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━ Arbeiten in der Pflege ■ Der Deutsche Pflegerat e. V. schätzt den Anteil von Männern in der Pflege insgesamt auf 15 %.
Nach Angaben des Statistischen Bundesamts liegt der Anteil in der Kinderkrankenpflege sogar nur bei circa 2 %. ■ Im bundesweiten Vergleich aller Berufsgruppen schneiden die Arbeitsbedingungen und Einkom-
men in der Alten- und Krankenpflege nach den Daten des Deutschen Gewerkschaftsbundes deutlich schlechter ab als der Durchschnitt (in: Index „Gute Arbeit“). ■ Chronischer Pflegekräftemangel führt zu steigender Belastung der vorhandenen Pflegekräfte.
Über die Hälfte der Beschäftigten glaubt nicht, dass sie ihre Tätigkeit bis zur Rente fortsetzen können. www.dip.de/fileadmin/data/pdf/material/dip_Pflege-Thermometer_2009.pdf www.destatis.de (unter Themen/weitere Themen/Gesundheit)
Heilberufe 5 | 2011
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Von Schwestern und Brüdern – wird die Pflege männlich? Randerscheinung oder Zukunftslösung? ━ Mehr Männer in der Pflege, lautet das
erklärte Ziel der Politik, um den drohenden Pflegenotstand abzuwenden. Braucht die Pflege mehr Männer? Wie viele arbeiten bereits in pflegenden Berufen? Und was sagen die Frauen in der Pflege dazu? Wir haben uns umgehört.
Die Gesundheits- und Krankenpflege ist die größte Berufsgruppe im Bereich der Gesundheitswirtschaft. Und künftig werden noch deutlich mehr Pflegekräfte gebraucht, um den steigenden Bedarf zu sichern. Deutschland steuert auf den Pflegenotstand zu. Das ist unstrittig. Wie viele Pflegekräfte mehr gebraucht werden, um eine ausreichende Versorgung der Menschen in der Kranken- und Altenpflege zu gewährleisten, darüber gibt es unterschiedliche Einschätzungen. Sie reichen von
© Werner Heiber/panthermedia DOI: 10.1007/s00058-011-0538-7
» „Pfleger müsste man sein“, titelte die Süddeutsche Zeitung im August 2010. Kommen paradiesische Zustände auf die Pflegekräfte zu? 100.000 in den nächsten zehn Jahren bis hin zu etwa einer Million im Jahre 2030. Woher sie kommen sollen? Die Männer sollen es richten. Mehr Männer in der Pflege sehen möchte nicht nur Bundesgesundheitsminister Dr. Philipp Rösler, sondern auch Bundesfamilienministerin Dr. Kristina Schröder. Nach dem Wegfall des Zivildienstes wird der Bundesfreiwilligendienst ins Spiel gebracht – doch damit wird dem zu erwartenden Mangel an qualifizierten Fachpflegekräften wohl kaum beizukommen sein. Reichen der erklärte Wille der Politik und die Veranstaltung eines „Boys Days“ aus, um junge Männer für einen Pflegeberuf zu begeistern? Und ist das überhaupt des Rätsels Lösung oder sollte nicht stärker darüber nachgedacht werden wie Pflegeberufe generell an Ansehen und Attraktivität gewinnen? Sicher gibt es viele individuelle Gründe, sich für einen Beruf zu entscheiden. Persönliche Neigung, Vorbilder, Ansehen und Einkommenserwartungen sind nur einige davon. Doch wovon hängt die „Arbeitszufriedenheit“ auf Dauer ab? 5 | 2011 Heilberufe
Was macht einen Beruf attraktiv? Die Deutsche Angestellten-Krankenkasse (DAK) befragt dazu regelmäßig ihre Mitglieder, von denen ein großer Anteil traditionell Frauen sind. Diese wiederum arbeiten in typischen Berufen wie dem Gesundheitswesen. Für den DAK-Gesundheitsreport 2011 wurden die Ergebnisse in der Gruppe der jungen Erwachsenen (18 bis 29 Jahre) gesondert betrachtet. Entscheidend für die Arbeitszufriedenheit sind hier zuallererst die Art und Inhalte der Tätigkeit, das Arbeitsklima, die Entwicklungsmöglichkeiten und – an vierter Stelle genannt – das Einkommen. In Pflegeberufen wird übrigens gerade in kirchlichen Einrichtungen die schlechte Bezahlung bemängelt – so eine Rückmeldung aus der Praxis. Die häufigsten Gründe für einen Jobwechsel sind bessere Karriereaussichten und ein höherer Verdienst. Vor allem für Männer (71 % gegenüber 66 % bei den Frauen) ist dies ein Grund, den Arbeitgeber zu wechseln. Aber auch schlechte Arbeitsbedingungen, fehlende Herausforderungen sowie Ärger und Stress werden genannt. Das Ziel „berufliche Erfüllung“ ist für Frauen und Männer wichtig, hat für Frauen jedoch deutlich mehr Gewicht. Während knapp 45 % mit ihrer Tätigkeit insgesamt zufrieden sind, sind es beim Einkommen nur gut 20 %. Eines zeigt die Studie ganz klar: Wer in seinem Wunschberuf arbeitet, ist deutlich zufriedener und belastbarer. Das dip Pflege-Thermometer, eine bundesweite Befragung von Pflegekräften in Krankenhäusern spricht von „chronischem Pflegemangel“, starken Belastungen der Mitarbeiter und dadurch bedingt zunehmenden Mängeln in der Versorgung. Konstatiert werden auch – nach Jahren des Stellenabbaus – fehlende Ausbildungskapazitäten. Ein weiterer O-Ton aus der Praxis: „An der Basis gibt es tendenziell weniger Männer; die immer unattraktiver werdenden Arbeits- und Gehaltsbedingungen führen bei vielen männlichen Auszubildenden dazu, dass nach Beendigung der Ausbildung zunehmend entweder eine Zweitausbildung (in einem völlig anderen Beruf) oder direkt der Wechsel ins Studium erfolgt und somit folgen immer weniger Männer an der Basis
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━ Auszüge aus dem Heilberufe-„Männer“-Blog „Grundsätzlich finde ich es gut, wenn mehr Männer in die Pflege, insbesondere in die Altenpflege gehen würden. Aber um das zu erreichen, müsste der Beruf wesentlich attraktiver gestaltet (nicht nur bei den Verdienstmöglichkeiten) beziehungsweise bekannter gemacht werden (Pflege ist mehr als waschen, füttern und windeln). Der Männeranteil in unseren Einrichtungen ist in den letzten Jahren gestiegen, wobei der Schwerpunkt des Interesses weniger bei der Grund- und Beziehungspflege liegt, sondern eher im medizinischen Bereich (Behandlungspflege, Wundmanagement, Schmerzmanagement).“ Christiane Kohlenbach-Pajonk, Diplom-Pädagogin und Diplom-Gerontologin, Einrichtungsleiterin bei der AWO Wohnen & Pflegen Weser-Ems GmbH „Unser Pflegedienst besteht zu 15% aus Männern. Führungskräfte sind in einem höheren Prozentsatz männlich. Ich persönlich glaube, dass Männer „als Familienernährer“ noch immer eher zu besser bezahlten Positionen streben. Ich glaube nicht, dass es mehr Männer in der Pflege braucht, schätze jedoch viele der männlichen Kollegen und erlebe es als positiv, wenn Teams gemischt sind.“ Claudia Schwartz, Teamleitung Ressort Pflegeexperten und Pflegedirektion am Klinikum Ludwigshafen „Viel Glück für Herrn Rösler und Frau Schröder. Man kann die Welt nicht von heute auf morgen ändern. Sicher sind mehr Männer in der Pflege willkommen, aber ich glaube, dass es noch viel zu viele Männer gibt, die der Meinung sind, dass andere Menschen zu pflegen unter ihrer Würde ist beziehungsweise der Job einer Frau. Ich glaube daher, die Krankenpflege wird immer oder zumindest noch sehr, sehr lange von Frauen dominiert bleiben.“ Mary-Ann, Krankenschwester in London Zum Thema Frauenberuf: Bezogen auf das Verhältnis von Krankenpflegekräften am Patient und bezogen auf den historischen Kontext kann man davon sprechen; ich wehre mich allerdings grundsätzlich gegen dieses Klischeedenken. Frauen können genauso in typischen Männerberufen arbeiten. Allerdings gibt es vermutlich nur wenige Berufe, die Frauen flexible Arbeitszeitmodelle bieten, um nach oder während der Elternzeit wieder ins Berufsleben zurückzukehren. Die zunehmende körperliche Belastung macht den typischen Frauenberuf für Frauen immer schwieriger. Außerdem: Für Karriereambitionen sind Netzwerke sehr wichtig, Frauen haben es in höheren Positionen bei vergleichbarer Kompetenz meiner Meinung nach noch immer schwerer – obwohl ein „weiblicher Führungsstil“ häufig mehr Menschlichkeit beinhaltet. Auch wenn sich das Familienbild in Deutschland allmählich verändert, übernehmen immer noch viele Frauen die Elternzeit und steigen zeitweise aus dem Beruf aus; Männer verbleiben ohne längere Pausen im Beruf und arbeiten dann eher an ihrer Karriere. Felix Jacobi, Hauptnachtwache/Leitung Pflegemanagement, Hannover
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nach.“ Dennoch scheint sich das Berufsbild zum Positiven hin zu verändern. Gerade junge Pflegekräfte schätzen die Professionalisierung des Berufsstands und die neuen Entwicklungsmöglichkeiten.
„Feminisierung“ – das Ende von Anerkennung und Einkommen? Ein Blick über den Tellerrand fördert Gemeinsamkeiten mit anderen Branchen zu Tage: In der ebenfalls traditionell von Frauen dominierten Buchbranche liefert eine Studie, die im Auftrag des Branchennetzwerks BücherFrauen e. V. durchgeführt wurde, erstmals valide Daten und Fakten. Prof. Dr. Romy Fröhlich, Kommunikationswissenschaftlerin und Medienforscherin mit Schwerpunkt Berufsfeldforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität München untersuchte die Situation und Bedingungen beruflicher Karrieren von Männern und Frauen in der Buchbranche. Wesentliche Ergebnisse: ■ Rund 80 % der Beschäftigten sind Frauen. ■ Sie arbeiten mit überdurchschnittlichem Engagement, mit Herzblut, Leidenschaft und Hingabe. Viele geben an, ihrer Berufung zu folgen. ■ 69 % der Befragten sind kinderlos, Frauen doppelt so häufig wie Männer. ■ Die Bedingungen für Berufstätigkeit und beruflichen Aufstieg sind für Frauen und Männer unterschiedlich. ■ In den Führungspositionen haben die Männer die Nase vorn: Trotz des hohen Frauenanteils sind 36 % der Männer (Frauen 20 %) in mittleren Führungspositionen und 10 % (Frauen 4 %) in der Unternehmensleitung – auf Grund der hohen Kinderlosigkeit der Frauen entfallen die üblichen Erklärungsmuster, dass Frauen wegen familiärer Prioritäten seltener Karriere machen. ■ Die Einkommen in den Buchberufen sind vergleichsweise niedrig. ■ Die Branche ist in hohem Maße von technischen Veränderungen betroffen – kontinuierliche Weiterbildung ist Heilberufe 5 | 2011
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notwendig und erfordert von den Beschäftigten stetige Lernbereitschaft und Flexibilität. ■ Frauen verdienen bis zu 25 % weniger als ihre männlichen Kollegen. Nur unter den über 60-Jährigen gibt es Frauen, die mehr verdienen als Männer. ■ Wenn Frauen über ihr Gehalt verhandeln, haben sie damit überwiegend Erfolg (über 80 %). ■ Frauen schätzen ihre Aufstiegschancen schlechter ein als sie sind. ■ 52 % der Befragten planen, sich beruflich zu verändern, 11 % wollen gar die Branche verlassen. Für die betroffenen Unternehmen bedeutet dies einen hohen Verlust an Know-how und qualifizierten Mitarbeitern. Kommt Ihnen das bekannt vor? Professor Fröhlich wertet diese Ergebnisse als typisch für Frauenberufe.
Und die Lösung? Möglicherweise krankt der „Frauenberuf “ Pflege gerade hinsichtlich Anerkennung, Vergütung und Aufstiegschancen noch immer an den „Spätfolgen“ der traditionellen Rollenverteilung: Pflege ohne Einkommen hat Tradition. Sie erfolgt(e) im Rahmen unvergüteter Familienarbeit, die in der Regel von Frauen geleistet wird, und häufig ehrenamtlich durch kirchliche Einrichtungen oder Ordensschwestern. Für Männer hingegen ist es – ebenfalls traditionell – viel selbstverständlicher, dass ihre Leistung anerkannt und angemessen vergütet wird. Damit verbindet sich gesellschaftliches Ansehen, soziale Stellung, Wohlstand. Mehr Männer für die Pflege zu begeistern könnte aus verschiedenen Gründen spannend werden: Zum einen gäbe es schlicht mehr Personal, um den steigenden Fachkräftebedarf in den Griff zu bekommen. Zum anderen bliebe zu hoffen, dass sich die Arbeitsbedingungen durch einen höheren Anteil von männlichem Pflegepersonal insgesamt verbessern würden. Im übrigen drängt sich in vielen Gesprächen zum Thema immer wieder eine Frage auf: Ist es nicht zunächst ein5 | 2011 Heilberufe
mal sinnvoll, Menschen die sich seit jeher in der Pflege engagieren, und das sind bekanntlich in erster Linie Frauen, bessere Arbeitsbedingungen anzubieten und dadurch qualifizierte Kräfte zu gewinnen und zu halten? Wie steht es um die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, beispielsweise mit schichtverträglichen Öffnungszeiten von Kinderbetreuungsmöglichkeiten, auch während der Ferienzeiten, und konkreten Angeboten zur Erleichterung des Wiedereinstiegs nach einer Familienpause? Oder wie ist eine angemessene Bezahlung vor allem bei höherer Qualifizierung (Weiterbildungen) zu erreichen?
Branche kann schon von sich sagen, dass ihre Arbeitsplätze auf Jahrzehnte hinaus gesichert sind? Was halten Sie von dem Lösungsansatz „mehr Männer“? Wie geht es den Frauen, die hier seit Jahren qualifizierte Arbeit leisten, damit? Und wie fühlen sich Männer in der Pflege, die sich jeden Tag aufs Neue in einem so genannten Frauenberuf bewähren? Schreiben Sie uns, wie Sie darüber denken und berichten Sie uns aus Ihrer täglichen Praxis! ■ Sabine M. Kempa
Paradiesische Arbeitsplatzsituation? „Pfleger müsste man sein“, titelte die Süddeutsche Zeitung im August 2010. Kommen da paradiesische Zustände auf die Fachpflegekräfte der Zukunft zu? Welche Anzeige
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