dem Verriegelungsmarknagel Mit der Einführung der minimal-invasiven Chirurgie und dem Wechsel vom aufgebohrten Marknagel zum unaufgebohrten, dünnen Marknagel haben sich die biomechanischen Bedingungen im Frakturheilungsgebiet wesentlich verändert. Biomechanische In-vitro-Studien an Tibiae haben gezeigt, das die Schersteifigkeit bei unabgestützten Querfrakturen oder Mehrfragmentfrakturen sehr gering ist [33]. Bei einem 12-mm-Markraumdurchmesser betrug die Schersteifigkeit für einen 9-mm-Nagel durchschnittlich 131 N/mm und für einen 11-mm-Nagel 224 N/mm [33]. Die axiale Steifigkeit war dagegen deutlich höher (723 N/mm für 9-mm- und 1039 N/mm für 11mm-Nägel [33]). In einer anderen Studie wurden axiale Steifigkeiten von 1500–2300 N/mm für Durchmesser von 8–12 mm [37] berichtet. Eine wesentlich höhere Steifigkeit erreicht man mit aufgebohrten Nägeln. Bei einem aufgebohrten 11-mm-Nagel wurde eine axiale Steifigkeit von 4000 N/mm gemessen [23]. Diese Studien wurden an isolierten Tibiae durchgeführt. Bei intakter Fibula
können die Steifigkeitswerte etwas höher liegen [23].
Die Schwäche dünner Nägel »ist eine niedrige Scher- und Torsionssteifigkeit Vergleicht man diese Daten mit den für die Frakturheilung günstigen Steifigkeiten (. Abb. 2), wird deutlich, dass v. a. die Schersteifigkeiten der unaufgebohrten Nägel unter den günstigen Schersteifigkeiten von über 300 N/mm liegen. Die niedrigen Schersteifigkeiten resultieren überwiegend aus der Differenz von Markraumdurchmesser (MR, . Abb. 3) und Nageldurchmesser (N, . Abb. 3). Bis ein dünner Nagel an der endostalen Oberfläche eines größeren Markraumes anstößt, lässt er sich auch mit geringen Kräften verschieben. Dieser Effekt wird umso größer, je mehr die Fraktur distal oder proximal vom Isthmus liegt und damit der Markraumdurchmesser noch größer wird [2]. Zusätzlich wird die biomechanische Situation noch durch die geringe Torsionssteifigkeit der Nägel erschwert. Rotationen des Nagels unter annähernd physiologischen Belastungen führen bei Querfrakturen der isolierten
Tibia zusätzlich noch zu rotatorischen Scherbewegungen (RB, . Abb. 3). In Abhängigkeit von Nageltyp und -durchmesser werden Rotationswinkel von 6–47° berichtet [2, 33, 37], die sich zu den translatorischen Bewegungen (SB, . Abb. 3, 5–10 mm) addieren [2, 33]. Auch hier gilt, dass die stabilisierende Wirkung bei intakter Fibula die Steifigkeit erhöhten [23] und die Frakturheilung verbessern kann [42]. Generell scheinen jedoch die translatorischen Scherbewegungen kritischer zu sein als die rotatorischen Bewegungen [45] die bei distalen Frakturen über 10 mm liegen können [2]. Die axialen Steifigkeiten erreichen dagegen Werte, die den günstigen Werten nahe kommen (. Abb. 2). Die geringen Scher- und Torsionssteifigkeiten der Nägel dürften die Erklärung für verzögerte Knochenheilung und hohen Reoperationsrationsraten bei diesen Osteosynthesen sein [3, 5, 14, 29] und erklären, warum Tibiafrakturen in aufgebohrter Technik schneller und komplikationsärmer heilten als in unaufgebohrter Nageltechnik [3, 29]. Der Vorteil der gewebeschonenden unaufgebohrten Technik konnte in diesen Studien [3, 29] die Nachteile der Scherinstabilität nicht kompensieren. Ein Der Unfallchirurg
Leitthema weiterer Faktor der die Steifigkeit der unaufgebohrten Nägel beeinträchtigen kann ist die Verriegelung (VR, . Abb. 3). Winkelstabile Verriegelungsschrauben erzielen eine höhere Stabilität als Verriegelungsschrauben mit „Spiel“ zwischen Schraube und Loch im Nagel [24]. Wie tierexperimentelle Untersuchungen an Schafstibiae gezeigt haben, führt eine winkelstabile Verriegelung des Nagels durch geeignete Verriegelungsschrauben zu einer signifikant besseren Knochenheilung gegenüber nicht winkelstabilen Verriegelungsschrauben [26]. Die beste Stabilität ist für möglichst große Nägel in aufgebohrter Technik oder für Kompressionsnagelosteosynthesen zu erreichen, wenn die Frakturform das erlaubt [33]. Eine winkelstabile Verriegelung erhöht die Steifigkeit der Marknagelosteosynthese.
Osteosynthesen mit Platten Die Entwicklung der Plattenosteosynthese von der Druckplattenosteosynthese über die Überbrückungsplatte zu den winkelstabilen Platten hat die biomechanischen Bedingungen im Frakturheilungsgebiet gravierend verändert. Während die Druckplattenosteosynthese eine direkte Knochenheilung unter absoluter Stabilität (IFB = 0) anstrebt, wird bei den Überbrückungs- und den winkelstabilen Platten eine IFB gewünscht, die eine Kallusbildung stimulieren soll [34]. Wegen der asymmetrischen Lage der Platten zum Knochen kommt es auch bei axialer Belastung der Knochen immer zur erheblichen Biegebelastung der Fraktur. Das führt dazu, dass auf der plattenfernen Frakturseite die größte IFB auftritt, während sie direkt unter der Platte sehr gering ist (. Abb. 4a, b; [9]). Die gemessenen axialen Steifigkeiten können deshalb die IFB an verschiedenen Lokalisationen der Fraktur nicht charakterisieren. Zudem schwanken die Angaben zur axialen Steifigkeit von Plattenosteosynthesen in der Literatur stark, was mit den verschiedenen Versuchsbedingungen zu tun hat (Krafteinleitung, Messmethode, Plattentyp, Anzahl der Schrauben u. a.). Axiale Steifigkeiten werden für LCP-Platten von 30–466 N/mm angegeben [1, 22, 23, 47]. Bei sehr steifen Platten wurden Der Unfallchirurg
axiale Steifigkeiten bis zu 3400 N/mm gemessen [6]. Unter der Platte und plattenfern herrschen unterschiedliche mechanische Bedingungen. Messungen der Schersteifigkeit sind nicht bekannt, nennenswerte translatorische Scherbewegungen direkt unter der Platte sind jedoch nicht zu erwarten. Die Torsionssteifigkeit ist vergleichbar niedrig wie bei den unaufgebohrten Marknägeln und erlaubt deshalb erhebliche rotatorische Scherbewegungen auf der plattenfernen Seite [22]. Da Angaben zur Schersteifigkeit fehlen und die axialen Steifigkeiten die IFB an verschiedenen Stellen des Frakturspalts nicht richtig repräsentieren, ist es sinnvoller, die IFB an verschiedenen Stellen der Frakturen zu bewerten. In-vitro-Studien von winkelstabilen Plattenosteosynthesen [1, 22], ergaben unter partieller Belastung von 250 bzw. 350 N axiale Bewegungen von ca. 0,8 bzw. 1 mm auf dem der Platte gegenüber liegenden Frakturspalt, während die IFB unter der Platte sehr viel geringer sind [9]. Dies bedeutet bei partieller Belastung eine interfragmentäre Dehnung (IFD) von ca. 33 % auf der plattenfernen Fraktur, was eine gute Kallusstimulation induzieren kann. Klinisch wird bei solchen Osteosynthesen häufig eine gute Kallusbildung auf der plattenfernen Frakturspaltseite gesehen, während direkt unterhalb der Platte kaum eine Knochenneubildung beobachtet wird [30]. Die Steifigkeit der Plattenfixation kann durch eine geringere Anzahl von Schauben mit einem größeren Abstand zur Fraktur und zueinander reduziert werden (. Abb. 4b), was aber auch zu ungünstig kleinen axialen Steifigkeiten (ca. 50 N/mm) führen kann [47]. Bei einer Plattenosteosynthese mit kontralateraler Abstützung können extrem hohe axiale Steifigkeiten auftreten. Die Stabilisierung einer aufklappenden Tibiakopfosteotomie mit einer winkelstabilen Platte und lateraler Abstützung zeigte eine sehr geringe IFB direkt unter der Platte (AB in . Abb. 4d, 0,05 mm bei 500 N axialer Last, entspricht einer axialen Steifigkeit von 10.000 N/mm). In einer klinischen Studie mit dieser Stabilisierung war bei 66 % aller Patienten
keine Knochenheilung direkt unter der Platte zu beobachten (. Abb. 4e; [36]). Eine Möglichkeit, die sehr geringen Dehnungen unter der Platte zu vermeiden, liegt in der Konstruktion von PlattenSchrauben-Verbindungen, die eine größere axiale Bewegung zulassen [36] und zu einer besseren Frakturheilung führen können [6].
Osteosynthesen mit dem Fixateur externe Die Fixateur-externe-Osteosynthese wird seit geraumer Zeit bei uns überwiegend nur temporär bis zu einer definitiven internen Stabilisierung eingesetzt. Trotzdem ist es sinnvoll, sie so zu stabilisieren, dass auch die frühen Heilungsprozesse gut ablaufen können und in günstigen Fällen auch eine Ausbehandlung möglich ist. Dafür ist es notwendig, die Steifigkeit der Osteosynthese vorteilhaft zu wählen.
Klinisch übliche Fixateur»externe-Osteosynthesen haben eine niedrige Steifigkeit Die Steifigkeit unilateraler Fixateur-externe-Osteosynthesen ist hauptsächlich abhängig vom verwendeten Fabrikat, dem Durchmesser der Schanz-Schrauben (C in . Abb. 3) und der Konfiguration der Fixateurelemente (. Abb. 3). Mit kleinerem Abstand der Stabilisierungselemente (z. B. Rohre) von der Tibiaoberfläche (Abstand A in . Abb. 3) und größerem Abstand der SchanzSchrauben und Stabilisationsteile zueinander (Abstand B und D in . Abb. 3) wird die Stabilität höher [17]. Die wenigen klinischen Messungen ergaben axiale Steifigkeiten von 174 N/mm [10] und ca. 240 N/mm [15] bis zu 510 N/mm [20]. In-vitro-Untersuchungen des unilateralen AO-Doppelrohrsystems ergaben an der isolierten Tibia axiale Steifigkeiten von 148 N/mm [21] bis ca. 250 N/mm [23]. Die Schersteifigkeiten liegen in etwa in dem Bereich der axialen Steifigkeit oder etwas höher [17]. Die Arbeit [17] zur dreidimensionalen Steifigkeit von AO-Doppelrohrfixateuren konnte auch den großen Einfluss
der freien Schraubenlänge für die Scherund axiale Steifigkeit darstellen. Eine Verminderung des Abstands der Stabilisationsrohre von der Knochenoberfläche von 59 auf 49 mm erhöht beide Steifigkeiten um mehr als den Faktor 10 [17] und kann damit Steifigkeiten erreichen, die für die Knochenheilung günstig sind (. Abb. 2). Unilaterale Fixateur-externeSysteme haben sich gegenüber komplexen Konstruktionen für die meisten Frakturfälle durchgesetzt, weil sie einen geringen intraoperativen Weichteilschaden hervorrufen, schnell zu applizieren sind und ventromedial sehr nah an der Knochen angebracht werden können. In-vitro-Stabilitätsuntersuchungen ergaben für verschiedene Ring-FixateurKonfiguration (Anzahl Ringe, Ringdurchmesser, Drahtdurchmesser) axiale Steifigkeiten von ca. 33–117 N/mm [21, 39] und Torsionssteifigkeiten von 0,7–1,5 Nm/Grad [39]. Sie liegen damit bei noch niedrigeren Steifigkeiten als die unilateralen Fixateure. Ein Vergleich mit den günstigen axialen Steifigkeiten (. Abb. 2) zeigt, dass die Fixateur-externe-Osteosynthesen in üblicher klinischer Anwendung generell zu flexibel sind und durch eine Versteifung die durchschnittlichen Heilungszeiten verringert werden könnten.
Biomechanische Verbesserungen der Osteosynthesen Die häufig beobachteten Heilungsverzögerungen bei Marknagelosteosynthesen von Tibiaschaftfrakturen können deutlich verbessert werden, wenn in der unaufgebohrten Technik die Schersteifigkeit der Osteosynthese durch möglichst große Nageldurchmesser und eine winkelstabile Verriegelungstechnik verbessert wird.
Nageldurchmesser und »eineGroße stabile Verriegelungstechnik verbessern die Heilung Zusätzlich sollte ggf. eine Fibulastabilisierung erwogen und darauf geachtet werden, größere (größer als 3 mm) Frakturspalten zu vermeiden [12, 16, 19].
Bei den Plattenosteosynthesen mit steifen überbrückenden oder winkelstabilen Platten ist eine optimale Steifigkeit schwer zu erreichen, weil für die Frakturheilungszone unter der Platte und auf der plattenfernen Seite unterschiedliche IFB vorherrschen [9]. Die Biegesteifigkeit der Platte (IFB) kann durch die Anzahl und Lokalisation der Plattenschrauben beeinflusst werden [47]. Eine geringere Anzahl von Schauben mit einem größeren Abstand zur Fraktur und zueinander reduziert zwar die Steifigkeit der Osteosynthese, erhöht aber auch die Beanspruchung der Platte [47] und kann die axiale Steifigkeit bei nicht abgestützten Frakturen ungünstig klein (ca. 50 N/mm) werden lassen [47]. Eine weitere Möglichkeit, die geringen IFB unter den Platten zu erhöhen, besteht darin, die winkelstabile Platte im Sinne eines Fixateur interne weiter von der Knochenoberfläche zu positionieren. Dadurch wird die axiale Steifigkeit reduziert und die IFB unter der Platte erhöht [1, 47], aber auch die IFB auf der gegenüberliegenden Frakturseite und die Belastung für die Platte vergrößert, was das Risiko einer zu hohen IFB und Plattenverbiegung vermehrt [1]. Um eine sehr hohe axiale Steifigkeit direkt unter den winkelstabilen Platten und die damit verbundene Knochenheilungsverzögerung zu vermeiden, gibt es inzwischen neue Implantate mit geringerer axialer Steifigkeit [7, 36], die plattennah eine höhere IFB und IFD erlauben und plattennah signifikant mehr Knochenneubildung erlauben [7]. Klinische Studien müssen in der Zukunft zeigen, ob sich solche Techniken bewähren. Eine möglichst nahe Lage des Fixateurs zum Knochen verbessert die Knochenheilung. Eine Verbesserung der Knochenheilung im Fixateur externe ist durch eine Erhöhung der Fixateursteifigkeit (sowohl axial als auch in Scherrichtung) für den Operateur an der Tibia am einfachsten dadurch möglich, dass er mit dem Stabilisator möglichst nahe an den Knochen herangeht (Abstand A in . Abb. 3; [8]), was für die Tibia an der ventromedialen Seite gut möglich ist. Die Knochenheilung kann zusätzlich gravierend verbessert werden, indem größere Frakturspalt-
breitenvermiedenwerden[11, 12, 16, 19]. Gegenüber den starren Fixationsrohren der älteren Fixateursysteme ist heute mit den Gelenksystemen sowohl intra- wie auch postoperativ eine Korrektur des Repositionsergebnisses und damit eine Verringerung der Frakturspaltbreiten möglich.
Diskussion Die Frakturheilung ist von einer großen Anzahl von Faktoren abhängig. Eine Analyse von Tibiafrakturen an 192 Patienten zeigte in einer univarianten Analyse 9 Faktoren, die eine verzögerter Heilung und einen weiteren Eingriff voraussagen können [4]. Wurden jedoch Wechselwirkungen zwischen den Faktoren durch eine multivarianten Analyse ausgeschlossen, blieben nur noch 3 signifikante Faktoren übrig [4]: 4 drittgradig offene Weichteilverletzungen, 4 große Frakturspalten und 4 einfache Querfrakturen. Der große Weichteilschaden ist mit seiner Vaskularitätsstörung ein leicht nachvollziehbarer Faktor. Dass große Frakturspalten die Knochenheilung verzögern, ist in experimentellen und klinischen Studien gut nachgewiesen worden [12, 16, 19]. Nicht offensichtlich ist die signifikante Heilungsverzögerung bei einfachen Querfrakturen. Diese ist jedoch durch die im Artikel beschriebenen mechanobiologischen Gesetzmäßigkeiten erklärbar, obwohl bei keiner der klinischen Studien die Stabilität der Osteosynthese bestimmt wurde. Die generell geringe Scher- und Rotationssteifigkeit der unaufgebohrten dünnen Marknägel und die geringen Rotationssteifigkeiten der Platten führen nur bei Querfrakturen mit Frakturspalt oder Mehrfragmentfrakturen zu großen, die Frakturheilung störenden IFB quer zur Knochenachse. Bei Schräg- und Spiralfrakturen kommt es unter Scher- und Rotationsbewegungen nach dem Schließen des Frakturspalts zum Kontakt der Fragmentflächen und damit zu einer Stabilisierung. Die große Anzahl von Einflussfaktoren [4] macht deutlich, dass die KnoDer Unfallchirurg
Leitthema chenheilung eines Patienten immer eine individuelle Situation darstellt. Auch mit den heute schon sehr komplexen numerischen Knochenheilungsprogrammen lässt sich deshalb nicht der Einfluss beliebiger Faktoren auf den Knochenheilungsverlauf einer individuellen Fraktur voraussagen. Wie bei jedem Modell sind zudem immer einige Annahmen zu treffen, die auch eine gewisse Vereinfachung bedeuten. Die Grundlagenforschung zur Mechanobiologie der Frakturheilung, auf der die oben beschriebenen numerischen Programme basieren, beruhen überwiegend auf experimentellen Studien am Schaf. Die Frakturheilung beim Schaf verläuft sehr ähnlich wie beim Menschen [49], erfolgt jedoch etwas schneller. Das Kennfeld zum Einfluss der axialen- und Schersteifigkeit auf die Frakturheilung (. Abb. 2) sagt deshalb auch keine Heilungszeiten voraus, sondern zeigt an, welche Steifigkeiten eine gute Frakturheilung erwarten lassen. Die Ausführungen in diesem Artikel fokussieren auf die Tibiaschaftfrakturen als Beispiel. Für andere Knochen gelten im Prinzip natürlich die gleichen mechanobiologischen Regeln. Sieht man einmal von diesen Einschränkungen ab, können für Frakturen ohne große Begleitverletzungen oder anderen Erkrankungen der Patienten einige generelle Aussagen gemacht werden, die klinische Relevanz haben.
Fazit für die Praxis 4 Die Erkenntnisse aus der Grundla-
genforschung und neue numerische Verfahren können helfen Verbesserungen der Osteosynthesen zu erreichen und die Knochenheilungszeiten und die Komplikationsraten zu verringern. 4 Die Komplikationshäufigkeiten und Knochenheilungsverzögerungen können verringert werden, wenn bei der unaufgebohrten Marknagelung die Nageldurchmesser möglichst groß gewählt werden und eine steife Verriegelungstechnik zur Anwendung kommt. 4 Die Biegesteifigkeit der Platten kann durch die Anzahl und Lokalisation der Schrauben beeinflusst werden. Der Unfallchirurg
Dieser Einfluss ist jedoch auf die plattenferne Frakturzone beschränkt, weil direkt unter der Platte immer nur geringe Dehnungsreize auftreten. 4 Die Fixateur-externe-Osteosynthese hat meistens eine zu geringe Steifigkeit. Am Unterschenkel kann diese verbessert werden, in dem das Stabilisationsteil möglichst nahe zur Tibia angebracht wird.
Korrespondenzadresse Prof. em. Dr. L. Claes Institut für Unfallchirurgische Forschung und Biomechanik, Universitätsklinikum Ulm Helmholtzstraße 14, 89081 Ulm, Deutschland
[email protected] Danksagung. Mein Dank gilt allen ehemaligen Mitarbeitern, die aktiv an der mechanobiologischen Forschung zur Frakturheilung beteiligt waren.
Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt. L. Claes gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Dieser Beitrag beinhaltet keine vom Autor durchgeführten Studien an Menschen oder Tieren.
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Der Unfallchirurg