INDUSTRIE SIMULATION
SIMULATION VON DIESEL-COMMON-RAILEINSPRITZSYSTEMEN Diesel-Common-Rail-Einspritzsysteme sind komplexe Systeme mit vielen Einflussparametern. Eine große Herausforderung ist dabei, für Mehrfacheinspritzungen die strengen Mengentoleranzen einzuhalten und dabei aus Kostengründen Bauteiltoleranzen nur soweit einzuengen wie erforderlich. Von besonderer Bedeutung ist hierbei, die wichtigen von den unwichtigen Parametern zu unterscheiden. Die numerische Simulation bietet dabei entscheidende Vorteile, wie dieser Bericht zeigt, der an der Hochschule Regensburg in Zusammenarbeit mit Continental entstanden ist.
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AUTOREN
PROF. DR.-ING. FREDRIK BORCHSENIUS
ist Professor an der Hochschule Regensburg und beschäftigt sich dort mit der Entwicklung von Simulationssoftware.
DR.-ING. DANICA STEGEMANN
ist Experte für Systemsimulation bei der Continental AG, Division Powertrain, in Regensburg.
DIPL.-MATH. (FH) XAVER GEBHARDT
ist Experte für Pumpensimulation bei der Continental AG, Division Powertrain, in Regensburg.
MOTIVATION
Simulation ist in der Entwicklung komplexer Produkte unverzichtbar geworden. Idealerweise wird bereits in der Angebotsphase die Machbarkeit geprüft. Anschließend begleitet die Simulation die Entwicklung insbesondere in den frühen Musterphasen und gibt Impulse für die Abstimmung der wichtigsten Einflussparameter zur Sicherstellung der Funktion und zur Einhaltung spezifizierter Grenzen. Vorteile der Simulation sind dabei : frühzeitige Bewertung eines Konzepts : besseres Verständnis der Funktionsweise durch Trennung der Einflussparameter. Die Simulation funktioniert wie eine „mathematische Lupe“ mit der die physikalischen Zusammenhänge im Innersten beleuchtet werden können – insbesondere in Bereichen, die messtechnisch nicht zugänglich sind. Das tiefe Verständnis der physikalischen Zusammenhänge ist Voraussetzung für eine zielorientiertere Entwicklung. Die Möglichkeiten der Simulation sind in der Praxis allerdings eingeschränkt durch : hohe Rechenzeiten insbesondere bei großen Modellen : Beschränkung der zur Verfügung stehenden Lizenzen. Aufgrund dieser Problematik wird bei Continental neben kommerziellen Programmen auch das freie Programm HSSIM (Hydraulic System Simulation) eingesetzt. Mit diesem Programm werden die rechenzeitintensiven Probleme gelöst. Als Beispiele werden Simulationen von gesamten Einspritzsystemen sowie eine Optimierung von Piezo-Common-Rail-Injektoren mit Hilfe von genetischen Algorithmen dargestellt.
Aufbau des Rechenprogramms HSSIM M. SC. JIGNESH JAGANI
ist Experte für Injektorsimulation bei der Continental AG, Division Powertrain, in Regensburg.
DR.-ING. ANATOLIY LYUBAR
ist Experte für Computer Modelling bei Continental, Division Powertrain, in Regensburg.
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71. Jahrgang
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INDUSTRIE SIMULATION
PCR2-Injektor und HSSIM-Modell
DAS RECHENPROGRAMM HSSIM
HSSIM ist eine Neuentwicklung auf Basis des Programms HYSIM, das an der TU München entwickelt wurde [1]. HSSIM besteht aus einem Solver und einer graphischen Benutzerschnittstelle. Bei der Entwicklung des Solvers wurde das Hauptziel auf die Realisierung von niedrigen Rechenzeiten auch für umfangreiche Systeme gerichtet. Hierfür wurde der Kern in C++ geschrieben. Die graphische Benutzerschnittstelle wurde in JAVA entwickelt und speichert sämtliche Daten in einer XML-Datei. Die Benutzerschnittstelle unterstützt hierarchische Modelle, so dass komplexe Systeme übersichtlich durch Teilsysteme zusammengesetzt werden können. Dadurch können Teilmodelle – zum Beispiel ein Injektor – auch in anderen Simulationsmodellen verwendet werden. Für Parametervariationen existiert eine MATLAB-Schnittstelle. Dadurch wird ermöglicht, Algorithmen wie Optimierungsverfahren zur Steuerung von Simulationsabläufen in MATLAB zu implementieren. Zur Kosimulation von HSSIM mit anderen Programmen steht eine TCP/IP-Schnittstelle zur Verfügung. Bei Continental werden zum Beispiel gekoppelte Simulationen mit HSSIM und Fluent zur Optimierung von Ventilkonturen unter Berücksichtigung der Dynamik durchgeführt. zeigt schematisch den Programmaufbau. HSSIM läuft unter Windows und Linux.
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PIEZO-COMMON-RAIL-INJEKTOR PCR2 zeigt das Prinzip eines Piezo-Common-
Rail-Injektors der zweiten Generation von Continental sowie ein entsprechendes HSSIM-Modell. Das Öffnen und Schließen des Injektors erfolgt über eine hydraulische Vorsteuerstufe mit Piezoaktor [2]. Das HSSIM-Modell setzt sich aus elementaren elektrischen, mechanischen und hydraulischen Komponenten zusammen. Die Ansteuerung des Piezo-Aktors erfolgt durch ein Endstufenmodell. Aufgrund der Dynamik der Ansteuerung sind die Massenkräfte und Elastizitäten aller bewegten Teile zu berücksichtigen. Die Parameter (Massen und Steifigkeiten) werden aus FEM-Simulationen gewonnen. Hydraulische Komponenten werden mit 3D-CFDSimulationen validiert – etwa Durchfluss
und Strömungskräfte an der Düsennadel. Ein Injektor wird durch zirka 60 gekoppelte Differentialgleichungen beschrieben. zeigt den Vergleich von gemessenen und simulierten Mengenkennlinien für niedrigeren, mittleren und hohen Druck. Die Charakteristik eines PCR2-Injektors soll mit Hilfe von numerischen Optimierungen verbessert werden. Aufgrund von Nichtlinearitäten scheiden klassische Optimierungsverfahren aus, da sie kein globales Optimum finden. Genetische Algorithmen sind in der Lage, ein globales Optimum zu ermitteln, allerdings nur mit hohem Rechenaufwand. Das Prinzip des genetischen Algorithmus ist durch zyklische Wiederholung der Phasen „Selektion“, „Vererbung“ und „Mutation“ der nachfolgenden „InjektorPopulation“ bestmöglich anzupassen. Dabei werden gute Injektoren mit hoher Wahrscheinlichkeit und schlechte Injektoren mit geringer Wahrscheinlichkeit ausgewählt. Durch dieses Auswahlverfahren wird verhindert, dass der Algorithmus in einem lokalen Optimum stehen bleibt [3]. Die Güte eines Injektors wird durch die Glattheit der Mengenkennlinien beschrieben. Je glatter die Kennlinien sind, umso geringer ist die Sensitivität gegenüber Parameterstreuungen. Mit Hilfe des genetischen Algorithmus wurde die Mengencharakteristik eines PCR2-Injektors geglättet, . Dabei wurden zehn Parameter variiert. Für die Optimierung der Kennlinien waren 540.000 Simulationen erforderlich. Eine Simulation dauert zirka 1 s, der gesamte Durchlauf auf einem Rechner etwa sechs Tage. Unter Linux können die Simulationen auf mehrere Prozessoren verteilt werden. Mit 18 Prozessoren reduziert sich die Zeit auf unter neun Stunden (über Nacht).
Mengenkennlinien für niedrigere, mittlere und höhere Raildrücke
Optimierte Mengenkennlinien
Modellaufbau des V8-Gesamtsystems
COMMON-RAIL-V8-SYSTEM
: Common-Rail-Pumpe mit drei Kolben und Volumenstromregelventil : acht PCR2-Injektoren an zwei Rails : elektrische Endstufen : Druckregelung. zeigt die oberste Ebene des HSSIMModells. Das Modell wird durch zirka 600 Differentialgleichungen beschrieben.
In diesem Abschnitt wird ein HSSIMSimulationsmodell für ein Achtzylindersystem mit einem Simulationsbeispiel beschrieben. Das Modell ist hierarchisch aufgebaut und besteht im Wesentlichen aus den Komponenten
Der Druckaufbau erfolgt durch eine Dreikolbenhochdruckpumpe mit Volumenstromregelung. Hierzu wird der Raildruck mit dem Sollwert (Setpoint) stetig verglichen und durch einen PI-Regler eingestellt. Der Reglerausgang ist mit dem Volumenstromregelventil der Pumpe verbunden.
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INDUSTRIE SIMULATION
Zeitliche Variation der Nacheinspritzung ohne Berücksichtigung der Einspritzmengenkorrekturfunktion
Mengenabweichungen aufgrund der Variation der Nacheinspritzung
Das Pumpenmodell enthält Hochdruckzylinder mit Ein- und Auslassventilen. Die Ventilmodelle sind auch hier mit CFD-Simulationen abgestimmt. Die Pumpe besitzt zwei Hochdruckanschlüsse zum Anschluss an die beiden Rails. Die Verbindungsleitungen Pumpe-Rail und die Injektorleitungen sind FEM-Modelle, um Druckwelleneffekte zu erfassen. Zur Dämpfung von Druckwellen können an den Rails Blenden berücksichtigt werden. An jedes Rail sind vier vollständige Injektormodelle angeschlossen. Die Ansteuerung der Injektoren erfolgt über Endstufenmodelle, die für jede Bank zusammengefasst sind (ECU). Das nachfolgende Simulationsbeispiel dient dazu, den Einfluss von Vor- und Nacheinspritzungen auf die Einspritzmenge eines anderen Injektors zu berechnen. Bei späten Nacheinspritzungen kommt es zur fast zeitgleichen Voreinspritzung eines anderen Injektors. Wenn sich diese Injektoren auf der selben Bank befinden, ist eine gegenseitige Beeinflussung der Einspritzmengen zu erwarten. Um diesen Effekt zu quantifizieren, werden die Einspritzmengen im
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Gesamtsystem berechnet und mit Einzelinjektorsimulationen verglichen. Die Einzelinjektorsimulation berücksichtigt Druckwellen, die zu Mengenabweichungen bei Mehrfacheinspritzungen führen, jedoch nicht die Wechselwirkung mit anderen Injektoren. Das gesamte Einspritzsystem, bestehend aus einer Pumpe, zehn Rohrleitungen, zwei Rails und acht PCR2-Injektoren inklusive elektronischer Ansteuereinheiten kann innerhalb weniger Stunden simuliert werden. Als Betriebspunkt wurde eine Dreifacheinspritzung (Vor-, Haupt- und Nacheinspritzung) bei maximalem Druck gewählt. In der Zündfolge der acht Zylinder kommt es auf jeder Bank zu zwei aufeinanderfolgenden Einspritzungen. Die restlichen Einspritzungen sind alternierend von Bank zu Bank. Die Injektoren auf der selben Bank mit aufeinanderfolgender Einspritzung werden abweichend von der realen Zündfolge als Injektor 1 und 2 bezeichnet. Die durch die Einspritzung von Injektor 1 entstandenen Druckwellen beeinflussen die Einspritzung des darauffolgenden Injektors 2. Die daraus resultierende Mengenabwei-
chung soll berechnet werden. Die üblicherweise vorhandene Mengenkorrekturfunktion wird dabei nicht berücksichtigt. Um verschiedene Betriebszustände abzudecken, wurde der Zeitpunkt der Nacheinspritzung variiert. zeigt die zeitliche Variation der Nacheinspritzung in acht Stufen. Die Zeitpunkte von der Voreinspritzung und der Haupteinspritzung sind festgehalten. Durch die Variation der Nacheinspritzung ist ein Einfluss auf die Stabilität der Voreinspritzung im Gesamtsystem festzustellen. In sind die Ergebnisse der Einzelinjektorsimulation und die Ergebnisse der Gesamtsystemsimulation gegenübergestellt. Deutlich zu erkennen ist, dass man die Mengenabweichungen der Nacheinspritzung qualitativ miteinander vergleichen kann. Dies begründet sich durch den dominierenden Einfluss der Haupteinspritzung auf die nachfolgenden Einspritzungen. Bei der Voreinspritzung können mit der Simulation des einzelnen Injektors keine Mengenabweichungen entstehen, da das System zu diesem Zeitpunkt, an dem die Voreinspritzung stattfindet, völ-
lig ungestört ist. Hier wird deutlich, dass zur Untersuchung von Mengenabweichungen der Voreinspritzung ein Gesamtsystem benötigt wird. Beim Injektor 1 zeigt sich im Vergleich zum Injektor 2 ein unterschiedliches Verhalten in der Mengenabweichung. Die von Injektor 1 eingespritzten Mengen weichen bei der Piloteinspritzung lediglich durch die vorherrschenden Druckwellen in der Injektorzuleitung und im Rail ab. Diese Druckverhältnisse werden durch die Pumpe und von vorhergegangenen Einspritzungen verursacht. Da die Einspritzungen unmittelbar vor Injektor 1 auf der anderen Bank erfolgen, wird die Voreinspritzung von Injektor 1 kaum beeinflusst. Anders verhält sich dies bei Injektor 2, dessen Voreinspritzung durch die Einspritzungen von Injektor 1 direkt beeinflusst wird, da sich beide Injektoren auf der selben Bank befinden. FAZIT
Mit dem Rechenprogramm HSSIM steht für die Simulation von Einspritzsystemen eine Alternative zu kommerziellen Programmen zur Verfügung, die insbesondere für rechenzeitintensive Simulationen vorteilhaft ist.
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LITERATURHINWEISE
[1] Pfeiffer, F.; Borchsenius, F.: New Hydraulic System Modelling. In: Journal of Vibration and Control, 10: 1493.1515, Sage Publications 2004 [2] Egger, K.; Warga, J.; Klügl, W.: Neues Common-Rail-Einspritzsystem mit Piezo-Aktorik für Pkw-Dieselmotoren. In: MTZ 9/2002, Jahrgang 63 [3] Gebhardt, X.: Optimierung der Dynamik eines Piezo-Injektors mit Hilfe von numerischer Simulation und mathematischen Optimierungsalgorithmen. Diplomarbeit Hochschule Regensburg, 2008
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71. Jahrgang
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