Schwerpunkt Internist 2012 · 53:1304–1314 DOI 10.1007/s00108-012-3070-1 Online publiziert: 12. Oktober 2012 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
J. Cordes1 · C. Lange-Asschenfeldt1 · C. Hiemke2 · K.G. Kahl3 1 Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Medizinische Fakultät,
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorff 2 Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsmedizin, Johannes-Gutenberg-Universität Mainz 3 Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie, Medizinische Hochschule Hannover
Schwerpunktherausgeber
U. Hegerl, Leipzig P. Heußner, München W. Hiddemann, München
Psychopharmakotherapie bei Herz-KreislaufErkrankungen
Die Psychopharmakotherapie bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist von besonderer Wichtigkeit, da schwere psychische Erkrankungen mit einer gegenüber der Allgemeinbevölkerung deutlich reduzierten Lebenserwartung einhergehen. Die Risiko erhöhung für kardiale Ereignisse durch schwere psychische Erkrankungen liegt im Bereich von klassischen Risikofaktoren wie Rauchen, Hypercholesterinämie, vorbestehendem Diabetes mellitus Typ 2 und vorbestehender Herzinsuffizienz [25]. Psychopharmaka können das kardiovaskuläre Risiko zusätzlich erhöhen, so etwa durch Induktion von Gewichtszunahme und Diabetes, durch anticholinerge, antiadrenerge Effekte oder auch durch Wirkungen auf das Reizleitungssystem (. Tab. 1). Allerdings bestehen auch Hinweise, dass eine antidepressive Pharmakotherapie die kardiovaskuläre Prognose bessert.
maka, z. B. für die Behandlung der Nikotinentwöhnung oder der adulten Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS), in der hausärztlichen und internistischen Praxis sind aber die zuvor genannten Medikamente am gebräuchlichsten.
Antipsychotika
Metabolische Nebenwirkungen
Antipsychotika werden in der Regel zur Behandlung psychotischer (schizophrener) Erkrankungen eingesetzt. Die früher gebräuchlichen „typischen“ Antipsychotika sind inzwischen vielfach durch „atypische“ Antipsychotika ersetzt worden. Ein Vorteil dieser neuen Generation antipsychotisch wirksamer Medikamente ist das geringere Risiko extrapyramidal-motorischer Nebenwirkungen. Diese waren eine häufige Nebenwirkung der typischen Antipsychotika und stigmatisierten schizophrene Patienten allein schon optisch. Weitere Vorteile sind: F die geringere Sedierung, F die positive Beeinflussung kognitiver Symptome, F die Reduktion der Suizidalität unter Clozapin und F eine bessere Wirkung auf emotionale Symptome.
Die Gruppe der Psychopharmaka wird grob unterteilt in Antipsychotika, Antidepressiva, Phasenprophylaktika und Sedativa. Zwar gibt es für eine Reihe von speziellen Indikationen weitere Psychophar-
Nachteilig wirkt sich allerdings die – sub stanzabhängig – erhöhte Rate metabolischer Veränderungen aus. Zu diesen zählen die Beeinflussung des Glukose- und Lipidstoffwechsels, die Induktion von
Kardiovaskuläre Risiken der Psychopharmakotherapie
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Heißhungerattacken mit der Folge einer teils erheblichen Gewichtszunahme sowie selten akut auftretende Ketoazidosen. Die genannten metabolischen Veränderungen sind im Erwachsenenalter nicht über alle Substanzen gleich verteilt. Das Risiko metabolischer Veränderungen ist bei den atypischen Antipsychotika Clozapin und Olanzapin im Vergleich zu Quetiapin und Risperidon dosisabhängig stärker ausgeprägt. Am geringsten ist das Risiko bei Aripiprazol und Ziprasidon (. Tab. 2). Der neu eingeführte Wirkstoff Asenapin hat ebenfalls ein im Vergleich geringeres Risiko für die Entwicklung metabolischer Nebenwirkungen. Dennoch dürfen die letztgenannten Präparate nicht als metabolisch unbedenklich angesehen werden. Untersuchungen an Adoleszenten weisen vielmehr darauf hin, dass metabolische Veränderungen bei allen genannten Substanzen auftreten können. Umgekehrt führt beispielsweise die Behandlung mit Clozapin nicht automatisch zu metabolischen Nebenwirkungen. Studien zur Prädiktion metabolischer Nebenwirkungen unter Antipsychotikatherapie erbrachten inhomogene Ergebnisse, dennoch trifft das folgende Risikoprofil wahrscheinlich zu: F relativ niedriges Lebensalter bei Ersteinstellung, F vorbestehendes Übergewicht, F vorbestehender erhöhter Blutdruck, F ungesunder Lebensstil und
Schwerpunkt Tab. 1 Kardiale Risikoeinstufung wichtiger Psychopharmaka nach Indikationsgruppen. (Modifiziert nach [24]) Indikationsgruppe
Risikoeinschätzung Gering Agomelatin, Duloxetin, Mirtazapin, SSRI (v. a. Citalopram, Paroxetin, Sertralin) Amisulprid, Aripiprazol, Melperon, Pipamperon, Sulpirid
Antidepressiva Antipsychotika
Phasenprophylaktika/ Antimanika Anxiolytika/Hypnotika
Lamotrigin, Valproinsäure
Antidementiva Sonstige Psychopharmaka
Benzodiazepine, Melatonin, Zaleplon, Zolpidem, Zopiclon Memantin Acamprosat, Bupropion, Buspiron, Naltrexon, Pregabalin
Mäßig Erhöht Milnacipran, Moclobemid, Nortripty- Tranylcypromin, trizyklische Antidelin, Reboxetin, Trazodon, Venlafaxin pressiva (außer Nortriptylin) Butyrophenone (z. B. Haloperidol), Clozapin, Pimozid, Phenothiazine (v. a. Quetiapin, Olanzapin, Risperidon, Thioridazin), Sertindol Ziprasidon, Zotepin Carbamazepin Lithium
Atomoxetin, Buprenorphin, Clome thiazol, Modafinil, Natriumoxybat
Donepezila, Galantamina, Rivastigmina Disulfiram, Methylphenidat, Levome thadon, Methadon
Risikoeinschätzung ohne Berücksichtigung anderer (nichtkardialer) Risiken bzw. Nebenwirkungen. a Aufgrund des parasympathomimetischen Effekts kontraindiziert bei Sick-Sinus-Syndrom, höhergradigen AV-Blockierungen und bradykarden Herzrhythmusstörungen sowie negativ-chronotroper Begleitmedikation. SSRI Selektive Serotoninwiederaufnahmehemmer.
Tab. 2 Relatives Risiko für metabolische Veränderungen unter gebräuchlichen atypischen
Antipsychotika. (Modifiziert nach [23]) Lipidstoffwechselstörung Clozapin + Olanzapin + Risperidon ± Quetiapin ± Ziprasidon − Aripiprazol −
Glukosestoffwechselstörung + + ± ± − −
Gewichtszunahme +++ +++ ++ ++ ± ±
Nach derzeitigem Wissensstand ist keines der Medikamente „metabolisch sicher“. Die beobachteten metabolischen Effekte sind häufig dosisabhängig.+ Erhöhtes Risiko; − geringes/kein Risiko; ± unterschiedliche Ergebnisse.
Tab. 3 Einfluss von Antidepressiva auf das mittlere Körpergewicht in Studien zur Erhaltungs-
therapie der Depression (mindestens 3-monatige Behandlungsdauer; modifiziert nach [3]) Gewichtsreduktion
Gewichtsneutralität/leichte Gewichtszunahme
Bupropion (Elontril®)
Fluoxetin (Fluctin®) Sertralin (Zoloft®) Escitalopram (Cipralex®), Citalopram (Cipramil®) Duloxetin (Cymbalta®)
F hohe Dosierung des eingesetzten Antipsychotikums. Ein regelmäßiges Monitoring kardiometabolisch relevanter Parameter ist in der Behandlung der Schizophrenie unerlässlich. Das Positionspapier der European Psychiatric Association (EPA), das in Zusammenarbeit mit der European Association for the Study of Diabetes (EASD) und der European Society of Cardiology (ESC) verfasst wurde, gibt dafür ein detailliertes Prozedere vor [1]. Ergänzend ist zu sagen, dass das größte Mortalitätsrisiko bei Patienten mit psychotischen Erkrankungen in der Nicht-
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Ausgeprägte Gewichtszunahme Mirtazapin (Remergil®) Amitriptylin (Saroten®) Paroxetin (Seroxat®)
behandlung liegt. In der FIN-11-Studie, in der Patienten mit psychotischen Störungen im Schnitt für 11 Jahre untersucht wurden, zeigte sich eine verbesserte Gesamtmortalität bei allen mit Anti psychotika behandelten Patienten, auch bei Patienten, die mit Clozapin behandelt wurden. Im Gegensatz dazu zeigte sich in der Gruppe der Patienten, die beispielsweise aufgrund einer Non-Compliance nicht neuroleptisch behandelt wurden, neben einem schlechteren Outcome bezüglich der Schizophrenie auch eine erhöhte Gesamtmortalität. Über die Ursachen für dieses hochrelevante Ergebnis wurde in den vergangenen 2 Jahren viel
spekuliert. Neben dem antisuizidalen Effekt einer neuroleptischen Therapie, v. a. unter Clozapin, darf als plausibel gelten, dass neuroleptisch behandelte Patienten für lebensstilverändernde Programme zugänglicher sind [2].
Antidepressiva
Antidepressiva bilden eine sehr heterogene Gruppe von Medikamenten, die hauptsächlich in der Behandlung depressiver und manisch-depressiver Erkrankungen, aber auch bei Patienten mit Angstund Zwangsstörungen eingesetzt werden. Die früher üblichen trizyklischen Antidepressiva werden aufgrund der vielfältigen Nebenwirkungen fachärztlich seltener verschrieben. Die Behandlung mit selektiven Serotoninwiederaufnahmehemmern (SSRI) gilt vielerorts als Standard der antidepressiven Therapie, auch wenn für die Überlegenheit der SSRI gegenüber anderen Antidepressiva keine Evidenz besteht. Zu metabolischen Nebenwirkungen gibt es wenige systematische Übersichten. Ging man allerdings bislang von der metabolischen Unbedenklichkeit gerade sertonerg und kombiniert serotonerg- noradrenerg wirksamer Substanzen aus, so differenziert sich dieses Bild nun. In einer aktuellen Datenanalyse von Serretti [3] zeigte sich, dass Bupropion, ein dopaminerg und noradrenerg wirksames Antidepressivum, als einzige Substanz im Mittel mit einer Gewichtsstabilität bzw. leichten Gewichtsreduktion einhergeht. Im oberen Drittel der Substanzen, für die eine gewichtssteigernde Wirkung in
Zusammenfassung · Abstract angzeitstudien belegt ist, liegen die trizyL klischen Antidepressiva, Mirtazapin und Paroxetin (. Tab. 3). Darüber hinaus wurden nur wenige gezielte Studien zur metabolischen Verträglichkeit antidepressiv wirksamer Substanzen durchgeführt. Erst seitdem der Zusammenhang zwischen affektiven (depressiven und manisch-depressiven) Erkrankungen und dem metabolischen Syndrom sowie dessen Folgeerkrankungen erkannt wurde, wird dem Thema der kardiometabolischen Verträglichkeit mehr Aufmerksamkeit zuteil.
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Viele Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 haben psychiatrische Komorbiditäten Bei vielen Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 oder einer koronaren Herzkrankheit (KHK) bestehen psychiatrische Komorbiditäten, v. a. Angststörungen und Depression. Eine Behandlung der komorbiden psychiatrischen Erkrankung sollte sich also auch auf die Lebenserwartung positiv auswirken. Leider zeigt der überwiegende Teil der Studien zu Herzerkrankungen und Depression genau diesen Zusammenhang nicht, wenngleich die Lebensqualität der Patienten durch eine antidepressive Therapie maßgeblich verbessert wurde. Interessanterweise zeigte sich in einer retrospektiven Datenanalyse eine höhere Mortalität bei Patienten mit therapieresistenter Depression, während bei Patienten, die auf die antidepressive Therapie ansprachen, ein positiver Effekt auf die Lebenserwartung zu verzeichnen war. Vor dem Hintergrund der bei Depression häufig zu beobachtenden endokrinen und immunologischen Veränderungen erscheint es plausibel anzunehmen, dass diese teils anhaltenden Veränderungen das Risiko für eine erhöhte Mortalität negativ beeinflussen [4].
Stimmungsstabilisierer, Phasenprophylaktika und Sedativa
Stimmungsstabilisierer und Phasenprophylaktika werden in der Behandlung der bipolaren Erkrankung, Phasenprophylaktika primär in der längerfristigen
Internist 2012 · 53:1304–1314 DOI 10.1007/s00108-012-3070-1 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012 J. Cordes · C. Lange-Asschenfeldt · C. Hiemke · K.G. Kahl
Psychopharmakotherapie bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen Zusammenfassung Bei schweren psychischen Erkrankungen besteht eine erhöhte kardiometabolische Morbidität und eine gegenüber der Allgemeinbevölkerung erhöhte Mortalität. Daher ist die kardiometabolische Verträglichkeit einer psychopharmakologischen Behandlung bei psychisch Kranken bedeutsam, insbesondere wenn eine kardiometabolische Grunderkrankung vorliegt. Relativ häufige Nebenwirkungen einer psychopharmakologischen Therapie sind Veränderungen des Fett- und Glukosestoffwechsels, des Körpergewichts und des QTc-Intervalls. Je nach Präparat und individueller Vulnerabilität des Patienten treten diese Nebenwirkungen in unterschiedlicher Häufigkeit auf. Daher ist ein regelmäßiges Mo-
nitoring unter Einschluss von EKG-Kontrollen empfehlenswert. Darüber hinaus sind bei psychisch und kardiometabolisch Erkrankten Arzneimittelwechselwirkungen zu beachten, die zu einer Erhöhung oder Erniedrigung der Medikamentenspiegel führen können. Vor Beginn einer psychiatrischen Pharmakotherapie ist eine stabile kardiologisch-medikamentöse Einstellung empfehlenswert, ebenso wie die interdisziplinäre Zusammenarbeit beim Management komorbider Patienten. Schlüsselwörter Psychopharmakotherapie · Myokardinfarkt · Koronare Herzkrankheit · Komorbidität · Nebenwirkungen
Psychopharmacotherapy in patients with cardiovascular diseases Abstract Increased cardiometabolic morbidity and increased overall mortality has been observed in patients with severe mental disorders. Therefore, cardiometabolic safety is an important issue in the treatment of patients with psychiatric disorders, in particular in patients with comorbid cardiometabolic diseases. Frequent adverse side effects include disturbances of lipid and glucose metabolism, body weight changes and alterations of the QTc interval. Dependent on the particular substance used and on factors concerning individual vulnerability, these side effects vary in relative frequency. Therefore, regular monitoring is recommended including ECG.
ehandlung der unipolaren Depression B eingesetzt. Zu den Stimmungsstabilisierern zählen Valproat, Carbamazepin, Lamotrigin und einige atypische Antipsychotika wie Quetiapin, zu den Phasenprophylaktika im engeren Sinne Lithium. Mit Ausnahme von Lamotrigin und Carbamazepin ist in Langzeitkatamnesen bei allen Substanzen das Risiko für eine Gewichtszunahme relativ erhöht, insbesondere bei Valproat und Lithium. Einige Substanzen wie Quetiapin beeinträchtigen direkt die Reizleitung am Herzen. Bei Verwendung von Lithium ist aufgrund der engen therapeutischen Breite immer ein gesondertes Monitoring erforderlich.
Furthermore, interactions between different medicaments may occur, either leading to enhanced or decreased drug concentrations. Prior to psychopharmacological treatment, proper cardiological treatment is recommended. The management of cardiovascular risks under psychopharmacology requires interdisciplinary cooperation between the cardiologist, general practitioner and psychiatrist. Keywords Psychopharmacology · Myocardial infarction · Coronary disease · Comorbidity · Adverse effects
Sedativa, v. a. die Benzodiazepine, finden in der Behandlung akuter Suizidalität und in der psychiatrischen Notfalltherapie Verwendung. Aufgrund des gerade bei kurz wirksamen Benzodiazepinen ausgeprägten Abhängigkeitsrisikos ist große Vorsicht in der Verordnung geboten. Benzodiazepine können über den sedierenden und appetitmodulierenden Effekt zu einer Gewichtszunahme beitragen.
Reizleitungsstörungen Über eine erhöhte Affinität zum Natriumkanal können bestimmte Psychopharmaka zu einer Hemmung des schnellen Natriumioneneinstroms und hierdurch zu Der Internist 11 · 2012
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Schwerpunkt Tab. 4 Verlängerung der korrigierten QT-Zeit (QTc) unter Psychopharmaka.
(Modifiziert nach [5]) Geringe QTc-Verlängerung (>5 ms und <9 ms)
Moderate QTc-Verlängerung (≥9 ms und <16 ms) Deutliche QTc-Verlängerung (≥17 ms)
Haloperidol, Perphenazin, Fluphenazin, Flupentixol, Bromperidol, Promethazin, Pipamperon, Amisulprid, Zotepin, Olanzapin, Mirtazapin, Trazodon, Mianserin, Venlafaxin, Citalopram, Escitalopram, Bupropion, Chloralhydrat, Tiaprid Chlorpromazin, Levomepromazin, Ziprasidon, Risperidon, Clozapin, Sulpirid, Clomipramin, Fluoxetin Thioridazin, Pimozid, Melperon, Sertindol, Quetiapin, Amitriptylin, Doxepin, Imipramin, Desipramin, Nortriptylin, Maprotilin, Lithium, Methadon, Levomethadon
einer verzögerten Depolarisation der Zellen des Reizleitungssystems führen. Zu einer Verlängerung der Aktionspotenzial dauer bzw. QTc-Zeit und damit zu einer erhöhten Vulnerabilität gegenüber kreisenden Erregungen führt wahrscheinlich eine durch Psychopharmka induzierte Hemmung von auswärtsgerichteten Kaliumionenströmen am Kaliumkanal, die im Anschluss an die Depolarisation auftreten und das Ruhemembranpotenzial wiederherstellen. Hierdurch können Torsades de pointes (TdP) ausgelöst werden [5]. Es besteht Konsens darüber, dass eine QTc-Zeit von >500 ms oder ein absoluter Anstieg um 60 ms im Vergleich zum Ausgangswert ohne Medikation zu einer signifikanten Risikoerhöhung des Auftretens von TdP, ventrikulärem Flimmern und eines plötzlichen Herztods führt [1]. Das Vorliegen mehrerer zusätzlicher Risikofaktoren begünstigt das Auftreten von QTc-Verlängerungen und TdP (. Infobox 1). Eine Abhängigkeit der QT-Zeitverlängerung von der Dosis ist für die klassischen Antipsychotika und trizyklischen Antidepressiva bekannt, sie ist jedoch nicht zwangsläufig gleichbedeutend mit einem erhöhten TdP-auslösenden Potenzial. Das Risiko einer Verlängerung des QTc-Intervalls bzw. des Auftretens von TdP ist bei Verwendung von Thioridazin und Ziprasidon am höchsten. Vor allem nach i.v.-Applikation von Haloperidol in hohen Dosen, d. h. >35 mg/Tag, kann es zu einem deutlich gesteigerten Risiko für TdP-Ereignisse mit einer Inzidenz von 11% kommen. In der Gruppe der atypischen Antipsychotika wird insbesondere unter Quetiapin und Amisulprid, den meisten tri- und tetrazyklischen Antidepressiva sowie den neueren Antidepressiva Escitalopram,
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italopram, Fluoxetin, Sertralin, ParoxeC tin und Venlafaxin vereinzelt über TdPFälle berichtet (. Tab. 4, [5]). In Rote-Hand-Briefen wurde vor dosisabhängigen Verlängerungen des QTIntervalls durch Citalopram und dessen Enantiomer Escitalopram gewarnt. Die zugelassene Höchstdosis von Citalopram wurde von 60 mg auf 40 mg/Tag abgesenkt. Bei Patienten >65 Jahre dürfen die Tageshöchstdosen von 20 mg Citalopram und 10 mg Escitalopram nicht mehr überschritten werden, im Falle von Citalopram gilt dies auch bei eingeschränkter Leberfunktion. Eine Kontraindikation ist die gleichzeitige Verwendung eines der beiden Antidepressiva mit anderen Arzneimitteln, die das QT-Intervall verlängern. In einer Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) wird kritisiert, dass in Anbetracht der nur sehr mäßigen Verlängerung des QT-/QTc-Intervalls insbesondere unter Escitalopram die Beschränkung von Kombinationsbehandlungen in diesem Ausmaß überzogen erscheint [26].
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Trizyklika sind bei manifesten Störungen der Erregungsleitung kontraindiziert Unter trizyklischen Psychopharmaka ist das Risiko von Arrhythmien bei Patienten mit Myokardinfarkt oder vorbestehenden Schenkelblockbildern erhöht [6]. Daher besteht für Trizyklika bei manifesten Störungen der Erregungsleitung und bei schwerer KHK eine Kontraindikation. Bei Vorliegen zusätzlicher Risikofaktoren sollten vor der Verschreibung von Psychopharmaka Nutzen und Risiken
abgewogen werden und die Anwendung durch regelmäßige EKG- und Elektrolytkontrollen überwacht werden.
Anticholinerge Nebenwirkungen Das Risiko anticholinerger Nebenwirkungen besteht v. a. bei trizyklischen Psychopharmaka, unter den Antidepressiva z. B. Imipramin, Amitriptylin oder Doxepin, unter den Antipsychotika z. B. Clozapin oder in der Gruppe der Phenothiazine mit Chlorpromazin und Levomepromazin. Die trizyklische Grundstruktur bedingt bei diesen Wirkstoffen eine erhöhte Affinität zu muskarinischen (M1-) Acetylcholinrezeptoren mit möglichen typischen peripheren (Mundtrockenheit, Obstipation, Tachykardie) und zentralen Nebenwirkungen (kognitive Störungen, Verwirrtheit). Bei kardiovaskulärer Komorbidität wird dies relevant, da es zu einer Reduktion kardioprotektiver parasympathischer Einflüsse und in der Folge zu einem überwiegenden Sympathikotonus kommt. Unter anderem aufgrund des Herzfrequenzanstiegs, der eine Erhöhung des myokardialen Sauerstoffbedarfs bewirkt, besteht die Gefahr von Arrhythmien oder einer Dekompensation bei Koronarinsuffizienz oder höhergradiger Herzinsuffizienz [6]. Das cholinerge parasympathische (vagale) System wirkt kardioprotektiv: Zum einen erhöht es die Herzratenvariabilität (HRV) als frequenzadaptiver Mechanismus. Aufgrund des anticholinergen Effekts reduzieren Psychopharmaka die HRV bereits in therapeutischen Dosierungen signifikant, dies kann bis zur Größenordnung einer autonomen Neuropathie reichen, wie etwa im Rahmen eines Diabetes mellitus [7]. Eine verminderte HRV gilt insbesondere bei KHK-Patienten nach einem Myokardinfarkt bei depressiver Komorbidität als aussagekräftiger Prädiktor einer erhöhten Mortalität [8]. Zum anderen ist bekannt, dass ein erhöhter Vagotonus eine Verkürzung der Repolarisationsdauer und damit der QTc-Zeit bewirkt. Entsprechend verlängert ein anticholinerger Effekt indirekt die QTc-Zeit, was eine erhöhte Vulnerabilität gegenüber ventrikulären Arrhythmien zur Folge hat.
Infobox 1 Risikofaktoren für Verlängerung der QTc-Zeit unter Psychopharmaka. (Mod. nach [5]) F Alter >65 Jahre F Vorbestehende Herzerkrankung, z. B. kongenitales Long-QT-Syndrom
F Bradykardien F Weibliches Geschlecht F Hypokaliämie, Hypomagnesiämie F Komedikation mit ebenfalls repolarisationsverlängernder Wirkung
F Hohe Wirkstoffkonzentration im Rahmen von Intoxikationen, Injektionen, Arzneimittelinteraktionen oder aufgrund von Nieren- bzw. Leberinsuffizienz
Antiadrenerge Nebenwirkungen Durch eine antagonistische Wirkung an α1-Adrenozeptoren glatter Gefäßmuskelzellen erhöhen viele Psychopharmaka die Vasorelaxation an peripheren Widerstands- und Kapazitätsgefäßen. Daraus resultieren ein vermindertes Volumenangebot mit Abfall des diastolischen Blutdrucks und eventuell eine kompensatorische Reflextachykardie. Klinisch können orthostatische Regulationsstörungen oder Synkopen mit Stürzen die Folge sein. Insbesondere in der Aufdosierungsphase können sich – zumindest intermittierend – hypotone Kreislaufverhältnisse etablieren, worauf etwa im Falle einer antihypertensiven oder antianginösen Begleittherapie oder bei komorbider Herzinsuffizienz zu achten ist. Insbesondere trizyklische Psychopharmaka wirken antiadrenerg, jedoch auch eine Reihe weiterer moderner Sub stanzen, so Antipsychotika wie Risperidon oder Quetiapin und Antidepressiva wie Mirtazapin, Reboxetin oder Tranylcypromin [6].
Pharmakokinetische Interaktionen Bei psychiatrischen Patienten mit HerzKreislauf-Erkrankungen ist wegen der bestehenden Kombinationsbehandlung immer auf das Risiko von Arzneimittelwechselwirkungen zu achten. Durch additive Effekte können bei pharmakodynamischen Wechselwirkungen die kardialen, anticholinergen und antiadrenergen
Schwerpunkt Tab. 5 Psychopharmaka und Herz-Kreislauf-Medikamente, die bevorzugte Substrate distink-
ter Cytochrom-P450-Enzyme sind. (Modifiziert nach [9, 10], http://www.drug-interactions.com) Psychopharmaka
CYP1A2 Agomelatin Clozapin Duloxetin Imipramin Olanzapin Thioridazin
Angiotensin-II- − − Blocker Anti Mexiletin − arrhythmika β-Blocker Propranolol −
−
CYP2D6 CYP3A4 Amitriptylin Alprazolam Aripiprazol Aripiprazol Atomoxetin Bromperidol Clomipramin Brotizolam Diphenhydramin Buprenorphin Doxepin Buspiron Donepezil Carbamazepin Fluoxetin Diazepam Fluvoxamin Haloperidol Maprotilin Levomethadon Mianserin Midazolam Nortriptylin Pimozid Perphenazin Quetiapin Risperidon Sertindol Sertindol Trazodon Thioridazin Zolpidem Trimipramin Zopiclon Venlafaxin Zotepin Zuclopenthixol − −
−
−
Kalzium antagonisten
−
−
CYP2B6 Bupropion Methadon Selegilin
−
Wirkungen verstärkt werden. Als pharmakokinetische Wechselwirkungen treten in erster Linie Interaktionen an Enzymen des Cytochrom-P450(CYP)-Systems auf. Die meisten Psychopharmaka und HerzKreislauf-Medikamente werden durch diese Enzyme metabolisiert, von besonderer Relevanz für Wechselwirkungen sind die Isoenzyme CYP1A2, CYP2D6 und CYP3A4. Werden die kombinierten Wirkstoffe vom selben Enzym umgesetzt, ist dies in der Regel kein Wechselwirkungsproblem, da die Konzentrationen der kombinierten Medikamente weit unterhalb der Enzymsättigung liegen. Es kommt daher nicht, wie häufig falsch an-
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CYP2C19 Citalopram Clozapin Diazepam Doxepin Escitalopram Imipramin Moclobemid Perazin Sertralin Trimipramin
Propranolol
Carvedilol Metoprolol Mexiletin Timolol −
Chinidin −
Amlodipin Diltiazem Felodipin Lercanidipin Nifedipin Nisoldipin Nitrendipin Verapamil
genommen wird, zu einem Anstieg der Blutspiegel der Medikamente, etwa bei einer Kombination des Antipsychotikums Quetiapin mit dem Kalziumkanalblocker Nitrendipin. Beide sind Substrate von CYP3A4 (. Tab. 5).
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Durch Wechselwirkungen können die kardialen, anti- cholinergen und antiadrenergen Wirkungen verstärkt werden Kritisch ist eine Kombination, wenn ein Arzneimittel oder sein Metabolit ein En-
zym inhibiert und gleichzeitig ein Arzneimittel bevorzugtes Substrat des gehemmten Enzyms ist. Der β-Blocker Metoprolol ist beispielsweise Substrat von CYP2D6 und wird nahezu ausschließlich über dieses Enzym abgebaut. Unter Kombinationen mit den Antidepressiva Paroxetin oder Bupropion, die beide potente CYP2D6-Inhibitoren sind, wurden schwerwiegende kardiale Zwischenfälle berichtet [11]. Umgekehrt kann es zu einer Intoxikation durch das Psychopharmakon kommen, wenn das Herz-Kreislauf-Medikament ein CYP-Inhibitor ist. Wird Perphenazin, ein CYP2D6-Substrat, mit dem CYP2D6-Inhibitor Propranolol kombiniert steigt der Wirkspiegel von Perphenazin. So kann es zu extrapyramidal-motorischen Störungen kommen (. Tab. 6). Ein weiteres pharmakokinetisches Wechselwirkungsrisiko besteht bei Kombination mit Induktoren von CYP-Enzymen. Die in der Psychopharmakotherapie wichtigsten Induktoren sind Carbamazepin, das CYP3A4 induziert, und Benzopyren im Tabakrauch, ein Induktor von CYP1A2. Durch Stimulierung der Enzymsynthese können Induktoren einen beschleunigten Medikamentenabbau bewirken. Dann besteht das Risiko eines Wirkverlusts (. Tab. 7). Bei Kombinationsbehandlungen muss daher in erster Linie beachtet werden, ob die Liste der kombinierten Arzneimittel Inhibitoren oder Induktoren enthält. Ist dies der Fall, muss geprüft werden, ob ein Medikament Substrat des betreffenden Enzyms ist. Zur Vermeidung resultierender Risiken kann die Dosis angepasst werden, im Optimalfall unter Kontrolle der Blutspiegel. Alternativ werden nichtinteragierende Medikamente eingesetzt. Bei Kombination von Psychopharmaka und internistischen Medikamenten besteht grundsätzlich das Problem, dass der verordnende Arzt bestenfalls das pharmakokinetische Wechselwirkungspotenzial einer Medikamentengruppe kennt (Substrat-, Hemm- und Induktoreigenschaften an CYP-Isoenzymen). Daher wird bei Kombination von Psychopharmaka und Herz-Kreislauf-Medikamenten empfohlen, elektronische Datenbanken über Arzneimittelkombinationen zu nutzen (http://www.psiac.de, http://www. mediq.ch, http://www.genemedrx.com).
Tab. 6 Psychopharmaka und Herz-Kreislauf-Medikamente, die Cytochrom-P450-Enzyme
inhibieren. (Modifiziert nach [9, 10], http://www.drug-interactions.com) Psychopharmaka
CYP1A2 Fluvoxamin
Angiotensin-II- Blocker
−
Antiarrhythmika β-Blocker
− −
CYP2B6 −
CYP2C19 Fluvoxamin
Propranolol − Metoprolol Chinidin − − −
Kalziumantagonisten − − Andere Arzneimittel Ciprofloxacin Ticlopidin Enoxacin
− Felbamat Fluconazol Miconazol Norfloxacin Omeprazol
CYP2D6 CYP3A4 Bupropion − Fluoxetin Moclobemid − − − Metoprolol Propranolol − −
− − − Indinavir Itraconazol Ketoconazol Mifepriston Nelfinavir Ritonavir Saquinavir Troleandomycin Verapamil
Tab. 7 Psychopharmaka und Herz-Kreislauf-Medikamente, die bevorzugte Induktoren distinkter Cytochrom-P450-Enzyme sind. (Modifiziert nach [9, 10],
http://www.drug-interactions.com) Psychopharmaka Angiotensin-IIBlocker Antiarrhythmika β-Blocker Kalzium antagonisten Andere Arzneimittel
CYP1A2 CYP2B6 CYP2C19 Carbamazepin Carbamazepin − − − −
CYP2D6 CYP3A4 − Carbamazepin − −
− − −
− − −
− − −
−
Dexamethason Efavirenz Johanniskraut Oxybutynin Phenobarbital Phenytoin Primidon Rifabutin Ritonavir
Rauchen Rifampicin
− − − Efavirenz
Besondere Aspekte der Psychopharmakotherapie Affektive Störungen bei koronarer Herzkrankheit Neben den Risiken der Psychopharmaka sind die Risiken einer manifesten oder latenten kardialen Erkrankung bei der Auswahl der Medikation zu beachten. Auf trizyklische Antidepressiva soll-
− − − Ginkgo biloba
te aufgrund des erhöhten Risikos kardialer Nebenwirkungen wie Tachykardie, Arrhythmien und orthostatische Reaktionen bei Patienten mit KHK und insbesondere in der Phase direkt nach einem Myokardinfarkt verzichtet werden [25]. Die Antidepressiva Venlafaxin, Reboxetin sowie Monoaminoxidase(MAO)Hemmer können eine Blutdruckerhöhung induzieren, der irreversible MAOHemmer Tranylcypromin kann bei feh-
lender Einhaltung der tyraminarmen Kost lebensbedrohliche hypertensive Krisen hervorrufen [24].
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Auf trizyklische Antidepressiva sollte bei der koronaren Herzkrankheit verzichtet werden In einer Reihe von z. T. randomisierten, kontrollierten Studien wurde untersucht, ob die Behandlung einer Depression im Kontext von kardialen Erkrankungen zu einer verbesserten Überlebensrate führt. Sowohl pharmakologische als auch psychotherapeutische Behandlungsansätze wurden dabei verfolgt [4, 12–14, 27]. Zusammenfassend zeigten die Ergebnisse dieser Untersuchungen (MIND-IT, ENRICHD), trotz Verbesserung der depressiven Symptomatik und Steigerung der Lebensqualität, keine Überlegenheit bezüglich der kardialen Mortalität in den Interventionsgruppen [4, 13, 27]. Allerdings war die Mortalität in der Gruppe der Nonresponder auf eine antidepressive Therapie in besonderem Maße erhöht [4, 12, 28]. Eine Metaanalyse von 63 randomisierten, kontrollierten Studien zur somatischen Komorbidität zeigte eine vergleichbare Wirksamkeit von SSRI und trizyklischen Antidepressiva, wobei sich nur unter SSRI die Lebensqualität besserte und eine günstige Verträglichkeit bestand. Bei der Auswertung von 6 kontrollierten Studien mit >2000 Teilnehmern ergaben sich unter SSRI eine signifikante Besserung der depressiven Symptomatik und eine signifikante Reduktion der Mortalität [15, 16]. Zusammengefasst belegen die Ergebnisse der genannten Studien die Wirksamkeit antidepressiver Therapiestrategien, d. h. der Pharmakotherapie und Psychotherapie, in der Behandlung einer komorbiden Depression bei zugrunde liegender kardialer Erkrankung. In Bezug auf die Reduktion der kardialen Mortalität sind die Ergebnisse heterogen. Vor allem die Gruppe der chronisch oder therapieresistent Depressiven scheint jedoch ein besonders hohes Risiko für weitere kardiale Ereignisse zu haben. Der Internist 11 · 2012
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Schwerpunkt Die SSRI Citalopram und Sertralin sowie auch Mirtazapin zeigten bei herzkranken Patienten eine gute kardiovaskuläre Verträglichkeit. Neuere Antidepressiva wie das 2009 zugelassene Agomelatin, ein Melatoninrezeptoragonist und selektiver Serotoninrezeptorantagonist, könnten aufgrund ihrer Verträglichkeit ebenfalls interessante Therapieoptionen sein, allerdings fehlen diesbezüglich Studien.
Chronische Herzinsuffizienz Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz – insbesondere in höhergradigen Stadien – haben ein erhöhtes Risiko für psychiatrische Komorbiditäten. So beträgt beispielsweise die Prävalenz behandlungsbedürftiger Depressionen bei Betroffenen im New-York-Heart-Association( NYHA)-Stadium IV bis zu 40%. Eine Subgruppenanalyse der MIND-IT-Studie ergab eine Korrelation des Ausmaßes der linksventrikulären Funktionsstörung mit der Depressionsprävalenz. Ähnlich wie im Falle der KHK hat eine bestehende Depression bei gesicherter Herzinsuffizienz zudem einen deutlich negativen Einfluss auf die kardiale Prognose [17, 18]. Bei der chronischen Herzinsuffizienz besteht meist eine Störung der sympathovagalen Balance zugunsten einer sympathoadrenergen Ü beraktivität. In der Folge ist u. a. die Vulnerabilität gegenüber ventrikulären Arrhythmien erhöht. Anticholinerge oder potenziell proarrhythmisch wirksame Substanzen (z. B. durch eine QTc-Verlängerung) sollten daher ausschließlich schweregradabhängig und mit äußerster Vorsicht unter strengem Therapiemonitoring eingesetzt werden. Andererseits muss der erhöhte Sympathikotonus in vielen Fällen als kompensatorisch angesehen werden. Er sollte daher möglichst nicht durch zusätzlich antiadrenerg wirksame Psychopharmaka mit entsprechender Potenz zur Blutdrucksenkung und Orthostase antagonisiert werden. Als risikoarme Antidepressiva haben sich auch bei Patienten mit komorbider Herzinsuffizienz SSRI erwiesen. Sie sind insgesamt blutdruck- und frequenzneutral und besitzen keine oder, wie Paroxetin, nur eine geringe anticholinerge Wirkung.
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So wurde die Anwendungssicherheit von Sertralin an 469 depressiven Patienten mit klinisch signifikanter Herzinsuffizienz (NYHA-Stadien II–IV) im Rahmen einer Erweiterung der SADHART-Studie nachgewiesen [19]. Zwar ergab sich im Hinblick auf die Wirksamkeit global keine Überlegenheit von Verum gegenüber Placebo, die Responder wiesen jedoch in beiden Gruppen eine günstigere Prognose hinsichtlich des Auftretens von kardialen Ereignissen und der Mortalität auf [20]. Interessanterweise scheint sich die Kombination von SSRI mit β-Blockern, die zur Basistherapie der chronischen Herzinsuffizienz gehören, auf die Mortalität besonders günstig auszuwirken. Umgekehrt stellt eine Kombination von trizyklischen Antidepressiva oder auch von Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmern mit β-Blockern diesbezüglich wohl ein besonderes Risiko dar [17, 18]. Die psychopharmakologische Behandlung von Patienten mit Herzinsuffizienz unterliegt zusammenfassend besonderen Einschränkungen und erfordert die interdisziplinäre Zusammenarbeit der behandelnden Kardiologen bzw. Internisten mit den Psychiatern. In jedem Fall sollte vor Beginn der psychiatrischen Pharmakotherapie eine stabile kardiologische medikamentöse Einstellung erfolgen.
Demenz Aufgrund des meist fortgeschrittenen Lebensalters ergibt sich bei Demenzpatienten naturgemäß eine hohe kardiovaskuläre Komorbidität. Diese ist sogar ätiologisch relevant für die Pathogenese verschiedener Demenzkrankheiten. So umfasst die vaskuläre Demenz (VAD) ein Spektrum von Erkrankungen, die auf kardio- bzw. zerebrovaskuläre Ereignisse oder Risikofaktoren unmittelbar zurückzuführen sind. Des Weiteren kommt genuinen kardiovaskulären Riskofaktoren in Pathogenese und Krankheitsverlauf der Alzheimer-Demenz (AD) als häufigste Demenzform überhaupt und primär neurodegenerative Erkrankung ein hoher Stellenwert zu [21]. Während der therapeutische Schwerpunkt bei der VAD auf der Einstellung der vaskulären Risikofaktoren bzw. der Sekundärprophylaxe liegt, ist bei der
AD die symptomatische medikamentöse Behandlung mit Acetylcholinesteraseinhibitoren (Donepezil, Galantamin, Rivastigmin) oder Memantin die Therapie der Wahl. Aus der parasympathomimetischen Wirkungsweise der Acetylcholinesteraseinhibitoren ergeben sich als Kontraindikation bradykarde Herzrhythmusstörungen. Besondere Vorsicht ist bei Patienten mit Sick-Sinus-Syndrom oder anderen supraventrikulären Erregungsleitungsstörungen wie einem sinuatrialen oder atrioventrikulären Block geboten, weiterhin bei gleichzeitiger Behandlung mit negativ chrono- bzw. dromotropen Kardiaka wie β-Blockern oder Digitalisglykosiden. Zur Behandlung von im Krankheitsverlauf der Demenzen regelhaft auftretenden Verhaltensstörungen, z. B. psychotischer Agitation mit paranoidem oder halluzinatorischem Erleben, werden atypische Antipsychotika verwendet, v. a. Risperidon. Bei kardiovaskulärer Komorbidität muss hier entsprechend auf hypotone und QTc-intervallverlängernde Wirkungen mit der sich daraus ergebenden Notwendigkeit regelmäßiger Blutdruckund EKG-Kontrollen geachtet werden. Berücksichtigt werden muss auch, dass die langfristige Einnahme von Antipsychotika sowohl die kardiovaskuläre als auch die Gesamtmortalität signifikant erhöht, weshalb die Dosierung und Dauer der Behandlung möglichst niedrig gehalten werden sollten [22].
Fazit für die Praxis F Eine pharmakologische Behandlung schwerer psychischer Erkrankungen sollte nach kardiologischer Einstellung erfolgen, da sich hierdurch die Prognose wahrscheinlich insgesamt bessert. F Eine hohe Behandlungssicherheit ist gewährleistet, wenn Medikamenteninteraktionen, das individuelle Risikoprofil des Patienten und das Nebenwirkungsprofil des Psychopharmakons berücksichtigt werden. F Besondere Beachtung sollte den anticholinergen und antiadrenergen
Schwerpunkt Eigenschaften, der Verlängerung der QTc-Zeit und dem metabolischen Risiko zuteilwerden.
Korrespondenzadresse Dr. J. Cordes Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Medizinische Fakultät, Heinrich-Heine- Universität Düsseldorf Bergische Landstr. 2, 40629 Düsseldorf
[email protected] Interessenkonflikt. Der korrespondierende Autor weist für sich und seine Koautoren auf folgende Beziehungen hin: J. Cordes: Vortragstätigkeit, Projektunterstützung, Kongressteilnahme: AstraZeneca, Pfizer Pharma, Lilly Deutschland, Servier, Janssen-Cilag und Magventure. C. Hiemke hat ohne persönliche Honorierung Vorträge auf Veranstaltungen gehalten, die von den Firmen AstraZeneca, Bio-Rad, Bristol-Meyers Squibb, Pfizer, Lilly oder Servier unterstützt wurden, und die Firma Servier beraten. Er ist Geschäftsführer der psiac GmbH, die ein internetbasiertes Programm für Arzneimittelwechselwirkungen entwickelt hat, das über den Springer-Verlag vertrieben wird. C. Lange- Asschenfeldt (letzte 24 Monate): Projektförderung durch Bristol-Myers Squibb, Pfizer Pharma; Vortragstätigkeit für Servier. J. Cordes seit 2011: BMBF-Projektförderung. K.G. Kahl: Vortragshonorare von Eli Lilly, BMS, GSK, Lundbeck, Servier, Janssen-Cilag, Otsuka und Pfizer.
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