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Who is who? Einen Audi von einem Dacia unterscheiden? Kein Problem. Aber Autoinnenräume zweifelsfrei zuordnen? Ganz schön schwierig, für die Identität einer Automarke aber wichtiger denn je, finden Franz-Rudolf Esch und Johannes Hanisch.
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Marke Autoren: Franz-Rudolf Esch und Johannes Hanisch
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er Wettbewerb in der Autobranche ist hart, die Modellpaletten wachsen. Der Druck, möglichst viele gleiche Teile in möglichst vielen Baureihen zu verwenden, steigt. Und damit auch die Anforderungen an ein differenzierendes Design, wenn wir nicht in einigen Jahrzehnten nur noch identische Autos auf den Straßen sehen wollen. Denn die Gestaltung und das einzigartige Gesicht einer Marke wecken Begehrlichkeiten und positive Emotionen beim Kunden – und bewegen ihn zum Kauf. Wo stehen die Marken, wenn es um ihre Wiederkennung geht, wie klar ist ihre Designsprache, wie einfach lassen sie sich von anderen unterscheiden – und wie schaffen sie es, innerhalb des eigenen Markenkosmos unterscheidbar zu sein? Diese Fragen haben wir uns im Automotive Institute for Management (AIM) der EBS Business School gestellt und in einer Studie zur Wahrnehmung von Automobilmarken mit 581 Teilnehmern untersucht. Von den online Befragten waren 85,2 Prozent Autofahrer, davon 68,1 Prozent Männer.
DOI: 10.1365/s35777-012-0103-x
Kia oder Dacia? Eine Aufgabe bestand darin, anonymisierte Fahrzeugansichten, sprich: ohne Markenemblem, spezifischen Fahrzeugmodellen zuzuordnen. Die Frontansichten der Modelle starker Marken wie Audi oder BMW konnten mehr als 90 Prozent der Befragten korrekt bestimmen. Schwache Marken wie Citroën erkannte dagegen nur die Hälfte der Teilnehmer wieder. Auch die Betrachtung der Seitenansichten zeigte: Starke Marken werden oft wiedererkannt, schwache hingegen nicht. Modelle wie den BMW 1er oder den Audi A3 kannten alle Teilnehmer, Modelle wie den Kia C‘eed nur 43,2 Prozent. Für Letztere ist das schwierig. Problematisch wird es dann, wenn sie mit anderen Modellen verwechselt werden. Den Dacia Sandero erkannten zwar 54,4 Prozent wieder, 32,2 Prozent verwechselten ihn aber mit dem Kia C‘eed. Auch der Opel Corsa macht in der Seitenansicht keine eindeutige Figur: Die relativ gute Wiederkennung mit 58,2 Prozent geht mit einer Verwechslung mit Renault Clio (17,9 Prozent) und Ford Fiesta (20,2 Prozent) einher. Die Aussage ist eindeutig: Marken mit klarem Designprofil werden auch für den Kunden unverwechselbar. Bei starken Marken ist das Design ein zentraler Imagetreiber, der positiv wirkt. Dies gilt vor allem für Audi, BMW und VW. Design hebt Marken aus der Masse der Eintönigkeit hervor. Also ist Differenzierung an-
gesagt. Andererseits kaufen Kunden oft das, womit sie vertraut sind. Deswegen sollten Marken nicht zu sehr vom Bekannten abweichen. Ein Ergebnis von anonymisierten Studien ist zum Beispiel, dass die Kunden den Durchschnitt bevorzugen. Zu große Unterschiede werden bestraft.
A1, A3 oder A8? Auch Modelle einer Marke müssen voneinander optisch zu unterscheiden sein. Die Herausforderung: Die Kunden müssen die Marke über alle Baureihen hinweg wiedererkennen und gleichzeitig die Fahrzeuge im Design voneinander abgrenzen können. Machen Sie selbst den Test: Schauen Sie in den Rückspiegel und sagen Sie, welche Marke Sie gerade sehen? Wenn Sie sie erkennen: sehr gut, Mindestanforderung erfüllt! Aber welches spezifische Modell will da gerade überholen? Sie werden merken, es wird schwieriger. Die Modellähnlichkeit nimmt bei vielen Herstellern zu. Die Unterschiede verwischen. Unsere Studienergebnisse zeigen zum Beispiel für Audi das Problem auf: Beim markeninternen Vergleich erkannten die Studienteilnehmer den Audi A3 zu 59 Prozent, den A1 zu 56 Prozent – den A8 hingegen nur zu 33 Prozent. Wer ein Statussymbol kauft, wünscht sich sicherlich mehr Differenzierung und keine Verwechslung mit den kleinen Brüdern. Gleiches gilt für BMW: Sportliches, erkennbares Design macht die Modelle begehrenswert, aber auf den ersten Blick gleicht ein 7er einem 5er doch sehr. Und die Heckansicht der neuen 3erReihe sieht dem 5er-Heck zum Verwechseln ähnlich. „Sieht gut aus, das Auto, aber welches Modell ist das doch gleich?“, mag der Durchschnittskunde denken. Das Markengesicht ist also Segen und Fluch zugleich. Es gilt: erkennbar bleiben und dabei doch intern respektvoll Abstand halten.
Außen hui, innen pfui? Den ersten Eindruck prägt ohne Zweifel das Exterieurdesign. Die Fahrer eines Automobils sitzen jedoch im Innenraum und nicht auf der Haube, verbringen erheblich mehr Zeit im statt vor dem eigenen Auto. Wie sieht es also mit der Wiedererkennung hinter der automobilen Fassade aus? Der Fahrzeuginnenraum lässt sich sehr individuell gestalten. Eine Vielzahl von Kontaktpunkten macht den Innenraum mit allen Sinnen erlebbar: Lenkrad, Schal-
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ter, Instrumenteneinheit, Beleuchtung, Linienführung, Anord- Hebel. Fahrer anderer Marken griffen nicht selten ins Leere, weil sie wie gewohnt rechts den Scheibenwischer anschalten wollten. nung, Multimediasystem … Und hier beginnt die Intelligenz der Oder die um sieben Grad zum Fahrer geneigte Mittelkonsole von Gestaltung: Durch Gleichteile und durch einfachere Materialien BMW. 1975 im BMW 3er der E21-Reihe eingeführt, drückt sie können die Hersteller gezielt dort Kosten sparen, wo es nicht als Element des Innenraumdesigns eine klare Botschaft aus: Der weiter auffällt. Das Design im Gesichts- und Aktionsfeld von Fahrer und das Fahren stehen im Mittelpunkt, ein BMW ist auf Fahrern und Mitfahrern muss allerdings so gestaltet sein, dass es den Fahrer zugeschnitten. 25 Jahre lang gehörte das fahrerbezoden Markeneindruck unterstützt. gene Cockpit untrennbar zu jedem BMW, dann wurde es abgeIn unserer Studie haben wir daher auch die Wiedererkennung von Fahrzeuginnenräumen untersucht. Das Ergebnis ist alarmie- schafft. Jetzt ist es wieder da – ein Comeback sicher nicht aus rend: Zwar identifizieren 60 Prozent der Teilnehmer starke Mar- Einfallslosigkeit. Ein weiteres Beispiel: Einen Porsche startet der Fahrer links vom ken wie BMW oder Mercedes-Benz problemlos. Bei schwachen Lenkrad – schon immer. Einfach nur ein Gimmick oder steckt Marken wie Citroën, Fiat oder Opel aber liegt die Rate bei nur einem Viertel – ein schockierend niedriger Wert. Es wird aller- mehr dahinter? Im Rennsport vergangener Zeiten konnte so mit dings noch schlimmer: Die Teilnehmer ordnen öfter die Innen- der linken Hand der Motor gestartet und gleichzeitig mit der räume anderen Marken zu, als dass sie die richtige erkennen. rechten der Gang einlegt werden. Das sparte Zeit im Rennen. Einfach gesagt: Das Cockpit von Citroën wirkt eher wie eines Auch hier drückt die Anordnung der Elemente das Markenversprechen aus: Sportlichkeit pur. Ob allerdings die opulente Mitvon Dacia. telkonsole in allen neuen Porschemodellen noch pures SportwaHier zeigt sich zuweilen auch verfehlte Gleichteilepolitik: Wenn genfeeling vermittelt oder mehr dem Zeitgeist folgt, bleibt fraglich. sich das Innenraumdesign über baugleiche Modelle einheitlich Warum also erfolgreiche Elemente, die eine Marke ausmachen, erstreckt, darf man sich nicht wundern. Man denke nur an die eliminieren? Traditionen sind ein hohes Gut, mit denen man nicht Modelle Peugeot 107, Citroën C1 und Toyota Aygo. Sie gleichen sich wie ein Ei dem anderen, sodass vom spezifischen Marken- leichtfertig umgehen sollte. Eine Marke mit Designhistorie ist zu beneiden. konto sofort ein Malus abgebucht wurde. Markenspezifische Innenraumgestaltung scheint bei manchen Herstellern gerade- Manchmal hilft auch ein etwas unübliches Vorgehen, um dem Design mehr Raum zu geben – vor allem dem Innendesign, das zu „out“ zu sein. Die Eigenheiten einer Marke verschwinden oft noch stiefmütterlich behandelt wird. So zeigte Audi vom neuimmer mehr. Die Premiummarken lassen sich innen zwar gut von den Wett- en A3 zunächst das Cockpit des neuen A3, bevor der Hersteller das Äußere offiziell vorstellte. PR-Trick oder Kehrtwende? So bewerbern unterscheiden. Die einzelnen Modelle aber ähneln sich oft zu sehr, wie etwa die Innenräume des 7er und 5er BMW, oder so, den Kunden interessiert das Innen mindestens so wie wenngleich das Raumgefühl ein anderes ist. Auch bei der Kon- das Außen. kurrenz besteht das Problem: Mercedes-Benz hat mit dem SLS „My car is my castle“ – und darin wollen wir uns bekanntlich auch wohlfühlen. ☐ AMG ein neues Innendesign eingeführt, dem der neue SLK bis auf wenige Details angepasst ist. Auch der neue SL reiht sich in die Formensprache ein. Konsequentes Markendesign: ja, notwendige Modelldifferenzierung: nein. Wollen Hersteller den Kunden an die Marke binden, müssen sie auch optisch Begehrlichkeiten Prof. Dr. Franz-Rudolf Esch für die oberen Modellreihen wecken. ist Head of Marketing und akademischer Direktor des Automotive Institute for Management der EBS Business School, Oestrich-Winkel.
Knöpfe, Schalter, Räder Neben dem Aussehen spielt auch die Bedienung eine große Rolle für die Markenbindung: Der „Knochen“ bei Mercedes-Benz zum Beispiel: Blinker, Scheibenwischer, Fernlicht, alles an einem Automotive Agenda 13 Design
Johannes Hanisch ist dort wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand.