HMD (2016) 53:1–2 DOI 10.1365/s40702-015-0203-8
Wohin treibt die Digitalisierung die IT-Organisation? Werner Brettreich-Teichmann1 · Jens Grötecke2
Eingegangen: 14. Dezember 2015 / Angenommen: 22. Dezember 2015 / Online publiziert: 7. Januar 2016 © Springer Fachmedien Wiesbaden 2015
Die Erkenntnis ist so banal wie evident: Durch Digitalisierung nimmt der Anteil der Geschäftsprozesse, die durch Informationstechnik unterstützt werden, ständig zu und der Wertschöpfungsanteil der Informationstechnik innerhalb der Geschäftsprozesse wächst ebenfalls. Setzt man nicht nur den Wert der Technik, sondern den Wert der Information an, der mit Informationstechnik erst verwirklicht wird, lässt sich der Wandel durch Digitalisierung erst umfassend bewerten. In einer modernen digitalen Wirtschaft und Gesellschaft ist es geradezu Selbstzweck von Organisationen, durch die Transformation von Messdaten in Steuerungs- und Regelungsinformationen Wissen zu generieren und in intelligenten Prozessen für den Erfolg am Markt umzusetzen. Welche Technologiepfade dazu dienen, diesen Digitalisierungsprozess technologisch in den Griff zu bekommen, scheint uns hinreichend bekannt. Die Inwertsetzung dieser Techniken verlangt aber auch von den Akteuren, die dafür sorgen, dass in einem arbeitsteiligen Prozess, Bedarfe und Anforderungen in Konzepte und Spezifikationen und diese wiederum in Projekte implementiert und schlussendlich in einen robusten Betrieb integriert werden, neue Fähigkeiten und Fertigkeiten. War es früher vergleichsweise einfach, diesen Prozess sequentiell von hinten nach vorne durchzuexerzieren in einer Art nachfragegetriebener, kundenindividueller Produktion von Unikaten, so ist die erzeugte Varianten- und Plattformvielfalt weder kosten- noch kapazitätsorientiert machbar, noch hinsichtlich der Lebenszykluskosten verantwortbar. Wir müssen deshalb eine andere Sicht einnehmen und diesen Prozess konsequent angebotsorientiert umkehren: Angebotsorientiert bedeutet durch Vordenken und Vorkonzipieren von Anwendungen und Plattformen, einen Lösungsraum anzubieten, der
Werner Brettreich-Teichmann
[email protected]
Fichtner IT Consulting AG, Stuttgart, Deutschland
Dortmunder Energie- und Wasserversorgungs GmbH, Dortmund, Deutschland
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W. Brettreich-Teichmann, J. Grötecke
es ermöglicht, Anforderungen zu kanalisieren. Dies alles wird einen kommunikativen Prozess verlangen, der dynamisch versucht, Nachfrage und Angebot in Deckung zu bringen. Die IT wird dadurch nicht weniger kunden- oder nutzerfreundlich. Sie wird allerdings das Spannungsverhältnis zwischen kurz- und langfristigen Rationalitäten, zwischen Kundenhörigkeit und Kundenorientierung aushalten und kommunikativ überbrücken müssen. Was bedeutet diese Veränderung für die Organisation und Koordination? Es gibt ganz unterschiedliche Facetten von effizienter Koordination. Vereinfacht lassen sie sich auf die zwei Gegensatzpaare Hierarchie oder Markt, Bürokratie oder Kommunikation reduzieren. Wir wissen, dass Hierarchie und Bürokratie zwar einfach und effizient sind, aber beides erzeugt unerwünschte Nebeneffekte. Eine ausschließlich steuernde IT verliert die Folgebereitschaft bei Kunden und Nutzern und erzeugt einen kreativen Schattenmarkt für „private“ Lösungen oder andere Umgehungstatbestände. Ein unzureichend regulierter Markt wird ebenfalls unzureichend funktionieren. Durch ungeregelte Suchprozesse treffen sich Angebot und Nachfrage nur zufällig. Nicht abgegrenzte Rollen überlagern den Austausch mit Macht und Einfluss. Ein funktionierender Markt benötigt definierte Rollen und Verantwortungen (Prozess im Fachbereich und Services bei der IT) sowie Institutionen d. h. Regeln und Strukturen, die den Austausch und die Findungsprozesse auf gestuften Ebenen ermöglichen: 1) für strategische Richtungsentscheidungen zum „Alignment“ von Unternehmenszielen und Budget (wohin?), 2) für die taktische Koordination über das Alignment zu den Prozessen (was?: Ergebnisse, Kennzahlen) sowie auf 3) der operativen Ebene zum Alignment von Prozeduren und Aufgaben (wie?). Die Werkzeuge, mit denen wir solche Institutionen umsetzten, sind sicherlich abhängig von Unternehmenskultur und Managementpraxis. Dies kann je nach den konkreten Bedingungen durch einen Face-to-Face-Marathon oder digital unterstützt durch ein „Business Facebook“ mit Chroniken, Blogs und Badgets, mit Likes und Votings umgesetzt werden. Oder durch einen Werkzeug-Mix. In allen Fällen muss aber deutlich werden, dass es sich um einen verbindlichen, wertschätzenden und werterzeugenden Prozess handelt. Diese Verbindlichkeit verlangt einen vernünftigen Rahmen mit 1) Eindeutigkeit in den Zielen 2) Transparenz über Beweggründe und 3) Einbeziehungsmöglichkeiten, um aus Betroffenen Beteiligte zu machen. Alle Beteiligten fühlen sich dadurch in ihrer jeweiligen Rolle und Verantwortung ernst genommen und können ein Verhalten kollektiver Achtsamkeit entwickeln – übrigens nicht nur für die IT. Gutes Management bedeutet auch für die IT in erster Linie exzellente Kommunikation.
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