Schwerpunkt | Process Mining
Vom Controller zum Prozessanalysten Geschäftsprozesse im digitalen Zeitalter basieren nahezu vollständig auf einer Unterstützung durch IT-Systeme. Dabei hinterlassen sie jede Menge Spuren, die es im Rahmen einer ganzheitlichen Prozesssteuerung aufzugreifen und auszuwerten gilt. Process Mining erweist sich hierbei als hilfreiches Controlling-Werkzeug, um Missstände aufzudecken und Abläufe zu verbessern. Patrick Zschech, Marcus Pfitzner, Andreas Hilbert
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Controlling & Management Review
4 | 2017
Schwerpunkt | Process Mining Als zentrale Stelle zwischen Geschäftsführung, Fachabteilungen und Reporting übernimmt das Controlling die Aufgabe, eine faktenbasierte Entscheidungsgrundlage für das Management zur Verfügung zu stellen. Im Zuge der voranschreitenden Digitalisierung gilt es dabei, die zur Verfügung stehenden Daten als einen entscheidenden Wettbewerbsfaktor nutzbar zu machen (vergleiche Buschbacher 2016, S. 41). Einen wesentlichen Treiber stellen dabei prozessunterstützende Informationssysteme dar, die täglich riesige Mengen an Ereignisdaten erzeugen. Derartige Systeme bilden zunehmend das Rückgrat moderner Unternehmenstätigkeiten, indem sie die computergestützte Verarbeitung betrieblicher Geschäftsprozesse unterstützen und parallel das reale Geschehen aus unterschiedlichen Perspektiven aufzeichnen. Während die Automatisierung der Unternehmensabläufe insbesondere auf operativer Ebene stattfindet, wirken sich die Effekte der Prozessausrichtung auch immer stärker auf das Management aus. Viele Unternehmen steuern ihre Wertschöpfungsaktivitäten mittlerweile prozessbasiert. Ihr Ziel, die Kundenbedürfnisse individuell zu befriedigen, flexible Wettbewerbsvorteile zu realisieren sowie kürzeren Produktlebenszyklen und variablen Rahmenbedingungen gerecht zu werden, macht die Unternehmensabläufe und damit auch die Prozesse selbst immer komplexer und dynamischer. Um an dieser Stelle die notwendige Transparenz entlang der Wertschöpfungsprozesse zu schaffen und diese in ihrer Gesamtheit beherrschen und steuern zu können, ist ein Prozess-Controlling unverzichtbar (vergleiche Gentsch/Kulpa 2016, S. 33). Die ihm zur Verfügung stehende Datenvielfalt und -breite bieten eine ideale Ausgangsbasis für eine faktenbasierte Prozesssteuerung. Mit der neuen Fülle an Daten ist der Controller jedoch auch gezwungen, neue Kompetenzen aufzubauen. Neben seinem Wissen um Produkte und Unternehmensabläufe benötigt er ebenfalls Kenntnisse in Bezug auf die Verarbeitung und Analyse großer Datenmengen. Im Controlling klassische ITAnalyseinstrumente wie beispielsweise das Online Analytical Processing (OLAP) eignen sich zwar zur multidimensionalen Datenanalyse, sie erlauben jedoch aufgrund ihrer statischen Navigation keine übergreifenden und zusammenhängenden Einblicke in das Prozessgeschehen. Demgegenüber eröffnen modernere Verfahren und Methoden aus den Bereichen Data Mining und Machine Learning Controlling-Abteilungen die Möglichkeit, bisher verborgene Zusammenhänge, Muster und Trends in großen Datenmengen aufzudecken und als Entscheidungsgrundlagen nutzbar zu machen (vergleiche Buschbacher 2016, S. 41 ff.; Gentsch/Kulpa 2016, S. 34). Zu einem solchen Ansatz zählt auch die Methode des Process Minings (vergleiche Vossen 2012, S. 288). Als Bindeglied zwischen moderner Datenanalyse und klassischem Prozess-Audit (vergleiche Hilbert/Zschech 2016, S. 942) gewährt sie dem Controller Einblicke in prozessbezogene Zusammenhänge. Leicht verständliche und intuitive Software-Lösungen in Form von Self-ServiceWerkzeugen machen sie zudem auch für Anwender zugänglich, die keine vertieften Advanced-Analytics-Kenntnisse besitzen.
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4 | 2017
Patrick Zschech ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik/ Business Intelligence Research an der Technischen Universität Dresden.
Marcus Pfitzner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am genannten Lehrstuhl.
Prof. Dr. Andreas Hilbert ist Inhaber des genannten Lehrstuhls.
Patrick Zschech TU Dresden, Dresden, Deutschland E-Mail:
[email protected] Marcus Pfitzner TU Dresden, Dresden, Deutschland E-Mail:
[email protected] Andreas Hilbert TU Dresden, Dresden, Deutschland E-Mail:
[email protected]
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Schwerpunkt | Process Mining Process Mining zur automatisierten Prozessdatenanalyse
Die zunehmende Datenverfügbarkeit verändert sowohl das Aufgabenfeld als auch die Ausrichtung des Controllings maßgeblich.
Abb. 1
Process Mining zielt darauf ab, aus einer großen Menge an prozessrelevanten Daten neues Wissen zu extrahieren. Im Gegensatz zum klassischen Data Mining, bei dem es allgemein darum geht, Zusammenhänge und Muster in großen Datenbeständen zu erkennen, liegt der Fokus beim Process Mining insbesondere auf der Extraktion prozessbezogener Zusammenhänge auf Basis von Ereignisdaten (vergleiche van der Aalst 2016, S. 31). Der Unterschied liegt also in der genutzten Datengrundlage, da explizit nur bestimmte Datenstrukturen, in diesem Fall ereignisbasierte Daten, analysiert werden. Ereignisbasierte Daten in Form von sogenannten „Event Logs“ (Ereignis-Logs) bilden in der Regel das Nebenprodukt prozessunterstützender IT-Systeme. Derartige Systeme führen die computergestützte Verarbeitung der Unternehmensabläufe aus und zeichnen dabei parallel das Unternehmensgeschehen auf. Während der Prozessausführung lassen sich zahlreiche Informationen protokollieren, beispielsweise die durchgeführten Prozessschritte, die Zuordnung zu konkreten Aufträgen, beteiligte Prozessakteure, verwendete Ressourcen oder zeitliche Informationen. Abbildung 1 zeigt hierfür den idealtypischen Aufbau eines solchen Event Logs. Blau hinterlegt sind dabei jene Elemente, die als Mindestvoraussetzung für den Einsatz von Process Mining gelten: Es werden verschiedene Aktivitäten aufgezeichnet, die über einen Identifikator einer bestimmten Prozessinstanz, beispielsweise einem konkreten Bestellvorgang, zugeordnet sind. Zudem ist die Reihenfolge der Aktivitäten entscheidend, aus der sich je nach Prozessverlauf individuelle Sequenzen von Ereignissen ergeben. Anhand dieser Informationen lässt sich
Aufbau eines Event Logs als Grundlage für Process Mining
Fall ID
Zeitstempel
Aktivität
Ressource Kosten
1
01-09-2016, 15:02
A
Abt. 1
70
1
05-09-2016, 09:32
B
Abt. 2
100
1
07-09-2016, 11:11
D
Abt. 1
50
2
02-09-2016, 16:37
A
Abt. 1
70
2
03-09-2016, 12:05
C
Abt. 3
10
2
04-09-2016, 10:47
B
Abt. 2
100
2
09-09-2016, 14:18
D
Abt. 1
50
3
01-10-2016, 09:26
A
Abt. 1
70
3
16-10-2016, 10:55
B
Abt. 2
100
3
28-10-2016, 15:37
C
Abt. 3
10
A
B
C
D
A – Bestellung B – Warenübermittlung C – Informationsübermittlung D – Rechnungserstellung
Quelle: eigene Darstellung
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4 | 2017
Schwerpunkt | Process Mining automatisiert ein generisches Ablaufmodell extrahieren, welches die Durchläufe aller Prozessinstanzen in einer kompakten Form widerspiegelt und Informationen über Verzweigungen und Schleifen enthält.
„Das Process Mining fokussiert die Extraktion prozessbezogener Zusammenhänge auf Basis von Ereignisdaten.“ Process Mining ermöglicht somit Einblicke in komplexe, wenig transparente Prozessabläufe. Durch die kombinierte Betrachtung all dieser Informationen und Perspektiven wird dem Controller ein umfassender Blick in versteckte Zusammenhänge gewährt. Er sieht, wie real gelebte Prozesse tatsächlich ausgeführt werden. Im Vergleich zu traditionellen Verfahren wie beispielsweise Interviews, Fragebögen oder Workshops, bei denen die Ergebnisse auf limitierten sowie vorwiegend idealisierten Angaben beruhen, steht ihm mit dem Process-Mining-Ansatz eine belastbarere Ausgangsbasis für weiterführende Analysezwecke zur Verfügung (vergleiche Accorsi/Ullrich/van der Aalst 2012, S. 354 ff.).
Unterstützung beim Prozess-Controlling Während mittlerweile eine Vielzahl an Informationssystemen in der Lage ist, analysierbare Event Logs bereitzustellen, müssen prozessrelevante Informationen in der Regel zunächst aus verschiedenen beteiligten Quellsystemen extrahiert, bereinigt und konsolidiert werden. Nicht selten weisen die Daten dabei im Rohformat eine schlechte Datenqualität auf. Aufgezeichnete Ereignisse in Events Logs leiden zum Beispiel an mangelnder Vollständigkeit, redundanten Informationen, inkonsistenten Eintragungen oder sind schlecht interpretierbar. Es ist deshalb notwendig, die Daten in einem vorgelagerten Datenvorverarbeitungsschritt aufzubereiten. Da dazu spezifische Kenntnisse über beteiligte IT-Systeme erforderlich sind, sollte dies daher durch entsprechendes IT-Personal abgedeckt werden. Liegen die Ereignisdaten schließlich in einer wohldefinierten Event-LogStruktur vor, können Controller mit dem datenbasierten Prozess-Audit beginnen. Ihnen stehen dazu verschiedene Self-Service-Tools im ProcessMining-Umfeld zur Verfügung, die sie auch ohne umfangreiches IT-Vorwissen nutzen können. Mit den Tools lassen sich nach dem Import von Event Logs automatisiert Prozessmodelle erstellen, die sich mithilfe flexibler Visualisierungs-, Filter- und Sichtenelemente nach verschiedenen Aspekten untersuchen lassen, um das reale Prozessgeschehen zu rekonstruieren und neue Erkenntnisse aufzudecken. Etablierte Software-Anwendungen wie zum Beispiel Disco von Fluxicon, Minit von Minitlabs oder Celonis Process Mining von der Celonis GmbH zeichnen sich durch eine einfache Benutzeroberfläche und intuitives Handling aus. Der Controller ist mit diesen Werkzeugen in der Lage, tiefer gehende Prozessanalysen durchzuführen und verschiedene Fragestellungen zu beantworten.
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4 | 2017
Die automatisierte Prozessanalyse bildet eine zentrale Säule der ganzheitlichen Prozesssteuerung.
Zusammenfassung
• Die zunehmende Digitalisierung bie-
tet dem Controlling die Möglichkeit, prozessbasierte Wertschöpfungsaktivitäten mithilfe einer automatisierten Prozessdatenanalyse zu optimieren. • Process Mining eignet sich als Controlling-Werkzeug, um faktenbasierte Einblicke in die tatsächliche Ausführung der Geschäftsabläufe zu erhalten. • Mit geeigneten Self-Service-Werkzeugen und der entsprechenden Vorgehensweise wird der Controller auch ohne spezifische IT-Kenntnisse zum Experten der Prozessdatenanalyse.
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Schwerpunkt | Process Mining Prozesstransparenz und Variantenanalyse Ausgangsbasis der Prozessanalyse ist in der Regel die automatisierte Erkennung von Prozessablaufmodellen. Diese ermöglicht Einblicke in die Prozesskomplexität, indem sowohl die Prozessaktivitäten als auch Übergänge zwischen den Aktivitäten transparent dargestellt werden. Die Einbindung von Prozesskennzahlen, zu denen beispielsweise die Aktivitätshäufigkeiten zählen, sowie unterschiedliche Einfärbungen und Verbindungsstärken erleichtern es festzustellen, wie häufig oder selten die verschiedenen Prozesspfade durchlaufen wurden. Mithilfe einer übergeordneten Variantenanalyse lässt sich zudem ermitteln, über welche verschiedenen Wege der Prozess tatsächlich ausgeführt wurde und mit welchen Häufigkeiten die einzelnen Varianten auftreten.
„Ausgangsbasis der Prozessanalyse ist die automatisierte Erkennung von Prozessablaufmodellen.“ Zur Veranschaulichung der Vorgehensweise wird exemplarisch ein einfacher Kreditvergabeprozesses mit verschiedenen Varianten der Kreditgewährung und -ablehnung herangezogen. Die Kreditvergabe beginnt in der Regel mit der Erstellung eines Kreditantrags, der eine Kreditwürdigkeitsprüfung folgt. Fällt die Prüfung negativ aus, wird der Antragsteller entsprechend informiert. Der Prozess ist in diesem Fall beendet. Bei einer positiven Kreditwürdigkeitsprüfung wird der Kredit gewährt. Es schließen sich also die Verhandlungen über die Rahmenbedingungen an (Konditionierung). Die Konditionierung kann ebenfalls positiv oder negativ ausfallen. Sie führt entweder zur Kreditablehnung oder zur Kreditfreigabe. Nach der Kreditfreigabe sowie der Krediterstellung schließt der Prozess mit der Informationsübermittlung an den Kunden. Anhand der gespeicherten Ereignisdaten lässt sich nun das in Abbildung 2 dargestellte Prozessmodell extrahieren, welches die tatsächlichen Prozessausführungen mit den verschiedenen Aktivitätsübergängen wiedergibt. Zusätzlich werden in Tabelle 1 die einzelnen Prozessvarianten aufgelistet.
Tab. 1 Ergebnisse der Variantenanalyse mit relativen Häufigkeiten Variante
Aktivitätssequenz
Häufigkeit
1
Erstellung Kreditantrag – Kreditwürdigkeitsprüfung – Kreditgewährung – Konditionierung – Kreditfreigabe – Krediterstellung – Informationsübermittlung
55 %
2
Erstellung Kreditantrag – Kreditwürdigkeitsprüfung – Kreditablehnung – Informationsübermittlung
24 %
3
Erstellung Kreditantrag – Kreditwürdigkeitsprüfung – Kreditgewährung – Konditionierung – Kreditablehnung – Informationsübermittlung
13 %
4
Erstellung Kreditantrag – Kreditwürdigkeitsprüfung – Kreditgewährung – Konditionierung – Konditionierung – Kreditfreigabe – Krediterstellung – Informationsübermittlung
5%
5
Erstellung Kreditantrag – Kreditwürdigkeitsprüfung – Kreditgewährung – Konditionierung – Krediterstellung – Informationsübermittlung
3%
Quelle: eigene Darstellung
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Schwerpunkt | Process Mining Abb. 2
Extrahiertes Prozessmodell für einen Kreditvergabeprozess
100
Erstellung Kreditantrag 100 (42 Min.)
100
69 Std. Kreditwürdigkeitsprüfung 100 (172 Min.)
76
18 Std. Kreditgewährung 76 (5 Min.)
76
24
15 Std.
6 Std.
5
Konditionierung 81 (192 Min.)
46 Std.
13
60
23 Std.
26 Std. Kreditfreigabe 60 (59 Min.)
Kreditablehnung 37 (5 Min.)
3
6 Std.
60
143 Std.
37
Krediterstellung 63 (92 Min.)
12 Std.
63
25 Std. Informationsübermittlung 100 (30 Min.)
100
Quelle: eigene Darstellung
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4 | 2017
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Schwerpunkt | Process Mining
Process Mining vereint als Methodik verschiedene Sichten der Prozessdatenanalyse.
Abweichungsanalyse und Konformitätsprüfung Anhand des Prozessmodells lässt sich anschließend überprüfen, ob die tatsächlichen Abläufe mit dem erwarteten Soll-Verhalten übereinstimmen. Beispielsweise geben Prozessschleifen einen Hinweis auf redundante Doppelarbeiten, zeigen fehlende beziehungsweise übersprungene Prozessaktivitäten auf oder deuten auf Compliance-Verletzungen hin. Demgegenüber weisen zu komplexe Prozessketten auf vermeidbare Eingriffe und unnötige Mehrarbeiten hin. Auch die Ergebnisse der Variantenanalyse geben hilfreiche Aufschlüsse. Dabei sind sowohl häufige Prozessmuster als auch seltene Pfade von Interesse. Beide können wesentliche Anzeichen für aufgetretene Anomalien im Prozessverlauf liefern. Insbesondere in stark standardisierten Prozessen, in denen eine strikte Aktivitätsreihenfolge vorgeschrieben ist, rücken seltene Ablauffolgen im Sinne von Ausreißern in den Mittelpunkt der Betrachtung (vergleiche Jans/Alles/Vasarhelyi 2013, S. 11). Über diesen explorativen Ansatz lassen sich gezielt abweichende Prozessausführungen herausfiltern, um das fehlerhafte beziehungsweise nicht konforme Verhalten zu identifizieren und anschließend im Detail zu beschreiben. Im gewählten Kreditszenario besteht beispielsweise die Vorgabe, dass noch vor der Erstellung des Kredits eine Freigabe erfolgen muss. Im extrahierten Prozessmodell sowie der Variantentabelle wird jedoch deutlich, dass bei der tatsächlichen Ausführung in drei Fällen der Freigabeschritt übersprungen wurde, und somit an dieser Stelle eine ComplianceVerletzung vorliegt.
„Durch Process Mining werden die Prozessaktivitäten transparent.“ Durchlaufzeiten und Engpässe Die Konformitätsüberprüfung muss sich nicht ausschließlich auf eine reine Ablaufperspektive beschränken. Das generierte Prozessmodell kann mit weiteren Datenattributen aus dem Event Log angereichert werden, um noch tiefere Einblicke zu erhalten. Eine Möglichkeit ist die Betrachtung der ProzessPerformance durch die Berücksichtigung von zeitlichen Informationen anhand mitgelieferter Zeitstempel. Das erlaubt die Definition weiterer relevanter Kennzahlen, um kritische Bereiche in Form von Engpässen und Schwachstellen zu ermitteln, die den Prozessablauf verlangsamen. Zu den möglichen Kennzahlen gehören dabei minimale, maximale und durchschnittliche Ausführungs- oder Wartezeiten für den gesamten Prozess oder auch für einzelne Aktivitäten. Im exemplarischen Kreditvergabeprozess können beispielsweise zwischen der Kreditfreigabe und Krediterstellung mit einer durchschnittlichen Übergabedauer von 143 Stunden, also umgerechnet circa sechs Tagen, starke Verzögerungen identifiziert werden. Bei Prozessverbesserungsprojekten sollte die Schnittstelle zwischen diesen beiden Prozessschritten näher fokussiert werden.
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4 | 2017
Schwerpunkt | Process Mining Identifikation von Organisationsstrukturen Eine weitere Betrachtungsmöglichkeit, die sich mithilfe der Process-MiningMethodik adressieren lässt, beschäftigt sich mit der Untersuchung prozessbezogener Organisationsstrukturen. Anstelle des Aktivitätsverlaufs werden die Beziehungen zwischen organisationalen Ressourcen (zum Beispiel Akteuren, Systemen oder Abteilungen) innerhalb der Prozessausführungen untersucht. Dadurch ergeben sich beispielsweise Einblicke in soziale Netzwerkstrukturen, um herauszufinden, wie Akteure in Verbindung stehen und Übergabeschnittstellen realisiert sind. Weiterhin kann ermittelt werden, welche Prozessteilnehmer häufig ähnliche Aktivitäten ausführen, um darüber Rollen und Organisationseinheiten aus Effizienzgründen neu strukturieren zu können. Auch im Rahmen von Konformitätsüberprüfungen ergeben sich Anwendungsfelder: So wird in vielen Bereichen ein Vier-Augen-Prinzip gefordert, damit beispielsweise eine Person, die eine Kreditfreigabe anfordert, diese nicht gleichzeitig freigeben kann (vergleiche Stocker/Accorsi/Rother 2013, S. 93). Derartige Geschäftsregeln lassen sich bei der gemeinsamen Betrachtung von Aktivitäten und Ressourcen automatisiert überprüfen, um gezielt Prozessmissbrauch vorzubeugen.
„Sowohl häufige Prozessmuster als auch seltene Pfade können wesentliche Anzeichen für Anomalien im Prozessverlauf liefern.“ Integration von Prozesskosten und weiteren Prozessmerkmalen Neben zeitlichen und organisationalen Informationen lassen sich noch andere Datenattribute für die Prozessanalyse heranziehen. Je nachdem, welche Daten in zugrunde liegenden Quellsystemen aufgezeichnet werden, sind beispielsweise entstandene Kosten, verbrauchte Ressourcen, erreichte Qualitätsmaße oder anderweitig erzielte Prozessergebnisgrößen denkbar. Ähnlich wie Kennzahlen für Dauer und Häufigkeiten lassen sich innerhalb der extrahierten, visuellen Prozessmodelle zum Beispiel verbrauchs- und ergebnisbasierte Kennzahlen an die Aktivitäten und Aktivitätsübergänge anheften. Dadurch kann der Controller analysieren, welche Prozessvarianten oder einzelnen Pfade die meisten Ressourcen und Kosten beanspruchen oder umgekehrt die besten Prozessergebnisse hervorbringen. Neben metrischen Kennzahlen sind aber auch nominale Datenattribute zu einzelnen Prozessaktivitäten und Prozessinstanzen von Interesse, da mit deren Hilfe gezielt Ursachen für aufgedeckte Schwachstellen gesucht werden können. So lässt sich zum Beispiel untersuchen, welche Kreditvertragsmerkmale zu langen Verhandlungszeiten führen oder welche Abteilungen daran beteiligt waren, dass die Kreditfreigabe übersprungen wurde. An dieser Stelle lässt sich wiederum die Brücke zu klassischen Data-Mining-Ansätzen schlagen, bei denen nicht die ablaufbezogenen Strukturen im Vordergrund stehen, sondern multikausale Zusammenhänge zwischen verschiedenen Merkmalen aufgedeckt werden sollen (vergleiche Hilbert/Zschech 2016, S. 946 ff.).
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Process Mining verschafft dem Controller schnelle Einblicke in das Unternehmensgeschehen.
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Schwerpunkt | Process Mining
Handlungsempfehlungen
• Seien Sie aufgeschlossen für neue An-
sätze der modernen Datenanalyse, um die gesamte Breite der zur Verfügung stehenden Daten erfolgreich für Ihr Unternehmen nutzen zu können. • Scheuen Sie sich nicht vor neuen Technologien und IT-Anwendungen, sondern nutzen die Chance, eine Vorreiterrolle im digitalen Wandel einzunehmen. • Nehmen Sie Workshops und Schulungen wahr, um in Erfahrung zu bringen, wie Sie die Möglichkeiten der modernen Datenanalyse auf Ihr eigenes Unternehmen übertragen können.
Schlussbetrachtung Das Controlling ist im Zuge der digitalen Transformation gefordert, anfallende Datenmengen als Grundlage zur Entscheidungsunterstützung aufzubereiten und schließlich als entscheidenden Wettbewerbsfaktor zu nutzen. Insbesondere standardisierte und IT-gestützte Geschäftsprozesse hinterlassen jede Menge Spuren, die Aussagen über Ineffizienzen und Schwachstellen innerhalb der betrieblichen Wertschöpfung zulassen. Process Mining stellt an dieser Stelle ein hilfreiches Analyseinstrument dar, mit dessen Hilfe das Controlling die Prozesssteuerung auf eine neue Ebene anheben kann. Durch das Angebot intuitiver Self-Service-Werkzeuge und eine verständliche Methodik wird der Controller schnell zum Prozessanalysten und verschafft sich Einblicke in die tatsächliche Ausführung der Geschäftsabläufe, die nicht auf Annahmen, sondern ausschließlich auf Fakten basieren. Literatur Accorsi, R./Ullrich, M./van der Aalst, W. M. P. (2012): Process Mining, in: Informatik-Spektrum, 35 (5), S. 1-6.
* Buschbacher, F. (2016): Wertschöpfung mit Big Data Analytics, in: Controlling & Management Review, 60 (1), S. 40-45. www.springerprofessional.de/link/10046354 * Gentsch, P./Kulpa, A. (2016): Mit externen Big Data neue Möglichkeiten erschließen, in: Controlling & Management Review, 60 (1), S. 32-39. www.springerprofessional.de/link/10046350 Hilbert, A./Zschech, P. (2016): Process Analytics, in: WISU – Das Wirtschaftsstudium, 45 (8/9), S. 942-948. Jans, M./Alles, M./Vasarhelyi, M. (2013): The Case for Process Mining in Auditing: Sources of Value Added and Areas of Application, in: International Journal of Accounting Information Systems, 14 (1), S. 1-20.
* Stocker, T./Accorsi, R./Rother, T. (2013): Computergestützte Prozessauditierung mit Process Mining, in: HMD – Praxis der Wirtschaftsinformatik, 50 (4), S. 92-103. www.springerprofessional.de/link/5051556
* Van der Aalst, W. M. P. (2016): Process Mining: Data Science in Action, 2. Auflage, Heidelberg. www.springerprofessional.de/link/10034662
Vossen, G. (2012): The Process Mining Manifesto – An interview with Wil van der Aalst, in: Information Systems, 37 (3), S. 288-290.
* Abonnenten des Portals Springer Professional haben kostenfrei Zugriff. Weitere Empfehlungen der Verlagsredaktion aus www.springerprofessional.de zu: Process Mining Burattin, A. (2015): Process Mining Techniques in Business Environments. Theoretical Aspects, Algorithms, Techniques and Open Challenges in Process Mining, Cham. www.springerprofessional.de/link/2423238 Ceravolo, P./Rinderle-Ma, S. (2017): Data-Driven Process Discovery and Analysis, Cham. www.springerprofessional.de/link/12023382
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