Sabine Hering / Elke Kruse
Wo bleiben die Frauen im Bologna-Prozess? Der Junggeselle und der Meister als Prototypen der Hochschulreform? Prozesses eingesetzt hatten, wurde der entsprechende Halbsatz als mühsam errungener Erfolg betrachtet. Angesichts der sehr vagen und ohne entsprechende Kriterien formulierten Aufforderung, durch den Bologna Prozess auch mehr Geschlechtergerechtigkeit an den Hochschulen herzustellen, ergibt sich zwangsläufig die Frage, wie diese Vorgabe ausgefüllt werden soll. Die diesbezüglichen Einschätzungen sind überaus ambivalent.
1) Die Masterstudiengänge werden im Vergleich zu traditionellen Studiengängen häufiger als Teilzeitstudiengänge angeboten, ein Merkmal, das vor allem für Frauen von Vorteil ist. 2) Durch den oftmals innovativen inhaltlichen Zuschnitt von Bachelorund Masterstudiengängen (neue Fächerkombinationen und neue Lehrinhalte) ergeben sich attraktive Studienmöglichkeiten, besonders für neugierige Frauen. 3) Die Modularisierung ermöglicht – je nach Handhabung – eine individuellere Studiengestaltung mit eigenen inhaltlichen Kombinationsmöglichkeiten im „Baukastensystem“. Dadurch trägt das neue Modell zur Familienfreundlichkeit bei, was bekanntlich mehr Frauen als Männern Entlastung bringt. 4) Das System der Modularisierung erlaubt zudem die Anrechnung extrafunktionaler Kompetenzen (die sog. Schlüsselqualifikationen), deren Aneignung Frauen in der Regel leichter fällt und bessere Erfolge zeitigt als bei ihren männlichen Kommilitonen.
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Mit vielen Mühen ist es uns in den verEs hat lange gedauert, bis überhaupt gangenen 20 Jahren gelungen, zumindest jemand die „Genderfrage“ im Zuge der ansatzweise so etwas wie eine Gleichbe- Reformen zur Sprache gebracht hat. Seit rechtigung in der Sprache herzustellen. ein paar Monaten jedoch gibt es so etWir haben es z.B. geschafft, auf unserer was wie eine Diskussion über den ZuExamensurkunde als „Diplom-Sozial- sammenhang von frauenpolitischen und pädagogin“ zu firmieren, als Doktorin hochschulpolitischen Aspekten bei den betitelt und gelegentlich sogar als Frau anstehenden Umstrukturierzungen. In Professorin angesprochen zu werden. der vierten gemeinsamen Erklärung der Nachdem wir dieses alles erreicht haben, europäischen Bildungsminister/innen stehen uns nun im Zuge des Bologna-Pro- zur Hochschulreform im Herbst 2003 in zesses europaweit Berufsbezeichnungen Berlin wurde in der Präambel auch auf ins Haus, die nicht den geringsten Bezug den Abbau geschlechtsspezifischer Unzum weiblichen Geschlecht aufzuweisen gleichheit Bezug genommen. In deuthaben: der Bachelor und der Master. scher Übersetzung wurde das folgenderAuch wenn dieser Umstand bereits maßen formuliert: Anlass zur Verärgerung und zur Sorge gibt, so beschränkt „Die Ministerinnen und Minister bekräftisich die Frage nach den Folgen erneut die Bedeutung der sozialen Dimengen der Reform für Frauen sion des Bologna-Prozesses. Die Notwendigkeit, bedauerlicherweise nicht auf die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, muss die Dimension des Sprachlimit dem Ziel, der sozialen Dimension des Eurochen. Es gibt darüber hinaus päischen Hochschulraumes größere Bedeutung gehend den begründeten Verzu geben, in Einklang gebracht werden; dabei dacht, dass den weiblichen geht es um die Stärkung des sozialen ZusamMitgliedern der Hochschulen menhalts sowie den Abbau sozialer und ge– den Studentinnen, den wisschlechtsspezifischer Ungleichheit auf nationasenschaftlichen Mitarbeiterinler und europäischer Ebene.“ (BERLIN COMMUnen und den Dozentinnen – NIQUÉ 2003) im Zuge des Bologna-Prozesses mehr abhanden kommen könne, als nur Von den Frauenbeauftragten der ihre geschlechtsspezifischen Bezeichnun- Hochschulen, die sich im Vorfeld vehegen. ment für die Beschäftigung mit der Genderperspektive im Rahmen des Bologna-
Grundsätzlich bietet die Einführung von BA/MA-Studiengängen durchaus Vorteile aus weiblicher Sicht. Allein der durch die Studienstrukturreform angestoßene Innovationsprozess bietet vielfältige Möglichkeiten, neue Impulse zu setzen. Dabei sind vor allem folgende Aspekte von Bedeutung:
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Chance für Frauen
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Wo bleiben die Frauen im Bologna-Prozess? 5) Neuzuschaffene „unkonventionelle“ Zugangsmöglichkeiten, wie der Einstieg über mehrjährige Berufserfahrung ermöglicht es auch Frauen, die nicht über die erforderlichen schulischen Voraussetzungen verfügen, ein Studium zu beginnen. 6) Die internationale Zusammenarbeit der europäischen Länder bietet ein erstklassiges Forum für gegenseitige Anregungen in diesem Bereich und kann so zu neuen Impulsen führen, die vor allem Frauen von Nutzen sein können, die Interesse an interkulturellen Lern – und Arbeitsprozessen haben.
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7) Durch die neue Struktur erfährt der Bereich der Lehre eine Aufwertung, in dem sich zur Zeit mehr Frauen als Männer engagieren.
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8) Werden erzieherische und gesundheitspflegerische Ausbildungsgänge von der Fachschulebene auf Fachhochschulniveau angehoben, hat dies einen doppelten Effekt: Mit ihnen gelangt auf der einen Seite ein hoher Frauenanteil an die Hochschulen, auf der anderen werden diese Ausbildungsgänge aufgrund der Steigerung ihres Prestiges attraktiver für Männer. 9) Verringert sich die Studiendauer eines Erststudiums im Vergleich zu den herkömmlichen Diplom-Studiengängen, könnte dies auch solche Frauen zum Studium ermutigen, die aufgrund familiärer Planungen / Verpflichtungen vor einem längeren Studium zurück schrecken. Bezüglich der Umsetzung der bisher genannten potentiellen Vorteile der neuen Studien- und Studiengangsstrukturen für Frauen ist anzumerken, dass sich durch die Implementierung von Gender-Mainstreaming und Qualitätssicherungsverfahren bei der Einführung des neuen Studienmodells zusätzliche Möglichkeiten zur Einführung und Überprüfung der Umsetzung geschlechtsspezifischer Maßnahmen bieten, die deren Realisation und Einhaltung kontrollierbar ma-
chen. Trotzdem ist die Frage der realen Umsetzung von frauenfreundlichen und familienfreundlichen Perspektiven so gewichtig, dass sie in dem folgenden Abschnitt gesondert diskutiert werden soll.
Aber nur unter der Bedingung, dass... Um die vielfältigen Chancen, die sich für Frauen im Zuge der aktuellen Studienreformdebatte bieten, tatsächlich nutzbar zu machen, gilt es, verschiedene Aspekte zu bedenken. Voraussetzung für die Wirksamkeit der möglichen positiven Auswirkungen sind vor allem Maßnahmen, die auf Information, Beratung und Netzwerkbildung abzielen. Ganz ohne Zweifel machen die neuen Studiengänge ein hohes Maß an Transparenz erforderlich. Dies betrifft vor allem die Informationen hinsichtlich der vielfältigen neuartigen Studienprogramme, um die Studienfachwahl zu erleichtern und damit vor allem Frauen in ihrem Bedürfnis nach innovativen Berufsbildern entgegen zu kommen. Breit gestreute und allgemein verfügbare Informationen können einer sich durch die neuartige Vielfalt ergebenden Verunsicherung sowie der Befürchtung, überfordert zu sein, schon im Vorfeld entgegenwirken. Von zentraler Bedeutung in den neuen Studiengangsstrukturen ist deshalb die Implementierung umfangreicher Beratungsangebote sowohl für Studieninteressierte als auch für Studierende. Diese Angebote sollen darauf abzielen, die erweiterten Studienmöglichkeiten tatsächlich nutzbar zu machen und innerhalb einer modularisierten Studienstruktur den „Durchblick“ für die Auswahl von sinnvollen Kombinationsmöglichkeiten, von Schwerpunkten und sinnvollen Ergänzungen zu ermöglichen. Für die Förderung von Frauen innerhalb der Bachelor- und Masterstudiengänge sind Maßnahmen zu begrüßen, die die Netzwerkbildung unterstützen. So können z.B. „Studienkollektive“ der Vereinzelung und Verunsicherung bzw. dem frühzeitigen Abbruch des Studiums entgegenwirken. Dabei geht es vor allem um den Austausch von Erfahrungen, die gegenseitige Entlastung durch Koopera-
tion und um die Möglichkeit gemeinsamer Interessenvertretung bei auftretenden Problemen im Rahmen mangelnder Studierbarkeit einzelner Module oder der Studiengangsangebote als Gesamtheit. Der soziale Zusammenhalt der Studierenden, Auffangsysteme bei Schwierigkeiten, klare Strukturen und Transparenz erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass negative Auswirkungen bzw. Probleme während des Studiums nicht zum Rückzug oder gar Abbruch führen. Dass die Herstellung von Transparenz, die Durchführung intensiver Beratung und die Unterstützung von sozialer Vernetzung der Studierenden eine Aufgabe ist, die mit zusätzlicher Mehrbelastung der Lehrenden und vor allem des Mittelbaus einhergeht, die erfahrungsgemäß gerne deren weiblichen Mitgliedern aufgebürdet wird, ist ein Umstand, der besonderer Beachtung bedarf und mit Sicherheit Maßnahmen zur Herstellung von Geschlechtergerechtigkeit erforderlich macht. Dieser Gesichtspunkt leitet deshalb zu den problematischen „Nebenwirkungen“ des Bologna-Prozesses über.
Risiken und Nebenwirkungen Neben den möglichen Chancen, die sich durch die Implementierung von Bachelor- und Masterstudiengängen für Frauen an Hochschulen bieten, gehen mit der Studienstrukturreform eine Reihe von Nebenwirkungen einher, die sich möglicherweise nicht förderlich auswirken werden. Im Folgenden werden die Aspekte, auf die besonderes Augenmerk zu legen sein wird, dargestellt. Der Bachelor als „Sackgasse“: Die gestufte Studiengangsstruktur mit einem kürzeren berufsorientierten grundständigen Studium und einem darauf aufbauenden weiterführenden Studium wird vermehrt Frauen in die Bachelorstudiengänge ziehen, birgt aber gleichzeitig die Gefahr, dass Frauen eher als Männer der Neigung oder Notwendigkeit nachgeben, nach dem Bachelorabschluss die Hochschule zu verlassen, in den Beruf zu gehen und das Studium auch später nicht fortzusetzen.
Schlussfolgerungen Es besteht also kein Grund zur Entwarnung. „Bachelor“ und „Master“ halten, was das Etikett verspricht – zunächst erst mal keine Innovationen in Sachen „Geschlechterdemokratie“. Trotzdem ist ein Anfang gemacht. Die Diskussion über die frauenpolitischen Konsequenzen des Bologna-Prozesses ist eröffnet, und die einzelnen Mitgliedsstaaten der EU müssen sich nun Gedanken machen, ob sie – und wie sie – dem zaghaften Wink der Minister/innenrunde Folge leisten wollen. Dass „die Deutschen“ bei derartigen Vorhaben nur auf Druck reagieren, ist bekannt. Hoffen wir, dass dieser Druck auch entsprechend ausgeübt wird und nicht im Eifer von Modularisierung, Implementierung und Akkreditierung ins Hintertreffen gerät. s Literatur Berlin-Communiqué: Realisierung des Europäischen Hochschulraums. Kommuniqué der Konferenz der europäischen Hochschulministerinnen und Hochschulminister am 19. September 2003 in Berlin, aus: www.bolognaberlin2003.de/pdf/Communiqué_de.pdf BMBF: Hochschulrahmengesetz (HRG) 2001 Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (Hg.): Modularisierung in Hochschulen. Handreichung zur Modularisierung und Einführung von Bachelor- und Master-Studiengängen. Erste Erfahrungen und Empfehlungen aus dem BLK-Programm „Modularisierung“, Bonn 2002
Bundeskonferenz der Frauenbeauftragten und Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen: Presseerklärung zur Jahrestagung der Bundeskonferenz der Frauenbeauftragten und Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen (BuKoF) vom 30.0.2003 Centrum für Hochschulentwicklung (CHE)/ Center for Higher Education Policy Studies (CHEPS): Die Einführung von Bachelor- und Master-Programmen an deutschen Hochschulen, Studie, deutsche Übersetzung des englischen Originals vom Februar 2003 Haug, Guy/Tauch, Christian: Trends in Learning Structures in Higher Education (II). Followup Report prepared for the Salamanca and Prague Conferences of March/May 2001, Hrsg. HRK, Bonn 2001 Hintergrunddokumente zum Bologna-Prozess (Sorbonne Joint Declaration, Bologna-Erklärung, Prague-Communiqué, Berlin Communiqué), aus: www.bologna-berlin2003,de (27.01.2004) Hochschulrektorenkonferenz (Hg.): „From Bologna to Prague” – Reform of Study Programmes and Structures in Germany. Conference organised by the Association of Universities and Other Higher Education Institutions in Germany, Berlin, 5-6 October 2000, Red. Christian Tauch, Bonn 2001 Jahn, Heidrun: Gestufte Studiengänge an deutschen Hochschulen, in: Welbers, Ulrich (Hg.): Studienreform mit Bachelor und Master. Gestufte Studiengänge im Blick des Lehrens und Lernens an Hochschulen. Modelle für die Geistes- und Sozialwissenschaften, Neuwied; Kriftel 2001, S. 128-142 KMK: 10 Thesen zur Bachelor- und Masterstruktur in Deutschland. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 12.06.2003, aus: www.kmk.org/doc/beschl/BMThesen.pdf (30.07.2003) Schwarz-Hahn, Stefanie/Rehburg, Meike: Bachelor und Master in Deutschland. Empirische Befunde zur Studienstrukturreform, Wissenschaftliches Zentrum für Berufs- und Hochschulforschung, Universität Kassel 2004 Welbers, Ulrich (Hg.): Studienreform mit Bachelor und Master. Gestufte Studiengänge im Blick des Lehrens und Lernens an Hochschulen. Modelle für die Geistes- und Sozialwissenschaften, Neuwied; Kriftel 2001 Wissenschaftsrat: Empfehlungen zur Einführung neuer Studienstrukturen und –abschlüsse (Bakkalaureus/Bachelor – Magister/Master) in Deutschland, Berlin 2000 Sabine Hering, Dr., Mitglied des Beirates von SOZIALEXTRA und Professorin für Sozialpädagogik an der Universität Siegen. Elke Kruse, Dr., ist Vertretungsprofessorin an der FH Hildesheim.
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dass ganze Berufsfelder im akademischen Bereich für Frauen schwerer zugänglich sind – und vice versa den Berufsfeldern die wichtigen weiblichen Kompetenzen verloren gehen. Es besteht somit die Gefahr, dass Frauen über die Stufe des Bachelor-Abschlusses nicht hinauskommen und damit ganze Berufsfelder und darüber hinaus das „obere Segment“ der von ihnen gewählten Berufsfelder (Leitungsebene, Führungspositionen) Männern überlassen. In skeptischen Prognosen wird diesbezüglich bereits von einer neuen geschlechtsspezifischen Hierarchisierung „praktischer“ und „akademischer“ Arbeit gesprochen.
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Der Vorteil, der darin liegt, dass das relativ kurze („Schmalspur“-)Bachelorstudium eine in sich geschlossene Qualifizierungsmöglichkeit bietet, bedeutet auf der anderen Seite, dass für eine weitere Qualifizierung eine Entscheidung getroffen werden muss, die eines gesonderten Impulses und des Zugangs zu zusätzlichen materiellen und immateriellen Ressourcen bedarf: Die Berufstätigkeit muss unterbrochen oder reduziert, Familienaufgaben müssen umverteilt, Hochschule und der Hochschulort ggf. gewechselt und Studiengebühren in Kauf genommen werden. Letzteres gilt vor allem, wenn das Masterstudium nicht direkt im Anschluss, sondern nach einer beruflichen Tätigkeit bzw. Familienphase aufgenommen wird. Die Kosten, die in der Regel für die Absolvierung von Master-Studiengängen auf die Studierenden zukommen, ebenso wie der Wohnortwechsel stellen für Frauen – aufgrund ihrer noch immer geringeren Verfügung über finanzielle Mittel und ihre stärkere Familienbindung – nicht zu unterschätzende Hürden dar. Damit würde der bisher bereits in der Vergangenheit feststellbare Trend verstärkt, dass Frauen sich mehrheitlich mit praktisch orientierten, grundständigen Studienabschlüssen begnügen, während Männer eher dazu bereit sind, die Kosten und Mühen einer Weiterqualifizierung zugunsten der beruflichen Aufstiegsmöglichkeit auf sich zu nehmen. Geschlechtsspezifische Segregation im Studium führt zur entsprechenden Segregation der Berufsfelder: Weiterhin ist dem Umstand Aufmerksamkeit zu schenken, dass Frauen an der Schnittstelle zwischen Bachelor-Abschluss und Beginn eines aufbauenden Master-Studienganges durch verschiedene Hürden, wie Zulassungsbeschränkungen, besondere Zulassungsauflagen etc. davon abgehalten werden, die Weiterqualifi zierung in Angriff zu nehmen. Dies hat zum einen die Unterrepräsentanz von Frauen in Master-Studiengängen (und damit eine Fortführung bisheriger Verhältnisse) zur Konsequenz, zum anderen bedeutet es,