Originalien Urologe 2011 · 50:1600–1605 DOI 10.1007/s00120-011-2705-5 Online publiziert: 20. Oktober 2011 © Springer-Verlag 2011
Redaktion
H. Rübben, Essen
M. Mathers1 · R. Reichel2 · U. Nadig2 · S. Roth3 1 PandaMED, Dünkeloh-Klinik Remscheid, Kooperationspraxis der Klinik für Urologie und Kinderurologie, Helios-Klinikum, Universität Witten/Herdecke, Wuppertal, Remscheid 2 Urologische Gemeinschaftspraxis Gummersbach, Gummersbach 3 Klinik für Urologie und Kinderurologie, Helios-Klinikum, Universität Witten/Herdecke, Wuppertal, Wuppertal
Wie wird die Früherkennung zu einem Männerthema? Eine Befragung in urologischen Praxen
Hintergrund und Fragestellung Nur etwa jeder 5. Mann nutzt regelmäßig die Möglichkeit von Vorsorgeuntersuchungen [1]. Knapp die Hälfte aller 45–65 Jahre alten Männer gab im Rahmen der DAK-Bevölkerungsbefragung 2007 an, noch nie an einer Krebsvorsorge oder einem Check-up beim Arzt teilgenommen zu haben. Im Vergleich dazu: Bei den Frauen nutzen 49% die Maßnahme der allgemeinen Gesundheitsvorsorge ab 35; zwei Drittel aller Frauen gehen regelmäßig zur Krebsvorsorge [1]. > Die meisten Männer gehen
erst zum Arzt, wenn es ihnen richtig schlecht geht
Die meisten Männer gehen also erst zum Arzt, wenn es ihnen richtig schlecht geht – was die Erfolgsaussichten bei der Behandlung vieler Krankheiten – allen voran Erkrankungen der Prostata – deutlich verringert [2]. Denn die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Durch die Kombination von Palpation, Sonographie und PSA-Wert-Bestimmung ist eine Fallfindungsrate von fast 80% im frühen Stadium erreichbar [3]. Damit wäre Prostatakrebs in den weitaus meisten Fällen heilbar. Mit Fortschreiten der Krankheit sinken die Heilungschancen allerdings rapide ab.
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Warum also tun die Männer sich nicht selbst den Gefallen und nutzen das Angebot des Gesundheitssystems? Die Gründe sind vielfältig und v. a. im gesellschaftlichen Bild des Mannes zu finden. Schwäche ist bei Männern immer noch ein gesellschaftliches Tabu, und ihr Gesundheitsbewusstsein ist meist weniger stark ausgeprägt als bei Frauen. Darüber hinaus gehört die Prostata zu den Geschlechtsorganen, über die die meisten Männer ohnehin nicht mit ihrem Arzt sprechen mögen. Dies zeigt sich etwa beim Thema sexuelle Dysfunktionen, das bereits oft in Studien untersucht wurde. In der täglichen Praxisroutine hat man oft einen anderen Eindruck, aber bei einer Befragung von insgesamt 27.500 Männern und Frauen aus 29 Ländern gaben 28% der Männer an, von mindestens einer sexuellen Dysfunktion (Schwierigkeiten mit der Erektion, vorzeitige Ejakulation, mangelndes sexuelles Interesse oder ausbleibender Orgasmus) betroffen zu sein [4]. Dennoch wird das – oft leicht vermeidbare – Leid eher hingenommen, als es ärztlicherseits abklären zu lassen. Wie also können Männer dazu motiviert werden, Früherkennungsprogramme zu nutzen? Gibt es allgemeine Faktoren, die ihren Gang zum Arzt bzw. Urologen günstig beeinflussen? Und welchen Beitrag können urologische Fachpraxen dazu leisten, dass die Informationen über
Möglichkeiten der Früherkennung bei der Zielgruppe ankommen und dass diejenigen Patienten, die zur Vorsorge erscheinen, dies auch in Zukunft weiter regelmäßig tun?
Studiendesign und Untersuchungsmethoden In drei voneinander unabhängig tätigen urologischen Praxen wurde vom 08.– 13.02.2010 eine repräsentative Umfrage zum Früherkennungsprogramm bei Männern durchgeführt. Befragt wurden 212 Männer, die zuvor einen Termin in einer der urologischen Praxen vereinbart hatten. Die konsekutive Befragung erfolgte multizentrisch in den drei Praxen (eine Einzelpraxis, zwei urologische Gemeinschaftspraxen) per Multiple-choice- Fragebogen. Die rekrutierten Patienten, zu denen sowohl neue als auch in den Praxen bereits bekannte gehörten, beantworteten insgesamt 39 Fragen bzw. Fragegruppen zu: F persönlichen Daten [Alter, Größe, Gewicht, Familienstand, Bildung, Nationalität, Versicherungsstatus, urologischen (Vor-)Erkrankungen], F Informationsstand, -bedürfnis und -quelle im Hinblick auf Vorsorgeuntersuchungen und Gesundheitsfragen (Woher beziehen die Patienten
Zusammenfassung · Abstract ihre Informationen? Wissen sie, was der Urologe macht? Kennen sie IGeL? etc.), F ihrem Vorsorgestatus (Wurde eine Untersuchung durchgeführt? Aus eigenem Antrieb oder Fremdmotivation? Bei welchem Arzt? Wann? Wie oft und welche?), F ihrer individuellen Gesundheitsvorsorge (Ernährung, persönliche Gewichtskontrolle, Trinkgewohnheiten, sportliche Aktivitäten), F ihren Gründen für die Wahl der Praxis (Haben Faktoren wie Lage, Wartezeiten, schnelle Terminvergabe oder Ambiente die Auswahl beeinflusst?). Bei vielen der Antworten waren Mehrfachnennungen möglich. Hatten die Patienten Verständnisfragen, konnten Sie auf die Hilfe von Arzthelferinnen zurückgreifen. Alle Befragten nahmen freiwillig an der Studie teil. Die Auswertung der Fragebögen erfolgte anonymisiert.
Ergebnisse Die Deskription metrischer Daten erfolgte anhand von Anzahl, Mittelwert, Standardabweichung, Extrema (Minimum, Maximum), Quartil und Median. Die Verteilung kategorialer und ordinaler Daten wurden mittels absoluter und relativer Häufigkeit beschrieben. Bei der Berechnung von Signifikanzen wurde eine Irrtumswahrscheinlichkeit von <5% für einen Fehler 1. Art angenommen.
Persönliche Daten der Patienten Das durchschnittliche Alter der Befragten lag bei 63,4 Jahren. Der jüngste Teilnehmer der Studie war 45, der älteste 82 Jahre alt. Die Mehrheit der Patienten (85,8%, n=181) hatte die ausgewählte Praxis bereits mindestens einmal zuvor aufgesucht, wobei 60,2% (n=127) angaben, schon einmal an einer urologischen Erkrankung gelitten zu haben. Knapp über die Hälfte der Befragten war übergewichtig, hatte also einen BMI („Body-Mass-Index“) von >25 nach WHO. Der individuelle BMI lag zwischen 19,4 (Untergewicht) und 40,1 (starke Adipositas), der Median bei 26,8 und das 25% Perzentil bei 24,7. Der überwie-
Urologe 2011 · 50:1600–1605 DOI 10.1007/s00120-011-2705-5 © Springer-Verlag 2011 M. Mathers · R. Reichel · U. Nadig · S. Roth
Wie wird die Früherkennung zu einem Männerthema? Eine Befragung in urologischen Praxen Zusammenfassung Hintergrund. Wie wichtig Maßnahmen der Sekundärprävention bei Männern sind, zeigen diverse Zahlen z. B. zu den Überlebenschancen beim Prostatakarzinom, die bei frühzeitiger Diagnose deutlich steigen. Methode. Die in diesem Beitrag präsentierte und diskutierte Befragung von 212 konsekutiven männlichen Patienten mit einem Termin beim Urologen bringt zutage, welche Faktoren Männer dazu bewegen, das Angebot der Früherkennungsprogramme in Anspruch zu nehmen. Die gewonnenen Daten enthalten Erkenntnisse darüber, aus welchen Gründen und mit welcher Motivation Männer zur Vorsorgeuntersuchung gehen und welche Faktoren bei der Praxiswahl für sie einen besonders hohen Stellenwert besitzen. Ergebnisse. Die Ergebnisse, zu denen u. a. ein hohes Informationsbedürfnis und die Möglichkeit, individuelle Vorsorgeleistungen gegen Zuzahlung zu erhalten, helfen dem praktizierenden Urologen, diejenigen Maßnahmen gezielt voranzutreiben, die der Vor-
sorgebereitschaft förderlich sind und zeigen auf, in welchen Bereichen noch Defizite bestehen. Auch dem Hausarzt kommt der Untersuchung zufolge eine grundlegend wichtige Aufgabe zu, ist er doch für die meisten Männer der erste Ansprechpartner in Gesundheitsfragen. Er hat die beste Möglichkeit, den mündigen und wohlwollend kritischen Patienten auf Maßnahmen der Vorsorge gezielt aufmerksam zu machen und ihre Bedeutung für den Gesundheitsschutz herauszuarbeiten. Dies gilt insbesondere für die große Gruppe derjenigen Männer, die bislang keinerlei Vorsorgeuntersuchungen in Anspruch genommen haben, da ihnen das persönliche Risiko, von einer ernsten Erkrankung betroffen zu werden, scheinbar nicht bewusst ist. Schlüsselwörter Vorsorge · Früherkennungsprogramme · Patientenaufklärung · Urologisches Marketing · Andrologie
How can early detection programs become a men’s health topic? Survey of urology practices Abstract Background. Various statistics demonstrate the importance of medical prevention in men. Method. As one example, overall survival is increased with the early diagnosis of prostate cancer. In this article information from 212 consecutive patients with an appointment in a urology practice is presented and discussed. Of special interest are factors that motivate men to participate in early detection programs for prostate cancer. The data give an insight into reasoning and motivation for men to participate in such programs and criteria to select a specific urology practice. Results. The results, which also include diagnostic methods that are not covered by the general German health insurance and have to be paid by the patient himself, can help the
urologist promote diagnostic tools and identify areas of deficit. A key role is played by the family physician. Our results show that he is the primary source for health-related questions. He has the best opportunity to draw the attention of the mature and critical patient to measures of precaution and emphasize their importance. This is especially true for the large group of men who so far have not participated in early detection programs since they apparently are not aware of their own personal health risk. Keywords Urological screening · Early detection program · Patient information · Urological marketing · Andrology
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Abb. 1 8 Interesse an IGeL-Leistungen von Patienten mit Vorinformationen über Früherkennungsprogramme der Krankenkassen (1 37,9% IGeL ist bekannt, 2 61,0% Mehr Informationen über IGeL gewünscht, 3 62,1% Bereitschaft, für IGeL-Leistungen zu zahlen)
gende Teil der Männer waren verheiratet (82,9%, n=175) und von deutscher Nationalität (95,7%, n=208). Befragt nach ihrem höchsten formalen Schulabschluss, antworteten die Patienten: „Ohne Abschluss“ 2,4% (n=5), „Hauptschulabschluss“ 55% (n=116), „Mittlere Reife“ 18% (n=38), „Abitur“ 6,6% (n=14) und „Hochschulabschluss“ 18% (n=38); 90% (n = 190) der Befragten waren gesetzlich versichert, die restlichen 11% (n=21) privat.
Informationsstand, -bedürfnis und -quelle im Hinblick auf Gesundheitsfragen und Vorsorgeuntersuchungen Innerhalb der letzten 12 Monate hatten 70,6% der Befragten (n=149) Informationen zu Früherkennungs- bzw. Vorsorgeuntersuchungen erhalten. Als Quelle gaben 54,4% (n=115) einen Arzt, 23,7% (n=50) Medien, 13,7% ihre Krankenkasse und 11,8% ihr Umfeld (n=18) oder Sonstiges (n=7) an. Unter den Informationsquellen zu generellen Gesundheitsfragen nimmt der Hausarzt mit 77% der Nennungen den höchsten Stellenwert ein. Auf Rang 2 landen diverse Medien: Das Fernsehen mit 35,1% (n=74), Zeitschriften mit 23,2% (n=49) und das Internet mit 20,4% (n=43). Zu dieser Frage waren Mehrfachnennungen möglich. Patienten, die sich mit ausgewählten TV-Sendungen, in der Apotheke oder
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Abb. 2 8 Beweggründe für die Inanspruchnahme von Früherkennungsleistungen [Mehrfachnennungen möglich; 1 55,0% eigenes Gesundheitsbewusstsein, 2 36,5% Geschickt vom Hausarzt, 3 25,2% andere Gründe/Information durch Medien oder Krankenkasse, 4 12,3% Rat des Umfeldes (Ehefrau/Familie), 5 8,1% Krankheit im Bekannten- oder Familienkreis]
beim Hausarzt informierten, waren im Mittel älter als Patienten, die zu diesem Zweck Bekannte fragten bzw. das Internet oder Zeitschriften nutzten. Etwa die Hälfte (46,8%) der gesetzlich Versicherten wussten, welche Leistungen ihre Krankenkassen im Rahmen der Früherkennung übernehmen. Von diesen Patienten gaben 37,9% an, Individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) zu kennen. Mehr Informationen zu IGeL hätten gern 61% (n=116), und 62,1% (n=118) erklärten ihre Bereitschaft, diese Leistungen zu bezahlen (. Abb. 1). Die Mehrheit aller Befragten (82%, n=173) hielt eine schriftliche Aufklärung zu der anstehenden Vorsorgeuntersuchung für wichtig bis sehr wichtig; 78,2% (n=165) zeigten zudem Interesse an einer kurzen schriftlichen Zusammenfassung ihrer Untersuchungsergebnisse. Insgesamt zeigte sich eine Korrelation zwischen dem Bildungsstand der Befragten und ihrem Interesse an Vorsorgemöglichkeiten bzw. ihren Kenntnissen dazu. Eine höhere Bildung geht mit einer höheren Präventionsbereitschaft einher. Patienten, die über die Vor- und Nachteile einer PSA-Bestimmung aufgeklärt worden waren, waren deutlich älter als ihre „PSA-unaufgeklärten“ Geschlechtsgenossen.
Vorsorgestatus der Befragten Befragt nach ihrem Beweggrund für die Inanspruchnahme von Früherkennungsleistungen antworteten die Patienten
(Mehrfachnennungen waren möglich, . Abb. 2): „Geschickt vom Hausarzt“ 36,5% (n=77), „Krankheit im Bekanntenoder Familienkreis“ 8,1% (n=17), „Eigenes Gesundheitsbewusstsein“ 55% (n=116), „Rat des Umfeldes (Ehefrau/Familie)“ 12,3% (n=26), „Andere Gründe/Information durch Medien oder Krankenkasse“ 25,2% (n=53). Patienten, die motiviert durch ihr Umfeld, eine Erkrankung im Familien- oder Bekanntenkreis oder aus nicht benannten Gründen zur Vorsorge kamen, waren im Mittel jünger als Patienten, die sich aufgrund von Medieninformationen, auf Anraten des Hausarztes, aus eigenem Gesundheitsbewusstsein oder aufgrund von Informationen durch ihre Krankenkasse einfanden. Allerdings gab es zwischen den einzelnen Antwortmöglichkeiten große Überlappungen hinsichtlich der Altersklassen. Der überwiegende Teil der Patienten (85%, n=181) hatte bereits in der Vergangenheit Vorsorgeuntersuchungen durchführen lassen, davon 70,1% (n=148) beim Urologen. Über die Hälfte der Befragten (57,4%, n=121) gab an, jedes Jahr einmal zur Vorsorge zu gehen. Bei 18% (n=38) der Patienten wurde bis dato nie eine Vorsorge beim Urologen vorgenommen. Auf hausärztliche Vorsorgeuntersuchungen hatten bisher 29,9% (n=63) der Befragten verzichtet. Von den gesetzlich versicherten Studienteilnehmern hatten 63,2% (n=120) schon einmal IGeL in Anspruch genom-
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men, davon 55,8% (n=106) die PSA-Blutuntersuchung, 43,2% (n=82) Ultraschalluntersuchungen und 35,8% (n = 68) Urinuntersuchungen (Mehrfachnennungen möglich). Die Mehrheit der Männer (83,9%, n=177) hatte ihren Termin selbst vereinbart. In 10% (n=21) der Fälle war er von ihren Partnerinnen/Ehefrauen gemacht worden.
Individuelle Gesundheitsvorsorge Der überwiegende Teil der Patienten (72,5%, n=153) gab an, bewusst auf die Ernährung zu achten. Nahrungsergänzungsmittel wie Selen, Lykopene usw. nahmen aber nur 12,8% (n=27) vorsorglich ein, 81% (n =171) taten dies nicht, bei 6,2% fehlte hierzu die Angabe. Regelmäßiges Wiegen ist für viele (72,5%, n=153) eine Selbstverständlichkeit. 45% (n=95) der Befragten trieben Sport und 75,4% (n=159) verzichteten auf regelmäßigen Alkoholkonsum. Als Nichtraucher bezeichneten sich 81,5% (n=172) der Studienteilnehmer. Die Auswertung der Daten zeigte folgende Zusammenhänge zwischen Körpergewicht und Gesundheitsverhalten: Die Sportler wiesen einen deutlich niedrigeren BMI auf als die Nichtsportler. Dasselbe galt für Patienten, die bewusst auf ihre Ernährung achteten im Vergleich zu denen, die dies nicht taten. Keine signifikanten Unterschiede bezüglich ihres BMI zeigten Raucher und Nichtraucher sowie Patienten, die sich regelmäßig wiegen, im Vergleich zu denen, die dies nicht tun.
Gründe für die Praxiswahl Auf die Frage, warum sie in der jeweiligen Praxis einen Termin gemacht hatten, antworteten die Patienten zu 29,9% (n= 63) mit „Gute Erreichbarkeit/Verkehrsgünstige Lage“, wobei Parkmöglichkeiten besonders geschätzt wurden. 56,4% (n=119) der Patienten kamen „Auf Empfehlung“, zu 22,3% (n=47) spielte die „Flexible Terminvergabe“ eine Rolle (. Abb. 3). Alle anderen hatten die Praxen ohne besonderen Grund aufgesucht. Eine flexible und zeitlich angenehme Terminvergabe bewerteten 85,5% (n=181) der Befragten als wichtig bis sehr wichtig. Kurze Wartezeiten erreichten einen ähnli-
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Abb. 3 7 Gründe für die Praxiswahl (Mehrfachnennungen möglich; 1 56,4% auf Empfehlung, 2 29,9% gute Erreichbarkeit/Verkehrsgünstige Lage, 3 22,3% flexible Terminvergabe)
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chen Stellenwert. 83% (n=175) der Patienten fanden bis zu 30 min akzeptabel, lediglich 11,3% (n=24) zeigten sich bereit, bis zu 45 min oder länger zu warten. Mit 77,8% bezeichnete ein Großteil der Männer das Praxisambiente als wichtig bis sehr wichtig, wobei 76,8% gegen Musik im Wartezimmer stimmte. Auch Erfrischungen erfreuten sich mit 29,4% der Nennungen keiner allzu großen Beliebtheit. Allerdings äußerten mit 62,1% (n=131) recht viele Männer den Wunsch nach gesundheitlichen Informationen durch Zeitschriften oder medizinische Broschüren im Wartezimmer. 42,7% (n=90) aller Befragten verfügten über einen Internetanschluss, aber nur 24,2% (n=51) wünschten sich, dass sich die Praxis ihrer Wahl im Netz präsentiert. Die Patienten aus beiden vorgenannten Gruppen waren signifikant jünger als die übrigen.
Diskussion Mit guter Vorabinformation ist der Weg in die Praxis schon halb geschafft – in diese Kurzform lassen sich die Ergebnisse zum Informationsstand der befragten Patienten bringen. Als Informationsquelle nimmt dabei der Arzt die mit Abstand bedeutendste Rolle ein, aber auch die Medien sind erwartungsgemäß wichtig. > Mit guter Vorabinformation
ist der Weg in die Praxis schon halb geschafft
Die gezielte Ansprache von Patienten in der Praxis lohnt sich also, und zugleich sind alle im Gesundheitswesen tätigen Institutionen weiter gefordert, fachlich fundierte und zielgruppengerechte Öffent-
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lichkeitsarbeit zur Platzierung des wichtigen Themas Prävention in den Medien zu leisten. Dem Medium Internet wird dabei in Zukunft eine stetig steigende Bedeutung zukommen, für jüngere Patienten ist es schon jetzt eine wichtige Informationsquelle. Ist das eigene Gesundheitsbewusstsein erst einmal geweckt, liefert es den häufigsten Beweggrund zur Inanspruchnahme von Präventionsmaßnahmen. Es ist davon auszugehen, dass künftig auch kontinuierlich mehr Patienten einen Internetauftritt der Praxis ihrer Wahl wünschen. In diesem Zusammenhang könnte auch eine Online-Sprechstunde, wenngleich rechtlich noch nicht endgültig geklärt, den Bedürfnissen der Männer hinsichtlich Aufklärung und Terminflexibilität gerecht werden. Bemerkenswert ist die konkurrenzlos hohe Bedeutung des Hausarztes zur Klärung allgemeiner Gesundheitsfragen, welche ebenfalls in einer anderen urologischen Studie gefunden wurde [5]. Zum Wohle der Patienten könnte die Vernetzung zwischen Hausärzten und urologischen Facharztpraxen sicher noch optimiert werden: Es darf angenommen werden, dass dem Rat des Hausarztes, gezielte Angebote der Früherkennung beim Urologen in Anspruch zu nehmen, ein noch größerer Teil als die hier ermittelten 36,5% der Patienten folgen wird. Denn allein das Wissen um die Möglichkeit von Vorsorgeuntersuchungen führt noch nicht dazu, dass sie auch in Anspruch genommen werden (92% der Männer >45 kennen die von den gesetzlichen Kassen gezahlte jährliche Krebsvorsorge, doch nur rund ein Fünftel hat bereits daran teilgenommen [1]. Der recht hohe Kenntnisstand zu IGeL, das geäußerte Bedürfnis nach mehr Der Urologe 12 · 2011
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Originalien Informationen und die hohe Bereitschaft, für diese zusätzlichen Leistungen zu bezahlen, gehört zu den überraschenden Ergebnissen der Studie. Es zeigt, dass es sich auch in diesem Bereich lohnt, Patienten umfassend zu informieren. > Die Mehrheit der Patienten
passt in das Bild des mündigen, aufgeklärten und wohlwollend kritischen Verbrauchers
Dass die große Mehrheit der Patienten wissen möchte, was in der anstehenden Untersuchung auf sie zukommt, und dass beinahe ebenso viele eine schriftliche Zusammenfassung der Ergebnisse wünschen, passt in das Bild des mündigen, aufgeklärten und wohlwollend kritischen Verbrauchers, das sich auch gesamtgesellschaftlich als eindeutiger Trend feststellen lässt – wenngleich mit deutlicher Korrelation zwischen Bildungsstand und Informationsbedürfnis. Der damit verbundene Mehraufwand für die Praxis ist überschaubar: Ein Standardbrief mit der Beschreibung des Untersuchungsablaufs in Kurzform ist schnell erstellt, und für die Zusammenfassung der Ergebnisse können einfache EDV-Mittel genutzt werden, die Einzeldaten mit erläuternden Bewertungen verknüpft. Gute Arbeit spricht sich herum – und ist für die Mehrzahl der Patienten der entscheidende Grund für die Wahl ihres Urologen. Dabei bezieht sich eine positive Bewertung der Praxis allerdings keinesfalls allein auf den rein medizinischen Sektor. Von überragender Bedeutung sind auch eine flexible Terminvergabe sowie kurze Wartezeiten. Hier ist das Praxismanagement gefordert. Spezielle Präventionssprechstunden sind sicherlich nur einer von vielen Ansätzen, diese Art von Komfort für den Patienten möglichst sicherzustellen. In unserer Studie ist die Bereitschaft von gesetzlich Versicherten größer, eine längere Wartezeit beim Arzt zu verbringen, als dies bei privat Versicherten der Fall ist. Nur weil sie es leidvoll kennen, werden aber auch Kassenpatienten sicher nichts dagegen haben, zügig an der Reihe zu sein. Nicht punkten kann eine Praxis hingegen durch Musik im Wartezimmer oder durch Erfrischungen – beides wird
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man bei kurzer Verweilzeit ohnehin kaum brauchen. Kompakte, wiederum zielgruppengerechte medizinische Informationsmaterialien hingegen sollten in keinem Wartezimmer fehlen. Patienten, die Vorsorgeleistungen in Anspruch nehmen, sind offensichtlich „Wiederholungstäter“. Ohne schmälern zu wollen, dass es natürlich wichtig ist, diese Patienten für eine regelmäßige Inanspruchnahme weiterer Maßnahmen gut zu betreuen: Die Hauptaufgabe zur Steigerung der mäßigen Präventionszahlen unter Männern besteht offensichtlich darin, diejenige (große) Gruppe zu erreichen, die den Gang zum Arzt bisher gescheut hat. Die Gründe dafür kann die vorliegende Studie nicht liefern. Es ist allerdings bekannt, dass viele Männer speziell die Untersuchung der Prostata als unangenehm oder peinlich fürchten. Die oben beschriebene Aufklärungsarbeit inklusive konkreter Information des Patienten vor dem Untersuchungstermin könnte einiges dazu leisten, diese Furcht zu nehmen. Sachliche Aufklärung sowohl im direkten Gespräch zwischen Patient und (Haus-)Arzt als auch Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit sind dringend erforderlich, damit unbegründete Sorgen und Ängste aus der Welt geschafft werden. Stimmt das Vertrauensverhältnis, wird ein Patient nach der ersten Vorsorgeuntersuchung auch in den Folgejahren wiederkommen, wie die Studie eindrücklich belegt. Ein konkreter wichtiger Punkt zum Schluss: Es gibt eindeutige Defizite hinsichtlich der Patientenaufklärung über die Vor- und Nachteile einer PSA- Bestimmung [6]. Hierzu existieren zahlreiche Studien [7, 8, 9], nicht zuletzt wurde das Thema mehrfach auch von der Stiftung Warentest aufgegriffen und diskutiert. Dennoch ist es für die Autoren überraschend, dass unter den jüngeren Patienten überdurchschnittlich viele angaben, keine Informationen zu diesem Thema bekommen zu haben. Auch wenn die Effektivität des PSA-Screenings noch nicht abschließend beurteilt werden kann („European Randomized Study of Screening for Prostate Cancer“, ERSPC [10] vs. „Prostate, Lung, Colorectal and Ovarian Cancer Screnning Trial“, PLCO [11]) besteht Konsens, dass Männern mit dem
Wunsch einer Prostatakarzinomfrüherkennung nach ausführlicher Aufklärung, sowohl ein PSA-Test als auch eine digital-rektale Untersuchung angeboten werden sollte [12]. Zusätzlich kann man vermuten, dass die meisten Prostatakarzinome durch PSA-gestützte Früherkennung diagnostiziert werden. Patienten mit T1-2 N0 M0-Prostatakarzinomen weisen bei 8-Jahres-Überlebensanalysen paradoxerweise ein höheres relatives Überleben als die altersstratifizierte Normalbevölkerung auf. Möglich wäre, dass die PSAgestützte Früherkennung in der Bundesrepublik eine Mittelstandsorientierung aufweist [13, 14]. > Krankenkassen,
Allgemeinmediziner und Fachärzte sind gleichermaßen gefordert, die Defizite der Aufklärung zu beheben
Krankenkassen, Allgemeinmediziner und Fachärzte sind gleichermaßen gefordert, diese Defizite der Aufklärung zu beheben. Spezielle Männersprechstunden könnten möglicherweise dazu führen, dass sich die desolaten Zahlen zur Prävention verbessern. Dies zeigen auch Arbeiten in Männergesundheitszentren, wie sie seit einigen Jahren vermehrt angeboten werden [15]. Insgesamt ist festzuhalten, dass sich die mangelhafte Vorsorgebereitschaft bei Männern nicht nur auf das Fachgebiet der Urologie und Andrologie beschränkt [9]. Auch in Bezug auf Herz-Kreislauf- Erkrankungen und auf psychische Erkrankungen gehen Männer – wenn überhaupt – erst dann zum Arzt, wenn die Beschwerden die Leistungsfähigkeit massiv einschränken. Dies macht die große Bedeutung einer interdisziplinären Zusammenarbeit verschiedener Fachärzte zum Thema Männergesundheit deutlich. Zu den Ergebnissen des Männergesundheitsberichts gehört, dass sowohl Ärzte als auch die Gesellschaft insgesamt gefordert sind, Männer und ihre Krankheiten ernst zu nehmen [16]. Auch damit wird die Bereitschaft von Männern wachsen, sich dem gesellschaftlichen Druck von außen zu entziehen und in Bezug auf ihren Körper weniger leichtsinnig durchs Leben zu gehen.
Fachnachrichten Fazit für die Praxis Die Wünsche vorsorgebereiter Männer an ihre Arztpraxis sind konkret und reichen von kurzen Wartezeiten bis hin zur Aushändigung schriftlicher Ergebnisse. Vieles davon lässt sich mit wenig Aufwand realisieren bzw. optimieren und schafft einen erheblichen Zugewinn an Patientenzufriedenheit. Bei der Ergebnisanalyse dieser Studie darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass jeder zweite Mann zwischen 45 und 65 Jahren bisher gänzlich auf Krebsvorsorge verzichtet. So wichtig die Patientenbetreuung auch ist: Es geht nicht primär darum, diejenigen Männer, die sich schon einmal untersuchen ließen, zur Vereinbarung eines nächsten Kontrolltermins zu motivieren, denn die Bereitschaft dazu ist ohnehin vorhanden. Die größte Herausforderung besteht vielmehr darin, die riesige Gruppe von Männern zu erreichen, die ihre Gesundheit für eine selbstverständliche, sich stetig erneuernde Ressource halten und dabei möglicherweise ihr Leben riskieren. Man darf gespannt sein, wie Ärzteschaft, Politik und Gesellschaft diese wichtige Aufgabe anpacken werden.
Korrespondenzadresse PD Dr. M. Mathers PandaMED, Dünkeloh-Klinik Remscheid, Kooperationspraxis der Klinik für Urologie und Kinderurologie, Helios-Klinikum, Universität Witten/Herdecke, Wuppertal, Alleestraße 105-107, 42857 Remscheid
[email protected] Interessenkonflikt. Der korrespondierende Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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Deutscher Krebskongress 2012 Aktuelles zum Langzeitüberleben mit Krebs Hochrechnungen des Robert Koch-Instituts zufolge leben in Deutschland knapp 1,5 Millionen Menschen bereits fünf Jahre oder länger mit ihrer Krebserkrankung, bei rund zwei Millionen liegt die Erstdiagnose Krebs sogar schon mehr als zehn Jahre zurück. Viele Krebspatienten zahlen aber langfristig ihren Preis, zum Beispiel für Chemo- oder Strahlentherapien, die nicht nur dem Tumor zusetzen. Wissenschaftliche Studien von Sophie Fossa aus Oslo haben nun gezeigt, dass die Altersgruppe der 60- bis 69-jährigen Langzeitüberlebenden deutlich mehr Gesundheitsprobleme hat, als Menschen gleichen Alters ohne Krebsvorgeschichte. Es konnte zudem nachgewiesen werden, dass viele jüngere, in der Kindheit an Krebs Erkrankte noch 20 bis 30 Jahre nach Erstdiagnose unter den Folgen der Behandlung leiden können, obwohl sie als geheilt gelten. Eines der Hauptprobleme ist Fatigue. Sie führt häufig zu einer eingeschränkten Arbeitsfähigkeit und wird gerade von Jüngeren als schwerwiegende Einschränkung der Lebensqualität empfunden. Auch Herzkrankheiten sind nicht selten. Bei Hodenkrebspatienten entstehen sie zum Beispiel als späte Konsequenz einer Chemotherapie und einem nachfolgenden metabolischen Syndrom mit hohem Blutdruck und erhöhten Blutzuckerund Blutfettwerten. Zweitmalignome oder ein später Rückfall sind ebenfalls möglich. Dennoch trägt die Chemotherapie dazu bei, dass über 90 Prozent der betroffenen Männer von ihrer Krebserkrankung geheilt werden können. Allgemein sollten Ärzte Patienten besser über mögliche Spätfolgen aufklären, um im Ernstfall Symptome rascher einordnen zu können. Die Rehabilitationsphase ist für jeden Krebspatienten ein wesentlicher Schritt auf dem Weg zurück in ein normales Leben. Mehr zum Thema sowie die aktuellen Daten der wissenschaftlichen Studien von Sophie Fossa aus Oslo erfahren Sie auf dem Deutschen Krebskongress in Schwerpunksitzungen zum Thema „Long-term Survivorship“. Quelle: Deutsche Krebsgesellschaft, www.krebsgesellschaft.de
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