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Value Net Marketing – Schlüssel zum erfolgreichen Marketing Zahlreiche Anbieter setzen auf Plattform-Marketingstrategien an Stelle von klassischem Produktmarketing. Denn die Marketing Performance eines Unternehmens hängt entscheidend davon ab, wie das Angebot mehrerer komplementärer Leistungen in ein Produktportfolio integriert und bestehende Netzwerkeffekte optimal genutzt werden können. Der Beitrag gibt Beispiele für die dafür erforderlichen Kompetenzen und Marketinginstrumente. MICHAEL REISS | ARMIN GÜNTHER
E
ine zunehmende Zahl von Anbietern vermarktet nicht mehr nur Produkte, sondern auch Plattformen. Diese basieren auf einem Cross-Buying-Modell, da nur eine Kombination aus Plattform und komplementären Leistungen einen Mehrwert für den Kunden bietet. Dieses Marketingmodell erfordert jedoch andere Kompetenzen als das klassische Produktmarketing. Denn wenn komplementäre Leistungen in einer Konfiguration von selbstständigen Unternehmen angeboten werden, „bedient“ das Plattformunternehmen gleichzeitig zwei meist sehr heterogene Abnehmergruppen: die Kunden und die Komplementoren, d.h. die Anbieter komplementärer Leistungen.
Kunden und Netzwerkpartner bilden ein Netzwerk Kunden und Komplementoren, also Anbieter, die zusätzliche Leistungen beisteuern, können durch sehr unterschiedliche Faktoren 44
miteinander vernetzt sein: Die Palette reicht von vertraglich fixierten Transaktionen bis hin zu nicht formell dokumentierten Netzwerkeffekten. Beispiele für Industrieplattformen sind beispielsweise ■ Smartphones in Kombination mit Apps und Zubehör, ■ Waschmaschinen mit Waschmitteln sowie ■ Kraftfahrzeuge mit Tankstellen- und Werkstattnetzen. Diese Konfiguration trifft aber auch auf virtuelle Handelsplattformen und Online-Börsen wie Ebay, auf Partnervermittlungsagenturen oder Medien (aus z.B. Konfiguration aus News und Werbebotschaften) zu. Auch Sport- und Kultur-Events, die mit einem Merchandising der Sponsoren und einer Medienbegleitung kombiniert werden oder Kreditkartensysteme in Verbindung mit einem Händlernetz sind gängige Varianten von Netzwerkmarketingstrategien. Abbildung 1 vermittelt einen Eindruck von der weiten Verbreitung dieser spezifischen Vermarktungskonstellation anhand ausgewählter Beispiele. Marketing Review St. Gallen
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Abb. 1 Plattformprodukte mit komplementären Leistungsangeboten Plattformprodukte
Kunde
Komplemen- Komplemen- Komplementärleistung tärleistung tärleistung
Netzwerkeffekt
Smartphone
Gerätebesitzer
Mobilfunknetz Apps (ausreichend Kapazität)
Zubehör
Direkte/indirekte Netzwerkeffekte: zahlreiche Nutzer, zahlreiche Zubehör-/Apps-Anbieter und vice versa
(All-)Finanz- Finanzdienstleistung kunde
Versicherungen
Anlageprodukte
Bausparprodukte
Indirekte Netzwerkeffekte: attraktives Kundenportfolio, zahlreiche/ mehrere Anbieter von Finanzprodukten und vice versa
Automobil
Halter
Tankstellen
Service-Netz
Zubehör (Reifen, Öle, Pflegemittel, ...)
Indirekte Netzwerkeffekte: zahlreiche Kfz-Besitzer, zahlreiche Tankstellen, zahlreiche und unterschiedliche (z.B. günstige, qualitativ hochwertige) Serviceanbieter, zahlreiche Anbieter von kompatiblem Zubehör und vice versa
Kaffeemaschine
Kaffeetrinker
Kaffee
Zubehör und Cantuccini, Milch, Service Zucker, ...
Indirekte Netzwerkeffekte: zahlreiche, unterschiedliche Kaffee-, Zubehör-Anbieter,… und vice versa
Flughafen
Fluggäste, aeronautical Frachtservices kunden
ancillary Frachttransport services: (Schiene, Straße, Gastronomie, Schifffahrt) Mietwagen, ...
Indirekte Netzwerkeffekte: Zahlreiche Fluggäste/Transportkunden locken zahlreiche, unterschiedliche Fluggesellschaften/Verkehrsdienstleister an und vice versa
HD-Fernseher Rezipient (HD)Fernseh- Filme,
Internet-/KabelanIndirekte Netzwerkeffekte: Zahlreiche Rezipienten, zahlreiche schluss, (HD) Receiver, Content-Anbieter und Anbieter von HD-fähigem Zubehör und vice Multimedia Player, versa Zubehör (Kabel, DVB-T Antenne)
Spielekonsole Spieler
Filme, Musik, ...
programm
multimedia Content
Spiele
Internetzugang
Fußball Welt- Rezipient, Sponsoring, meisterschaft Besucher Werbung
Medien Transport(TV, Radio, ...) dienstleistungen
Status quo des Konfigurationsmarketing Die nachfolgenden Beispiele sollen verdeutlichen, wie sich die erforderliche Kompetenzbasis für das Marketing vernetzter Leistungsangebote aufbauen lässt. Ausgehend von drei bereits vorhandenen, aber noch nicht ausreichend integrierten Kompetenzbausteinen wird das Value-Net-Wertnetz als Referenzmodell für ein Marketingkonzept vorgestellt. In der anschließenden Analyse werden die beiden Kompetenzbereiche des Value Net Marketing beleuchtet: zum einen die Intelligence-Kompetenz, mit der sich vernetzte Leistungskomponenten erkennen lassen, zum anderen die Maßnahmenkompetenz, die den Einsatz des Marketing-Mix für vernetzte Konfigurationen beinhaltet. Abschließend wird skizziert, welcher Handlungsbedarf sich für Wissenschaft und Praxis aus einem Value-Net-Marketingkonzept ergibt. Bisher haben sich drei Sparten des Marketing mit Aspekten des vernetzten Konfigurationsmarketing beschäftigt:
Sparte 1: Plattform-Marketing Bei diesem als „multi-sided markets“ (MSM) bzw. zwei- oder mehrseitige Märkte (MSM-Ansatz) bezeichneten VermarktungsMarketing Review St. Gallen
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Indirekte Netzwerkeffekte: Zahlreiche Spieler, zahlreiche unterschiedliche Spiele und Filme, Musik, Anbieter breitbandiger Internetzugänge,… und vice versa Indirekte Netzwerkeffekte: Je zahlreicher die Rezipienten/ Besucher desto mehr Anbieter von informativer Werbung, desto umfassender die Berichterstattung, desto besser die Anbindung durch Transportdienstleistungen und vice versa
modell (Dietl/Schieke, 2007, S. 126 ff.) wird angenommen, dass sich die einzelnen Leistungsbestandteile ergänzen und der quantitative Umfang (Besetzungszahlen) der Abnehmergruppen – vereinzelt auch deren heterogene Zusammensetzung (vgl. Hagemeister 2009, S. 22 ff.) – betrachtet. Hand in Hand mit den Besetzungszahlen treten indirekte Netzwerkeffekte auf (vgl. Parker/ van Alstyne 2005, S. 1495 f.), die für den Anbieter zusätzliche Absatzpotenziale bieten. Im Mittelpunkt des Plattform-Marketing steht die Preispolitik von Plattformanbietern. Demgegenüber konzentriert sich die Beschäftigung mit den industriellen Plattformen meist auf die Interoperabilität zwischen der Plattform und den angebotenen ergänzenden Leistungen (Gawer 2009, S. 57 f.).
Sparte 2: System-Marketing Hier vermarktet ein diversifiziert operierender Anbieter komplexe Leistungskonfigurationen oder Bundle-Produkte (auch: Leistungsbündel, hybride Leistungsangebote) an seine Kunden. Das Marketing wird dabei meist als System-Marketing (Specht 1995, S. 2428 ff.) komplementärer Leistungskonfigurationen gesteuert. 45
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Im Mittelpunkt steht die Preis- bzw. Ertragspolitik (Belz/Bieger 2006, S. 412 f.), z.B. die Bepreisung von Dienstleistungen als Systemkomponenten und die Festlegung von Bundle-Preisen, um Cross-Selling-Effekte zu erzielen. Auch für die Distributionspolitik werden in dieser Sparte Lösungskonzepte entwickelt, etwa in Form des indirekten Vertriebs über Systemintegratoren.
Sparte 3: Netzwerk-Marketing Bei der Variante des Netzwerk-Marketing ist nicht das InternetMarketing (E-Commerce), sondern die Beteiligung mehrerer, interaktiv verknüpfter Teilnehmer am Marketingprozess gemeint. Dabei lassen sich drei Cluster von vernetzt agierenden Organisationseinheiten unterscheiden (Gummesson 2008, S. 7 ff.):
Abnehmer-Netzwerke Bei Abnehmer-Netzwerken geht es in der Regel um den Verkauf an sogenannte „Buying Center“ im B2B- und an Endkunden (z.B. Familien) im B2C-Segment. In jüngster Zeit wird im Rahmen des Social Media Marketing (Schütt 2010; Hettler 2010) die „digitale Mundpropaganda“ unter Kunden zur viralen Verbreitung von Marketingbotschaften genutzt (Esch/Krieger/Stenger 2010).
Intermediär-Netzwerke Herkömmliche Intermediär-Netzwerke wie z. B. FranchiseSysteme oder auch Verbundgruppen werden neuerdings ergänzt durch komplexere Konfigurationen, z. B. in Form von hybriden Organisationsformen (vgl. Heide 2003) und AffiliateSystemen. Jedes der drei dargestellten Netzwerkmodelle liefert einzelne Kompetenzen. Keines umfasst jedoch alle wichtigen Kompetenzen für ein unternehmensübergreifendes Konfigurationsmarketing mit den Abnehmergruppen „Kunden“ und „Komplementoren“ unter Berücksichtigung von Netzwerkeffekten. Der MSM-Ansatz im Plattform-Marketing konzentriert sich auf Netzwerkeffekte und Preispolitik, vernachlässigt aber die erfolgskritische Beziehung zu den Anbietern von ergänzenden Produkten oder Dienstleistungen. Das System-Marketing betont die Komplementaritäten des Modells, lässt aber die Netzwerkeffekte außer Acht. Das NetzwerkMarketing stellt zwar die Unterschiede und Einbeziehung der einzelnen Mitglieder eines Netzwerks in den Vordergrund, setzt sich aber nicht mit der aus den Komplementaritäten resultierenden Clustern der Beteiligten in zwei (oder mehr) Abnehmergruppen auseinander.
Anbieter-Netzwerke
Value Net Marketing am Beispiel von Apple
Bei diesen Anbieterkooperationen wird der klassische Marketing-Mix unter anderem um Instrumente wie Vertrauensförderung, die netzwerkinterne Kommunikation und das BeziehungsControlling (vgl. Köhne 2006, S. 134 ff.) erweitert. Im Mittelpunkt stehen zumeist Netzwerke, z.B. im Allfinanzbereich oder bei Airlines (Gummesson 2008, S. 183 ff.), die nach den Gesetzen der „Coopetition“ (Kooperation unter Konkurrenten) organisiert sind.
Das Value Net-Marketing schließt die Lücken, die in jedem der drei existierenden Ansätze bestehen. Die Zusammensetzung der relevanten Teilnehmer basiert auf dem Value-Net-Ansatz (Nalebuff/Brandenburger 1996, S. 11 ff.). Das Value Net berücksichtigt zusätzlich zu den Supply-Chain-Akteuren (also z.B. PlattformAnbieter, Lieferanten und Kunden) auch Komplementoren und Konkurrenten, d.h. andere Plattformen. Das Modell betont die Notwendigkeit, mehrere bilaterale Geschäftsbeziehungen simul-
Abb. 2 Value-Net-Modell für Plattformprodukte bei Apple
Abnehmergruppen
Gerätebesitzer
Apple: iPad, iPhone, iPod
Ne tzw erk eff ek te
E-Book-Anbieter Netzbetreiber und Serviceprovider
Komplementoren
Online Communities Netzwerkeffekte
SW/App-Entwickler Service-/ContentAnbieter
Online-Filme/ Spiele-Anbieter Zubehör-Anbieter
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tan zu optimieren. Abbildung 2 zeigt dies beispielhaft anhand eines HighTech-Plattformanbieters – ohne die Berücksichtigung von Lieferanten und Konkurrenten: Der Smartphone-Hersteller Apple erschließt sich bestimmte Kundensegmente wie z.B. „Lifestyle“-Kunden erst dadurch, dass „Lieferanten“ von Zusatzleistungen oder -produkten (sog. Komplementatoren) „schickes“ Zubehör zu den Kernprodukten des Herstellers anbieten („Made for iPhone“). Der Geschäftserfolg mit dem Kundensegment der sog. „SmartNatives“ (Professionelle Smartphone-Nutzer, vgl. Google/Otto Group u.a. 2010, S. 10 f.) setzt hingegen voraus, dass Komplementatoren wie z.B. App-Entwickler eine Personalisierung der Smartphone-Nutzung durch Applikationen vorantreiben, um so einen möglichst einfachen Zugang zu Funktionen und Inhalten sicherzustellen. Eine große Zahl an verfügbaren Apps macht wiederum das Gerät von Apple besonders attraktiv. Das erhöht die Zahl der Zubehöranbieter.
Fünf Performance-Stufen des Value Net Marketing Im Marketingmodell auf Basis des Value-Net-Ansatzes sind zwei besondere Faktoren gleichzeitig erfasst: Zum einen die sich ergänzenden Konfigurationen und zum anderen die Netzwerkeffekte. Die Kopplung dieser Bausteine erfolgt auf fünf Stufen. Dieses Stu-
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fenmodell bringt zum Ausdruck, dass sich die nachgelagerten Aspekte nur dann zur Verbesserung der Marketing-Performance nutzen lassen, wenn die vorgelagerten Aspekte erfüllt sind.
Stufe 1: Ergänzungsleistungen und andere Anbieter Siehe dazu Abbildung 2.
Stufe 2: Positive und/oder negative Netzwerkeffekte Die Reputation einzelner Lieferanten von ergänzenden Leistungen oder Produkten – im Apple-Beispiel sind dies etwa Netzbetreiber, App-Entwickler oder Content-Anbieter – kann sich positiv oder negativ auf den Geschäftserfolg der Plattform-Anbieter (und umgekehrt) auswirken.
Stufe 3: Direkte Netzwerkeffekte Bei direkten Netzwerkeffekten interner Gruppenmitglieder eines Netzwerks (sog. Intra-Gruppen-Netzwerkeffekte oder „within group externalities“) kann es sich entweder um positive Effekte handeln, wie sie durch das Metcalfe-Gesetz beschrieben sind, nachdem der Wert eines Netzwerkes proportional zur Anzahl der Nutzer steigt (Buttermann 2004, S. 71; Bleuel/Wurzer 2010, S. 920). Oder es entstehen negative Effekte, etwa der „Congestion Effect“ („Verdichtungseffekt“, vgl. Rysman 2004, S. 483 ff.). Dabei steigt etwa die Zahl der Akzeptanzstellen von Kreditkarten bei einer kon-
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stanten Anzahl von Kartenbesitzern, so dass einzelne Händler weniger verkaufen.
Stellenwert Drei Modellmerkmale sprechen für einen hohen Stellenwert des Value Net Marketing:
Stufe 4: Indirekte Netzwerkeffekte Bei diesen Netzwerkeffekten eines Marketingnetzwerks zwischen den Abnehmergruppen des Value Net Marketing („cross group network externalities“) hat der Umfang und die Zusammensetzung einer Abnehmergruppe spürbare Auswirkungen auf die Performance der Lieferanten zusätzlicher Produkte oder Dienstleistungen, die zu einem bestehenden Kernprodukt (Plattform) des betreffenden Anbieters angeboten werden. Beispiele sind: Die große Nachfrage nach Smartphones zieht z.B. die Entwicklung von Apps und Zubehör nach sich; die Nachfrage nach Elektro- oder Hybridfahrzeugen bestimmt die Investitionsbereitschaft von Infrastrukturanbietern (z.B. Stromversorgungsunternehmen).
Stufe 5: Differenzierung gegenüber konkurrierenden Plattformen Angesichts der Konkurrenz mehrerer funktionsgleicher Plattformen hängt die Erfolgsrelevanz aller Vorstufen nicht von der absoluten Attraktivität einer Plattform für die Abnehmergruppen ab, sondern auch von deren relativem Wettbewerbsvorteil gegenüber konkurrierenden Plattformen. Das bedeutet in der Praxis: Kunden und Akzeptanzstellen können beispielsweise zwischen Kreditkarten wählen oder „Multi Homing“ (vgl. z.B. Dietl/Schieke 2007, S. 138 ff.) praktizieren, indem sie mehrere Kreditkarten besitzen oder akzeptieren.
Allgegenwärtigkeit Das breite Spektrum von Beispielen (vgl. Abbildung 1) signalisiert, dass das Netzwerkmarketing keinesfalls auf einzelne Branchen wie z.B. High Tech oder Medien begrenzt ist. Methodisch gesehen sollte es sich für Anbieter lohnen, jede Sach- oder Dienstleistung daraufhin zu untersuchen, ob sie sich als Plattform eignet. Dafür sprechen zum einen die weite Verbreitung von Leistungsbündeln als Antwort auf die Kundenanforderungen in Bezug auf lösungsund convenience-orientierte Angebote. Zum anderen münden die verstärkte Modularisierung von Produkten (z.B. Betriebssysteme von Smartphones und PCs) sowie das „Ingredient Branding“ in komplexen Netzwerken von Anbietern ergänzender Leistungen, wie in Abbildung 2 veranschaulicht.
Innovativität Value Net Marketing nutzt einerseits die Erkenntnisse der drei existierenden Marketingansätze als Fundament. So werden z.B. Sonderformen des Cross-Selling (System-Marketing) in Form von „Freemium“-Angeboten (Bughin/Chui/Manyika 2010) eingesetzt. Dabei handelt es sich um kostenlose Basisleistungen mit kostenpflichtigen Zusatzkomponenten als Premium-Angebote, die das Plattform-Marketing propagiert. Sie werden auf der Basis einer Zusammenarbeit zwischen Mitgliedern des Netzwerk-Marketing
Abb. 3 Der Value-Net-Marketing-Mix
Integrierte Konfigurierung
Integrierte Kontrahierung ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■
Customizing Kompatibilität Konfigurationsflexibilität Standards Synchronisierung Gemeinsame F & E Bundles Integrierte Mengen
■ Gegenseitige Empfehlung ■ Werbung z. B. mit der Größe der anderen Abnehmergruppe ■ Gemeinsame Marketingforschung ■ Abgestimmte Kundenkommunikation
Integrierte Promotion
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■ Freemium-/Free-fee-Angebote ■ Abgestimmte Preisankündigung ■ Preis in Abhängigkeit des Preises der anderen Abnehmergruppe ■ Vermittlungsprovisionen, Lizenzgebühren,Umsatzrabatte ■ Zugaben, Bonusprogramme ■ Verkauf, Leasing, On-Demand, … ■ ■ ■ ■
Logistik-Sharing Gemeinsame Vertriebskanäle Gemeinsame Vertriebsstandorte Abgestimmte Multi-Vertriebskanäle
Integrierte Distribution
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eingesetzt. Über die Kombination vorhandener Wissensbausteine hinaus liefert das Value Net Marketing aber auch innovative Erkenntnisse: So integriert das Value-Net-Modell automatisch das Zusammenspiel mehrerer Plattformen, die in Konkurrenz zueinander stehen. Dies betrifft konkurrenzseitig die wettbewerbsstrategische Differenzierung zwischen Plattformen, kooperationsseitig jedoch auch den Aufbau von Standardisierungsgemeinschaften unter den Plattformanbietern.
Performance-Einfluss Die Performance äußert sich zum einen als Chancenpotenzial in Form von ■ direkten Absatzsteigerungen, ■ Erlösen aus Zusatzgeschäften (z.B. Vermittlungsprovisionen, Lizenzgebühren) und ■ Umsatzsteigerungen. Umsatzsteigerungen werden durch eine Konfigurations-, Preis-, Promotions- und Distributionspolitik (vgl. Abbildung 3) erzielt, die explizit Netzwerkeffekte zwischen sich ergänzenden Leistun-
» Durch Value Net Marketing werden Chancenpotenziale erschlossen und Risikenpotenziale verringert.«
gen und Produkten berücksichtigt. Zudem lassen sich Risiken verringern. Denn der Plattformabsatz sowie die erzielten Deckungsbeiträge, Preise und das Markenimage werden nicht selten durch inkompatible, verspätet entwickelte oder zu hoch bepreiste Komplementärangebote beeinträchtigt. Derartige Defizite des herkömmlichen Produktmarketing haben sich beispielsweise beim Marketing von HD-Fernsehgeräten gezeigt, da HD-Inhalte verspätet angeboten wurden.
Investition in Netzwerk-Marketingstrategien Um dieses Potenzial gewinnbringend in Unternehmen umzusetzen, muss in die Kompetenz für Value Net Marketing investiert werden, denn mit den vorhandenen Marketingansätzen kann der Dreh- und Angelpunkt des Value Net Marketing, der Verbund von Anbietern, die ergänzende Produkte und Dienstleistungen liefern, nicht erfolgreich genutzt werden. Dabei sind zwei Kompetenzfelder erfolgskritisch: Zum einen die Intelligence-Kompetenz, also das diagnostische Know-how zur Erkennung der fünf Stufen des Value Net Marketing. Zum anderen die Kompetenzen, um Maßnahmen zu entwickeln, mit denen Marketing Review St. Gallen
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sich die Potenziale auf den fünf Stufen ausschöpfen bzw. steigern lassen.
Strategisch wichtige Kompetenzen für das Value Net Marketing Intelligence-Kompetenz Um das skizzierte Potenzial des Value Net Marketing erschließen zu können, sollten Intelligence-Aktivitäten u.a. folgende Erkenntnisse liefern: Für die Stufe 1, also die Identifikation geeigneter ergänzender Produkte und entsprechender Anbieternetzwerke, eignet sich z. B. die SWOT-Analyse. Mit ihr können Schwächen wie z. B. fehlende Komplementärangebote im eigenen Leistungsprogramm oder fehlende externe Zusatzleistungen aufgedeckt werden. Ebenfalls in Betracht kommen direkte Befragungen etwa von produktbegleitenden Dienstleistern (z. B. Independent Maintenance, Logistik). Eine Herausforderung besteht hier in nicht präzise definierten Leistungsrelationen, etwa wenn – je nach Kundenpräferenz – die Leistungen im Wettbewerb zueinander stehen können oder sich auch gegenseitig ergänzen können („Rail or Fly“). Innerhalb der „Complementor Intelligence“ auf Stufe 2 müssen positive Netzwerkeffekte erkannt werden. Dazu gehören z.B. Innovationen, die einzelne Hersteller ergänzender Leistungen vorantreiben und von denen andere als „follower“ profitieren, ohne selbst die Innovationskosten tragen zu müssen. Auf der Stufe 3, also bei der Diagnose der gruppeninternen Netzwerkeffekte, ist die beste Maßeinheit des jeweiligen Netzwerkeffektes zu bestimmen: Angesichts von „Multi Homing“ und unterschiedlicher Kaufkraft erweist sich die übliche Maßeinheit nach Anzahl von Nutzern der Zusatzleistungen als zu grob. Sie sollte beispielsweise durch die Verweildauer im Internet präzisiert werden.
Maßnahmenkompetenz Maßnahmenkompetenz bedeutet die Entwicklung eines auf integrierte Leistungskonfigurationen ausgerichteten Marketing-Mix (vgl. Abbildung 3). Im Plattform-Marketing wird eine integrierte Kontrahierung fokussiert, die sich in netzwerksensiblen Preisstrategien wiederfindet. Hier wird für niedrige Einstiegspreise anstelle einer Skimming-Strategie plädiert, um ein Zögern der „Early Adopters“ (sogenannter „Pinguin-Effekt“, vgl. Dietl/Schieke 2007, S. 131) zu vermeiden. Für diese mehrseitigen Märkte wurden ebenso komplexe Erlösmodelle entwickelt, etwa die Subventionierung einer Abnehmergruppe. Im Extremfall mündet dies in kostenlosen Angeboten von Suchmaschinen oder Diensten wie z.B. Flickr oder Skype, die durch Banner und Adwords finanziert werden (Bughin/Chui/Manyika 2010, S. 11). Integrierten Werbemaßnahmen für angebotene Leistungskonfigurationen sollte ein abgestimmtes Timing von Kommunikationsmaßnahmen für die einzelnen Zusatzleistungen oder -pro49
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dukte zugrunde liegen. Darüber hinaus sollte in der Kommunikationspolitik explizit mit der Größe und der Verschiedenheit der Akteure in den Abnehmergruppen geworben werden. Ein Beispiel: Für eine neue Spielkonsolen-Generation sollte kommuniziert werden, dass nicht nur viele, sondern vielfältige Spiele programmiert werden und dass ausreichend viele Spieler bereit sind, diese Spiele zu kaufen. Ziel einer integrierten Produktkonfiguration ist nicht die Produktqualität (einer Einzelleistung), sondern die Qualität, mit der das Zusatzprodukt eingebunden werden kann. Sie lässt sich nur durch eine wechselseitige Anpassung der Leistungskomponenten erreichen, um dadurch den Abnehmern einen Plug & PlayKomfort anbieten zu können. Im Apple-Beispiel (vgl. Abbildung 2) müssen etwa die Applikationen spezifisch auf das Apple-Betriebssystem programmiert werden. Die integrierte quantitative Zusammensetzung der Absatzmengen erfordert z.B. eine flexible Abstimmung der Leistungsmengen: In diesem Sinne müssen sich die Mobilfunk-Netzkapazitäten an den steigenden SmartphoneAbsatz anpassen, um die negativen Folgen eines „Staus im Netz“ für alle involvierten Komplementoren und Kunden zu vermeiden.
DOI: 10.1007/s11621-011-0049-6
Fazit: Handlungsbedarfe für Wissenschaft und Praxis Die erforderliche Kompetenzbasis für das Netzwerk-Marketing lässt sich nur etablieren, wenn es sowohl in der Forschung als auch der Praxis gelingt, drei Sparten von Marketing-Know-how zu verschmelzen: das Wissen, ■ wie man Netzwerkeffekte in eine Umsatzsteigerung überführt, ■ wie man Cross-Selling-Effekte mit komplementären Leistungsangeboten erzielt und ■ wie man Leistungen an und über zahlreiche, untereinander vernetzte Akteure vermarktet. Die Verschmelzung dieser komplexen Wissensbasis in einer Person ist illusorisch. Dennoch sollten die Nachteile des Spezialistentums durch eine generalistisch angelegte fachliche Qualifizierung und vor allem durch überfachliche Kompetenzen verringert werden: Hierzu zählen vor allem Kooperationsbereitschaft, gemeinsame Sprache, Referenzmodelle (wie das skizzierte ValueNet-Modell) und die Methodik, z.B. das dargestellte Stufenmodell zur Nutzung der Komplementarität und Netzwerkeffekte. Der Schlüssel zur erfolgreichen Verschmelzung sind jedoch geeignete Organisationskonzepte, vor allem aus dem Bereich der Sekundärorganisation: Mit Hilfe von „Knowledge Communities“ (z.B. Communities of Practice), also Wissensgemeinschaften, die von Koordinationsgremien und ad hoc installierten Projektteams begleitet werden, kann es gelingen, die Kompetenzbasis für die Vermarktung von Leistungskonfigurationen innerhalb eines Netzwerks erfolgreich aufzubauen.
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Die Autoren Prof. Dr. Michael Reiss Inhaber des Lehrstuhls für Organisation der Universität Stuttgart E-Mail:
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Armin Günther Literaturverzeichnis Belz, C./Bieger, T. (2006): Customer value. Kundenvorteile schaffen Unternehmensvorteile, 2. Aufl., St. Gallen.
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Akademischer Mitarbeiter am Lehrstuhl für Organisation der Universität Stuttgart E-Mail:
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Die Autorin Die Arbeits- und Organisationspsychologin Uta Rohrschneider ist seit vielen Jahren als Unternehmensberaterin, Trainerin und Coach im Bereich Personalentwicklung tätig. Sie leitet die grow.up. Managementberatung in Gummersbach und ist gefragte Referentin und mehrfache Autorin zu den Themen Management, Führung und Human Resources.
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