Myasthenia gravis
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Myasthenia gravis: ZentralnervoÈse Beteiligung und Schlaf Myasthenia Gravis and Sleep: CNS-Involvement and Sleep Robert Stepansky1, Svenja Happe1, 2 und Josef Zeitlhofer1 1 2
UniversitaÈtsklinik fuÈr Neurologie, Wien. Klinik und Poliklinik fuÈr Neurologie, WestfaÈlische Wilhelms-UniversitaÈt MuÈnster.
Zusammenfassung
Die Myasthenia gravis (MG) stellt trotz guter BehandlungsmoÈglichkeiten auch heute noch eine potentiell lebensbedrohliche Erkrankung dar. Bei krisenhaften Verschlechterungen, aber auch bei medikamentoÈs gut eingestellten Patienten, die uÈber eine normale Lungenfunktion tagsuÈber verfuÈgen, kommt es relativ haÈufig waÈhrend des REM-Schlafes zu Apnoen und damit verbundener Hypoxie. Die naÈchtlichen AtmungsstoÈrungen bleiben meist unentdeckt. Unspezifische Symptome wie MuÈdigkeit, allgemeine SchwaÈche, Konzentrationsund GedaÈchtnisprobleme sollten daher auch an schlafbezogene AtmungsstoÈrungen denken lassen. Immer wieder wird eine zentralnervoÈse Beteiligung der MG postuliert: als Hinweise hierfuÈr werden GedaÈchtnisstoÈrungen, eine Reduktion des REM-Schlafes sowie das Vorhandensein von Azetylcholin-RezeptorantikoÈrpern im Liquor angefuÈhrt. Zu einer ZNS-Dysfunktion koÈnnen moÈglicherweise 1) eine spezifische, antikoÈrperbedingte Blockade, 2) im Rahmen der Immunerkrankung produzierte Zytokine und 3) eine Hypoxie ± als wahrscheinlich wichtigster Einfluss auf die kognitive LeistungsfaÈhigkeit bei MG-Patienten ± fuÈhren. Eine polysomnographische AbklaÈrung sollte daher immer bei MG-Patienten mit fraglicher zentralnervoÈser Beteiligung (auch bei normaler Lungenfunktion tagsuÈber) erfolgen, um bei der Diagnose einer schlafbezogenen AtmungsstoÈrung gezielt eine naÈchtliche Beatmungstherapie einleiten zu koÈnnen. SchluÈsselwoÈrter REM-Schlaf-bezogene AtmungsstoÈrung ± GedaÈchtnis ± EEG ± ZNS ± Azetylcholin ± Traum.
Summary
Myasthenia gravis (MG) is a potential life threatening disease although effective treatment strategies are available today. In crisis, but also in clinically stable patients with a normal daytime pulmonary function, REM sleep is vulnerable for apneas and hypoxia. Nocturnal respiratory problems are rarely diagnosed in MG. Unspecific symptoms like sleepiness, fatigue, concentration and memory problems can well be symptoms of a sleep-related breathing disorder. Reports of memory dysfunction, reduction of REM-sleep, and detection of acetylcholine receptor (AchR) antibodies in the cerebrospinal fluid have led to the hypothesis of a central nervous system involvement in myasthenia gravis. Possible mechanisms are: 1) central AchR-antibodies leading to a blockade of cholinergic neurotransmission in the brain, 2) unspecifically acting cytokines and 3) hypoxia, as perhaps the most important influence upon cognitive function in MG. A polysomnographic investigation should therefore be performed in a MG-patient presenting with possible CNS involvement (despite normal daytime respiratory function) to detect a sleep related breathing disorder and eventually initiate a nocturnal ventilation therapy. Keywords REM sleep-related breathing disorder ± memory ± EEG ± CNS ± acetylcholine ± dream.
Korrespondenz: Prof. DDr. Josef Zeitlhofer, UniversitaÈtsklinik fuÈr Neurologie, WaÈhringer GuÈrtel 18±20, A-1090 Wien. E-mail:
[email protected] Somnologie Ó 2000 Blackwell 4: 79 ±Wissenschafts-Verlag, 83, 2000 Berlin ´ Wien
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Robert Stepansky et al.
UÈberblick uÈber die Myasthenia gravis (MG) Die MG ist eine Autoimmunerkrankung, deren Symptome von Willis 1672 erstmals beschrieben wurden und bei der sich AntikoÈrper an die Azetylcholinrezeptoren der motorischen Endplatte binden und dadurch die neuromuskulaÈre ErregungsuÈbertragung behindern. Folge ist eine abnorme, fluktuierende ErmuÈdbarkeit und schlieûlich LaÈhmung der willkuÈrlichen Muskulatur, die sich nach Ruhe rasch wieder bessern kann. Die MG ist haÈufig mit einer Thymushyperplasie oder einem Thymom assoziiert. Der klinische Verlauf der MG ist sehr unterschiedlich; rasches Fortschreiten der MuskelschwaÈche von einer Muskelgruppe zur anderen kommt genauso vor wie eine unveraÈnderte Symptomatik uÈber Monate [1]. Die klinische Einteilung erfolgt uÈblicherweise mit der Skala nach Osserman [26, 33]. In uÈber der HaÈlfte der FaÈlle (etwa 55 %) wird eine mild bis maÈûig generalisierte MG diagnostiziert, gefolgt von der akut fulminanten MG (15 %) und der rein okulaÈren MG (10 %±15 %). In nur 10 % der FaÈlle kommt es zu einer Progression der MG uÈber zwei Jahre bis hin zur akuten Verschlechterung [1]. Schwerwiegende Komplikationen ergeben sich vor allem aus einer SchluckstoÈrung mit Gefahr der Aspiration und durch die lebensbedrohliche Ateminsuffizienz. Die Diagnose erfolgt klinisch, elektrophysiologisch (Tensilontest und Serienstimulation zur Dekrement-PruÈfung) und durch den Nachweis spezifischer AzetylcholinrezeptorantikoÈrper. Frauen sind in der 2. bis 3. Dekade, MaÈnner in der 6. bis 7. Dekade haÈufiger betroffen, die PraÈvalenz betraÈgt etwa 5 bis 12 pro 100 000 Einwohner [27]. Der Verlauf ist chronisch und meist lebenslang. WaÈhrend fruÈher schwer erkrankte Patienten nicht selten an AtemlaÈhmung starben, ist die Lebenserwartung bei adaÈquater Therapie heute nicht verringert. Therapeutisch wird einerseits die Thymektomie sowie eine medikamentoÈs immunmodulierende Therapie mit Kortikosteroiden und Azathioprin durchgefuÈhrt, andererseits erfolgt symptomatisch die Behandlung mit Azetylcholinesterasehemmern. Auûerdem werden in schweren FaÈllen die Plasmapherese und Immunadsorption sowie die intravenoÈse Gabe von Immunglobulinen in der Akutphase und in der Langzeitbehandlung erfolgreich eingesetzt [1, 17, 27]. Nicht unerwaÈhnt soll bleiben, dass eine Reihe von Medikamenten bei der MG aufgrund ihrer muskelrelaxierenden Wirkung kontraindiziert sind (u. a. Benzodiazepine, eine Reihe von Antibiotika, Chinin, Muskelrelaxantien etc., siehe auch [27]). Neben der sogenannten myasthenen Krise (spontane Verschlechterung der MG) kann auch die È berdosierung des Cholinesteracholinerge Krise (durch U sehemmers) zu einer progredienten, lebensbedrohlichen MuskelschwaÈche fuÈhren, die eine intensivmedizinische Behandlung erforderlich macht mit zum Teil invasiver Beatmung uÈber einen laÈngeren Zeitraum [1, 27].
Schlafbezogene AtmungsstoÈrungen und MG
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Physiologischerweise kommt es zu einer Reduktion des Muskeltonus waÈhrend des Schlafes bis hin zu einer ausgepraÈgten muskulaÈren Hypotonie waÈhrend des REM-Schlafes. Im Gegensatz zur AktivitaÈt der Interkostalmuskulatur bleibt die Zwerchfellatmung auch waÈhrend des REMSchlafes aufrecht. Eine beeintraÈchtigte Zwerchfellfunktion kann zum einen bei der Phrenikusparese, bei neuromuskulaÈren Erkrankungen wie z. B. der MG und Myopathien, und hier insbesondere beim Sauren Maltase- Mangel, vorkommen [14]. Eine gestoÈrte Zwerchfellatmung wird im Wachzustand und im Non-REM-Schlaf haÈufig noch durch
die AktivitaÈt der Interkostalmuskulatur und durch die Atemhilfsmuskulatur ausgeglichen. Im REM-Schlaf kann es dann einerseits zu vermehrten zentralen Apnoen und Hypopnoen und andererseits zu einer sekundaÈren Hypoventilation kommen. Die wegen einer neuromuskulaÈren Insuffizienz auftretende Hypoventilation kann als rezidivierend flache Atmung mit erhaltenem Atemantrieb und zunehmender respiratorischer Azidose zumeist von zentralen Apnoen und Hypopnoen mit fehlendem Atemantrieb und Eu- bzw. Hypokapnie abgegrenzt werden, eine Assoziation zentraler Apnoen und Hypopnoen mit einer alveolaÈren Hypoventilation ist jedoch moÈglich [11]. Aber auch obstruktive Apnoen und Hypopnoen koÈnnen vorwiegend im REM-Schlaf bei neuromuskulaÈren Erkrankungen, einschlieûlich der MG, vorkommen [11]. FuÈhrender Pathomechanismus fuÈr obstruktive Apnoen oder Hypopnoen ist hauptsaÈchlich eine verstaÈrkte Muskeltonusreduktion, die zu einem Kollaps der oberen Atemwege fuÈhrt. Als zusaÈtzlicher Faktor kommt eine Adipositas, die mitunter bei neuromuskulaÈren Erkrankungen durch eine krankheitsbedingte verminderte koÈrperliche AktivitaÈt [4, 7] oder durch eine Steroidtherapie verstaÈrkt wird [3], in Frage. Eine Adipositas kann einerseits zu obstruktiven Apnoen, aber auch zu einer verminderten Zwerchfellfunktion und damit zur Hypoventilation fuÈhren [21]. Bei der MG sind daher sowohl zentrale als auch obstruktive AtmungsstoÈrungen sowie eine Hypoventilation, vor allem waÈhrend des REMSchlafes, zu erwarten. Obwohl also der Schlaf zu AtmungsstoÈrungen fuÈhren kann, und gerade bei der MG die Atmung als besonders gefaÈhrliche Komplikation beeintraÈchtigt sein kann, ist es um so erstaunlicher, dass bislang nur wenige Studien zu diesem Thema durchgefuÈhrt wurden. Die bisherigen schlafpolygraphischen Untersuchungen an klinisch stabilen MG-Patienten ergaben eine HaÈufigkeit von Schlafapnoen von 60 % [35, 38] bis 75 % [3]. In einer eigenen Studie wurden 21 MG-Patienten und 10 altersgleiche gesunde Kontrollpersonen polysomnographisch und testpsychologisch untersucht, Apnoen und Hypopnoen wurden nach den uÈblichen Diagnosekriterien charakterisiert [21]. Bei Quera Salva et al. [35] und in unserer Untersuchung [38] uÈberwogen die MG-Patienten mit zentralen Apnoen und Hypopnoen, die sich fast ausschlieûlich waÈhrend des REM-Schlafes fanden, waÈhrend in der eigenen Untersuchung nur 2 von 10 Kontrollpersonen uÈberwiegend obstruktive Schlafapnoen aufwiesen [38]. Auûerdem zeigten die betroffenen Patienten in beiden Untersuchungen einen verminderten REM-Schlafanteil, der typischerweise auch bei Schlafapnoepatienten zusammen mit einem fragmentierten Schlafprofil, Abnahme des Tiefschlafanteils und Zunahme des Leichtschlafanteils vorkommt [35, 38], und auch in diesen Untersuchungen moÈglicherweise durch das haÈufigere Vorkommen von Apnoen und Hypopnoen bedingt sein kann. In unserer Untersuchung war der REM-Schlafanteil im Vergleich zu der gesunden Kontrollgruppe jedoch nicht statistisch signifikant vermindert. HoÈheres Lebensalter konnte in beiden Studien als Risikofaktor fuÈr Apnoen identifiziert werden [35, 38]. In unserer Untersuchung hatten Erkrankungsdauer und Schweregrad, È bergewicht sowie AntikoÈrperspiegel gegen AzetylcholinU rezeptoren keinen Einfluss auf die Entwicklung eines Schlafapnoesyndroms [38]. Ein erhoÈhter Body Mass Index und eine pathologische Lungenfunktion mit veraÈnderten Blutgaswerten tagsuÈber gehen mit einer erhoÈhten SchlafapnoehaÈufigkeit einher [35]. In einer japanischen Untersuchung wurden hingegen bei einem Groûteil der Patienten sowohl zentrale als auch obstruktive Apnoen beobachtet,
Myasthenia gravis wobei bei den meisten der untersuchten Patienten die zentralen Apnoen uÈberwogen: zwoÈlf von insgesamt sechzehn untersuchten Patienten hatten Apnoen, wobei alle zwoÈlf Patienten zentrale Apnoen hatten, bei neun der Patienten mit Apnoen konnten zusaÈtzlich auch obstruktive Apnoen nachgewiesen werden. Die Autoren konnten nachweisen, dass durch die Thymektomie die HaÈufigkeit von Apnoen verringert werden konnte [3]. In allen Untersuchungen lagen nur bei wenigen Patienten mit einem Schlafapnoesyndrom eine DurchschlafstoÈrung, eine erhoÈhte TagesschlaÈfrigkeit oder ein morgendlicher Kopfschmerz vor. Therapeutisch kommen neben einer suffizienten Behandlung der Grunderkrankung mit gegebenenfalls einer Thymektomie eine Gewichtsreduktion und eine naÈchtliche Beatmungstherapie mit CPAP oder BiPAP in Frage. Auch eine Behandlung mit einem PyridostigminpraÈparat in Retardform zur Verbesserung der Muskelkraft in der Nacht wird vorgeschlagen [4].
ZentralnervoÈse Beteiligung der MG
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Die MG entsteht durch eine antikoÈrperbedingte Blockade der nikotinartigen Azetylcholinrezeptoren (AchR) an der motorischen Endplatte. Azetylcholin ist ein wichtiger Neurotransmitter im ZNS; cholinerge Neurone finden sich sowohl im Hirnstamm, als wesentlicher Teil des ARAS (aufsteigendes retikulaÈres aktivierendes System), als auch im Groûhirn (Basalganglien, basale Groûhirnstrukturen mit dem Nucleus basalis Meynert). Dem zentralen cholinergen System kommt eine entscheidende Bedeutung fuÈr die Schlaf-/Wachrhythmik und fuÈr die GedaÈchtnisleistung (Informationsaufnahme, Speicherung und Abrufung) zu [9, 31]. Pontine cholinerge Neurone sind an der Steuerung des REM-Schlafes entscheidend beteiligt, waÈhrend noradrenerge und serotonerge Neurone inaktiv sind [16, 18]. Langanhaltende, tonische REM-Schlaf-Effekte wie die EEGDesynchronisierung werden dabei durch muskarinartige AchR mediiert, waÈhrend kurz dauernde, phasische PhaÈnomene wie die raschen Augenbewegungen uÈber nikotinartige AchR vermittelt werden [8]. Die Bedeutung des cholinergen Systems fuÈr die GedaÈchtnisfunktion wird durch die Demenzforschung zunehmend unterstrichen. So degenerieren bei der senilen Demenz vom Alzheimertyp (SDAT) nicht nur kortikale Strukturen sondern auch subkortikale cholinerge Kerngebiete, allen voran der Nucleus basalis [9, 30, 31]. Entsprechende Therapiestrategien, die das zentrale cholinerge System staÈrken, werden daher heute eingesetzt [30]. Bei der SDAT sind neben den muskarinartigen Rezeptoren auch die kortikalen nikotinartigen AchR vermindert. Somit kommt dem Untergang der nikotinartigen AchR eine wichtige Bedeutung in der Pathogenese der SDAT zu [32, 40]. Folgende zentrale BeeintraÈchtigungen, die bedingt mit dem cholinergen System in Zusammenhang stehen koÈnnen, wurden bei MG-Patienten beobachtet: VeraÈnderungen des Schlafes Die Dauer und die Anzahl von REM-Schlaf konnte bei MG-Patienten als vermindert nachgewiesen werden, paradoxerweise wurde die erste REM-Periode als die laÈngste gemessen, der Tiefschlafanteil war vermehrt [28, 34]. In einer eigenen Untersuchung konnten jedoch keine sicheren Anhaltspunkte fuÈr eine BeeintraÈchtigung des zentralen cholinergen Systems beobachtet werden. Wir konnten im Vergleich zur Kontrollgruppe keine signifikante Verminderung des prozentuellen REM-Schlafanteils am GesamtSomnologie 4: 79 ± 83, 2000
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schlaf und der REM-Dichte (Anzahl der Augenbewegungen pro Minute REM-Schlaf) feststellen [38]. Bislang existieren kaum Studien zu Traumverhalten und Trauminhalten von Patienten mit MG. Lediglich Mertens und Mitarbeiter und LuÈtzenkirchen konnten ein lebhaftes Traumerleben, auch in eidetischen WachtraÈumen mit bunten, meist regressiven Inhalten bei MG-Patienten im Vergleich zu Kopfschmerz- und MS-Patienten, beobachten [25, 29]. Neuropsychologische StoÈrungen BeeintraÈchtigungen der GedaÈchtnisleistung, insbesondere im visuellen GedaÈchtnisbereich, konnten bei Myastheniepatienten in einigen Studien beobachtet werden [12, 15, 25, 29]. Henkes und Mitarbeiter hielten zum Beispiel eine zerebrale Beteiligung der MG bei zwei Patienten mit einer singulaÈren LaÈsion in der MRT und einem pathologischen Benton-Test fuÈr moÈglich bzw. wahrscheinlich [15]. Die Arbeitsgruppe um LuÈtzenkirchen und Mertens konnte aufgrund eines pathologischen Benton-Testes bei 9 von 13 MG-Patienten Hinweise fuÈr eine uÈbergeordnete HirnleistungsstoÈrung und bei 11 MG-Patienten auffaÈllige PersoÈnlichkeitsstrukturen (Freiburger PersoÈnlichkeitsinventar) finden, die als moÈgliche Ursache einer zentralen Beteiligung der MG gedeutet wurden [25, 29]. Wir konnten ebenfalls bei MG-Patienten im Vergleich zu altersgleichen Kontrollen eine signifikant verminderte GedaÈchtnisleistung (Paar-Assoziationstest der Wechsler Memory Scale und GedaÈchtnissubtest aus dem Wilde Intelligenztest) nachweisen, die jedoch in engem Zusammenhang mit Schlafapnoen und damit verbundener Hypoxie standen [38]. In einem akustischen Vigilanztest konnte jedoch keine BeeintraÈchtigung der Vigilanz bei MG-Patienten gefunden werden [24], auch in unserer Untersuchung lieû sich kein signifikanter Unterschied der beiden Gruppen beim Vigilanztest (nach Quatember und Maly) nachweisen [38]. LiquorveraÈnderungen In mehreren Studien konnten AzetylcholinrezeptorantikoÈrper im Liquor nachgewiesen werden [2, 19, 22]. Auûerdem ergaben sich Hinweise fuÈr eine intrathekale Immunreaktion mit EiweiûerhoÈhung und oligoklonalen Banden [15]. Ein immunsupprimierter Patient litt an einer Cryptococcus neoformans Meningitis. Bei den uÈbrigen Patienten mit pathologischem Liquorbefund wurde eine direkte ZNS-Manifestation im Rahmen der MG vermutet [15]. Hingegen konnten Whiting und Mitarbeiter nachweisen, dass aus dem Serum von MG-Patienten gewonnene AzetylcholinrezeptorantikoÈrper sich nicht an die nikotinartigen AchR des menschlichen Gehirns anlagern, da die AchR des Skelettmuskels sich von den AchR des Gehirns unterscheiden und auch durch verschiedene Gene codiert werden [41]. Auûerdem konnten in einer MRT und SPECT-Untersuchung bei einem Groûteil der MG-Patienten umschriebene und multifokale LaÈsionen oder Minderperfusionen nachgewiesen werden [15]. Auch VeraÈnderungen im EEG und eine erhoÈhte Epilepsieneigung werden bei der MG immer wieder berichtet [37]. Inwieweit diese Ergebnisse mit einer zentralen Beteiligung der MG in Zusammenhang stehen, ist bislang ungeklaÈrt.
Diskussion Bereits 1956 erwogen Lennarzt und Spiegelberg erstmals eine etwaige zentrale Beteiligung der MG anhand gehaÈufter psychischer VeraÈnderungen [23]. Myastheniepatienten leiden, selbst wenn sie unter einer medikamentoÈsen Ein-
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stellung klinisch stabil sind und uÈber eine normale Lungenfunktion tagsuÈber verfuÈgen, in einem hohen Prozentsatz an vorwiegend zentralen Apnoen und/oder Hypopnoen, die uÈberwiegend im REM-Schlaf auftreten [7]. Dadurch kann eine Verminderung des REM-Schlafanteiles, eine vermehrte TagesschlaÈfrigkeit und eine verminderte GedaÈchtnisleistung verursacht werden. Diese Symptome sind charakteristisch fuÈr schlafbezogene AtmungsstoÈrungen [13]. Wir konnten einen signifikanten Zusammenhang der GedaÈchtnisfunktionsbeeintraÈchtigung mit dem Ausmaû der Hypoxien bei MG-Patienten nachweisen [38]. Die vieldiskutierte zentralnervoÈse BeeintraÈchtigung bei der MG kann somit zum Teil hypoxiebedingt sein. Bei TagesmuÈdigkeit, Leistungsabfall und GedaÈchtnisminderung eines MG-Patienten sollte daher eine sekundaÈre Hypoventilation mit chronischer Hypoxie durch latente respiratorische Insuffizienz mittels umfangreicher Lungenfunktionsdiagnostik abgeklaÈrt werden. Auûerdem sollte eine Polysomnographie zum Ausschluss einer schlafbezogenen AtmungsstoÈrung durchgefuÈhrt und bei entsprechender Diagnose eine naÈchtliche Beatmungstherapie eingeleitet werden. Die in der Untersuchung von Henkes und Mitarbeitern beobachteten VeraÈnderungen in der MRT und in der SPECT zeigten unspezifische zerebrale VeraÈnderungen, die durch die MG selbst verursacht, aber auch vaskulaÈr oder hypoxiebedingt sein koÈnnten [15]. ZusaÈtzlich gibt es Hinweise auf eine intrathekale Immunreaktion bei Myastheniepatienten, die ebenfalls fuÈr eine zentralnervoÈse Beteiligung sprechen [15]. In diese Richtung wiesen auch Studien, die eine erhoÈhte Koinzidenz von MG mit Epilepsie [37] und EEGVeraÈnderungen bei MG-Tieren [10, 36] nachweisen konnten. Diese EEG-VeraÈnderungen werden als Folge einer unspezifischen Immunstimulation mit vermehrter Bildung verschiedener Zytokine (Interferone, Interleukine, Tumor Necrosis Factor) durch die peripheren mononukleaÈren Zellen diskutiert [10, 36]. Bislang gibt es jedoch keine einheitlichen Ergebnisse bezuÈglich einer vermehrten Bildung von Zytokinen bei der MG [6]. Eine vor allem assoziative, nicht-deklarative GedaÈchtnisleistung konnte eng mit dem REM-Schlaf in Zusammenhang gebracht werden [5, 9, 39]. Dieser wurde in einigen Studien an MG-Patienten als vermindert nachgewiesen und kann somit auch einen direkten Einfluss auf diesen Bereich der GedaÈchtnisfunktion bei MG-Patienten haben [28, 34]. Eine schlafbezogene AtmungsstoÈrung muss nach den vorliegenden Studien als wahrscheinliche Ursache fuÈr den verminderten REMSchlafanteil angesehen werden. Als moÈgliche Faktoren einer zentralnervoÈsen Mitbeteiligung der MG koÈnnen demnach 1) eine spezifische, antikoÈrperbedingte Blockade der zentralen nikotinischen Rezeptoren, 2) im Rahmen der Autoimmunerkrankung produzierte Zytokine und 3) naÈchtliche Hypoxien unspezifisch zu einer ZNS-Dysfunktion fuÈhren. Gegen eine antikoÈrperbedingte Dysfunktion des zentralen cholinergen Systems spricht, dass erstens die in mehreren Studien im Liquor von MG-Patienten entdeckten AchR-AntikoÈrper nur in sehr geringer Konzentration nachweisbar waren und zweitens die muskulaÈren und neuronalen nikotinartigen AchR verschieden sind und sich daher die gegen die muskulaÈren AchR gerichteten AntikoÈrper nicht an neuronale AchR anlagern. Ob es im Rahmen der MG zu einer vermehrten Bildung von Zytokinen kommt, ist bislang noch nicht endguÈltig geklaÈrt [6]. UnabhaÈngig davon sollte im klinischen Alltag vor allem bei immunsupprimierten Patienten differentialdiagnostisch auch an die MoÈglichkeit einer ZNS-Infektion gedacht werden [15].
Zusammenfassend lieû sich eine zentrale BeeintraÈchtigung der Myasthenie bislang nicht eindeutig sichern. Bei chronisch kranken Myastheniepatienten mit einer vorliegenden kognitiven BeeintraÈchtigung muÈssen daher zum einen psychologische Aspekte und zum anderen bislang kaum beruÈcksichtigte schlafbezogene AtmungsstoÈrungen mit Hypoxien vorrangig BeruÈcksichtigung finden [20].
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