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STRATEGIE Rechtlich fit für Social-Media-Marketing?
Rechtlich fit für SocialMedia-Marketing? Der Begriff „Web 2.0“ stammt von dem amerikanischen Verleger Tim O’Reilly. Es geht dabei um eine inzwischen nicht mehr ganz neue Art von Internet, in dem Inhalte und Formen aktiv von den Nutzern mitbestimmt werden. Auch im deutschsprachigen Raum ist „Web 2.0“ inzwischen angekommen. Im Mittelpunkt stehen Soziale Medien wie Blogs, Foren, Wikis und andere Plattformen. In der Geschäftswelt haben sich XING, Twitter und Facebook als wichtige und mehr oder minder sinnvolle Modelle für Networking und Social-Media-Marketing etabliert. Von Regina Kohn
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llein Twitter soll laut einer n-tv Meldung vom 24. November 2009 geschätzte sechs Millionen Nutzer weltweit haben. Eine im vergangenen Jahr um 1 000 Prozent gestiegene Nutzergruppe hat dazu beigetragen, dass Twitter andere Dienste abgehängt hat. In Deutschland fangen Juristen gerade erst an, sich mit den rechtlichen Auswirkungen von Social-Media-Marketing zu beschäftigen. Rechtsexperten orientieren sich in erster Linie an Entscheidungen aus den USA oder legen Fälle zugrunde, in denen es hierzulande um Internet und E-Mail im Allgemeinen geht. Nachfolgend sollen die rechtlichen Rahmenbedingungen skizziert werden, die sich neben den nachhaltigen Möglichkeiten für Unternehmen im Web 2.0 ergeben. Arbeitgeber und Entscheidungsträger, die das Profil ihrer Firma etwa durch aktives Twittern schärfen wollen, sollten nicht einfach loslegen, ohne rechtliche Stolpersteine zu kennen. Dabei steht der Mitarbeiter besonders auf dem Prüfstand. Er ist entweder autorisiert im Web 2.0 für das Unternehmen zu agieren oder er ist privat im Internet unterwegs. Die Praxis zeigt, dass es häufig zu Überschneidungen kommen kann. Wer für ein Unternehmen zwitschert, unterhält häufig noch mindestens einen eigenen Account oder hat seine Profile bei Facebook und/oder XING. Vom privaten Bloggen ganz zu schweigen. Nur Arbeitsrecht war gestern Die private Nutzung von Internet und E-Mail durch Mitarbeiter während der Arbeitszeit und mittels Firmenressourcen ist regelmäßig durch Betriebsvereinbarungen geregelt. Dabei handelt es sich grundsätzlich um einen schriftlichen Vertrag zwischen der Unternehmung und dem Betriebsrat (falls vorhan-
den), der für alle Arbeitnehmer verbindlich ist. Manchmal duldet der Arbeitgeber auch stillschweigend. Auf das private Nutzerverhalten des Mitarbeiters hat das keine Auswirkungen. In Betriebsvereinbarungen geht es lediglich darum, ob und in welchem Umfang das Internet am Arbeitsplatz genutzt werden darf. Entsprechende Regelungen sind branchenabhängig. In kreativen Berufen ist es von Arbeitgeberseite sogar erwünscht, dass privat gesurft wird. Die Grenzen sind dort immer fließend. Wenn Mitarbeiterkreativität fließt, kommt sie schließlich dem Arbeitgeber zugute. Auf jeden Fall betreffen derartige Regelungen stets den Kernbereich von Arbeitsverhältnissen. Angestellte, die gegen Betriebsvereinbarungen verstoßen, dürfen ge-
» Unternehmen, die Social-MediaMarketing betreiben wollen, indem sie twittern, haben einen zusätzlichen Regelungsbedarf. «
gangen werden. Doch die Gedanken sind immer noch frei und nicht regelbar. Jedenfalls nicht arbeitsrechtlich. Unternehmen, die Social-Media-Marketing betreiben wollen, indem sie twittern beziehungsweise twittern lassen, haben einen zusätzlichen und neuartigen Regelungsbedarf. WuM 01 . 2010
STRATEGIE Rechtlich fit für Social-Media-Marketing?
Social-Media-Guidelines Wenn sie aktiv am Social-Media-Marketing teilnehmen wollen, sollten sie sich zunächst klar darüber sein, dass sie ein Image zu verlieren haben. Fällt eine Entscheidung für den Social-Media-Einsatz, macht es deshalb Sinn, zunächst geeignete Richtlinien für alle Beteiligten zu erarbeiten. Diese sollen in erster Linie dazu führen, dass ein Bewusstsein für rechtlich unbedenkliches Handeln von Einzelnen im Web 2.0 geschaffen wird. Folgende Bereiche sind besonders stark betroffen: Datenschutz, Sicherheit und Urheberrechte. Daneben sind wettbewerbs- und markenrechtliche Verstöße in Reichweite. Geeignete Regelungen sind natürlich immer unternehmensspezifisch und sollten den Mitarbeitern gerecht werden. Daher wird empfohlen, Social-Media-Guidelines gemeinsam von der Unternehmensleitung, den Admins, der PR-Abteilung und der Rechtsabteilung ausarbeiten zu lassen. Inzwischen gibt es einige versierte Rechtsanwälte, die bei Bedarf beraten oder ein Inhouseseminar durchführen können, an dem alle zukünftigen UnternehmensTwitterer oder Facebooker teilnehmen. Besonders wichtige Bestandteile von Social-Media-Guidelines sind: Eigenverantwortung, Vorsicht mit vertraulichen und unternehmensrelevanten Informationen, Informationen über Kunden, Netikette, Respektvoller Umgang mit Mitbewerbern, Einhaltung von Rechten Dritter wie zum Beispiel Copyright, kein Spamming, Rechtsfolgen bei Verstößen. Und so weiter und so weiter. Ein Merksatz ist, dass das Web 2.0 ein Spiegel des „Real Life“ ist. Das gilt auch für rechtliche Konsequenzen.
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Was dürfen Social-Media-Marketing-Heroes überhaupt noch? Manche Arbeitgeber sagen: „Nichts!“ und machen es sich leicht. Sie gestatten den Mitarbeitern weder die private Internetnutzung noch das private E-Mailen während der Arbeitszeit. Kein Twittern, keine Beiträge in XING-Gruppen, keine Posts bei Facebook. Manche gestatten die Nutzung eingeschränkt nur zu bestimmten Zeiten. Das stimmt bedenklich, denn überall wird für die Sozialen Medien plädiert. Im Web-2.0-Business verschwimmen leider manchmal private und geschäftliche Informationen. Es gibt immer Situationen, in denen ein twitternder Mitarbeiter trotz aller Sorgfalt und Selbstdisziplin auf 140 Zeichen einen Fauxpas begeht, der für immer und ewig im Internet dokumentiert ist. Im ungünstigsten Fall hat sein Arbeitgeber das sofort mitbekommen, weil dieser ihm unerkannt als sogenannter Fake-Account auf Twitter folgt. Orwell lässt grüßen. Social-Media-Marketing wird besonders von jungen Mitarbeitern als selbstverständlich angesehen. Es geht darum, ihnen die betrieblichen
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STRATEGIE Rechtlich fit für Social-Media-Marketing?
Interessen verständlich zu machen. Wer Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse verrät, indem er darüber twittert, darf fristlos gekündigt werden. Dies könnten Arbeitgeber rechtzeitig im Rahmen von Verschwiegenheitserklärungen klar stellen. Wo liegen die Grenzen zwischen privaten von Artikel 5 Grundgesetz gedeckten und vom Arbeitgeber regelbaren Äußerungen? Unzulässig sind auf jeden Fall bewusste Geschäfts- und Rufschä-
» Verpönt ist im Web 2.0 alles Marktschreierische. Was das Äußerungsrecht angeht, steht meist Tatsache gegen Meinung. « digungen, Drohungen und Beleidigungen, falsche Tatsachenbehauptungen sowie Äußerungen, die den Betriebsfrieden gefährden und eine weitere Zusammenarbeit unzumutbar machen. Jedoch sind private kritische Anmerkungen meistens zulässig, auch wenn sie Unternehmensinteressen nicht entsprechen. Schließlich profitiert ein Unternehmen mittelbar vom Networking seiner Mitarbeiter und deren eigener Präsenz im Web 2.0. Weitere rechtliche Aspekte Außer den arbeitsrechtlichen Bestimmungen, gilt es für jedes twitternde Unternehmen und seine Mitarbeiter, das Internetrecht im Auge zu behalten. Auch hier geht es wieder um geschäftliches versus privates Handeln. Im Web 2.0 wird eine Impressumspflicht zugrunde gelegt. Diese besteht zuerst für alle
Firmen, die sich einen Account oder ein Profil anlegen. Privatpersonen sind nicht daran gebunden. Es gilt generell das Domainrecht sowie das Markenrecht. Übergreifend ist das Wettbewerbsrecht. Problemfälle ergeben sich zum Beispiel beim Twittern oder Bloggen aus gemischtem Handeln. Das könnte etwa dann vorliegen, wenn ein twitternder „Hipp“-Account sich gegen „Alete“ äußert und innerhalb von 140 Zeichen schreibt: „Meine acht Monate alte Nichte verzieht schon beim Anblick von „Alete“ das Gesicht.“ Unternehmen, die strategisch und geschickt twittern, arbeiten häufig bereits mit SocialMedia-Agenturen und sogenannten Web-Evangelisten zusammen. Die kennen sich nicht nur mit der neuen Netikette, sondern auch mit den Rechtsgrundlagen aus. Verpönt ist im Web 2.0 alles Marktschreierische. Was das Äußerungsrecht angeht, steht meistens Tatsache gegen Meinung. Meinungen sind erlaubt, während Schmähkritiken oder offensichtliches Dissen unzulässig sind. Vorsicht bei Ironie und Satire. Das sind beliebte Mittel von erfolgreichen Leuten im Social-Media-Marketing. Im konkreten Fall müsste herausgearbeitet werden, wo die Grenzen zwischen „Schmäh“ und erkennbar zulässiger Ironie sind. Unterm Strich haftet ein Unternehmen jedenfalls (fast immer) für alle Rechtsverletzungen, die in seinem Namen im Internet begangen werden. Sogar dann, wenn 140 Zeichen nicht überschritten werden.
Autorin Regina Kohn ist Rechtsanwältin in Hannover mit Tätigkeitsschwerpunkten im Urheberund Medienrecht sowie im Antidiskriminierungsrecht. Sie twittert seit März 2009: http://twitter.com/reginakohn.
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