Abstracts
Alles multimodal? Chancen + Grenzen Deutscher Schmerzkongress 2011 Mannheim, 5. – 8.10.2011
Vorträge Donnerstag, 06.10.11 Neuropathischer Schmerz SY 1 Aktuelles aus dem Deutschen Forschungsverbund neuropathi scher Schmerz C. Maier1, R.Baron2, E. Krumova1, C. Geber3 1BG Universitätsklinikum Bergmannsheil, Abt. Schmerztherapie, Bochum Deutschland, 2Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel, Sektion Neurologische Schmerzforschung und -therapie, Kiel, Deutschland, 3Universitätsmedizin Mainz, Klinik und Poliklinik für Neurologie, Mainz, Deutschland Das neue System zur Klassifikation neuropathischer Schmerzen verlangt im Vergleich zur derzeit gültigen Klassifikation der IASP statt des Kriteriums „Dysfunktion“ die eine eindeutig nachweisbare „Läsion“ im Bereich des an der Schmerzverarbeitung beteiligten somatosensorischen Systems. Dies hat auch für die Schmerztherapie praktische Auswirkungen. Relativ häufige Krankheitsbilder wie beispielsweise das komplexe regionale Schmerzsyndrom (CRPS) Typ I oder die idiopathische Trigeminusneuralgie würden dann nicht mehr unter die Kategorie neuropathischer Schmerzen fallen. Mit dieser Klassifikation sind Chancen und Möglichkeiten aber auch Limitierungen verbunden. Im Rahmen der Diagnostik neuropathischer Schmerzen kommt der quantitativ-sensorischen Testung eine immer bedeutendere Rolle zu. Auch in pharmakologischen Studien werden Teile der QST in die Beurteilung der Wirksamkeit von Pharmaka auf spezifische sensorische Symptome einbezogen. R. Baron wird darüber berichten, wie Ergebnisse der quantitativ-sensorischen Testung unsere Therapieentscheidungen beeinflussen. Eine kürzlich veröffentlichte, umfangreiche Analyse der Datenbank des DFNS ergab typische Symptomkombinationen der untersuchten Krankheitsentitäten (Polyneuropathie, postzosterische Neuralgie, periphere Nervenläsion, CRPS, Trigeminusneuralgie, zentraler Schmerz
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und andere). Aus diesen Erkenntnissen ergab sich der Vorschlag einer symptombasierten Klassifikation neuropathischer Schmerzsyndrome (sog. „LOGA-Klassifikation“).
Wie beeinflussen Ergebnisse der quantitativen sensorischen Testung unsere Therapieentscheidungen? (R. Baron) Bislang basierte die Therapie neuropathischer Schmerzen ausschließlich auf der verursachenden Grunderkrankung, z. B. Diabetes mellitus oder Herpes Zoster; die Therapie war empirisch. Aufgrund der Vielfalt der Schmerzentstehungsmechanismen erscheint dieses Konzept nicht optimal. In der Tat konnten sich viele vielversprechende neue Therapieoptionen bei Testung in einer ätiologiebasierten Klassifikation nicht behaupten. Eine neue Klassifikation und dadurch bessere Patientenselektion könnte in der Zukunft zu besseren Erfolgen und einer individualisierten Therapie führen (Baron et al. 2010). Ein entscheidender Wandel der Sichtweise wird heutzutage durch die Erkenntnis eingeleitet, dass viele Patienten exakt identische Schmerzformen angeben, z. B. brennende Dauerschmerzen oder Schmerzen bei leichter Berührung der Haut (Allodynie), obwohl sie an ätiologisch völlig unterschiedlichen Erkrankungen leiden. Dementsprechend ist es sinnvoller, sich bei der Behandlung nicht nur auf die Grunderkrankung zu konzentrieren, sondern jede einzelne Schmerzform und damit jeden einzelnen Schmerzmechanismus isoliert mit geeigneten Pharmaka anzugehen, unabhängig von der zugrundeliegenden Ursache der Schmerzen. Diese neue Idee wird als „mechanismen-orientierte Therapie“ bezeichnet (Jensen and Baron 2003). Kernstück des „Deutschen Forschungsverbundes Neuropathischer Schmerz“ konzipiert ist eine Datenbank, in die standardisierte Informationen eines jeden Patienten über die spezifische Schmerzproblematik, das somatosensorische Profil (standardisierte quantitative sensorische Testung mit 13 verschiedenen mechanischen und thermischen Teststimuli, QST) sowie den sozioökonomischen, psychosozialen und psychologischen Hintergrund einfließen. Bislang wurden über 1500 Patienten eingeschlossen (Maier et al. 2010, Rolke et al. 2006). Ähnliche Daten zum sensorischen Profil wurden ebenfalls mit einem einfachen Fragebogen (PainDetect) erhoben. Mit diesen Ansätzen ist erstmals eine genaue phänotypische Charakterisierung des individuellen Schmerzpatienten möglich (Baron et al. 2009). Bislang wurden nur wenige QST-basierte Studien zur Identifikation von Therapie-Respondern durchgeführt. Ein gutes Ansprechen auf intrakutanes Botulinum-Toxin konnte bei Patienten mit erhaltener Empfindung für Hitzeschmerz, ein Zeichen für eine intakte kutane Innervation, gezeigt werden (Ranoux et al. 2008). Eine post-hoc Subgruppen-Analyse einer großen Pregabalin-Studie an Patienten mit
Abstracts Tab. 1 Vorschlag einer Klassifikation des sensorischen Phenotyps Funktionszunahme Funktionsabnahme
Keine PlusSymptome
Nur thermische Plus-Symptome
Nur mechanische PlusSymptome
Sowohl thermische als auch mechanische
Keine MinusSymptome Nur thermische Minus-Symptome Nur mechanische MinusSymptome Sowohl thermische als auch mechanische Minus-Symptome
L0G0
L0G1
L0G2
L0G3
L1G0
L1G1
L1G2
L1G3
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L2G1
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L2G3
L3G0
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L3G2
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einer HIV-Neuropathie ergab interessante Ergebnisse. Die Subgruppe, die an einer deutlichen Hyperalgesie gegenüber Pin-Prick-Reizen (ein Zeichen einer zentralen Sensibilisierung) litten, sprachen signifikant besser auf die Pregabalin-Therapie an (Simpson et al. 2010). Eine genaue Phänotypisierung der Schmerzpatienten, die damit einen Einblick in den individuellen Schmerzmechanismus eröffnet, wird in Zukunft eine personalisierte Schmerzmedizin ermöglichen.
Neues System zur Klassifikation neuropathischer Schmerzen (C. Geber) Neuropathischer Schmerz ist in der von der NeuPSIG (Neuropathic Pain Special Interest Group) überarbeiteten Version definiert als direkte Folge einer Läsion oder Erkrankung des somatosensorischen Systems (Treede et al. 2008). Im Gegensatz zur vorhergehenden Fassung wurde die Definition in zwei Aspekten konkretisiert: Der Term „Dysfunktion“ ist in der aktuellen Definition nicht mehr enthalten, da im Einzelfall eine eindeutige Abgrenzung von physiologischer Plastizität des nozizeptiven Systems nicht eindeutig möglich ist. Zusätzlich wurde die Schädigung des „Nervensystems“ auf das „somatosensorische System“ eingegrenzt. Dies erlaubt eine Abgrenzung von Schmerzen, die z. B. durch eine Schädigung des motorischen Nervensystems entstehen können (z. B. Schmerz bei spastischer Tonuserhöhung der Muskulatur). Gleichzeitig wurde ein Klassifizierungsschema vorgestellt, anhand dessen das Vorliegen neuropathischer Schmerzen als „unwahrscheinlich“, „möglich“, „wahrscheinlich“ und „definitiv“ eingeordnet werden kann: Neben anamnestischen Hinweisen auf eine Schädigung/ Erkrankung des somatosensorischen Systems, wird berücksichtigt, inwiefern Schmerz als Leitsymptom neuroanatomisch plausibel lokalisiert ist und ob sich in der klinischen Untersuchung korrelierende sensible Minus- oder Pluszeichen nachweisen lassen, die einer peripheren oder zentralen Schädigung des somatosensorischen Systems zugeordnet werden können. Zusätzlich finden auch diagnostische Verfahren Eingang in das Klassifizierungsschema, die neben einer Objektivierung der Schädigung/ Erkrankung des somatosensorischen Systems auch eine ätiologische Zuordnung erlauben. Die Ätiologie der Nervenschädigung ist jedoch für die Einordnung als „neuropathischer Schmerz“ nicht erforderlich. Die überarbeitete Definition soll über die präzisere Charakterisierung neuropathischer Schmerzen – z. B. im Rahmen klinischer Studien – auch zu einer Verbesserung der Schmerztherapie führen. Anhand von Fallbeispielen werden die Anwendung und der praktische Nutzen des Klassifikationssystems erläutert. Zudem wir auf Fallstricke
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in der Differentialdiagnostik neuropathischer Schmerzen – insbesondere auf die Abgrenzung zu myofaszialen Schmerzen – eingegangen.
Symptombasierte Klassifikation neuropathischer Schmerz syndrome (C. Maier und E. Krumova) Die Auswertung der weltweit größten Datenbank von Patienten mit neuropathischen Schmerzen, deren sensorische Profile mittels QST nach einem standardisierten Protokoll erfasst worden waren, hatte gezeigt: 1. Bei der Mehrzahl der Patienten lässt sich eine vom gesunden deutlich abweichende Störung entweder bei der Detektion thermischer/ mechanischer Reize, eine Senkung von Schmerzschwellen oder ein abnormales Reaktionsmuster auf schmerzhafte Stimuli nachweisen (Maier et al., Pain 2010). Diese Zahlen unterstreichen die ansonsten nur früher aus Hypothesen abgeleitete Auffassung, dass möglicherweise bei gleicher Diagnose, z. T. beispielsweise gleicher Ursache (z. B. Zoster-Virus) mit annähernd ähnlicher Klinik (Spontanschmerz und evozierbare Schmerzen gleich hoher Intensität) dennoch von Patient zu Patient deutlich unterschiedliche Mechanismen zugrunde liegen. Dieses könnte mit erklären, warum die Responseraten bei nahezu allen analgetisch wirksamen Substanzen bei Patienten mit Nervenschmerz deutlich niedriger sind als beispielsweise bei nozizeptiv ausgelösten Arthrose-Schmerzen. 2. Bei jeder neurologischen schmerzhaften Neuropathie gibt es verschiedene Untergruppen, z. B. Patientenmit isolierter Hypästhesie, mit isolierter Hyperalgesie oder mit einer Kombination beiden Störungen (Abb. 1, S. 7). Die verschiedenen Syndrome unterscheiden sich nur dadurch, dass bestimmte Untergruppen signifikant häufiger oder seltener auftreten. Daher erlaubt QST keinen Rückschluss im Einzelfall auf die Diagnose. Folglich sollten zukünftig ein neuropathischer Schmerz nicht nur durch die Diagnose (z. B. diabetische Polyneuropathie) beschrieben werden, sondern jeder Patient auch weiter hinsichtlich des Mechanismus klassifiziert werden. Aus den vorliegenden Daten wurde versucht, eine solche Unterklassifikation zu schaffen (LOGA), die für jeden Einzelfall präzisiert, in welchem Ausmaß sensorische und thermische Detektionsdefizite (LOSS) mit welchem Ausmaß Plussymptome (Hyperalgesie und Allodynie) vorliegen (Tab. 1). Besonders Studien sollten diese Klassifikation nutzen, um mechanismenorientiert neue Pharmaka gegen neuropathische Schmerzen besser prüfen zu können. 1. Baron R, Binder A, Wasner G. Neuropathic pain – diagnosis, pathophysiological mechanisms, and treatment. Lancet Neurol. 2010, 9:807–19 2. Baron R, Tölle TR, Gockel U, Brosz M, Freynhagen R. A cross sectional cohort survey in 2100 patients with painful diabetic neuropathy and postherpetic neuralgia. Pain 2009;146:34–40 3. Jensen TS, Baron R. Translation of symptoms and signs into mechanisms in neuropathic pain. Pain 2003;102:1–8. 4. Maier C, Baron R et al. Quantitative sensory testing in the German Research Network on Neuropathic Pain (DFNS). Pain 2010;150:439–50 5. Ranoux D, Attal N, Morain F, Bouhassira D. Botulinum toxin type A induces direct analgesic effects in chronic neuropathic pain. Ann Neurol 2008;64(3):274–283. 6. Simpson DM, Schifitto G, Clifford DB et al. Pregabalin for painful HIV neuropathy. Neurology;74(5):413–420. 7. Rolke R, Baron R, Maier C et al. Quantitative sensory testing in the German Research Network on Neuropathic Pain (DFNS): standardized protocol and reference values. Pain 2006;123:231–43. 8. Treede RD, Jensen TS, Campbell JN et al. Neuropathic pain: redefinition and a grading system for clinical and research purposes. Neurology 2008;70:1630–5.
Multimodalität - Chancen und Grenzen SY 2 Interdisziplinarität, ein Blick hinter die Kulissen P. Nilges1, B. Arnold2, D. Seeger3 1DRK Schmerz-Zentrum Mainz, Psychotherapie, Mainz, Deutschland, 2Amper-Kliniken, Chefarzt der Abt. für Schmerztherapie, Dachau, Deutschland, 3Universitätsmedizin Göttingen, Georg-August-Universität, Schmerztagesklinik/-ambulanz am Zentrum Anästhesiologie, Rettungs- und Intensivmedizin, Göttingen, Deutschland Interdisziplinäres Arbeiten unterscheidet sich von den in der Gesundheitsversorgung üblichen Kooperationsformen (multidisziplinär, konsiliarisch, Liaison) hinsichtlich Qualität sowie Intensität der Kommunikation und damit verbundenem zeitlichen Aufwand. Von der IASP und namhaften Autoren werden als Kriterien für echte Interdisziplinarität u. a. „gemeinsame Verantwortung“, „gemeinsame Untersuchung“, „gemeinsame Erhebung von Befunden“, „ein transparenter Kommunikationsprozess“, „Integration der Informationen innerhalb des Teams“ und „keine diagnostischen oder therapeutischen Auftragsarbeiten“ genannt. Die alltäglichen Arbeitsabläufe in interdisziplinären (multimodalen) Arbeitsgruppen unterschiedlicher Fachrichtungen (typischerweise Medizin, Psychologie und Physiotherapie) entsprechen damit nicht den Regeln, die für im Gesundheitswesen (implizit und explizit) übliche hierarchisch strukturierte Abteilungen mit eindeutiger Verantwortungszuordnung gelten. Alle sind gemeinsam für Struktur, Prozess und Ergebnis verantwortlich. Diese Vorgaben können nur erfüllt werden, wenn formal-strukturelle Voraussetzungen wie etwa eine geeignete Personalstruktur ebenso erfüllt werden, wie die Erfordernis nach enger Abstimmung der Therapieinhalte, der Vorgehensweise und der sowohl gemeinsamen, als auch fachspezifischen und patientenorientierten Behandlungsschwerpunkte zur Erreichung der Therapieziele. Voraussetzung für das Einhalten dieser Absprachen ist Respekt auch gegenüber den Teammitgliedern der jeweils anderen Profession. Aus dieser für alle Beteiligten ungewohnt offenen Situation, können Konflikte resultieren, die nicht nur für die Teammitglieder mit persönlichen Belastungen verbunden sind, sondern die Behandlung und damit die Effektivität direkt beeinflussen. Während Konflikte hinsichtlich alltäglicher organisatorischer Fragen in der Regel einfach lösbar sind, resultieren aus der Nichtbeachtung fachlicher Zuständigkeiten oder der Priorisierung einseitiger Therapiemaßnahmen aufgrund divergierender Krankheitsmodelle (z. B. „Spritzentherapie“ vs. Aktivierungsprogramm) nur schwer und zeitaufwändig lösbare teaminterne Konflikte, die sich ungelöst und unbesprochen negativ auf die Behandlungseffekte der Patienten auswirken können. Regelmäßig finden sich ähnliche Ambivalenzen auf Patientenseite (intra- und interindividuell). Bei fehlender konzeptioneller Abstimmung und Klarheit des Teams sind (scheinbar personenbezogene) Konflikte programmiert („die Physiotherapie ist so anstrengend, ich will lieber von Frau Dr. XY gedehnt werden“), die sowohl die Spannungen im Team als auch innerhalb der Patientengruppen verschärfen können. Wenn diese spezifischen Risikofaktoren erkannt, besprochen und Verfahrensregeln vereinbart werden, kann daraus eine Bereicherung der Teamsituation und damit Interdisziplinarität resultieren. Dafür ist es notwendig, dass die verschiedenen Sichtweisen wertfrei nebeneinander stehen können und ein gemeinsamer Konsens gefunden wird. Strumpf beschreibt diesen Vorgang treffen: „Voraussetzung ist, dass der Reigen der Fächer lernt, miteinander zu tanzen. Dazu ist es notwendig, synchrone Schritte zu entwickeln, um die Therapie chronischer Schmerzen effizient zu gestalten. Dies bedeutet auch, dass es ohne eine gemeinsame Sprache und Philosophie nicht geht und dass ,Eifersüchteleien‘ bezüglich der Kompetenz einzelner Fachbereiche zum Stolpern führen“ (Strumpf, 2008).
keine abnorme Werte
nur Plus-Symptome
nur Minus-Symptome
Plus- und Minus-Symptome
Gesunde Probanden (n=1080 Messareale)
Polyneuropathie (n=343) Postzoster-Neuralgie (n=72) periphere Nervenverletzung (n=154) CRPS (n=403) Trigeminusneuralgie (n=92) zentrale Schmerzen (n=51) andere Neuropathischien (n=121) Alle (n=1236) 0%
20%
40%
60%
80%
100%
Abb. 1 8 8 Sensorische Minus- oder Plus-Symptome bei gleichen Diagnosen
Gelingt dies, ist im direkten Vergleich eine interdisziplinäre Behandlung erfolgreicher und anhaltender sowie mit weniger sozialen Folgekosten verbunden als ein jeweils isoliert medizinischer, psychotherapeutischer oder physiotherapeutischer Zugang (Bush et al., 2011). In diesem Symposium werden aus der Perspektive eines Arztes, eines Psychologen und einer Physiotherapeutin Ist- und Sollzustand verglichen. Ziel ist es, eine Bestandsaufnahme der im klinischen Alltag üblichen Abläufe und ein Vergleich mit den vorgegebenen Kriterien vorzunehmen: Weiterhin bestehende Diskrepanzen, aber auch Annäherungen der unterschiedlichen professionellen Positionen, typische Konfliktsituationen und dafür gefundene Lösungen werden für Aspekte der Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität dargestellt und diskutiert. 1. Busch, H., Bodin, L., Bergström, G., & Jensen, I. B. (2011). Patterns of sickness absence a decade after pain-related multidisciplinary rehabilitation. Pain, 152, 1727–1733. 2. Loeser, J. D., Seres, J. L., & Newman, R. I. (1990). Interdisciplinary, multimodal management of chronic pain. In J.J. Bonica (Ed.), The management of pain (pp. 2107–2120). Philadelphia: Lea & Febiger. 3. Loeser, J. D. (1991). Desirable chracteristics for pain treatment facilities: report of the IASP taskforce. In M.R. Bond, J. E. Charlton, & C. J. Woolf (Eds.), Proceedings of the VIth world congress on pain (4 ed., pp. 411–415). Amsterdam: Elsevier. 4. Loeser, J. D. & Turk, D. C. (2001). Multidisciplinary Pain Mangement. In J.D. Loeser, S. H. Butler, C. R. Chapman, & D. C. Turk (Eds.), Bonicas Management of Pain (pp. 2069–2079). Philadelphia: Lippincott. 5. Strumpf, M. (2008). Schwerpunkt Schmerztherapie im Reigen der Fächer. Der Schmerz, 22, 124. 6. Strumpf, M., Zenz, M., & Willweber-Strumpf, A. (1999). Chronische Schmerzen: Organisatorische Aspekte bei der Behandlung. Schmerz, 13, 409–422.
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Abstracts Tumorschmerz SY 3 Herausforderungen in der Tumorschmerztherapie S. Wirz1, R. Freynhagen², M. Schenk³, G. Mikus4, W. Koppert5 1CURA – kath. Krankenhaus im Siebengebirge, Anästhesie, Interdiszipli-
näre Intensivmedizin, Schmerztherapie, Palliativmedizin, Bad Honnef, Deutschland, ²Benedictus Krankenhaus Tutzing, Zentrum für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Schmerztherapie & Palliativmedizin, Tutzing, Deutschland, ³Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe gGmbH, Anästhesie, Schmerztherapie, Palliativmedizin, Berlin, Deutschland, 4Universitätsklinikum Heidelberg, Abteilung Klinische Pharmakologie & Pharmakoepidemiologie, Heidelberg, Deutschland, 5Medizinische Hochschule Hannover, Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin, Hannover, Deutschland Über 50% aller Tumorpatienten leiden im Laufe ihrer Erkrankung an Schmerzen; der Schmerz ist bei den meisten Krebserkrankungen ein Hauptsymptom. Dennoch ist die Versorgung von Patienten mit Tumorschmerzen unzureichend. In 90% der Fälle ließe sich der Tumorschmerz erfolgreich lindern, dennoch sind ein Drittel aller Tumorschmerzpatienten schmerztherapeutisch unterversorgt. Obwohl das WHO-Stufenschema eine konkrete und validierte Handlungsanweisung darstellt, ist seine Umsetzung mangelhaft. Gründe dafür sind vielfältig. Einerseits liegen sie an einem – immer noch – ungenügenden Ausbildungsstand, Vorbehalten von Ärzten gegenüber potenten Opioiden und Problemen der Auswahl des adäquaten Applikationsmodus. Andererseits nehmen Patienten den Schmerz als zur Krankheit gehörig hin, weil sie nicht wissen, dass es wirksame Mittel dagegen gibt. Ein Viertel der Tumorpatienten redet nicht mit ihrem Arzt über die Schmerztherapie. Auch organisatorische Gründe lassen sich anführen: Schmerztherapie ist im Gegensatz zur Palliativmedizin immer noch nicht Pflichtbestandteil des Medizinstudiums, obwohl sie wichtiger Bestandteil der Palliativtherapie bzw. supportiven Tumortherapie ist. Ferner bestehen deutliche Defizite in der epidemiologischen Erhebung. Es gibt bislang keine exakte Bestimmung der Tumorschmerzprävalenz, sowohl in Deutschland als weltweit. Auch die Einführung der zentralen Krebsregister, in denen jede gesicherte Neuerkrankungen Register gemeldet werden, bringt keine Verbesserung, da zwar zahlreiche Daten zur Erkrankung oder zu Lebensumständen erhoben werden, aber nicht zum Schmerz oder Symptomen.
Ist eine empfehlungskonforme Tumorschmerztherapie immer unkompliziert? Diese Probleme zeigen Schwierigkeiten in der Einleitung und „formalen“ Durchführung einer Tumorschmerztherapie auf. Es erhebt sich aber die Frage, ob eine „lege artis“, also ein am WHO-Stufenschema empfehlungskonforme, Tumorschmerztherapie unkompliziert ist. Mehr als 20 Jahre nach Formulierung der WHO-Prinzipien liegen neue Erkenntnisse und Sichtweise vor, wie zur opioidinduzierten Hyperalgesie, pharmakodynamisch und pharmakokinetisch bedingten Umsetzproblemen bei Tumorpatienten oder zu Fragen der Toleranzentwicklung gegenüber Opioiden bei Tumorschmerzpatienten.
Hyperalgesie als opioidinduziertes Symptom Bei Patienten mit einer Schmerztherapie mit hohen Morphindosen können Schmerzen nicht immer suffizient behandelt werden. Dabei handelt es sich nicht nur um klassische Toleranzphänomene, sondern um Schmerzzustände, die mit dem originären Schmerz gar nichts zu tun haben. Die Autoren der Publikation „Opiod-induced hyperalgesia“, Angst und Clark, folgerten daraus, dass durch lang dauernde
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Opioidgaben Schmerzen nicht nur gedämpft, sondern auch iatrogen induziert werden können. In einer klinischen Studie gingen Guignard und Mitarbeiter der Frage der postoperativen Hyperalgesie nach und stellten fest, dass Patienten, welche während der Operation hohe Dosen des Opioids verabreicht bekommen hatten, postoperativ signifikant höhere Mengen Morphin zur Schmerzbekämpfung benötigten. Dieses Phänomen widersprach dem Paradigma einer präemptiven Schmerztherapie mit Opioiden. Die Autoren vermuteten, dass Opioide (insbesondere μ-Rezeptor-Agonisten) den NMDA-Rezeptor aktivieren, der über zentrale Sensibilisierungsprozesse die Entstehung postoperativer Hyperalgesien weiter verstärkt. Der analgetische Effekt der Opioide beruht auf der Dämpfung der Schmerzleitungsfähigkeit der Nozizeptoren (antinozizeptiver Mechanismus). Parallel dazu findet man in den letzten Jahren immer mehr Berichte darüber, dass Opioide auch gegensätzliche Mechanismen auslösen können. Derartige pronozizeptive Mechanismen sorgen z. B. für eine Aktivierung der NMDA-Rezeptoren und eine vermehrte Weiterleitung von Aktionspotentialen in den Hinterhornneuronen, einem zentralen Mechanismus bei der Entstehung einer opioidinduzierten Hyperalgesie. Es liegen bei einer Opioidgabe also zeitgleich zwei konkurrierende Mechanismen vor, wobei die pronozizeptiven Mechanismen während der Opioidgabe in der Stärke zunehmen und das Absetzen des Opioids zeitlich überdauern können. Das von Simonnet adaptierte Modell zeigt damit auch auf, warum es einerseits zum Phänomen der Toleranzentwicklung, andererseits zum Auftreten der Hyperalgesie nach Absetzen des Opioids kommt. Eine Prognose für den einzelnen Patienten, welche dieser Mechanismen – Analgesie oder Hyperalgesie – bei einer Opioidgabe grundsätzlich überwiegt, hängt von verschiedenen Faktoren ab (genetische Veranlagung, Co-Medikation usw.) und ist Gegenstand der aktuellen Forschung. Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass Opioide bei akuten Schmerzen zwar ausgeprägt analgetisch wirken, diese Wirkung jedoch nach dem Absetzen bald nicht mehr nachweisbar ist – im Gegenteil: Schon der kurzdauernde Einsatz von Opioiden kann eine Hyperalgesie verstärken. Im Gegensatz zur kurzdauernden Opioidgabe ist Prävalenz bei Patienten der Tumorschmerztherapie und Palliativmedizin ist noch unklar. Sie dürfte aber bei sorgfältiger Diagnose durchaus relevant sein. Klinisch imponieren Schmerzzunahme und Änderung des Schmerzcharakters nach Dosissteigerung eines Opioids, auf das der Patient zuvor sensitiv war. Entgegen früherer Annahmen wird die opioidinduzierte Hyperalgesie nicht nur durch die Metaboliten von Morphin oder Hydromorphon verursacht, sondern kann auch unter transdermalem Fentanyl auftreten. Die diagnostischen Überlegungen müssen Fragen nach einem eventuellen Tumorprogress oder vielleicht neuen psychosozialen Beeinflussungen ebenso einschließen wie die Abgrenzung von einer Opioidtoleranzentwicklung. Verschiedene Studien zur postoperativen Schmerztherapie zeigen auf, dass Kombinationstherapien mit Schmerzmitteln verschiedener Substanzklassen eine optimale Modulation der postoperativen Hyperalgesie ermöglichen. Die Kombination eines Opioids mit dem NMDARezeptor-Antagonisten Ketamin hat deutliche antihyperalgetische Effekte. Auch mit der Zugabe von Clonidin (α2-Agonist) kann eine deutlich verbesserte Analgesie erreicht werden. In einer weiteren Probandenstudie konnten zentrale antihyperalgetische Eigenschaften von Paracetamol und Parecoxib nachgewiesen werden, die hyperalgetischen Eigenschaften von Opioiden entgegenwirkten. Nichtopioide haben somit ein komplementäres Wirkungsprofil zu den Opioiden. Aufgrund der noch geringen Datenlage ist eine Übertragung dieser im Anästhesiebereich gewonnenen Erkenntnisse auf die Arbeitsfelder der Tumorschmerz- bzw. Palliativmedizin zwar logisch, aber noch nicht bewiesen. Insofern fällt das zukünftige Augenmerk auf den Nachweis von Hyperalgesieeffekten in diesen Bereichen, bevor allgemeine Handlungsempfehlungen erfolgen. Dennoch sollten Behandelnde im klinischen Alltag Hinweise auf Hyperalgesieeffekte von Opioiden beachten und ggf. analog den experimentellen Anästhesiedaten vorgehen.
Pharmakokinetische und pharmakodynamische Limitationen bei Tumorschmerzpatienten Da Tumorschmerzpatienten in der Mehrzahl ein höheres Lebensalter aufweisen, kommt es bei der Tumorschmerztherapie häufig zu Limitationen der Einsetzbarkeit verschiedener Substanzgruppen. Insofern besteht hier ein Überschneidungsfeld zwischen „Tumorschmerztherapie“ und „Schmerztherapie im Alter“.
Stufe I Die hohe Wirksamkeit von NSAR bei Tumorschmerzen, insbesondere bei Knochenmetastasen, ist gut belegt – mit einer vergleichbaren Effektivität der einzelnen NSAR. Das häufigere Auftreten von gastrointestinalen und renalen Nebenwirkungen stellt eine gravierende Einschränkung dar, wobei ältere Patienten als Risikogruppe anzusehen sind. Jährlich werden 2200 Ulkuskomplikationen mit letalem Ausgang für Deutschland geschätzt. Eine NSAR-Dauertherapie sollte ausschließlich unter einer Prophylaxe mit Protonenpumpeninhibitoren erfolgen. Die Therapie mit „selektiven“ Zyklooxygenase-II-Hemmern beinhaltet zwar ein geringeres gastrointestinales Risiko, demgegenüber steht aber eine erhöhte Inzidenz von kardiovaskulären und zerebrovaskulären Komplikationen. Zudem besteht für die Therapie von Tumorschmerzen keine zugelassene Indikation von Coxiben. Jüngere Veröffentlichungen deuten ein vergleichbares Risikoprofil von nichtselektiven und selektiven Zyklooxygenase-Hemmern an. Metamizol und Paracetamol zeigen ein zwar niedriges Gastropathierisiko. Die therapeutische Breite von Paracetamol ist jedoch bei zu hoher Dosierung mit der Gefahr von Leberschädigungen verbunden. Deshalb ist eine Dosisreduktion von Paracetamol bei mangelernährten, alten Patienten angezeigt. Überdies existiert kein Nachweis der Effektivität von Paracetamol bei Tumorschmerzen. Metamizol dagegen besitzt gute analgetische Eigenschaften. Wegen seiner spasmolytischen Potenz ist insbesondere der viszerale nozizeptive Schmerz Hauptindikation. Die Fachinformation von Metamizol führt die strenge Indikationsstellung bei Nieren- oder Leberinsuffizienz an, dennoch ist die Anwendung unter Überwachung der Laborparameter möglich. Die Inzidenz der Nebenwirkung Agranulozytose wird kontrovers diskutiert. Aus Sicherheitsgründen sollten regelmäßig Blutbildkontrollen erfolgen, z. B. alle sechs Wochen. Damit ist die WHO-Stufe I bei älteren Tumorschmerzpatienten nur bedingt anwendbar.
Dosisreduktion in Abhängigkeit von der Schmerzausprägung erfolgen, im Falle eines Misserfolges eine Opioidrotation zu einem anderen Opioid mit günstigerer Pharmakokinetik und ohne pharmakodynamisch aktive Metabolite. Der Beginn einer Opioidtherapie verlangt eine konsequente Prophylaxe und Therapie gastrointestinaler Symptome, wie Übelkeit und Obstipation. Häufig sind Medikamenteninteraktionen Ursachen von „opioidartigen“ Nebenwirkungen. Zentralwirksame Substanzen wie Benzodiazepine, Barbiturate, Neuroleptika, MAO-Inhibitoren, Antiepileptika oder trizyklische Antidepressiva intensivieren die sedierenden Effekte von Opioiden. Weitere Wirkverstärkungen von zentralen Effekten unter einer Opioidtherapie treten unter Kalziumantagonisten, alpha1-Blockern, H1/H2-Inhibitoren und Antiemetika auf. Nicht selten kommt es zur stationären Einweisung älterer Opioidpatienten wegen vermeintlicher gerontopsychiatrischer Symptome, die sich letztendlich als Interaktions- oder Kumulationseffekte verschiedener Analgetika herausstellen.
Stufe-II-Opioide Stufe-II-Opioide (schwach wirksame Opioide) unterliegen in Deutschland nicht der BTMVV. Dabei birgt im Alter eine Einschränkung der hepatischen Aktivität bzw. des Cytochrom P450 die Gefahr einer verminderten Metabolisierung der Opioide Tramadol, Codein und Dihydrocodein. Werden sie nicht in ausreichender Menge in ihre wirksamen Metabolite überführt, resultiert eine verminderte Schmerzlinderung. Circa 10% der Bevölkerung Europas sind „poor metabolizer“ mit einem Metabolisierungsdefizit des Cytochrom-P450-2D6-Systems. Zudem besteht bei renalen Einschränkungen eine erhöhte Kumulationsgefahr, die zu gravierenden Nebenwirkungen führen kann. Der µ-Agonist Tramadol besitzt aufgrund der Wiederaufnahmehemmung von Serotonin und Noradrenalin im synaptischen Spalt einen dualen Wirkmechanismus. Damit zeigt dieser Stoff das Nebenwirkungsprofil trizyklischer Antidepressiva mit hoher Interaktionsgefahr. Eine Wirkabschwächung entsteht bei der gleichzeitigen Anwendung von Antiemetika wie Ondansetron. Tilidin ist ein Prodrug mit einem hohen First-pass-Effekt, welches zu Nortilidin metabolisiert wird. Bei leberinsuffizienten Patienten sollte unbedingt eine Dosisreduktion erfolgen, wohingegen bei niereninsuffizienten Patienten eine Dosisanpassung nicht erforderlich erscheint. Insgesamt erscheinen Opioide der WHO-Stufe II in der Anwendung bei multimorbiden älteren (Tumor-)Patienten eher problematisch.
Opioide Im Gegensatz zu Nichtopioiden zeigen Opioide keine unmittelbaren organtoxischen Effekte. Bei älteren oder organinsuffizienten Patienten sollte zu Beginn einer Opioidtherapie die sonst übliche Dosis auf die Hälfte oder sogar nur ein Drittel reduziert werden. Im Verlauf kann die Dosis dann – ohne das Risiko einer Überdosierung – individuell titriert werden. Die bei älteren Tumorschmerzpatienten verminderte hepatische oder renale Eliminationsleistung verlängert die Halbwertszeit von Opioiden mit der Gefahr der Kumulation. Da bei unbeeinträchtigter Ansprechbarkeit der Opioidrezeptoren die zerebrale Perfusion in Relation zur Gesamtperfusion zunimmt, ist das Dosis-Wirkungsverhalten von Opioiden beim alten Patienten weniger berechenbar als beim jungen. Unter diesen Prämissen erscheinen Opioide mit einer langen Eliminationshalbwertszeit, z. B. Methadon oder die langwirksamen Pflasterapplikationen, bei Patienten im reduzierten Allgemeinzustand wenig vorteilhaft. Insbesondere opioidnaive Patienten sind bei der Gabe dieser Zubereitungen für gravierende Nebenwirkungen, wie einer Sedation oder Atemdepression, prädisponiert, zumal keine offizielle Zulassung von Methadon zur Schmerztherapie besteht. Ein unzureichendes Nebenwirkungsmanagement kann zum Abbruch einer Schmerztherapie führen. Bei Auftreten zentraler Nebenwirkungen im Rahmen einer Opioidtherapie sollte zunächst eine abgestufte
Stufe-III-Opioide Stufe-III-Opioide (stark wirksame Opioide) sind in Deutschland BTMpflichtig. Das stark wirksame Opioid Morphin bildet beim Abbau aktive Metabolite, die analgetisch effektiv sind und Nebenwirkungen erzeugen können. Die Metabolite Morphin-3- und Morphin-6-Glucuronid wirken gegensätzlich algetisch beziehungsweise analgetisch. Ob die Inzidenz Morphin-6-glucuronid-induzierter Nebenwirkungen bei älteren Tumorpatienten höher ist als bei jüngeren, insbesondere bei einer renalen Funktionseinschränkung, ist ungeklärt. Die Wahrscheinlichkeit nimmt jedoch mit zunehmendem Alter und damit einhergehender Niereninsuffizienz zu. Wegen des Fehlens aktiver Metabolite könnten die Substanzen Hydromorphon und Oxycodon bei organinsuffizienten Tumorpatienten vorteilhaft sein. Prinzipiell ist bei beiden Substanzen eine vorsichtige Dosierung für die Anwendung bei älteren Patienten angezeigt. Die weitgehend vom Cytrochrom-P450-Enzymsystem unabhängige Metabolisierung des Hydromorphons und eine niedrige Plasmaeiweißbindung können die Therapiesicherheit bei Tumorpatienten mit Multimedikation erhöhen. Eine deutliche Erleichterung des Managements der opioidinduzierten Obstipation, ist durch die Prophylaxe mit retardiertem Oxycodon/Naloxon möglich. Auch beim Abbau von Methadon entstehen keine aktiven Metabolite, was diese Substanz bei Der Schmerz · Supplement 1 · 2011
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Abstracts renaler Insuffizienz vorteilhaft erscheinen lässt. Eine lange Halbwertszeit jedoch beeinträchtigt die Steuerbarkeit und damit die Sicherheit. Bei älteren Patienten kann die transdermale Applikation von Opioiden (Fentanyl und Buprenorphin) zur Kumulation führen. Auf Grund der starr festgelegten Grenzen der jeweiligen Dosierungen und der Trägheit von Opioidpflastern ist die oben beschriebene subtile Titration gemäß der Schmerzstärke oder eine rasche Reaktion auf Schmerzspitzen schwieriger. Dadurch wird bei einer Polymedikation der Vorteil der transdermalen Opioidapplikation konterkariert. Für die Therapie von Schmerzen mit starken Intensitätsschwankungen („breakthrough pain“, „incidental pain“) ist die alleinige transdermale Applikationsform nicht geeignet. Bei Patienten z. B. mit oropharyngealen Tumoren oder enteralen Resorptionsstörungen ist die transdermale Opioidapplikation oft die einzige Möglichkeit einer suffizienten Schmerztherapie.
Medikamentenabhängigkeit bei Tumorschmerzpatienten, Hochdosistherapie mit Opioiden Eine Publikation aus 2001 zeigte eine deutliche Zunahme der Verschreibungsmengen von Opioiden bei einzelnen Patienten im Verlauf der Tumorerkrankung. Gleichzeitig weist er auf die Angst vor einer möglichen Suchtentwicklung als Hemmschuh einer suffizienten Versorgung von Tumorschmerzpatienten hin. Damals wurde nur ein geringer Anteil der Tumorpatienten mit Opioiden der Stufe III nach WHO versorgt. Vor dem Hintergrund zunehmender Überlebenszeiten bei onkologischen Patienten und einer Optimierung der Opioidverschreibung sind Langzeittherapien von Opioiden gleichermaßen häufiger geworden. Damit treten Phänomene wie Toleranzentwicklung, Dosissteigerung, Abhängigkeitsphänome und Opioidfehlgebrauch bei Tumorschmerzpatienten immer häufiger auf. Andererseits sind Patienten mit der Anamnese eines Substanzfehlgebrauchs regelmäßig analgetisch unterversorgt. Eine differenzierte Evaluation von Risikofaktoren vor Beginn einer Opioidtherapie und das Instrument eines Patientenvertrages sind empfehlenswert. Von Fehlgebrauch ist das Zustandekommen einer „Hochdosis“-Opioidtherapie abzugrenzen, ebenso wie der Befund einer schmerzmedizinischen Fehldiagnose. Dies trifft z. B. bei einem nicht erkannten neuropathischem Schmerz ohne Opioidsensibilität zu. Hier sollte selbstverständlich eine klassische antineuropathische Medikation bestehend aus Antikonvulsiva und Antidepressiva eingeleitet werden. Die chemotherapieinduzierte Neuropathie ist erst in den vergangenen Jahren als Problem von Tumorpatienten erkannt worden. Eine Veröffentlichung im Journal of Pain and Symptom Management aus dem Jahre 2006 zeigte eine Korrelation zwischen kurzer Überlebenszeit und dem Vorliegen einer Hochdosistherapie mit Opioiden auf, andererseits bestand eine hohe Variation der Überlebenszeit, woraus die Autoren auf eine Minderversorgung einiger Patienten schlossen. Bei der Toleranzentwicklung gegenüber Opioiden lassen sich komplexe Mechanismen darstellen, wie z. B. Adaptationsmechanismen, Rezeptordesensibilisierung mit verminderter Opioidansprechbarkeit, Internalisierung oder Bildung von dem pronozizeptiven NO. Intrazelluläre Mechanismen involvieren die Phospholipase C oder Proteinkinase C mit Modulation des NMDA-Rezeptors. Therapeutisch kann das Prinzip der multimodalen Analgesie und der Opioidrotation angewandt werden. 1. Anderson KO, Richman SP, Hurley J, Palos G, Valero V, Mendoza TR, Gning I, Cleeland CS. ����������������������������������������������� Cancer pain management among underserved minority outpatients: perceived needs and barriers to optimal control. Cancer 2002;94:2295–304. 2. Angst MS, Clark DJ. Opiod-induced Hyperalgesia – A Qualitative Systematic Review. Anaesthesiology 2006; 104:570–587. 3. Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft: “Aus der UAW-Datenbank”. Kardiovaskuläre Nebenwirkungen sind ein Klasseneffekt aller Coxibe:
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Konsequenzen für die künftige Verordnung. Dtsch Arztebl 2004; 101: A 3365. 4. Ballantyne JC. Opioid misuse in oncology pain patients. Curr Pain Headache Rep. 2007 Aug;11(4):276–82. 5.Bolten WW, Lang B, Wagner AV, Krobot AJ: Konsequenzen und Kosten der NSA-Gastropathie in Deutschland. Akt. Rheumatol 1999; 24:127–34. 6.Cleeland CS, Cleeland LM, Dar R, Rinehardt LC. Factors influencing physician management of cancer pain. Cancer 1986;58:796–800. 7. Forman WB: Opioid analgesic drugs in the elderly. Clin Geriatr Med 1996; 12 (3):489–500. 8.Freye E, Latasch L. Toleranzentwicklung unter Opioidgabe – Molekulare Mechanismen und klinische Bedeutung. Anasthesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther. 2003;38(1):14–26 9. Gan SH, Ismail R, Wan Adnan WA, Zulmi W: Impact of CYP2D6 Genetic Polymorphism on Tramadol Pharmacokinetics and Pharmacodynamics. Mol Diagn Ther 2007; 11(3):171–81. 10. Guignard B. Acute Opiod Tolerance – Intraoperative Remifentanil Increases Postoperative Pain and Morphine Requirement. Anaesthesiology. 2000. 93:109–17. 11. Heidemann E. Tumorpatienten in Deutschland: Was wissen wir über Schmerzprävalenzen? Schmerz 1999; 13:249–252. 12. Hodes R. Cancer patients‘ needs and concerns when using narcotic analgesics. In: Hill CS, Fields WS, editors. Drug treatment of cancer pain in a drug-oriented society. Advances in Pain Research and Therapy, Vol. 11. New York: Raven Press; 1989:91–9. 13. Jarlbaek L, Hallas J, Kragstrup J, Andersen M. Cancer patients‘ first treatment episode with opioids: a pharmacoepidemiological perspective. Support Care Cancer 2006;14:340–7. 14. Kearney PM, Baigent C, Godwin J, Halls H, Emberson JR, Patrono C: Do selective cyclo-oxygenase-2 inhibitors and traditional non steroidal antiinflamatory drugs increase the risk of atherothrombosis? Meta-analysis of randomized trials. Brit Med J 2006; 332:1302–1308. 15. Koppert W, Wehrfritz A, Körber N, Sittl R, Albrecht S, Schüttler J, Schmelz M. The cyclooxygenase isozyme inhibitors parecoxib and paracetamol reduce central hyperalgesia in humans. Pain 2004, 108: 148–153 16. Munzinger H, Horstkotte E, Hoffmann W. Opioidanalgetika in der Behandlung ambulanter Tumorpatienten 1993 und 1996 – Ergebnisse einer bevölkerungsbezogenen Untersuchung. Schmerz. 2001;15(1):26–32. 17. Lee MA, Leng MEF, Tiernan EJJ: Retrospective study of the use of hydromorphone in palliative care patients with normal and abnormal urea and creatinine. Palliat Med 2001; 15:26–34. 18. Osborne RJ, Joel SP, Slevin ML. Morphine intoxication in renal failure: The role of morphine-6-glucuronide. Br Med J 1986;292:1548–9. 19. Portenoy RK, Sibirceva U, Smout R, Horn S, Connor S, Blum RH, Spence C, Fine PG. Opioid use and survival at the end of life: a survey of a hospice population. J Pain Symptom Manage. 2006;32(6):532–40. 20. Smith MT, Watt JA, Cramond T: Morphine-3-glucuronide – a potent antagonist of morphine analgesia. Life Sci 1990; 47:579–85. 21. Solassol I, Bressolle F, Caumette L, Garcia F, Poujol S; Culine S, Pinguet F. Inter- and Intraindividual Variabilities in Pharmacokinetics of Fentanyl After Repeated 72-Hour Transdermal Applications in Cancer Pain Patients. Ther Drug Monit 2005; 27(4):491–8. 22. Tegeder I, Geisslinger, Lötsch J. Einsatz von Opioiden bei Leber- oder Niereninsuffizienz. Schmerz 1999; 13:3183–95. 23. Valeberg BT, Rustoen T, Bjordal K, Hanestad BR, Paul S, Miaskowski C. Self-reported prevalence, etiology, and characteristics of pain in oncology outpatients. Eur J Pain 2008;12:582–90. 24. van den Beuken-van Everdingen MH, de Rijke JM, Kessels AG, Schouten HC, van Kleef M, Patijn J. Prevalence of pain in patients with cancer: a systematic review of the past 40 years. Ann Oncol 2007;18:1437–49. 25. Whitcomb LA, Kirsh KL, Passik SD. Substance abuse issues in cancer pain. Curr Pain Headache Rep. 2002;6(3):183–90. 26. Wirz S, Wartenberg HC, Schenk M, Weckbecker K, Klöcker N, Junker U. Tumorschmerztherapie bei geriatrischen Patienten. MMW Fortschr Med.
2009 19;151(47):87–90. 27. World Health Organization. Cancer pain relief and palliative care, 2nd ed. Geneva: World Health Organization; 1996. 12. World Health Organization. Cancer pain relief: with a guide to opioid availability. Geneva: World Health Organization; 1996.
Akutschmerz SY 4 Neue Trends in der Akutschmerztherapie W. Meißner1, A. Morin2, M. Hüppe3 1Universitätsklinik Jena, Klinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie, Jena, Deutschland, 2Universitätsklinikum Giessen und Marburg, Klinik für Anästhesie und Intensivtherapie, Marburg, Deutschland, 3Universität zu Lübeck, Klinik für Anästhesiologie, Lübeck, Deutschland Nach wie vor bestehen erhebliche Defizite in der Therapie akuter und postoperativer Schmerzen, wie zahlreiche Untersuchungen zeigen. Die Gründe dafür sind vielfältig: Einerseits werden evidenzbasierte Strategien oft nur partiell umgesetzt und der Therapieerfolg nicht oder unzureichend gemessen. Andererseits – und dies soll Thema dieses Symposiums sein – sind einige neue und auch bewährte Therapiestrategien bisher nur unzureichend untersucht, und insbesondere nichtmedikamentöse Ansätze werden nach wie vor in der Forschung und der klinischen Praxis vernachlässigt. Die lokale Infiltrationsanalgesie (LIA) ist eine Infiltrationstechnik von Lokalanästhetika und Antiphlogistika ins Wundgebiet verbunden mit physikalischen Maßnahmen, die bereits länger klinisch angewandt wird, jedoch erst in letzter Zeit in kontrollierten Studien näher untersucht wurde. Vor etwa zehn Jahren wurde in Australien die sog. LIATechnik (lokale Infiltrationsanästhesie) erprobt, die inzwischen auch in den skandinavischen Ländern eine gewisse Verbreitung gefunden hat. Im Gegensatz zur Epiduralanästhesie oder den peripheren Nervenblockaden ist diese lokale Infiltrationsanästhesie (LIA) einfach, sicher, preisgünstig und erfordert keine besonderen technischen Fertigkeiten. Zusätzlich zu einer Allgemein- oder Spinalanästhesie erfolgt die Infiltration intraoperativ durch den Chirurgen, der sukzessive eine Lösung aus Ropivacain, Ketorolac und Adrenalin in alle Gewebe infiltriert, die während der Operation instrumentiert oder berührt wurden. Ein Katheter wird positioniert, der am Abend des Operationstages und am Folgetag mit einem weiteren Bolus dieser Lösung bestückt und anschließend entfernt wird. Ein strammer Verband mit einer großflächigen Eiskühlung wird für 4-6 Stunden angelegt, um die Analgesiedauer zu verlängern. Eine frühe postoperative Mobilisation wird 3–5 h nach der Operation begonnen. Erste Daten zeigen ermutigende Ergebnisse bei einigen orthopädischen Eingriffen [1]. Im ersten Vortrag wird diskutiert, ob – und wenn ja, in welchen klinischen Situationen – diese Technik herkömmlichen Lokal- bzw. Regionalanalgesietechniken überlegen ist. Eine Kombination aus Nichtopioid- und Opioidanalgetika gilt als Basis der medikamentösen Akutschmerztherapie [2]. Welches Präparat in welchen Situationen zum Einsatz kommen soll und ob es überhaupt eine Differentialindikation für diese Substanzen gibt, soll Gegenstand des zweiten Vortrags sein. Da es sich meist um Präparate ohne Patentschutz oder (wie bei Metamizol) um nur in einigen Ländern verfügbare Substanzen handelt, gibt es nur wenige neue Studien. Vorhandene Daten – insbesondere im Bereich der Nichtopioide – zeigen teilweise kontroverse Ergebnisse. Während die „Oxford League Table of Analgesic Efficacy“ (http://www.medicine.ox.ac.uk/bandolier/booth/painpag/acutrev/analgesics/lftab.html) eine Überlegenheit von antiphlogistischen Analgetika berichtet, zeigen kleinere kontrollierte Studien nur geringe Unterschiede zwischen den gebräuchlichen Nichtopioiden [3]. Im Bereich der Opioide gibt es so gut wie keine kontrollier-
ten Studien, die unterschiedliche Substanzen miteinander vergleichen [4]. Möglicherweise spielt hier jedoch die Art der Applikation (PCA, pflegekontrolliert, parenteral als Bolus, oral in retardierter Form) eine größere Rolle [5]. Auf der Basis des QUIPS-Registers wird eine Analyse des Versorgungsalltags an deutschen Kliniken vorgestellt, die deutliche Unterschiede hinsichtlich der analgetischen Effektivität verschiedener Nichtopioide andeutet. Oral appliziertes Paracetamol und Metamizol erwiesen sich dabei in vielen Fällen als schwächer wirksam als nichtselektive und insbesondere selektive Cyclooxygenasehemmer. Im Bereich der Opioide offensichtlich mehr die Applikationsform als die verwendete Substanz eine Rolle zu spielen scheint. Thema des dritten Vortrages sind psychologische Interventionen im perioperativen Setting. Die aktuelle S3-Leitlinie „Behandlung akuter perioperativer und posttraumatischer Schmerzen“ der AWMF empfiehlt, psychologische Maßnahmen in das perioperative Schmerzmanagement zu integrieren. „Durch adäquate präoperative Informationen und Handlungsanleitungen soll der Patient aktiv in das perioperative Schmerzmanagement eingebunden werden“ [2]. Die Vermittlung von Patienteninformationen wird in der Literatur auch als Patientenedukation bezeichnet. Patienteninformationen zum postoperativen Schmerz können mehrere Funktionen haben (z. B. Wissenserweiterung; Verhaltenslenkung; Befindensbeeinflussung). Sie beinhalten dazu prozedurale, sensorische und/oder psychologische Inhalte. Der Beitrag von M. Hüppe gibt im ersten Teil eine Übersicht zu Art und Wirkungen entsprechender Patienteninformationen. Dabei wird deutlich, dass die Effekte von psychologischen Merkmalen des Patienten abhängen. Ein solches Patientenmerkmal ist die individuelle Stressverarbeitung. Unter Stressverarbeitung („coping“) werden psychische Vorgänge verstanden, die beim Auftreten von Stress initiiert werden, um den Zustand zu vermindern oder zu beenden. Untersuchungen zeigen, dass die individuelle Stressverarbeitung postoperative Schmerzen und die Analgetikaanforderung beeinflussen [6]. Ist es für Patienten sinnvoll, ihnen präoperativ die schmerzbezogene Informationen zukommen zu lassen, die von der S3-Leitlinie empfohlen werden? Es werden Ergebnisse einer Untersuchung berichtet, in der viszeral- und gefäßchirurgische Patienten randomisiert schmerzbezogene Informationen erhielten (Informationsbedingung). Eine Kontrollgruppe erhielt diese Informationen nicht. Die Patienten waren nach individueller negativer Stressverarbeitung in zwei Gruppen geschichtet. Geschulte Patienten hatten eine deutlichere postoperative Schmerzreduktion als nichtgeschulte Patienten (Intergruppen-Effektstärke ES=0,48). Das Risiko für stärkere Schmerzen (NRS>3) war am dritten postoperativen Tag geringer (2,1% vs. 14,6%). Der Einfluss negativer Stressverarbeitung war insgesamt nur schwach [7]. Die Befunde verdeutlichen, dass präoperative Patienteninformationen den postoperativen Schmerzverlauf begünstigen. Sie sind eine wirksame Ergänzung zur medikamentösen Schmerztherapie. Der Beitrag von M. Hüppe thematisiert auch die Umsetzung experimenteller Befunde zur präoperativen Patienteninformation in den klinischen Alltag. 1. Morin AM, Wulf H. [High volume local infiltration analgesia (LIA) for total hip and knee arthroplasty: a brief review of the current status]. Anasthesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2011;46:84–6. 2. Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Schmerztherapie. Behandlung akuter perioperativer und posttraumatischer Schmerzen. http://leitliniennet/ 2007;041/001:11, 38. 3. Brodner G, Gogarten W, Van Aken H, Hahnenkamp K, Wempe C, Freise H, Cosanne I, Huppertz-Thyssen M, Ellger B. Efficacy of intravenous paracetamol compared to dipyrone and parecoxib for postoperative pain management after minor-to-intermediate surgery: a randomised, double-blind trial. Eur J Anaesthesiol 2010. 4. Lenz H, Sandvik L, Qvigstad E, Bjerkelund CE, Raeder J. A comparison of intravenous oxycodone and intravenous morphine in patient-controlled postoperative analgesia after laparoscopic hysterectomy. Anesth Analg Der Schmerz · Supplement 1 · 2011
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Abstracts 2009;109:1279–83. 5. Pogatzki-Zahn EM, Zahn PK, Sabatowski R, Strumpf M, Wirz S, Wiebalck A, Zirngibl H, Meissner W. [Use of controlled release opioids in perioperative pain therapy: a standpoint on a new warning advice in the literature on controlled release opioids]. Schmerz 2009;23:109–11. 6. Schon J, Gerlach K, Huppe M. Influence of negative coping style on postoperative pain reporting and pain-related behaviour. Schmerz 2007;21:146– 53. 7. Grawe JS, Mirow L, Bouchard R, Lindig M, Huppe M. [Impact of preoperative patient education on postoperative pain in consideration of the individual coping style.]. Schmerz 2010;24:575–86.
Kopfschmerz SY 5 Update Kopfschmerz S. Förderreuther1, A. Peikert2, W. Pöllmann3, Z. Katsarava4 1Neurologische Klinik, LMU, Konsildienst, München, Deutschland, 2Neuro-
logische Praxis, Bremen, Deutschland, 3Marianne-Strauß-Klinik, Behandlungszentrum Kempfenhausen, Berg, Deutschland, 4Universitätsklinikum Essen, Westdeutsches Kopfschmerzzentrum, Essen, Deutschland Die Diagnostik und Therapie von Kopfschmerzen ist im Fluss. Die wichtigsten Neuerungen, die in den letzten 2 Jahren zu ausgewählten Themen publiziert wurden, sind hier zusammengefasst.
Medikamentenübergebrauchskopfschmerz Kopfschmerzen, die durch eine zu häufige Einnahme von Schmerzoder speziellen Migränemedikamenten verursacht werden, sind zu einem zunehmenden Problem geworden. Epidemiologische Untersuchungen zeigen jedoch, dass diese Kopfschmerzen sehr starken Fluktuationen unterliegen. Chronische Kopfschmerzen sind nicht unausweichlich ein Endstadium. Nicht jeder Patient der heute an 20 Tagen KS hat, leidet an einem dauerhaft chronischen Kopfschmerzsyndrom im Sinne der alt bekannten Terminologie, da sich viele Patienten auch spontan bessern. Die Behandlung der Patienten, die sich nicht spontan bessern, bleibt eine große Herausforderung. Auch wenn BOTOX die Behandlungsmöglichkeiten von Patienten mit chronischen Kopfschmerzen und Medikamentenübergebrauch erweitert, sollte die Bedeutung der Entzugstherapie nicht unterschätzt werden. Die regelmäßige Betreuung des Patienten unter Einbeziehung der Angehörigen und die sensible Aufklärung über die Ursache der Kopfschmerzen sind oft die entscheidende Basis für die Entzugstherapie. Die Erfahrung zeigt, dass allein schon durch die entsprechende Aufklärung bei den Patienten ein Umdenken angestoßen wird, das nicht selten in einer Änderung des Einnahmeverhaltens resultiert. Vertieft wird die weitere Behandlung durch die Möglichkeiten der tagklinischen Betreuung, die den Patienten neben der medikamentösen Therapie gerade auch die nichtmedikamentösen und verhaltesmedizinisch orientierten Therapiewege eröffnet. Vollstationäre Behandlungen und Entzüge, die in der Zeit der Ergotamine und barbiturathaltigen Mischpräparate die Regel waren, sind heute die Ausnahme. Die begleitende medikamentöse Prophylaxe in Kombination mit den nicht medikamentösen Maßnahmen ist nach einem Entzug die Grundvoraussetzung für eine dauerhafte Stabilisierung der Patienten. Bildgebungsstudien zeigen uns, dass die Schmerzmatrix auch bei chronischen Kopfschmerzpatienten plastisch ist.
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Spannungskopfschmerz Während der episodische SK als häufigste idiopathische Kopfschmerzform meist keine therapeutischen Probleme aufwirft, bleibt die chronische Form mit die am schwierigsten zu behandelnde Entität. Die Pathogenese gilt als multifaktoriell und umfasst periphere (myofasziale Nozizeption) und zentrale Mechanismen (Sensitivierung und inadäquate endogene Schmerzkontrolle). Studien und Metaanalysen der letzen beiden Jahre befassen sich mit dem therapeutischen Gewinn von medikamentösen und nichtmedikamentösen Maßnahmen sowie von Kombinationen davon. Bessere Evidenz liegt für kombinierte Behandlungen vor. Stärker und von psychiatrischen Komorbiditäten Betroffene scheinen zudem größere Chancen auf Besserung zu haben. Gleich mehrfach wurde in den letzten 2 Jahren das Thema Trizyclica behandelt. Ihr Therapieeffekt nimmt bei längerer Anwendung und höherer Dosierung eher zu und sie sind insgesamt überraschend gut verträglich. Nichts Neues gibt es bei den Mitteln der zweiten Wahl, deren Wirksamkeitsnachweis weiterhin deutlich schlechter ist. Bei den vaskulären Kopfschmerzsyndromen dominieren derzeit Artikel zum reversiblen zerebralen Vasokonstriktionssyndrom (RZV) – einer Angiopathie mit perlschnurartigen arteriellen Spasmen, die zu rezidivierenden Kopfschmerzattacken (typischerweise Thunderclap) führt und mit schwerwiegenden Komplikationen einhergehen kann. Der Verlauf ist oft gutartig mit spontanem Sistieren der Attacken ohne wesentliche Komplikationen oder kompliziert durch die Entwicklung eines fokalen Hirnödems, zerebraler Ischämien oder kortikaler Subarachnoidalblutungen. Diagnostisch stellt die Abgrenzung von der primären zerebralen Angiopathie die größte Herausforderung dar – zumal dies erhebliche therapeutische Konsequenzen (Kalziumantagonisten vs. Steroide) zur Folge hat. Die Hinweise darauf, dass vor allem der Kopfschmerztyp (Thunderclap beim RZV vs. subakut einsetzender Kopfschmerz) und der Verlauf (akut mit rezidivierenden Attacken beim RZV vs. subakut, progredient) diagnostisch wegweisend sind, verdichten sich. Die Hypothesen zu den extrakraniellen vaskulären Mechanismen in der Entstehung der Migränekopfschmerzen erleben derzeit ein Revival. Gefäßuntersuchungen zeigen, dass es in der Attacke zu einer Vasodilatation intra- wie extrakranieller Gefäße kommt und dass eine wirkungsvolle Kupierung der Attacke ihr Korrelat wahrscheinlich in der Konstriktion der extrakraniellen Gefäße hat, da eine Dilatation der intrakraniellen Gefäße nach erfolgreicher Attackenkupierung persistiert. Auch der Stellenwert von nichtrupturierten zerebralen Aneurysmen und deren Bedeutung für Kopfschmerzen wurde in jüngster Zeit von 2 Arbeitsgruppen untersucht. Es ist interessant, dass beide Studien sowohl durch die endovaskuläre Therapie als auch durch die Operation eine deutliche Besserung von vorbestehenden Kopfschmerzerkrankungen nachweisen konnten. Auch wenn diese Daten den Anschein erwecken, dass primäre Kopfschmerzerkrankungen wie Migräne und Spannungskopfschmerz durch das Ausschalten eines Aneurysmas gebessert werden können, heißt dies sicher nicht im Umkehrschluss, dass für alle primären Kopfschmerzerkrankungen Bildgebung zu fordern ist, da umgekehrt Bildgebungsuntersuchungen keine erhöhte Inzidenz von Gefäßmissbildungen bei Patienten mit primären Kopfschmerzsyndromen und normalem Untersuchungsbefund nachweisen konnten. Bei über 400 Publikationen zum Thema Gesichtsschmerz im Zeitraum von 2 Jahren (7/2009 bis 7/2011) dominieren Arbeiten zur Trigeminusneuralgie. Große Fortschritte sind zu in der Bildgebung verzeichnen. Mittels hoch auflösendem MRT können nicht neurovaskuläre Kompressionssyndrome sensitiver nachgewiesen werden, sondern teilweise sogar mikrostrukturelle Nervenveränderungen. 3D-Techniken kombiniert mit MRA erlauben eine präoperative Planung auf höchstem Niveau. Diese sind besonders relevant zur Erfassung von potentiellen neurovaskulären Mehrfachkontakten (z. B. Trigeminus- und Glossopharyngeusneualgie).
Zur medikamentösen Therapie ergeben sich positive Hinweise zum Einsatz von Pregabalin und Levetiracetam. Botolinumtoxin soll bei Injektion in Triggerzonen additiv hilfreich sein, in Einzelfällen auch Blockaden mit Lokalanästhetika. Mehr als ein Viertel der Publikationen bezieht sich auf systematische Untersuchungen zur Eskalationstherapie: Bei neurochirurgischer Interventionen erweist sich die mikrovaskuläre Dekompression (MVD) als überlegenes Verfahren hinsichtlich der Langzeiterfolge, wo zunehmend auch ältere Patienten erfolgreich operiert werden können. Thermoläsion, Ballonkompression oder Glycerintherapie sind risikoärmer, erfordern aber häufiger weitere Eingriffe. Die radiochirurgischen Behandlung mit Gamma-Knife, CyberKnife oder Linearbeschleuniger ist hinsichtlich der Wirkungsdauer enttäuschend. Grundsätzlich sinkt die Erfolgsrate jeder Eskalationstherapie mit der Zahl von Vorinterventionen, der Beteiligung mehrerer Trigeminusäste, dem Vorhandenseins eines neuropathischen Dauerschmerzes und dem Ausbleiben einer Sensibilitätsstörung nach dem Eingriff. Der anhaltende idiopathische Gesichtsschmerz entspricht gemäß den Ergebnissen von QST-Untersuchungen am ehesten einem chronischen neuropathischen Schmerz. Bildgebend wurde mittels voxel-basierter MR-Morphometrie im Vergleich zu Gesunden eine signifikante Abnahme des Volumens der grauen Substanz unter anderem im linken anterioren Gyrus cinguli gezeigt. Insgesamt zeigt sich dank der Fortschritte in der Bildgebung und der vermehrten Langzeitdaten eine Tendenz zu mehr Klarheit hinsichtlich des Einsatzes und der Vorplanung eskalierender Verfahren, wobei die vorherige genaue Schmerzanalyse unter Einbeziehung von QST von großer Bedeutung ist.
Transfer von der Grundlagenforschung in die Klinik SY 6 Mechanismen der Schmerzhemmung: neue Aspekte C. Maihöfner1, F. Birklein2, H. Flor3 1Klinik für Neurologie und Schmerzzentrum, Universität Erlangen, Erlangen, Deutschland, 2Johannes Gutenberg Universität Mainz, Klinik und Poliklinik für Neurologie, Mainz, Deutschland, 3Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Lehrstuhl für Neuropsychologie an der RuprechtKarls-Universität Heidelberg, Mannheim, Deutschland Endogene Mechanismen der Schmerzhemmung bilden die Grundlage für eine erstaunliche Modulation der Verarbeitung nozizeptiver Reize. In den letzten Jahren haben sich hier eine Reihe von neuen Erkenntnissen in der Grundlagenforschung ergeben, die bereits erste Ansätze für neue Therapieverfahren absehen lassen. Im ersten Vortrag (C. Maihöfner) wird gezeigt, welche neurophysiologischen Mechanismen der Schmerzhemmung beim Menschen eine Rolle spielen. Dies hat bereits jetzt Implikationen für die Entwicklung von Therapiestrategien, die stimulative Verfahren als Grundlage haben, wie beispielsweise die repetitive transkranielle Magnetstimulation (rTMS) und TENS. Die funktionelle Bildgebung ermöglicht des Weiteren erstmal das „Sichtbarmachen“ von pharmakologischen Effekten im menschlichen Gehirn. Im Vortrag werden verschiedene Studien demonstriert, die diese Aspekte näher erläutern. Individuelle Unterschiede in der endogenen Schmerzmodulation könnten einen Risikofaktor für das entstehen chronischer Schmerzsyndrome sein. Umgekehrt könnten chronische Schmerzsyndrome Einfluss auf die Aktivität oder Kapazität von endogenen schmerzmodulierenden Systemen haben. Prinzipiell existieren drei Hauptmechanismen der endogenen Schmerzmodulation: Erstens können Mechanismen der „Langzeitpotenzierung“ (LTP) und „Lanzeitdepression“ (LTD) an den Synapsen im Hinterhorn des Rückenmarkes die Weiterleitung nozizeptiver Signale modifizieren. Zweitens können spinale inhibitorische Interneurone „feed-forward“ und „feed-back“ eine Hemmung auf spi-
nothalamische und spinobulbäre Projektionsneurone ausüben. Drittens können deszendierende Systeme mit Ursprung im Hirnstamm den nozizeptiven Einstrom aus der Peripherie sowohl inhibieren als auch fazilitieren. Das periaquäduktale Grau (PAG) und die rostroventrale Medulla (RVM) sind die zentralen anatomischen Strukturen der endogenen deszendierenden Schmerzmodulation und projizieren auf spinale Hinterhornneurone. Eine ungenügende Schmerzinhibition oder eine gesteigerte Schmerzfazilitation könnte entsprechend eine Rolle in der Pathophysiologie chronischer Schmerzsyndrome spielen. Häufig werden zur Untersuchung dieser Phänomene zunächst Surrogatmodelle bei gesunden Probanden eingesetzt. Mittels niederfrequenter (0,5 Hz) schmerzhafter transdermaler elektrischer Stimulation mechanoinsensitiver C-Fasern lässt sich beispielsweise bei Probanden eine sekundäre mechanische Hyperalgesie induzieren. Dagegen ist bei höherfrequenter Reizung mit 20 Hz ein hypoalgetisches Areal nachweisbar. Dieser Effekt lässt sich nicht durch einen Lidocain-Ring um den Reizort blockieren, sodass von einer zentral vermittelten Schmerzmodulation ausgegangen werden muss. In einer ersten Studie (Nickel et al., 2011) wurde untersucht, ob sich die Ausbildung einer durch Stimulation mit 0,5 Hz induzierten Hyperalgesie durch eine simultane differentielle Stimulation mit 20 Hz modulieren lässt. In diesem Hyperalgesie-Modell lässt sich die zentrale pronozizeptive Aktivierung schmerzmodulierender Systeme tatsächlich durch eine simultane hochfrequente Stimulation mechanoinsensitiver C-Fasern mit 20 Hz hemmen. Ob dies auch in klinischen Populationen der Fall ist, wurde in einer Folgestudie untersucht. Bei 12 Patienten mit einem komplex-regionalen Schmerzsyndrom (CRPS) der Hand und 12 gesunden Kontrollprobanden wurde im Bereich der mechanischen Hyperalgesie bzw. in einem Kontrollareal transdermal elektrisch stimuliert. Dabei wurde die Stromstärke mit dem Ziel „5“ auf der numerischen Ratingskala (NRS) von 0 bis 10 reguliert. Vor und nach Stimulation wurden die Taktile Detektionsschwelle (TDT) und die Mechanische Schmerzschwelle (MPT) 2 cm vom Stimulationsort entfernt gemessen. Vor Stimulation war die TDT in beiden Gruppen nicht unterschiedlich, aber die MPT der Patienten im Vergleich zur Kontrollgruppe reduziert im Sinne einer mechanischen Hyperalgesie. Nach Stimulation war die MPT der Patienten signifikant höher als zuvor. Ein signifikanter Unterschied zur Kontrollgruppe bestand nicht mehr. Überraschenderweise sank die TDT der CRPS-Patienten nach Stimulation. Hinsichtlich der für ein NRS-Rating von „5“ benötigten Stromstärken sowie der Adaptation an den elektrischen Schmerzreiz ließen sich zwischen den Gruppen keine signifikanten Unterschiede nachweisen. Offensichtlich wirkt damit eine transdermale elektrische noxische Stimulation mit 20 Hz nicht nur im humanen Modell, sondern auch bei neuropathischen Schmerzen im Rahmen eines CRPS antihyperalgetisch. Weitere im Vortrag dargestellte Studien betreffen die defiziente endogene Schmerzhemmung beim chronischen Schmerz und die neuronavigierte rTMS. Im zweiten Vortrag (F. Birklein) wird die kontextabhängige Beeinflussung der Schmerzmodulation dargestellt. In den letzten Jahren ist es auffällig, dass Patienten mit einer vorgefertigten Meinung über ihren Krankheitsverlauf vorstellig werden. Diese vorgefertigte Meinung resultierte im Wesentlichen aus verfügbaren Presseinformationen, aber auch aus den Aussagen vorbehandelnder Kollegen. In der Regel herrschte die Meinung, dass sie sowieso nicht mehr therapiert werden können, da chronische Schmerzen oft unbehandelbar seien. Um einen möglichen Einfluss solcher Aussagen auf die Schmerzwahrnehmung und Schmerzentwicklung von Patienten abschätzen zu können, hat die Arbeitsgruppe folgende Untersuchung durchgeführt (Doganci et al. 2011). Wenn man gesunde Probanden jeden Tag mit mäßig starken Hitzeschmerzreizen konfrontiert, so nimmt über einen Zeitraum von 8 Tagen das Schmerzempfinden kontinuierlich ab. Diesen Effekt nennt man Habituation. Die Frage war nun, ob eine einmalige Instruktion vor Beginn dieser Untersuchungsserie, die den Probanden im Rahmen des Aufklärungsgespräches mitgeteilt wurde, die Habituation der Hitzeschmerzreize verändert. Dazu wurden 4 Gruppen von Probanden rekrutiert, die sich alle gegenseitig nicht kannten. Die durchschnittliche Der Schmerz · Supplement 1 · 2011
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Abstracts Gruppenstärke war 10. Die erste Gruppe erhielt keinerlei Instruktionen, sie wurde nur über das Verfahren aufgeklärt. Die zweite Gruppe erhielt die Instruktion, dass wir erwarten, dass die Schmerzreize sich im Laufe der kommenden Woche während der Stimulation deutlich abschwächen, weil es zu einem Gewöhnungseffekt kommt. Die dritte Gruppe erhielt die Instruktion, dass wir erwarten, dass die Schmerzreize stetig zunehmen, weil sich ein Schmerzgedächtnis ausbildet. Die vierte Gruppe erhielt die Instruktion, dass wir die Stabilität der Reize untersuchen wollten und damit überprüfen, ob wiederholt applizierte Schmerzreize auch ein über die Zeit hinweg vergleichbares Schmerzempfinden auslösen. Das Ergebnis war eindrücklich. Eine einmalige differente Instruktion (Kontext) ergab, dass nach einer Woche in der ersten Gruppe (kein Kontext) die natürliche Habituation auftrat, die in der zweiten Gruppe signifikant verstärkt war (Habituationsgruppe), diese Habituation war in der dritten Gruppe (Sensibilisierung) genauso wie in der vierten Gruppe (Stabilität) komplett aufgehoben. Eine Umkehrung Richtung Sensibilisierung fand allerdings nicht statt. Dieses Experiment belegte eindrücklich, dass eine einmalige Anweisung das Schmerzempfinden über Tage hinweg beeinflusst. In einer zweiten Untersuchung (Rodriguez-Raecke et al. 2010) zum gleichen Thema wurde das Paradigma wiederholt, nur dass wir uns auf die Gruppe ohne Instruktionen und auf die Gruppe mit der Instruktion „Sensibilisierung“ konzentrierten. Wie in der Voruntersuchung habituierten die Probanden ohne spezifische Kontextinstruktion, während bei den Probanden mit der Instruktion „Sensibilisierung“ die Habituation ausblieb. Die funktionellen MRT-Untersuchungen, die dazu gemacht wurden, ergaben, dass sich zwischen den beiden Gruppen ein einziger Unterschied fand. Dies war die Aktivierung im rechten parietalen Operkulum, welche bei den instruierten Patienten signifikant stärker war. Dies belegte, dass eine Nocebo-Instruktion die zentrale Schmerzverarbeitung signifikant beeinflusst. Auch die rechte parietale Insel und bei niedriger Schwelle auch die linke parietale Insel sowie Thalamus und Amygdala tragen signifikant zur Schmerzempfindung aber auch der kognitiven Verarbeitung von Schmerzen bei. Daraus lernen wir, dass eine Aufklärung über die Schmerzen und deren Konsequenzen von den behandelnden Ärzten mit Sorgfalt durchgeführt werden sollte. Einzelne im Aufklärungsgespräch fallengelassene Bemerkungen können einen fatalen Effekt haben. Der dritte Beitrag (H. Flor) fokussiert schließlich auf die kognitiven Aspekte der Schmerzhemmung. Es ist schon lange bekannt, dass Schmerz durch kognitive Prozesse verstärkt, aber auch positiv beeinflusst werden kann. Zu diesen kognitiven Einflüssen gehört die Modulation der Aufmerksamkeit, die Veränderung des Schmerzgedächtnisses, aber auch die Beeinflussung der Vorhersagbarkeit und der Kontrollierbarkeit von Schmerz. In neueren Untersuchungen zur kognitiven Beeinflussung der deszendierenden Schmerzhemmung hat die Arbeitsgruppe mittels kognitiver Aufgaben (Kopfrechnen unter Lärm) eine Stressanalgesie induziert und deren neuronale Korrelate untersucht. Diese Analgesie zeigt sich in erhöhten Schmerzschwellen und einer erhöhten Toleranz sowie verminderten Einstufungen repetitiver nozizeptiver Reize, die mit einer erhöhten Aktivierung im rostralen anterioren Gyrus cinguli einhergehen, einer Region, die auch mit der Placeboanalgesie in Zusammenhang gebracht wurde (Yilmaz et al., 2010). Es fand sich darüber hinaus eine erhöhte kognitiv induzierte Analgesie bei Patienten mit posttraumatischer Belastungsstörung (Diener et al., im Druck) und eine verminderte Stressanalgesie bei Patienten mit chronischen Schmerzsyndromen der Skelettmuskulatur mit analogen Veränderungen der Aktivierung vor allem des anterioren Gyrus cinguli. Dies hat wichtige Implikationen für die Therapie dieser Störungen, da kognitive Interventionen unterschiedlich wirksam sein dürften und gerade bei chronischen Schmerzen weniger effektiv sein könnten als vermutet. Ein weiterer entscheidender kognitiver Faktor ist die Unvorhersagbarkeit von Schmerz. In einer Studie, in der über zehn Tage entweder vorhersagbare oder unvorhersagbare Schmerzreize gegeben wurden, zeigte sich, dass vorhersagbarer Schmerz die Schmerzschwelle und Toleranz über die übliche Habituation hinaus erhöht und zu einem veränderten Hirnaktivierungsmuster auf die identischen no-
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zizeptiven Reize führt, das durch weniger Angst (verminderte hippokampale Aktivierung) und durch eine stärkere Betonung sensorischer (somatosensorischer Kortex) statt affektiver Aspekte (anteriorer Gyrus cinguli, anteriore Insula) gekennzeichnet ist. Neue therapeutische Ansätze greifen dies auf und versuchen durch Extinktionsverfahren mit dem Schmerzgedächtnis und damit einhergehenden schmerzverstärkenden Verhaltensweisen zu interferieren (Flor, 2009). Dies führt zu einer veränderten Aktivierung im somatosensorischen Kortex, dem anterioren Gyrus coinguli und der Insula, die mit dem Therapieerfolg korrelieren. Zusammengefasst kann der Zuhörer in diesem Symposium die grundlegenden Mechanismen der Schmerzhemmung kennen lernen. Es werden darüber hinaus erste therapeutische Möglichkeiten aufgezeigt, die auf diesen neuen Erkenntnissen basieren. 1. Diener SL. Et al., 2011, J Affective Disorders; im Druck. 2. Doganci B. et al., 2011, Eur J Pain; 15:384–288. 3. Flor H. et al., 2009, Extinction of pain memories: Importance for the treatment of chronic pain. In J. Castro-Lopes (Ed.), Current topics in pain: 12th World Congress on Pain. (pp. 221–244). Seattle: IASP Press. 4. Nickel F. et al., 2011, Pain; 152:1298–303. 5. Rodriguez-Raecke R. et al., 2010, J Neurosci; 30:11363–11368. 6. Seifert F. et al., 2009, Brain; 132:788–800. 7. Seifert F. et al., 2010, Neuroscience; 170:670–7. 8. Yilmaz P. et al., 2010, Pain; 151:522–9.
Experimentelle Modelle und Pathophysiologie SY 7 Thalamus und Insel U. Baumgärtner1, O. Summ2, B. Baier3 1Universitätsmedizin Mannheim, Lehrstuhl für Neurophysiologie am CBTM, Mannheim, Deutschland, 2Universität Münster, Neurologie, Münster, Deutschland, 3Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität, Klinik für Neurologie, Mainz, Deutschland In diesem Symposium soll die Rolle zweier Schlüsselstrukturen bei der Schmerzverarbeitung, des Thalamus und der Insel, nach aktuellem Stand der Forschung analysiert werden. Dem Thalamus kommt eine herausragende Bedeutung bei der Kanalisierung und Modulation nozizeptiver und anderer Signale zu, während die Insel das möglicherweise wichtigste kortikale Projektionsareal darstellt. In jüngerer Vergangenheit gab es deutliche Fortschritte im Verständnis der dort ablaufenden Prozesse; viele Fragen bleiben aber aktuell offen. Somatosensorische Informationen aus unserem Körper gelangen über unterschiedliche Nervenfasertypen ins Hinterhorn des Rückenmarks, wo die Umschaltung auf zentrale Projektionsneurone erfolgt. In unterschiedlichen Laminae werden nozizeptiv-spezifische Informationen über sog. hochschwellige Neurone, nichtnozizeptive Signale über niederschwellig-somatosensorische Neurone und über verschiedene Intensitäten integrierte Signale über konvergente (sog. WDR-) -Neurone fortgeleitet. Neben dem Hinterhorn des Rückenmarks selbst ist der Thalamus wichtigste Integrationsstruktur, bevor die Signale an den Kortex weitergeleitet und damit potentiell bewusst wahrgenommen werden. Wo genau nozizeptive Information verarbeitet wird, ist nicht unstrittig: Der traditionellen Sicht nach (Jones/Willis) sind die posterior-lateral gelegenen Kerne VPM und VPL wesentlich, wo auch nichtnozizeptive somatosensorische Information verarbeitet wird; der alternativen Sicht nach (Craig) gibt es einen Kern (VMpo), der spezifisch nozizeptive Information aus Lamina I verarbeitet. An dieser Stelle setzt der erste Vortrag (O. Summ) an, in dem insbesondere Ergebnisse von Bildgebungsstudien zu Kopfschmerzerkrankungen, welche eine trigeminothalamische Aktivierung als pathophy-
siologischen Bestandteil aufweisen, präsentiert werden. Des Weiteren wird auf tierexperimentelle elektrophysiologische Studien, welche die Pharmakologie des Thalamus näher beleuchten sowie auf Neurostimulationstechniken zur Behandlung therapieresistenter/-refraktärer Schmerzerkrankungen eingegangen. Zur Veranschaulichung möglicher Ziele der Modulation thalamischer Aktivität werden während des Vortrags folgende Inhalte thematisiert: (1) Organisation des Thalamus (mit Entwicklung, Differenzierung und somatotopischer Organisation, (2) die Einbindung in die nozizeptive Transmission mit Demonstration histologischer und elektrophysiologischer Untersuchungen sowie Bildgebungsstudien und (3) thalamische Neuromodulation über endogene Mechanismen, pharmakologische Ansätze und Neurostimulation. Schließlich werden (4) Fallstricke bei physiologischen Untersuchungen und der Interpretation der Ergebnisse beschrieben. Das in Bildgebungsstudien neben dem Thalamus am häufigsten aktivierte Hirnareal – häufiger als der primäre und sekundäre somatosensorische Kortex – ist die Insel (Apkarian et al. 2005). Anatomisch-funktionell lässt sie sich sowohl dem lateralen Schmerzsystem („sensorische Schmerzkomponente“) als auch dem medialen System („affektive Komponente“) zuordnen. Die anatomischen Verbindungen des insulären Kortex sind überwiegend reziprok und beinhalten Projektionen vom bzw. zum frontalen (Operculum, Prämotorkortex), temporalen (Hörrinde und Sulcus temporalis superior), als auch den parietalen Kortex (primären und sekundären somatosensorischen und motorischen Kortex). Überdies bestehen Verbindungen zu den Basalganglien, zu den limbischen Strukturen wie der Amygdala, sowie dem Gyrus cinguli und dem entorhinalen Kortex (Augustine 2000). Die Funktion der Insel im nozizeptiven System und im Rahmen übergeordneter Funktionen ist Thema der beiden folgenden Vorträge. Die Rolle bei der nozizeptiven Verarbeitung wird durch Ergebnisinterpretationen von Studien am Affen und am Menschen erörtert (U. Baumgärtner). Wichtige Aspekte sind dabei die Frage der somatotopen Repräsentation (neurophysiologische und Bildgebungsstudien) und der zeitlichen Abfolge der Verarbeitung, die mittels intrazerebraler Ableitungen bei zur Epilepsiechirurgie vorgesehenen Patienten möglich sind. Zwei Akzente dieses Vortrages liegen in der Erörterung der Frage, inwieweit es funktionell-spezifische Verarbeitung der Insel für nozizeptive Reize im Gegensatz zu benachbarten Hirnregionen (operkulärer Kortex; S2) gibt, und inwieweit es Hinweise dafür gibt, ob Teilbereiche der Insel spezifisch für die nozizeptive Verarbeitung im Gegensatz zur somatosensorischen, nichtnozizeptiven Verarbeitung sind. Schließlich beschäftigt sich der dritte Vortrag (B. Baier) anhand der Ergebnisse aus Bildgebungs- und Läsionsstudien mit multisensorischer Informationsverarbeitung innerhalb der Insel, die nach Auffassung einiger Autoren als übergeordnetes „interozeptives“ Integrationszentrum für multisensorische und vegetative Reize verstanden werden könne und die für die Aufrechterhaltung der Körperhomöostase zuständig sei. In den letzten Jahren konnte nachgewiesen werden, dass der insuläre Kortex bei komplexen multisensorischen Wahrnehmungsvorgängen einerseits wie Schmerz oder Sprachverarbeitung, aber auch in der Körper- und Raumwahrnehmung eine tragende Rolle spielt. Dabei sind für die Körperwahrnehmung neben somatosensorischen, visuellen und propriozeptiven Signalen auch vestibuläre Informationen von Bedeutung. Durch funktionelle Bildgebungsstudien an gesunden Probanden wurde belegt, dass vestibuläre Stimulation eine Aktivierung des insulären Cortex bedingt. Auch berichteten gesunde Probanden, dass sie während kalorischer Reizung ein Gefühl der Depersonalisation hatten. Parallelen zwischen der durch vestibulärer Störungen bedingten Verkippung der extrapersonellen räumlichen Umgebung („tilt illusion“) mit „out-of-body“ Erfahrungen weisen auf einen Zusammenhang zwischen vestibulärem System und Körperwahrnehmung hin und spiegeln die Multimodalität des insulären Kortex wieder. Studien, die bei Patienten mit Inselläsionen ein Neglectphänomen nachgewiesen haben, stellen einen Beleg für die insuläre visuell-räumliche Informationsverarbeitung dar.
Die funktionelle Rolle der umfangreichen bekannten anatomischen Verbindungen des insulären Kortex könnte daher in der multimodalen Integration derartig komplexer Wahrnehmungsprozesse liegen, was die Interpretation der Inselrinde als „interozeptiven Kortex“ stützt.
Pharmakologische Verfahren SY 8 Nocebo – der dunkle Zwilling des Placebo W. Häuser1, P. Enck2, S. Klosterhalfen3, E. Hansen4 1Klinikum Saarbrücken, Klinik Innere Medizin 1, Saarbrücken, Deutschland, 2Medizinische Universitätsklinik Tübingen, Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Tübingen, Deutschland, 3Medizinische Universitätsklinik Tübingen, Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Tübingen, Deutschland, 4Klinikum der Universität Regensburg, Klinik für Anästhesiologie, Regensburg, Deutschland In dem Symposium werden die neurobiologischen Grundlagen und die Bedeutung von Noceboeffekten im klinischen Alltag der Medizin dargestellt.
Neuro- und Psychobiologie des Noceboeffektes (P. Enck, S. Klosterhalfen) Unter Noceboeffekten werden Symptome und Symptomverschlimmerungen zusammengefasst, die unter Placebogabe entstehen (z. B. im Rahmen klinischen Studien im Placeboarm der Studie) oder die entstehen, wenn falsche Erwartungen von Patienten an eine Behandlung Nebenwirkungen („adverse events“) erzeugt werden. Eine medizinische Fehldiagnose ohne eine Behandlung kann ebenfalls Symptome erzeugen, die dann als Noceboresponse bezeichnet werden können [2]. Während das Stichwort „Placebo“ in PUBMED eine Vielzahl von Studien (Experimente, Reviews, Metaanalysen) erbringt, sind die publizierten Daten zum Noceboeffekt eher spärlich. Die drei zentralen Fragen einer „Noceboforschung“ sind: a) Werden Noceboeffekte wie Placeboeffekte durch die gleichen psychologischen Mechanismen erzeugt wie Placeboeffekte, z. T. durch Lernen (Konditionierung) und durch Erwartungsreaktionen? b) Haben Noceboeffekte eine neurobiologische Grundlage, und unterscheidet sich diese von den Mediatoren der Placeboantwort? c) Sind die Moderatoren der Noceboantwort andere als für die Placeboresponse [2]? In Beantwortung der ersten Frage haben a) experimentelle Untersuchungen gezeigt, dass sowohl Pavlowsche Konditionierung wie auch Manipulation von Erwartungen Symptomverschlechterungen erzeugen können, z. B. von Übelkeit und Hyperalgesie; b) Metaanalysen klinische Studien haben gezeigt, dass die Nebenwirkungen der Placebogabe in Medikamentenstudien z. B. zur Depression unter anderem von den in Patientenaufklärungen gelisteten möglichen Nebenwirkungen gesteuert werden, und dass systematische Variation dieser Informationen die Nebenwirkungen verändern. c) In experimentellen Untersuchungen wurde gezeigt, dass eine Hyperalgesie zentral über das Hormon CCK vermittelt ist, da CCK-Antagonisten diese Schmerzverstärkung aufheben. Ob CCK auch für andere Noceboeffekte verantwortlich ist, ist bislang unbekannt. d) Aus metaanalytischen Untersuchungen wiederum ist bekannt, dass einigen der Moderatoren der Placeboantwort, z. B. Alter und Geschlecht auch bei der Noceboreaktion wirksam sind [2, 6]. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Placebo- und Noceboreaktionen ähnlichen Regeln folgen, vermutlich aber durch spezifische neurobiologische Mediatoren vermittelt sind. Ihre klinische Ausprägung (Moderation) wiederum folgt ähnlichen Gesetzmäßigkeiten. Ob es für beide, Placebo und Nocebo, auch (gemeinsame oder unterschiedliche) Der Schmerz · Supplement 1 · 2011
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Abstracts genetische Prädispositionen gibt muss die zukünftige Forschung zeigen. (Unterstützt durch DFG En 50/30 im Rahmen der transregionalen Forschergruppe FOR 1328.)
Noceboeffekte in der ärztlichen und pflegerischen Kommunika tion (E. Hansen) Noceboeffekte bei nichtmedikamentöser Therapie Wie die Ankündigung eines Medikamentes dessen Nebenwirkungen auslösen kann, auch wenn es nicht gegeben wird, so kann ebenso schon die Ankündigung eines schwachen Stromes oder eines elektromagnetischen Feldes Kopfschmerz bewirken [12]. Beim Zahnarzt kann bereits der Anblick des Behandlungszimmers oder der Instrumente Schmerzen und Angst auslösen oder verstärken. Die Symptome bei Parkinsonpatienten mit Tiefer Hirnstimulation sind deutlich stärker, wenn der Patient von dem Abschalten des Hirnschrittmachers weiß oder von dem Einschalten nicht weiß [9]. In der Medizin geht man gewöhnlich von der Annahme aus, dass Patienten davon profitieren, wenn man schmerzhafte Manipulationen vorher ankündigt und sich mitfühlend äußert, so sie eingetreten. Aktuelle Studien zeigen dagegen, dass dem nicht so ist, dass der Schmerz sogar stärker ist, wenn dabei negative Wörter verwendet werden [7, 13]. Hierbei spielen neben klassischen Placebo-Komponenten wie Konditionierung oder Erwartungshaltung negative Suggestionen eine große Rolle.
Negativsuggestionen Das medizinische Umfeld ist voller negativer Suggestionen, die meisten erfolgen unbedacht. Patienten sind dafür besonders anfällig, weil sie viele medizinische Situationen als existentiell bedrohlich erleben und Menschen in Extremsituationen oft in einen natürlichen Trancezustand gehen, in dem sie alles auf sich beziehen und erhöht suggestibel sind [3]. Viele schädliche Wirkungen ergeben sich aus Eigenheiten dieses besonderen Bewusstseinszustandes, wie Missverständnisse durch Altersregression und wortwörtlichem Verstehen, oder der Unwirksamkeit von Verneinungen und Verkleinerungen. So geht von „Sie brauchen keine Angst zu haben“ oder „Das blutet jetzt mal ein bisschen“ keine Beruhigung aus, es bleiben vielmehr die starken Worte und Bilder „Angst“ und „Blut“. Der medizinische Fachjargon und v. a. die medizinische Aufklärung sind eine reiche Quelle von Negativsuggestionen. Dazu kommen direkte Negativsuggestionen wie „Sie sind ein Risikopatient.“ Oder „Das tut schon immer höllisch weh.“ [4]. Neben dem medizinischen Personal sind es jedoch auch die wohlwollenden Verwandten und Freunde, die durch die nahe Bindung besonders wirksam mit ihren Negativsuggestionen sind [11].
Nonverbale Negativsuggestionen Negativ einwirken können aber auch die gesamte medizinische Umgebung, die Geräte, die Unterhaltungen, die Geräusche (Sauger, Bohrer), das Gehabe (Patient als Objekt), der Kontrollverlust und die aufgezwungene passive Rolle. So verhindert der Blick des Anästhesisten oder Zahnarztes mit Mundschutz über den Kopf des liegenden Patienten die biologisch verankerte Gesichterkennung und wirkt beängstigend. Der Patient sieht oft nicht die wohnlichen Wände sondern v. a. die schmucklose Decke. Ob und wie negativ die Wirkung auf den Patienten ist, ergibt sich aus dem Kontext, z. T. aus den persönlichen Vorerfahrungen und Verletzungen des Patienten und aus der therapeutischen Beziehung oder ihrem Fehlen. Dies macht ein Gefühl des Alleingelassenseins zu einem der stärksten Negativeffekte. Die Kenntnis des besonderen Zustands des Patienten und der verschiedenen Formen von Negativsuggestionen ermöglicht ihr Erkennen und ihre Vermeidung oder Neutralisation. „Worte sind das mächtigste Werkzeug, über das ein Arzt verfügt. Worte können allerdings – wie ein zweischneidiges Schwert – sowohl tief verletzen, als auch heilen.“ [8].
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Nocebophänomene in der medikamentösen Therapie chroni scher Schmerzsyndrome (W. Häuser) Häufigkeit von Noceboeffekten in klinischen Studien von chro nischen Schmerzsyndromen Noceboeffekte lassen sich in Placebogruppen in doppelblinden Medikamentenstudien überprüfen. Die Abbruchrate wegen Nebenwirkungen lag in doppelblinden Medikamentenstudien zur symptomatischen Behandlung der Migräne bei 0,3%, der Prävention der Migräne bei 4,8%, des Spannungskopfschmerzes bei 5,5% [10], der peripheren diabetischen Polyneuropathie bei 4,4% und beim Fibromyalgiesyndrom bei 7,9% [5]. Die Abbruchraten in den Studien mit den „wahren“ Medikamenten waren beim FMS zu 51% und bei der diabetischen PNP zu 14% durch Noceboeffekte bestimmt [5]. In Migränestudien korrespondierte das Nebenwirkungsprofil von Placebo dem der getesteten „wahren“ Medikamente (NSAIDs, Triptane, Antikonvulsiva), z. T. Nebenwirkungen von Medikamenten hängen davon ab, was Patienten und Behandler als Nebenwirkungen erwarten [1].
Probleme der Erfassung von subjektiven Nebenwirkungen Die Analyse der referierten Studien weist auch auf Probleme der Erfassung von Arzneimittelnebenwirkungen auf, welche auch für den klinischen Alltag gelten: Ist ein vom Patienten berichtetes Symptom (z. B. Übelkeit) eine Nebenwirkung des Medikamentes, ein Symptom der behandelten Krankheit, ein Symptom einer anderen Krankheit oder eine – auch ohne das Medikament oder die Krankheit – aufgetretene (vorübergehende) Befindlichkeitsstörung? Die Art und Häufigkeit von Nebenwirkungen in doppelblinden Medikamentenstudien hängt auch von der Art ihrer Erfassung ab, ist z. B. höher bei einer strukturierten Erfragung von vorgegebenen Symptomen als bei spontanen Angaben des Patienten [2]. Die Art der Erfassung von subjektiven Medikamentennebenwirkungen ist in vielen doppelblinden Medikamentenstudien unzureichend dargestellt. Die Daten-Grundlagen von Produktinformationen sind daher schwach.
Noceboeffekte bei Generika-Verschreibung Aut-idem-Regelung und Rabattverträge haben zu Klagen von Patienten und Ärzten über unzureichende Wirksamkeit oder vermehrten Nebenwirkungen nach Umstellung auf Generika geführt. In einer Befragung des GfK-Marktforschung berichteten 13% der Patienten über Nebenwirkungen nach dem Umsetzen auf Generika. Medizinische Meinungsbildner und Repräsentanten von Patientenselbsthilfeorganisationen können durch kritische Stellungnahmen zum Umsetzen auf Generika Noceboeffekte verstärken. Eine qualitative systematische Übersichtsarbeit zeigte, dass Patienten mit vermehrter Angst, Depressivität und „Somatisierungsneigung“ ein höheres Risiko haben, über unerwünschte Wirkungen nach Umsetzen auf Generika anzugeben [15].
Noceboeffekte bei Laktoseintoleranz Eine Laktoseintoleranz (Milchzuckerunverträglichkeit) kann bei bis zu 15% der erwachsenen Europäer nachgewiesen werden. Die Probleme der Diagnose einer Laktoseintoleranz werden im Vortrag dargestellt. Laktose kann in Medikamenten als Füllstoff oder Trägersubstanz verwendet werden. In diesem Fall liegt der Lakosegehalt der Tablette zwischen 0,03 und 0,5 g. Geringe Mengen Laktose (0–10 g) werden von fast allen Betroffenen mit einer Laktoseintoleranz vertragen. Klagen über gastrointestinale Beschwerden bei laktosehaltigen Medikamenten von Menschen mit Laktoseintoleranz können daher – bei Information des Arztes oder Recherche des Patienten über Laktose im Medikament – durch Noceboffekte bedingt sein. In einer Studie berichteten 44% der Menschen mit bekannter Laktoseintoleranz und 26% der Menschen ohne Laktoseintoleranz über gastrointestinale Beschwerden nach der Schein-Laktosegabe [14]. Optionen für die medikamentöse Therapie von Menschen mit Milchzuckerunverträglichkeit sind Edukation und
Exposition, die Verschreibung laktosefreire Medikamente und die bedarfsweise Einnahme von Laktase. 1. Amanzio M, Corazzini LL, Vase L et al. (2009) A systematic review of adverse events in placebo groups of anti-migraine clinical trials. Pain 146(3):261–9 2. Enck P, Benedetti F, Schedlowski M (2008) New insights into the placebo and nocebo responses. Neuron 59(2):195–206 3. Hansen E, Bejenke C (2010) Negative und positive Suggestionen in der Anästhesie – Ein Beitrag zu einer verbesserten Kommunikation mit ängstlichen Patienten bei Operationen. Der Anaesthesist 59: 199–209 4. Hansen E (2011) Negativsuggestionen in der Medizin. Z Hypnose Hypnotherapie (in Druck) 5. Häuser W, Bartram C, Bartram-Wunn E, Tölle T (2011) Systematic review: Adverse events attributable to nocebo in randomised controlled drug trials in fibromyalgia syndrome and painful diabetic peripheral neuropathy. Submitted 6. Klosterhalfen S, Kellermann S, Braun S, Kowalski A, Schrauth M, Zipfel S, Enck P (2009)Gender and the nocebo response following conditioning and expectancy. J Psychosom Res 66(4):323–8 7. Lang EV, Benotsch EG, Fick LJ, Lutgendorf S, Berbaum ML, et al. (2000) Adjunctive nonpharmacological analgesia for invasive medical procedures: a randomised trial. Lancet 355: 1486–1490 8. Lown B (2004) Die verlorene Kunst des Heilens. Stuttgart: Schattauer 9. Mercado R, Constantoyannis C, Mandat T, Kumar A, et al. (2006) Expectation nad the placebo effect in Parkinson’s disease patients with subthalamic nucleus deep brain stimulation. Movement Disorders 21:1457–11461 10. Mitsikostas DD, Mantonakis LI, Chalarakis NG. Nocebo is the enemy, not placebo. A meta-analysis of reported side effects after placebo treatment in headaches. Cephalalgia 2011;31(5):550–61 11. Savulescu J, Foddy B, Rogers J (2006) What should we say? J Medical Ethics 32: 7–12 12. Stovner LJ, Oftedal G, Straume A, Johnsson A (2008) Nocebo as headache trigger: evidence from a sham-controlled provocation study with RF fields. (http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/18439225) Acta Neurol Scand 188 (Suppl): 67–71 13. Varelmann D, Pancaro C, Cappiello EC, Camann WR (http://www.ncbi.nlm. nih.gov/pubmed?term=%22Varelmann%20D%22%5BAuthor%5D) (2010) Nocebo-induced hyperalgesia during local anesthetic injection. Anesthesia Analgesia 110: 868–870 14. Vernia P, Di Camillo M, Foglietta T et al. (2010) Diagnosis of lactose intolerance and the “nocebo” effect: the role of negative expectations. Dig Liver Dis 42(9):616–9 15. Weissenfeld J, Stock S, Lüngen M, Gerber A (2010) The nocebo effect: a reason for patients‘ non-adherence to generic substitution? Pharmazie 65(7):451–6
Kopfschmerz SY 9 Integrierte Versorgung Kopfschmerz: Struktur, Patientenklien tel und Behandlungsergebnisse T. Wallasch1, C. Gaul2, A. Straube3 1medas Ostschweiz, Medizinische Abklärungsstelle, St. Gallen, Schweiz, 2Universitätsklinikum Essen, Neurologische Klinik, Essen, Deutschland, 3Klinikum Großhadern, Neurologische Klinik und Poliklinik, München,
Deutschland Einleitung. Die Prävalenz von Kopfschmerzen in Deutschland beträgt 60–70% [1–5]. Chronische Kopfschmerzen zählen zu den häufigen Volkskrankheiten und haben eine bedeutende sozioökonomische Relevanz [6]. Die Versorgungsrealität von Kopfschmerzpatienten in Deutschland ist geprägt durch eine Unter- und Fehlversorgung [7].
Evidenzbasierte Leitlinien stehen Reglementierungen und Restriktionen im Gesundheitssystem gegenüber. Durch eine Verbesserung der gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen mit Einführung des Paragrafen 140 a–d SGB V des Modernisierungsgesetzes der gesetzlichen Krankenkassen wurde im Jahre 2004 die Voraussetzung für die Einführung der Integrierten Versorgung (IV) geschaffen. Seither haben sich in Deutschland an verschiedenen Standorten Integrierte Versorgungsangebote für Patienten mit chronischen Kopfschmerzen etabliert. Methodik. Die IV Kopfschmerz vernetzt ambulante, teilstationäre und stationäre Strukturen des Gesundheitssystems. Ziele dieser neuen Versorgungsform sind zum Einen Kopfschmerzpatienten ein besseres Behandlungsangebot unter Umsetzung evidenzbasierter Therapieleitlinien und neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen anzubieten, zum Anderen den Leistungserbringern einen angemessenen Rahmen bezüglich der Vergütung bereitzustellen und die zur Verfügung stehenden Mittel für ein qualitätsgesichertes Behandlungsprogramm aufzuwenden. Dabei bedient sich die IV Kopfschmerz eines modular gegliederten Versorgungssystems. Die Behandlung erfolgt basierend auf der Anzahl der Kopfschmerztage/Monat und dem Screening der Patienten nach psychischer Komorbidität. Patienten ohne erhöhtes Chronifizierungsrisiko werden mit einer detaillierten Therapieempfehlung ambulant neurologisch versorgt (Modul 0). Bei bereits eingetretener leichter bis mäßiger Chronifizierung werden die Kopfschmerzpatienten entsprechend den Erfordernissen ergänzend verhaltenspsychologisch und physiotherapeutisch behandelt (Modul 1), oder tagesklinisch mit zusätzlicher intensiver Edukation (Modul 2) behandelt. Hoch chronifizierte Patienten mit ausgeprägter psychischer Komorbidität mit Kopfschmerz durch Triptan- oder Analgetika-/Opiatübergebrauch können stationär aufgenommen werden (Modul 3). In die Nachbetreuung sind sektorenübergreifend niedergelassene Neurologen und Schmerztherapeuten eingebunden. Eine klinische Erfolgskontrolle und wissenschaftliche Auswertung zur Programmoptimierung erfolgt in allen teilnehmenden Kopfschmerzambulanzen (Essen, Berlin, München und Jena) fortlaufend. Ergebnisse. Den nachfolgenden Ergebnisse liegen n=545 Beobachtungen aus Berlin, n=295 aus Essen (8) und n=181 Patienten aus München [9] zugrunde. Das Patientenklientel der IV Kopfschmerz besteht überwiegend aus Patienten, die primär an einer episodischen Migräne litten mit sekundärer „Transformation“ in eine chronische Migräne mit oder ohne begleitenden Medikamentübergebrauch (43% MwA, 30% CM mit und ohne MOH, 23% MmA, begleitender MOH 48,6%). Die zweit häufigste Diagnose ist ein episodischer oder chronischer Clusterkopfschmerz und eher selten der chronische Spannungskopfschmerz (5,4%) bzw. der posttraumatische Kopfschmerz (0,5%). Das Durchschnittalter (Einschluss ab 14 Jahren) der Patienten beträgt 43,1+12,9 Jahre; das Geschlechtsverhältnis ist 89,7% Frauen zu 10,3% Männer. Der beträgt BMI von 24,1+4,6. Die Erkrankungsdauer liegt bei durchschnittlich 240,4+153,5 Monaten. Es findet sich eine „typische“ Häufung von Komorbiditäten. Häufigste körperlichen Komorbiditäten waren eine arterielle Hypertonie (ca. 30% der Patienten), muskuloskelettale Schmerzen (ca. 23%), schwere Adipositas (ca. 8%) und Lipidstoffwechselstörungen (ca. 11%). Für die Therapie und auch die Prognose wesentlich sind die psychiatrischen Komorbiditäten. Eine Depression, definiert als Wert auf der HADS-D Subskala fand sich in ca. 23% der Patienten (auffällig HADS 8–10: 12,2%; sicher >10: 10,5%), einen auffälligen Wert in der HADS-D Subskala für Angsterkrankungen fand sich in ca. 45% der Patienten und 19% waren auffällig in beiden Dimensionen. Aber auch Achse-2-Störungen kommen gehäuft vor (F60–62; Z73; 25%). Es fand sich weiterhin eine Korrelation zwischen Auffälligkeiten im BSQ, der körperbezogene Ängste erfasst, und der Häufigkeit eines Schmerzmittelgebrauchs (r=0,166; p=0,036; n=160). Der Follow-up über 12 Monate zeigte für die Berliner Patienten eine signifikante Verbesserung der MIDAS-Werte von 52,4+57,7 auf 34,4+53,2; p<0,001. Die Anzahl der Kopfschmerztage/Monat sank von durchschnittlich 14,5+8,2 auf 7,6+8,3 Tage binnen Jahresfrist. Binnen 12 Monaten verbesserte sich der HADS-Rohwert für Depression von 7,4+4,3 Der Schmerz · Supplement 1 · 2011
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Abstracts auf 6,4+4,2; p<0,003 und für Angst von 7,1+4,4 auf 6,7+4,0; p<0,001. Während zu Beginn der Behandlung ein Anteil von 24/34% der Patienten einen NSAR/Triptan-Übergebrauch betrieben, sank der Anteil innerhalb von 12 Monaten auf 1/21%, p<0,001. Der Medikamentenkonsum reduzierte sich von durchschnittlich 21 Präparaten/Monat innerhalb der Jahresfrist auf eine Anzahl von 7 Medikamenteneinnahmen/ Monat. Das primäre Behandlungsziel einer 50%-Reduktion der Kopfschmerztage erreichten 62,7% der chronischen Kopfschmerzpatienten. Dieses Ziel ist abhängig vom Vorliegen einer psychischen Komorbidität. So hatten in dieser Gruppe 38,6% der Betroffenen psychische Erkrankungen, während den Patienten, die nur eine Reduktion der Kopfschmerztage um <25% erzielten (14%) in 81,8% der Fälle eine psychische Komorbidität vorlag. Das Klientel war zudem unterschiedlich motiviert und hatte eine divergierende Selbstwirksamkeitserwartung. Nur 17,6% der chronischen Kopfschmerzpatienten hatte zu Beginn der Behandlung Erfahrung mit einer Entspannungstechnik (PMR). Nach einem Jahr waren es hingegen 86,9% der Teilnehmer, wobei 74,3% die PMR nun regelmäßig anwendeten. 76% der Patienten beurteilten ihre Behandlung in der IV Kopfschmerz Berlin als sehr gut und über ihren Erwartungen liegend, 23% bezeichneten diese sogar als ausgezeichnet. Für die Patienten des tagesklinischen Behandlungsprogramms des Westdeutschen Kopfschmerzzentrums Essen konnte in 43% das primäre Zielkriterium der Reduktion der Kopfschmerzfrequenz um>50% erreicht werden. Die mittlere Kopfschmerzfrequenz sank im Verlauf der Nachbeobachtungszeit von 13,4±8,8 auf 8,8±8,0 Tage im Monat. Zum Ausgangszeitpunkt bestanden bei 102 von 295 Patienten >15 Kopfschmerztage im Monat, dieser Anteil konnte um 55% reduziert werden. Es konnte gezeigt werden, dass die Umsetzung der Therapieempfehlungen in den Alltag Einfluss auf den Erkrankungsverlauf nimmt. Die Adhärenz zu den nicht-medikamentösen Verfahren Ausdauersport (72%) und Progressiver Muskelrelaxation (61%) war besser, als die Compliance bezüglich der Einnahme prophylaktischer Medikation (29%). Nach Literaturdaten war zu erwarten, dass nach 12 bis 18 Monaten 30– 41% der Patienten, bei denen die Diagnose eines Kopfschmerz durch Analgetika oder- Triptanübergebrauch gestellt wurde, erneut oder weiterhin einen Übergebrauch betreiben. In der Studienpopulation kam es hingegen nur bei 5 von 56 Patienten (8,9%) zum erneuten Übergebrauch und nur bei 13 von 295 Patienten (4,4%) entstand dieser neu. 1. Göbel H, Petersen-Braun M, Soyka D: Die Prävalenz von Kopfschmerzen in Deutschland. Der Schmerz 1993; 7:287–297. 2. Pfaffenrath V, Fendrich K, Vennemann M et al.: Regional variations in the prevalence of migraine and tension-type headache applying the new IHS criteria – the German DMKG Headache Study. Cephalalgia 2009; 29: 48–57. 3. Straube A, Pfaffenrath V, Ladwig K-H et al.: Prevalence of chronic migraine and medication overuse headache in Germany – the German DMKG headache study. Cephalalgia 2010; 30: 207–213. 4. Fendrich K, Vennemann M, Pfaffenrath V et al.: Headache prevalence among adolescents – the German DMKG headache study. Cephalalgia 2007; 27:347–354. 5. Jensen IB, Bergström G, Ljungquist T et al.: A 3 year follow-up of a multidisciplinary rehabilitation programme for back and neck pain. Pain 2005; 115: 273–283. 6. Lanteri-Minet M, Duru G, Mudge M et al.: Quality of life impairment, disabilöity and economic burden associated with chronic daily headache, focusing on chronic migraine with and without medication overuse: A systematic review. Cephalalgia 2011;31: 837–850. 7. Evers S, Wallasch T-M: Die Versorgungssituation von Kopfschmerzpatienten in Deutschland. Nervenheilkunde 2009; 28: 350–355. 8. Gaul C, van Doorn C, Webering N, Dlugaj M, Katsarava Z, Diener HC, Fritsche G. Clinical outcome of a headache-specific multidisciplinary treatment program and adherence to treatment recommendations in a tertiary headache center: an observational study. J Headache Pain. 2011 May 5. [Epub ahead
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of print] 9. Felbinger J, Reinisch VM, Sostak P, Wallasch TM, Diener HC, Straube A. Angst und Depression bei Kopfschmerzpatienten. Schmerz 2009 Feb;23(1):33–9.
Andere Schmerzsyndrome SY 10 Endometriose – ein eigenständiges Schmerzsyndrom? A. Kopf1, T. Wischmann2, S. Mechsner3 1Charite Berlin/Campus Benjamin Franklin, Anästhesie mit Schwerpunkt operative Intensivmedizin, Berlin, Deutschland, 2Privatpraxis für Psychotherapie, Heidelberg, Deutschland, 3Universitätsklinikums Benjamin Franklin, Campus Benjamin Franklin, Frauenklinik, Berlin, Deutschland Endometriose ist eine chronische, östrogenabhängige Erkrankung der Frau im reproduktionsfähigen Alter. Allein in Deutschland sind über 1 Mio. Frauen betroffen. Die Leitsymptome der Erkrankung sind Infertilität, Blutungsstörungen (65%) und vor allem Schmerzen wie chronische Unterbauchschmerzen und Dysmenorrhoe (90%), Dyspareunie (60%), Dyschezie (70%), Dysurie (10%) (1). Aber auch unspezifische Beschwerden wie Rückenschmerzen, Blähungen oder Kopfschmerzen sind häufig. Die Therapie der Schmerzen bei der Endometriose ist besonders durch das mangelhaftes Verständnis der Mechanismen der speziellen Schmerzpathophysiologie erschwert. Zwischen der Schmerzsymptomatik und dem Stadium der Erkrankung gibt es keine Korrelation – das subjektive Schmerzempfinden der Patientinnen ist sehr unterschiedlich (2, 3). Grundlage der Beschwerden sind zwar die Endometrioseläsionen, aber Schmerz entsteht auf vielfältigen Ebenen. So sind Komponenten, die bei der Therapie nicht außer Acht gelassen werden dürfen, die Psyche (Angst, Depression), soziale Probleme (Isolation durch die Erkrankung), aber auch Spiritualität (Sinnverlust des Lebens durch chronische Erkrankung). Bei der Therapieplanung sollte daher immer Raum bleiben für einen persönlichen Therapeuten, der die Patientin „als ganzes Individuum“ kennt, betreut und in schweren Krankheitsphasen Zuspruch leisten kann. Für ein umfassendes schmerztherapeutisches Regime sollten auch Physiotherapie und unterstützende Verfahren wie Verhaltenstherapie (VT) oder Komplementärmedizin (traditionelle chinesische Medizin mit oder ohne Akupunktur, Yoga) in Betracht gezogen werden. In die Therapieentscheidung müssen neben EBM-Empfehlungen auch individuelle Bedürfnisse der Patientin (Kinderwunsch oder Verbesserung der Lebensqualität) einfließen, das Nebenwirkungsprofil der Pharmakotherapie und deren Kosten sowie die klinische Erfahrung des Therapeuten.
Nichtsteroidale antiinflammatorische Medikamente (NSAIDs) NSAIDs beeinflussen weder die Endometrioseläsionen noch den Verlauf der Erkrankung. Trotzdem gelten sie in der Praxis als Mittel der 1. Wahl. Die Wirksamkeit der NSAIDs wurde in randomisierten, kontrollierten Studien für die primäre Dysmenorrhoe bestätigt (6–8, 9–11). Die aktuelle Cochrane Database Review kommt zu dem Ergebnis, dass es keine signifikanten Unterschiede in der Wirkung der verschiedenen NSAIDs bei Dysmenorrhoe gibt – vor den unerwünschten Wirkungen wird gewarnt (12). Die in der gynäkologischen Praxis am häufigsten verwendeten NSAIDs sind die in ihrer Wirkung vergleichbaren präferentiellen Cyclooxygenase-Inhibitoren Ibuprofen und Diclofenac. Interessanterweise wurde die Expression der COX-2 in normalem Endometrium und die Überexpression in Endometrioseläsionen sowie in der Adenomyosis uteri beschrieben (21), sodass selektive COX-2-Inhibitoren auch einen kausalen Therapieansatz darstellen könnten. Tierexperimentelle
Studien belegen, dass die COX-2 Überexpression Tumoreigenschaften, wie Zelladhäsion, Apoptose, Invasivität und Angiogenese moduliert (22–24).
Endokrine Therapieansätze Der Wirkmechanismus der endokrinen Therapieansätze basiert zumeist in der antiöstrogenen Wirkung auf das Endometrium, die zu einer sekretorischen Umwandlung und Dezidualisierung des proliferierten Endometriums, gefolgt von der Atrophie des Endometriosegewebes, führen soll. Durch Gestagene kommt es zur Verminderung der ovarieller Steroidsynthese, somit niedrigeren und konstanten Östrogenspiegel unter einer Gestagenmonotherapie und der kombinierten „Pille“. Die antiöstrogene Wirkung resultiert in einer Verminderung der östrogenabhängigen Proliferation, es kommt zur sekretorischen Transformation, Atrophie des Endometriums und Ruhigstellung des Myometriums Es wird ein schwangerschaftsähnlicher hormoneller Zustand erreicht („Pseudo-Pregnancy-Regime“). Dies wird auf molekularer Ebene (Downregulierung der Östrogen- und Progesteronrezeptoren) und biochemischer Ebene (Hemmung der Prostaglandinsynthese und lokaler Östrogen-Synthese) erreicht. Es resultiert eine antiinflammatorische Wirkung durch die Reduktion von Entzündungsmediatoren in der Peritonealflüssigkeit. Gestagene scheinen die Apoptoserate im Endometrium zu erhöhen und auf molekularer Ebene eine Hemmung der Matrixmetalloproteinasen (MMP), die für die Implantation und das ektope Wachstum von Endometrium essentiell sind, zu bewirken (25, 26). Gestrinone ist ein Derivat des 19-Nortestosterons mit antiöstrogenen, antigestagenen, androgenen sowie antigonadotropen Eigenschaften. Unter der Therapie kommt es zu einer Degeneration der Endometrioseläsionen, aber nicht zu ihrem Verschwinden. Bei 50–100% der Frauen kommt es zu einer Amenorrhoe, die scheinbar dosisabhängig ist. Ein mit Levonorgestrel beschichtetes Intrauterin-Pessar (LNG-IUD) ermöglicht die lokale intrauterine Gestagentherapie ohne Hemmung der ovariellen Hormonproduktion und mit nur geringer systemischer Wirkung (35). In zwei Studien wurde die Wirkung dieses IUD bezüglich der Schmerzreduktion bei Endometriose getestet. In beiden Studien wurde eine hohe Patientenzufriedenheit beschrieben (36, 37). Die bisherigen Ergebnisse zur Anwendung des LNG-IUD sind insbesondere für Frauen mit Dyspareunie und Dysmenorrhoe bei Adenomyosis uteri oder rektovaginaler Endometriose vielversprechend (38, 39). Aufgrund des in Serum und Peritonealflüssigkeit nachweisbaren LNG-Levels scheint das IUD auch für die Behandlung der peritonealen Endometrioseformen geeignet. Orale Kontrazeptiva (OC) werden neben den NSAIDs und den Gestagenen in der Praxis sehr häufig zur Behandlung der primären und sekundären Dysmenorrhoe eingesetzt. Es kommt zu einer antigonadotropen Wirkung und zur Suppression der ovariellen Östrogenproduktion. Es soll über einen hypoöstrogenen, hypergestagenen Zustand die Dezidualisierung, die bindegewebige Umwandlung und die Atrophie der Endometrioseläsionen bewirkt werden. Bewährt haben sich gestagenbetonte monophasische Kombinationspräparate, die z. B. Desogestrel oder Dienogest enthalten und nonstop über mindestens 6 Monate appliziert werden. Wenn die Präparate gut vertragen werden, können sie über 1 bis 2 Jahre verschrieben werden. Die Vorteile gegenüber den reinen Gestagenmonopräparaten liegen in der besseren Zykluskontrolle (weniger Durchbruchsblutungen auch bei der nonstop-Einnahme) und dem höheren antikonzeptiven Schutz bei jungen Frauen. Ein Nachteil ist in dem höheren Thromboserisiko zu sehen. Verschiedene OC sind teilweise ohne Placebokontrollen als initialer Therapieansatz zur Behandlung der primären Dysmenorrhoe mit gutem Erfolg getestet worden (38, 40, 41). Bei Therapieversagen eines Präparates ist der Wechsel auf ein anderes OC nicht sinnvoll (EBM Level I; Kategorie A). GnRH-Agonisten binden mit einer verlängerten Halbwertszeit an die GnRH-Rezeptoren der Hypophyse. Nach einem anfänglichen Gona-
dotropin-Flush kommt es zur „Down-Regulierung“ der Gonadotropine LH und FSH, z. T. zu einem hypogonadotropem, hypogonadalem Zustand. Diese „funktionelle Oophorektomie“ bewirkt eine Reduktion der endogenen Östradiolproduktion der Ovarien entsprechend den Werten menopausaler Frauen. Für gewöhnlich wird eine Amenorrhoe erreicht. GnRH-Antagonisten haben gegenüber den GnRH-Agonisten den Vorteil, dass der Flare-up-Effekt der ersten Tage entfällt. Die Antagonisten blocken in der Hypophyse die GnRH-Rezeptoren, was einen sofortigen dosisabhängigen Abfall der Gonadotropin-Sekretion zur Folge hat. Ob dieser sofortige Effekt der wesentlich teureren und noch nicht bei der Endometriose erprobten Antagonisten bei einer mehrmonatigen Suppression der Gonadotropine einen Vorteil gegenüber den Agonisten hat, müssen klinische Studien erst noch zeigen. Danazol war das erste „klassische“ Therapeutikum der Endometriose und in den 1970er Jahren der Goldstandard. Auch in Metaanalysen (z. B. Cochrane Database) konnte gezeigt werden, dass Danazol effektiv in der Behandlung der Endometriose ist (63). Aufgrund seiner erheblichen androgenen Nebenwirkungen (Akne, Hyperandrogenismus, Hirsutismus, Stimmveränderung) bei gleicher Wirksamkeit wie GnRH-Analoga wurde die Danazol-Therapie zugunsten der GnRHAnaloga und den anderen Präparaten verlassen.
Dauer der Behandlung Die Mehrzahl der Frauen (bis 90%) gibt unter der medikamentösen endokrinen Therapie eine Reduktion der Schmerzen an. In Publikationen werden niedrigere Staging-Scores mit deutlicher Abnahme von Größe und Anzahl der Implantate beschrieben. Trotz dieser Daten muss berücksichtigt werden, dass die endokrine medikamentöse Therapie eine symptomatische Therapie ist. So wie das Endometrium seine Funktion nach Absetzen der Hormontherapie wieder aufnimmt, geschieht dies auch in den ektopen Läsionen (57, 67). Das Wiederauftreten der Schmerzen nach Absetzen der Therapie wird abhängig vom Beobachtungszeitraum zwischen 30–70% angegeben. Der beschwerdefreie Zeitraum differiert zwischen 6 bis 18 Monaten.
Opioidanalgetika und Koanalgetika Kommt es durch die genannten Analgetika und endokrinen Therapien nicht zu einer ausreichenden Schmerzreduktion, so kommt eine Therapie mit Opioiden in Betracht. Opioide haben auch in der Langzeittherapie des Nicht-Tumorschmerzes ihren Stellenwert im Rahmen eines multimodalen, interdisziplinären Therapiekonzeptes. Vorteilhaft sind die fehlende Organtoxizität und die sich in aller Regel kurzfristig einstellende Toleranz gegenüber opioidtypischen unerwünschten Wirkungen. Ein anhaltender analgetischer und funktionsverbessernder Effekt ist jedoch nur bei einer Minderheit der Patienten zu erwarten, so dass die Indikation einer Opioidtherapie kritisch zu prüfen ist. Insbesondere muss der Nachweis einer langfristigen Dosiskonstanz nach initialer Dosistitration erbracht werden, um zwischen unspezifischen und spezifischen Wirkungen der Opioide unterscheiden zu können. Eine kontinuierliche Dosissteigerung in ein- bis zweimonatigen Abständen müsste in diesem Sinne als Kontraindikation zur Fortführung der Opioidtherapie aufgefasst werden. Therapieempfehlungen mit Leitliniencharakter können derzeit nicht formuliert werden. Die Empfehlungen einer DGSS (Deutsche Gesellschaft zum Studium des Schmerzes)-Konsensuskonferenz beinhalten jedoch praktische und teilweise gut validierte Hinweise für einen strukturierten Therapieplan mit Opioiden beim chronischen Nichttumorschmerz (68) (EBM Level V; Kategorie C). Bei Hinweisen auf einen neuropathischen Schmerztyp (kontinuierlich-brennende oder attackenförmig-einschießende Schmerzqualität durch Läsion von Nervenstrukturen infolge von chronischer Inflammation) ist der Einsatz von (trizyklischen) Antidepressiva oder von Antikonvulsiva zu erwägen. Der adäquate Einsatz von Koanalgetika setzt eine ausführliche Anamnese zum Ausschluss von KontraindikaDer Schmerz · Supplement 1 · 2011
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Abstracts tionen, eine langsame Dosissteigerung über Wochen, teilweise regelmäßige Laborkontrollen und eine ausreichende Behandlungszeit zur Effektbeobachtung voraus. Die Dosierung erfolgt nicht anhand von Serumkonzentrationsmessungen, sondern nach Wirkung. (EBM Level I; Kategorie A). Bei allen schwer therapierbaren Schmerzzuständen sollte – gemäß dem biopsychosozialen Modell der Schmerzentstehung – nach Chronifizierungsfaktoren gesucht werden (v. a. depressive oder Angststörungen sowie psychosoziale Belastungsfaktoren).
Zusammenfassung NSAIDs sind wirksam in der Therapie der Endometriose – aber – sie beeinflussen weder die Endometrioseläsionen noch den Verlauf der Erkrankung. Alle Hormontherapien sind gleich wirksam in der Behandlung der Endometriose-assoziierten Schmerzen. Die TherapieEntscheidung sollte sich an den Bedürfnissen der Patientin orientieren (Nebenwirkungen, Lebenssituation) – und der Kosten. Die endokrine Therapie verzögert nach dem Absetzen nicht das Widerauftreten der Symptome /Schmerzen der Endometriose. Opioide und Koanalgetika sind nur in begründeten Einzelfällen innerhalb einer multimodalen Therapie indiziert. Bei anhaltenden Schmerzen und schmerzbedingter funktionaler Beeinträchtigung ist eine multidiziplinäre Diagnostik und Behandlung empfehlenswert. (Auszug aus Halis-G, Kopf-A, Ebert-A, J Gyn Endokrinol 2008; 2:32)
Kinder SY 11 Akutschmerztherapie bei Kindern: Neues kommt, Altes bleibt? E. Pogatzki-Zahn1, B. Messerer2, A. Schnabel3 1Universitätsklinikum Münster, Klinik für Anästhesiologie und postoperative Intensivmedizin, Münster, Deutschland, 2Medizinische Universität Graz, Anästhesie und Intensivmedizin, Graz, Österreich, 3Uniklinikum Münster, Klinik für Anästhesiologie und postoperative Intensivmedizin, Münster, Deutschland Trotz erfolgreicher standardisierter Therapiekonzepte und Leitlinien für den postoperativen Schmerz weisen nationale und internationale Studien auf eine erhebliche schmerztherapeutische Unterversorgung von Kindern nach Operationen hin (Segerdahl et al. 2008, Bremerich 2001). Probleme ergeben sich u. a. deshalb, weil die Besonderheiten der kindlichen Pathophysiologie postoperativer Schmerzen bei der medikamentösen und interventionellen Therapie z. T. nicht beachtet werden, z. T. noch gar nicht bekannt sind (Segerdahl et al. 2008). Hinzu kommen Unsicherheiten bei der Einschätzung von Schmerzzuständen, strukturelle Defizite und Angst vor Nebenwirkungen. Nicht zuletzt sind viele bewährte Analgetika für Kinder nicht zugelassen, Dosierungsangaben fehlen oder sind ungenau und eine Unterdosierung aus Angst vor Nebenwirkungen und Komplikationen ist nicht selten. Die Wahl der geeigneten Analgetika und Analgesieverfahren für Kinder bestimmter Altersgruppen und bestimmte Indikationen sind ein wichtiger Aspekt für eine optimale Schmerztherapie bei Kindern nach Operationen. Da in der perioperativen Phase ein Ausprobieren und Herantasten an das am besten geeignete Verfahren oder Analgetikum (oder einer Kombination aus verschiedenen Verfahren/Substanzen) nicht möglich ist, muss relativ früh (idealer Weise schon intraoperativ) mit dem am besten geeigneten Verfahren begonnen und dieses Verfahren solange wie möglich auch postoperativ weiter genutzt werden. Die Beschränkung auf wenige Analgetika, die in kindergerechter Applikationsform und Dosierung zur Verfügung steht, hat sich bewährt (Rakow et al. 2007). Die genaue Kenntnis der in einer Klinik einge-
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setzten Analgetika und eine korrekte Verordnung der Medikamente nach einem vorgegebenen, allen bekannten Schema sind wichtig für ein erfolgreiches Schmerzmanagement.
Lokale und regionale Schmerztherapie Als sehr wirkungsvoll bei der Prävention und Therapie perioperativer Schmerzen hat sich der Einsatz der Regionalanästhesie gezeigt und sollte wenn möglich eingesetzt werden (Lönnquist und Morton 2005). Dies gilt heute nicht nur für Operationen, die im Kindesalter stationär durchgeführt werden sondern auch für ambulante Eingriffe. Insgesamt hat die Anzahl an Regionalanästhesieverfahren bei Kindern sowohl als Single-Shot, als auch als Katheterverfahren zur postoperativen Schmerztherapie aufgrund der guten Effektivität, verbunden mit der niedrigen Komplikationsrate – bedingt auch durch den Ultraschalleinführung und der Verbesserung des kinderspezifischen Equipments – deutlich zugenommen (Ivani 2009). Bei Kindern wird in der Regel die Regionalanästhesie in Sedierung oder Allgemeinanästhesie durchgeführt. Zuerst wird die Allgemeinanästhesie eingeleitet und erst dann erfolgt die Regionalanästhesie (Ivani et al. 2009). Der Vorteil eines kombinierten Anästhesieverfahrens liegt darin, dass die intraoperative Opioidmenge reduziert werden kann und damit opioidbedingte Nebenwirkungen wie Übelkeit, Erbrechen, Pruritus und Harnretention seltener auftreten. Die Aufwachzeit ist verkürzt, die Mobilisierung rascher und postoperativ werden nur sehr selten Opioide benötigt.
Aktuellste Daten zur Epidemiologie und Komplikationen von Kaudalanästhesien Die kaudale Epiduralanästhesie (80%) erfreut sich unter den neuroaxialen Verfahren vornehmlich als Single Shot, aber auch als kontinuierliches katheterbasiertes Verfahren sehr großer Beliebtheit unter Kinderanästhesisten (Ecoffey 2010) Laut einer aktuellen Datenbankanalyse von 31.132 Regionalanästhesien in 47 französischen Krankenhäusern (Ecoffey 2010) betrug nach neuroaxialen Blockaden die Rate an Patienten mit EKG Veränderungen im Sinne einer kardialen Lokalanästhetikatoxizität 0,05% bzw. einer Duraperforation 0,1% – knapp die Hälfte der Patienten erhielt dabei jeweils eine Kaudalanästhesie. Infektionen, passagere oder bleibende Nervenschädigungen traten nach Kaudalanästhesien nicht auf.
Ist eine weitere Verbesserung der Effektivität von Kaudalanäs thesien möglich? Trotz der jahrzehntelangen erfolgreichen Anwendung der Kaudalanästhesie bestehen noch offene Fragen bzgl. des passenden Lokalanästhetikums und des zu applizierten Volumens. Ein letztjährig erschienener qualitativer systematischer Review schlussfolgerte, dass alle langwirksamen aktuell verwendeten Lokalanästhetika in vergleichbaren Konzentrationen (0,2–0,25%) eine ähnliche Effektivität aufweisen, wobei Levobupivacain und Ropivacain ein bekanntermaßen geringeres kardiales Toxizitätsrisiko haben und Bupivacain in geringem Maße mehr Motorblockaden verursachen kann. Eine aktuelle Untersuchung (Brenner 2011) konnte zeigen, dass eine effektive Vorhersage der kranialen Ausbreitung des Lokalanästhetikums – und damit vermutlich der somatosensorischen Blockade – nicht sicher durch das Volumen vorgesagt werden kann. Eine Ausbreitung >Th10 konnte selbst nach 1,3 ml/kg nicht erreicht werden. Auch für eine altersbezogene Adaptierung der Lokalanästhetikavolumina für eine erfolgreiche Kaudalanästhesie besteht aktuell keine Evidenz. (Brenner 2011). Trotz der sehr großen Beliebtheit der Verwendung des Ultraschalls bei der Anlage von peripheren Nervenblockaden ist die Evidenz bzgl. einer Effektivitätsverbesserung bzw. einer Komplikationsratenreduktion bei Kaudalanästhesien vermutlich aufgrund der hohen Treffersicherheit trotz „blinder“ Blockade sehr limitiert. Ein aktueller systematischer Review (Tsui 2010) legt jedoch nahe, dass die Ultraschallanwendung im Falle schwieriger anatomischer Verhältnisse, bei Punktionsschwierigkeiten
oder zur Verifizierung der Kaudalkatheterspitze sinnvoll sein kann. Aufgrund der begrenzten analgetischen Wirkdauer der verwendeten Lokalanästhetika in Kaudalanästhesien wurden verschiedene Additiva in einer Vielzahl an Studien untersucht. Jedoch fehlen aktuell vielfach präklinische Untersuchungen, die eine potenzielle Neurotoxizität im Tiermodell systematisch untersuchen (Drasner 2010). Vor diesem Hintergrund kann auch aus evidenzbasierter Sicht nur Clonidin in der Dosierung von 1–2 µg/kg als sicher und effektiv empfohlen werden, das zu einer durchschnittlichen Verlängerung der postoperativen Analgesiedauer von 4 h führt (Schnabel 2011).
Weiterer Forschungsbedarf Die aktuelle französische Datenbankanalyse (Ecoffey 2010) hat gezeigt, dass periphere Blockaden mittlerweile gerade bei etwas älteren Kindern wesentlich häufiger als neuroaxiale Blockaden angewendet werden. Der Transvs. abdominis plane (TAP) Block könnte eine „periphere“ Alternative zur Single-shot-Kaudalanästhesie für eine Vielzahl an Bauchwandeingriffen (z. B. Herniotomie) darstellen; aussagekräftigte randomisierte, kontrollierte Studien fehlen bislang in der Literatur. Obwohl die Anlage von kaudalen epiduralen Kathetern schon vor 20 Jahren erstmalig beschrieben wurde (Bosenberg 1988) und besonders bei Kindern (<4 Jahren) angewandt wird, ist die Evidenz bezüglich der Effektivität und der Komplikationsraten bei Anlage und im postoperativen Verlauf begrenzt. Besonders interessant wäre ein Vergleich zu den in diesem Alter seltener angewandten lumbalen bzw. thorakalen Epiduralkathetern.
Balanzierte Analgesie: Aktuelles zu Nicht-Opioid-Analgetika und Opioiden Paracetamol war lange Zeit das am häufigsten eingesetzte Nicht-Opioid-Analgetikum für die Therapie postoperativer Schmerzen bei Kindern. Wie bei Erwachsenen auch wissen wir aber heute, dass Paracetamol im Rahmen der postoperativen Schmerztherapie im Vergleich zu anderen NOPA eine geringere Wirksamkeit besitzt (van der Marel 2007). Darüber hinaus ist Paracetamol nicht das nebenwirkungsarme Medikamente, für das es lange Zeit gehalten wurde. Eine Paracetamolüberdosierung ist die häufigste Ursache für ein akutes Leberversagen, bei Kindern genauso wie bei Erwachsenen (Murray et al. 2008). Darüber hinaus zeigen neuere Untersuchungen eine signifikante Verbindung zwischen der Ausbildung von Asthma bronchiale, Rhinokonjunktivitis und Ekzemen durch Paracetamoleinnahme im Säuglings und Kleinkindalter. So wurden in den letzten 10 Jahren Ergebnisse unterschiedlicher Studien publiziert, die eine Verbindung zwischen einer erhöhten Inzidenz von Asthma sowie anderer allergischer Erkrankungen und der Einnahme von Paracetamol vor Geburt und im Kindesalter zeigen (Farquhar et al. 2009). In einer großen multizentrischen Untersuchung (72 Zentren aus 31 Ländern) wurde ein etwa 40–50% erhöhtes Risiko für Asthma, Rhinokonjunktivitiden und Ekzemen bei 6–7 Jahre alten Kindern, die in früher Kindheit (1.–2. Lebensjahr) Paracetamol eingenommen hatten, beobachtet (Beasley et al. 2008). In der gleichen Studie wurde ebenfalls berichtet, dass auch die Einnahme von Paracetamol bei 6–7 Jahre alten Kindern im Vergleich zu Kindern ohne Paracetamolmedikation dosisabhängig zu einer 1,6bis 3,2-fach erhöhten Inzidenz führte, an moderatem bis schwerem Asthma zu erkranken (Beasley et al. 2008, Farquhar et al. 2009). Es ist bisher nicht genau geklärt. warum eine Einnahme von Paracetamol zu einem erhöhten Risiko für allergische Erkrankungen führen kann. Vermutet wird ein Zusammenhang zwischen der Einnahme von Paracetamol und der damit verbundenen Verminderung von Gluthation, das eine wichtige Rolle als Schutzmechanismus vor gefährlichen Antioxidantien darstellt (Dimova et al. 2005). Sauerstoffradikale führen zu einer gestörten Epithelschicht und Mukusproduktion in der Lunge, verursachen eine gesteigerte Muskelkontraktion der glatten Muskulatur und erhöhen die Bronchialreaktivität sowie verändern die ß-adrenerge Funktion (Farquhar et al. 2009). Weitere, kontrollierte
Studien müssen nun klären, welche Einnahmehäufigkeit oder Paracetamoldosierungen möglicherweise ein deutlich erhöhtes Risiko für Asthma oder andere allergische Erkrankungen darstellen könnten. Nicht zuletzt aufgrund dieser Ergebnisse und einer entsprechenden Risiko-Nutzen-Abwägung empfiehlt der wissenschaftliche Arbeitskreis Kinderanästhesie der DGAI, dem effektiveren Ibuprofen bei Kindern – falls möglich (Alter etc., Ibuprofen ist ab dem 3. LM zugelassen, Paracetamol ab der Geburt) – perioperativ den Vorzug zu gegeben (Giest et al. 2009). Möchte man trotz allem Paracetamol perioperativ einsetzten, muss noch die Frage nach der Dosierung geklärt werden. Im Mai 2008 hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) alle pharmazeutischen Unternehmer die Paracetamolhaltige Arzneimittel in den Verkehr bringen, aus Sicherheitsgründen aufgefordert die entsprechenden Dosierungen für Kinder zwischen 1 bis 12 Monaten nach unten zu korrigieren. Zusammenfassend werden Einzelgaben von 15 mg/kg alle 6 Stunden und eine Tagesmaximaldosierung von 60 mg/kg empfohlen (http://sunset-clause.dimdi.de/ muster/OBFM3A1C51B501C8CA23.rtf). Allerdings können mit dieser Dosierung nicht zuletzt aufgrund der variablen Bioverfügbarkeiten bei rektaler und oraler Paracetamolgabe bei Kindern i. d. R. keine Plasmaspiegel von >10 mg/l erreicht werden (Anderson et al. 1999, Aran et al. 2001) Deshalb ist umstritten, ob diese Dosierungen und damit die Gaben von Paracetamol überhaupt noch Sinn macht. Abschließend muss darauf hingewiesen werden, dass es bis zum 31. Dezember 2009 bei 22 Kindern unter 1 Jahr zu einer akzidentiellen Überdosierung von Perfalgan® aufgrund einer Verwechslung zwischen „mg“ und „ml“ der angeordneten Dosierung gekommen ist (Kinder erhielten eine 10-fach zu hohe Dosis). Eines der Kinder verstarb durch diese Überdosierung [Medizin-Report der Pharmavigilance Working Group der EMA-Europa PhVWP) PWP. (2010) http://www.ema.europa.eu/pdfs/human/ phvwp/17301110en.pdf]. Es gilt deshalb konsequent darauf zu achten, dass die korrekte Dosierung in den verschiedenen Altersgruppen verwendet wird (Zahn et al. 2010). Die Anwendung von Ibuprofen stellt aber eindeutig eine effektivere Alternative dar, und dies bei Kindern sogar zu Operationen wie Tonsillektomien, bei denen die Nachblutungsgefahr und die Gefahr von Reoperationen auf Grund von Blutungen nicht erhöht zu sein scheint (Cardwell et al. 2010). Zukünftige Studien müssen den analgetischen Nutzen und Risikopotentiale neuere NSARs [eingeschlossen spezifischer(er) COX-2 Hemmer] bei Kindern untersuchen.
Therapie mit Opioiden Werden perioperativ keine Regionalanalgesieverfahren eingesetzt oder reduziert sich der Effekt einer Regionalanalgesie nach Single-Shot-Gabe im postoperativen Verlauf, sind nicht selten Opioide indiziert. Die meist gebräuchlichsten Opioiden in der perioperativen Schmerztherapie bei Kindern sind Tramadol, Piritramid und Morphin. Vor- und Nachteile dieser Substanzen sind bekannt und Therapieschemata vielseitig. Ein nach vielen Jahren in Deutschland wieder verfügbares Opioid, das Nalbuphin, könnte in der pädiatrischen Schmerztherapie gerade auch nach Operationen Vorteile bieten. Nalbuphin stellt einen Agonisten am µ-Rezeptoren und einen partiellen Antagonist am µ-Rezeptor dar. Die Dosierung für eine Einmalgabe beträgt 0,1–0,25 mg/kgKG, das Dosisintervall sollte je nach Bedarf 2–4 Stunden betragen. Auch eine Therapie mittels PCIA ist möglich (Bolus: 20 µg/kgKG, Look-out 10 min; ggf. kontinuierlich: 40–100 µg/kg/h). Als Nebenwirkungen werden allergische Reaktionen, Sedierung, Dysphorie, Euphorie (v. a. bei schneller Anflutung), Blutdrucksenkung, Orthostase, Brady- und Tachykardie, Übelkeit und Erbrechen, Obstipation Kontraktion der Gallenblase und -gänge, Ureterkontraktion, Hemmung des Miktionsreflexes und Atemdepression (v. a. bei schneller Anflutung) genannt. Obwohl die Kinder nach Nalbuphin-Gabe relativ müde erscheinen, soll das Risiko einer Atemdepression geringer als nach äquivalenten Dosierungen reiner µ-Opiat-Agonisten, so dass die therapeutische Breite von Nalbuphin besser zu sein schein als von Piritramid und Morphin. Weitere Studien hierzu so wie zu den neueren Substanzen wie Tapentadol in der perioperativen Phase bei Kindern wären in ZuDer Schmerz · Supplement 1 · 2011
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Abstracts kunft wünschenswert, um die Therapie postoperativer Schmerzen bei Kindern mit Opioiden zu verbessern.
Schmerztherapeutische Gesamtkonzepte Jede perioperative Schmerztherapie muss, um in der Praxis effektiv zu sein, in einer Klinik im Rahmen von Konzepten und durch engagierte Personen, die diese Konzepte „leben“, durchgeführt werden. Als beispielhaft kann hierfür das LKH-Univ. Klinikums Graz gelten. Die Implementierung eines Schmerzkonzeptes – das insbesondere auch die postoperative Kinderschmerztherapie betraf, begann 2007 und führte – erstmals – zu einer nicht nur auf Struktur- und Prozess sondern auch auf Ergebnisqualität basierenden Zertifizierung „Qualifizierte Schmerztherapie“. Folgende Punkte, die so oder ähnlich auch in anderen Kliniken absolut umsetzbar sind, haben zu der Zertifizierung beigetragen.
Bildung einer interdisziplinären Arbeitsgruppe Am Beginn jeder Qualitätsverbesserung steht die Umsetzung von Struktur– und Prozesskriterien. Wichtig dabei ist eine zielorientierte Zusammenarbeit aller beteiligten Berufsgruppen (Anästhesiologie und Intensivmedizin, Chirurgie, Pädiatrie, Pflege, Physio-, Ergotherapie und Psychologie), da Schmerztherapie nur erfolgreich sein kann, wenn es ein Anliegen aller ist.
Festlegung von Verantwortlichkeiten Fachlichen Zuständigkeiten, Verantwortlichkeiten (z. B.: Welche Fachabteilung ist wann für eine Schmerztherapie zuständig?) und organisatorische Aspekte müssen schriftlich genau festgelegt werden, um Versorgungsmängel an Schnittstellen zu vermeiden. Neben den Vorständen der beteiligten Fachdisziplinen sind auch die ärztliche Direktion, die Pflegedirektion und evtl. auch die Verwaltungsleitung per Vertrag mit einzubinden.
Schmerzanamnese Jeder Patient sollte bei der Aufnahme nach aktuell bestehenden Schmerzen befragt werden. Sollten Schmerzen vorliegen, so ist zu dokumentieren seit wann diese bestehen, die Lokalisation der Schmerzen, der Schmerzcharakter und welche Schmerzmedikamente bisher angewendet wurden.
Aufklärung/ Information Das Schmerzmanagement beginnt bereits vor einer potentiell schmerzhaften Intervention mit einer altersgerechten Information über die geplanten Maßnahmen der Schmerztherapie, deren speziellen Risiken und möglichen Komplikationen, Erfolgsaussichten, Vor- und Nachteilen der geplanten Maßnahmen und Behandlungsalternativen. Informationen müssen auf eine ehrliche, einfache und klare Art und Weise vermittelt werden. So können vorhandene Ängste abgebaut und das Wissen des Patienten über den zu erwartenden postoperativen Schmerzverlauf und die Möglichkeiten der Einflussnahme verbessert werden. Falsche Vorstellungen bezüglich einer Abhängigkeit und Toleranzentwicklung von starken Schmerzmitteln können durch eine adäquate Informationsmitteilung beseitigt werden und zu einer positiveren Einstellung hinsichtlich der Einnahme von Schmerzmedikamenten führen (Johansson et al. 1994).
Schmerzmessung/Schmerzdokumentation Die Voraussetzung für eine effektive Schmerztherapie ist die Erkennung, Quantifizierung und Bewertung von Schmerz (Rawal et al. 1994). Schmerzmessung dient der Dosisfindung und der Patientenorientierten Schmerztherapie. Eine einfache Möglichkeit, Schmerz zu messen, ist der Einsatz von Schmerzskalen. Wichtige Aspekte bei der Auswahl eines geeigneten Instruments sind das Alter und die kognitive Entwicklung von Kindern. Nur Schmerzskalen, die zuverlässig, gül-
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tig (valide), praktikabel und im klinischen Alltag einfach anzuwenden sind sollten eingesetzt werden. Eine umständliche und unübersichtliche Skala mit einer komplizierten Auswertung wird nicht angenommen und führt darüber hinaus häufig zu Fehlern.
Interventionsgrenzen Fix festgelegte Interventionsgrenzen (Cut off Wert) erwecken den Eindruck eines starren, fixen Regimes mit Widerständen vor allem von der Ärzteschaft. Der Vorteil liegt aber in der Möglichkeit der Entwicklung einfacher, klar strukturierter, rasch umsetzbarer Therapiestrategien (Messerer et al. 2010). In der postoperativen Akutphase werden an der zu erwarteten Schmerzintensität angepasste Behandlungsschemata verwendet.
Ergebnisorientierte Schmerztherapie Ob man eine Verbesserung der Akutschmerztherapie bei Kindern durch eine Optimierung von Struktur- und Prozessqualität erreicht hat, lässt sich nur durch eine standardisierte Erhebung und Analyse von Daten zur Therapiequalität erzielen (Meissner et al. 2006). Für Erwachsene steht dafür schon seit Jahren der QUIPS (Qualitätsverbesserung der postoperativen Schmerztherapie) zur Verfügung (Meissner et al. 2008), der von deutschen und österreichischen Fachgesellschaften und Berufsverbänden der Anästhesie und Chirurgie unterstützt wird. Um die Ergebnisqualität auch bei Kindern messen zu können, wurde in Anlehnung an QUIPS der QUIPSInfant (Qualitätsverbesserung der postoperativen Schmerztherapie bei Kindern) an der Universitätsklinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin und der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendchirurgie der medizinischen Universität Graz in Kooperation mit der anästhesiologischen Abteilung der Universität Jena entwickelt (Messerer et al. 2010). Basierend auf den neuesten Erkenntnissen der Schmerzerfassung bei Kindern und Jugendlichen wurde damit ein Erhebungsinstrument entwickelt, welches den akuten Schmerz, Befindlichkeitsbeeinträchtigungen und körperliche Beschwerden nach kinderchirurgischen Interventionen erhebt. Der Erfolg der Schmerztherapie und potentielle Nebenwirkungen können somit aus Patientensicht erfasst werden. Die Daten werden anonymisiert analysiert und an die beteiligten Kliniken inklusive der Möglichkeit eines automatischen Benchmarking rückgemeldet. Dies ermöglicht eine kontinuierliche Verlaufsbeobachtung und damit Überprüfung der eigenen Schmerztherapie. 1. Anderson BJ, Holford NHG, Woollard GA, Kanagasundarum S, Mahadevan M. (1999) Perioperative pharmacodynamics of acetaminophen analgesia in children. Anesthesiology 90:411–421 2. Arana A, Morton NS, Hansen TG. (2001) Treatment with paracetamol in infants. . Acta Anaesthesiol Scand 45:20–29 3. Beasley R, Clayton T, Crane J, et al. (2008) Association between paracetamol use in infancy and childhood, and risk of asthma, rhinoconjunctivitis, and eczema in children aged 6–7 years: analysis from Phase Three of the ISAAC programme. Lancet 372:1039–1048 4. Bösenberg AT, Bland BA, Schulte-Steinberg O, Downing JW. Thoracic epidural anesthesia via caudal route in infants. Anesthesiology. 1988;69(2):265–9. 5. Bremerich DH, Neidhart G, Roth B, Kessler P, Behne M. Postoperative Schmerztherapie im Kindesalter. Anaesthesist 2001; 50:102–112 6. Cardwell et al, Cochrane Database of Systematic Reviews 2005, Issue 2. Art. No.: CD003591. DOI: 10.1002/14651858.CD003591.pub2 7. Brenner L, Marhofer P, Kettner SC, Willschke H, Machata AM, Al-Zoraigi U, Lundblad M, Lönnqvist PA. Ultrasound assessment of cranial spread during caudal blockade in children: the effect of different volumes of local anaesthetics. Br J Anaesth. 2011;107(2):229–35. 8. Dimova S, Hoet PH, Dinsdale D, Nemery B. (2005) Acetaminophen decreases intracellular glutathione levels and modulates cytokine production in human alveolar macrophages and type II pneumocytes in vitro. Int J Biochem
Cell Biol 37:1727–1737 9. Drasner K. Local anesthetic systemic toxicity: a historical perspective. Reg Anesth Pain Med. 2010;35(2): 10. Ecoffey C, Lacroix F, Giaufré E, Orliaguet G, Courrèges P; Association des Anesthésistes Réanimateurs Pédiatriques d‘Expression Française (ADARPEF). Epidemiology and morbidity of regional anesthesia in children: a follow-up one-year prospective survey of the French-Language Society of Paediatric Anaesthesiologists (ADARPEF). Paediatr Anaesth. 2010;20(12):1061–9. 11. Farquhar H, Crane J, Mitchell EA, Eyers S, Beasley R. (2009) The acetaminophen and asthma hypothesis 10 years on: A case to answer. J Allergy Clin Immunol 124:649–651 12. Giest J. (2009) Paracetamol für die perioperative Schmerztherapie im Kindesalter – Ende einer Ära? Anästhesie und Intensivmedizin 50:57–59 13. Ivani G, Mossetti V. Pediatric regional anesthesia. Minerva Anestesiol 2009;75:577–83 14. Johansson K, Nuutila L, Virtanen H, Katajisto J, Salantera S. Preoperative Education for orthopaedic patients: systemic review. J Ady Nurs 2005;50(2):212–23 15. Lonnqvist 16. Messerer B, Gutmann A, Weinberg AM, Sandner-Kiesling A. Implementation of a standardized pain management in a pediatric surgery unit. Pediatr Surg Int 2010;26(9):879–89 17. Lönnqvist PA, Morton NS. Postoperative analgesia in infants and children. Br J Anaesth 2005;95:59–68 18. Meissner W, Ullrich K, Zwacka S. Benchmarking as a tool of continuous quality improvement in postoperative pain management. Eur J Anaesthesiol 2006;23:142–148 19. Meissner W, Mescha S, Rothaug J, Zwascha S. Göttermann A, Ulrich K, Schlepper A. Qualitätsverbesserung der postoperativen Schmerztherapie – Ergenisse des QUIPS Projektes. Dt. Äztebl. 2008;105:865–870 20. Messerer B, Weinberg AM, Gutmann A, Sandner-Kiesling A, Mescha S, Meissner W. QUIPSI- Qualitätsverbesserung der postoperativen Schmerztherapie bei Kindern. AINS 2010;45:592–594 21. Murray KF, Hadzic N, Wirth S, Bassett M, Kelly D. (2008) Drug related hepatotoxicity and acute liver failure. J Pediatr Gastroenterol Nutr 47:395–405 22. Rabbit 2010 23. Rakow H, Finke W, Mutze K et al. Handlungsempfehlungen zur postoperativen Schmerztherapie bei Kindern vom wissenschaftlichen Arbeitskreis Kinderanästhesie der DGAI. Anästhesiologie und Intensivmed. 2007;48:S99–S103 14. Rawal N, Berggren L. Organization of acute pain service. A low cost model. Pain 1994;57:117–123 15. Segerdahl M, Warrén-Stomberg M, Rawal N, Brattwall M, Jakobsson J. Children in day surgery: clinical practice and routines. The results from a nation-wide survey. Acta Anaesthesiol Scand. 2008;52(6):821–8. 16. Tsui BC, Suresh S. Ultrasound imaging for regional anesthesia in infants, children, and adolescents: a review of current literature and its application in the practice of neuraxial blocks. Anesthesiology. 2010;112(3):719–28. 17. van der Marel CD, Peters JW, Bouwmeester NJ, et al. (2007) Rectal acetaminophen does not reduce morphine consumption after major surgery in young infants. Br J Anaesth 98:372–379 18. Zahn PK, Sabatowski R, Schug SA, Stamer UM, Pogatzki-Zahn EM. Paracetamol for perioperative analgesia. Old substance – new insights. Anaesthesist. 2010;59(10):940–52.
Kopfschmerz SY 12 DMKG meets Orthopädie G. Müller1, K. Lüdtke2, A. May3 1Rückenzentrum Am Michel, Hamburg, Deutschland, 2Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Institut für Systemische Neurowissenschaften, Hamburg, Deutschland, 3Universitätsklinikum Hamburg, UKE, Institut für systemische Neurowissenschaften, Hamburg, Deutschland Kopfschmerzpatienten konsultieren üblicherweise mehrere Fachärzte. Je nachdem wo sich der Patient zuerst vorstellt, entstehen unterschiedliche Diagnosen, etwa hypomobile Dysfunktionen der Kopfgelenke oder eine Migräne. Die Neurologen wissen meist nicht, dass die Seitendominanz der Kopfschmerzsymptomatik häufig mit den identifizierten Gelenkstörungen korreliert und sich nach gezielter manualtherapeutischer Behandlung verbessert. Umgekehrt können Orthopäden die Fülle der differentialdiagnostischen und therapeutischen Maßnahmen in der Kopfschmerzbehandlung kaum überblicken. Beide kommunizieren in unterschiedlicher Intensität mit Physiotherapeuten, die wiederum unterschiedlichen Konzepten folgen. Nicht selten reden alle drei aneinander vorbei, wenn sie überhaupt miteinander sprechen. Dieses Symposium soll die Unterschiede, vor allem aber die Gemeinsamkeiten der Ansätze thematisieren und in der klinischen Umsetzung praktikable Lösungen der kooperativen Therapie aufzeigen.
Palliativmedizin SY 13 Todeswunsch bei unerträglichem Schmerz – ethisches Dilemma und kommunikative Herausforderung H. Müller-Busch1, F. Nauck2, C. Ostgathe3, A. Simon4 1Universität Witten/Herdecke 58448 Witten, Berlin, Deutschland, 2GeorgAugust-Universität Göttingen, Zentrum Anästhesiologie, Rettungs- und Intensivmedizin, Göttingen, Deutschland, 3Universitätsklinikum Erlangen, Palliativmedizinische Abteilung in der Anästhesiologischen Klinik, Erlangen, Deutschland, 4Universitätsmedizin Göttingen, Akademie für Ethik in der Medizin, Göttingen, Deutschland Unerträgliche Schmerzen stellen in der Schweiz bzw. in den Niederlanden einen der Hauptgründe für das Verlangen nach assistiertem Suizid bzw. nach Euthanasie dar. In der Debatte über die Zulässigkeit von bestimmten Formen der Sterbehilfe besteht Einigkeit darüber, dass eine gute Palliativbetreuung vorzeitigen Sterbewünschen und Tötungswünschen entgegenzuwirken vermag. Prävention des Leidens und eine optimale Behandlung belastender Symptome, aber auch Kommunikation, soziales Miteinander und ethische Orientierung in Grenzsituationen können Suizidabsichten und dem Verlangen nach ärztliche Tötung entgegenwirken – vorausgesetzt ist, dass diese aufgenommen und ernst genommen werden. Dennoch gibt es Situationen, in denen Menschen mit „unerträglichem Leid“ – aus welchen Gründen auch immer, von Ärzten nur noch Hilfe zum Totsein erwarten.
Ethische Bewertung des ärztlich assistierten Suizids im inter nationalen Vergleich Soll es Ärzten erlaubt sein, Beihilfe zum Suizid zu leisten? Diese Frage wird nicht nur in Deutschland, sondern auch international kontrovers diskutiert. Der 114. Deutsche Ärztetag in Kiel hat im Juni eine Änderung der Berufsordnung verabschiedet, nach der es Ärzten in Deutschland künftig ausdrücklich untersagt ist, Hilfe zur Selbsttötung Der Schmerz · Supplement 1 · 2011
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Abstracts zu leisten. Dem Beschluss ging eine intensive Debatte um die berufsethische Bewertung der Suizidbeihilfe voraus. Ausgelöst wurde diese u. a. durch die im Februar veröffentlichte Neufassung der Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung. Darin wurde mit Verweis auf die differenzierten Moralvorstellungen in einer pluralistischen Gesellschaft die bisherige Einschätzung, wonach die Mitwirkung des Arztes bei der Selbsttötung eines Patienten dem ärztlichen Ethos widerspreche, dahingehend modifiziert, dass diese keine ärztliche Aufgabe darstelle. Nach heftigen und teilweise polemischen Reaktionen in den Medien sahen auch viele Delegierte des Deutschen Ärztetages in der Formulierung „Die Mitwirkung des Arztes bei der Selbsttötung ist keine ärztliche Aufgabe“ eine Aufgabe des ärztlichen Ethos. Sie forderten in zwei Beschlussanträgen, dass über das berufsrechtliche Verbot hinaus die alte Formulierung wieder in die Grundsätze aufgenommen wird. Im Gegensatz zur Einschätzung der deutschen Ärztevertreter hat die niederländische Ärztekammer bereits 1984 im Zusammenhang mit der Tötung auf Verlangen festgestellt, dass eine aktive Lebensbeendigung zu den Aufgaben des Arztes gehören und zulässig sein kann, wenn diese auf Verlangen des Patienten erfolgt und keine andere Möglichkeit besteht, den Patienten von seinem unerträglichen Leiden zu befreien. Die Schweizer Akademie der Medizinischen Wissenschaften wiederum hat in einer Richtlinie aus dem Jahre 2004 festgestellt, dass die Beihilfe zum Suizid zwar keine ärztliche Tätigkeit darstellt, dass es aber eine Gewissensentscheidung des einzelnen Arztes darstellt, ob er den Wunsch des Patienten nach Suizidbeihilfe erfüllt. Vor dem Hintergrund dieser sehr unterschiedlichen Bewertungen lassen sich die verschiedene Argumente für und gegen den ärztlich assistierten Suizid herausarbeiten. Dabei wird zu klären sein, ob in den genannten Ländern unterschiedliche ethische Grundsätze für ärztliches Handeln gelten, oder ob diese nur mit Blick auf die Suizidbeihilfe unterschiedlich interpretiert werden.
Der Umgang mit Wünschen zur Suizidbeihilfe als ärztliche Auf gabe Mehr als 35% der Ärzte sprachen sich in einer 2010 in Deutschland durchgeführten Umfrage für eine „Liberalisierung“ der bestehenden Regelung aus, so dass sich die Frage stellt, ob in bestimmten Leidenssituationen der assistierte Suizid auch als ärztliche Aufgabe normativ begründet bzw. moralisch zu rechtfertigen ist. In Deutschland werden ca. 10–15% der Ärzte von ihren Patienten um Hilfe zum Suizid gebeten. Rund 50% aller Suizidenten im Alter haben in den letzten 4 Wochen einen Arzt aufgesucht, ohne dass die suizidale Gefährdung wahrgenommen wurde. Die Bereitstellung und Gabe von tödlich wirkenden Medikamenten ist zwar eine medizinische Handlung, jedoch keine therapeutische Maßnahme, die im Grundverständnis ärztlichen Handelns normativ begründet bzw. moralisch gerechtfertigt werden kann. Hinzu kommt eine Erkenntnisgrenze, die den Tod nicht als rational bewertbares Therapieziel einbeziehen kann. Insofern kann auch die Beihilfe zum Suizid aus ärztlicher Sicht nicht als therapeutische Option angesehen werden – sie beendet unter Umständen einen Konflikt ohne das zugrunde liegende Problem einer am Leben orientierten Leidenslinderung zu lösen. Nicht die Abschaffung des Leidenden, sondern die Linderung des Leides ist die Aufgabe des Arztes. Auch wenn aus palliativmedizinischer aber auch aus allgemein medizinischer Sicht die gezielte vorzeitige Herbeiführung des Todes kein Behandlungsziel bzw. therapeutische Option angesehen werden kann geht es bei schwerstkranken Menschen immer auch darum, ob, wann und wie das Sterben bzw. der Tod zugelassen werden darf, kann bzw. muss. Insofern stellt auch der Umgang mit Wünschen zur Suizidbeihilfe bei Patienten, die ihre Lebenssituation als unerträglich empfinden, eine besondere kommunikative und ethische Herausforderung dar, da solche Wünsche immer eine große individuelle Not aber auch hohe Erwartungen an Ärzte zum Ausdruck bringen. Darf im denkba-
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ren Extremfall durch Beihilfe zum Suizid ein Konflikt beendet werden – wenn das eigentliche Problem, nämlich einer am Leben orientierten Leidenslinderung nicht gelöst werden kann? Bei der Konfrontation mit Suizidbeihilfe geht es immer auch darum, die eigene Position nicht nur nach rechtlichen bzw. berufsrechtlichen Kriterien zu hinterfragen, sondern auch sich in eine Beziehung zu begeben, die zwar den anderen respektiert und zu verstehen versucht, aber ihm – trotz aller moralischen Bedenken – auch gerecht zu werden versucht. Es kann ein Dilemma auftreten, für deren Behandlung medizinische, rechtliche und philosophisch-religiöse Aspekte differenziert miteinander in Beziehung gesetzt werden müssen. Auch durch die klaren Festlegungen in den Grundsätzen und Musterberufsordnung der Ärzte gibt es für Dilemmata keine Königsempfehlungen, die das Ringen um individuelle Verantwortung ersetzen könnten. Von allen Todesarten ist der Suizid sicherlich diejenige, welcher die größte Betroffenheit und die meisten Fragen hervorruft. Auch ein ärztlich assistierter Suizid sollte nicht als Garant für ein würdigeres Sterben angesehen werden. Insofern ist es vielleicht wichtiger über Suizidprävention zu diskutieren als über Suizidbeihilfe. Suizidprävention ist allerdings nicht nur eine medizinische, sondern vor allem auch eine gesellschaftliche und soziale Aufgabe.
Ist tiefe kontinuierliche Sedierung bei unerträglichem Leid eine Alternative? In der Praxis verschiedener Ländern aber auch in der medizinethischen Debatte wird die kontinuierliche tiefe terminale Sedierung (CDS) von der eher intermittierend durchgeführten palliativen Sedierung unterschieden. Die kontinuierliche tiefe terminale Sedierung erfolgt mit dem Ziel bis zum Tode das Bewusstsein zu dämpfen, während bei der palliativen Sedierung die Bewusstseinsdämpfung nicht das Ziel, sondern die Methode ist, mit der eine Beschwerdelinderung erzielt werden soll. Auch wenn in verschiedenen Leitlinien die Anwendung der CDS nur bei Patienten mit therapierefraktären körperlichen Symptomen z. B. Schmerzen, Atemnot und kurzer Lebenserwartung empfohlen wird, sieht die Praxis doch häufig anders aus. Schmerz als Sedierungsgrund wird nicht nur von der schmerztherapeutischen Erfahrung der Experten, sondern in besonderer Weise auch von den Wertvorstellungen der Beteiligten bestimmt. Inzwischen sind Schmerzen in der Palliativsituation eher selten ein therapeutisches Problem, während Atemnot, akute Paniksituationen sowie agitiert delirante Zustände, die sich trotz vieler medikamentöser und auch nicht medikamentöser Behandlungsmöglichkeiten nicht kontrollieren lassen, häufiger zu einer Sedierung führen. Eine kontinuierliche tiefe terminale Sedierung bis zum Tode wird von manchen Patienten aber auch von Ärzten als eine akzeptable und moralisch gut vertretbare Alternative zur verbotenen Tötung auf Verlangen (sog. aktive Sterbehilfe) angesehen. Dadurch können sich in Situationen unerträglichen bzw. existentiellen Leids Konflikte im Behandlungsteam ergeben, die eine klare Reflexion und Bestimmung der Intention medizinischer Maßnahmen und deren Indikation erforderlich macht, besonders wenn es auch darum geht, leidenden Menschen Hilfe nicht zu versagen. Die in Deutschland publizierten Leitlinien und Empfehlungen zum Thema Sedierung am Lebensende widerspiegeln auch unterschiedliche Erfahrungen und ethische Positionen. Sedierung am Lebensende bzw. zur Erleichterung des Sterbens bedarf einer sorgfältigen Indikation, einer differenzierten Kommunikation, reflektierten Entscheidens und einer für alle nachvollziehbare Transparenz. 1. Bundesärztekammer (Hrsg.) Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung 2011 www.bundesaerztekammer.de/downloads/ Sterbebegleitung_17022011.pdf 2. Alt-Epping B, Sitte T, Nauck F, Radbruch L Sedierung in der Palliativmedizin – Leitlinie für den Einsatz sedierender Maßnahmen in der Palliativersorgung – European Association for Palliative Care (EAPC) Recommended Framework
for the Use of Sedation in Palliative Care; Deutsche Übersetzung, Der Schmerz 2010; 4: 342-354 (Original: Nathan I Cherny, Lukas Radbruch. EAPC recommended framework for the use of sedation in Palliative Care. Pall Med 2009; 23 (7): 581–593) 3. Lipp V, Simon A. Beihilfe zum Suizid: Keine ärztliche Aufgabe Dtsch Arztebl 2011; 108 (5): A 212–6 4. Neitzke G, Oehmichen F, Schliep HJ und Wördehoff D. Sedierung am Lebensende – Empfehlungen der AG Ethik am Lebensende in der Akademie für Ethik in der Medizin (AEM) Ethik in der Medizin 2010;22,2:139-147 5. Oduncu F Hohendorf G. Die ethische Verantwortung des Arztes, Dtsch Ärztebl 2011; 108 (7): A 346–8 2
Pharmakologische Verfahren SY 14 Zu Risiken und Nebenwirkungen… U. Stamer1, C. Maier2, F. Mußhoff3 1Inselspital Universität Bern, Klinik für Anästhesiologie und Schmerztherapie, Bern, Schweiz, 2Ruhr-Universität Bochum, Abteilung für Schmerztherapie, Bochum, Deutschland, 3Universität Bonn, Institut für Rechtsmedizin, Bonn, Deutschland Die Schmerztherapie ist nicht ohne Risiken und Nebenwirkungen. Schwere Komplikationen, gar unvorhergesehene Todesfälle im Rahmen einer Schmerztherapie treten insgesamt zwar selten auf, sind jedoch für alle Beteiligten einschneidende Ereignisse. Jede wirksame Therapie hat Nebenwirkungen und Komplikationen. Dieses gilt auch für die Psychotherapie. Es gibt schicksalhafte, also unvermeidbare, vermutlich aber weitaus häufiger vermeidbare Komplikationen. Diese beruhen selten primär auf technischen Fehlern. Jede Punktion und Katheterimplantation hat zwangsläufig ein gewisses Risiko durch Blutungen, Verletzungen oder Entzündungen. Analysiert man jedoch besonders gravierende Verläufe, wie z. B. Querschnittlähmungen nach rückenmarknahe Interventionen oder suizidale Verläufe bei intrathekaler Therapie, so findet man geradezu regelhaft ein gefährliches Aufeinandertreffen von ärztlicher Unterschätzung der Gefahren in Kombination mit einer zumindest fragwürdigen Indikationsstellung auf der einen Seite sowie andererseits Patienten, die aufgrund ihrer Vorgeschichte oder psychischen Prädisposition schon vorher eine Leidensgeschichte haben, die sich durch Häufung ärztlicher Fehlverhalten oder komplikationsreicher Irrtümer auszeichnet. Diese Erfahrung ist nicht neu. Schon in den 1950er Jahren gab es eindrückliche Fallberichte von aufmerksamen Psychiatern. Konkret trifft ärztlicher Handelsdruck bei unklarer Diagnose auf Patienten, die maximalen Druck auf Therapeuten ausüben. Diese Konstellation begünstigt nun einmal den Einsatz von Medikamenten trotz bekannter Kontraindikation, wie von uns beispielhaft an zwei Verläufen mit Suizidalität unter Ziconotid-Therapie berichtet wurde. Die Unterschätzung der Bedeutung von Kontraindikationen wird natürlich begünstigt durch diagnostische Inkompetenz. Deshalb ist es ein richtiger Schritt vorwärts, wenn wir uns zukünftig nicht mehr als Schmerztherapeuten sondern als Schmerzmediziner verstehen. Dieser psychologische Konflikt für den „Schmerztherapeuten“ zeigt sich im Prinzip auch in der Emotionalität, mit der gegenwärtig die Opiat-Diskussion geführt wird. Niemand, der klinisch arbeitet, bezweifelt den ungeheuren Nutzen der Opiate in der Schmerztherapie. Aber aus diesem Wissen darf nicht eine Unterschätzung möglicher Gefahren resultieren. Warum hat es so lange gedauert, bis das Risiko der morphininduzierten Granulome akzeptiert wurde? Warum wurden Berichte, in denen lediglich im Nebensatz von gravierenden persistierenden Myelonschäden berichtet wurde, unkommentiert in der Schmerz-Community hingenommen?
Gegenwärtig erleben wir etwas Ähnliches: Es gibt eine zunehmende Zahl von Belegen für Opiat-induzierten Hyperalgesie, die bei Nichterkennen zur „Down-Hill-Spirale“ führt. Es gibt Daten, dass Opiate mit einem höheren Sturzrisiko und mit erhöhter kardiovaskulär bedingter Mortalität verbunden sind [2]. Möglicherweise beruhen diese Daten auf einem Bias. Jedoch sollten wir bedenken, dass es mehr als 3 Jahre gedauert hat, bis eine Vielzahl von Befunden über ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko sowohl bei Coxiben wie bei tNSAR zu ersten Reaktionen geführt hat. Die Schmerzmedizin hat seit langem ihre Nische als missachtetes Stiefkind verlassen. Ob sie sich als eigenständige Disziplin halten wird, wird nicht zuletzt davon abhängen, welchen Beitrag sie zur auch Prävention und Verhütung von Nebenwirkungen und Komplikationen leistet. Neben den durch Behandler und/ oder Patient bestimmtem Nebenwirkungen und Komplikationen, kann auch eine individuell sehr unterschiedliche Metabolisierung von Opioiden, NSAR oder Koanalgetika zu unerwünschten Ereignissen führen. Die unterschiedliche Metabolisierung kann durch angeborene genetische Varianten z. B. von metabolisierenden Enzymen aber auch durch Komedikation, die die Metabolisierung inhibieren oder induzieren kann, beeinflusst werden. Viele traditionelle NSAR, aber auch Coxibe werden über CYP2C9 oder auch CYP2C8 metabolisiert. Die Blutspiegel dieser Analgetika werden entscheidend von der Aktivität dieser Cytochrome bestimmt, mit einer bis zu 4,5-fach verlängerter Halbwertszeit (z. B. für Ibuprofen) bei Patienten mit einer genetisch bedingten niedrigen Metabolisierungsrate („Poor Metabolizern“). Dieses kann einerseits durch lang anhaltende hohe Blutspiegel des NSAR eine längere, evtl. auch bessere Wirksamkeit bedeuten, andererseits aber auch das Risiko für Nebenwirkungen erhöhen. So werden vermehrt akute gastrointestinale Blutungen unter einer Therapie mit NSAR bei CYPC28/9 Poor Metabolizern gefunden. Auch über ein vom CYP2C9 Genotyp abhängiges bis zu 11-fach erhöhtes Risiko für eine Überantikoagulation mit Blutungsneigung bei Kombination von NSAR mit Kumarinen wird berichtet [3, 4]. Paracetamol ist ein Substrat mehrerer Cytochrom P450 (CYP)-Enzyme (u. a. CYP2E1, CYP3A4, CYP2A2). Normalerweise wird nur ein Bruchteil des Paracetamols zu lebertoxischen Metaboliten (NAPQI) verstoffwechselt. Ihre Detoxifikation erfolgt rasch durch Konjugation an Glutathion unter Einwirkung der Glutathion-S-Transferase. Eine kritische Anhäufung von NAPQI kann einerseits durch eine vermehrte Produktion, aber auch durch eine reduzierte Entgiftung erfolgen. Für beide Schritte können sowohl exogene (Morbidität, Komedikation) als auch endogene Faktoren, vermutlich meist wohl eine Kombination aus beiden eine Rolle spielen [4]. Patienten mit einer erhöhten CYP2D6-Enzymaktivität sind gefährdet für eine Opioid-induzierte Atemdepression unter der Medikation von Tramadol und Codein. In mehreren Case Reports wird u. a. von Todesfällen vor allem bei Säuglingen und kleinen Kindern berichtet, die unter Codein (bei uns in Kombinationspräparaten z. B. zusammen mit Paracetamol enthalten) eine Atemdepression erlitten haben. Auch eine Atemdepression unter codeinhaltigem Hustensaft bei einem Erwachsenen ist beschrieben. Bei diesen für eine durch Opioide induzierte Atemdepression besonders gefährdeten Patienten handelt es sich um sog. CYP2D6 „Ultrarapid Metabolizer“, die Codein oder auch Tramadol sehr schnell und intensiv in ihre am µ-Opioidrezeptor aktiven Metabolite Morphin bzw. O-Demethyltramadol umwandelnSomit ist Vorsicht geboten mit diesen Medikamenten, vor allem auch bei Patienten, die aus bestimmten geographischen Regionen der Erde stammen, da abhängig von der Ethnizität die Häufigkeit von genetischen Varianten erheblich variiert. CYP2D6 Ultrarapid Metabolizer findet man beispielsweise in Mitteleuropa mit einer Häufigkeit von 3–4%, im Mittelmeerraum mit bis zu 10%, in Saudi-Arabien und Äthiopien mit einer Häufigkeit von bis zu 30%. Weitere opioidtypische zentralnervöse Nebenwirkungen wie Übelkeit und Erbrechen oder auch Müdigkeit oder Verwirrtheit wurden assoziiert mit genetischen Varianten des ORMR1-Gens (µ-Opioidrezeptor), des ABCB1-Gens (P-Glykoprotein, Medikamententransporter) und des COMT-Gens (Catechol-O-Methyltransferase). Der Schmerz · Supplement 1 · 2011
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Abstracts Bei Todesfällen im Zusammenhang mit ärztlichen Maßnahmen (unerwartete postoperative Todesfälle, Narkosezwischenfälle, Todeseintritt im Zusammenhang mit Infusion, Transfusion, Medikation, diagnostischen oder therapeutischen Eingriffen) sollte der behandelnde Arzt bzw. der für die Abteilung oder Klinik Verantwortliche zur Sachverhaltsaufklärung und eigenen Entlastung eine objektive Todesursachenklärung durch eine gerichtliche Obduktion anstreben. Eine außerbehördliche Klärung der Todesursache durch eine klinische Obduktion wird von Ermittlungsbehörden nicht selten als Verschleierungsversuch gewertet. Es bedarf einer Qualifikation des Todesfalles als nicht geklärt und einer Meldung an die Polizei. Gerade bei Arzneimittelgabe bedarf es einer umfassenden chemischtoxikologischen Untersuchung, wobei nicht nur auf die nach der Krankenakte verordneten Mittel geachtet werden sollte. Dazu ist kein Kliniklabor in der Lage und auch die wenigsten von Kliniken beauftragten Großlabore haben Erfahrungen bei der Untersuchung von Leichenfällen. Es bedarf einer umfassenden Asservation und Analyse von Körperflüssigkeiten und Organen, nur dann kann eine sachgerechte Interpretation erfolgen. Die Analyse einer Haarprobe kann wertvolle Hinweise auf das Einnahmeverhalten, die Einnahmedauer und einen evtl. nicht bekannten Beikonsum liefern. Die Interpretation von postmortal erhobenen Befunden gehört in die Hände von Experten, da verschiedenste Aspekte zu berücksichtigen sind wie Redistributionsprozesse, Einordnung von Wirkstoffkonzentrationen in Abhängigkeit vom individuellen Krankheitsbild, individueller Dosierung (keine stereotype Einordnung in therapeutisch oder toxisch möglich) und möglichen unerwünschte Arzneimittelnebenwirkungen insbesondere in Form von Wechselwirkungen. Zu beachten ist, dass sog. therapeutische Konzentrationsbereiche in publizierten Tabellen eher an einem Kollektiv junger, gesunder Probanden ermittelt wurden, nicht aber eine in der Schmerztherapie anerkannte symptomatische Dosierung in Abhängigkeit vom Krankheitsbild des Patienten Berücksichtigung fand. Zur Klärung einer möglichen akzidentellen Überdosierung kann bei bestimmten Konstellationen auch eine Genotypisierung beitragen. In der Regel führen die Untersuchungen bei Vorlage konkurrierender Todesursachen zu einer Entlastung (Tod aus innerer Ursache). Bei Todesfällen im Zusammenhang mit ärztlichen Maßnahmen steht menschliches Versagen im Vordergrund (z. B. Medikationsfehler, falsches Programmieren einer Schmerzpumpe). Es kommt aber auch zur Aufdeckung von Suiziden und sogar Tötungsdelikten. Problematisch sind Fälle mit Verdacht auf Sterbehilfe durch Verabreichung von zentral wirksamen Mitteln. Auch Todesfälle durch Überdosierungen von Methadon oder in neuerer Zeit von Fentanyl haben an Bedeutung gewonnen, wobei die Substanzen aus dem Schwarzmarkt stammen und missbräuchlich appliziert werden. Vorgestellt werden eigene Untersuchungen zum Beigebrauch von Arzneimitteln bei Palliativpatienten, festgestellt über Haaranalysen sowie Fälle aus der rechtsmedizinischen Praxis zur Sterbehilfe, zu Medikationsfehlern, einem Fehler bei Gebrauch einer Schmerzpumpe, Suizide durch Bunkern von Arzneimitteln und zu vermutlichen Tötungsdelikten. 1. Maier C. Gockel HH, Gruhn K, Krumova EK, Edel MA. Increased risk of suicide under intrathecal ziconotide treatment? – a warning (http://www.ncbi.nlm. nih.gov/pubmed/21041028) . Pain 2011; 152(1):235–237. 2. Solomon DH, Rassen JA, Glynn RJ. The comparative safety of opioids for non-malignant pain in older adults. Arch Int Med 2010; 170:1979–1986. 3. Stamer UM, Zhang L, Stüber F. Personalized Therapy in Pain Management: Where do we stand? Pharmacogenomics 2010; 11(6): 843–864. 4. Stamer U, Stüber F. Pharmacogenetics of Pain. Expert Opin Pharmacother 2007; 8(14): 2235–2245.
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Freitag, 07.10.2011 Rückenschmerz SY 15 NVL-Kreuzschmerz: Hindernisse bei der Implementation und ihre Überwindung M. Pfingsten1, B. Arnold2, J. Chenot3, B. Rochell4, M. Pleuger5 1Universitätsmedizin Göttingen, Schmerztagesklinik und –Ambulanz, Göttingen, Deutschland, 2Amper-Kliniken, Chefarzt der Abt.für Schmerztherapie, Dachau, Deutschland, 3Universitätsmedizin Göttingen, Abt. Allgemeinmedizin, Göttingen, Deutschland, 4Kassenärztliche Bundesvereinigung KBV, Berlin, Deutschland, 5KKH-Allianz, Integrierte Gesundheitsversorgung IGV, Hannover, Deutschland Die Nationale Versorgungsleitlinie Kreuzschmerz wurde im Oktober 2010 veröffentlicht. Ihre Erstellung ist ein zäh verhandelter Kompromiss, der aufgrund der z. T. gegenteiligen Bedürfnisse der Beteiligten schwer herstellbar war. Naturgemäß finden die in der Expertenkommission abgelaufenen und beendeten Diskussionen jetzt erneut im Versorgungsbereich statt – und führen dort (hoffentlich) zu ähnlichen Ergebnissen. Die Brauchbarkeit einer Leitlinie kann sich jedoch erst nach ihrer Implementierung in den unterschiedlichen Versorgungsbereichen beweisen. Dieser Implementierung stehen zahlreiche Hindernisse entgegen, wobei das wichtigste Kriterium die Anpassung der Vergütungsstrukturen an die vorgeschlagenen Abläufe darstellt. Diese Anpassungen fallen in den Verantwortungsbereich der ärztlichen Selbstverwaltung, zuvorderst der Kassenärztlichen Bundesvereinigung KBV, die die aufzuwendenden Mittel an anderer Stelle einsparen muss (leitliniengemäß z. B. durch Reduzierung der bildgebenden und interventionellen Leistungen). Auch auf dieser Ebene sind erneut divergierende Interessen zu erwarten. Deshalb sind die Kostenträger gefragt, beispielsweise durch Selektivverträge auf Leitlinienbasis die Versorgungswege der Patienten zu steuern. Auf dieses ungewohnte Terrain begeben sich die Krankenkassen bisher eher zögerlich. Aus Sicht der Allgemeinmedizin liegen die Hindernisse einer Umsetzung der Versorgungsleitlinie „Kreuzschmerz“ auf struktureller, aber auch auf fachlicher Ebene. Die extreme Vielfalt an bestehenden diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen bei Kreuzschmerzen mit nur geringem nachweisbarem Nutzen über die Spontanheilungsrate hinaus erfordert unter dem Aspekt der Patientensicherheit und der rationalen Allokation von Ressourcen eine adäquate Steuerung. Die NVL „Kreuzschmerz“ beschreibt dafür nicht nur die Evidenzlage zum Nutzen einzelner diagnostischer und therapeutischer Interventionen, um Ärzte und Patienten zu orientieren, sondern schlägt auch einen Algorithmus für das zeitliche Ineinandergreifen der verschiedenen Versorgungsebenen vor. Man könnte es kritisch sehen, dass sich die Leitlinien-Entwicklergruppe beim Algorithmus zur Versorgung persistierender und chronischer Schmerzen nicht „realistisch“ an den bestehenden ineffektiven Strukturen zur Versorgung orientiert hat, sondern einen nach Expertenmeinung „idealen Vorschlag“ abgegeben hat. Die strukturellen Probleme, wie das konkurrierende Nebeneinander von Spezialisten und Hausärzten in der Primärversorgung, ungünstige Steuerungseffekte durch Vergütungsstrukturen und fehlende Strukturen für chronische Schmerzen sind damit nicht behoben. Es ist vielmehr so, dass dazu auf der strukturellen Ebene des Versorgungssystems grundlegende Änderungen erfolgen müssen, die sowohl andere Qualifikationen erfordern, wie auch andere Formen der interprofessionellen Kooperation und insbesondere eine Verschiebung von Ressourcen. Die Anerkennung des grundlegenden Konzepts dieser Leitlinie des nicht-spezifischen Kreuzschmerzes ist trotz fehlender belastbarer Alternativkonzepte vielen Fachgesellschaften schwer gefallen. Gravieren-
de Konsequenzen ergeben sich insbesondere für die Spezialisten, deren Behandlungsangebot bei dieser Definition des Kreuzschmerzes kaum noch angewendet werden kann. Es steht zu befürchten, dass die Gültigkeit der Leitlinie von diesen Spezialisten mit dem Argument ausgehebelt wird, sie würden keine nicht-spezifischen Kreuzschmerzen behandeln. Insofern bestünde die Gefahr, dass eine wesentliche Zielsetzung dieser Leitlinie, nämlich Polypragmasie nach Verfügbarkeit und Abrechenbarkeit einzudämmen, nicht umgesetzt werden kann. Eine solche Entwicklung muss verhindert werden. Dass Leitlinien für die meisten „spezifischen“ Kreuzschmerzformen fehlen, ist aber nicht dem Zufall geschuldet, sondern Ausdruck der schlechten Evidenzlage. Diese schlechte Evidenzlage führt auch dazu, dass Qualitätsindikatoren bei Kreuzschmerzen bisher nur geeignet sind, eine enorme Überversorgung abzubilden. Für eine grundlegende Reform der Versorgungswege ist es z. B. denkbar, die bessere Effektivität der Leitlinien-Empfehlungen in einer Muster-Region zu prüfen. Der Abbau fachlicher Defizite, die Neuordnung struktureller Aspekte, vor allem aber die Anpassung der derzeitigen wirtschaftlichen Fehlanreize zur Reduzierung der derzeitigen Über- und Fehlversorgung sind ureigenste Aufgaben der ärztlichen Selbstverwaltung. In diesen Bereich gehört im Zusammenhang mit der Leitlinie die Klärung der Fragen danach, a) welche regulatorischen Wege über die Vergütung grundsätzlich möglich sind, um die erfolgreiche Umsetzung der NVL „Kreuzschmerz“ zu unterstützen, b) wie sich die derzeitige Situation darstellt und c) welche Änderungen geplant sind. Man darf gespannt sein, ob und wenn ja wie und in welchem Umfang die Kassenärztliche Bundesvereinigung die von ihr als Träger mitverantwortete NVL „Kreuzschmerz“ als Entscheidungsgrundlage zur Entwicklung von Vergütungsstrukturen heranzieht oder ob weiterhin die Leistungserbringer dem Spannungsfeld zwischen fachlich korrektem und wirtschaftlich sinnvollem Vorgehen ausgesetzt bleiben. Die durch die NVL „Kreuzschmerz“ aufgezeigten Chancen werden dagegen von einzelnen Kostenträgern bereits jetzt genutzt, um die Regelversorgung zu beeinflussen. Hier können Mechanismen wie Selektivverträge aber auch andere konkrete unterstützende Maßnahmen durch den Kostenträger selbst eine Veränderung bewirken. Die Motivlage für die Kostenträger ist darin begründet, dass Rückenschmerzen als häufigste Form chronischer Schmerzen oftmals zu einer erheblichen Beeinträchtigung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität ihrer Versicherten führen und gravierende Auswirkungen auf den Lebensvollzug der Betroffenen haben. Die Jahresprävalenz bei Frauen beträgt 62%, bei Männern 56%. Die krankheitsbedingten Kosten sind hoch, wobei die Angaben zwischen 3,3 Mrd. (GBE-Bund) und 22,5 Mrd. Euro (Schwartz 1999) schwanken; eine sorgfältige Kostenanalyse auf Grundlage einer großen bevölkerungsbezogenen Stichprobe ergab für die Situation in Deutschland gar einen Kostenaufwand von 50 Mrd. Euro per annum (Schmidt 2007). Eine Auswertung der Arbeitsunfähigkeitszeiten und Krankengeldkosten seitens der KKH-Allianz ergab, dass Rückenschmerzen einer der häufigsten Gründe für Arbeitsunfähigkeit sind. Erschwerend kommt hinzu, dass im Alltag Diagnostik und Therapie wenig standardisiert erfolgen. Als weitere Defizite werden mangelnde Prävention sowie die nicht rechtzeitige Berücksichtigung psychosozialer Faktoren beklagt (Airaksinen, 2006). Die oftmals fehlende Kommunikation zwischen den Behandlern verschiedener Versorgungssektoren und verschiedener Fachgebiete behindert zudem eine kontinuierliche und abgestimmte Behandlung der Patienten. Für die KKH-Allianz ist die Veröffentlichung der NVL „Kreuzschmerz“ daher ein wichtiger Meilenstein zu einer stärker an der Prozess- und Ergebnisqualität ausgerichteten Versorgung. Die KKH-Allianz bietet bereits erkrankten Versicherten besondere qualitätsgesicherte Gesundheitsprogramme an, die die evidenzbasierten Empfehlungen der „NVL Kreuzschmerz“ berücksichtigen. Neben einer Verbesserung der Versorgungsqualität und damit der Behandlungsergebnisse soll insbesondere die Erwerbsfähigkeit der betroffenen Patienten wiederhergestellt bzw. langfristig erhalten werden. Weitere Ziele sind die Redu-
zierung von Krankenhausaufenthalten sowie von Arznei-, Heil- und Hilfsmittelverordnungen. Hier helfen die Inhalte der NVL, indem ineffiziente Behandlungen systematisch ausgeschlossen werden. Neben klassischen Selektivverträgen werden die Inhalte der NVL „Kreuzschmerz“ auch in der direkten Kommunikation mit den Versicherten systematisch eingesetzt. So erhalten Versicherte während einer Phase mit Rückenschmerz bedingter Arbeitsunfähigkeit eine individuell auf sie abgestimmte Betreuung und Beratung durch medizinisch qualifizierte Fallmanager der KKH-Allianz (in der Regel ausgebildete Physiotherapeuten). 1. Airaksinen O, Brox JI, Cedraschi C et al. (2006) COST B13 Working Group on Guidelines for Chronic Low Back Pain. Chapter 4. European guidelines for the management of chronic nonspecific low back pain. Eur Spine J (Suppl 2): S192–300 2. GBE – Gesundheitsberichterstattung des Bundes (2002) Heft 7: Chronische Schmerzen. Autoren: Dr. med. Wolf Diemer, Prof. Dr. rer. pol. Heiko Burchert. Hrsg.: Robert-Koch-Institut. Internet: www.rki.de 3. Schwartz FW, Bitzer EM, Dörning H et al. (1999) Gesundheitsausgaben für chronische Krankheit in Deutschland – Krankheitskostenlast und Reduktionspotentiale durch verhaltensbezogene Risikomodifikation. Lengerich; Berlin; Düsseldorf u. a. 4. Schmidt CO, Raspe H, Pfingsten M, Hasenbring M, Basler HD, Eich W, Kohlmann T (2007) Back Pain in the German Adult Population. Spine 32, 2005–2011
Multimodalität – Chancen und Grenzen SY 16 Alles multimodal erforscht? Forschungsdefizite und Lösungsan sätzen in der Schmerztherapieforschung T. Hechler1, A. Becker2, C. Schmidt3 1Vodafone Stiftungsinstitut und Lehrstuhl für Kinderschmerztherapie/Pädiatrische Palliativ, Vestische Kinder- und Jugendklinik Datteln, Universität Witten/Herdecke, Datteln, Deutschland, 2Philipps-Universität Marburg, Allgemeinmedizin, präventive und rehabilitative Medizin, Marburg, Deutschland, 3Universität Greifswald, Community Medicine, Greifswald, Deutschland Das Motto des Kongresses – Alles multimodal? Chancen und Grenzen – betrifft auch die Frage, inwieweit die Multidimensionalität und Multimodalität in der Schmerztherapieforschung umgesetzt wird. Wie identifiziert man diejenigen, die eine multimodale Therapie benötigen? Benötigen wirklich alle Schmerzpatienten multimodale Therapie? Und wie wirksam ist die multimodale Therapie bei Kindern? Das sind zentrale Fragen des Symposiums. Der Beitrag von A. Becker (Marburg) bezieht sich auf eine Auswertung von Routinedaten der DAK. Es werden die Inanspruchnahme multimodaler Therapien und deren Auswirkungen auf die Versorgungskosten auf dem Kongress vorgestellt. T. Hechler (Datteln) erörtert die Probleme der Schmerztherapieforschung bei Kindern und stellt eine der ersten laufenden randomisiert-kontrollierten Studien zur Wirksamkeit und Kosteneffizienz der stationären multimodalen Schmerztherapie bei Kindern vor (WiKo-Studie). C. O. Schmidt (Greifswald) gibt einen Überblick zum internationalen Forschungsstand risikoadaptierter Therapiensätze in der primärärztlichen Versorgung und berichtet zu praktischen Erfahrungen aus einer eigenen Studie zu diesem Thema. Aufgezeigt werden Möglichkeiten und Grenzen risikoadaptierter Verfahren. Ziel des Symposiums ist es, Forschungsdefizite in der Schmerztherapieforschung aufzuzeigen und anhand von neuen innovativen Studien Lösungsvorschläge darzustellen.
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Abstracts Palliativmedizin SY 17 Palliativmedizin und Schmerztherapie bei Hochbetagten mit chronischen Schmerzen H. Müller-Busch1, P. Engeser2, K. Perrar3, C. Remi4, E. Sirsch5 1Universität Witten/Herdecke 58448 Witten, Berlin, Deutschland, 2Innere Medizin III, Universitätsklinikum Heidelberg, Heidelberg, Deutschland, 3Uniklinik Köln, Zentrum für Palliativmedizin, Köln, Deutschland, 4Klinikum der Universität München, Apotheke, München, Deutschland, 5Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e.V. (DZNE), Standort Witten, Witten, Deutschland Mehr als 60% der Menschen über 70 Jahre und bis zu 83% der Bewohner in Pflegeheimen (Ferrell 1995) leiden an die Lebensqualität beeinträchtigenden Schmerzen. Hinzu kommen häufig Begleiterkrankungen, die eine andauernde medizinische Betreuung notwendig machen, wobei die Schmerztherapie oft keine ausreichende Berücksichtigung findet. Bei 30% der über 75-Jährigen ist es z. B. eine Krebserkrankung, 40% leiden an lebenslimitierenden Erkrankungen des Herzens bzw. der Atemwege, 20% unter Depressionen und Angst. Mindestens 30% der über 85-jährigen haben eine Demenz (Gesundheitsberichterstattung des Bundes 2006). Das führt oft dazu, dass die die Schmerztherapie bei Hochbetagten nicht nur nicht ausreichend beachtet wird sondern durch Multimorbidität, Demenz und Polypharmazie zusätzlich erschwert wird. Ziel des Symposiums ist es, die medizinischen Aufgaben und ethischen Herausforderungen sowie Möglichkeiten und Fehler in der Schmerztherapie bei hochbetagten Menschen unter besonderer Berücksichtigung deren Multimorbidität, Hilfs- und Pflegebedürftigkeit sowie Wohnsituation zu verdeutlichen. Behandlungskonzepte in der Schmerztherapie müssen sich an individuellen Zielen orientieren und diese berücksichtigen, wobei eher rehabilitative oder eher palliative Ziele unterschieden werden können.
Schmerzen bei Menschen mit Demenz im Pflegeheim Schmerzen bei Menschen mit Demenz sind für Ärzte, Pflegende und Angehörige eine besondere diagnostische und therapeutische Herausforderung. Patienten mit Demenz erhalten in der Regel weniger Schmerzmedikamente als Patienten ohne kognitive Defizite (CohenMansfield 2002). Unbehandelter bzw. nicht ausreichend behandelter Schmerz kann eine Ursache von Störungen in der Kommunikation und von agitiertem Verhalten sein. Die Demenz ist eine der Erkrankungen, die Patienten und deren Angehörige schon in der ihr eigenen sozialen Dimension sehr stark belastet. Wenn sie zudem durch schmerzhafte Begleiterkrankungen mit lang anhaltendem Leiden, Mobilitätsverlust und Hilfsbedürftigkeit verbunden ist, stellen sich für Betreuenden nicht nur medizinische und pflegerische sondern auch ethische Fragen – besonders dann, wenn der Betroffene in seiner eigenen Welt immer weniger oder nicht mehr erreicht werden kann. Bei zunehmenden kognitiven Defiziten mit Verlust der Merkfähigkeit, dem Auftreten von Wahnvorstellungen und Ängsten und mit reduzierten physischen und psychosozialen Funktionen ist der Verlust der strukturierten Sprache auch für Angehörige, Pflegende, Betreuer und Ärzte besonders schmerzlich und erschwert die Betreuung. Sprache ist eine der wesentlichen Fähigkeiten über die Schmerz kommuniziert wird und mit deren Hilfe Schmerz beurteilt werden kann. Schmerz zeigt sich bei Menschen mit demenziellen Erkrankungen unter vielen Masken. Die Kunst ist dann, hinter diese Maske zu schauen. Da mit steigender Lebenserwartung in den Industriestaaten die Prävalenz der Demenzerkrankungen ständig ansteigt, wird auch die Beurteilung von Schmerzen durch Fremdeinschätzung bzw. diagnostischer Instrumente, die sich nicht auf die Sprache beziehen, immer wichtiger bei diesen Menschen. Für Bewohner von Pflegeheimen mit Demenz ist deswegen
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die systematische und strukturierte Erfassung von Schmerzen mit einem multidisziplinären Ansatz von hoher Bedeutung. Im Alltag gibt es hierzu mehrere Instrumente und Hilfen für alle Beteiligten z. B. die BESD-Skala (Basler et al. 2006). Die wichtigsten Möglichkeiten, dringende Patientenanliegen zu erfassen, sind die genaue Beobachtung der Erkrankten und die richtige Interpretation des Gesehenen. Die Beobachtungen müssen dokumentiert und kommuniziert werden. Nur mit einer guten und differenzierten Schmerzerfassung kann eine individuell angepasste Schmerztherapie durchgeführt und kontrolliert werden. Eine alle Aspekte des Schmerzes berücksichtigende strukturierte Schmerztherapie ist dann häufig der Schlüssel zu einer guten Betreuung der Betroffenen.
Polypharmazie bei hochbetagten Schmerzpatienten Ein weiterer Aspekt, der bei der Behandlung von Schmerzen bei hochbetagten Menschen berücksichtigt werden muss, bezieht sich auf die Neben- und Wechselwirkung der im Alter eingenommenen Medikamente. Schätzungen zufolge sind 10–30% der Krankenhauseinweisungen bei älteren Patienten auf unerwünschte Arzneimittelwirkungen zurückzuführen. Mit zunehmendem Alter und der damit oftmals verbundenen Multimorbidität geht heutzutage schon nahezu zwangsläufig ein umfangreiches Medikationsregime einher. Patienten über 65 Jahre nehmen durchschnittlich 3 bis 6 unterschiedliche Medikamente ein. Palliativpatienten mit behandlungsbedürftigen Symptomen benötigen in der Regel mehr als 5 Medikamente – auch zur Behandlung von Begleiterscheinungen und Nebenwirkungen einer nur symptomatischen Therapie. Die Kombination mehrerer Arzneistoffe birgt jedoch viele Gefahren. Mit jedem Arzneimittel steigt das Risiko von Nebenwirkungen und Wechselwirkungen und es kann ein gefährlicher und nahezu unberechenbarer Cocktail entstehen. Bei hochbetagten Menschen muss die Schmerztherapie in ein therapeutisches Gesamtkonzept eingebettet werden, in dem sowohl die natürlichen physiologischen Veränderungen im Alter, als auch Komorbiditäten und sonstige Medikamente einbezogen werden. Da medizinische Studien in aller Regel nicht an älteren Menschen durchgeführt werden, ist eine systematische Beurteilung von Nutzen und Risiko einer Arzneimitteltherapie im Sinne von evidenzbasierter Medizin nur selten möglich. Um böse Überraschungen bei der Schmerztherapie zu vermeiden, muss nicht nur das inhärente Nebenwirkungspotential der einzelnen Substanzen beim geriatrischen Patienten Berücksichtigung finden, sondern der Patient auch bei einer „effektiven Schmerztherapie“ im Hinblick auf die Schmerzreduktion regelmäßig und genau im Hinblick auf unspezifischen Symptomen Symptome wie Schwindel, Antriebslosigkeit und Verwirrtheit und andere Auffälligkeiten beobachtet werden, die u. U. auf Interaktionen mit anderen Substanzen zurückgeführt werden können. für eine erfolgreiche Therapie ohne böse Überraschungen notwendig. Relativ häufig sind länger anhaltende additive zentraldämpfenden Effekten bei der Kombination von Opioiden mit Neuroleptika, zu selten diagnostiziert wird das zentrale anticholinergische Syndrom. Im klinischen Alltag bieten verschiedene Informationsquellen für inadäquate Medikationen bei älteren Menschen wie beispielsweise die Priscus-Liste eine Hilfestellung für Therapieentscheidungen (Holt S, Schmiedl S, Thürmann PA 2010)
Multimorbidität im Alter medizinische und ethische Heraus forderungen Schmerztherapie bei alten Menschen stellt unter Berücksichtigung von Multimorbidität, Lebenssituation und Wertvorstellungen der Betroffenen nicht nur eine medizinische, sondern auch eine ethische Herausforderung dar. Eine Orientierung an den in der Palliativmedizin entwickelten Palliativstadien kann eine Hilfe sein, um in schwierigen Situationen die medizinische Indikation von Behandlungsmaßnahmen auch unter dem Aspekt des potentiellen individuellen Nutzens zu Möglichkeiten oder Wahrscheinlichkeiten des Schadens zu bestim-
men. Nicht zuletzt zeigen sich in diesem Themenkontext besondere Herausforderungen an eine leitliniengerechte, evidenzbasierte Medizin sowie an die Curricula in der medizinischen und pflegerischen Ausbildung. Ziel der Schmerztherapie ist eine Förderung von Autonomie, Selbstund Eigenständigkeit z. B. durch verbesserte Mobilität und Befindlichkeit. Eine umfassende, multidisziplinäre Versorgungsplanung unter Berücksichtigung des Willens bzw. mutmaßlichen Willens ist bei Hochbetagten besonders wichtig, um beim Auftreten von Komplikationen und unerwarteten Ereignissen angemessen, im besten Interesse des Betroffenen und in seinem Sinne handeln zu können bzw. daran Entscheidungen in Notsituationen zu orientieren. Die Beachtung von Patientenverfügungen ist besonders wichtig, wenn Menschen mit lebenslimitierenden Erkrankungen sich nicht mehr äußern können und die Lebensqualität durch Linderung belastender Symptome ganz im Vordergrund steht. Häufig stellen schmerztherapeutische Maßnahmen bei schwerstkranken Menschen individuelle Heilversuche dar, die sich der empirischen Erfahrung entziehen – umso wichtiger ist es jedoch Regeln der Schmerztherapie zu beachten und diese zu den Beobachtungen und Wirkungen in Beziehung zu setzen. Eine lebensbegrenzende Schmerztherapie z. B. durch unsachgemäße Dosissteigerung von Schmerzmedikamenten gehört nicht zu den Regeln einer guten Schmerztherapie bei alten Menschen, eine potentielle Lebensverkürzung durch eine notwendige Therapie ist ethisch zulässig und darf eine gut wirksame und effektive Behandlung nicht behindern. In der Regel wird jedoch das Leben durch eine angemessene Schmerztherapie nicht verkürzt, sondern eher verlängert. 1. Agich G Dependence and Autonomy in Old Age: An Ethical Framework for Long-term Care Cambridge University Press 2003 2. Bierí JB An older person as a subject of comprehensive geriatric approach Ann Acad Med Bial, 2005; 50: 189–191 3. Cohen-Mansfield J Pain Assessment in Noncommunicative Elderly Persons. Clin J Pain 2006; 22,6: 569–575 4. Gesundheitsbericht: „Gesundheit in Deutschland“ Hrsg RKI 2006 5. Ferrell BA, Ferrell BR Rivera L Pain in cognitively impaired nursing home patients JPSM 1995;10, 8 591–598 6. Fox PL, Raina P, Jadad AR Prevalence and treatment of pain in older adults in nursing homes and other long-term care institutions: a systematic review (http://www.ecmaj.ca/content/160/3/329.abstract) CMAJ 1999; 160,3: 329–333 7. Holt S, Schmiedl S, Thürmann PA Potenziell inadäquate Medikation für ältere Menschen: Die PRISCUS-Liste Dtsch Arztebl Int 2010; 107,31: 543–51 8. Steinhagen-Thiessen E, Borchelt M Morbidity, medication, and functional limitations in very old age. In: (Ed. PB Baltes, KU Mayer, The Berlin aging Study 2001, Cambridge Univ P, S. 131 – 166 9. Basler HD et al. Beurteilung von Schmerz bei Demenz (BESD) Untersuchung zur Validität eines Verfahrens zur Beobachtung des Schmerzverhaltens Der Schmerz 2006; 20,6: 519–526 10. Pinter G et al. Problemfelder in der Schmerzerfassung und Schmerztherapie im Alter. Wie Med Wochenschr 2010; 160.9–10: 235–246 11. Campell-Scherer D Multimorbidity: a challenge for evidenced-based medicine. EBM 2010; 15,6: 165–166 12. Just JM et al. Paliative care for the elderly – developing a curriculum for nursing and medical students. BMC Geriatrics 2010; 10,66
Akutschmerz SY 18 Konzepte der Akutschmerztherapie bei internistisch-orthopädi schen Erkrankungen H. Casser1, H. Theres2, V. Andresen3, D. Schöffel4 1DRK Schmerz-Zentrum Mainz, Mainz, Deutschland, 2Klinik für Kardiologie und Angiologie, Elektrophysiologie, Berlin, Deutschland, 3Iraelitisches Krankenhaus, Medizinische Klinik, Hamburg, Deutschland, 4Praxis für Rheumatologie und Schmerztherapie Mannheim, Mannheim, Deutschland Im Vergleich zum chronischen Schmerz verstehen wir unter akutem Schmerz einen zeitlich limitierten Schmerz, der in der Regel den Charakter eines Warn- und Leitsignals hat, das auch wegweisend zur Diagnose der Ursache sein kann. Im Vordergrund der Therapie stehen deshalb kausale Behandlungsmaßnahmen, wobei einer wirksam analgetischen Therapie eine große Bedeutung nicht nur für das Empfinden des Patienten, sondern auch zur Beherrschung und Vermeidung einer Eskalation der Grundkrankheit zukommt. In diesem Symposium werden Beispiele aus dem akuten internistischen wie auch orthopädischen Bereich gezeigt, in der eine rechtzeitige und kompetente analgetische Therapie dringend indiziert ist und gemeinsam mit einem kaudalen Therapieansatz den weiteren Verlauf entscheidend beeinflusst. Ein typisches Beispiel für Akutschmerzen ist die Angina pectoris. Unter Angina pectoris verstehen wir ein Engegefühl im Brustkorb, welches durch eine Minderversorgung des Herzmuskels mit Sauerstoff ausgelöst wird. Es wird eine stabile Form, welche belastungsabhängig ist, abgegrenzt von der instabilen Form im Rahmen eines akuten Koronarsyndroms. Des Weiteren sind die Differentialdiagnosen des Thoraxschmerzes im akuten sowie im chronischen Stadium zu beachten. Für die Behandlung im Rahmen des akuten Koronarsyndroms gelten die Empfehlungen entsprechend den Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie, welche von der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie übernommen wurden. Im Vordergrund stehen hierbei die schnelle Diagnose sowie eine zeitnahe Rekanalisation des verschlossenen Infarktgefäßes. Zur Schmerztherapie wird die Gabe von Morphin, nach Bedarf mit einem Antiemetikum kombiniert, empfohlen. Bewährt und in den Leitlinien verankert ist die epidurale Rückenmarkstimulation, welche sowohl zu einer deutlichen Linderung der Schmerzsymptomatik wie auch zu einer funktionellen Verbesserung führt. Alternativ zur Implantation einer epikardialen Sonde und eines Impulsgenerators kann auch eine epikutane TENS appliziert werden. Akute abdominelle können eine Vielzahl von unterschiedlichen, von harmlosen bis hin zu akut lebensbedrohlichen Ursachen haben und stellen somit eine differentialdiagnostische Herausforderung dar, insbesondere auch aufgrund der Besonderheiten der viszeralen Sensorik: Schmerzen, die von viszeralen Organen ausgehen, sind meistens diffus und in ihrer Lokalisation oft nicht zuzuordnen; die Schmerzintensität korreliert zudem nicht unbedingt mit der Schwere des zugrundeliegenden Schadens. Der Charakter des Schmerzes kann hingegen auf die Art des Auslösers hindeuten: dumpfe, brennende oder stechende Schmerzen entstehen eher bei entzündlichen, chronisch ischämischen oder malignen Prozessen, oder, ganz akut, bei akuten Ischämien oder Perforationen von Hohlorganen, während Obstruktionen von Hohlorganen typischerweise mit kolikartigen Schmerzen einhergehen. Aufgrund der Verschaltung mit somatischen Afferenzen auf Rückenmarksebene kommt es häufig zu einer Projektion der Schmerzen auf entfernte (Haut-)Regionen desselben Neurosegments. Häufig sind zudem vegetative Begleitsymptome wie Inappetenz, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall oder Obstipation bis hin zum paralytischen Ileus – je nach Schwere des zugrundeliegenden Schadens. In der Therapie nimmt, wenn möglich, die kausale Behandlung der Schmerz auslösenden Ursache eine zentrale Stellung ein, denn akute Der Schmerz · Supplement 1 · 2011
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Abstracts abdominelle Schmerzen sind häufig das klinisch führende Symptom einer akuten Erkrankung innerer Organe. Sie können katastrophale Ausmaße annehmen, z. T. den Zustand des Patienten zusätzlich wesentlich beeinträchtigen (z. B. stärkste Schmerzen und vegetative Reaktionen bei Mesenterial-Ischämie oder Pankreatitis). Neben der akuten Behandlung der Grunderkrankung ist grundsätzlich eine effektive Schmerztherapie erforderlich, die sich im Prinzip an dem WHO-Stufenschema orientiert. Bei kolikartigen Schmerzen sind zudem Glattmuskelrelaxantien (z. B. Butylscopolamin) wirksam, die bei stärkeren Schmerzen gerne kombiniert werden mit Metamizol, bei dem es neben den antinozizeptiven Effekten Hinweise auf eine intrinsische spasmolytische Wirkung gibt. Bei starken Schmerzen ist der Einsatz von Opiaten zu diskutieren, wobei auf die Wahl des geeigneten Opiats hinsichtlich gastrointestinaler Verträglichkeit geachtet werden muss. Bei osteoporotischen Wirbelkörperfrakturen steht einerseits die Beherrschung der Schmerzen, andererseits die Verbesserung der Knochenfestigkeit zur Verhinderung weiterer Frakturen im Vordergrund. Ziel ist letztlich die Erhaltung der Mobilität und Verhinderung von Pflegebedürftigkeit. Während es bezüglich der Behandlung der Stoffwechselkrankheit Osteoporose umfängliche Literatur gibt, ist die Datenlage zur Schmerztherapie der Osteoporose insuffizient. Dabei wurde in der Bone-Eva-Studie 2006 dokumentiert, dass 63% der Ausgaben für Medikamente im Rahmen der Osteoporose für Schmerzmittel verwandt werden. Die Schmerzlinderung, die durch die Behandlung der Osteoporose selbst, z. B. durch Bisphosphonate, erhofft wird, ist nicht ausreichend. Die Daten zur analgetischen Wirkung von Calcitonin sind widersprüchlich. Mit der Ballonkyphoplastie und der Vertebroplastie gibt es zwei minimal invasive Verfahren, die eine nahezu sofortige Beschwerdelinderung erreichen können. In aktuellen Studien wurde allerdings die analgetische Wirkung der Verfahren in Frage gestellt. Dabei müssen die Risiken eines minimal-invasiven operativen Eingriffes – zusammen mit den Risiken der damit verbundenen Narkose – gegen die Gefahren einer längerfristigen Therapie mit Schmerzmitteln aufgewogen werden. Die Schmerztherapie der osteoporotischen Wirbelkörperfraktur sollte sich nicht auf die medikamentöse Therapie beschränken, sondern auch physikalische Therapie und Krankengymnastik sowie ggf. eine geeignete Orthesenversorgung beinhalten. Trotz Einsatzes erheblicher Ressourcen für die Schmerzbehandlung zeigt der Alltag, dass immer noch viele Akutschmerzpatienten nicht ausreichend analgetisch versorgt sind. Es besteht ein erheblicher Forschungs- und Aufklärungsbedarf, um die Situation der betroffenen Patienten verbessern zu können.
Multimodalität – Chancen und Grenzen SY 19 Migration und Schmerz W. Söllner1, P. Loosli2, S. Venkat3 1Klinikum Nürnberg, Interdisziplinäre Schmerztagesklinik und Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Nürnberg, Deutschland, 2Universitätsspital Basel, Abteilung für Psychosomatik, Basel, Schweiz, 3Klinikum Nürnberg Nord, Interdisziplinäre Schmerztagesklinik, Nürnberg, Deutschland Soziokulturelle Aspekte beeinflussen das Schmerzerleben und die Schmerzverarbeitung. Menschen mit Migrationshintergrund leiden häufiger an chronischen Schmerzen und erhalten seltener eine multimodale Schmerzbehandlung. In einem Übersichtsbeitrag werden bisherige epidemiologische und empirische Forschungsergebnisse zur Inzidenz/Prävalenz, zur Schmerzverarbeitung und zur Scherzbehandlung bei MigrantInnen mit chronisch benignen Schmerzstörungen präsentiert. Kontrollierte Studien zu kultursensitiven Behandlungsprogrammen fehlen fast völlig.
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Die beiden im Symposium präsentierten klinischen Forschungsprojekte einer kultursensitiven multimodalen Therapie mit türkischen SchmerzpatientInnen betreten wissenschaftliches Neuland – das Basler Projekt ambulanter Schmerztherapiegruppen und das Nürnberger Projekt tagesklinischer Behandlung für türkische Schmerzpatientinnen. Die zum Teil widersprüchlichen Ergebnisse dieser beiden Studien (siehe die jeweiligen Abstracts) werden vor dem Hintergrund soziokultureller und migrationsspezifischer Faktoren diskutiert.
Andere Schmerzsyndrome SY 20 Fibromyalgiesyndrom, biographische Belastungsfaktoren und Schmerzbewältigung K. Bernardy1, S. Kamping2, M. Lacours3, H. Flor4, J. Müller-Becsangéle5, T. Welter6 1Universitätsklinikum Saarland, Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin + Schmerztherapie, Homburg, Deutschland, 2Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Institut für klinische Psychologie und Neuropsychologie, Mannheim, Deutschland, 3Praxis für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Gundelfingen, Deutschland, 4Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Lehrstuhl für Neuropsychologie an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Mannheim, Deutschland, 5Universitätsklinikum Freiburg, Abteilung für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Willstätt, Deutschland, 6MediClin Bliestal Kliniken, Fachklinik für Psychosomatische Medizin, Blieskastel, Deutschland Das Fibromyalgiesyndrom (FMS) wird als funktionelles somatisches Syndrom klassifiziert; es handelt sich um einen typischen Beschwerdekomplex, welcher durch Symptome und klinische Zeichen, nicht jedoch durch anerkannte ätiologische Faktoren und konsistent nachweisbare Körperschäden definiert wird (Eich et al., 2008). Eine generelle Gleichsetzung des FMS mit der somatoformen Schmerzstörung (SOMS) ist nicht gerechtfertigt, es finden sich jedoch Komorbiditäten von 40–70% (abhängig von den verwendeten diagnostischen Kriterien und der Versorgungsstufe; Häuser et al., 2006).
Biographische Belastungsfaktoren/Traumatisierungen Die Zusammenhänge zwischen Traumatisierungen und chronischen Schmerzen sind in den letzten Jahren zunehmend in den Fokus des wissenschaftlichen Interesses gerückt. Eine prospektive bevölkerungsbasierte Studie identifizierte unter anderem biographische Belastungsfaktoren in der Kindheit („childhood adversities“) wie Heimunterbringung, Krankenhausaufenthalt, früher Tod der Mutter und finanzielle Probleme der Eltern als Risikoindikatoren für die spätere Entwicklung von chronischen Schmerzen in mehreren Körperregionen (Jones et al. 2009). Eine Metaanalyse über 18 Fallkontrollstudien ergab signifikante Zusammenhänge zwischen FMS und körperlichem und/oder sexuellem Missbrauch in der Kindheit und/oder im Erwachsenenalter, aber keinen zu emotionalem Missbrauch (Häuser et al., 2011). Untersuchungen zur Häufigkeit einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) ergab Raten von 57% (Cohen et al., 2002) bzw. 56% (Sherman et al., 2000) bei ambulanten FMS-Patienten. In beiden Studien zeigten sich Zusammenhänge zwischen PTBS, psychischen Störungen und der Schmerzbeeinträchtigung. Zusammengefasst weisen die vorliegenden Ergebnisse darauf hin, dass biographische Belastungsfaktoren im Zusammenhang mit chronischen psychosoziale Stressoren im Erwachsenenalter zu dem Beschwerdekomplex FMS führen können, sofern eine neurobiologisch (und möglicherweise biographisch) bedingte erhöhte Stressvulnerabilität vorliegt (Köllner et al., 2011).
In der klinischen Arbeit entsteht oft der Eindruck, dass sich vor allem Schmerz-Patienten mit Traumavorgeschichte dem Schmerz gegenüber hilflos und machtlos ausgeliefert sehen, und eher katastrophisierende Schmerzbewältigungsstrategien aufweisen. Zur Überprüfung dieser These wurde eine konsekutive Stichprobe stationärer Schmerzpatienten retrospektiv untersucht (FMS: 83, SOMS: 31; mittleres Alter: 54,2 Jahre). Die Erhebungsinstrumente waren u. a. der Coping Strategies Questionnaire (CSQ-D; Verra et al., 2006) und das Essener Trauma Inventar (ETI; Tagay et al., 2007). In einer ersten Zwischenauswertung zeigte sich, dass insgesamt 88,6% der Patienten angeben, mindestens ein traumatisches Ereignis erlebt zu haben, im Mittel werden 3,8 Traumata berichtet. FMS-Patienten berichten signifikant häufiger einen schweren Unfall erlebt zu haben als SOMS-Patienten. Körperliche und sexuelle Missbrauchserfahrungen wurden von beiden Gruppen in etwa gleich häufig angegeben. 21,1% der Gesamtstichprobe erhielten die Diagnose PTBS, wobei diese Rate in der FMS-Gruppe mit 24% fast doppelt so hoch war wie in der SOMSGruppe mit 12,5%. Weder in den aktiven noch in passiven Schmerzbewältigungsstrategien finden sich in den bisherigen Auswertungen signifikante Unterschiede zwischen den Schmerz-Patienten mit PTBS und solchen ohne diese Diagnose.
relevanten, Aktivierungen der Schmerz-Neuromatrix im Zwei-Gruppen-Vergleich. Eine Zwischenauswertung ergab erste Hinweise dafür, dass die Schmerz-Neuromatrix von FMS-Patienten auch durch miterlebten Schmerz sowohl bezüglich des affektverarbeitenden Systems (ACC, AI), als auch in Bezug auf die Hirnareale, die für die somatosensorischdiskriminativen Funktionen zuständig sind (SI/SII), aktiviert wird. Ferner gibt es Hinweise dafür, dass für die neuronale Aktivierung bei FMS auch eine Einengung der Wahl der Perspektive relevant ist, mit der die Bilder betrachtet werden können. Der Schmerz eines anderen kann nämlich sowohl in der Selbst-, als auch in der Fremdperspektive miterlebt werden. Interessanterweise führt in der Selbstperspektive miterlebter Schmerz bei gesunden Probanden (Jackson et al. 2006b) zu einem ähnlichen neuronalen Aktivierungsmuster wie bei der Applikation von peripheren Schmerzreizen (verstärkte Aktivierung des kontralateralen SII/ PI-Komplexes, der bilateralen AI, sowie des ACC/aMCC in den Broca-Arealen BA32 und BA24; Singer et al. 2004). Daher wird in unserer Untersuchung auch überprüft, ob bei FMS eine präferenzielle Wahl der Selbstperspektive vorliegt, die zu einer verstärkten Aktivierung der Schmerz-Neuromatrix führt.
Zentrale Schmerzverarbeitungsstörung
Der Einfluss von positiven Emotionen auf die Schmerzverarbei tung bei FMS
Im letzten Jahrzehnt wurde bei FMS auf das Vorliegen einer zentralen Schmerzverarbeitungsstörung fokussiert (Yunus 2008). Hierbei zeigte sich, dass die Tender Points bei FMS auf eine abgesenkte Schmerzschwelle zurückgeführt werden können. Dementsprechend wurden symptomorientierte diagnostische Kriterien entwickelt, die von den Tender Points unabhängig sind (Wolfe et al. 2010). Für die Charakterisierung der zentralen Schmerzverabeitungsstörung bei FMS sind funktionelle Bildgebungsstudien bedeutsam (Nebel & Gracely 2009). Für die verstärkte Aktivierung der Schmerz-Neuromatrix bei FMS ist eine abgesenkte Schmerzschwelle verantwortlich (Julien et al. 2005), die wahrscheinlich durch den dorsolateralen präfrontalen Cortex (DLPFC) vermittelt wird (Wager et al. 2004) Psychologische Variablen wie depressive Symptome (Giesecke et al. 2005) und katastrophisierende Gedanken (Gracely et al. 2004) verstärken die Aktivität der Schmerz-Neuromatrix zusätzlich. So können Depressionen zu einer vermehrten Aktivierung der anterioren Insula (AI) und der Amygdala führen, während katastrophisierende Gedanken die Aktivierung des anterioren cingulären Cortex (ACC – bzw. des anterioren mittleren cingulären Cortex – aMCC) und von Hirnareale fördern, die für die somatosensorisch-diskriminativen Funktionen verantwortlich sind (somatosensorischer Cortex I/II – SI/SII, posteriore Insula – PI, inferiorer parietaler Lobulus – IPL). In den Untersuchungen blieb aber unklar, ob die verstärkte Aktivierung der Schmerz-Neuromatrix bei FMS, neben der abgesenkten Schmerzschwelle, auch auf eine zentrale neuronale Sensibilisierung zurückzuführen ist.
Hinweise für eine zentrale Sensibilisierung bei FMS Die bisherigen funktionellen Bildgebungsstudien zur Charakterisierung der zentralen Schmerzverarbeitung bei FMS wurden mit peripheren Schmerzstimuli durchgeführt. Demgegenüber wird in der Arbeitsgruppe am Universitätsklinikum Freiburg die zentrale Verarbeitung von miterlebtem Schmerz untersucht. FMS-Patienten und gesunden Probanden wird hierbei während der funktionellen MagnetResonanz-Imaging(fMRI)-Untersuchung Bildmaterial präsentiert, die schmerzhafte und korrespondierende nicht schmerzhafte Alltagssituationen darstellen (Jackson et al. 2006a). Mit diesem Stimulusmaterial kann eine zentrale neuronale Aktivierung unabhängig von der peripheren Schmerzschwelle untersucht werden. So erhält man über Kontrastanalysen die für die Verarbeitung von miterlebtem Schmerz
In dieser Studie wurde die Modulation schmerzhafter Reize durch emotionale Bilder bei Patienten mit Fibromyalgie (FMS) und Kontrollprobanden (KG) untersucht. Zu diesem Zweck wurden positive, neutrale und negative Bilder des International Affective Picture System präsentiert. Die Hälfte der Bilder wurde mit schmerzhaften Laserreizen gekoppelt. Funktionelle Kernspinaufnahmen wurden in einem 3 Tesla, Siemens Gerät gemacht und mit SPM2 ausgewertet. Auf psychophysiologischer Ebene konnten keine Unterschiede in der subjektiven Einschätzung der Intensität der Schmerzreize gefunden werden. In Übereinstimmung damit finden sich keine Gruppenunterschiede in der Gehirnaktivierung bei Präsentation eines schmerzhaften Reizes. Bei der Präsentation positiver Bilder in Verbindung mit Schmerzreizen zeigen FMS-Patienten weniger starke Aktivierung im rechten anterioren Cingulum, in der bilateralen Insel, dem linken orbitofrontalen Kortex und dem rechten sekundären somatosensorischen Kortex. Fazit dieser Präsentation ist, dass der Schmerz verringernde Effekt positiver Emotionen bei FMS-Patienten nicht so stark ausgeprägt ist wie bei Kontrollprobanden. Dieses geht einher mit einer verringerten Aktivierung in somatosensorischen und emotionalen Arealen der Schmerzmatrix. 1. Cohen, H., Neumann, L., Haimann, Y., Matar, M. A., Press, J., & Buskila, D. (2002). Prevalence of post-traumatic stress-disorder in fibromyalgia patients: overlapping syndromes or post-traumatic fibromyalgia syndrome? Semin Arthritis Rheum (32(1)), S. 38–50. 2. Eich, W., Häuser, W., Friedel, E., Klement, A., Herrmann, M., Petzke, F., et al. (2008). Definition, Klassifikation und Diagnose des Fibromyalgiesyndroms. Schmerz (22), S. 255–266. 3. Giesecke T, Gracely RH, Williams DA, Geisser ME, Petzke FW, Clauw DJ. The relationship between depression, clinical pain, and experimental pain in a chronic pain cohort. Arthritis Rheum 2005; 52:1577–1584. 4. Gracely RH, Geisser ME, Giesecke T, Grant MA, Petzke F, Williams DA, Clauw DJ.Pain catastrophizing and neural responses to pain among persons with fibromyalgia. Brain. 2004 Apr;127(Pt 4):835–43. 5. Häuser, W., Bernardy, K., & Arnold, B. (2006). Das Fibromyalgiesyndrom – eine somatoforme (Schmerz)störung? Schmerz (20), S. 128–139. 6. Häuser, W., Kosseva, M., Üceyler, N., Klose, P., & Sommer, C. (2011). Emotional, Physical, and Sexual Abuse in Fibromyalgia Syndrome: A Sytematic Review
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Abstracts With Meta-Analysis. Arthritis Care Res (63 (2)), S. 808–820. 7. Jackson PL, Brunet E, Meltzoff AN, Decety J. Empathy examined through the neural mechanisms involved in imagining how I feel vs. how you feel pain. Neuropsychologia 2006b; 44:752–761. 8. Jackson PL, Rainville P, Decety J. To what extend do we share the pain of others? Insight from the neural bases of pain empathy. Pain 2006a; 125:5–9. 9. Jones, G. T., Power, C., & Macfarlane, G. J. (2009). Adverse events in childhood and chronic widespread pain in adult life: Results from the 1958 British Birth Cohort Study. Pain (143), S. 92–96. 10. Julien N, Goffaux P, Arsenault P, Marchand S. Widespread pain in fibromyalgia is related to deficit of endogenous pain inhibition. Pain 2005; 114:295–302. 12. Köllner, V., Bernardy, K., Bialas, P., Shabanova, A., & Häuser, W. (2011). Diagnostik und Therapie des Fibromyalgiesyndroms. Psychother Psych Med (61), S. 276–287. 13. Nebel MB, Gracely RH. Neuroimaging of fibromyalgia. Rheum Dis Clin North Am 2009; 35: 313–327. 14. Sherman, J. J., Turk, D. C., & Okifuji, A. (2000). Prevalence and impact of posttraumatic stress disorder-like symptoms on patients with fibromyalgia syndrome. Clin J Pain (16(2)), S. 127–134 15. Singer T, Seymour B, O‘Doherty J, Kaube H, Dolan RJ, Frith CD. Empathy for pain involves the affective but not sensory components of pain. Science 2004; 303:1157–116. 15. Tagay, S., Erim, Y., Stoelk, B., Möllering, A., Mewes, R., & Senf, W. (2007). Das Essener Trauma-Inventar (ETI). ZPPM (5 (1)), S. 75–88. 16. Verra, M. L., Angst, F., Lehmann, S., & Aeschlimann, A. (2006). Translation, Cross-Cultural Adaption, Reliability, and Validity of the German Version of the Coping Strategies Questionnaire (CSQ-D). Pain (7 (5)), S. 327–336. 17. Wager TD, Rilling JK, Smith EE, Sokolik A, Casey KL, Davidson RJ et al. Placebo-induced changes in fMRI in the anticipation and experience of pain. Science 2004; 303:1162–1167. 18. Wolfe F, Clauw DJ, Fitzcharles MA et al. The American College of Rheumatology preliminary diagnostic criteria for fibromyalgia and measurement of symptom severity. Arthritis Res 2010; 62:600–610. 19. Yunus MB. Central sensitivity syndromes: a new paradigm and group nosology for fibromyalgia and overlapping conditions, and the related issue of disease vs. illness. Semin Arthritis Rheum 2008; 37: 339–352.
Experimentelle Modelle und Pathophysiologie SY 21 Von der Peripherie zum Gehirn: neue Aspekte der Pathophysio logie G. Wasner1,R. Ruscheweyh2, C. Maihöfner3 1Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel, Klinik für Neurologie, Sektion für Neurologische Schmerzforschung und -therapie, Kiel, Deutschland, ²Klinikum der Universität München, Klinik und Poliklinik für Neurologie, München, Deutschland, ³Universitätsklinikum Erlangen, Klinik für Neurologie und Schmerzzentrum, Erlangen, Deutschland Zahlreiche Veränderungen im Nervensystem auf molekularer, funktioneller und anatomischer Ebene tragen zur Entstehung und Aufrechterhaltung chronischer Schmerzen bei. Diese Prozesse sind nicht nur auf den Ort der Schmerzentstehung begrenzt, sondern sind in der gesamten Neuroaxis nachweisbar. Kenntnisse dieser pathophysiologischen Abläufe in der Periphere, im Rückenmark und im Gehirn sind die Voraussetzung zur Entwicklung neuer Strategien und Konzepte zur erfolgreichen Therapie chronischer Schmerzen. Dieses Symposium soll einen Einblick geben über diese Schmerz-Mechanismen, indem verschiedene Aspekte der Schmerzverarbeitung im peripheren und zentralen Nervensystem diskutiert werden.
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Natriumkanal vs. Thermorezeptor – wer ist klinisch wichtiger? (Gunnar Wasner) Neuropathische Schmerzen, die nach Läsionen im somatosensorischen System auftreten, sind schwer zu therapieren. Es wird postuliert, dass nach einer Schädigung somatischer Afferenzen verschiedene Kanäle und Rezeptoren exprimiert werden, die bei der Schmerzentstehung von Bedeutung sind. Zwei wesentliche Kandidaten sind spannungsabhängige Natriumkanäle und der Hitze-sensible Thermorezeptor TRP (transient receptor potential) V1. Studien aus der Grundlagenforschung konnten eine Veränderungen in der Regulation verschiedener Subklassen von Natriumkanälen (Nav1.3, Nav1.7, Nav1.8 und Nav1.9) auf nozizeptiven Neuronen nach einer Nervenläsion nachweisen. Bei Patienten mit seltenen Schmerzsyndromen (heriditäre Erythromelalgie und „Extremes paroxysmales Schmerzsyndrom“) fanden sich verschiedene Mutationen des Natriumkanals Nav1.7 als Ursache für die Schmerzen der Patienten und die vermutete Spontanaktivität nozizeptiver Neurone. Bisher konnte allerdings noch keine sichere Assoziation zwischen der Hochregulation eines einzelnen Natriumkanals und dem Auftreten neuropathischer Schmerzen nach Nervenläsion gezeigt werden. Unspezifische Natriumkanalblocker werden seit langem in der Therapie neuropathischer Schmerzen eingesetzt. Eine Studie, die den Zusammenhang zwischen der Wirksamkeit von topischem Lidocain und dem Schmerzmechanismus bei neuropathischen Schmerzen bei Patienten untersuchte, fand keine Korrelation zwischen dem Symptom der Hitze-Hyperalgesie als indirektes Zeichen für spontanaktive periphere Nozizeptoren und der Wirksamkeit des Medikamentes. Seit Längerem wird postuliert, dass Hitze-sensible Capsaicin-sensitive nozizeptive Nervenfasern eine Schlüsselrolle bei der Entstehung neuropathischer Schmerzen spielen. Seit entdeckt wurde, dass der TRPV1 wesentlich für die Hitze- und Capsaicin-Sensibilität ist, gibt es zahlreiche Ansätze die möglichen pathophysiologischen Mechanismen besser zu identifizieren bzw. diese Erkenntnis therapeutisch zu nutzen. Bisher gibt es Hinweise für eine vermehrte Expression von TRPV1 beim „Burning mouth syndrome“ und beim „Irritable bowel syndrome“. Der Nachweis einer vermehrten Rezeptordichte des TRPV1 nach Nervenläsion ist noch nicht gelungen. Bei Patienten mit schmerzhafter Neuropathie zeigte sich, dass die Capsaicin-sensiblen Neurone relativ intakter waren im Vergleich zu Patienten mit schmerzloser Neuropathie, was als indirekter Hinweis für die Bedeutung des TRPV1 bei schmerzhaften Neuropathien gewertet werden kann. Therapeutisch ist eine selektive Blockade des TRPV1 bisher auf Grund von Nebenwirkungen gescheitert. Stattdessen kommt bei neuropathischen Schmerzen topisches Capsaicin zur erfolgreichen Anwendung, das in hoher Konzentration bzw. bei repetitiver Anwendung zu einer Ausschaltung der Hitze-sensiblen Neuronen führt. Gefördert durch The National Health and Medical Research Council of Australia (NHMRC), the EFIC-Grünenthal-Grant (EGG) and the State Ministry for Science and Education of Schleswig-Holstein
Das Rückenmark: Nur Relais oder doch ein Schlüsselpunkt der Nozizeption? (Ruth Ruscheweyh) Chronische Schmerzen sind oft durch periphere Pathologie alleine nicht zu erklären. Man nimmt daher an, dass funktionelle Umbauvorgänge im Zentralnervensystem stattfinden, die den Schmerz verstärken und/oder in Abwesenheit einer peripheren Ursache weiter unterhalten. Das Rückenmark ist die erste Station der Verarbeitung nozizeptiver Information im Zentralnervensystem und damit auch die erste Station, wo solche Umbauvorgänge stattfinden können. In der Tat ist inzwischen tierexperimentell gut belegt, dass starke akute Schmerzreize, periphere Entzündungen, periphere Nervenverletzungen und sogar ein Opioidentzug im Rückenmark langanhaltende funktionelle Veränderungen hervorrufen können, die pronozizeptiv wirken. Zugrunde liegende Mechanismen sind die synaptische Langzeitpotenzierung an Synapsen zwischen primär afferenten C-Fasern und nozizep-
tiven Rückenmarksneuronen sowie die Funktionsstörung hemmender Interneurone im Rückenmark (spinale Disinhibition). Zusätzlich gibt es Hinweise aus humanexperimentellen Studien, dass bei chronischen Schmerzen eine Dysfunktion der absteigenden schmerzhemmenden Systeme, die die Übertragung nozizeptiver Information im Rückenmark dämpfen, zur Unterhaltung der Schmerzen beiträgt und möglicherweise auch ihre Entstehung begünstigt. Auf der anderen Seite gibt es sowohl medikamentöse als auch nichtmedikamentöse Ansätze, die absteigende Schmerzhemmung zu stärken und dadurch das Rückenmark vor plastischen Veränderungen zu schützen bzw. die Auswirkungen bestehender plastischer Veränderungen abzuschwächen.
Zentrale Schmerzverarbeitung und Neuroplastizität (Christian Maihöfner) In diesem Vortrag werden neue Aspekte der zentralen Schmerzverarbeitung und Neuroplastizität vorgestellt. 1. Ein wesentlicher Fortschritt der letzten Jahre auf dem Gebiet der funktionellen Bildgebung des menschlichen Gehirns war die Einführung von Meta-Analyse-Verfahren, wie beispielsweise die Methode der Activation-Likelihood-Estimation (ALE). Basierend auf zahlreichen Studien konnten so erstmal genuine zerebrale Netzwerke identifiziert werden, die differentiell bei experimentellen oder neuropathischen Schmerzen aktiviert werden. Insbesondere bei chronischen neuropathischen Schmerzen werden offenbar vermehrt kortikale Areale aktiviert, die in schmerzmodulierende Netzwerke eingebunden werden. Ein wesentliches Gehirnareal ist hier der frontale Kortex, der auch für die endogene Schmerzhemmung eine wichtige Rolle zu spielen scheint. 2. Auf dem Gebiet der Schmerzhemmung zeigten Studien, dass chronische Schmerzen eventuell mit einer eingeschränkten Schmerkontrolle einhergehen können. Dies belegen sowohl Studien, die Hirnfunktionen selbst untersuchten (z. B. fMRT) als auch Untersuchungen der Neurochemie mit Liganden-PETVerfahren. 3. Basierend auf Resultaten der bildgebenden Verfahren kann man mittlerweile durch Methoden der Neurostimulation (z. B. rTMS) gezielt versuchen, mit verändertem Gehirnaktivierungen beim chronischen Schmerz zu interferieren. Der Einsatz von Neuronavigation hilft hier oftmals dabei entsprechende Zielstrukturen zu identifizieren. 4. Pharmakologische Studien bei Probanden und Patienten zeigen, welche Effekte Analgetika im menschlichen Gehirn bewirken. 5. Die autonome Subdimension der menschlichen Schmerzerfahrung wurde insbesondere der Insel, dem Stirnhirn und dem Gyrus cinguli zugeschrieben.
Transfer von der Grundlagenforschung in die Klinik SY 22 Analgesie contra Hyperalgesie bei Entzündung oder Neuropa thie? H. Rittner1, H. Machelska2, N. Üçeyler3 1Universitätsklinikum Würzburg, Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie, Würzburg, Deutschland, 2Universitätsklinikum Würzburg, Klinik und Poliklinik für Neurologie, Berlin, Deutschland, 3Charité Campus Benjamin Franklin, Klinik für Anästhesiologie m. S. operative Intensivmedizin, Berlin, Deutschland Das Immunsystem ist im Rahmen von Entzündungen oder Nervenschädigung in verschiedener Weise in die Schmerzentstehung und Weiterleitung involviert. In diesem Symposium werden die aktuellen Erkenntnisse zum Wechselspiel von Immunzellen bei der Schmerzentstehung dargestellt. Die einzelnen Vorträge gliedern sich in einen Grundlagenteil und sollen im zweiten Abschnitt die klinische Bedeutung der Erkenntnisse beleuchten.
Zur angeborenen Immunität gehören in erster Linie Neutrophile, die über spezifische Rezeptoren Bakterien und Viren erkennen können. Stimulation dieser Rezeptoren kann zwar auf der einen Seite die Freisetzung von algetischen Mediatoren hervorrufen. Auf der anderen Seite werden so aber auch analgetische Mediatoren wie Opioidpeptide freigesetzt [1, 2]. In einem Modell des Entzündungsschmerzes, bei dem Freunds Adjuvans in die Rattenhinterpfote injiziert wird, wandern opioidhaltige Neutrophile in das entzündete Gewebe ein. Dort können sie Opioidpeptide freisetzten, die dann an Opioidrezeptoren auf peripheren Neuronen binden und so einen analgetischen Effekt auslösen. In der frühen Entzündungsphase tragen vor allem Neutrophile zur endogenen peripheren opiodvermittelten Analgesie bei, während in späteren Phasen auch Monozyten/Makrophagen eine Rolle spielen. In der frühen Entzündungsphase ist diese Analgesie nur begrenzt wirksam. Wenn man die Einwanderung von opioidhaltigen Neutrophilen verstärkt über eine Applikation von Wachstumsfaktoren (rekombinantem Granuloztenwachstumsfaktor, granulocyte-colony-stimulating factor, G-CSF) [3] oder eine zusätzliche intraplantare Injektion von Chemokinen, die Neutrophile ins Gewebe locken, führt dies aber nicht zu einer verbesserten Analgesie. Vermutlich sind die Anzahl der Opioidrezeptoren oder deren Funktion in der Peripherie noch gering, so dass eine Erhöhung der Liganden keinen zusätzlichen Effekt bringt. Wir konnten aber auch keine Intensivierung des Schmerzes trotz verstärkter Neutrophilenmigration messen, was auch für eine Balance zwischen algetischen und analgetischen Faktoren sprechen könnte. Die Einwanderung von opioidhaltigen Neutrophilen sowie die Degranulation der Neutrophilen mit Freisetzung der Opioidpeptide wird über Chemokine wie CXCL2/3 gesteuert [2]. Chemokine sind kleine Proteine, die Wanderung von Leukozyten unter physiologischen und pathophysiologischen Bedingungen steuern. Die Freisetzung von Opioidpeptiden nach CXCL2/3 Stimulation erfordert eine intrazelluläre Signalkaskade über eine Erhöhung des intrazellulären Kalziums sowie p38 Mitogen-aktivierte Kinase und Phosphoinsitol-3-kinase. Neutrophile können Opioidpeptide auch nach Aktivierung mit Bestandteilen von Bakterien wie dem fMLP sowie nach Aktivierung mit Mykobakterien freisetzen [1]. Diese Mechanismen wirken auch unter basalen Bedingungen. Hier werden Opioidpeptide kontinuierlich freigesetzt und lindern so die thermische Hyperalgesie. Klinisch konnte gezeigt werden, dass die periphere Applikation von Opioidrezeptorantagonisten auch zu Verstärkung der Schmerzen führt. Dies unterstützt, dass im entzündeten Gewebe Leukozyten basal zu einer Schmerzlinderung beitragen. Als weiteren Teil des Immunsystems gibt es das adaptive Immunsystem, dabei insbesondere die Lymphozyten und antigenpräsentierenden Makrophagen. Diese können beispielsweise bei Neuropathien der dickbemarkten Fasern (Polyneuropathie) und der dünn- bzw. unbemarkten Fasern („small fiber“-Neuropathie) über die Produktion von Zytokinen algetisch wirken [4]. Die small fiber Neuropathie (SFN) ist eine Subgruppe sensibler Neuropathien, die ausschließlich oder ganz überwiegend die dünn-bemarkten A-delta bzw. unbemarkten C-Fasern betrifft. Typisches klinisches Symptom sind meist brennende Schmerzen und unangenehme Missempfindungen, die v. a. in den Zehen und Füßen lokalisiert sind. Woher diese Schmerzen ihren Ursprung nehmen ist nicht bekannt. Der typische histomorphologische Befund bei der SFN ist eine Reduktion dieser Fasern und die Frage ist offen, warum ein weniger an intraepidermalen Nervenfasern zu mehr Schmerzen führt. Eine Möglichkeit ist, dass bei diesem lokalisierten Schmerzsyndrom die übrig gebliebenen Nervenfasern sensibilisiert sind und verstärkt auf lokale Schmerz-vermittelnde Mediatoren reagieren. In diesem Zusammenhang ist die Rolle von pro- und antiinflammatorischen Zytokinen von Bedeutung. Zytokine sind kleine Proteine, die von Immunzellen, aber auch von Nicht-Immunzellen produziert werden können und die bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von Schmerz eine wichtige Rolle spielen. Dabei sind proinflammatorische Zytokine eher algetisch wirksam, während antiinflammatorische Zytokine überwiegend analgetisch wirken. Lokal produzierte Zytokine könnten bei der SFN somit auf die intraepidermalen Nervenfasern einwirken und Der Schmerz · Supplement 1 · 2011
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Abstracts zur Entstehung von Schmerzen führen. In unserer Studie haben wir Patienten mit einer idiopathischen SFN auf die lokale Expression von pro- und antiinflammatorischen Zytokinen in Hautproben von einer distalen (lateraler Unterschenkel; betroffenes Hautareal) und einer proximalen Stelle (lateraler Oberschenkel; nicht betroffen) untersucht. Dabei konnten wir zeigen, dass die Genexpression der pro-inflammatorischen und algetischen Zytokine Interleukin (IL)-6 und IL-8 in der distalen Hautprobe deutlich erhöht war. Bei der Stratifizierung der Patientengruppe nach der Längenabhängigkeit der SFN wurde deutlich, dass es die Subgruppe der Patienten mit längenabhängiger SFN ist (intraepidermale Nervenfaserdichte nur der proximalen Hautprobe reduziert), bei der in der distalen Hautprobe eine deutliche Vermehrung der Genexpression der proinflammatorischen Zytokine IL-6 und IL-8, aber auch von IL-2 und Tumor Nekrosefaktor-alpha (TNF) zu finden war. Interessanterweise geht diese gesteigerte Genexpression nicht mit einer lokalen Entzündung bzw. mit einer Vermehrung lokaler Entzündungszellen wie T-Zellen und Makrophagen einher. Die Implikation dieser Befunde ist, dass lokal wirksame Zytokininhibitoren bei der SFN eine mögliche Behandlungsoption wären. Andererseits wirft v. a. der Befund, dass die vermehrte Zytokinexpression nicht einfach auf einer lokalen Entzündungsreaktion beruht die Frage auf, welche anderen Zellen möglicherweise auch als Zytokinquellen und somit als Zielzellen für lokale Therapeutika in Frage kommen können. Im Gegensatz zu den proinflammatorischen und algetischen Wirkungen von lymphozytären Zytokinen haben diese beim neuropatischen Schmerz auch andere Wirkungen. So zeigen neuere Daten, dass Leukozyten, die um den geschädigten Nerven akkumulieren, Opioidpeptide produzieren und so neuropathischen Schmerzen bessern [5]. In einem Mausmodell für den neuropathischen Schmerz (Chronic Constriction Injury) wurde die Expression von Opioidpeptiden und Opioidrezeptoren mit Immunfluoreszenz sowie die Leukozyten mit Durchflusszytometrie und mechanische nozizeptive Schwellen mit von Frey Filamenten in wildtype Mäusen und Mäusen mit schwerer kombinierter Immundefizienz (severe combined immunodeficiency) untersucht. Opioidrezeptoren wurden in sensorischen Fasern nachgewiesen. Opioidpeptide (beta-Endorphin, Met-Enkephalin und Dynorphin) sind in Leukozyten um den geschädigten Nerven herum nachweisbar, die auch den Rezeptor für CRF (corticotropin-releasing factor) exprimierten. Perineurale Injektion von CRF an den geschädigten Nerven löst einen antinozizeptiven Effekt aus, der in Opioidpeptid-KnockoutMäusen nicht auslösbar war. Antikörper gegen Opioidpeptide, Opioidrezeptorantagonisten, CRF Rezeptorantagonisten und Antikörper gegen ICAM-1, was eine Akkumulation von Opioid-peptidhaltigen Leukozyten verhindert, blockieren die CRF-induzierte Antinozizeption. CRF-induzierte Antinozizeption ist in SCID Mäusen, die keine opioidhaltigen T-Lymphozyten haben, deutlich reduziert und kann durch einen Transfer von T-Zellen aus Wildtyp Mäuse wieder hergestellt werden [6]. In Mäusen mit anti-ICAM Behandlung ist auch die Antinozizeption ausgelöst durch perineurale Injektion von exogenen Opioiden vermindert. Zu ähnlichen Ergebnisse kam auch eine andere Arbeitsgruppe, die in partielle und feste Ligation des Nerven untersucht. Opioidpeptide und ihre Vorläufer mRNAs fanden sich in Leukozyten des geschädigten Nerven. Eine lokale Behandlung mit Opioidrezeptorantagonisten erhöhte die thermische Sensitivität [7]. Interessanterweise konnte diese Arbeitsgruppe auch nachweisen, dass die Behandlung mit rekombinantem Granuloztenwachstumsfaktor („mouse granulocyte-colony-stimulating factor“, rmG-CSF) zwar die Rekrutierung von Entzündungszellen zum geschädigten Nerven sowie verschiedene Zytokine und Opioidpeptide dort erhöht, dass dies aber werde zu verstärkten noch zu verminderten neuropathischen Schmerzen führt [8]. Daher haben Leukozyten nicht nur die Funktion, neuropathische Schmerzen auslösen. Stimulierung von opioidhaltigen Leukozyten unterstützt eine endogene Schmerzkontrolle nach Nervenschädigung. Außerdem sind infiltrierende opioidhaltige Leukozyten wichtig für eine Antinozizeption durch exogene Opioide. Zusammenfassend tragen sowohl algetische als auch analgetische Mediatoren zum Schmerzgeschehen bei, wobei der Nettoeffekt abhängig
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vom Kontext mehr Richtung Analgesie oder Hyperalgesie gehen kann. Tendenziell überwiegen im Laufe der Entzündung die analgetischen Effekte. Klinisch haben die Befunde mehrere Bedeutungen. Bei Entzündungsschmerz könnte eine immunsuppressive Therapie auch die endogene Schmerzkontrolle beeinträchtigen. Ebenso könnten erworbene Immundefekte wie eine Neutropenie bei Chemotherapie mit dem klinischen Bild einer Mukositis zu starken Schmerzen beitragen. Eine Stimulierung der Granulopoese könnte diese analgetische Wirkung wieder herstellen. Beim neuropathischen Schmerz könnten ähnliche Mechanismen wirksam sein. Zukünftig könnten auch dort lokale Therapien eine Rolle spielen. Unterstützt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (HR, HM). 1. Rittner, H., Hackel, D., Voigt, P., Mousa, S.A., Stolz, A., Labuz, D., Schäfer, M., Schaefer, M., Stein, C., and Brack, A. 2009. Mycobacteria attenuate nociceptive responses by formyl peptide receptor triggered opioid peptide release from neutrophils. PLoS Pathogens 5:e1000362. 2. Rittner, H.L., Labuz, D., Schaefer, M., Mousa, S.A., Schulz, S., Schäfer, M., Stein, C., and Brack, A. 2006. Pain control by CXCR2 ligands through Ca2+regulated release of opioid peptides from polymorphonuclear cells. FASEB J 20:2627–2629. 3. Brack, A., Rittner, H.L., Machelska, H., Beschmann, K., Sitte, N., Schäfer, M., and Stein, C. 2004. Mobilization of opioid-containing polymorphonuclear cells by hematopoietic growth factors and influence on inflammatory pain. Anesthesiology 100:149–157. 4. Uceyler, N., Rogausch, J.P., Toyka, K.V., and Sommer, C. 2007. Differential expression of cytokines in painful and painless neuropathies. Neurology 69:42–49. 5. Labuz, D., Schmidt, Y., Schreiter, A., Rittner, H.L., Mousa, S.A., and Machelska, H. 2009. Immune cell-derived opioids protect against neuropathic pain in mice. J Clin Invest 119:278–286. 6. Labuz, D., Schreiter, A., Schmidt, Y., Brack, A., and Machelska, H. 2010. T lymphocytes containing beta-endorphin ameliorate mechanical hypersensitivity following nerve injury. Brain Behav Immun 24:1045–1053. 7. Liou, J.T., Liu, F.C., Mao, C.C., Lai, Y.S., and Day, Y.J. 2011. Inflammation confers dual effects on nociceptive processing in chronic neuropathic pain model. Anesthesiology 114:660–672. 8. Liou, J.T., Lui, P.W., Liu, F.C., Lai, Y.S., and Day, Y.J. 2011. Exogenous granulocyte colony-stimulating factor exacerbate pain-related behaviors after peripheral nerve injury. J Neuroimmunol 232:83–93.
Pflege-Symposium SY 24 Der Stellenwert der Kotherapeuten im multimodalen Therapie konzept 1 M. Thomm1, K. Himpler2, P. Paul3, J. Dries4, N. Nestler5, C. Krüger6, M. Hufnagel6 1Uniklinik Köln, Schmerzzentrum der Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin, Köln, Deutschland, 2Kathlisches Klinikum Koblenz, Marienhof & Brüderhaus, Schmerzdienst, Koblenz, Deutschland, 3Klinikum St. Marien Hospital, Klinik Schmerz -und Palliativmedizin, Lünen, Deutschland, 4DRK Schmerz-Zentrum Mainz, Physiotherapie, Mainz, Deutschland, 5Paracelsus Medizinische Privatuniversität, Institut für Pflegewissenschaft, Münster, Deutschland, 6Paracelsus Medizinische Privatuniversität, Institut für Pflegewissenschaften, Salzburg, Österreich In Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen übernehmen Pflegende Aufgaben im Schmerzmanagement und sind Teil des multiprofessionellen Teams. Dabei können je nach Arbeitsgebiet sowohl der Aufgabenbereich differieren als auch der Umfang der übernommenen
Verantwortung. Das Symposium will die verschiedenen Aufgabenbereiche von Pflegenden darstellen als auch demgegenüber die Tätigkeitsbereiche anderer Berufsgruppen und auch der Bezugspersonen von PatientInnen. Im Krankenhaus sind Pflegende in verschiedenen Settings tätig und übernehmen ihre jeweils spezifischen Aufgaben im multimodalen Team. Es wird aufgezeigt, dass bei der Betreuung chronischer Schmerzpatienten maligner und nichtmaligner Genese, das Ausmaß emotionaler Beteiligung und Belastung des Pflegepersonals meist noch erheblich unterschätzt wird. Nicht nur die Tumorschmerzpatienten, sondern auch die chronischen nichttumorbedingten Schmerzpatienten, die eine langjährige Schmerzkarriere hinter sich haben, oftmals mit frustranen Therapieversuchen, bedeuten für die Pflegenden eine große Herausforderung für die Versorgungspraxis und Patientenedukation. Der Umgang mit diesen Kranken belastet, verändert den Menschen und kann die Helfer sogar krank machen, wenn es ihnen nicht gelingt, diese Belastungen zu verarbeiten. Im Rahmen multimodaler Schmerztherapie benötigen Patienten mit chronischen Schmerzerkrankungen eine gezielte multidisziplinäre Behandlungsstrategie. Behandlungsziele wie verbesserte körperliche Funktionsfähigkeit im Alltag und rationaler Umgang mit Analgetika sowie Verbesserung der Lebensqualität können nur durch eine koordinierte medizinische, psychologische und physiotherapeutische/ sporttherapeutische Behandlung erreicht werden. Qualifizierte Pflegefachkräfte nehmen im multiprofessionellen therapeutischen Team als Koordinatoren eine Schlüsselrolle ein. Ebenso bemühen Pflegende sich um Patienten mit speziellen postoperativen Schmerztherapieverfahren, die von einem Akutschmerzdienst behandelt werden. Konzepte zur Akutschmerztherapie müssen von allen beteiligten Berufsgruppen gemeinsam erstellt und transparent in der Klinik kommuniziert und gelebt werden. Die Einbeziehung aller beteiligten Berufsgruppen (Ärzte, Pflegende, Physiotherapeuten) ist von großer Wichtigkeit, um eine möglichst hohe Akzeptanz und eine daraus resultierende erfolgreiche Umsetzung des Schmerzmanagementkonzeptes zu erreichen. Dabei kommt auch hier den Pflegenden die Rolle der KoordinatorIn sowohl zwischen Patient und Behandlern als auch in der Kommunikation mit den Pflegenden auf den Stationen zu.
SY 25 Der Stellenwert der Kotherapeuten im multimodalen Therapie konzept 2 M. Thomm1, M. Hufnagel2, J. Dries3, N. Nestler4, K. Himpler5, C. Krüger6, P. Paul7 1Uniklinik Köln, Schmerzzentrum der Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin, Köln, Deutschland, 2Paracelsus Medizinische Privatuniversität, Institut für Pflegewissenschaften, Salzburg, Österreich, 3DRK Schmerz-Zentrum Mainz, Physiotherapie, Mainz, Deutschland, 4Paracelsus Medizinische Privatuniversität, Institut für Pflegewissenschaft, Münster, Deutschland, 5Kathlisches Klinikum Koblenz, Marienhof & Brüderhaus, Schmerzdienst, Koblenz, Deutschland, 6Paracelsus Medizinische Universität, Institut für Pflegewissenschaft, Salzburg, Österreich, 7Klinikum St. Marien Hospital, Klinik Schmerz -und Palliativmedizin, Lünen, Deutschland Neben spezifischen Aufgaben der pflegerischen Versorgung im Krankenhaus übernehmen Pflegende auch in anderen Versorgungsbereichen des Gesundheitssystems spezifische Aufgaben im Schmerzmanagement. Ebenso hat der Umgang anderer Therapeuten Einfluss auf die pflegerische Versorgung. So kann durch das Projekt „Aktionsbündnis Schmerzfreie Stadt Münster“ das Schmerzmanagement in 14 Altenpflegeeinrichtungen in der Stadt Münster dargestellt werden und die spezifischen Aufgaben der Pflegenden abgeleitet werden. Das Vorhandensein von Schmerzen in diesen Einrichtungen wie auch der Umgang mit ihnen hat dabei
ebenfalls Einfluss auf andere pflegerische Versorgungsbereiche und bedarf somit sowohl einer multiprofessionellen Betrachtung als auch Erarbeitung möglicher multimodaler Konzepte. Auch in der ambulanten Situation sehen sich Pflegende immer häufiger mit schwer erkrankten Menschen konfrontiert, die z. B. im Rahmen einer Tumorerkrankung eine umfassende multimodale Schmerztherapie benötigen. Pflegende und ÄrztInnen sollten Bezugspersonen als relevante AkteurInnen und AnsprechpartnerInnen im Schmerzmanagement wahrnehmen. Für ein adäquates Agieren der Bezugspersonen sind differenzierte Informationen von Professionellen und eine Integration in die Behandlung erforderlich. Diese konnten in einer Untersuchung identifiziert werden, so dass auch hier Ableitungen für das pflegerische Handeln dargestellt werden können. Da physiotherapeutische Maßnahmen Teil der multimodalen Programme sind, soll ihr Stellenwert im interdisziplinären Setting beleuchtet und die Notwendigkeit der Abstimmung und Kooperation mit der Berufsgruppe der Pflegenden dargestellt werden.
Versorgungsstrukturen und Gesundheitsökonomie SY 26 Pro und Contra Leitlinien: Fluch und Segen I.B. Kopp1, M. Überall², M. Pfingsten³ 1AWMF – Institut für Medizinisches Wissensmanagement, Philipps Universität, Marburg, Deutschland, ²Institut für Neurowissenschaften, Algesiologie & Pädiatrie, Nurnberg, Deutschland, ³Universitätsmedizin Göttingen, Schmerzklinik, Göttingen, Deutschland Leitlinien sind systematisch entwickelte, wissenschaftlich begründete und praxisorientierte Entscheidungshilfen für die angemessene ärztliche Vorgehensweise bei speziellen gesundheitlichen Problemen. Sie stellen den nach einem definierten und transparenten Vorgehen erzielten Konsens mehrerer Experten aus unterschiedlichen Fachbereichen (möglichst unter Einbeziehung von Patienten) zu bestimmten ärztlichen Vorgehensweisen dar und sind damit Orientierungshilfen im Sinne von „Handlungs- und Entscheidungskorridoren“. Die Erstellung von Leitlinien orientiert sich an den Prinzipien der evidenzbasierten Medizin (EbM). EbM ist der gewissenhafte und vernünftige Gebrauch der gegenwärtig besten externen, wissenschaftlichen Evidenz für Entscheidungen in der medizinischen Versorgung individueller Patienten. Die Praxis der EbM bedeutet die Integration individueller klinischer Expertise mit der bestverfügbaren externen Evidenz aus systematischer Forschung. EbM stützt sich somit auf die drei Säulen der individuellen klinischen Erfahrung, der Werte und Wünsche des Patienten und des aktuellen Standes der klinischen Forschung. Dieser integrative Zugang ist grundsätzlich nicht neu. Neu und wesentlich für die EbM ist jedoch der strukturierte und systematische Zugang, mit dem eine möglichst transparente, zeitnahe und unverzerrte Berücksichtigung von Studienergebnissen erreicht werden soll. Klassischerweise gliedert sich das strukturierte Vorgehen in der EbM am Krankenbett in fünf Schritte: 1. Übersetzung des klinischen Problems in eine beantwortbare Frage, 2. Suche nach relevanter und zuverlässiger externer Evidenz, 3. kritische Beurteilung der relevanten Literatur, 4. Umsetzung der gewonnenen Einsichten in Abwägung der konkreten klinischen Situation, 5. Selbstkritik und ggf. Anpassung der bisherigen Vorgehensweise. Leitlinien haben die Aufgabe, das umfangreiche Wissen aus wissenschaftlicher Evidenz, Praxiserfahrung und Perspektiven der Patienten zu speziellen Versorgungsproblemen explizit darzulegen, unter methodischen und klinischen Aspekten zu bewerten, gegensätzliche Standpunkte zu klären sowie schließlich unter Abwägung von Nutzen und Schaden das derzeitige Vorgehen der Wahl durch konkrete Handlungsempfehlungen zu definieren. Neben der systematischen RecherDer Schmerz · Supplement 1 · 2011
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Abstracts che, Auswahl und methodischen Bewertung der Literatur für spezielle Fragestellungen fließt in Leitlinienempfehlungen demnach auch eine klinische Beurteilung der Aussagefähigkeit und Anwendbarkeit der Evidenz in einem streng formalen Prozess mit ein. Dazu gehören vor allem eine Wertung der klinischen Relevanz von Studienendpunkten und Effektstärken, die Abwägung von Nutzen und Schaden und der Vergleich mit alternativen Vorgehensweisen. Das vorrangige Ziel von Leitlinien ist die Verbesserung der Qualität medizinischer Versorgung. Leitlinien zielen darauf ab, Entscheidungen in der medizinischen Versorgung auf eine rationalere Basis zu stellen, die Stellung des Patienten als Partner im Entscheidungsprozess zu stärken und die Qualität der Versorgung zu verbessern. Dazu gehört u. a. auch, die Behandlungsabläufe für spezielle Erkrankungen über die verschiedenen Versorgungsbereiche darzustellen, die dabei entstehenden Entscheidungssituationen zu benennen und das jeweilige Vorgehen der Wahl zu definieren. Dies betrifft auch Empfehlungen zur Abstimmung und Koordination der Versorgung aller beteiligten Fachdisziplinen und weiteren Fachberufe im Gesundheitswesen und die Definition der Schnittsellen zwischen den verschiedenen ärztlichen Disziplinen und den verschiedenen Versorgungsbereichen. Leitlinien sind nicht verbindlich. Die Anwendbarkeit einer bestimmten Empfehlung in der individuellen Situation ist unter Berücksichtigung der vorliegenden Gegebenheiten (z. B. Begleiterkrankungen des Patienten, verfügbare Ressourcen) zu prüfen. In begründeten Fällen kann bzw. muss sogar von ihnen abgewichen werden. Sie muss vor ihrer Verwendung bei einem individuellen Behandlungsfall hinsichtlich ihrer Anwendbarkeit auf regionaler oder lokaler Ebene überprüft und gegebenenfalls angepasst werden. Eine Leitlinie wird kann natürlich erst dann wirksam werden, wenn ihre Empfehlungen bei der individuellen Patientenversorgung Berücksichtigung finden. Aus Leitlinien können Zielgrößen und Indikatoren abgeleitet werden, anhand derer die Umsetzung einzelner Empfehlungen, möglicher Barrieren sowie die Auswirkungen der Leitlinienanwendung auf die Qualität der medizinischen Versorgung messbar wird. Die Erfassung leitlinienbasierter Qualitätsindikatoren dient einerseits als Grundlage zur Qualitätsförderung in der Praxis, andererseits als Grundlage für die Fortschreibung und Weiterentwicklung der Leitlinien selbst. In den letzten 3 Jahren sind mehrere Leitlinien verabschiedet worden, die für die Schmerzbehandlung unmittelbare Relevanz haben. Dazu gehören die Leitlinie für das Fibromyalgie-Syndrom (FMS), die LONTS-Leitlinie zur Langzeitanwendung von Opioiden bei nichttumorbedingten Schmerzen sowie die Nationale Versorgungs-Leitlinie Kreuzschmerz. Ihre Erstellung ist oftmals ein lange und u. U. zäh verhandelter Kompromiss, der aufgrund der z. T. gegenteiligen Auffassungen und Interessen der Beteiligten manchmal nur mit Mühe herstellbar war. Naturgemäß finden die in der Expertenkommission abgelaufenen und beendeten Diskussionen nach Veröffentlichung der Leitlinien erneut bei den Anwendern statt, die die Konsequenzen der Umsetzung zu tragen haben, gelegentlich mit deutlichem Eingriff in die bisherige Vorgehensweise und auch Auswirkungen auf die Ertragssituation. Die Empfehlungen der LONTS-Leitlinie und der Nationalen Versorgungsleitlinie Kreuzschmerz zielen auf deutliche Veränderungen bezüglich des bisherigen Vorgehens, was – je nach Standpunkt – als notwendige Korrektur oder aber als unakzeptables Hindernis bewertet wird. Die Konflikte entzünden sich dabei meist nicht an einer etwa fehlenden Akzeptanz der evidenzbasierten Medizin, sondern an der Berücksichtigung, Bewertung und Interpretation der vorhanden oder auch nicht vorhandenen Evidenz. 1. Neises G, Windeler J. Wie viel ist „evidenzbasiert“? Eine Übersicht zum aktuellen Forschungsstand. ZaeFQ 2001; 95: 95–104 2. Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), Ärztliche Zentralstelle Qualitätssicherung (ÄZQ), Das Leitlinien-Manual von AWMF und ÄZQ. Entwicklung und Implementierung
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von Leitlinien in der Medizin. Z Arztl Fortbild Qualitatssich 2001; 95: 4–84 3. Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), Beurteilungskriterien für Leitlinien in der medizinischen Versorgung – Beschlüsse der Vorstände der Bundesärztekammer und Kassenärztlicher Bundesvereinigung, Juni1997. Dtsch Arztebl 1997; 94: A-2154–2155
Multimodalität – Chancen und Grenzen SY 27 Blick zurück nach vorn: Kopf- und Rückenschmerz M. Pfingsten1, J. Hildebrandt1, J. Schoenen2, T. Wallasch3 1Universitätsmedizin Göttingen, Schmerzklinik, Göttingen, Deutschland, 2Liège University, Headache Research Unit, Liège, Belgien, 3MEDAS Ostschweiz, Medizinische Abklärungsstelle, St. Gallen, Schweiz Die Schmerzforschung hat in den letzten 2 Jahrzehnten einen erheblichen Erkenntniszuwachs erbracht. Wenngleich auch weiterhin Defizite bestehen, können Schmerzmechanismen heute viel besser verstanden werden. In der Umsetzung der Forschungsergebnisse haben sich auch die schmerztherapeutischen Möglichkeiten bei verschiedenen Schmerzsyndromen erweitert, zum Teil haben sogar Paradigmenwechsel stattgefunden. Manche therapeutischen Ansätze waren Irrwege, andere wegweisend. Zwei namhafte Experten präsentieren eine entsprechende Rückschau mit Ausblick in die Zukunft für die „Volkskrankheiten“ Kopfschmerz und Rückenschmerz. Die Ausführungen sind dabei ganz bewusst vor dem Hintergrund der eigenen wissenschaftlichen und klinischen Vita gefasst und beinhalten eine ganz persönliche Bewertung. Die Problembereiche betreffen u. a., die Frage danach, was bisher erreicht worden ist, welche Konsequenzen sich aus der der bisherigen Entwicklung wie auch aus den Fehlern ergeben, worin heute noch die Defizite bestehen und was nach dem bisherigen Erkenntnisstand Erfolg versprechende Zukunftsorientierungen darstellen.
Rückenschmerz (Jan Hildebrandt) Rückenschmerz (Synonym Kreuzschmerz, „low back pain“) nimmt unter der Klientel von Schmerzpraxen oder Schmerzambulanzen einen großen Raum ein. Die Zahlen bewegen sich zwischen 25 und 50% der Fälle. Diese Beschwerden unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht von anderen mit Schmerzen verbundenen Krankheitsgruppen. Trotz immenser Forschungstätigkeit mit dem größten wissenschaftlichen Output in der gesamten Medizin, verstehen wir im Gegensatz zu neuropathischen Schmerzen oder Kopfschmerzen in vielen Fällen die Mechanismen nicht oder nur unzureichend, und dem entsprechend fehlen häufig mechanismusbasierte Therapieansätze bzw. deren Entwicklung steckt noch in den Kinderschuhen und sind derzeitig klinisch nicht anwendbar. Rückenschmerzen wurden über Jahrzehnte als ausschließlich somatisches, strukturelles Phänomen betrachtet. Sie wurden in Anlehnung an Arthrosen von Knie-, Hüft- und Schultergelenken als (schicksalhafte) Degenerationsfolgen angesehen. Die ärztlich fachliche Zuordnung war eindeutig: Die Orthopädie beanspruchte abgesehen von Ausnahmefällen ein Alleinvertretungsrecht. Schmerztherapeutisch tätige Ärzte behandelten generell symptomatisch und meistens eher „palliativ“. Dieses Konzept führte in allen vergleichbaren Ländern zu einer kontinuierlichen Zunahme von chronifizierten Patienten und hohen Kosten für die Gesellschaft. Etwa Ende der achtziger Jahre erfolgte, zumindest in den angelsächsischen Ländern, ein Umdenken: in den meisten Fällen wurde nun die „Störung der Funktion“ wichtiger als die Struktur und wurde die Basis für therapeutische Strategien. Da die Muskulatur im Bereich des Bewegungssystems „Wirbelsäule“ bei weitem die größte Rolle spielt (primär
oder vermutlich eher sekundär als Folge degenerativer Prozesse der Wirbelsäule), erhielt sie im Laufe der nächsten Jahrzehnte immer mehr Aufmerksamkeit, wobei bis heute dieses „Organ“ in der medizinischen Forschung immer noch eine untergeordnete Rolle spielt. Gleichzeitig fand man deutliche Hinweise darauf, dass zentrale Faktoren im Laufe der Erkrankung immer wichtiger werden. Dies bezieht sich sowohl auf psychische Phänomene wie Angst, Stress oder Depressivität als auch auf neurophysiologische Veränderungen wie Störung des endogenen Kontrollsystems der Schmerzen oder der Sensomotorik mit all ihren Folgen in der Peripherie. Wenn wir heute für 85–90% der Fälle die Bezeichnung „nichtspezifischer Rückenschmerz“ wählen, entspricht das einem pragmatischen klinischen Vorgehen. Diese Bezeichnung bedeutet weniger, dass wir in allen diesen vielen Fällen die Mechanismen generell nicht kennen. Es bedeutet vielmehr, dass in der großen Mehrheit der Fälle definierte Strukturen wie Wirbelbogengelenke, Bandscheiben, Spinalwurzeln oder Muskeln den Schmerzen klinisch nicht zuzuordnen sind und eindeutige Pathologiemechanismen wie radikuläre neuropathische Beschwerden, Infektion, Tumor, Entzündung, traumatische Folgen oder schwere Form-/Funktionsfehler der Wirbelsäule fehlen. Es ist zwar durch eine aufwändige (meist invasive) Diagnostik in einer Reihe von Fällen prinzipiell möglich, pathologische Strukturen zu finden, in der Mehrheit der Fälle hat das aber keine therapeutischen Vorteile gegenüber einer funktionellen Behandlung. Nur in wenigen speziellen Fällen kann die exakte Lokalisation der betroffenen Struktur tatsächlich therapeutisch erfolgreich genutzt werden, zumeist mit invasiven Verfahren. Eigenartigerweise hatte dieser Paradigmenwechsel (bisher) keinen großen Einfluss auf den Umgang mit Rückenschmerzen und ihre Therapie. In den meisten Fällen haben sich die therapeutischen „Lager“ (Struktur vs. Symptom/Funktion) eher noch verfestigt, wobei die angewendeten Methoden so zahlreich sind, dass selbst die besten Experten keinen Überblick mehr haben. Auch hierin unterscheidet sich das Krankheitsbild Rückenschmerz von allen anderen Krankheiten. Die Ursache dieser therapeutischen Stagnation liegt vermutlich weniger am fehlendem medizinischem Wissen, sondern ist sozusagen Systemimmanent: Vom Krankheitsbild Rückenschmerz mit klassischer Behandlung lebt eine gewaltige (Gesundheits-)Industrie, während eine Funktionsorientierte Therapie, die auf der Nutzung der eigenen Ressourcen des Patienten aufbaut, in der Therapie mehr Zeit braucht, unzureichend vergütet wird und für viele Patienten unbequem ist oder abgelehnt wird. Anatomie, Physiologie, Funktion und Störungsmechanismen unserer Wirbelsäule sind komplex (1). Komplexe Störungen brauchen komplexe Lösungen. In vielen Fällen, insbesondere bei fehlender Chronifizierung sind jedoch die eigenen Ressourcen der Patienten völlig ausreichend, sofern sie durch geeignete Maßnahmen aktiviert werden. Aus diesem Grund sind sich alle evidenzbasierten Leitlinien einig, dass der erste Schritt in einer Selektion der Patienten bestehen muss, bei der zwischen spezifisch (strukturell behandelbar) und nichtspezifisch (funktionell behandelbar) ebenso zu unterscheiden ist, wie zwischen harmlos (unaufwändig) und schwerwiegend (aufwändig): Der erste Schritt (nach der Triage und Selektion der (wenigen) Fällen mit spezifischen Beschwerden, die einer spezifischen Therapie bedürfen), ist die Vermittlung des Prinzips eines dynamischen Krankheitsbildes, das durch komplexe Faktoren entstanden ist und durch aktive Maßnahmen kontrolliert werden kann. Der benötigte therapeutische Aufwand ist dabei abhängig vom Ausmaß der Chronifizierung. Nur wenige Therapieverfahren haben sich bei nichtspezifischen Schmerzen als eindeutig wirksam erwiesen: Neben einer Medikation mit geeigneten Mitteln unter Berücksichtigung der Höchstdosen und Nebenwirkungen sind das: Edukation, Bewegungstherapie und verhaltenstherapeutische Maßnahmen, insbesondere kombiniert im Rahmen einer interdisziplinären multimodalen Behandlung. Daraus ergibt sich, dass Rückenschmerzen – zumindest in den fortgeschrittenen Fällen – keine Domäne eines einzelnen Fachgebiets ist, sondern ein multidisziplinäres Problem.
Wer komplexere Rückenschmerzen jenseits eindeutiger Pathologien behandeln will, muss ausreichende Kenntnisse der Bewegungs- und Verhaltenstherapie haben. Im Rahmen der (konservativen) Ausbildung zum Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie ist eine entsprechende Weiterbildung ebenso zu fordern wie spezifische Kenntnisse von Schmerz-, Physio- und Ergotherapeuten unter Einbeziehung der Ressourcen des Gesundheitssports. Hochwertige und Praxisbezogene Leitlinien liegen inzwischen auch in Deutschland vor (2). Der Umgang mit diesen Leitlinien und damit die zukünftigen therapeutischen Strategien sind aber derzeit (noch) in hohem Maße gesundheitspolitisch bestimmt.
Migraine Research: „back to the future“ (J. Schoenen) Migraines are functional brain disorders. They are phenotypically composed of neurological symptoms (the aura in 20% of patients) and of headache associated with GI and CNS symptoms. Both can be dissociated, differ between patients and differ between attacks. Migraines are episodic in the majority of patients, occurring in attacks separated by free intervals, but may become chronic in ±3%. Any comprehensive theory on migraine pathogenesis should be able to explain all of these aspects. Needless to say that this holy grale may remain out of reach because of migraine‘s heterogeneity. I will summarize some recent and more ancient pathophysiological data in order to assemble at least part of the migraine puzzle. Except in acephalalgic auras, migraine attacks are disabling because of a rather typical headache. Head pain may arise from extracranial structures, or intracranially from the major nociceptive system of the viscera brain, the trigeminovascular (TGV) system. Whether the culprit are the nerves and the central pathways or the vessels surrounded by the nerve endings remains controversial. The pendulum has been swinging between the two, though a primary role of vessels is unlikely. The anatomo-functional and pharmacological dissection of the TGV pathway has led to the discovery of more efficient acute anti-migraine drugs. The aura, since a long time attributed to cortical spreading depression (CSD), may trigger the (sensitised) trigeminovascular system, but what the trigger is in migraine without aura remains unknown. Some insight may be gained from attack triggers, aggravating factors and interictal pathophysiology. It is likely that the predisposing genotype sets the thresholds for CSD/aura and for TGV activation. Internal and environmental triggers can modify these thresholds, for some of them differentially, like for sex hormones. Research on transgenic FHM rodents indicate that genetic influences on glutamate homeostasis and neuronal excitability may play a pivotal role, especially in migraine with aura. Monoaminergic neurotransmission and energy metabolism may also be genetically modified. The interictal functional consequences reflecting the migraine threshold are cerebral hyperresponsiveness and thalamo-cortical dysrhythmia to sensory information and possibly to a metabolic dysequilibrium as well as sensitivity to triggers such as NO donors. Taken together, the pathogenesis of migraines depends on a genetically orchestrated interplay between the trigeminovascular system, the pain control pathways and the thalamo-cortical loops. Various of its facets are slowly disentangled, but a unifying theory is lacking. Meanwhile my favourite theory remains the one formulated by Edward Liveeing in 1873 : „...the fundamental cause is to be found in a primary and often hereditary vice or morbid disposition of the nervous system itself..../... the immediate antecedent of an attack is a condition of unstable equilibrium and gradually accumulating tension in the nervous system.../... while the paroxysm itself may be likened to a storm, by which this condition is dispersed and the equilibrium for the time restored.“ 1. Hildebrandt J, Pfingsten M (Hrsg.): Rückenschmerz und Lendenwirbelsäule. Interdisziplinäres Praxisbuch – entsprechend den Nationalen Versorgungsleitlinien. 2. Auflage 2011, Elsevier, Urban und Fischer Verlag, München. ISBN Der Schmerz · Supplement 1 · 2011
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Abstracts 978-3-437-23251-0 2. Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). Nationale VersorgungsLeitlinie Kreuzschmerz, 2010 Available from: http://www.versorgungsleitlinien.de/themen/kreuzschmerz 3. Schoenen J. Deficient habituation of evoked cortical potentials in migraine: a link between brain biology, behavior and trigeminovascular activation? Biomed & Pharmacother 1996; 50: 71–78. 4. Fumal A, Laureys S, Di Clemente L, Boly M, Bohotin V, Vandenheede M, Coppola G, Salmon E, Kupers R, Schoenen J. Orbitofrontal cortex involvement in chronic analgesic-overuse headache evolving from episodic migraine. Brain 2006;129:543–50 5. Bogdanov VB, Multon S, Chauvel V, Bogdanova OV, Prodanov D, Makarchuk MY, Schoenen J. Migraine preventive drugs differentially affect cortical spreading depression in rat. Neurobiology of Disease 2011; 41: 430–435
Akutschmerz SY 28 Qualität in der Schmerztherapie – wie definieren wir sinnvolle Ziele und Strukturen? J. Osterbrink1, M. Przemeck2, C. Maier3, J. Erlenwein4 1Paracelsus Medizinische Privatuniversität, Institut für Pflegewissenschaft, Salzburg, Österreich, 2Diakoniekrankenhaus Annastift, Klinik für Anästhesie und Intensivmedizin, Hannover, Deutschland, 3Berufsgenossenschaftliches Universitätsklinikum Bergmannsheil der Ruhr-Universität Bochum, Abt. Schmerztherapie, Bochum, Deutschland, 4Universitätsmedizin Göttingen, Schmerzklinik, Göttingen, Deutschland Wann gilt eine Schmerztherapie als qualitativ hochwertig? Welche Rahmenbedingungen sind dafür notwendig und wie lässt sich eine adäquate multiprofessionelle schmerztherapeutische Versorgung dauerhaft garantieren? Diese und ähnliche Fragen werden näher beleuchtet, um aufzuzeigen welche mehrdimensionalen Qualitätsziele in der Akutschmerztherapie notwendig sind, um ein optimales Schmerzmanagement nachhaltig zu ermöglichen. Um gute Qualität zu erbringen, müssen Voraussetzungen, Bewertungskriterien und Ziele bekannt sein oder definiert werden. Dabei lässt sich die Qualität in der Akutschmerztherapie gut anhand der von Donabadian definierten Qualitätsdimensionen (Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität) darstellen. Hinsichtlich der Ergebnisqualität muss jedoch berücksichtigt werden, dass es, wenn die Beurteilung im Sinne des gesamten Behandlungsprozesses erfolgen soll, mehrdimensional und prozedurenspezifischer erfasst werden muss. Dabei ist es ebenfalls von großer Bedeutung, dass die verschiedenen Kriterien hinsichtlich ihrer Aussage eingeordnet werden müssen. So ist z. B. die Zufriedenheit der Patienten bezüglich ihrer Schmerzen ein wichtiges Prozessziel, jedoch nur ein sehr schlechtes Kriterium zur Beurteilung der Schmerzstärke und deren Auswirkungen auf die Rehabilitation. Die meist angewandten Interventionsgrenzen zur Tolerierung der Schmerzen bzw. zur Gabe von Analgetika auf einer numerischen Ratingskala geben orientierend einen guten Anhalt und eignen sich für die Delegation der Bedarfsmedikation im Rahmen von Standards oder Anordnungen. Sie spiegeln jedoch nicht den objektiven Bedarf bzw. die Qualität der prozessbezogenen Schmerztherapie wieder. Dazu müssen funktionelle Kriterien wie die Fähigkeit des Abhustens, tiefen Durchatmens, der Mobilisation oder absolute Bewegungsgrade herangezogen werden. So ist es beispielsweise hinsichtlich des Behandlungsprozesses und der angestrebten, im DRG-System eng gefassten Entlassungsvorgaben ungünstig, wenn nur die Angabe des Patienten „schmerzfrei zu sein“ und einen Maximalschmerz „von NRS 3“ zu haben, keine analgetischen Konsequenzen hat, aber die Mobilisation, Abhusten oder Bewegungsgrade trotz dieser Angaben nur eingeschränkt möglich ist.
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Gerade aus Sicht des Akutschmerzdienstes in einer orthopädischen Universitätsklinik wird am Beispiel der Knieendoprothese der sensible Umgang mit den Beurteilungskriterien aufgezeigt: Definierte Ziele sind die schnelle und sichere Mobilisation und ein Beugungsgrad des Knies von mindestens 90° bei Entlassung, da andernfalls die weitere Rehabilitation verzögert ist und zudem geringere Beugungsgrade als Komplikation z. B. in zentralen Qualitätsdatenbanken wie der des BQS erfasst werden. Zur Zielerreichung müssen daher aus therapeutischer Sicht schmerzarme Mobilisierbarkeit mit gleichzeitig ausreichender muskulärer Kontrolle fortwährend fein abgestimmt werden. Dass eine Beurteilung der Qualität der Schmerztherapie nicht eindimensional betrachtet werden kann, sondern immer im Kontext des gesamten Behandlungsprozesses bewertet werden muss, zeigen auch die Ergebnisse aus der Zertifizierung „Qualifizierte Schmerztherapie“ in deutschen und österreichischen Krankenhäusern. Auch hier zeigt sich, dass eine gute schmerztherapeutische Versorgungsqualität nicht nur strukturelle Verbesserungen sowie klinische und außerklinische Prozessoptimierungen erfordert, sondern dass vor allem mehrdimensionale Ergebniskriterien entscheidend für die Beurteilung der klinischen Behandlung von Schmerz sind. Im Rahmen der Zertifizierung „Qualifizierte Schmerztherapie“ werden diese anhand von Patientenbefragungen, die u. a. Aufschluss über die Therapieeffektivität geben, ermittelt. Ergebnisse aus der Zertifizierung zeigen, welche Maßnahmen notwendig sind, um eine qualifizierte Schmerztherapie zu ermöglichen und welche empirisch hergeleiteten Kriterien hierfür als Grundlage dienen können. Wichtig bei der Entwicklung und Anwendung von Beurteilungskriterien ist die Berücksichtigung aller Patientengruppen. In den letzten Jahrzehnten haben sich als Strukturen zur Verbesserung der Akutschmerztherapie interdisziplinäre Absprachen und die Einführung von Akutschmerzdiensten weitgehend etabliert. Jedoch erreichen diese je nach Struktur des Hauses nur einen Bruchteil der Patienten. Um alle Patienten zu erreichen müssen neben diesen auch Anordnungs- und Delegationskonzepte vorliegen, welche anhand von definierten Beurteilungskriterien zeitnah eine Bedarfsmedikation und die Anpassung der Basisanalgesie erlauben. Dabei ist es wichtig, dass das Stationspersonal vor Ort Handlungsfähigkeit erlangt. Um diese Konzepte prozessorientiert einzusetzen, sollte die Schmerztherapie nicht innerhalb von engen Grenzen organisiert sein, sondern abteilungsund bereichsübergreifend durch ein Schmerzmanagement organisiert werden. Insbesondere können so die Schnittstellen, welche häufig mit Wechseln der Analgesiestrategie verbunden sind und ein Risiko für Schmerzspitzen darstellen, vermindert werden. Des Weiteren muss die Gruppe der Patienten ausreichend Berücksichtigung finden, welche aufgrund von analgetischer Vormedikation, Tumor- oder Schmerzerkrankung, Abhängigkeit oder anderen psychischen Auffälligkeiten aus diesen standardisierten Konzepten im Rahmen ihrer akuten Schmerzen heraus fallen. Diese meist durch spezielle Dienste, wie einer Schmerzambulanz oder einem Palliativdienst mit betreuten Patienten, bedürfen einer sehr individuellen Betreuung die weitreichender ist als die reine Optimierung der medikamentösen Analgesie. Wie Daten aus der Universitätsmedizin Göttingen belegen, bedarf es hierbei auch in der Akutschmerztherapie letztendlich multimodaler Strukturen und Konzepte ähnlich derer in der Therapie chronischer Schmerz- oder Tumorpatienten, da der Akutschmerz sich meist „on top“ auf die Grunderkrankung setzt oder diese zum exazerbieren bringt. Es wird dargelegt, dass es auch in der Akutschmerztherapie einer Multimodalität bedarf und eine Trennung innerklinisch zur Chronischen- und Tumorschmerztherapie nicht sinnvoll ist, da der Anteil an entsprechenden Komorbiditäten sehr hoch ist. Ebenso bleibt bei der Organisation der Schmerztherapie zu berücksichtigen, dass außerhalb von chirurgischen Bettenstationen auch in der konservativen, pädiatrischen und psychiatrischen oder psychosomatischen Medizin eine Vielzahl von analgetischen Grundproblemen vorliegt, welche entsprechend angepasste und weiterentwickelte multimodale Modelle erfordern. Dies gilt gleichermaßen für stationäre Altenhilfe, welche im Bereich des Schmerzmanagements aufgrund der
bestehenden Multimorbidität vieler Bewohnerinnen und Bewohner mit einer Vielzahl unterschiedlicher Probleme konfrontiert wird, die eine gezielte Herangehensweise erfordern. Neuste Ergebnisse aus einer Befragung von Pflegenden und Bewohnerinnen und Bewohnern aus 15 stationären Altenhilfeeinrichtungen belegen die Notwendigkeit der (Weiter-)Entwicklung von speziell auf die stationäre Altenhilfe ausgerichteten Bewertungsmaßstäben, die eine Beurteilung des vorhandenen Schmerzmanagements, basierend auf den eingangs beschriebenen Qualitätsdimensionen und unter Berücksichtigung der Pflegerealität, ermöglichen. Zudem zeigen die Ergebnisse, dass konkrete Verfahrensanweisung zur Regelung des Schmerzmanagements sowie praxisorientierte Implementierungsstrategien benötigt werden, um ein qualitativ hochwertiges Schmerzmanagement durchzuführen. Gerade vor dem Hintergrund der steigenden Anzahl an demenziell erkrankten Personen ist die Berücksichtigung vulnerabler Bewohnergruppen hinsichtlich der Qualitätsentwicklung von großer Bedeutung, denn eine umfassende schmerztherapeutische Versorgung kann nur dann ermöglicht werden, wenn die Voraussetzungen, Bewertungskriterien und Ziele für die gesamte Bewohnerklientel definiert sind. Unabhängig vom Setting stützen die Untersuchungsergebnisse die Forderung nach einer multimodalen Schmerzbehandlung und einer gleichzeitigen Stärkung bzw. einem Ausbau der bestehen Strukturen, um so eine nachhaltige Verbesserung des Schmerzmanagements herbeizuführen.
Kopfschmerz SY 29 Neuromodulation bei primären Kopfschmerzen – Aktuelles zur Leitlinie T. Jürgens1, C. Gaul2, M. Teepker3 1Universitätsklinikum Hamburg (UKE), Institut für systemische Neurowissenschaften, Hamburg, Deutschland, 2Westdeutsches Kopfschmerzzentrum, Klinik für Neurologie, Essen, Deutschland, 3Philipps-Universität Marburg, Klinik für Neurologie, Marburg, Deutschland Die Veranlagung zu primären Kopfschmerzen (also solchen Kopfschmerzen, die nicht Folge einer anderen Erkrankung sind) bleibt ein Leben lang bestehen. Während den meisten Patienten mit einer leitliniengerechten Pharmakotherapie und ggf. nicht-medikamentösen Verfahren wie Entspannungsübungen) gut geholfen werden kann, verbleibt eine kleine Gruppe an Patienten, die auch auf eine Zwei- oder Dreifachkombination einer etablierten medikamentösen Therapie nicht ausreichend behandelt werden kann. Hier haben die neuromodulierenden Verfahren wesentlich zur Erweiterung des therapeutischen Arsenals beigetragen. Man unterscheidet zwischen invasiven (wie die periphere Nervenstimulation des N. okzipitalis major und des N. vagus, die zervikale Rückenmarksstimulation und die hypothalamische Tiefenhirnstimulation) und nichtinvasiven Verfahren (wie die transkranielle Magnetstimulation, die transkranielle Gleichstromstimulation und die transkutane elektrische Nervenstimulation). Im Rahmen der aktuellen Therapieempfehlungen zum „Einsatz neuromodulierender Verfahren bei primären Kopfschmerzen“ der DMKG wurden Kriterien für die Definition eines therapierefraktären Kopfschmerz aufgestellt und den behandelnden Ärzten Kriterien zur Auswahl jeweils geeigneten Therapieverfahrens an die Hand gegeben. Als therapierefraktär sollten Kopfschmerzen nur dann bezeichnet werden, wenn sie seit mindestens 24 Monaten bestehen und täglich auftreten. Zudem sollten die gängigen Prophylaktika (entsprechend der jeweiligen Leitlinien) über mindestens einen Monat beim Clusterkopfschmerz bzw. zwei Monate bei der Migräne in einer adäquaten Dosis verabreicht worden sein. Zudem sollte kein Hinweis auf einen Schmerzmittelübergebrauch bestehen und der Kopfschmerz zu einer signifikanten Beeinträchtigung der Lebensqualität und/oder der sozio-
ökonomischen Situation des Patienten führen.Während die Schwelle zur Nutzung nichtinvasiver Verfahren relativ niedrig liegt, sollte vor Anwendung eines invasiven neuromodulierenden Verfahrens sichergestellt werden, dass der neurologische Befund und die zerebrale MRT unauffällig sind. Von psychiatrischer Seite sollten keine Hinweise auf eine Suchterkrankung, eine Somatisierungsstörung oder eine Persönlichkeitsstörung bestehen. Die Behandlung sollte bevorzugt im Rahmen klinischer Studien erfolgen und unbedingt in einem neurochirurgischen Zentrum mit entsprechender Erfahrung durchgeführt werden. Im Bereich der Tiefenhirnstimulation hat sich als Ziel der posteriore Hypothalamus basierend auf bildgebenden und neuroendokrinologischen Studien etabliert. Mit der Indikation chronischer Clusterkopfschmerz wurden bislang mehr als 50 Patienten publiziert, so dass hier – gemeinsam mit der Okzipitalisstimulation – die umfangsreichsten Daten zur Effektivität und Sicherheit vorliegen. Auch wurden etliche Langzeitverläufe über mehrere Jahre beschrieben. Während in offenen Studien die Erfolgsraten um 50% liegen, ergab die bislang einzige placebokontrollierte und verblindete Studie in der verblindeten Phasen im Gegensatz zur offenen Phase keine Überlegenheit gegenüber der Scheinstimulation, wobei methodische Mängel die Aussagekraft dieser Studie einschränken. Neben dem Clusterkopfschmerz liegen Einzelfallberichte zur Wirksamkeit bei anderen trigeminoautonomen Kopfschmerzen wie dem SUNCT-Syndrom und der chronischen paroxysmalen Hemicranie vor. Von allen vorgestellten Verfahren handelt es um das invasivste und mit den bislang schwersten publizierten Nebenwirkungen. Neben der Tiefenhirnstimulation hat sich im klinischen Alltag die bilaterale kontinuierliche Stimulation des N. occipitalis etabliert. In mehreren Beobachtungsstudien wurde es als wirksames Verfahren beim chronischen, therapierefraktären Clusterkopfschmerz beschrieben. In allen Studien werden jedoch auch technische Schwierigkeiten und Komplikationen berichtet (Infektionen, Kabelbruch u. a.). Das Ansprechen der Patienten auf die Behandlung kann aus einer Reduktion der Attackenfrequenz, der Kopfschmerzintensität oder -dauer bestehen. Die Wirkung setzt meist innerhalb von vier Wochen ein, aber auch später einsetzende Effekte werden beobachtet. Es gibt bislang keine Möglichkeit, prospektiv diejenigen Patienten zu identifizieren, die von einer Stimulation profitieren. Das Ansprechen auf eine Infiltration des N. occipitalis mit Lokalanästhetikum und Streoiden hat keinen prädiktiven Wert. Außer beim chronischen Clusterkopfschmerz wurden auch bei der Migräne Studien zur Wirksamkeit der Okzipitalisstimulation durchgeführt, hier laufen noch randomisierte Studien mit Scheinstimulation. Erste publizierte Daten zeigen eine deutliche Reduktion der Kopfschmerzfrequenz und positive Befunde in sekundären Endpunkten wie der Beeinträchtigung durch Kopfschmerzen, jedoch steht die abschließende Auswertung aus und es werden vergleichbare Komplikationen wie bei der Behandlung des Clusterkopfschmerzes berichtet. Einzelfälle wurden bei anderen seltenen, primären Kopfschmerzerkrankungen mit positiven Effekten berichtet. Aktuell kann die Okzipitalisstimulation noch nicht abschließend beurteilt werden. Für einen Teil der chronischen Kopfschmerzpatienten stellt sie eine hoffnungsvolle neue Therapieoption dar, wünschenswert sind künftig Möglichkeiten zur Identifizierung von Patienten, die ansprechen, und eine Reduktion der Komplikationsrate – dann wird sich das Verfahren möglicherweise als Standard für eine Subgruppe etablieren. Ein undifferenzierter breiter Einsatz außerhalb von Zentren ist zurzeit kritisch zu bewerten und durch die publizierten Daten nicht zu rechtfertigen. Vielversprechend ist die Sphenopalatinum-Stimulation, bei der ein Stimulator in das Ganglion sphenopalatinum eingebracht wird und – im Gegensatz zu den übrigen Verfahren – eine nur bedarfsweise hochfrequente Stimulation im Fall von akuten Attacken bei Clusterkopfschmerz oder Migräne erfolgt. Derzeit läuft eine multizentrische sham-kontrollierte verblindete Studie zur Wirksamkeit der Sphenopalatinumstimulation beim Clusterkopfschmerz in Europa, deren Ergebnisse abzuwarten sind. Der Schmerz · Supplement 1 · 2011
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Abstracts Die nichtinvasiven Verfahren können ausschließlich oder ergänzend zu den invasiven Verfahren genutzt werden. Die Datenlage für die Nutzung der transkraniellen Gleichstromstimulation bei Kopfschmerzen ist derzeit noch überschaubar. Die transkranielle Magnetstimulation (TMS) bietet die Möglichkeit, kortikale Neurone über einen nichtinvasiven Weg zu beeinflussen. Durch die repetitive Stimulationen (rTMS) kann das Erregungsniveau umschriebener Nervenzellverbände gezielt verändert werden. Es ist bekannt, dass rTMS in der Therapie verschiedener neurologisch-psychiatrischer Erkrankungen (Epilepsie, Depression oder neuropathischer Schmerz) einsetzbar ist; auch neuropathische Schmerzen können mittels rTMS behandelt werden. Hinsichtlich Kopfschmerzerkrankungen gibt es Untersuchungen über die Wirkung von TMS bzw. rTMS vornehmlich bei der Migräne, sowohl in der Akuttherapie als auch in der Prophylaxe, deren Details im Rahmen des Symposiums detailliert vorgestellt werden. Die transkutane elektrische Stimulation („transcutaneous electrical nerve stimulation“, TENS) stellt eine Möglichkeit dar, mit Hilfe von elektrischen Impulsen über periphere Nerven die nozizeptive Transmission nichtinvasiv zu beeinflussen. Hierdurch entsteht eine Möglichkeit, Schmerzen positiv zu beeinflussen. TENS stellt mittlerweile ein weit verbreitetes Verfahren der nichtinvasiven Schmerztherapie dar. Bei Kopfschmerzerkrankungen wurde TENS bei verschiedenen Kopfschmerzerkrankungen untersucht, insbesondere bei Migräne und Spannungskopfschmerzen. Auch diese Studien werden kritisch gewichtet vorgestellt.
Transfer von der Grundlagenforschung in die Klinik SY 30 Schmerz & Schlafstörungen – eine fatale Liaison S. Lautenbacher1, C. Leonhardt2, W. Magerl3 1Universität Bamberg, Physiologische Psychologie, Bamberg, Deutschland, 2Philipps-Universität Marburg, Institut für Medizinische Psychologie, Marburg, Deutschland, 3Universität Heidelberg, Zentrum für Biomedizin und Medizintechnik Mannheim, Mannheim, Deutschland Persistierende Schmerzen führen zu Schlafbeeinträchtigungen und umgekehrt führen diese wiederum zu gesteigerter Schmerzempfindlichkeit. Dies lässt sich aus epidemiologischen, klinischen und experimentellen Daten ableiten. Experimentelle Unterbrechungen der Schlafkontinuität, z. B durch Deprivation führen nachweislich zu einer deutlichen Erhöhung der Schmerzsensibilität. Diese Veränderung ist spezifisch und nicht Teil einer generellen Erhöhung der Irritierbarkeit (Lautenbacher et al. 2006). Die IASP hat 2007 eine vorläufige Bestandsaufnahme zum Thema „Schmerz und Schlaf“ (Lavigne et al. 2007) vorgelegt, die sich Themen der Grundlagenforschung wie auch der klinischen Relevanz der Kombination beider Störungsbilder annimmt. In Deutschland gibt es insgesamt sehr wenig Forschung durch Spezialisten beider Forschungsgebiete, obwohl die klinische Relevanz von Schlafstörungen beim chronischen Schmerz auch hier immer wieder bestätigt wird. In diesem Symposium werden verschiedene Forschungszugänge, gemeinsame neurobiologische Grundlagen bei Schmerz und Schlaf wie auch die klinische Versorgung gemeinsamer Störungsbilder thematisiert. Beginnend soll die Dringlichkeit, die Schlafprobleme bei chronischen Schmerzen besser zu verstehen, anhand epidemiologischer Daten für den Rückenschmerz verdeutlicht werden. Rückenschmerzpatienten äußern häufig den Wunsch nach „wenigstens einer Nacht erholsamen Schlafs“, bisher gibt es aber kaum aktuelle Zahlen zum Ausmaß tatsächlich vorhandener Beeinträchtigungen der Schlafqualität, speziell bei chronischen Rückenschmerzpatienten. Alsaadi et al. (2011) berichten von einer Prävalenz von fast 59% an Schlafstörungen bei LBP-Patienten aus einer Zusammenschau von 13 Studien. Ein aktuelles systematisches Review von Kelly et al. im Clinical Journal of Pain (2011) konnte differenzierter darstellen, welche
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Dimensionen des Schlafes beeinträchtigt waren. Danach waren Schlafstörungen insgesamt häufiger sowie vor allem Schlafdauer, Tagesfunktion am nächsten Tag, Schlafqualität und die Einschlaffähigkeit bei chronischem Rückenschmerzpatienten beeinträchtigt. Die Schlafeffizienz und Aktivitäten während des Schlafes waren hingegen nicht betroffen. Zwei jüngere Studien konnten erneut zeigen, dass bei Patienten mit chronischem unteren Rückenschmerz (CLBP) ca. 55% über beeinträchtigten Schlaf berichteten (Marin et al., 2006; Tang et al., 2007). O‘Donoghue et al. (2009) zeigten in einer neueren Pilotstudie, dass CLBP-Patienten sich subjektiv in der Schlafqualität im Vergleich zu gesunden Kontrollen beeinträchtigt fühlten. Aktivitätsmessungen im Schlaf (Actigraphie) konnten aber keine Unterschiede in der Gesamtschlafzeit oder Einschlaflatenz zeigen. Dies beweist, wie wichtig es ist, subjektive und objektive Schlafparameter zur Beurteilung der Schlafqualität heranzuziehen. Neue Einsichten in den Zusammenhang zwischen CLBP und Schlafbeeinträchtigungen sind daher durch die Objektivierung des Schlafs mittels Polysomnographie zu erwarten und könnten helfen, die Therapie für diese Patientengruppe zu verbessern. Die Depression bildet häufig zusammen mit Schlafstörungen und chronischem Schmerz eine unselige Trias. Schwere Depressionen bewiesen sich hierbei als auf komplexe Weise mit dem Schlaf und dem Schmerz verbunden: der depressive Schlaf scheint seine restaurative Funktion verloren zu haben, so dass Schlafdeprivation sogar zu einer Befindlichkeitsbesserung führt. Unklar ist jedoch, ob das Unterbinden depressiven Schlafes auch Schmerzen positiv beeinflusst. Dies wäre der gegenteilige Effekt von Schlafentzug, wie bei gesunden Personen beobachtet. Des Weiteren klagen die depressiven Patienten über vielfältige, oft multilokuläre und diffuse Schmerzen, häufig auch über Kopfschmerzen, zeigen sich aber bei experimentellen Untersuchungen als indolent; z. T. ihre Schmerzschwellen sind erhöht. In dieser noch sehr unklaren Situation haben Kundermann et al. (2008) den Effekt wiederholter Schlafentzüge bei schwer depressiven Patienten untersucht. Das Ergebnis war sehr eindeutig. Depressiven Schlaf zu entziehen war gut für die Stimmung, aber erhöhte die Schmerzempfindlichkeit und vermehrte schmerzhafte Stellen am Körper der Patienten. Des Weiteren litten sie nach Schlafentzug stärker unter diesen Schmerzen. Dies ist insofern ein bemerkenswertes Ergebnis, dass bei depressiven Patienten mit Schlafstörungen die Wirkung weitergehender Schlaffragmentierung ganz vom untersuchten Funktionsbereich abhängt. Für den Schmerz scheint zu gelten, dass auch ein qualitativ so schlechter Schlaf wie der bei Depression für das Schmerzsystem noch restaurativ wirkt, obwohl er für die Stimmung schon pathogen ist. Die komplexe Wirkung von Schlafentzug lässt sich auch bei gesunden Personen demonstrieren. Tiede et al. (2010) konnten wie üblich nachweisen, dass Schlafentzug (partieller der ersten Schlafhälfte) die Schmerzratings für laserevozierte Stimuli reduziert. Überraschenderweise stand dem auch eine Reduktion der schmerzkorrelierten Hirnpotentiale (Vertex N2-P2) gegenüber. Subjektive und elektrophysiologische Daten schienen sich also zu widersprechen. Die Autoren interpretierten das Ergebnis dahingehend, dass reduzierter Schlaf den nozizeptiven Input in das kortikale Verarbeitungssystem reduziert, erst kortikal dann die im Rating sichtbare Amplifikation stattfindet, die ihrerseits auf einer gestörten Top-Down-Kontrolle mit gestörter Allokation von Aufmerksamkeitsressourcen beruht. Obwohl dies noch Hypothesen sind, wird schon deutlich, wie schwierig schon die Wirkungsmechanismen experimentell induzierten Schlafentzuges zu verstehen sind. Dies gilt dann umso mehr beim pathologisch fragmentierten Schlaf chronischer Schmerzpatienten. Mit diesen Ausführungen sollte deutlich werden, dass qualitative und quantitative Schlafstörungen bei chronischen Schmerzen häufig sind. Die zugrundeliegenden Wirkungsmechanismen, wie fragmentierter und verkürzter Schlaf die Schmerzempfindlichkeit verstärkt, sind noch weitgehend unklar. Zudem ist noch offen, von welcher Qualität Schlaf sein muss, um das Schmerzsystem zu normalisieren bzw. zu stabilisieren. 1. Alsaadi SM, McAuley JH, Hush JM, Maher CG (2011) Prevalence of sleep
disturbance in patients with low back pain. Eur Spine J 20:737–743. 2. Ashworth PC, Davidson KM, Espie CA (2010) Cognitive-behavioral factors associated with sleep quality in chronic pain patients. Behav Sleep Med 8:28–39. 3. Harman K, Pivik RT, D‘Eon JL, Wilson KG, Swenson JR, Matsunaga L (2002) Sleep in depressed and nondepressed participants with chronic low back pain: electroencephalographic and behaviour findings. Sleep 25:775–83. 4. Javaheri S, Malik A, Smith J, Chung E (2008) Adaptive pressure support servoventilation: a novel treatment for sleep apnea associated with use of opioids. J Clin Sleep Med 4:305–310. 5. Kelly GA, Blake C, Power CK, O‘keeffe D, Fullen BM (2011) The association between chronic low back pain and sleep: a systematic review. Clin J Pain 27(2):169–181. 6. Kundermann B, Hemmeter-Spernal J, Huber MT, Krieg JC, Lautenbacher S (2008) Effects of total sleep deprivation in major depression: overnight improvement of mood is accompanied by increased pain sensitivity and augmented pain complaints. Psychosom Med 70:92–101. 7. Lautenbacher S, Kundermann B, Krieg JC (2006) Sleep deprivation and pain perception. Sleep Med Rev 2006 10:357–69. 8. Lavigne G, Sessle BJ, Choinière M, Soja PJ (2007 Sleep and Pain. IASP Press, Seattle 9. Marin R, Cyhan T, Miklos W. Sleep disturbance in patients with chronic low back pain. Am J Phys Med Rehabil. 2006 85:430–5. 10. O‘Donoghue GM, Fox N, Heneghan C, Hurley DA (2009) Objective and subjective assessment of sleep in chronic low back pain patients compared with healthy age and gender matched controls: a pilot study. BMC Musculoskelet Disord 10:122. 11. Tang NK, Wright KJ, Salkovskis PM. Prevalence and correlates of clinical insomnia co-occurring with chronic back pain. J Sleep Res 2007 16:85–95. 12. Tiede W, Magerl W, Baumgärtner U, Durrer B, Ehlert U, Treede RD (2010) Sleep restriction attenuates amplitudes and attentional modulation of pain-related evoked potentials, but augments pain ratings in healthy volunteers. Pain 148:36–42.
Pharmakologische Verfahren SY 31 Innovative Therapieansätze bei neuropathischem Schmerz F. Birklein1, A. Binder2, I. Cascorbi3 1Johannes Gutenberg Universität, Klinik für Neurologie, Mainz, Deutschland, 2Universitäts-Klinikum Campus Kiel, Klinik für Neurologie, Kiel, Deutschland, 3Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Institut für Pharmakologie, Kiel, Deutschland Bei gut definierten neuropathischen Schmerzsyndromen ist die Pharmakotherapie ohne Frage die Therapie der Wahl. Nichtmedikamentöse Verfahren wie Neurostimulationen oder interventionelle Blockadetechniken spielen aufgrund der geringeren Effizienz, der schlechteren Praktikabilität oder des fehlendem Wirknachweises trotz positiver Einzelerfahrung eine deutlich geringere Rolle.
Durch die intensive Forschungstätigkeit auf dem Gebiet der neuropathischen Schmerzen konnten in den letzten Jahren folgende zwei grundlegende Mechanismen der Entstehung neuropathischer Schmerzen charakterisiert werden: Zum ersten sind geschädigte nozizeptive Afferenzen leichter erregbar und werden zum Teil spontan aktiv, zum zweiten versagt – möglicherweise aufgrund des vermehrten nozizeptiven Einstroms auf das ZNS – die endogene Schmerzhemmung. Die heute gängigen Substanzen beeinflussen dann auch diese Mechanismen. Sie blockieren Na+-Kanäle (Carbamazepin, Lamotrigin, Trizyclische Antidepressiva TCA), modulieren Ca2+-Kanäle (Gabapentin, Prägabalin), stellen mehr Noradrenalin und Serotonin im ZNS zur Verfügung (TCA, Du-
loxetin, Venlafaxin) oder aktivieren die endogene opioiderge Schmerzhemmung (Morphine; Finnerup et al. 2010). Allerdings sagt uns die eigene Erfahrung, dass die Therapie neuropathischer Schmerzen trotzdem immer noch ein klinisches Problem darstellt. Die Pharmaka sind mäßig effektiv (NNT für 50%ige Schmerzreduktion in großen Vergleichsstudien ca. 5) weil sie viel zu wenig spezifisch wirksam sind. Deshalb müsste man die Dosis eigentlich anheben, was dann aber Nebenwirkungen obligat macht und den Einsatz dieser Medikamente limitiert. Es gibt nur zwei Wege aus diesem Dilemma: Entweder man behandelt die Mechanismen neuropathischer Schmerzen spezifischer, oder erhöht die Dosis der Medikamente da, wo sie wirken sollen z. B. durch lokale Applikation, oder beides. Ein Beispiel für eine innovative lokale Therapie ist die Injektion von Botulinum Toxin in das schmerzhafte Areal bei fokalen neuropathischen Schmerzen. Basierend auf umstrittenen präklinischen Untersuchungen (es gibt mindestens genauso viele negative wie positive Studien), dass Botulinumtoxin A möglicherweise die Erregbarkeit von nozizeptiven C-Fasern beeinflusst (Gazerani et al. 2006), wurde folgende Studie durchgeführt: Bei Patienten mit fokaler schmerzhafter Neuropathie (posttraumatisch, PHN) mit mechanischer Allodynie wurde randomisiert, doppelblind Placebo-kontrolliert intradermal Botulinumtoxin A (zwischen 20 und 190 MU Botox®) injiziert, oder eben Placebo. Botulinumtoxin reduzierte den Spontanschmerz ab der zweiten Woche post injectionem bis zu 14 Wochen. Die Schmerzreduktion war umso effektiver, je mehr C-Fasern noch in der Haut erhalten waren. Botulinumtoxin verbesserte auch die Allodynie. Alles geschah ohne nennenswerte Nebenwirkungen (Ranoux et al. 2008). Bestätigt wurden diese Ergebnisse durch eine kleine Studie bei Patienten mit diabetischer Neuropathie. Jetzt gilt es nur noch die Wirkungsweise von Botulinum Toxin zu finden. Eine Möglichkeit ist über die Beeinflussung des Transient Receptor Potential TRPV1-Kanals. Die Identifikation von TRP-Ionen-Kanälen hat wesentlich zum Verständnis der Temperatur- und Schmerzwahrnehmung sowie dem Verständnis chronisch neuropathischer Schmerzen beigetragen. Zwischenzeitlich sind 7 verschiedene TRP-Gruppen bekannt. Hierunter sind die Gruppe der TRP Vanilloid (TRPV) Kanäle für den Schmerzbereich besonders interessant. Der TRPV1-Kanal ist in der Wahrnehmung schmerzhafter Hitze beteiligt, ist auf nozizeptiven afferenten Neuronen lokalisiert und kann durch Capsaicin als Agonist aktiviert werden. Eine experimentelle kutane Applikation von Capsaicin bei gesunden Probanden führt reversibel zu einer Hitzehyperalgesie und mechanischen Hyperalgesie begleitet von einem brennenden Spontanschmerz. Tierexperimentell konnte nachgewiesen werden, dass TRPV1 eine bedeutsame Rolle in der Entwicklung und Aufrechterhaltung neuropathischer Schmerzen spielt: Nach einer Nervenläsion kommt es zu einer differentiellen Hochregulation des TRPV1 auf den geschädigten Neuronen. Zusätzliche Faktoren, wie inflammatorische Mediatoren, führen unter diesen Bedingungen über die TRPV1 Aktivierung zu einer Sensibilisierung nozizeptiver Afferenzen. Kürzlich konnte eine genetische Assoziationsstudie nachweisen, dass ein Polymorphismus des TRPV1 die Ausbildung von Schmerzsymptomen bei Patienten beeinflusst. Aufgrund dieser Befunde ist es nicht verwunderlich, dass der TRPV1 ein Ansatzpunkt für spezifische und lokal wirksame neue Therapeutika bei neuropathischen Schmerzen ist. Zum einen kann mittels des hoch dosiert kutan applizierten TRPV1 Agonisten Capsaicin eine reversible Degeneration nozizeptiver Afferenzen induziert werden, die zu einer Schmerzlinderung bei PHN führt (Backonja et al. 2008). Zum anderen bieten systemisch gegebene TRPV1-Antagonisten die Möglichkeit, die Sensibilisierung nozizeptiver Afferenzen auch bei nicht fokalen neuropathischen Schmerzen zu unterbrechen. Allerdings ist bei diesem Therapieansatz die Beeinträchtigung der physiologischen Funktionen des TRPV1 zu berücksichtigen. Es kommt zu teils gefährlichen Problemen in der Temperaturregulation. Ein besseres Beispiel für eine innovative systemische Schmerztherapie ist die Antagonisierung des nerve growth factors NGF, dessen Rezeptoren überwiegend auf nozizeptiven C-Afferenzen vorkommen Der Schmerz · Supplement 1 · 2011
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Abstracts und für die Erregungssteigerung bei geschädigten Axonen mitverantwortlich sind. In einer Phase-II-Studie bei Patienten mit Gonarthrose – bis dato noch nicht bei Patienten mit neuropathischen Schmerzen! – konnte kürzlich gezeigt werden, dass die Behandlung mit Tanezumab, einem humanisierten monoklonalen Antikörper gegen den Nerve Growth Factor (NGF) signifikant Schmerzen lindern und die Funktionalität des Gelenkes verbessern kann (Lane et al. 2010). NGF erhöht die Empfindlichkeit nozizeptiver Nervenendigungen, erhöht die Leitungsgeschwindigkeit von C-Fasern und führt zu lang anhaltender Hyperalgesie. Dabei aktiviert NGF die Tyrosin-Kinase (TrkA) sowie p75, welches zur TNF-Rezeptor-Familie zählt. Insbesondere TrkA scheint eine Rolle beim inflammatorischen (und somit auch neuropathischen) Schmerz zu spielen, die Inhibition von NGF verspricht somit ein interessantes Target zu sein. Weite Indikationsgebiete wie chronischer Rückenschmerz oder auch interstitielle Zystitis, werden zurzeit geprüft. Auch bei Rückenschmerz konnte eine Reduktion der Schmerzsymptomatik beobachtet werden, die stärker als für Naproxen ausfiel. Die Mechanismen unerwünschter Wirkungen, es wurde in verschiedenen Studien über zumeist milde periphere Empfindungsstörungen (Hypo-, Par- und Hyperästhesie) berichtet, sind jedoch gegenwärtig noch nicht vollständig verstanden. Die Bewertung der Wirksamkeit, Zeitdauer der Schmerzreduktion sowie des Sicherheitsprofils bedürfen derzeit noch weiterer klinischer Studien. Die oben genannten Überlegungen und Daten sollten uns optimistisch stimmen, chronisch neuropathische Schmerzen in den nächsten Jahren effektiver behandeln zu können. Wir hoffen, dass das Ende der Innovationen diesbezüglich noch nicht erreicht ist – die Forschung liefert uns die Daten dafür. 1. Backonja, M., Wallace, M.S., Blonsky, E.R., Cutler, B.J., Malan, P., Jr., Rauck, R., and Tobias, J., NGX-4010, a high-concentration capsaicin patch, for the treatment of postherpetic neuralgia: a randomised, double-blind study, Lancet Neurol, 7 (2008) 1106–1112. 2. Finnerup, N.B., Sindrup, S.H., and Jensen, T.S., The evidence for pharmacological treatment of neuropathic pain, Pain, 150 (2010) 573–581. 3. Gazerani, P., Staahl, C., Drewes, A.M., and Arendt-Nielsen, L., The effects of Botulinum Toxin type A on capsaicin-evoked pain, flare, and secondary hyperalgesia in an experimental human model of trigeminal sensitization, Pain, 122 (2006) 315–325. 4. Lane, N.E., Schnitzer, T.J., Birbara, C.A., Mokhtarani, M., Shelton, D.L., Smith, M.D., and Brown, M.T., Tanezumab for the treatment of pain from osteoarthritis of the knee, N.Engl.J.Med., 363 (2010) 1521–1531. 5. Ranoux, D., Attal, N., Morain, F., and Bouhassira, D., Botulinum toxin type A induces direct analgesic effects in chronic neuropathic pain, Ann.Neurol, 64 (2008) 274–283.
Aus- und Weiterbildung SY 32 Schmerztherapie – nur in Westeuropa ? A. Kopf1, M. Pjevic2, R. Sittl3 1Charite Berlin/ Campus Benjamin Franklin, Anästhesie mit Schwerpunkt operative Intensivmedizin, Berlin, Deutschland, 2Clinical Centre of Vojvodina, Department of Anaesthesia and Intensive Care, Novi Sad, Serbien, Deutschland, 3Universitätsklinikum Erlangen, Schmerzklinik, Erlangen, Deutschland Schmerztherapie wird seit vielen Jahren als „Menschenrecht“ eingefordert, ist aber in der täglichen Praxis für die Mehrheit der Menschen nicht verfügbar. Wichtige Ursachen dafür sind fehlendes Problembewusstsein, unzureichende Opioidverfügbarkeit aufgrund von Einfuhrrestriktionen, Kosten und fehlende Verschreibungsbereitschaft,
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sowie geringe Kenntnisse über die Pathophysiologie, Diagnostik und Behandlung von Schmerzen. In einer Umfrage der IASP in Ländern der sog. Dritten Welt gaben 91% der befragten Therapeuten an, dass fehlende Aus- und Fortbildung die Hauptbarriere für gutes Schmerzmanagement wäre. Leider wird übersehen, dass nicht nur in Ländern der sog. Dritten Welt, sondern auch in unserer direkten Nachbarschaft in Mittel- und Osteuropa und beispielsweise in den „reichen“ Golfstaaten die Schmerztherapie noch wenig oder gar nicht entwickelt ist. Nach Einschätzung des Educational Committee der EFIC besteht ein großes Ungleichgewicht bei der Entwicklung der Schmerzmedizin in Europa. Während in Westeuropa in den meisten Ländern in den letzten drei Dekaden ein hohes Niveau der schmerzmedizinischen Versorgung erreicht werden konnte, stehen viele mittel-, ost- und südosteuropäische Länder noch ganz am Anfang der Entwicklung. Um wirksame Impulse zur Aus-, Weiter- und Fortbildung sowie zur Etablierung schmerzmedizinischer Therapieeinrichtungen geben zu können, wird daher empfohlen, direkte Kontakte zwischen den schmerzmedizinisch fortgeschrittenen und weniger fortgeschrittenen Ländern zu knüpfen. Da es in den meisten betroffenen Ländern bereits lokale Chapter der IASP gibt, sollten diese Kontakte direkt zwischen den Chaptern geschaffen Die DGSS hat sich daher dazu entschlossen, als Pilotprojekt eine Partnerschaft mit dem serbischen IASP Chapter SAPRT einzugehen. Nach eingehender Beratung und ersten sehr kollegialen und freundschaftlichen Kontaktaufnahmen 2010 hat sich die DGSS zusammen mit der serbischen Schmerzgesellschaft SAPRT (Serbian Association of Pain Research and Treatment, serbisches Akronym UITBS) entschieden, gemeinsame Projekte zur Aus-, Fort- und Weiterbildung zu entwickeln. Politisch, gesellschaftlich und wirtschaftlich ist Serbien im Aufbruch, dabei aber politisch und im medizinischen Bereich weiterhin isoliert. Die serbische Schmerzgesellschaft SAPRT ist trotzdem seit einigen Jahren mit großem Engagement bemüht, die Aufmerksamkeit für Schmerzprobleme und das Wissen von Ärzten und Krankenpflege zur Schmerztherapie zu fördern. Dabei sind große Hindernisse zu überwinden, insbesondere die mangelhafte Verfügbarkeit von Opioiden und die fehlende Wahrnehmung von Schmerzen bei den Behandlern. Erste Erfolge müssen nun vertieft und weiter verbreitet werden. Dafür setzen sich die DGSS und die SAPRT ein. Konkret sollen Gastarztaufenthalte von ausgesuchten serbischen Kollegen und gemeinsame Ausund Fortbildungsaktivitäten ab 2011 diese Entwicklung unterstützen. Die DGSS wird die Aufnahme von Gastärzten und die Entsendung von Dozenten organisieren und unterstützen. Die SAPRT wird die Organisation der Aus- und Fortbildungsveranstaltungen in Serbien organisieren. Zusammenfassung. Bilaterale Zusammenarbeit könnte helfen, mittelund langfristige Konzepte zur Entwicklung der Schmerzmedizin zu entwickeln. Russland und Südosteuropa, die Golfstaaten, die ASEANStaaten und Lateinamerika sind aufgrund der guten bereits existierenden (medizinischen) Infrastruktur besonders geeignet, durch einfache Konzepte insbesondere hinsichtlich der Akutschmerz- und Tumorschmerzbehandlung mit wenig apparativem und finanziellem Aufwand einem großen Anteil von Patienten eine adäquate Schmerzkontrolle zu ermöglichen. Train-the-Trainer-Kurse und Gastarztaufenthalte, Beratung bei der Implementierung der Schmerzmedizin in den medizinischen Fakultäten und Fort- und Weiterbildung durch externe Experten könnten wirkungsvolle Instrumente zur Etablierung einer schmerzmedizinischen Versorgung sein. Zusammenfassend wäre es aufgrund der guten ersten Erfahrungen der Zusammenarbeit von DGSS und SAPRT wünschenswert, die Kooperation fortzusetzen und zu vertiefen. Die Kooperation sollte zum Anlass genommen werden – dem Beispiel der IASP folgend – eine Kommission „Eine Welt der Schmerzmedizin“ zu gründen, um den Wissenstransfer mit den Partnern nachhaltig gestalten zu können.
Samstag, 08.10.2011
Multimodalität – Chancen und Grenzen
Kinder
SY 34 Multimodales Assessment – Umsetzung der Ergebnisse in einem interdisziplinären Therapiekonzept
SY 33 Pädiatrische Schmerztherapie – Update 2011
B. Nagel1, J. Korb2, K. Lüdtke3, W. Seidel4 1DRK Schmerz-Zentrum Mainz, Tagesklinik für interdisziplinäre Schmerztherapie, Mainz, Deutschland, 2DRK Schmerz-Zentrum Mainz, Tagesklinik für interdisziplinäre Schmerztherapie, Mainz, Deutschland, 3Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Institut für Systemische Neurowissenschaften, Hamburg, Deutschland, 4Sana Kliniken Sommerfeld, Klinik für Manuelle Medizin, Kremmen, Deutschland
B. Zernikow1, W. Meißner2, K. Becke3 1Vestische Kinder- und Jugendklinik- Universität Witten/Herdecke, Vodafone Stiftungsinstitut und Lehrstuhl für Kinderschmerztherapie und Pädiatrische Pallia, Datteln, Deutschland, 2Universitätsklinik Jena, Klinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie, Jena, Deutschland, 3Klinik Hallerwiese, Anästhesie, Nürnberg, Deutschland Mit Schmerzen bei Kindern werden immer wieder auch Schmerztherapeuten und Anästhesisten konfrontiert, die sich fast ausschließlich um erwachsene Patienten kümmern. Umso wichtiger ist es, regelmäßig über die wichtigsten Entwicklungen im Bereich der pädiatrischen Schmerztherapie unterrichtet zu sein. Hier setzt das Update 2011 ein. Im Bereich postoperativer Schmerztherapie für Kinder bestehen nach wie vor weltweit erhebliche Defizite. Ein Tool, um diesen aktiv zu begegnen, ist die regelmäßige, internetgestützte Qualitätssicherung mit QUIPSI. Mit Hilfe der Face-Pain-Scale beurteilen die Kinder selbst ihrer Schmerzen, anschließend können die Behandler diese Ergebnisse mit denen anderer Kliniken webbasiert vergleichen, Defizite identifizieren und durch gegenseitiges Lernen ihre Schmerztherapie verbessern. Kinder leiden viel mehr als Erwachsene an Schmerzen im Rahmen invasiver Eingriffe. Eine Analgosedierung ist oft erforderlich und nie risikofrei, auch nicht bei der Verwendung der stark beworbenen festen Kombination aus Lachgas und Sauerstoff. Eine aktuelle Stellungnahme des Wissenschaftlichen Arbeitskreises Kinderanästhesie der DGAI fasst sinnvolles Vorgehen und notwendige Überwachung evidenzbasiert zusammen. Die Prävalenz chronischer Schmerzen im Kindes – und Jugendalter nimmt rasant zu. Am häufigsten leiden die pädiatrischen Patienten an Bauch-, Kopf und Muskel-Gelenkschmerzen. Wichtige Diagnostische Vereinheitlichungen für Bauchschmerzen sind in den ROM Empfehlungen gelungen. Die Erfahrungen einer großen Kinderkopfschmerzambulanz mit mehr als 1400 Patienten im Jahr sind kürzlich in DATTELN ausgewertet worden. Sie stellen ein Modell auch für andere Kliniken dar, wie Kopfschmerzen im Kindesalter ambulant multimodal behandelt werden können. Aus BATH, UK sind eine Vielzahl von Arbeiten zu stationären multimodalen Schmerztherapie bei Jugendlichen mit muskuloskelettalen Schmerzen erschienen – auf deren Ergebnisse und neu entwickelte altersgerechte Erhebungsinstrumente wird eingegangen.
Das multimodale Assessment chronischer Schmerzen hat in der schmerztherapeutischen Versorgung, auch sektorenübergreifend eine zentrale Bedeutung. In den Prozeduren 8-918 bzw. 8-91c wird es vor stationärer bzw. teilstationärer multimodaler Therapie zwingend vorgeschrieben und auch die Nationale Versorgungsleitlinie Rückenschmerz empfiehlt spätestens nach 12 Wochen, bei Vorliegen von Risikofaktoren für eine Schmerzchronifizierung bereits nach 6 Wochen die Durchführung eines umfassenden, interdisziplinären Assessment. Das Assessment wird dabei als interdisziplinäre Aufgabe verstanden, die nur durch ein Untersuchungsteam (Medizin, Psychologie/Psychiatrie, Physio-/Moto-/Ergotherapie) erbracht werden kann. Die Notwenigkeit eines strukturierten Vorgehens und der Einsatz von Patientenfragebögen (Deutscher Schmerzfragebogen) sind dabei unstrittig. Weniger wurde bisher jedoch über den erforderlichen Leistungsumfang in den einzelnen Disziplinen berichtet. In dem Symposium werden die wesentlichen Inhalte eines umfassenden Assessment vorgestellt. Insbesondere soll die Frage diskutiert werden, welche Untersuchungsparameter für eine individuelle, interdisziplinäre Therapieplanung wesentlich und erforderlich sind. Im ersten Beitrag dieses Symposiums (W. Seidel) wird die körperliche neuroorthopädische und manualmedizinisch-funktionelle Untersuchung als Teil der interdisziplinären Diagnostik vorgestellt. Entscheidend für eine befundgerechte Therapie im Zusammenhang mit der multifaktoriellen Genese ist dabei die Wertung der aktuellen Bedeutung der klinischen Befunde für Pathogenese und Aufrechterhaltung der Schmerzerkrankung. Am Beispiel einer evaluierten Ganzkörperuntersuchung von Strukturpathologie und grundlegenden Funktionsstörungen wird das praktische Vorgehen vorgestellt und diskutiert. Im zweiten Beitrag (J. Korb) wird die psychologische Diagnostik im Rahmen des Assessment dargestellt. Sie gründet sich auf Testergebnisse aus Fragebögen, Psychologische Anamnese und Exploration sowie Eindrücke aus Verhaltensbeobachtung und Beziehungsgestaltung. Schon in der Phase vor der Behandlung kann sie wichtige Informationen bei Fragen der Motivation, der Indikation sowie der Selektion der Patienten für verschiedene Behandlungsprogramme geben. Neben ICD-Diagnosen erscheint eine Klassifikation anhand der MASK-P für die weitere Therapieplanung hilfreich. Die Erfassung psychischer Komorbiditäten (z. B. Depression, Angststörungen wie soziale Phobie) ist für interdisziplinäre Gruppenprogramme von besonderer Relevanz. Bei Patienten mit Persönlichkeitsstörungen lassen sich spezifische Schwierigkeiten in der Interaktion vorwegnehmen, mit der Möglichkeit sich im Behandlungsteam entsprechend darauf einzustellen. Beispielhaft soll der mögliche Beitrag der psychologischen Diagnostik bei der interdisziplinären Therapie von Rückenschmerz beschrieben werden. Der dritte Beitrag (K. Lüdtke) thematisiert den physiotherapeutischen Beitrag zu einer umfassenden Diagnostik im Rahmen multimodaler Programme. Wesentlich ist die Evaluation und Untersuchung der Funktionsfähigkeit des Patienten im Alltag. Dabei ist es wichtig, Parameter zu wählen, die eine tatsächliche Bedeutung für den individuellen Patienten haben. Beispiele hierfür sind Bewegungsabläufe, die für die Körperpflege, den beruflichen Alltag aber auch für FreizeitDer Schmerz · Supplement 1 · 2011
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Abstracts beschäftigungen erforderlich sind. Diese Funktionen werden anhand von Fragebögen erhoben, aber auch als physische Tests durchgeführt. Weitere körperliche Parameter, wie Maximalkraft, Koordination und kardiovaskuläre Ausdauer sind im Zusammenhang mit chronischen Schmerzen beschrieben worden und werden als zusätzliche Messinstrumente für den Behandlungserfolg eingesetzt. Der vierte Beitrag (B. Nagel) beschreibt die notwendige Gewichtung und die Integration der vielfältigen erhobenen Befunde in ein individuelles Bedingungsmodell der Schmerzstörung und ein therapeutisches Gesamtkonzept. Zudem sollen Kriterien besprochen werden, die nach dem Assessment eine differentialdiagnostische Entscheidung für multimodale Behandlungen unterschiedlicher Intensität erlauben, bzw. eine multimodale Therapie als nicht erforderlich oder erfolgsversprechend erscheinen lassen. Eine Teambesprechung im Rahmen des Assessment ist als obligat zu fordern. Erst aus der gemeinsamen Wertung der Befunde durch die beteiligten Fachdisziplinen ergibt sich die Qualität des Assessment.
Versorgungsstrukturen und Gesundheitsökonomie SY 35 Kontextfaktoren schmerzlindernder Maßnahmen: Wirkungen und gesundheitsökonomische Aspekte H. Sorgatz1, W. Häuser2, H. Reinecke3 1Technische Universität, Klinische Psychologie und Psychotherapie, Darmstadt, Deutschland, 2Klinikum Saarbrücken gGmbH, Innere Medizin und Psychotherapeutische Medizin, Saarbrücken, Deutschland, 3Technische Universität, Klinische Psychologie und Psychotherapie, Darmstadt, Deutschland Die schmerzlindernde Wirkung von Opioid-Analgetika wird in vielen Leitlinien als gegeben bzw. belegt (LONTS, 2009) dargestellt, jedoch nicht gleichermaßen für Anwendungszeiten über drei Monate und für die Mehrzahl der Patienten mit chronischen nicht tumorbedingten Schmerzen (CNTS). Bei CNTS-Patienten wird die schmerzlindernde Wirkung verbreiteter Linderungsmaßnahmen insgesamt als „modest“ bezeichnet. Durchschnittlich sind von sog. „stärksten“ Analgetika (mit Placeboanteilen) bei dreimonatiger Anwendung Schmerzlinderungen von 20 bis 30 Einheiten auf einer 100er Schmerzskala zu erwarten (Turk et al., 2011; VA/DoD, 2010, LONTS, 2009). Die Wirksamkeit medizinischer Behandlungsverfahren ist Ausdruck des aktuellen Forschungsstands, deren Bewertung ist Konsequenz zeitgemäßer Marketingstrategien und Anwendererwartungen. Die Wirksamkeit von Kontextfaktoren bei Behandlungsanlass und -ergebnis ist Abbild gesellschaftlicher Entwicklungen. Diese sind u. a. darstellbar als Zunahme von CNTS in den letzten Jahrzehnten trotz gleich bleibender Prävalenz somatischer Befunde, als Unter- und Übergebrauch von Analgetika, als ansteigende Placeboeffekte innerhalb randomisiert kontrollierter Studien (RCTs) und als Bereitschaft von Schmerzpatienten zur Beendigung der Einnahme potenziell „wirkungsvoller“ Präparate. Evidenzbasiert auf RCT-Niveau zu analysieren und in ihren gesundheitsökonomischen Folgen abzuschätzen, sind in erster Linie Kontextfaktoren, die zu Placebowirkungen und Therapieabbrüchen beitragen. Auf diese soll sich das Folgende beschränken. Dies auch, weil sie mit bis zu 60% zur Wirksamkeit beitragen bzw. mit bis zu 40% die behandelten CNTS-Patienten betreffen können. Überlegungen des Patienten zu einem baldigen Therapieabbruch vorzeitig zu erkennen und Placebowirkungen unabhängig von analgetischen Wirkstoffen zu erzeugen, hätte neben gesundheitsökonomischen Vorteilen auch geringere psychophysische Belastungen des Patienten zur Folge.
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Placebo und Therapieerfolg „Unspezifische“ Wirkungen pharmakologischer und nichtpharmakologischer Therapien chronischer Schmerzsyndrome sind experimentell wiederholt nachgewiesen worden. Bei der Überprüfung der Wirkungen einer Therapie in klinischen Studien geht man davon aus, dass Veränderungen klinischer Endpunkte wie Schmerz oder Beeinträchtigungserleben durch spezifische und unspezifische Effekte, den natürlichen Verlauf der Krankheit, Regression zum Mittelwert und unkontrollierte Begleittherapien bedingt sind. Unter spezifischen Wirkungen einer Therapie werden z. B. die Wiederaufnahmehemmung von Noradrenalin und Serotonin durch Antidepressiva oder die Reduktion des Katastrophisierens durch kognitive Umstrukturierung in einer kognitiven Verhaltenstherapie verstanden. Unter „unspezifischen Effekten“ oder Kontextfaktoren werden Erwartungen des Patienten an das Verfahren sowie Zuwendung/Aufmerksamkeit (therapeutische Beziehung) subsummiert. In dem Vortrag werden aktuelle Studien dargestellt, in denen analysiert wurde, zu welchen Anteilen die Wirkung von Schmerztherapien auf spezifische und unspezifische Wirkfaktoren zurückzuführen ist. Konsequenzen für die klinische Praxis werden diskutiert. Systematische Übersichtsarbeiten mit quantitativer Synthese der Daten (Metaanalyse) kontrollierter Studien pharmakologischer und nicht-pharmakologischer Therapien chronischer Schmerzsyndrome führten zu einer Verunsicherung der Behandler: Die Unterschiede in der Wirksamkeit zwischen aktiver Therapie (Medikamente, physikalische und psychotherapeutische Verfahren) zu den Kontrollgruppen sind häufig statistisch nicht signifikant bzw. die Größe des Unterschiedes (Effektstärke aktive Therapie vs. Kontrollgruppe) ist statistisch nicht substantiell bzw. klinisch nicht relevant. Beispiele: Die Effektstärken kognitiver Verhaltenstherapien bei chronischen Schmerzsyndromen auf Schmerz, Beeinträchtigung und Depressivität waren nicht signifikant (Eccleston et al., 2009). Der Unterschied zwischen echter und Placeboakupunktur bei Schmerzsyndromen war signifikant, jedoch nach statistischen Kriterien nicht substantiell (Effektstärke <0,2) und klinisch nicht relevant (4 mm auf einer 0–100 mm-Skala; Madsen et al., 2009). Die Schmerzreduktion durch den SNRI Milnacipran im Vergleich zu Placebo bei FMS-Patienten ist statistisch signifikant (p<0,0001), jedoch nicht substantiell (Häuser et al., 2011a). Die geringen oder fehlenden Unterschiede zwischen „wahrer“ Therapie und den jeweiligen Kontrollgruppen sind dadurch bedingt, dass es in den Kontrollgruppen ebenfalls zu einer Symptomreduktion kam. In Medikamentenstudien bei der peripheren diabetischen Polyneuropathie erzielte Placebo eine Schmerzreduktion von 17 mm und das „wahre“ Medikament (einschl. Placebo) von 23 mm. 62% der Schmerzreduktion des „wahren“ Medikamentes waren auf Placebo zurückzuführen (Häuser et al., 2011b). Bei der Behandlung von FMS mit verschiedenen physikalischen Verfahren (u. a. Akupunktur, transkranielle Magnetstimulation, Laser) war die Schmerzreduktion durch eine physikalische Placebobehandlung 10 mm und durch die „echte“ Therapie 20 mm. 50% der Schmerzreduktion der „echten“ physikalischen Therapie waren auf die Scheintherapie zurückzuführen. Bei der Behandlung von FMS mit verschiedenen psychologischen Verfahren (u. a. CBT, Hypnose, MBSR) war die Schmerzreduktion durch eine psychologische Placebobehandlung 4 mm und durch die „echte“ Therapie 18 mm. 20% der Schmerzreduktion der „echten“ psychologischen Therapien waren auf unspezifische Wirkfaktoren zurückzuführen. Die Veränderungen in den Placebogruppen bei chronischen Schmerzsyndromen sind vermutlich nicht auf spontane Verbesserungen oder Regression zum Mittelwert zurückzuführen. In Studien mit Arthroseund FMS-Patienten waren die Veränderungen in den Gruppen ohne Therapie bzw. „üblicher Therapie“ 0 mm. Der hohe Anteil unspezifischer Effekte am Therapieergebnis medikamentöser und physikalischer Therapien wirft die Frage der Rechtfertigung einer medikamentösen und physikalischen Scheintherapie chronischer Schmerzsyndrome auf. Der Praktiker sollte die „unspezifischen“ Effekte bei jeder Form der Schmerztherapie – Medikamente,
physikalische Verfahren, psychologische Verfahren – nutzen. Positive wie auch negative Behandlungserwartungen bzw. -erfahrungen sollten bei der Auswahl der im Rahmen einer gemeinsamen Entscheidungsfindung ausgewählten Therapieverfahren berücksichtigt werden. Die „therapeutische“ Beziehung kann durch Haltungen und Gesprächstechniken, welche im Rahmen der psychosomatischen Grundversorgung erlernt werden können, verbessert werden.
Therapieabbrüche Nebenwirkungen als Abbruchgrund wird von Teilnehmern aus Verum- sowie aus Kontrollgruppen der RCTs angegeben. Dropoutquoten erreichen in randomisierten klinischen Trials zu chronischem Schmerz mit einer Dauer von 3 bis 13 Wochen durchschnittlich etwa 20 bis zu 40%. Abbruchquoten können als Zufriedenheitsmerkmal von Patienten verstanden werden, die den Anwendungsversuch auf Grund unerwünschter Nebenwirkungen oder unzureichenden Ansprechens auf die Therapie verlassen (Nantz et al., 2009). Häufig können diese Gründe für einen Abbruch der Therapie jedoch nicht mehr vollständig nachvollzogen werden, da die Dokumentation von Dropouts von Studie zu Studie verschieden gehandhabt wird (Gehling et al., 2011). In Antidepressiva- oder NSAID-Untersuchungen fallen die Abbruchquoten in Placebogruppen gegenüber Verumgruppen deutlich höher aus. Dem gegenüber halten sich bei Untersuchungen zur Wirksamkeit von Opioiden die Dropoutquoten der Verum- und Placebogruppen etwa die Waage. Sowohl Erfolgsdruck als auch Erwartungsenttäuschung können den Teilnehmerschwund in der Placebogruppe erklären, und die gegenüber anderen Analgetika höheren Quoten in Opioid-Patientengruppen können auf die subjektiv unangenehmen Arzneimittelwirkungen zurückgeführt werden. Valide Unterscheidungsmerkmale zwischen „verbleibenden“ Patienten und „Abbrechern“ gibt es bisher nicht. Der individuelle und andauernde Nutzen der Therapie lässt sich erst nach dem Behandlungsversuch bestimmen. Evidenzbasierte Forschungsergebnisse müssen die Daten von Studienabbrechern berücksichtigen. Der Umgang mit fehlenden Werten von Patienten kann nach verschiedenen Methoden erfolgen, die jeweils zu anderen Interpretationen führen können. Dabei gehen die geläufigen Methoden LOCF („last observation carried forward“) und OC („observed cases“) von der einschränkenden Annahme aus, dass es keine Verbindung zwischen dem Outcome Parameter und der Wahrscheinlichkeit für ein Dropout gibt (Prakash et al., 2008). Inzwischen haben sich Ansätze bewährt, die weniger restriktive Annahmen machen, wie beispielsweise das MMRM („mixed model for repeated measures“). Neben dem Umgang mit fehlenden Werten in klinischen Trials ist fraglich, ob die tatsächlichen Abbruchraten nicht höher sind und durch strenge Einschlusskriterien und „open-label run-in“-Phasen systematisch geringer gehalten werden. In die Opioid Leitlinie der DGSS (LONTS, 2009) eingegangene Studien zeigen, dass für einen Großteil dieser RCTs Teilnahmekriterien formuliert wurden, die schon im Vorhinein Patienten mit einer möglichen Unverträglichkeit gegenüber dem spezifischen Medikament oder mögliche Non-Responder ausschlossen. Somit muss man bei den resultierenden Studienergebnissen von den best möglich erzielbaren Schmerzlinderungen infolge der Analgetikabehandlung ausgehen. Aufbauend auf Informationen über Gründe und Anzahl der Studienabbrecher ist nach Ansätzen zu suchen, um die Therapieplanung- und -kontrolle zu optimieren. Gehling et al. (2011) sprechen sich, bei Bedarf, für den Einsatz von schwachen, Slow-release-Opioiden aus, um die Wahrscheinlichkeit für den Abbruch der Therapie zu verringern. Zukünftig sind weitere solcher Bedingungen zu identifizieren, die Dropoutquoten senken und Adhärenz verbessern.
Kulturwandel bei CNTS Schmerztherapie bei konvergierenden Verum- und Kontextwirkungen effektiver und gesundheitsökonomisch zu gestalten, ist ein Anliegen des Schmerzreports aus dem Institute of Medicine vom (IOM, 2011). Neben notwendigen Forschungen wird der zunehmenden Eigenverantwortlichkeit von CNTS-Patienten und dem Vermeiden unnötigen bzw. missbräuchlichen Arzneimittelkonsums ein hoher Stellenwert für den angestrebten Kulturwandel in Sachen chronischer Schmerz zugeschrieben. Bei Wirkungsstudien zu Antidepressiva und Neuroleptika wird seit Jahren eine ansteigende Placebowirkung in Selbst- und Fremdeinschätzungsskalen beobachtet. Dadurch verzögert sich die Zulassung von Medikamenten oder unterbleibt gänzlich, auch zum Nachteil der betroffenen Entwickler. Vergleichbare Phänomene sind bei Analgetika Studien zum chronischen nicht tumorbedingtem Schmerz nachzuweisen, wenn auch die Korrelation von 0,32 zwischen Placebowirkung und Jahreszahl zwar signifikant aber gering ausfällt. Die Ursachen dieses Phänomens sind vielfältig und werden kontrovers diskutiert. Studienmethodische Abhilfemaßnahmen wie Flare Design, vorab Placebo oder Verum-Testsitzungen usw. haben sich als wenig wirkungsvoll herausgestellt und vermindern wegen hoher Selektivität die praktische Relevanz der Studienergebnisse. Bisher haben die in vielen Opioid-Leitlinien empfohlenen prognostischen Verfahren zur Vorselektion von Patienten für eine maßgeschneiderte Therapie außer hoher „face validity“ wenig Vorteile erbracht, die zum Einleiten einer monatelangen individuell „maßgeschneiderten“ Therapie geeignet wären. Auch die Orientierung an Schmerzmechanismen ist bei vielen Patienten mit chronischem Schmerz wenig erfolgreich, weil diese entweder nicht bekannt sind oder nur geringe Auswirkungen auf die erlebte Schmerzintensität haben. Unterschiedliche Verschreibungsgewohnheiten in kulturell ähnlichen Staaten sowie ebenso unterschiedliche Verschreibungsmengen in Ländern mit vergleichbarer Anzahl an chronischen Schmerzpatienten sind derzeit weniger durch geprüfte Rationale als durch Marketingstrategien zu erklären. Bestärkt wird dieser Eindruck durch Ergebnisse aus Headto-Head-Studien zu opioidhaltigen Rein- bzw. Mischpräparaten, bei denen die Wirkungsdaten für Reinpräparate deutlich unterhalb der zu Beginn dieses Abstracts genannten Wirkungsmaße liegen. Maßgeschneiderte Therapieansätze sollten sich an der Vermeidung unerwünschter Nebenwirkungen und der Analyse individueller Kontextfaktoren wie dem vorzeitigen Erkennen von Therapieabbrüchen orientieren. Chronischer Schmerz ist bei vielen Patienten als eine variable Kombination reizabhängiger (nozizeptiver bzw. neuropathischer) Empfindungen und sich selbst organisierender (emergierend) Zustände eines dynamischen non-linearen Systems zu verstehen (IOM, 2011). Dies bedarf mehr als der richtigen oder ansteigenden Dosis des richtigen Medikaments über feste Zeiträume, sondern einer solche Zustände erkennenden psychophysischen Eigendiagnostik des Patienten. Eine fachlich angeleitete „self-tailored therapy“ könnte zum Kulturwandel der Schmerztherapie sowie zum Erreichen individuell bestimmter Therapieziele beitragen. Dies setzt nicht nur ein verändertes Rollenverständnis in der Kommunikation von Behandlern und Patienten voraus, sondern, um einer (selbst-)kurativen Beliebigkeit vorzubeugen, auch eine engmaschigere Therapiekontrolle. 1. Eccleston C, Williams AC, Morley S. (2009) Psychological therapies for the management of chronic pain (excluding headache) in adults. Cochrane Database Syst Rev 15 (2) CD007407. 2. Gehling M, Hermann B, Tryba M. (2011) Meta-analysis of dropout rates in randomized controlled clinical trials. Schmerz, 25(3): 296–305. 3. Häuser W, Petzke F, Üçeyler N, Sommer C. (2011a) Comparative efficacy and acceptability of amitriptyline, duloxetine and milnacipran in fibromyalgia syndrome: a systematic review with meta-analysis. Rheumatology (Oxford) 2011; 50(3):532–43 4. Häuser W, Bartram-Wunn E, Bartram C, Reinecke H, Tölle T. (2011 b) Systematic review: Placebo response in drug trials of fibromyalgia syndrome Der Schmerz · Supplement 1 · 2011
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Abstracts and painful peripheral diabetic neuropathy-magnitude and patient-related predictors. Pain 2011 b Mar 21. 5. IOM – Institute of Medicine (2011) Relieving Pain in America: A Blueprint for Transforming Prevention, Care, Education, and Research. National Academies Press www.iom.edu/relievingpain 6. LONTS S3 Leitlinie (2009) http://www.uni-duesseldorf.de/AWMF/ll/041– 003m.htm 7. Madsen MV, Gøtzsche PC, Hróbjartsson A. (2009) Acupuncture treatment for pain: systematic review of randomised clinical trials with acupuncture, Placebo acupuncture, and no acupuncture groups. BMJ 338:a3115. 8. Nantz E, Liu-Seifert H, Skijarevski V. (2009) Predictors of premature discontinuation of treatment in multiple disease states. Patient Prefer Adherence. 3:31–43. 9. Prakash A, Risser RC, Mallinckrodt CH. (2008) The impact of analytic method on interpretation of outcomes in longitudinal clinical trials. Int J Clin Pract.; 62(8):1147–58. 10. Turk DC, Wilson HD, Cahana A. (2011) Treatment of chronic non-cancer pain. Lancet 377: 2226–35. `11. VA/DoD (2010) Clinical Practice Guideline for Management of Opioid Therapy for Chronic Pain. http://www.healthquality.va.gov/cot/cot_310_sum. pdf
Tumorschmerz SY 36 Moderne Onkologie – wie neurotoxisch sind die neuen Chemo therapeutika? Ulrich Wedding1, Friederike Mahn², Michael Schenk³ 1Universitätsklinikum Jena, Abteilung für Palliativmedizin, Klinik für Innere Medizin II, Jena, Deutschland, ² Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel, Klinik für Neurologie, Sektion für Neurologische Schmerzforschung und -therapie, Kiel, Deutschland, ³ Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe gGmbH, Abteilung für Anästhesie und Schmerztherapie, Berlin, Deutschland Chemotherapieinduzierte periphere Neuropathien stellen eine häufige Nebenwirkung und Komplikation gängiger medikamentöser Krebstherapien dar, deren Inzidenz stetig zunimmt. Neben der Induktion zusätzlicher Symptome und der Einschränkung der Lebensqualität für den Patienten können sie therapielimitierende Faktoren darstellen. Durch unterschiedliche Substanzen hervorgerufene Neuropathien können sich klinisch heterogen darstellen und sich mit unterschiedlichen Schmerzsymptomen äußern. Nicht nur bekannte und seit vielen Jahren etablierte Substanzen können Neuropathien erzeugen; auch neuere Medikamente zeigen neurotoxische Eigenschaften und charakteristische, induzierte Symptome. Schwierigkeiten in der Prävention, der Erkennung und Erfassung der Neuropathien sowie Therapielimitationen führen in vielen Fällen zu unzureichender Behandlung entsprechender Symptome.
Welche neuen Chemotherapeutika werden derzeit wie und bei welchen Erkrankungen eingesetzt? Potentielle Vorteile der neuen Chemotherapeutika (Ulrich Wedding) Die Indikation zur medikamentösen Therapie kann auf verschiedenen Therapiezielen beruhen: Heilung, Lebensverlängerung und Symptomverbesserung sind die wesentlichen. Immer sind mögliche Vorteile einer Behandlung gegenüber möglichen Nachteilen, u. a. den unerwünschten Wirkungen, im Kontext der onkologischen Therapie und der Toxizität abzuwägen. Substanzen mit neurologischer Toxizität, zentral und peripher, können klassische Chemotherapeutika sein, wie z. B. Vinca-Alkaloide, Taxane, Cytosine-Arabinoside, Oxaliplatin,
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aber auch neue Substanzen, z. B. aus der Gruppe der Tyrosinkinaseinhibitoren (TKI). Im Rahmen individueller Therapieentscheidungen ist der Patient über Vor- und Nachteile zu informieren und eine gemeinsame Therapieentscheidung zu treffen.
Welche dieser Chemotherapeutika sind neurotoxisch? (Friede rike Mahn) Angesichts der stetigen Zunahme der Häufigkeit maligner Tumorerkrankungen rücken Diagnostik und Therapie von Schmerzsyndromen bei dieser Patientengruppe neben den klassischen, bekannten Therapieaspekten zunehmend in den Focus der behandelnden Mediziner. Nahezu 90% aller Patienten mit malignen Erkrankungen erleiden im Verlauf ihrer Erkrankung Schmerzen. Dabei sind zwei verschiedene Entitäten chronischer Tumorschmerzen zu unterscheiden: nozizeptive und neuropathische Schmerzen. Bekannte Ursachen der neuropathischen Tumorschmerzkomponente sind Kompressionen oder Infiltrationen von Nervenstrukturen durch den Tumor oder Metastasen, z. B. im Rahmen einer Plexusinfiltration beim Mammakarzinom. Einen weiteren Mechanismus neuropathischer Schmerzentstehung stellt die Schädigung von Nervengewebe durch paraneoplastische Prozesse z. B. bei Erkrankung mit einem kleinzelligen Bronchialkarzinom dar. Wesentlich häufiger sind Nebenwirkungen oder Komplikationen therapeutischer Maßnahmen, welche Nervenläsionen verursachen, für die Entwicklung neuropathischer Schmerzen verantwortlich. In einer Vielzahl von Standardchemotherapieschemata sind neurotoxische Chemotherapeutika wie beispielsweise Cisplatin, Paclitaxel oder Vinca-Alkaloide enthalten. Bekannte Nebenwirkungen sind z. B. bei einer Therapie mit Vinca-Alkaloiden typischerweise früh auftretende, schmerzhafte Dysästhesien in Fingerspitzen und Zehen, die nicht selten einen Abbruch der Chemotherapie notwendig machen. Aber auch neuere Chemotherapeutika wie das beim Kolonkarzinom gebräuchliche Oxaliplatin oder das beim multiplen Myelom eingesetzte Bortezomib weisen neurotoxische Nebenwirkungen auf. Patienten unter Oxaliplatintherapie entwickeln beispielsweise oftmals eine akute reversible Neuropathie, welche charakteristischerweise durch schmerzhafte Dysästhesien und eine stark ausgeprägte Kälteallodynie im Bereich der Akren charakterisiert ist, was zu einer deutlichen Einschränkung der Lebensqualität führt und häufig Grund für einen Therapieabbruch darstellt.
Therapie der Chemotherapie-induzierten Neuropathie (Michael Schenk) Chemotherapie-induzierte periphere Neuropathien (CIPN) sind dosislimitierende unerwünschte Nebenwirkungen zahlreicher Chemotherapeutika. Die Behandlung der CIPN erfolgt gemäß den allgemeinen Konsensusempfehlungen der Therapie des neuropathischen Schmerzes. Diese werden im Rahmen dieser Präsentation vorgestellt.
Kopfschmerz SY 37 Meiden oder Desensibilisieren – vom Umgang mit Kopfschmer zen und Migräneauslösern P. Kropp1, T.M. Wallasch2, R. Klinger3, C. Hermann4 1Medizinische Fakultät, Universität Rostock, Institut für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie, Rostock, Deutschland , ²KopfSchmerzzentrum am Sankt Gertrauden Krankenhaus, Berlin, Deutschland, ³ Universität Hamburg, Psychotherapeutische Hochschulambulanz VT, Fachbereich Psychologie, Hamburg, Deutschland, 4Justus Liebig Universität Giessen, Abteilung Klinisch Psychologie, Fachbereich Psychologie, Giessen, Deutschland Nach den aktuellen Leitlinien der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft gelten psychologische Verfahren, die der Verhaltenstherapie entstammen, als evidenzbasiert und hoch effektiv in der Behandlung der Migräne. Auch bei der Behandlung des Kopfschmerzes vom Spannungstyp sind diese Verfahren wirksam und können unter bestimmten Voraussetzungen als Alternative zur medikamentösen Therapie eingesetzt werden. Das Führen eines Schmerz-Tagebuches führt bei vielen Patienten dazu, dass sie aus Furcht vor dem nächsten Schmerzanfall mögliche Auslöser identifizieren und diese dann meiden. Dabei erfolgt das Identifizieren durch ein „KontingenzLernen“, welches zunächst den Gesetzmäßigkeiten des Klassischen Konditionierens folgt und dann durch Vermeiden operanten Prinzipien gehorcht. Dies muss nicht unbedingt sinnvoll sein. Im Gegenteil, oft wird durch Vermeiden der Verhaltensspielraum eingeengt und dadurch erst die Ausweitung der angenommenen Auslöser ermöglicht. Nach den neuen Leitlinien der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft werden psychologischen Verfahren, die der Verhaltenstherapie entstammen, eine hohe Evidenz bei der Behandlung der Migräneerkrankung zugeschrieben. Auch bei der Behandlung des Kopfschmerzes vom Spannungstyp sind diese Verfahren wirksam und können unter bestimmten Voraussetzungen als Alternative zur medikamentösen Therapie eingesetzt werden (Evers et al. 2008, Straube et al., 2008). Als sehr effektive Verfahren gelten dabei Entspannungsmethoden, Biofeedback-Therapie und kognitiv-verhaltenstherapeutische Verfahren. Im Symposium werden aktuelle Möglichkeiten zur Behandlung chronischer Kopfschmerzen zusammengestellt. Dabei wird ein Bogen gespannt von Ansätzen der Akzeptanz (Vortrag 1) über nichtmedikamentöse Bewältigungsverfahren im akuten Anfall (Vortrag 2) bis hin zu neuen Formen der Konfrontationsbehandlung (Vortrag 3).
Schmerz bewältigen vs. Schmerz akzeptieren: Was ist günstiger für Patienten mit chronifizierten Kopfschmerzen? Die zentrale Bedeutung von schmerzbezogenen Bewältigungsstrategien für die Chronifizierung akuter Schmerzepisoden sowie für die schmerzbedingte Beeinträchtigung bei chronischem Schmerz ist für muskuloskelettale Schmerzen in vielen Studien empirisch gut belegt. Verschiedene psychologische Modelle wie z. B. das Angst-Vermeidungs-Modell nach Vlaeyen und Linton oder das VermeidungsDurchhalte-Modell von Hasenbring wurden zur Erklärung dieser Befunde formuliert bzw. bildeten die theoretische Grundlage für entsprechende Untersuchungen. In den letzten Jahren sind insbesondere im Kontext von schmerztherapeutischen Maßnahmen kognitiv-verhaltenstherapeutische Ansätze entwickelt worden, die den günstigen Einfluss der Akzeptanz von Schmerz und flexibler Bewältigungsstrategien für den Umgang mit dem Schmerzproblem betonen. Anders als bei muskuloskelettalen Schmerzen ist vergleichsweise wenig über die Rolle von
Schmerzbewältigungsstrategien für die funktionelle Beeinträchtigung und die Schwere der Schmerzproblematik bei primären Kopfschmerzen wie Migräne und Spannungskopfschmerz, aber auch medikamenteninduziertem Kopfschmerz bekannt. In einer Stichprobe von insgesamt 180 Patienten mit Migräne, Spannungskopfschmerz, Kombinationskopfschmerz oder medikamenteninduzierten Kopfschmerz wurden in der vorliegenden Studie kognitive, emotionale und behaviorale Schmerzbewältigungsstrategien, Schmerzakzeptanz und Aktivitätsbereitschaft und schmerzbezogene Selbstwirksamkeitserwartungen erfasst. Außerdem wurden die kopfschmerzbedingte Beeinträchtigung, das Chronifizierungsstadium, Kopfschmerzhäufigkeit und Medikamenteneinnahme erhoben. In einem ersten Schritt wurden zunächst in Abhängigkeit der Kopfschmerzdiagnose Unterschiede im Bewältigungsverhalten untersucht. Entgegen der Erwartungen ließen sich allerdings keine signifikanten Gruppenunterschiede aufzeigen. Im Unterschied zu Befunden bei Patienten mit Rückenschmerzen ließen sich des Weiteren für die Gesamtstichprobe und für die verschiedenen Diagnosegruppen nur vereinzelt bedeutsame Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Bewältigungsstrategien und Maßen der Schmerzaktivität (Kopfschmerzhäufigkeit), Medikamenteneinnahme und der funktionellen Beeinträchtigung bestätigen. Höhere schmerzspezifische Selbstwirksamkeitserwartungen hinsichtlich der Fähigkeit trotz Schmerzen weiterhin aktiv bleiben zu können korrelierten signifikant, allerdings in geringer Höhe, mit einer geringeren schmerzbedingten Beeinträchtigung und Ausfalltagen. Eine höhere Schmerzakzeptanz ging mit weniger depressiven Symptomen einher. Es erwiesen sich allerdings weder bestimmte Schmerzbewältigungsstrategien noch Schmerzakzeptanz/Aktivitätsbereitschaft als besonders günstig hinsichtlich der von den Patienten erlebten Beeinträchtigung. Im Unterschied zu Befunden bei Rückenschmerzpatienten ließen sich bei den Kopfschmerzpatienten in Abhängigkeit vom Chronifizierungsstadium keine signifikant unterschiedlichen Muster an Bewältigungsverhalten zuordnen. Die theoretischen und klinischen Implikationen dieser Befunde werden unter Berücksichtigung psychologischer Modelle chronischen Schmerzes und Unterschieden in der Schmerzsymptomatologie diskutiert.
Was macht der Patient im akuten Schmerzzustand? Nichtmedi kamentöse, wirkungsvolle Alternativen aus der Verhaltensthe rapie bei der Behandlung von Kopfschmerzen Im akuten Kopfschmerzzustand können unterschiedliche Vorgehensweisen eingesetzt werden. Neben kognitiven Schmerzbewältigungsverfahren weist die Anwendung willentlicher Gefäßverengung (Anwendung von Vasokonstriktion durch Biofeedback) eine gute Evidenz auf. Kognitive Schmerzbewältigungsverfahren zielen darauf ab, im akuten Schmerzanfall durch Ablenkung oder konzentrative Anspannung die schmerzbezogene Verarbeitungskapazität zu reduzieren. Diese können bei leichten bis mittelstarken Schmerzen sehr erfolgreich eingesetzt werden und stellen dabei eine echte Alternative zur medikamentösen Behandlung dar (Gerber et al. 2010). Die Idee, im akuten Kopfschmerzanfall eine willentliche Gefäßverengung der extrakraniellen Gefäßbereiche herbeizuführen, wurde für die Behandlung der akuten Migräneattacke bereits in den 70er Jahren formuliert. Dabei wird im schmerzfreien Intervall durch Rückmeldung der aktuellen Gefäßweite der A. temporalis superficialis eine individuelle Strategie zur Gefäßverengung entwickelt. Der Erfolg der Gefäßverengung wird dem Patienten direkt zurückgemeldet. Nach etwa 10 Stunden Biofeedback-Training kann diese erlernte Strategie dann im akuten Migräneanfall eingesetzt werden (Kropp et al. 1997).
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Abstracts Vermeidungslernen oder Konfrontationsbehandlung: Evidenz für neue Zugänge in der Prophylaxe von Migräneanfällen Lange Zeit wurde angenommen, dass durch das aktive Meiden bestimmter identifizierter Auslöser die Migränehäufigkeit reduziert werden könnte. Dazu liegen umfangreiche Studien vor, die dieses Verhalten vom Patienten fordern. Die aktive Bearbeitung eines Schmerztagebuches fördert das Vermeidungsverhalten, weil in der Analyse von Migräneanfällen das Erkennen von Migräneauslösern an erster Stelle steht. Dass dadurch gelegentlich falsche Kontingenzen hergestellt werden, ist mittlerweile auch bekannt. So weiß man, dass Schokolade, die vor dem Auftreten eines Migräneanfalls eingenommen wurde, keinesfalls Migräne auslöst (Marcus et al. 1997). Diese Kontingenz wird erst durch eine ungünstige Koppelung des Signalreizes (Schokolade) mit dem unkonditionierten Reiz (Migräneanfall) hergestellt. Die vermehrte Lust auf Schokolade kann eher als Indikator eines demnächst auftretenden Migräneanfalls gewertet werden, nicht jedoch als Auslöser desselben. Neben der falschen Zuordnung von Migräneauslösern gibt es jedoch auch tatsächliche Verhaltensweisen, die Triggereigenschaften aufweisen. Neben Alkohol können weitere Nahrungsprodukte oder körperliche Aktivitäten genannt werden. Ein intensives Meiden dieser Migräne-Auslöser kann unter bestimmten Umständen die Migränesymptomatik noch verstärken. Lernpsychologisch wird dabei von einer Reizgeneralisierung ausgegangen, wie sie beispielsweise aus der Angstvermeidung bekannt ist. Bei letzterer führt das Vermeiden angstauslösender Reize zu einem Vermeidungslernen, welches zwar kurzfristig eine Angstreduktion bewirkt, langfristig aber zu einer ausgeprägten Verhaltenseinengung führt. Die Folge ist somit eine Zunahme der Migräneanfälle. Stattdessen sollten Patienten lernen, mit diesen Triggerfaktoren umzugehen, damit eine zentrale Sensibilisierung (und möglicherweise Reizgeneralisierung) verhindert wird (Martin et al. 2006). Dies könnte bedeuten, dass Migräne-Auslöser zukünftig in Form von Desensibilisierungstechniken ähnlich wie bei der Behandlung von Angst- und Panikzuständen abgestuft dargeboten werden, um beim Patienten Habituationseffekte auszulösen. Dies wird in speziellen Therapieprogrammen in Form eines „Reizverarbeitungstrainings“ bereits angewandt (Gerber 2005). Fazit. Verfahren aus der kognitiven Verhaltenstherapie sind bei der Behandlung von Kopfschmerzen effektiv und gut einsetzbar. Sie stellen zum großen Teil eine Alternative zur medikamentösen Prophylaxe dar. Man hüte sich vor einer zu ausführlichen Analyse der individuellen Auslöser eines Migräneanfalls, weil dadurch Vermeidungstendenzen wie bei der Angsterkrankung entstehen. Gewöhnlich sind die Verhaltensweisen vor einem Migräneanfall durch diesen Anfall selbst bestimmt. Ein Meiden der angenommenen Trigger würde das Auslösespektrum eher erweitern und wäre damit kontraproduktiv. 1. Andrasik, F (2004). The essence of biofeedback, relaxation and hypnosis. In R.H. Dworkin & WS. Breitbard (eds),, Psychosocial aspects of pain: a Handbook for Healthcare Providers. Progress in Pain Research and Management.., Seattle: IASP Press Vol 27; S. 285–305. 2. Basler, H.D. (2001). Chronische Kopf- und Rückenschmerzen. Psychologisches Trainingsprogramm. Trainerhandbuch und Therapiematerialien. Vandenhoeck & Ruprecht. 3. Denecke, H. & Kröner-Herwig, B. (2000). Kopfschmerztherapie mit Kindern und Jugendlichen. Ein Trainingsprogramm. Göttingen: Hogrefe. 4. Evers S, May A, Fritsche G, Kropp P, Lampl C, Limmroth V, Malzacher V, Sandor P, Straube A, Diener HC (2008) Akuttherapie und Prophylaxe der Migräne – Leitlinie der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft und der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. Nervenheilkunde 27(10):933–949 5. Fernandez, E., Boyle, GJ. (2002). Affective and evaluative descriptors of pain in the McGill pain questionnaire: reduction and reorganization. Journal of
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Pain, 3(1), 70–77. 6. Gerber WD (2005). Das Migräne-Patientenseminar MIPAS. Praxis-Magazin, 2005; 21: 8–12 7. Gerber, WD., Petermann, F., Gerber-von Müller, G., Dollwet, M., Darabaneanu, S., Niederberger, U., Schulte, IE., Stephani, U., Andrasik, F. (2010). MIPAS-Family-evaluation of a new multi-modal behavioral training program for pediatric headaches: clinical effects and the impact on quality of life. J Headache Pain 11(3), 215–225. 8. Hayes, S. C., Barnes-Holmes, D., & Roche, B. (Eds.). (2001). Relational Frame Theory: A Post-Skinnerian account of human language and cognition. New York: Plenum Press. 9. Hermann, C., Blanchard, EB. (2002). Biofeedback in the treatment of headache and other childhood pain. Applied Psychophysiology and Biofeedback, 27, 143–162. 10. Holroyd, KA. & Andrasik, F. (1982). A cognitive-behavioral approach to recurrent tension and migraine headache. In: PC. Kendall (ed.). Advances in Cognitive-Behavioral Research and Therapy. (Volume 1). (S. 275–320). New York: Academic Press. 11. Jacobs, S., Strack, M. Bode, G., Kröner-Herwig, B. (2001): Hypnotherapeutische Interventionen im Rahmen eines verhaltenstherapeutischen Kurzprogramms zur Behandlung chronischer Schmerzen. In: Verhaltenstherapie und Verhaltensmedizin. 22.Jg(3),199–217. 12. Jensen, M., Patterson, DR. (2006). Hypnotic treatment of chronic pain. J Behav Med 29(1): 95–124. 13. Kropp, P., Gerber, WD., Keinath-Specht, A., Kopal, T., Niederberger, U. (1997). Behavioral treatment in migraine. Cognitive-behavioral therapy and bloodvolume-pulse biofeedback: a cross-over study with a two-year follow-up. Funct. Neurol. 12(1): 17–24. 14. Kropp, P., Linstedt, U. & Gerber, WD (2005). Die Dauer der Migräneerkrankung beeinflusst Amplitude und Habituation ereigniskorrelierter Potentiale. Der Schmerz, 19(6), 489–496. 15. Kropp P. & Niederberger. U. (2009). Theoretische Konzepte und Wirkmechanismen. In A. Martin & W. Rief (Hrsg.) Wie wirksam ist Bioefeedback? Eine therapeutische Methode. Bern: Huber. 16. Marcus DA, Scharff L, Turk D, Gourley LM. A double-blind provocative study of chocolate as a trigger of headache (http://www.ncbi.nlm.nih.gov/ pubmed/9453274) Cephalalgia. 1997;17(8):855–62 17. Martin PR, Reece, J, Forsyth M. Noise as a trigger for headaches: relationship between exposure and sensitivity. Headache 2006; 46(6): 962–972. 18. Martin, A., Rief, W. (2009). Wie wirksam ist Biofeedback? Eine therapeutische Methode. Bern: Huber. 19. Nestoriuc, Y. & Martin, A. (2007) Efficacy of biofeedback for migraine: a meta-analysis. Pain ;128(1–2),111–127. 20. Penzien, DB., Andrasik, F., Freidenberg, BM., Houle, TT., Lake, AE., 3rd, Lipchik, GL., Holroyd, KA., Lipton, RB., McCrory, DC., Nash, JM., Nicholson, RA., Powers, SW., Rains, JC. & Wittrock, DA. (2005) Guidelines for trials of behavioral treatments for recurrent headache, first edition: American Headache Society Behavioral Clinical Trials Workgroup. Headache, 45, Suppl 2, 110–132. 21. Straube A, May A, Kropp P, Katsarava Z, Haag G, Lampl C, Sándor PS, Diener HC, Evers S (2008) Therapy of primary chronic headache: chronic migraine, chronic tension type headache and other forms of chronic daily headache. Der Schmerz 22(5):531–543. 22. Tracey, I., Ploghaus, A., Gati, JS., Clare, S., Smith, S., Menon, RS. & Matthews, PM. (2002). Imaging attentional modulation of pain in the periaqueductal gray in humans. Journal of Neurosciences, 22(7), 2748–2752.
Nachwuchssymposium der DMKG
Experimentelle Modelle und Pathophysiologie
SY 38 Neues aus der Kopfschmerzforschung: das DMKG-Netzwerk
SY 39 Funktioneller Schmerz und Variabilität der Schmerzwahrneh mung
M. Schüler1, E. Kubel2, L. Neeb3 1Friedrich Alexander Universität Erlangen-Nürnberg, Physiologie und Pathophysiologie, Erlangen, Deutschland, 2Klinikum Großhadern, neurologische Klinik und Poliklinik, München, Deutschland, 3Charité Universitätsmedizin Berlin, Klinik für Neurologie, Berlin, Deutschland In dem Symposium stellen Wissenschaftler der Nachwuchsforschergruppe der DMKG Ergebnisse eigener Untersuchungen zu einem breiten Spektrum vor, die von der neuroanatomischen Grundlagenforschung am Menschen und der Ratte über den Triptan-Übergebrauchskopfschmerz bis hin zum Cluster-Kopfschmerzes reichen. So berichtet Julia Nakajima (Erlangen) über die Darstellung trigeminaler Nervenfasern der nasalen Mucosa mittels neuronaler TracingTechniken am Rattenmodell. Es konnte gezeigt werden, dass trigeminale Afferenzen über Axonkollateralen die Dura mater der vorderen Schädelgrube sowie die Schleimhaut der Nasenhöhle und der Nasennebenhöhlen innervieren. Die chemische Reizung der nasalen Mukosa führt über diese Kollateralen zu einer intrakraniellen Freisetzung des Neuropeptids CGRP. Markus Schüler (Erlangen) untersuchte die Neuroanatomie des N. spinosus und seiner peripheren Projektionen in der mittleren Schädelgrube des Menschen und der Ratte mit Hilfe neuronaler TracingTechniken. Er konnte zeigen, dass trigeminale Nervenfasern, die die parietale Dura innervieren durch die Schädelnähte treten und entlang der Vv. emissariae nach extrakraniell reichen. Sie versorgen sensibel das Periost, die Kau- und obere Nackenmuskulatur. Dies könnte einen Mechanismus der von peripher ausgehenden zentralen Sensitivierung darstellen. Die Regulation von Kopfschmerz-Signalstoffen im trigeminalen Zellkulturmodel des Medikamentenübergebrauchs-Kopfschmerzes (MOH) wurde von Esther Kubel (München) untersucht. Die Pathophysiologie des MOH ist bisher ungeklärt, wobei dem die Meningen versorgenden trigeminalen System (Neurone und Gliazellen des Ganglion trigeminale) an Kopfschmerzen generell eine besondere Bedeutung zukommt. Sie untersucht, ob eine langanhaltende Stimulation von trigeminalen Ganglienzellen mit Sumatriptan die Expression Neurotransmittern verändert. Lars Neeb (Berlin) berichtet über den Einfluss einer intravenösen Methylprednisolon-Therapie auf CGRP- und Melatoninspiegel bei Cluster-Kopfschmerzpatienten. Die orale oder intravenöse Therapie mit Glukokortikoiden ist eine gängige und hocheffektive Therapie zur Kurzzeitprophylaxe des Cluster-Kopfschmerzes. In der Pathophysiologie des Cluster-Kopfschmerzes spielen das trigeminovaskuläre System und der Hypothalamus eine entscheidende Rolle. Die Ausschüttung des Neurotransmitters CGRP zeigt eine Aktivierung des trigeminovaskulären Systems an und die Sekretion von Melatonin wird durch neuroanatomische Strukturen des Hypothalamus reguliert. Die prophylaktische Gabe von 3-mal 1 g Methylprednisolon i.v. über drei Tage führte zu einer Erniedrigung des CGRP-Plasmaspiegels und zu einer Erhöhung des Melatoninspiegels bei Cluster-Kopfschmerzpatienten in einer Cluster-Episode. Die Ergebnisse geben Hinweise auf einen möglichen Funktionsmechanismus von Glukokortikoiden in der ClusterKopfschmerzprophylaxe. Zusammengefasst gibt das Symposium einen Überblick über mögliche zukünftige Schwerpunkte in der Kopfschmerzforschung in Deutschland geben.
S. Lautenbacher1, K. Thieme2, M. Ploner3 1Universität Bamberg, Physiologische Psychologie, Bamberg, Deutschland, 2Center for Neurosensory Disorders, Thurston Arthritis Research Center, The University of North Carolina at Chapel Hill, Chapel Hill, USA, 3Technische Universität München, Neurologische Klinik und Poliklinik, München, Deutschland Das Symposium versucht sich daran, die ganze Bandbreite von Einflussfaktoren auf die Schmerzverarbeitung aufzuzeigen, wie sie gerade bei funktionellen Schmerzen ohne eindeutige organische Korrelate vorliegen. Die dazu notwendige Mehrebenenbeschreibung von Schmerzen ist so aktuell wie ehedem. Welche Einflüsse lassen sich am besten periphernervös, welche zentralnervös und welche psychologisch modellieren? Hier können nur Bespiele für Antworten herausgegriffen werden. Einflüsse des vegetativen Nervensystems auf den Schmerz sind seit längerem bekannt, können aber zunehmend spezifischer erfasst werden. Geeignetes Beispiel ist der Zusammenhang von Blutdruck und Schmerz, der schon lange eine feste Größe ist. Die mittlerweile vielfältige Methodik zur Erfassung der Sensitivität des Baroreflexes erlaubt jetzt die Feinanalyse dieses Zusammenhangs. Schmerzstörungen wie die Fibromyalgie, die durch vegetative Dysregulation auffallen, sind hierfür geeignete klinische Modelle. Obwohl die Datenlage nicht eindeutig ist, scheint die reduzierte Sensitivität des Baroreflexes bei Fibromyalgie zur Schmerzstörung beizutragen. Es ist anzunehmen, dass die aufsteigende Schmerzhemmung aus dem kardiovaskulären System defizient ist, was zur extremem Schmerzempfindlichkeit der Fibromyalgiepatienten beitragen kann (Reyes del Paso et al. 2011). Es ist selbstverständlich, dass Schmerz erst im Gehirn entsteht, zerebrale Prozesse also grundlegend sind. Worin besteht jedoch die zerebrale Grundlage der großen interindividuellen Variabilität? Hier gibt es immer wieder Versuche, die individuelle Schmerzsensibilität aus der Hirnaktivität abzuleiten. Hierzu haben beispielsweise Schulze et al. (2011) schmerzhafte Reize appliziert und die resultierenden Single-Trial-EEG-Antworten in der Frequenzdomäne einer multivariaten Patternanalyse unterzogen. Diese extrahierten Pattern halfen mit großer Genauigkeit, schmerzempfindliche von nicht schmerzempfindlichen Personen zu unterscheiden. Das zeitliche spektrale Muster schmerzbezogener zentralnervöser Reaktion scheint ganz wesentliche Informationen über die individuelle Schmerzempfindlichkeit zu liefern, die sich ggf. auch als objektiver neuronaler Marker nutzen ließe. Es ist klar, dass die Schmerzverarbeitung nicht erst mit einer Noxe beginnt, sondern dass eine Vielzahl antizipatorischer Prozesse ablaufen, die sich physiologisch und psychologisch beschreiben lassen. Wir reagieren schon auf erste Hinweisreize für bald auftretende Schmerzen. Manche Personen machen dies deeskalierend und damit adaptiv, manche aber katastrophisierend oder hypervigilant. Letztere ähneln Phobikern, die sich dem angstbesetzten Objekt nähern (Lautenbacher 2010). Sie versuchen vor allem alle schmerzbezogene Information zu vermeiden, um Angst zu vermeiden, wie relevant diese für adäquates Bewältigen von Schmerzen auch wäre. Es konnte folglich mittlerweile in einer Reihe von Studien gezeigt werden, dass die Vermeidung von schmerzrelevanter Information den akuten und chronischen postoperativen Verlauf negativ beeinflusst (Lautenbacher et al. 2010a,b). Bei den geschilderten Prozessebenen muss aber bewusst bleiben, dass manche Prozesse nicht unabhängig voneinander zu sehen sind, sondern nur unterschiedliche theoretische Modellierung der gleichen Funktionalität sind. Es wird daher Aufgabe sein, redundante Schmerzmarker auszusondern und die wirklich „besten Pferde“ zur Schmerz-
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Abstracts prädiktion auf den unterschiedlichen physiologischen und psychologischen Beschreibungsebenen zu isolieren. 1. Lautenbacher S. Commentary to „do words hurt? Brain activation during the processing of pain words“ by Richter et al. Pain 2010;148:179. 2. Lautenbacher S, Huber C, Baum C, Rossaint R, Hochrein S, Heesen M. Attentional avoidance of negative experiences as predictor of postoperative pain ratings and consumption of analgesics: comparison with other psychological predictors. Pain Med 2011 12:645–53. 3. Lautenbacher S, Huber C, Schöfer D, Kunz M, Parthum A, Weber PG, Roman C, Griessinger N, Sittl R. Attentional and emotional mechanisms related to pain as predictors of chronic postoperative pain: a comparison with other psychological and physiological predictors. Pain 2010;151:722–31. 4. Reyes del Paso GA, Garrido S, Pulgar Á, Duschek S. Autonomic cardiovascular control and responses to experimental pain stimulation in fibromyalgia syndrome. J Psychosom Res 2011;70:125–34. 5. Schulz E, Zherdin A, Tiemann L, Plant C, Ploner M. Decoding an Individual‘s Sensitivity to Pain from the Multivariate Analysis of EEG Data. Cereb Cortex 2011 epub.
Diagnostische Procedere SY 40 QST für klinische Entscheidungsfindung nutzen C. Maier1, M. Blankenburg2, E. Krumova3, A. Westermann4 1Berufsgenossenschaftliches Universitätsklinikum Bergmannsheil der Ruhr-Universität Bochum, Abt. Schmerztherapie, Bochum, Deutschland, 2Vestische Kinder und Jugendklinik, Vodafone Stiftungsinstitut für Kinderschmerztherapie und pädiatrische Palliativmedizin, Datteln, Deutschland, 3Berufsgenossenschaftliches Universitätsklinikum Bergmannsheil GmbH, Bochum, Abteilung für Schmerztherapie, Bochum, Deutschland, 4Berufsgenossenschaftliches Universitätsklinikum Bergmannsheil GmbH, Abteilung für Schmerztherapie, Bochum, Deutschland Die quantitativ-sensorische Testung mittels standardisierter Protokolle ist als erweiterte neurologische Diagnostik inzwischen ein akzeptiertes Verfahren zur Erfassung von sensorischer Profilen bei Patienten mit neuropathischen Schmerzen. Der Nutzen von QST in der klinischen Diagnostik und Entscheidungsfindung beim einzelnen Patienten ist jedoch umstritten. Aus der inzwischen 3000 Patienten umfassenden Datenbank des DFNS werden in diesem Symposium der konkrete Nutzen der QST zur Frühdetektion oder Analyse von neurologischen Krankheiten exemplarisch vorgestellt. Untersuchungen bei schmerz- und symptomfreien Kindern mit Diabetes zeigen, dass mittels QST nichtinvasiv und früher als mit den üblichen Bedside-Techniken oder sonst nur mit invasiven Verfahren gravierende neurologische Defizite bereits in einem früheren Stadium der Erkrankung nachweisbar waren. Bei Patienten mit Zerebralparese erlaubt QST die Abgrenzung von neuropathisch zu nozizeptiven Symptomen mit erheblichen therapeutischen Konsequenzen für die Schmerztherapie. Für die differentialdiagnostische Abklärung schwierig ist oft der Nachweis einer begrenzten thermischen und/oder mechanischen Hypästhesie besonders, wenn sie noch nicht im eindeutig pathologischen Bereich liegt. Abzugrenzen sind die funktionellen Veränderungen, die bei jedem Schmerz auftreten können, von solchen, die charakteristisch für Erkrankungen des peripheren Nervensystems sein können. Durch humanexperimentelle Untersuchungen einerseits bei Gesunden wie auch Verlaufsuntersuchungen bei Patienten mit Läsionen des zentralen oder peripheren Nervensystems sollen die Unterschiede herausgearbeitet werden. Im Gegensatz zu herkömmlichen elektrophysiologischen Methoden erlaubt QST u. a. die Diagnose einer isolierten „Small-Fiber“-Neuropa-
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thie und daher zu einem zusätzlichen Instrumentarium der neurologischen Diagnostik geworden. Aber anders als bei der konventionellen Elektrophysiologie, Haut- oder Nervenbiopsien handelt es sich bei der QST um ein psychophysiologisches Verfahren, welches durch zahlreiche (bewusste/unbewusste) Einflussgrößen beeinflusst werden kann. Erste Studienergebnisse, ob Patienten im Extremfall durch bewusstes oder unbewusstes Verhalten Ergebnisse manipulieren können, werden vorgestellt.
Kopfschmerz SY 41 Migräne: von der trigeminalen Afferenz über das Ganglion zur zentralen Kontrolle K. Messlinger1, T. Bartsch2, R. de Col1 1Universität Erlangen-Nürnberg, Institut für Physiologie & Pathophysiologie, Erlangen, Deutschland, 2Universität Kiel, Neurologische Klinik, Kiel, Deutschland Die moderne Grundlagenforschung lässt in der Zusammenschau mit Befunden am Menschen immer deutlicher erkennen, dass der Migräne pathophysiologische Veränderungen des peripheren und zentralen trigeminalen Nervensystems zu Grunde liegen. Bei der Betrachtung des peripheren trigeminalen Systems konzentriert sich die Kopfschmerzforschung auf die Innervation der harten Hirnhaut und der großen intrazerebralen Blutgefäße, da unter den intrakraniellen Strukturen nur diese schmerzempfindlich sind. Daneben wurden vor allem im Rahmen der vaskulären Migränehypothesen mit wechselnder Gewichtung bis heute auch extrakranielle Einflüsse auf die Kopfschmerzentstehung diskutiert. Schon länger ist bekannt, dass zum Beispiel durch zervikale Afferenzen über den N. occipitalis ein erheblicher konvergenter Zustrom nozizeptiver Information zu den zentralen Neuronen im trigemino-zervikalen Hirnstammkomplex geleitet wird. Neueste anatomische und funktionelle Untersuchungen am trigeminalen System von Ratte und Mensch zeigen nun aber einen weit komplexeren Aufbau als bisher bekannt war und eröffnen damit neue Erklärungsansätze für den Einfluss nozizeptiver Vorgänge an extrakraniellen Strukturen auf die Entstehung und Lokalisation von primären und sekundären Kopfschmerzen. Tracing-Experimente lassen erkennen, dass Kollateralen von Nervenfasern, welche die Dura mater encephali von Ratte und Mensch innervieren, durch Kanäle und Suturen aus dem Schädelknochen herausziehen und das darüberliegende Periost und die perikranielle Muskulatur innervieren. Dass es sich dabei tatsächlich um Verzweigungen derselben Nervenfasern handelt, wurde durch gleichzeitige extra- und intrakranielle elektrophysiologische Ableitungen an trigeminalen Afferenzen in einem Gewebepräparat der Ratte nachgewiesen. Bei noxischer Stimulation der perikraniellen Muskulatur durch Injektion des Vanilloidrezeptor-(TRPV1-)Agonisten Capsaicin wurde auch eine verstärkte Freisetzung von Calcitonin gene-related peptide (CGRP) aus den trigeminalen Nervenfasern der Dura mater im Schädelinneren gemessen, ein zuverlässiger Parameter für nozizeptive Aktivierung, der auch bei Migräneanfällen erhöht sein kann. In einem in vivo Präparat an der Ratte führten die intramuskulären Injektionen von Capsaicin zum Blutflussanstieg in der Dura mater encephali, ebenfalls ein deutlicher Hinweis auf die funktionelle Verbindung extra- und intrakranieller Nervenfasern. Damit wird klar, auf welche direkte Weise die Stimulation perikranieller Gewebe zur Verstärkung intrakranieller nozizeptiver Vorgänge beitragen kann. Umgekehrt kann man sich leicht vorstellen, auf welchem direkten Weg extrakranielle therapeutische Eingriffe hemmend auf Kopfschmerz erzeugende Vorgänge in den Meningen wirken könnten. Die meisten primären afferenten Fasern des Trigeminus entspringen aus ihren Zellkörpern im Ganglion trigeminale, die spinalen Afferen-
zen aus den Spinalganglien im Zervikalbereich. Eine Ausnahme bilden myelinisierte Afferenzen der perikraniellen Muskulatur, die das Ganglion trigeminale passieren, aber ihre Somata im Trigeminuskerngebiet des Mittelhirns haben. Im Allgemeinen wird angenommen, dass die Ganglienzellen lediglich metabolische Aufgaben für die afferenten Fasern erfüllen und selbst keine Signalfunktion haben. Das muss aber keineswegs so sein, denn es finden sich auf den Somata zum Beispiel Serotonin- und CGRP-Rezeptoren, die wegen des Fehlens einer BlutHirnschranke leicht von Triptanen oder CGRP-Rezeptorantagonisten, potentiellen Migränetherapeutika, erreicht werden. Zudem sind die neuronalen Zellen von Gliazellen, den Satellitenzellen, umgeben, die ihrerseits mit CGRP-Rezeptoren besetzt sein können und enge funktionelle Beziehungen mit den Neuronen haben. So wird zum Beispiel die Möglichkeit diskutiert, dass die Satellitenzellen durch CGRP, welches von den Neuronen sezerniert wird, die Produktion und Freisetzung von Stickstoffmonoxid (NO) aus den Satellitenzellen fördern, welches rückwirkend die Genexpression in den Ganglienzellen beeinflussen kann. Auch die Rolle von Vanilloidrezeptoren (TRPV1, TRPA1) im Ganglion wird derzeit beleuchtet. So ist es denkbar, dass neuronale Aktivität nicht nur an peripheren Nervenfasern sondern auch in den Ganglien selbst entstehen kann. Die in der Regel aus Untersuchungen an Zellkulturen stammenden Ergebnisse wurden nun durch direkte Injektion von Agonisten und Antagonisten in das Ganglion trigeminale an einem in vivo Modell der meningealen Nozizeption ergänzt. Insgesamt zeigen die Ergebnisse, dass bei den nozizeptiven Vorgängen, die vermutlich der Entstehung von Migräneanfällen und anderen primären Kopfschmerzen zu Grunde liegen, auch langsame neuronale Veränderungen im Ganglion trigeminale eine Rolle spielen können. Somit könnten die Ganglien als Regulationszentren der trigeminalen Aktivität auch Zielgebiete für eine pharmakotherapeutische Beeinflussung von Kopfschmerzen sein. Sekundäre afferente Neurone im trigeminozervikalen Komplex des Hirnstamms sind die Schaltstellen für den nozizeptiven Eingang von meningealen und zervikalen Afferenzen und verarbeiten somit die neuronale Information für die Entstehung von Schmerzen bei primären Kopfschmerzerkrankungen. Der trigeminozervikale Komplex erstreckt sich vom Nucleus caudalis N. trigemini bis zu den Segmenten C2/3. Bezüglich der sensiblen Versorgung des Kopfes tragen auch die oberen Zervikalwurzeln zur Innervation bei, insbesondere der N. occipitalis major als Hauptast der C2-Wurzel. Okzipitale und subokzipitale Strukturen wie Gefäße und Meningen der hinteren Schädelgrube, tiefe subokzipitale Muskulatur, kleine Wirbelkörpergelenke und Bänder sind dabei offensichtliche Quellen von Nacken- und Kopfschmerzen. Diese anatomische Konvergenz ist eine Voraussetzung für das Phänomen des übertragenen Schmerzes in der trigeminozervikalen Region. Sie spielt aber auch eine wichtige Rolle für die Mechanismen der zentralen Sensibilisierung, einer Erregbarkeitssteigerung mit neuroplastischen Veränderungen zentraler Neurone aufgrund eines vorübergehenden, besonders starken nozizeptiven Inputs. Die zentrale Sensibilisierung kann zu einer Verstärkung der jeweils anderen konvergenten Eingänge führen und spiegelt sich neurophysiologisch in einer Reduktion der Aktivierungsschwelle, der Vergrößerung rezeptiver Felder und einer verstärkten Antwort auf afferente Stimulation. Klinische Korrelate sind dabei die Entwicklung spontaner Schmerzen, Hyperalgesie und Allodynie, wie Sie auch bei primären Kopfschmerzsyndromen beschrieben werden. Neben erregenden Vorgängen, gefördert durch Neuropeptide wie CGRP und die verstärkte Aktivierung von Glutamatrezeptoren, kann auch eine Veränderung der lokalen segmentalen Hemmung an der Entstehung zentraler Sensibilisierung beteiligt sein. Neurone im trigeminozervikalen Komplex unterliegen nämlich einer ausgeprägten Modulation durch deszendierende Bahnsysteme, insbesondere durch das aus dem periaquäduktalen Grau (PAG) über den Nucleus raphe magnus (NRM) und die rostrale ventromediale Medulla (RVM) absteigende System. Das PAG empfängt Projektionen von nozizeptiven trigeminalen Sekundärneuronen und sendet direkte und indirekte absteigende antinozizeptiv wirkende Projektionen zum spinalen Hinterhorn. Eine Stimulation dieser Struktu-
ren führt zu einer profunden Hemmung der nozizeptiven Eingänge. Diese Mechanismen spielen möglicherweise eine Rolle bei neueren Schmerz modulierenden Verfahren wie der tiefen Hirnstimulation oder peripheren und ganglionären Stimulationsverfahren. Interessanterweise scheinen diese neuralen Regelkreise im Hirnstamm unter bestimmten Bedingungen eine zentrale Sensibilisierung eher zu verstärken und aufrecht zu erhalten, so dass es vermutlich auch durch dysfunktionale schmerzmodulierende Projektionen zur zentralen Sensibilisierung kommen kann. Neben diesen erregenden und hemmenden Systemeigenschaften werden auch potentielle zentrale Wirkungen neuer pharmakologischer Therapieansätze diskutiert, die mit diesen Systemen interagieren. Insgesamt soll das Symposium einen leicht verständlichen Eindruck davon vermitteln, warum und auf welche Weise die experimentelle Grundlagenforschung zur afferenten Innervation der Gewebe des Kopfes und den nozizeptiven und antinozizeptiven Mechanismen im Trigeminusgebiet zum besseren Verständnis der Pathophysiologie und zu neuen Therapieformen der Migräne beitragen kann.
Multimodalität – Chancen und Grenzen SY 42 Problembereiche/Problemgruppen in der multimodalen Schmerzbehandlung M. Pfingsten1, M. Hornyak2, M. Schuler3, C. Wiese4 1Universitätsmedizin Göttingen, Schmerztagesklinik und -Ambulanz, Göttingen, Deutschland, 2Universitätsklinikum Freiburg, Interdisziplinäres Schmerzzentrum, Freiburg, Deutschland, 3Diakoniekrankenhaus, Akutgeriatrie, Mannheim, Deutschland, 4Universitätsklinikum Regensburg, Klinik für Anästhesiologie, Regensburg, Deutschland (Chronischer) Schmerz ist ein multimodal determiniertes Geschehen, daher sind monomodale Therapien häufig zur Behandlung nicht ausreichend. Aus diesem Grund sind in den letzten 20 Jahren multimodale Behandlungsprogramme entwickelt worden, von denen mit Fug und Recht behauptet werden kann, dass sie eine der wichtigsten richtungweisenden Entwicklungen der Schmerztherapie der letzten 25 Jahre darstellen. Den Schmerztherapeuten ist damit die Umsetzung einer gelebten Interdisziplinarität gelungen, wie sie in anderen medizinischen Bereichen bisher nicht umgesetzt werden konnte. In diesen Konzepten kommt nach Ansicht der Autoren auch ein wesentliches Merkmal der Schmerztherapie selbst z. T. Ausdruck, das sich z. B. auch in der Mitgliederstruktur der Fachgesellschaften DGSS und DMKG widerspiegelt: ein konstruktives Miteinander von Klinikern und Wissenschaftlern aus verschiedenen ärztlichen Fachbereichen wie auch aus anderen Berufsgruppen wie Psychologie, Physiotherapie und Pflege. Alle leisten dabei ihren Beitrag, der Team-Gedanke rückt in den absoluten Vordergrund des therapeutischen Handelns. Gleichwohl gibt es aber auch Probleme, die aus einem solchen Ansatz resultieren. Diese Probleme u. a. die Anwendbarkeit dieser Programm bei spezifischen Gruppen: Es gibt keine Norm-Patienten, sondern gerade bei Patienten mit (chronischen) Schmerzen besteht für den Einzelfall eine ausgesprochene Heterogenität sowohl im Bezug auf schmerzassoziierte Merkmale wie aber auch bezüglich der begleitenden personenspezifischen Charakeristika und der jeweiligen sozialen Rahmenbedingungen. Unter der Voraussetzung des biopsychosozialen Modells können alle diese Faktoren – und in individuell unterschiedlicher Ausprägung – Einfluss auf den Schmerz nehmen oder auch nicht. Dies verdeutlicht u. a. noch einmal die Wichtigkeit des multimodalen Assessments. Bestimmte Patienten-Charakteristika (Migranten, ältere oder ganz junge Patienten, adipöse Patienten) können z. T. erhebliche Adaptationen des gewohnten Vorgehens erfordern, wobei unklar ist, ob diese Adaptationen den Grundprinzipien des Konzeptes nicht zuDer Schmerz · Supplement 1 · 2011
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Abstracts widerlaufen. Anhand von drei Merkmalen soll der Einfluss auf das multimodale Vorgehen beschrieben werden:
Schlafstörungen Insgesamt 50–70% der Patienten mit chronischen Schmerzen berichten über einen nichterholsamen Schlaf. Die traditionelle Auffassung „Schmerz führt zu Schlafstörung“ ist seit den 1970er Jahren einer bidirektionalen Betrachtung gewichen. Zahlreiche Studien belegen einen Zusammenhang von Schmerz und daraus folgendem gestörten Schlaf. Andere Studien wiederum zeigen Auswirkungen von Schlafstörungen auf die Schmerzwahrnehmung. Neuere Daten weisen darauf hin, dass die Form der Schlafdeprivation (Schlafrestriktion vs. Schlaffragmentierung) differenzielle Effekte auf die Schmerzverarbeitung hat. Spezifische, sog. organisch bedingte Schlafstörungen wie das Schlafapnoe-Syndrom und das Restless-Legs-Syndrom gehen meistens mit erheblichen Veränderungen der Schlafarchitektur einher und haben damit vermutlich einen relevanten Einfluss auf den Verlauf einer Schmerzerkrankung. Erste epidemiologische Untersuchungen zeigen zudem erhöhte Prävalenzen dieser Erkrankungen bei Patienten mit chronischen Schmerzen. Bei den klinischen Aspekten ist die Unterscheidung zwischen unspezifischen und spezifischen organisch bedingten Schlafstörungen wichtig. Dafür existieren bereits praktikable diagnostische Screeninginstrumente. Für das diagnostische und therapeutische Vorgehen im multimodalen Setting ist es erforderlich, Defizite im Schlafverhalten zu identifizieren und praxisgerecht in die Behandlung der Patienten einzubinden.
Adipositas Die Adipositas beschreibt ein starkes Übergewicht (erhöhter Körperfettanteil). Entsprechend der WHO-Definition liegt eine Adipositas ab einem Body-Mass-Index (BMI) von 30 kg/m2 vor; weiterhin werden 3 Stadien der Adipositas (Grad I–III) beschrieben (WHO 2000). Die Adipositas ist in den westlichen Ländern zum Teil eine Folge des chronischen Überflusses und mangelnder Aktivität der Bevölkerung. In Bezug auf chronische aber auch akute Schmerzen/Schmerzerkrankungen scheint ein erhöhter BMI einen wesentlichen Einfluss auf die Auswirkungen der Erkrankung zu haben (Marcus 2004). Schmerz und Adipositas können gemeinsame Auslöser (z. B. Vermeidung körperlicher Aktivität in der modernen Gesellschaft: „Wohlstandssyndrom“, Stress, depressive Stimmung) haben (Cooper 2008). In diesem Zusammenhang potenzieren sich bei Schmerz und Adipositas die einzelnen Ursachen und müssen in einem multimodalen schmerztherapeutischen Setting mit den Patienten gesondert bearbeitet werden. Die Reduktion beider Auslöser kann insgesamt zu einer deutlichen Verbesserung führen. Zusätzlich bestehen zwischen der Schmerzerkrankung und der Adipositas oftmals Gemeinsamkeiten bezüglich bestimmter Persönlichkeitsmerkmale. So zeigen Patienten mit chronischen Schmerzen und/oder adipöse Patienten nicht selten (mod. nach Cooper et al. 2008): 1. mangelhafte Lösungsfähigkeiten für Probleme, 2. gering ausgeprägte bestimmte soziale Fähigkeiten (z. B. Ablehnung bzw. „Nein-Sagen“), 3. eine Störung des Körperschemas und ein negatives Selbstbild, 4. dysfunktionale Überzeugungen (nur das Genügen eines Schönheitsideals ist die Voraussetzung für ein positives Persönlichkeitsverständnis) und 5. eine verzerrte Selbstwahrnehmung, die zu einer Entwertung positiver Aspekte des eigenen Selbst, zu einer selektiven Aufmerksamkeit und zu einem Übergeneralisieren führen kann. Weiterhin bestehen zwischen Schmerzerkrankung und Adipositas Ähnlichkeiten im Reaktionsverhalten auf bestimmte Situationen bzw. mögliche Konflikte. So sind beiden Gruppen ein Vermeidungsverhalten (z. B. bezüglich körperlicher und sozialer Aktivitäten), dysfunk-
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tionale Gedankengänge (z. B. somatisches Krankheitsverständnis, mangelnde Kontrollüberzeugung) sowie negative Effekte zur Stimmungssteigerung bzw. zum Lustgewinn (z. B. Essen) zuzuordnen. Aus therapeutischer Sicht sind gewichtsreduzierende und physiotherapeutisch unterstützte Aktivitätsverfahren zu empfehlen. Weiterhin muss eine individuell und an der Wirkung orientierte Medikamentenkombination und Medikamentendosierung erfolgen. Außerdem gilt es, mithilfe schmerzpsychologischer Unterstützung, Vermeidungsverhalten zu reduzieren, positive Aktivitäten aufzubauen und zu verstärken, eine Korrektur dysfunktionaler Überzeugungen mithilfe kognitiver Therapieverfahren anzustreben und Problemlösungsstrukturen und Stressbewältigungsverfahren zu erarbeiten sowie den Aufbau sozialer Kompetenz anzustreben. Die Akutschmerztherapie bei adipösen Patienten muss sowohl im Allgemeinen als auch im perioperativen Setting immer einen individuellen und differenzierten, an die spezielle Situation des Patienten adaptierten, Ansatz beinhalten. Ein Verzicht auf Analgetika wegen möglicher Nebenwirkungen im Zusammenhang mit der Adipositas sollte insgesamt obsolet sein. Ein kausaler Zusammenhang zwischen Adipositas und verstärkten akuten Schmerzen bzw. einer erhöhten Inzidenz für Schmerzen konnte in früheren Untersuchungen nicht gefunden werden, so dass aufgrund einer erhöhten Schmerzinzidenz bei adipösen Patienten sicher keine erhöhte Analgetikagabe resultieren muss. Allerdings ist wie bei Normalgewichtigen Patienten auch die Kombination verschiedener Medikamente und verschiedener Therapieverfahren erstrebenswert; hierdurch kann Nebenwirkungspotential einzelner Substanzen reduziert werden. Zusätzlich sollte wegen möglicher Nebenwirkungen von Beginn an eine ausreichende und antizipatorische Therapie (z. B. Obstipation) erfolgen. Diese steht auch in Zusammenhang mit den Besonderheiten der Persönlichkeitsmerkmale adipöser Patienten (s. oben). Eine gefürchtete Komplikation in der Akutschmerztherapie adipöser Patienten ist die Gefahr der Atemdepression. Eine Monotherapie mit Opioid-Analgetika sollte in diesem Zusammenhang vermieden werden und weiterhin sollte die Medikationsdosierung nicht an das Gesamtkörpergewicht der Patienten angepasst sondern an der Wirkung adaptiert werden. Außerdem ist die Monitorüberwachung des Patienten in der Einstellungsphase der medikamentösen Schmerztherapie auch auf einer Normalpflegestation zu gewährleisten. Gerade in der perioperativen Schmerztherapie gilt es bei adipösen Patienten besonders, die Möglichkeiten regionaler Anästhesieverfahren auch für die postoperative Schmerztherapie zu nutzen. Die Neigung, körperliche Aktivitäten zu vermeiden, besteht auch bei adipösen Patienten mit akuten Schmerzen. Aus diesem Grund ist die frühzeitige Integration physiotherapeutischer und ggf. auch psychosomatischer Expertise in die Therapie ratsam. So kann auch bei adipösen Patienten die Gefahr einer Chronifizierung durch die Integration eines stationären multimodal orientierten schmerztherapeutischen Settings reduziert werden.
Demenz Demenz ist kein Analgetikum, auch wenn manche Autoren mit zunehmendem Schweregrad der Demenz eine Abnahme der Schmerzhäufigkeit belegt haben (Reynolds et al.). Andererseits wurde gerade in den letzten Jahren durch etliche Untersuchungen unterstrichen, dass Menschen mit Demenz durch Schmerzen in ihrem Verhalten erheblich negativ beeinflusst werden (Basler et al.). Menschen mit Demenz werden wahrscheinlich immer noch nicht schmerztherapeutisch ausreichend versorgt. Konkrete therapeutische Maßnahmen für die Gruppe der an Demenz Erkrankten werden bisher aus Erkenntnissen abgeleitet, die bei jüngeren, kognitiv kompetenten Schmerzpatienten gewonnen wurden. Bisher wurde der multimodale Gesamtansatz bei Menschen mit Demenz wissenschaftlich nicht ausreichend geprüft. Tiefere Erkenntnisse liegen im Bereich des Erkennens von Schmerzen vor (Zwakhalen et al.). Allerdings fällt bereits bei mittelschwerer Ausprägung der Demenz die
Differenzierung von nozizeptivem zu neuropathischem Schmerz oder von akutem vs. chronischem Schmerzproblem schwer (Schuler et al.). Nach Meinung des Autors wird auch bei akuteren Schmerzen ein multidimensionales Schmerzkonzept erfolgreicher sein als ein eindimensionaler Ansatz. Eine solche interdisziplinäre Therapie wird momentan vor allem in geriatrischen Rehabilitationseinrichtungen durchgeführt mit recht guter Evidenz nach Schlaganfall und nach Frakturen (Specht et al.), ohne allerdings spezifische schmerztherapeutische Interventionen und Schmerzverläufe geprüft zu haben. Es ist bei Menschen mit Demenz unklar, welche Komponenten einer üblichen multimodalen Schmerztherapie, mit welcher Intensität und bei welchen Schmerzerkrankungen benötigt werden. Im Bereich der psychologischen Schmerztherapie wird eher nihilistisch gedacht, auch wenn entspannende Verfahren durchaus anwendbar erscheinen. Dass Menschen mit Demenz progredient erfolgreich trainieren können, wurde gerade in einer kontrollierten Untersuchung gezeigt (Schwenk et al.). 20 von anfänglich 26 Patienten im mittleren Alter von 80,4 Jahren konnten das gesamte Programm absolvieren. Der Minimental-Status betrug durchschnittlich 21 von 30 möglichen Punkten (Grenzbereich zwischen einer leichten und mittelschweren kognitiven Beeinträchtigung). Bei den verschiedenen Ätiologien der Demenz, der sich daraus ergebenden Unterschiede in zentralen Verarbeitungsprozessen von Schmerzreizen, der möglichen Veränderungen von Opioid- und anderen Rezeptoren und der Signaltransduktion und aufgrund des äußerst geringen Erkenntnisstandes dieser Zusammenhänge stellt die Verordnung und Überwachung zentral wirksamer Analgetika und Co-Analgetika eine besondere Herausforderung dar (Schuler, Razus, und Oster). Bei der in den nächsten Jahren erwarteten kontinuierlichen Zunahme Demenz-Erkrankter und der Häufigkeit von Schmerzen in der älteren Bevölkerung ist eine Suche nach erfolgreichen Behandlungskonzepten mit dem Ziel von möglichst großer Selbständigkeit und Lebensqualität sinnvoll und dringlich. Diese Konzepte sollten sowohl in Einrichtungen der Altenhilfe (überwiegend Menschen mit ausgeprägterer Demenz), in Krankenhäuser und Rehabilitationskliniken wie auch in der häuslichen Umgebung (überwiegend leichtere Demenzformen) angewendet werden können. 1. Basler HD et al. Beurteilung von Schmerz bei Demenz (BESD). Der Schmerz 20 (2006): 519–26. 2. Cooper Z, Fairburn CG, Hawker DM. Kognitive Verhaltenstherapie der Adipositas: Ein Manual in neun Behandlungsmodulen. Schattauer Verlag, 1. Auflage, 2008. 3. Marcus DA. Obesity and the Impact of Chronic Pain. Clin J Pain 2004; 20: 186–191. 4. Reynolds KS et al. Disparities in pain management between cognitively intact und cognitively impaired nursing home residents. Journal of Pain and Symptom Management 35; 2008: 388–96. 5. Schuler M et al. Acute and chronic pain in geriatrics: Clinical characteristics of pain and the influence of cognition. Pain Medicine 5; 2004: 252–61. 6. Schuler M, Razus D, Oster P. Complaints under analgesics. The difficult interpretation by older patients. Der Schmerz 23; 2009: 121–33. 7. Schwenk M et al. Dual-task performances can be improved in patients with dementia. Neurology 74; 2010: 1961–68. 8. Specht N, et al. Case management and functional outcome in persons aged 65 years and over with hip fracture. Der Unfallchirurg 106; 2003: 207–14. 9. WHO. Obesity: preventing and managing the global epidemic. Report of a WHO-Consultation. In: WHO Technical Report Series. 894, 2000. 10. Zwakhalen SM et al. Pain in elderly people with severe dementia: A systematic review of behavioural pain assessment tools. BioMed Central Geriatrics 2006; 6: 1–15.
Andere Schmerzsyndrome SY 43 Seltene Erkrankungen: Multimodale Ansätze der Schmerzthera pie und Palliativversorgung B. Zernikow1, J. Semler2 1Vestische Kinder- und Jugendklinik- Universität Witten/Herdecke, Vodafone Stiftungsinstitut und Lehrstuhl für Kinderschmerztherapie und Pädiatrische Pallia, Datteln, Deutschland, 2Uni-Kinderklinik Köln, Kinderpoliklinik, Endokrinologe und Osteologe, Köln, Deutschland Über 4 Mio. Menschen leiden in Deutschland an einer von mehr als 5000 auch als „Orphan Disease“ bezeichneter seltener Erkrankung (SE). Man spricht dann von selten, wenn einer solchen nicht mehr als 5 von 10.000 Menschen erkrankt sind. Viele dieser Krankheiten gehen mit starken Schmerzen einher. Die Problematik der SE im bundesdeutschen Versorgungssystem sowie die Vernetzungsarbeit der ACHSE werden im ersten Vortrag behandelt. Als klassisches Beispiel für seltene Erkrankungen, die mit Schmerzen und Lebensverkürzung einhergehen gelten die Epidermolysis bullosa (EB) und die Osteogenesis imperfecta. Bei der EB handelt es sich um eine Gruppe von erblichen blasenbildenden Hauterkrankungen. Schmerzen und Lebensverkürzung treten vor allem bei schweren EB Formen wie z. B. der junktionalen EB und der rezessiv vererbten dystrophen EB auf. Rezidivierend akute Schmerzen bei EB haben vielfältige Ursachen, neben schmerzhaften Blasen der Haut, Wunden im Mund und in der Speiseröhre, sowie Wunden im Endarm und Analbereich, die eine schmerzhafte Defäkation verursachen auch Kontrakturen der Gelenke, Verbandswechsel und schmerzhafte chirurgische Eingriffe. Chronische Schmerzen entstehen auf der Basis von Pseudosyndaktylie, Vernarbungen, Kontrakturen (perioral), Osteopenie (mit Spontanfrakturen), Zahndefekten, kornealen Ulzerationen und immer wieder auftretenden malignen Tumoren. Möglichkeiten der multiprofessionellen Schmerztherapie und Palliativversorgung aber auch die Notwendigkeit einer fächerübergreifenden Vernetzung werden fallbasiert vorgestellt. Bei der Osteogenesis imperfecta (OI) liegt ein genetischer Defekt vor - am häufigsten in den Molekülketten des Kollagentyps I, der eine Osteoporose zur Folge hat. Die klinische Präsentation reicht von einer leicht erhöhten Knochenbrüchigkeit bis zur fast vollständig fehlenden Knochenmineralisation, die perinatal zum Tode führt. Pathognomonisch sind starke Knochenschmerzen unabhängig von Frakturen und Frakturschmerzen. Die Therapie ist multimodal. Pharmakologisch spielen Bisphosphonate eine immer größere Rolle.
Stellenwert invasiver Verfahren SY 44 Interventionen am Sympathikus M. Zenz1, V. Huge2, E. Krumova3, G. Wasner4 1Ruhr-Universität Bochum, Bochum, Deutschland, 2Klinikum der Universität München, Klinik für Anaesthsiologie, München, Deutschland, 3BG Universitätsklinikum Bergmannsheil, Schmerzklinik, Bochum, Deutschland, 4Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel, Klinik für Neurologie, Kiel, Deutschland Die Interventionen am Sympathikus waren die ersten Schmerzeingriffe der Neuzeit. Berühmte Chirurgen führten die Eingriffe zur Schmerzlinderung und Gefäßerweiterung nicht nur operativ durch, sondern schon früh auch durch Infiltration mit Lokalanästhestika am Sympathikus [1]. Auch berühmte Herz- und Gefäßchirurgen beteiligten sich schon vor Bonica an diesen therapeutischen Maßnahmen [2]. Nach einem dieser Chirurgen hat man das Krankheitsbild damals als Der Schmerz · Supplement 1 · 2011
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Abstracts Sudeck-Leriche-Syndrom bezeichnet. Bonica hat 1951 auf die Rolle der Sympathikusblockaden hingewiesen und geschrieben: „It is generally agreed that, like major causalgias, these conditions involve the sympathetic nervous system, and blocking the sympathetic ganglia which supply the affected part will temporarily improve the condition. In some cases a series of blocks will effect permanent relief, particularly if these are done early.” [3] Seit dieser Zeit hat sich vieles geändert, nicht nur die Namen der Krankheitsbilder. Es ist aber immer noch vieles offen und Gegenstand der lebhaften Forschung.
Warum wirken Sympathikusblockaden analgetisch? Trotz der verbreiteten Anwendung von Sympathikusblockaden zur Reduktion neuropathischer Schmerzen ist der sympathisch unterhaltene Schmerz (SMP) sowohl aus wissenschaftlicher als auch aus klinischer Sicht umstritten. Eine wichtige Frage an die Grundlagenforschung ist, warum Sympathikusblockaden wirksam sind. Die Frage ist berechtigt, denn unter physiologischen Bedingungen ist zwar die Interaktion, dass Schmerz zu Veränderungen der autonomen Funktionen führt, gut bekannt. Sichere Hinweise für eine Kopplung in umgekehrter Richtung, so dass Aktivität in sympathischen Nervenfasern zu Schmerzen führt, sind nicht so offensichtlich. Um das genauer zu erforschen, wurden verschiedene humanexperimentelle Untersuchungen durchgeführt, in denen die Aktivität der verschiedenen sympathischen Efferenzen kontrolliert moduliert und der Einfluss auf Spontanschmerzen in verschiedenen experimentellen Schmerzmodellen getestet wurde. Die Untersuchungen zeigten, dass sympathische Aktivität keinen Einfluss auf akut sensibilisierte kutane Hitze- oder Kälte-sensible Schmerzfasern oder Nozizeptoren in der Muskulatur hat [4, 5, 6]. Die Befunde sprechen dafür, dass es physiologischerseits keine sympathisch-afferente Kopplung gibt, bei der sympathische Neurone die Aktivität von Nozizeptoren verstärken. In einem weiteren humanexperimentellen Ansatz wurden Patienten mit einem Komplexen Regionalen Schmerzsyndrom (CRPS) untersucht, die positiv auf Sympathikusblockaden angesprochen haben, also durch das Symptom des SMP charakterisiert waren. Es ließ sich zeigen, dass Spontanschmerz und mechanische Allodynie dieser Patienten durch kontrollierte Aktivierung der sympathischen Vasokonstriktorneurone zur Haut mittels eines Thermoanzuges verstärkt wurden [7]. Das spricht für eine pathologische sympathisch-nozizeptive Kopplung bei den Patienten als Ursache für den SMP. Histologische Untersuchungen konnten zeigen, dass nach einer Nervenläsion sympathische Efferenzen im Spinalganglion aussprossen und sich um die sensorischen Nervenzellkörper legen. Durch elektrische Stimulation des Sympathikus ließen sich die sensorischen Neurone aktivieren [8]. Dies kann einerseits Folge einer Neu-Expression von Noradrenalin-Rezeptoren auf den sensiblen Neuronen sein, andererseits auch durch sympathische Vasokonstriktion mit entsprechender relativer Ischämie bedingt sein. Eine vermehrte Expression von Adrenorezeptoren konnte nach Läsion prä- und postganglionärer sympathischer Fasern auf Gefäßen gezeigt werden [9]. Interessanterweise findet man bei den CRPS-Patienten im akuten Stadium tatsächlich eine deutlich reduzierte Aktivität sympathischer Nervenfasern, die die Ausbildung solcher Rezeptoren fördern würde.
Erfolgs- und Verlaufskontrollen nach Sympathikusblockaden Der sympathisch unterhaltene Schmerz (SMP) ist keine eigenständige Diagnose, sondern ein Merkmal verschiedener Erkrankungen. Klinische Zeichen wie eine Allodynie, Kältehyperalgesie oder sympathische Dysfunktion (z. B. verminderte Hauttemperatur oder vermehrte Schweißsekretion) sind weder spezifisch noch sensitiv für die Beteiligung des sympathischen Nervensystems an der Schmerzunterhaltung. Somit ist die Diagnosestellung eines SMP nur durch eine lang anhaltende Analgesie nach diagnostischer Sympathikusblockade möglich.
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Bei den diagnostischen Sympathikusblockaden sind hohe Standards in der Bewertung der Effektivität zu stellen, um mögliche falsch positive oder falsch negative Ergebnisse zu vermeiden. Dabei muss eine selektive Ausschaltung des Sympathikus erfolgen, erfasst durch einen lang anhaltenden Hauttemperatur- und Blutflussanstieg und unterbrochene Schweißsekretion im Ninhydrin-Test. Insbesondere bei Stellatumblockaden ist bekannt, dass in bis zu 73% der Fälle die Sympathikusaktivität an der oberen Extremität nicht erfolgreich ausgeschaltet werden konnte, unabhängig von der Erfahrung des Arztes [10, 11, 12, 13, 14]. Außer einer Fehlausbreitung des lokalen Anästhetikums können anatomische Varianten wie z. B. das Vorhandensein eines Kunzt‘schen Nerves von den sympathischen Ganglien in Höhe T2 und T3 direkt zum Plexus brachialis ein Grund für die hohe Rate erfolgloser Stellatumblockaden sein. Diese Fasern können erst bei einer CT-gesteuerten Blockade des thorakalen Grenzstrangs in Höhe T3 ausgeschaltet werden. Im Gegensatz dazu ist eine fehlende Ausschaltung der sympathischen Aktivität nach CT- oder fluoroskopisch gesteuerten thorakalen oder lumbalen Sympathikusblockade seltener [13, 14, 15]. Die zweite Voraussetzung für die diagnostische Verwertbarkeit von Sympathikusblockaden ist die isolierte Unterbrechung der sympathischen Aktivität ohne Beeinträchtigung der sensorischen oder motorischen Funktion, die durch eine detaillierte klinische Untersuchung (unveränderte oder verbesserte thermische und taktile Wahrnehmungsschwellen, keine motorische Ausfälle) geprüft werden muss. Da die sympathischen Ganglien, außer im Thoraxbereich, durch Muskeln und Faszien räumlich von den somatischen Nerven getrennt liegen, wird das als machbar eingeschätzt. Jedoch gibt es Hinweise [13, 16], dass es in einzelnen Fällen zur Verschlechterung der Wahrnehmung von thermischen oder mechanischen Reizen nach Sympathikusblockaden durch Blockade sensibler Nervenfasern kommen kann. In solchen Fällen ist eine Schmerzlinderung nach Blockade diagnostisch nicht verwertbar. Zusätzlich sollte die Schmerzintensität vor und 8 bis 24 Stunden nach der Blockade in einem Tagesprotokoll vom Patienten regelmäßig dokumentiert werden. Bei einem SMP sollte die Schmerzlinderung nach einer Sympathikusblockade mindestens so lange anhalten, wie die Pharmakokinetik des injizierten Lokalanästhetikums erwarten lässt, um eine falsch positive Aussage durch kurzfristige Placeboeffekte zu vermeiden [17]. Wenn der schmerzlindernde Effekt der diagnostisch verwertbaren Sympathikusblockaden mit eine selektive Ausschaltung des Sympathikus ohne Beteiligung von sensiblen Nervenfasern reproduzierbar ist, ist eine therapeutische länger anhaltende Blockade indiziert. Trotz der schwachen Evidenz und die nicht ausreichende Studienlage, profitieren einzelne Patienten enorm von den Sympathikusblockaden, die dann zu einer Besserung des Spontanschmerzes, der Hyperalgesie sowie der Funktion führen und eine wichtige Therapieoption darstellen. Bei Wiederauftreten von Schmerzen nach Sympathektomie oder Grenzstrangneurolyse sollte jedes Mal z. B. mittels eine Langzeithauttemperaturmessung und Ninhydrin-Test erneut geprüft werden, ob die sympathische Aktivität im entsprechenden Areal tatsächlich noch ausgeschaltet ist.
Komplikationen der Sympathikusblockade Die Kenntnis und Beherrschung der allgemeinen und speziellen Komplikationen der Sympathikusblockaden gehört zu den Voraussetzungen einer sicheren Anwendung dieser Verfahren.
Allgemeine Komplikationen Hierzu zählen Nebenwirkungen der applizierten Lokalanästhetika oder Opioide, wie beispielsweise das Auftreten einer anaphlyaktischen Medikamentenreaktion oder einer Lokalanästhetikaintoxikation nach akzidentieller Überdosierung oder intravasaler Substanzgabe. Des Weiteren kann es, wie bei allen invasiven Blockadeverfahren, sowohl
zu Infektionen als auch zu peri- und postinterventionellen Blutungen kommen.
Spezielle Komplikationen bei Blockaden des Ganglion stellatum Eine versehentliche Injektion von Lokalanästhetika in die A. vertebralis mit nachfolgendem generalisiertem Krampfanfall stellt die häufigste, und zugleich auch eine potentiell lebensbedrohliche Komplikation einer Stellatumblockade dar. Maier und Wulf berichteten in einer Zusammenstellung der Komplikationen von mehr als 45.000 Sympathikusblockaden verschiedener Kliniken über das Auftreten dieser Komplikation in 1,1% der Fälle (18). Van Eijs und Mitarbeiter geben die Inzidenz schwerer Komplikationen nach Stellatumblockaden hingegen nur mit 0,17% der Fälle an [19]. Eine hohe Spinalanästhesie trat nach Maier und Wulf in etwa 0,36% der berichteten Fälle auf. Weitere spezielle Komplikationen wie das Auftreten eines Pneumothorax oder einer epiduralen Lokalanästhetikaausbreitung wurden hingegen weitaus seltener beobachtet (0,2% bzw. 0,07% der berichteten Fälle). Ebenso wurden Fälle von Phrenicusblockaden dokumentiert. Einzelfälle von Osteomyelitis nach multiplen Stellatumblockaden traten ebenfalls auf. Zu den zu erwartenden typischen Nebenwirkungen der Stellatumblockade zählen das Auftreten eines Horner-Syndroms, eine Schwellung der Nasenschleimhaut, Heiserkeit durch Blockade des N. recurrens, sowie eine Anhydrose von Gesicht und Arm.
Spezielle Komplikationen bei Blockaden des lumbalen Sympa thikus Nach Sympathikusblockade einer unteren Extremität kann es zu einer vasodilatationsbedingten Hypotonie kommen. Das Auftreten einer Affektion des N. ilioinguinalis oder des N. genitofemoralis wird in der Literatur mit einer Häufigkeit von 5–10% angegeben. Zudem sind Fälle von ausgeprägten retroperitonealen Blutungskomplikationen, vor allem bei Patienten mit nachfolgender Antikoagulation, in der Literatur berichtet worden [20].
Generelle Monitoring- und Sicherheitsmaßnahmen Hierzu gehört zunächst die Anlage eines sicheren intravenösen Zugangs vor Beginn der Prozedur. Des Weiteren sollten eine kontinuierliche Überwachung der Herzfrequenz, des Blutdrucks sowie eine pulsoxymetrische Überwachung der Sauerstoffsättigung sichergestellt sein. Zudem sollte bei Auftreten möglicher Komplikationen jederzeit die Möglichkeit bestehen, rasch kardiopulmonale Wiederbelebungsmaßnahmen und ggf. eine Sicherung der Atemwege mittels Intubation durchführen zu können. Eine lumbale Sympathikusblockade muss unter radiologischer oder gegebenenfalls auch sonographischer Bildkontrolle erfolgen. Aber Blockaden bei chronischem Schmerz sind nicht alles. Schon vor 60 Jahren hat Bonica auf den interdisziplinären Charakter von Diagnostik und Therapie hingewiesen. „It is important to remember that pain has a great, psychological element, treatment of which is as essential as the interruption of pain pathways, or more so.” [3] Der Beitrag von Wasner wurde unterstützt durch: National Health and Medical Research Council of Australia (NHMRC), EFIC-GrünenthalGrant (EGG) und State Ministry for Science and Education of Schleswig-Holstein 1. Leriche, R., Kunlin, J., (1934). Traitement immédiat des phlébites post-opératoires par l‘infiltration novocaïnique du sympathique lombaire Presse med., 42: 1481 2. Ochsner, A., Debakey, M.(1941) Therapeutic considerations of thrombophlebitis and phlebothrombosis. New England J. Med., 225: 207 3. Bonica JJ. (1951) The role of the anesthesiologist in the management of intractable pain. (http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/14859154) Can
Med Assoc J. 65(2):103–7 4. Wasner G, Binder A, Kopper F, Baron R. No effect of sympathetic sudomotor activity on capsaicin-evoked ongoing pain and hyperalgesia (http://www. ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/10666538). Pain. 2000 Feb;84(2–3):331–8. 5. Baron R, Wasner G, Borgstedt R, Hastedt E, Schulte H, Binder A, Kopper F, Rowbotham M, Levine JD, Fields HL. Effect of sympathetic activity on capsaicin-evoked pain, hyperalgesia, and vasodilatation.( http://www.ncbi.nlm. nih.gov/pubmed/10102407) Neurology. 1999 Mar 23;52(5):923–32 6. Wasner G, Bréchôt A, Schattschneider J, Allardt A, Binder A, Jensen TS, Baron R. Effect of sympathetic muscle vasoconstrictor activity on capsaicin-induced muscle pain.( http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/12115956) Muscle Nerve. 2002 Jul;26(1):113–21. 7. Baron R, Schattschneider J, Binder A, Siebrecht D, Wasner G. (http://www. ncbi.nlm.nih.gov/pubmed?term=%22Binder%20A%22%5BAuthor%5D) Relation between sympathetic vasoconstrictor activity and pain and hyperalgesia in complex regional pain syndromes: a case-control study. Lancet. 2002 May 11;359(9318):1655–60. 8. McLachlan EM, Jänig W, Devor M, Michaelis M. Peripheral nerve injury triggers noradrenergic sprouting within dorsal root ganglia. (http://www.ncbi. nlm.nih.gov/pubmed/8505981) Nature. 1993 Jun 10;363(6429):543–6 9. Wasner G. (http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed?term=%22Wasner%20 G%22%5BAuthor%5D) (2010) Vasomotor disturbances in complex regional pain syndrome – a review. Pain Med. 11(8):1267–73. 10. Erickson SJ, Hogan QH. CT-guided injection of the stellate ganglion: description of technique and efficacy of sympathetic blockade.( http://www. ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/8351337) Radiology. 1993 Sep;188(3):707–9 11. Hogan QH, Taylor ML, Goldstein M, Stevens R, Kettler R. (http://www.ncbi. nlm.nih.gov/pubmed?term=%22Hogan%20QH%22%5BAuthor%5D) Success rates in producing sympathetic blockade by paratracheal injection Clin J Pain. 1994 Jun;10(2):139–45. 12. Schürmann M, Gradl G, Wizgal I, Tutic M, Moser C, Azad S, Beyer A. Clinical and physiologic evaluation of stellate ganglion blockade for complex regional pain syndrome type I.( http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/11289093) Clin J Pain. 2001 Mar;17(1):94–100. 13. Krumova et al., Regional anesthesia and pain medicine 2011. In press. 14. Tran KM, Frank SM, Raja SN, El-Rahmany HK, Kim LJ, Vu B. Lumbar sympathetic block for sympathetically maintained pain: changes in cutaneous temperatures and pain perception.(http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/10825327) Anesth Analg. 2000 Jun;90(6):1396–401. 15. Schmid MR, Kissling RO, Curt A, Jaschko G, Hodler J. Sympathetic skin response: monitoring of CT-guided lumbar sympathetic blocks. (http://www. ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/17005774) Radiology. 2006 Nov;241(2):595–602 16. Dellemijn PL, Fields HL, Allen RR, McKay WR, Rowbotham MC. The interpretation of pain relief and sensory changes following sympathetic blockade. (http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/7820581) Brain. 1994 Dec;117 ( Pt 6):1475–87 17. Price DD, Long S, Wilsey B, Rafii A. Analysis of peak magnitude and duration of analgesia produced by local anesthetics injected into sympathetic ganglia of complex regional pain syndrome patients. Clin J Pain 1998;14(3):216– 26 18. Wulf H, Maier C: Komplikationen und Nebenwirkungen bei Blockaden des Ganglion stellatum. Anaesthesist 1992; 41: 146–51 19. van Eijs F, Stanton-Hicks M, Van Zundert J, Faber CG, Lubenow TR, Mekhail N, van Kleef M, Huygen F: Evidence-based interventional pain medicine according to clinical diagnoses. 16. Complex regional pain syndrome. Pain Pract; 11: 70–87 20. Maier C, Gleim M, Weiss T, Stachetzki U, Nicolas V, Zenz M: Severe bleeding following lumbar sympathetic blockade in two patients under medication with irreversible platelet aggregation inhibitors. Anesthesiology 2002; 97: 740–3
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Abstracts Kopfschmerz SY 45 Ist das noch Migräne? Das Spektrum der migräneartigen Er krankungen S. Evers1, S. Förderreuther2, O. Summ3 1Universitätsklinikum Münster, Klinik und Poliklinik für Neurologie, Münster, Deutschland, 2Klinikum der Universität München, Neurologische Klinik und Poliklinik, München, Deutschland, 3Universitätsklinikum Münster, Klinik und Poliklinik für Neurologie, Münster, Deutschland Es gibt eine Reihe von Phänomenen, Syndromen und Erkrankungen, die zum sog. Migränespektrum gezählt werden. Hierunter versteht man Symptome und Krankheitsbilder, die nicht den Kriterien der International Headache Society für eine Migräne entsprechen, die aber entweder nach semiologischen oder nach pathophysiologischen Kriterien mit einer Migräne in Verbindung gebracht werden können. Dies gilt insbesondere für Phänomen aus dem Spektrum der Migräneaura. Eine Auseinandersetzung mit diesem Spektrum führt zum Einen zu einer Schärfung der diagnostischen Einordnung von Auraphänomenen und Kopfschmerzen und trägt zum Anderen zu einem erweiterten Verständnis von trigeminaler Schmerzverarbeitung und von den kortikalen Mechanismen der Migräneaura bei. Das sog. Migränespektrum berührt auch Fragen der formalen Kopfschmerzklassifikation und damit der epidemiologischen Forschung. So ist z. B. nicht abschließend geklärt, wie Krankheitsbilder eingeordnet werden, die zwar formal die Kriterien einer Migräne erfüllen, aber bei denen eine zugrundeliegende Ursache gefunden werden kann. Ein anderes Beispiel sind Symptome oder Syndrome wie z. B. bestimmte Ataxien oder Epilepsien, die durch solche Mutationen verursacht werden, die gleichzeitig auch zu reinen Migräneattacken führen. Ein Ansatzpunkte, das Spektrum der migräneartigen Erkrankungen zu beleuchten, ist die Lebenszeitperspektive. So gibt es in der Kindheit und Jugendzeit eine Fülle von Syndromen, die als Vorläufer der Migräne gelten. Hierzu gehören das zyklische Erbrechen, die abdominelle Migräne und der gutartige paroxysmale Schwindel. Aber auch derzeit nicht in der IHS-Klassifikation aufgenommene Syndrome wie der paroxysmale Torticollis, die alternierende Hemiplegie der Kindheit und das Alice-im-Wunderland-Syndrom können zu diesem Spektrum gezählt werden. Allen ist gemeinsam, dass sie überzufällig häufig mit Migräne assoziiert sind oder in eine solche übergehen können. Aber auch in weiteren Lebensphasen kann es zu Phänomenen kommen, die nicht typischerweise einer Migräne zugeordnet werden können. Hierzu gehören z. B. Kopfschmerzen in bestimmten hormonellen Situationen im Leben einer Frau (Hormonsubstitution, Schwangerschaft, Menopause). Für das höhere Lebensalter ist eine Häufung von isolierten Auren beschrieben, die in der Literatur den Begriff „late-life migraine“ erhalten hat. Hier ist zu fragen, warum bei manchen Menschen erst spät im Leben kortikale Phänomene auftreten. Eine andere Perspektive auf migräneartige Erkrankungen stellen die so genannten Overlap-Syndorme dar, bei denen es zu einer Vermischung von Symptomen verschiedener idiopathischer Kopfschmerzerkrankungen oder anderer Erkrankungen kommt. So wird z. B. der Begriff Clustermigräne in der wissenschaftlichen Literatur sowohl für einen Clusterkopfschmerz mit Migränesymptomen als auch für eine Migräne mit Clusterkopfschmerzsymptomen verwendet. Die faziale Migräne kann auch die Kriterien für einen anhaltenden idiopathischen Gesichtsschmerz erfüllen. In der Definition der wahrscheinlichen Migräne findet sich ein dynamischer Übergang zum Kopfschmerz vom Spannungstyp. So kann derselbe Kopfschmerz bei einer bestimmten Symptomkonstellation sowohl die Kriterien für eine wahrscheinliche Migräne als auch für einen wahrscheinlichen Kopfschmerz vom Spannungstyp erfüllen. Hier ist zu fragen, ob Biomarker existieren, die eine Migräneveranlagung anzeigen, auch wenn die Kriterien nicht vollständig erfüllt sind. Weitere solche Overlap-Syndrome sind z. B. die
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Migralepsie (z. T. die Verbindung von Migräne und Epilepsie) und die Pseudomigräne (z. T. die Verbindung von Migräne und Meningitis). Es ist jeweils im Einzelfall zu hinterfragen, ob die pathologischen Befunde hinreichend sind, um die Migränesymptome zu erklären. Schließlich gehört zu diesem Overlap auch das Phänomen, dass dieselbe Mutation bei der hemiplegischen Migräne sowohl typische Migräneattacken als auch anderen Syndrome verursachen kann. Eine wiederum andere Perspektive kann eingenommen werden, wenn man die verschiedenen Manifestationen der migräneartigen Erkrankungen am Auge untersucht. So gibt es isolierte Auraformen, die sich nur visuell manifestieren wie z. B. die typische visuelle Aura und die retinale Migräne. Aber auch Doppelbilder können im Rahmen einer Migräne vom Basilaristyp auftreten. Weiterhin müssen Syndrome berücksichtigt werden, deren Beschwerden denen einer typischen Migräne entsprechen, die aber zumeist eine rein entzündliche Ursache haben. Hierzu gehören das Tolosa-Hunt-Syndrom und die ophthalmoplegische Migräne. Ein weiterer Aspekt ist, dass am Auge autonome Symptome auftreten können, die zwar als spezifisch für manche Kopfschmerzerkrankungen gelten (wie z. B. beim Clusterkopfschmerz), die aber auch unspezifisch bei der Migräne auftreten können.
Nachwuchssymposium der DGSS SY 46 Das Nachwuchssymposium der Deutschen Gesellschaft zum Studium des Schmerzes (DGSS) beim Schmerzkongress 2011 W. Magerl1, K. Geörg1, A. Böcker2, E.S. May3, A.K. Bräscher4, E. PogatzkiZahn5 1Zentrum für Biomedizin und Medizintechnik Mannheim (CBTM), Forschungsbereich Neurophysiologie, Medizinische Fakultät Mannheim, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Mannheim, 2Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie, Universität Würzburg, 3Institut für Klinische Neurowissenschaften und Medizinische Psychologie, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, 4Labor für Klinische Psychophysiologie, Otto-Selz-Institut, Universität Mannheim, 5Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin, Universitätsklinik Münster Die DGSS unterstützt seit 2008 die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchs in der Schmerzforschung gezielt mit der Einführung einer Akademie für junge Wissenschaftler (Juniorakademie der DGSS; seit 2008) und der Vergabe von Promotionsstipendien für den wissenschaftlichen Nachwuchs, der über schmerzbezogene Themen arbeitet (seit 2009). Aus dem Kreis der Teilnehmer zurückliegender Juniorakademien bzw. der Promotionsstipendiaten wählt die Kommission für Nachwuchsförderung (seit 2009) Redner für das Nachwuchssymposium der DGSS im Rahmen des Deutschen Schmerzkongresses, die die hohe Qualität und wissenschaftliche Relevanz der bearbeiteten Themen repräsentieren. Der nachfolgende Text gibt eine kurze Einführung in die Präsentationen im Rahmen des diesjährigen Nachwuchssymposiums der DGSS. Die analgetische Wirkung von Acetylsalicylsäure (ASS) beruht u. a. auf der irreversiblen Hemmung des Enzyms Cyclooxygenase durch Acetylierung. Verschiedene Hinweise legen jedoch nahe, dass es zusätzlich zur Cyclooxygenase-Hemmung noch einen anderen Wirkmechanismus für ASS und ähnlichen Substanzen geben könnte. So vermindert ASS schnell und reversibel die Aktivierung isolierter Hinterwurzelganglienzellen (DRG) der Ratte durch Capsaicin und noxische Hitze (Kress und Reeh 1996, Greffrath et al. 2002). Als Mechanismus wird eine direkte Interaktion von ASS mit dem nichtselektiven Kationenkanal TRPV1 vermutet, welcher unter anderem auf nozizeptiven Neuronen zu finden ist und der durch schmerzhafte Reize wie Hitze, sauren pH oder Capsaicin aktiviert wird (Caterina et al. 1997).
Kristina Geörg (Zentrum für Biomedizin und Medizintechnik Mannheim CBTM) hat diese Form der Hemmung durch ASS untersucht und stellt die Ergebnisse in Rahmen des Nachwuchssymposiums vor. Zunächst wurde die Dosis-Wirkungskurve der Aktivierung durch Capsaicin in einem heterologen Expressionsystem (HEK-Zellen) mithilfe von Kalzium-Imaging untersucht. Zur weiteren Charakterisierung des Zellsystems und zum Vergleich mit ASS wurde der kompetitive TRPV1-Hemmstoff Capsazepin in steigender Konzentration appliziert. In geringen Konzentrationen zeigte sich eine dosisabhängige Hemmung der TRPV1-Antwort mit einer maximalen Wirkung bei ca. 1 µM. Diese Kinetik passt zu einem vermuteten kompetitiven Wirkmechanismus von ASS am TRPV1 Rezeptor und ist vergleichbar der Wirkung an DRG Neuronen. In höheren Konzentrationen jedoch wird die Hemmung sukzessive weniger wirksam. Ein weiterer denkbarer Mechanismus von ASS ist eine kovalente Modifikation des TRPV1 Rezeptors, ähnlich der Hemmung der Cyclooxygenase. Da auch durch die ASS-Derivate Methylsalicylat und Salicylsäure eine Hemmung der TRPV1-Antwort erfolgt ist der Mechanismus der Hemmung unabhängig von einer Azetylierung am TRPV1. Die gemeinsame Applikation der Hemmer ASS und Capsazepin führte (unerwartet) zum vollständigen Ausbleiben jeglicher Hemmung. Diese Ergebnisse liefern Anhaltspunkte dafür, dass ASS direkt hemmend am TRPV1-Rezeptor wirkt, aber der Mechanismus dieser Wirkungsweise von ASS am TRPV1Rezeptor von einer einfachen kompetitiven Hemmung unterscheiden muss. Die gezielte Blockade von primären nozizeptiven Afferenzen, z. B. im Rahmen der Regionalanästhesie oder zur Behandlung peripherer neuropathischer Schmerzen, ist in vivo stark eingeschränkt, da die die Diffusionsbarriere des Perineuriums das Vordringen hydrophiler Substanzen (z. B. von Opioiden, oder dem Natriumkanalblocker Tetrodotoxin) zu ihrem Wirkort verhindert. Diese Barriere kommt durch Tight-Junction-Verbindungen zwischen Perineuralzellen zustande, an deren Ausbildung Claudin-1 beteiligt ist. Alexander Böcker (Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie, Universität Würzburg) wird in seinem Beitrag experimentelle Methoden zur temporärem Überwindung der Perineuralel Schranke vorstellen. Lokale Injektion von hyperosmolarem NaCl (10%) führt zur vorübergehenden Öffnung des Perineuriums und die. Opioide (z. B. der µ-Rezeptoragonist DAMGO oder der Natriumkanlablocker. Tetrodotoxin können durch perineurale Koinjektion mit 10% NaCl im Tier-Verhaltensexperiment einen analgetischen Effekt auszulösen. Koinjektion mit physiologischer NaCl-Konzentration (0,9%) bewirkt keine Analgesie. Lokale Applikation der Matrixmetalloproteinase MMP9 mit DAMGO führt ebenfalls zu einem Anstieg der nozizeptiven Schwellen. Als möglicher Interaktionspartner von MMP9 konnte das LDL receptor-related protein 1 (LRP-1) im Perineurium nachgewiesen werden. Ziel der Untersuchungen war es, beteiligte Signalkaskaden und deren Auswirkung auf die Expression des an der Ausbildung der Tight-Junction-Verbindungen beteiligte Claudin-1 darzustellen. Dazu wurde an N.-ischiadicus-Präparaten von Wistar-Ratten Expression und Zeitgang von Claudin-1 mittels Immunhistochemie untersucht und die Kinetik der Aktivierung der intrazellulären Signalproteine Erk und Akt im Western Blot dargestellt. Die Gesamtkonzentration von Erk und Akt blieb dabei unverändert. MMP9 führte über ca. 2 h zu einer Aktivierung, z. T. Phosphorylierung, von Erk (pErk) aber nicht von Akt. In Verhaltensexperimenten führte die Injektion des Erk-Inhibitors PD98059 dosisabhängig zur Aufhebung der durch hyperosmolare Koinjektion von NACl induzierten Analgesie. Gleichzeitig war die Expression von Claudin-1 für ca. 4 h vermindert. Diese Untersuchungen belegen, dass die durch hypertone Kochsalzlösung induzierte Permeabilität des Perineuriums ein durch MMP9 regulierter Vorgang ist. Dabei kommt es zu einer vorübergehenden Phosphorylierung von Erk, und einer Interaktion der MMP9 Hemopexin-Domäne mit LRP-1 (Mantuano et al. 2008). Diese Signalprozesse führen zu einer verminderten Expression von Claudin-1, die vermutlich die Ursache der erhöhten Permeabilität des Perineuriums darstellt. Solche Techniken bieten in Zukunft einen
innovativen Ansatz neue hydrophile Medikamente zur selektiven Blockade nozizeptiver Afferenzen in vivo zu nutzen. Die Wahrnehmung von Schmerz führt im menschlichen Gehirn zu einer Unterdrückung spontaner Oszillationen im Alpha- und BetaBand in somatosensorischen, motorischen und visuellen Arealen (Ploner et al. 2006). Dies wird als eine besondere „Alerting“-Funktion des Schmerzes interpretiert. Elisabeth May (Institut für Klinische Neurowissenschaften und Medizinische Psychologie der Universität Düsseldorf) wird eine Studie zur Modulation schmerzassoziierter oszillatorischer Hirnaktivität durch Aufmerksamkeit vorstellen. Es wurden sowohl gesunde Probanden, als auch Patienten mit hepatischer Enzephalopathie (HE) untersucht. Letztere ist eine Hirnfunktionsstörung mit graduell beeinträchtigter Aufmerksamkeitsfunktion, die sich im Rahmen von Lebererkrankungen entwickelt. Neun gesunde Probanden und 24 HE-Patienten absolvierten ein räumliches Aufmerksamkeitsparadigma für Schmerzreize. Schmerzhafte Laserreize wurden zufällig auf den rechten oder linken Handrücken appliziert, während eine Hand beachtet und die andere ignoriert wurde. Auf der beachteten Hand bewerteten die Probanden die Lokalisation der Reize auf der Hand und deren Intensität auf einer Skala von 0-10. Parallel dazu wurde ihre Hirnaktivität mittels Magnetenzephalographie (MEG) gemessen. Mittels Zeitfrequenzanalysen des MEG wurde die oszillatorische Hirnaktivität im Alpha- (8–12 Hz) und Beta-Frequenzband (13–35 Hz) zunächst bei den gesunden Probanden ausgewertet. Unterschiede zwischen beachteten und ignorierten Reizen wurden mittels clusterbasierter Permutationsverfahren statistisch getestet. Die gesunden Probanden bewerteten die Laserreize auf der beachteten Hand konsistent als schmerzhaft (mittlere Schmerzintensität von 3,7). Über beide Hände hinweg wurden 84,9% der Reize richtig lokalisiert, jedoch signifikant mehr für die rechte als für die linke Hand (90,5% vs. 79,2%). In Hinsicht auf oszillatorische Aktivität ergaben sich differenzielle Aufmerksamkeitseffekte. In der Sekunde vor dem Reiz zeigte sich für die linke Hand mit Aufmerksamkeit verstärkte Alpha-Aktivität über dem ipsilateralen primären somatosensorischen Kortex. Dies steht in Einklang mit der postulierten aktiven Hemmung aufgabenirrelevanter Areale durch erhöhte Alpha-Aktivität (Mazaheri und Jensen, 2010). In Übereinstimmung mit einer verstärkten Alerting-Funktion durch Aufmerksamkeit zeigte sich nach dem Reiz eine verringerte Alpha- und Beta-Aktivität. Die vorläufigen Auswertungen der individuellen Schmerzschwellen bei HE-Patienten weisen auf eine verringerte Wahrnehmung von Schmerz in diesem Patientenkollektiv hin. In nächsten Schritten wird untersucht, wie sich die Erkrankung auf die schmerzassoziierte oszillatorische Hirnaktivität und deren Modulation durch Aufmerksamkeit auswirkt. Unsere Schmerzwahrnehmung wird durch zahlreiche Faktoren moduliert, so auch durch die Erwartung günstiger und ungünstiger Wirkungen von Interventionen (Placebo und Nocebo). Solche Effekte sind Gegenstand von Lernprozessen und können u. a. klassisch konditioniert werden. Es ist jedoch unklar, ob die klassische Konditionierung allein Wahrnehmungsprozesse verändern kann. Anne-Kathrin Bräscher (Otto Selz Institut der Universität Mannheim) wird zwei Studien vorstellen, in denen die Hitzeschmerz-Wahrnehmung durch klassische Konditionierung manipuliert und ein Noceboeffekt induziert wurde. Gewöhnlich werden Noceboeffekte anhand subjektiver Ratings untersucht. Dies birgt das Risiko, lediglich die Antwortkriterien der Probanden zu beeinflussen, aber nicht die Wahrnehmung selbst. Daher wurde zusätzlich zu subjektiven Ratings die Hitzewahrnehmung mittels eines Verhaltensmaβes erfasst. An den beiden Studien zur differenziellen klassischen Konditionierung der Hitze-Schmerzwahrnehmung nahmen 21 bzw. 22 gesunde Probanden teil. In einer Lernphase dienten zwei verschiedene nicht-schmerzhafte Temperaturen als Hinweisreize (konditionierte Stimuli), die von einer moderaten und einer gerade schmerzhaften Temperatur (unkonditionierte Stimuli) gefolgt wurden. In der Testphase folgte beiden Hinweisreizen nur die gerade schmerzhafte Temperatur. Der Noceboeffekt wurde untersucht, indem Der Schmerz · Supplement 1 · 2011
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Abstracts Tab. 2 Die zehn meistverkauften rezeptfreien Analgetika nach Packungsmengen im Jahre 2010, ohne Re-Importe (nach IMS Health 2010) Rang
Präparat
Hersteller
Absatz 2010 in Tsd.
1
Ratiopharm
20.981,3
2
Paracetamol ratiopharm Thomapyrin
9.354,7
3
Aspirin Plus C
Boehringer Ingelheim Bayer
6.709,5
T ab. 3 Die zehn meistverkauften rezeptpflichtigen Analgetika nach Packungsmengen im Jahre 2010, ohne Re-Importe (nach IMS Health 2010) Rang
Präparat
Hersteller
Absatz 2010 in Tsd.
1
Ratiopharm
20.981,3
2
Paracetamol ratiopharm Thomapyrin
9.354,7
3 4 5
Aspirin Plus C Novalgin Tramadol Stada
Boehringer Ingelheim Bayer Sanofi Aventis Stada
6.709,5 1.286,7 1.327,3
behaviorale und subjektive Reaktionen auf die gerade schmerzhafte Temperatur unter Berücksichtigung des Hinweisreizes verglichen wurden. Erhöhte Schmerzratings zeigten eine erfolgreiche Konditionierung der subjektiven Wahrnehmung in beiden Studien nur in einer Subgruppe von Probanden (Studie 1: n=13/21; Studie 2: n=11/22). Die verhaltensmäßige Wahrnehmungsreaktion wurde ebenfalls erfolgreich konditioniert, allerdings variierte der Effekt abhängig von der subjektiv eingeschätzten Schmerzhaftigkeit der Temperatur: Bei subjektiv nichtschmerzhaften Temperaturen überwog die Habituation, bei subjektiv schmerzhaften dagegen die Konditionierung verstärkter Sensibilisierung der Schmerzwahrnehmung. Dies zeigt eine Hyperalgesie im Sinne eines konditionierten Noceboeffekts an. Sowohl im Verhalten als auch im subjektiven Rating kam es im Lauf des Experiments zu einer Abschwächung der Effekte (Extinktion). Dies zeigt, dass ein Noceboeffekt in der Schmerzwahrnehmung konditioniert wurde, und dass für konditionierte Noceboreaktionen die subjektiv wahrgenommene Stimulusintensität entscheidend ist. Subjektive und behaviorale Maβe der Wahrnehmung erfassen jedoch unterschiedliche Aspekte von Nocebo- bzw. Placeboreaktionen. Die Präsentationen dieses Nachwuchssymposiums zeigen, dass Nachwuchsforscher der DGSS sich kompetent mit einem breiten Spektrum hochaktueller Themen der Schmerzforschung profilieren, das neurobiologische und pharmakologische, sowie kognitive und klinische Arbeiten umfasst. 1. Böcker A, Hackel D, Amasheh S, Fromm M, Brack M, Rittner H (2011). Intrazelluläre Signaltransduktionsprozesse in der Regulation der Permeabilität des Perineuriums im Rahmen der Regionalanästhesie. Der Schmerz 25 Supplement 1, P01.03 2. Bräscher AK, Becker S, Kleinböhl D, Hölzl R (2011) Klassisch konditionierte Hyperalgesie als erlernter Noceboeffekt. Der Schmerz 25 Supplement 1, P02.14 3. Caterina MJ, Schumacher MA, Tominaga M, Rosen TA, Levine JD, Julius D.(1997) The capsaicin receptor: a heat-activated ion channel in the pain pathway. Nature 389: 816–824. 4. Geörg K, Binzen U, Schedel A, Bugert P, Klueter H, Treede RD, Greffrath W (2011). Direkte Wirkung von Azetylsalizylsäure am polymodalen Schmerzrezeptor TRPV1 – ein generelles neues Wirkprinzip für Aspirin®-artige
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Analgetika? Der Schmerz 25 Supplement 1, P01.10 5. Greffrath, W, Kirschstein T, Nawrath H, Treede RD. (2002) Acetylsalicylic acid reduces heat responses in rat nociceptive primary sensory neurons – evidence for a new mechanism of action. Neurosci Lett 320: 61–64. 6. Kress M, L Vyklicky L, Reeh PW (1996) Inhibition of a capsaicin induced ionic current – a new mechanism of action for aspirin-like drugs? Pflügers Archiv 431: 7. Mantuano E, Inoue G, Li X, Takahashi K, Gaultier A, Gonias SL, Campana WM. (2008) The hemopexin domain of matrix metalloproteinase-9 activates cell signaling and promotes migration of schwann cells by binding to low-density lipoprotein receptor-related protein. J Neurosci 28:11571–11582 8. Mazaheri A, Jensen O (2010) Rhythmic pulsing: linking ongoing brain activity with evoked responses. Front Hum Neurosci. 4:177.Ploner M, Gross J, Timmermann L, Pollok B, Schnitzler A (2006) Pain suppresses spontaneous brain rhythms. Cereb Cortex. 16:537–540.
Pharmakologische Verfahren SY 47 Medikamentenfehlgebrauch bei Schmerzpatienten. Zu viele falsche Medikamente? Zu viele verschriebene Medikamente? Zu viele missbräuchlich genutzte Medikamente? A. Schwarzer1, P. Cremer-Schaeffer2, G. Glaeske3 1Berufsgenossenschaftliches Universitätsklinikum Bergmannsheil GmbH, Bochum, Deutschland, 2BfArM, Bundesopiumstelle, Bonn, Deutschland, 3Universität Bremen, Zentrum für Sozialpolitik- Gesundheitsökonomie, Gesundheitspolitik und Versorgungsforschung, Bremen, Deutschland Im Jahre 2010 wurden in Deutschland insgesamt 153,2 Mio. Packungen Schmerzmittel verbraucht, davon entfielen auf die stark wirksamen Betäubungsmittel 6,9 Mio. Packungen und auf die sonstigen rezeptpflichtigen Mittel 30,8 Mio. Packungen. Der überwiegende Anteil, nämlich 115,6 Mio. Packungen, entfiel auf Schmerzmittel, die ohne Rezept in der Apotheke gekauft werden können (s. Tab. 2). Der Schmerzmittelverbrauch in Deutschland ist somit vor allem durch Mittel aus der Selbstmedikation charakterisiert. Eine Unterversorgung mit ausreichend wirksamen Mitteln aus dem Bereich der rezeptpflichtigen Mittel führt häufig zu einem unkontrollierten Gebrauch von nichtrezeptpflichtigen Präparaten, auch mit wenig geeigneten Kombinationspräparaten wie Thomapyrin. Ansonsten dominieren sinnvolle Einstoffpräparate mit Paracetamol, Acetylsalicylsäure oder Ibuprofen die Liste der meist verkauften Mittel. Unter den rezeptpflichtigen Mitteln dominieren Präparate mit dem Wirkstoff Novaminsulfon (Metamizol), der ein Renaissance erlebt, obwohl er in manchen Ländern nicht zugelassen und deshalb auch in Deutschland während der 1990er Jahre nur in sehr geringem Umfang angewendet wurde (s. Tab. 3). Warum dieses Mittel den nun erkennbaren Aufschwung genommen hat, ist unklar. Für die Mittel mit Tramadol und Tilidin/N liegen gerade in der unretardierten Form in der Zwischenzeit Hinweise auf einen Fehlgebrauch vor. Es wird diskutiert, ob diese Mittel der WHO-Behandlungsstufe II, auch der Betäubungsmittelverschreibungsverordnung unterstellt werden sollten. Ebenfalls im Jahr 2010 hat die Bundesopiumstelle erstmals mehr als 10 Mio. Betäubungsmittelrezepte an Ärztinnen und Ärzte ausgegeben. Die Zahl der ausgegebenen Rezepte hat sich damit in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt. Die überwiegende Zahl der Rezepte wird für die Verschreibung von starken Schmerzmitteln (Opioiden) verwendet. Einerseits kann dies als Anzeichen für eine bessere Versorgung von Schmerzpatienten mit adäquaten Arzneimitteln gesehen werden, andererseits gibt es auch Hinweise darauf, dass in Einzelfällen eine Fehlversorgung bzw. Überversorgung mit Opioiden vorliegt. Am Beispiel Fentanyl-haltiger transdermaler Darreichungsformen wird
dargestellt, wie sich der Verbrauch dieser Arzneimittel in den letzten zehn Jahren in den etwa 400 Kreisen und kreisfreien Städten in Deutschland entwickelt hat. Die deutlich steigenden Verordnungszahlen für Opioide stehen im Gegensatz zu den aktuellen Empfehlungen der S3-Leitlinie zum Einsatz von Opioid-Analgetika bei Nicht-Tumorschmerzen. Zudem ist die Anzahl von Opioid-Entzugsbehandlungen steigend und – allerdings aus den USA – wird eine zunehmende Anzahl von Opioid-Fehl- und Missbrauchsfällen berichtet. So wird verstärkt ein Medikamentenscreening mit Blut- und Urin-Kontrollen nicht nur für Patienten mit regelmäßiger Opioid-Einnahme sondern auch bei der Einnahme von Nicht-Opioid-Analgetika gefordert bzw. empfohlen. Zeigen sich diese Entwicklungen des Schmerzmittelverbrauches auch in einer spezialisierten Einrichtung? Bei 243 Patienten einer Schmerzambulanz (sämtliche Neuvorstellungen innerhalb eines halben Jahres) wurde nach Medikamentenanamnese und Aufklärung ein Drug Monitoring durchgeführt. 45% der Patienten wurden mit Opioiden, und davon mehr als die Hälfte mit stark wirksamen Opioiden behandelt, 33% der Patienten waren mit nicht steroidalen Antiphlogistka behandelt; Novaminsulfon wurde nur von 19% der Patienten eingenommen. Bei den Diagnosen waren muskuloskelettale und neuropathische Schmerzen mit jeweils ca. 30% führend; Patienten mit Tumorschmerzen wurden in diesem Zeitraum nicht behandelt. Über den weiteren Behandlungsverlauf und die entsprechende medikamentöse Behandlung ebenso wie die Compliance der Patienten wird berichtet. Die unterschiedlichen Sichtweisen der an der Patientenversorgung beteiligten Einrichtungen sollen einander gegenüber gestellt werden und Fragen nach einer adäquaten Schmerzmittelversorgung und deren möglicher Kontrolle beantwortet werden.
Neuropathischer Schmerz SY 48 Diagnostik neuropathischer Schmerzen – Methoden auf dem Prüfstand R. Freynhagen1, P. Hüllemann2, N. Üçeyler3 1Benedictus Krankenhaus Tutzing, Zentrum für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Schmerztherapie und Palliativmedizin, Schmerzzentrum am Starnberger See, Tutzing, Deutschland, 2Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel, Neurologische Klinik, Sektion Neurologische Schmerzforschung und -therapie, Kiel, Deutschland, 3Universitätsklinikum Würzburg, Neurologische Klinik und Poliklinik, Würzburg, Deutschland Chronische neuropathische Schmerzen sind in der täglichen Praxis ein relevantes Problem. Erhebungen schätzen die Punktprävalenz neuropathischer Schmerzkomponenten auf zwischen 5 und 9% in der Allgemeinbevölkerung Europas und den USA. Bei bestimmten Erkrankungen, wie z. B. Rückenschmerzen, sind sogar bis zu 35% Häufigkeit beschrieben. Darüber hinaus belegen aktuelle Studien bei Patienten mit neuropathischen Schmerzen signifikant höhere Schmerzwerte, häufigere Angststörungen, Depressionen, Schlafstörungen und damit eine geringere Lebensqualität im Vergleich zu Patienten, bei denen keine neuropathische Schmerzkomponente nachgewiesen werden konnte. Neuropathische Schmerzen entstehen nach einer Schädigung somatosensorischer Strukturen im peripheren oder zentralen Nervensystem und sind typischerweise durch eine Kombination negativer und positiver sensorischer Symptome gekennzeichnet. Bis heute existiert trotz intensiver Forschung im Sinne einer validierten konsensuellen Vorgehensweise kein diagnostischer Goldstandard. Die Diagnosesicherung stützt sich derzeitig aber nicht mehr nur auf subjektive anamnestische Angaben einer Nervenverletzung, sondern verlangt im bestmöglichen
Fall den objektiven Nachweis einer Erkrankung oder Läsion im somatosensorischen System. Das stufenweise abzuarbeitende diagnostische Spektrum umfasst neben dem initialen Einsatz von Screening-Fragebögen, einer detaillierten Anamnese und gründlichen klinisch-neurologischen Untersuchung vor allem auch funktionelle neurophysiologische Analysen sowie invasive strukturelle Nerventestungen wie die Hautstanzbiopsie. Denn insbesondere strukturelle Läsionen dünner Nervenfaserklassen (A-delta- und C-Fasern) im Sinne einer “small fiber”-Neuropathie machen die Diagnosefindung selbst dem erfahrenen Therapeuten häufig extrem schwer. Eine erweiterte Diagnostik dient damit vor allem zur Aufklärung der zugrunde liegenden Ursache und Charakterisierung des Schmerzsyndroms, insbesondere zur Abgrenzung gegenüber anderen Schmerzformen wie nozizeptiven Schmerzen. Eine systematische diagnostische Analyse ist damit die essentielle Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Therapie. Im ersten Beitrag erläutert N. Üçeyler (Würzburg) eine zunehmend genutzte, vielen aber immer noch wenig bekannte invasive Methode zur Diagnostik neuropathischer Schmerzen, die Hautstanzbiopsie. Sie ist in den letzten Jahren zu einem wichtigen Diagnostikum bei neuropathischen Schmerzsyndromen geworden. Das Verfahren ist einfach durchführbar und kann wiederholt werden. Es ist somit nicht nur bei der initialen Untersuchung einsetzbar, sondern kann auch zur Verlaufskontrolle genutzt werden. Einen wichtigen Stellenwert hat die Hautstanzbiopsie bei der Diagnostik der small fiber Neuropathie (SFN), wo sie zusammen mit der typischen Anamnese (meist brennende Schmerzen und unangenehme Missempfindungen), dem neurologischen Untersuchungsbefund und der quantitativ sensorischen Testung (QST) eine wichtige diagnostische Säule darstellt. Optimalerweise werden zwei Hautstanzbiopsien entnommen (distaler Unterschenkel und proximaler Oberschenkel), um die intraepidermale Nervenfaserdichte und deren Längenabhängigkeit beurteilen zu können. Die Untersuchung der Wahl ist die immunhistochemische Anfärbung der intraepidermalen Nervenfasern mittels des panaxonalen Markers PGP 9.5. Der typische Befund bei der SFN, aber auch bei anderen neuropathischen Schmerzsyndromen wie z. B. bei der postherpetischen Neuralgie ist eine Reduktion der intraepidermalen Nervenfaserdichte bzw. der vollständige Verlust dieser Fasern im betroffenen Areal. Warum eine Faserreduktion mit vermehrten Schmerzen einhergeht ist nicht bekannt. Hinzu kommt, dass die intraepidermale Nervenfaserdichte nicht gut mit dem Schmerz korreliert: Patienten mit guter Faserdichte können genauso starke Schmerzen haben wie solche, die eine Faserreduktion aufweisen. Neben der PGP-9.5-Färbung kann u. a. die Untersuchung weiterer Marker (z. B. T-Zellen und Makrophagen) wertvoll bei der Diagnostik von neuropathischen Schmerzsyndromen sein. Analysen leisten, welche sind sinnvoll und vor allem auch in der täglichen klinischen Routine anwendbar, welche diagnostische Bedeutung haben sie und was sind ihre Vor- und Nachteile? Im zweiten Beitrag werden von P. Hüllemann (Kiel) zwei äquivalente bzw. synergistische Verfahren, die Quantitativ Sensorische Testung (QST) sowie laserevozierte Potentiale (LEP) genauer vorgestellt. Beide werden derzeit in der Forschung und klinischen Diagnostik zur funktionellen Testung dünner Nervenfasern und des Tractus spinothalamicus eingesetzt. Die Quantitativ sensorische Testung ist ein psychophysikalisches Verfahren welches ein hohes Maß an Patienten- und ProbandenCompliance benötigt. Die Messergebnisse können anhand großer Datenbanken (insbesondere des Deutschen Forschungsverbundes neuropathischer Schmerz, DFNS) von Normalprobanden-Daten und Patientendaten ausgewertet und validiert werden. Sog. Z-Profile (eine auf der X- und Y-Achse anschauliche Darstellung unterschiedlicher somatosensorischer Empfindungen) können herangezogen werden um verschiedene Patientengruppen oder Syndrome miteinander zu vergleichen und dabei Unterschiede oder Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten. So finden sich beispielsweise bei der Post-Zoster-Neuralgie Patienten mit einem überwiegenden Verlust von Nervenfaserfunktion (“loss”: Hypoalgesie, Hypästhesie), andere mit der gleichen Erkranken Der Schmerz · Supplement 1 · 2011
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Abstracts weisen eine Übererregung der Nervenfasern auf (“gain”: thermische und mechanische Hyperalgesie, Allodynie). Die Auswertung der Profile soll künftig helfen Therapieentscheidungen nicht auf das neurologische Syndrom hin abzustimmen, sondern vielmehr auf die entsprechende Schädigung bestimmter Nervenfaseranteile. Die Ableitung laserevozierter Potentiale ist ein objektives Verfahren, welches Nervenfaser-Messungen auch bei non-complianten Patienten ermöglicht. Laser generierte strahlenförmige Hitze-Pulse sind in der Lage selektiv freie Nervenendigungen in den oberflächlichen Hautschichten zu erregen. Somit werden Ad- und C-Nociceptoren aktiviert. Ähnlich dem Verfahren zur Messung von somatosensorisch evozierten Potentialen (SEP) werden die Signale mittels EEG an bestimmten Punkten (z. B. Cz, T3, T4) von der Kopfhaut abgeleitet. Insbesondere in der Diagnostik neuropathischer Schmerzen ermöglichen LEPs eine verwertbare Aussage über Intaktheit oder Schädigung dünner Nervenfasern. Die Auswertung erfolgt anhand der Amplituden- und LatenzMessung der im Averaging-Verfahren erhaltenen Potentiale. Bisher existiert kein dem DFNS vergleichbares Netzwerk für ein ausreichend großes Normdaten-Kollektiv. Jedes Labor ist auf eigens generierte Normdaten angewiesen. Damit verbunden ist eine interindividuell und inter-institutionell eingeschränkte Vergleichbarkeit der in der klinischen Routine-Diagnostik erhobenen Befunde. QST und LEP werden zur Verlaufskontrolle neuropathischer Schmerzsyndrome eingesetzt und ermöglichen eine Einschätzung des Krankheitsverlaufs, der individuellen Prognose und des Therapieerfolges. Beide Verfahren können als Kontroll-Untersuchungen für die Durchführung klinischer Studien zur Behandlung neuropathischer Schmerzen genutzt werden. Nach derzeitigem Forschungsstand (invasivere Verfahren wie Nerven- und Hautbiopsie ausgenommen) stehen zur Funktionsanalyse dünner Nervenfaserklassen und des spinothalamischen Traktes keine anderen Verfahren zur Verfügung, welche sich auf zahlreiche kontrollierte Studien stützen können. Auch wenn QST und LEP in der Diagnostik neuropathischer Schmerzen eine zentrale Rolle spielen, werden sie bisher nur in spezialisierten Zentren eingesetzt. Eine breitere Verfügbarkeit wäre durch Entwicklung kostengünstigerer Untersuchungsgeräte wünschenswert. Breit verfügbar sind gegenwärtig sicher bereits spezialisierte Screening-Fragebögen zur Erfassung neuropathischer Schmerzkomponenten, welche heute ganz am Anfang der diagnostischen Aufarbeitung neuropathischer Schmerzen vorgeschaltet werden können. Im dritten Beitrag werden von R. Freynhagen (Tutzing) die vielfältigen Möglichkeiten, die solche Fragebögen bieten, eingehender beleuchtet und auf ihren klinischen Nutzen überprüft. Mit Schmerzfragebögen lassen sich in der Regel einfach und zuverlässig spezifische Merkmale verschiedener Erkrankungen erfassen. Ziel dieser Fragebögen ist vor allem eine Differenzierung zwischen nozizeptiven und neuropathischen Schmerzkomponenten. Dabei beantworten Patienten standardisierte Fragen zu typischen “Merkmalen” der empfundenen Schmerzen, bei einzelnen Fragebögen noch ergänzt um eine kurze klinische Untersuchung. Schmerzfragebögen dienen anders als die bereits erläuterten funktionellen bzw. strukturellen Untersuchungen zunächst als “Screening-Tools” und sind keine diagnostischen Instrumente, sie sollen vielmehr eine gezielte Untersuchung mit Planung einer rationalen Therapie bahnen helfen. Zu den wichtigsten Schmerzfragebögen zählen der painDETECT, LANSS (Leeds Assessment of Neuropathic Symptoms and Signs), NPQ (Neuropathic Pain Questionnaire) und DN4 (Douleur Neuropathique en 4 Questions). Alle bauen auf der Idee auf, Schmerzdeskriptoren (z. B. „brennend“, „stechend“, „elektrisierend“, „einschießend“, „heiß“) als diagnostischen Hinweis auf das Vorliegen neuropathischer Schmerzkomponenten zu nutzen. LANSS und DN4 beinhalten eine klinische Untersuchung zur Erfassung einer Allodynie und mechanischen Hyperalgesie, sind daher also weniger gut für den „Nichtspezialisten“ geeignet. Der painDETECT-Fragebogen, das im deutschen Sprachraum am meisten verbreitete Instrument, und in fast 30 Sprachen validiert verfügbar, beinhaltet zusätzlich eine Schmerzzeichnung als wichtige Information zur Beurteilung der Plausibilität einer neuroanatomisch nachvollzieh-
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baren Schmerzausbreitung sowie die Frage nach Schmerzausstrahlung (z. B. bei einer radikulären Symptomatik bei Rückenschmerz). painDETECT ist darüber hinaus der einzige Fragebogen, der den Patienten die Möglichkeit gewichteter Antworten bietet. Statt nur Ja oder Nein kann sich der Patient zwischen den Antwortmöglichkeiten nie, kaum, gering, mittel, stark oder sehr stark entscheiden. Die genannten Fragebögen identifizieren 80-90% der Patienten mit der klinischen Diagnose eines neuropathischen Schmerzes, können eine klinische Diagnosestellung aber niemals ersetzen. Aufbauend auf den guten Erfahrungen mit dem painDETECT-Fragebogen führen Wissenschaftler des Deutschen Forschungsverbundes Neuropathischer Schmerz (DFNS) unterstützt durch die Pfizer Pharma GmbH seit 2004 das produktunabhängige painDETECTProjekt durch. Das Projekt diente initial dazu, epidemiologische Anhaltszahlen über die Häufigkeit und den Schweregrad von (neuropathischen) Schmerzen bei verschiedenen Erkrankungen zu gewinnen. Es entwickelte sich aber von Beginn an aufgrund seiner Einfachheit und Vielseitigkeit zu einem Standardtool für die Datenerhebung und Qualitätssicherung in mehr als 500 niedergelassenen Praxen und an mehr als 100 Kliniken. Die Teilnehmer haben bis heute über zweihunderttausend Patienten befragt und damit bereits unzählige Daten zu Schmerzlokalisation, Schmerzverlauf und einer Vielzahl von Komorbiditäten wie Depression, Angst- oder Schlafstörungen generiert. Die Datenerhebung im painDETECT-Projekt erfolgt über elektronische Medien in Form von PalmHandhelds, die die Patienten selbständig ausfüllen. Damit erfolgt eine erste eingehende Anamnese schon vorab alleinig durch den Patienten, ohne die Zeit des Arztes oder Personals dafür in Anspruch zu nehmen. Durchgeführte Validierungsstudien zeigen, dass kein signifikanter Unterschied zwischen dem Gebrauch klassischer Papierskalen und moderner elektronischer Methoden besteht. Der Vorteil der elektronischen Dokumentation liegt in der einfachen weiteren Nutzung der erhobenen Daten. Einerseits können die Daten lokal vom einzelnen Teilnehmer zur medizinischen oder auch zur Analyse gesundheitsökonomischer Fragestellungen genutzt werden. Andererseits können die anonymisierten Pooldaten vom Anwender direkt zur Qualitätssicherung verwendet werden und erlauben darüber hinaus jedem Teilnehmer ein anonymes, fachübergreifendes Benchmarking. Im Laufe der letzten Jahre wurde so eine der weltweit größten epidemiologischen Schmerzdatenbanken geschaffen. 1. Beith ID, Kemp A, Kenyon J, et al. Identifying neuropathic back and leg pain: a cross-sectional study. Pain. 2011 Jul;152(7):1511–6. 2. Freynhagen R, Baron R, Gockel U, Tölle TR: painDETECT: a new screening questionnaire to identify neuropathic components in patients with back pain. Curr Med Res Opin 2006, 22:1911–1920. 3. Schmidt C. O., Schweikert B., Wenig C.M., et al. Modelling the prevalence and cost of back pain with neuropathic components in the general population. Eur J Pain. 2009 Nov;13(10):1030–5 4. Torrance N, Smith BH, Bennett MI, Lee AJ: The epidemiology of chronic pain of predominantly neuropathic origin. Results from a general population survey. J Pain, 2006, 7:281–289. 5. Geber C, Baumgärtner U, Fechir M, et al. Comparison of LEP and QST and their contribution to standard sensory diagnostic assessment of spinal lesions: a pilot study. Neurol Sci. 2011 Jun;32(3):401–10. 6. Maier C, Baron R, Tölle TR, et al. Quantitative sensory testing in the German Research Network on Neuropathic Pain (DFNS): somatosensory abnormalities in 1236 patients with different neuropathic pain syndromes. Pain. 2010 Sep;150(3):439–50. 7. Uçeyler N, Devigili G, Toyka KV, Sommer C. Skin biopsy as an additional diagnostic tool in non-systemic vasculitic neuropathy.Acta Neuropathol.
2010 Jul;120(1):109–16. 8. Haanpää M, Attal N, Backonja M, et al. NeuPSIG guidelines on neuropathic pain assessment. Pain. 2011 Jan;152(1):14–27.
Psychologische Verfahren SY 49 Mechanismen von Placebo- und Nozeboreaktionen und ihre Be deutung in der Klinik: Vorstellung der DFG-Forschergruppe U. Bingel1, R. Klinger², W. Rief³, H. Flor4 1University Medical Center Hamburg-Eppendorf, Department of Neurology, Hamburg, Deutschland, ²Universität Hamburg, Psychotherapeutische Hochschulambulanz VT, FB Psychologie, Hamburg, Deutschland, ³Universität Marburg, Klinische Psychologie und Psychotherapie, Marburg, Deutschland, 4Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Lehrstuhl für Neuropsychologie an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Mannheim, Deutschland Der Placebo-Effekt in der Schmerztherapie stellt nicht nur einen wesentlichen Anteil des Effektes von Analgetika dar, sondern kann durch unterschiedliche Instruktionen und kontextuelle Veränderungen systematisch variiert werden. Dadurch können Mechanismen der Placebo-Reaktion (z. B. Erwartungseffekte, Konditionierungseffekte) nicht nur als subjektive Phänomene (subjektive Schmerzintensität), sondern auch auf ihren biologischen Ebenen genauer analysiert werden (z. B. durch Bildgebung, Auswirkungen auf das Immunsystem, Auswirkungen auf das gastrointestinale System). Ähnliches gilt auch für Nocebo-Effekte: Selbst wenn Teilnehmer von klinischen Studien „nur“ Placebo-Pillen bekommen, berichten sehr viele über neu aufgetretene Schmerzsymptome und andere körperliche Beschwerden. Die DFG hat zur näheren Untersuchung der beteiligten Mechanismen der Placebo- und Nocebo-Reaktion im Jahr 2010 eine Forschergruppe bewilligt, deren Arbeit in diesem Symposium näher vorgestellt werden soll. Das Besondere in dieser Forschergruppe zusammengetragenen Projekten ist der Versuch, den Bogen von der Grundlagenforschung hin zur klinischen Anwendung zu spannen. Deshalb finden sich in der Forschergruppe Projekte, die neurobiologische oder immunologische Basis-Mechanismen von Erwartung und Konditionierung untersuchen, Projekte, die sich neurophysiologischen oder gastrointestinalen Systemen widmen sowie Projekte, die erste Versuche der Übertragung der beteiligten Mechanismen auf klinische Anwendungsfelder testen. Einleitend wird ein gemeinsames Projekt von R. Klinger und H. Flor dargestellt, das sich mit der Veränderung des Schmerzerlebens bei Rückenschmerzpatienten beschäftigt und hierzu auch Ergebnisse aus Vorarbeiten präsentiert. Die klinische Relevanz dieses Projektes wird daran deutlich, dass es trotz der hohen Anzahl an Studien, die die analgetische Wirksamkeit von Placebos nachweisen, es nur relativ wenige Studien gibt, die an einer klinischen Stichprobe mit Patienten durchgeführt wurden. Es kann angenommen werden, dass sich Placeboeffekte bei Patienten mit Schmerzen anders zeigen als bei Menschen, die nicht unter Schmerzen leiden. Klinger, Soost, Flor und Worm (2007) zeigten, dass der analgetische Placeboeffekt in einer klinisch relevanten Stichprobe ausgeprägter war als in einer gesunden Kontrollgruppe. Die Patienten zeigten auf die experimentelle Erwartungsmanipulation hin einen höheren Placeboeffekt; dieser reduzierte sich aber anschließend stärker als bei den Gesunden, wenn auf die Erwartung hin keine Bestätigung durch eine reale Erfahrung (klassische Konditionierung) kam. Die Bedeutung, die einer erforderlichen medikamentösen Behandlung zugeschrieben wird, ist bei Patienten demnach anders als bei Gesunden. In dem Projekt von Flor & Klinger soll dieser Aspekt bei Patienten mit Rückenschmerzen noch näher beleuchtet werden. Eine wichtige Fragestellung des Projektes wird deshalb sein, welchen Einfluss die Vorerfahrung und Voreinstellung Medikamenten gegenüber
von Patienten mit Rückenschmerzen auf den Placeboeffekt haben. Dies wird auf verhaltens- (Beobachtung von Funktionskapazität), neuropsychologischer und neurobiologischer Ebene (FMRT) untersucht. Eine weitere Fragestellung des Projektes wird sein, ob sich analgetische Placeboeffekte auch durch psychologische Scheinbehandlung aufbauen lassen. Als Projektvorarbeit (Klinger u. Flor in Vorb.) wird eine Untersuchung vorgestellt, die im Rahmen einer Studie zum Placeboeffekt an Patienten mit Rückenschmerz (Tretrop, 2007) entstand. Ziel war es, den Placeboeffekt objektivierbar (Fremdrating) auch auf der Ebene des beobachtbaren Verhaltens darzustellen, da diese Seite bei der Bewertung von Schmerzlinderung eine erhebliche Rolle spielt. Bei Patienten mit chronischen Rückenschmerzen steht auf der Verhaltensebene häufig das Schonverhalten und Vermeiden körperlicher Bewegung im Vordergrund. Eine Steigerung ihrer körperlichen Funktionskapazität und eine Verbesserung ihres Schmerzverhaltens ist das Behandlungsziel. Die zentrale Frage der Untersuchung war deshalb: Lässt sich durch ein Placebopräparat das Schmerzverhalten und die körperliche Funktionskapazität von Rückenschmerzpatienten steigern? Lässt sich diese Placebowirksamkeit durch Lernen (klassische Konditionierung) steigern? Dazu werden in einer randomisierten klinisch-experimentellen Studie (2×2) 48 Patienten mit chronischen Rückenschmerzen untersucht. Vor und nach Applikation einer pharmakologisch neutralen Tinktur führten sie standardisierte Alltagsaktivitäten durch, die durch einen unabhängigen Rater beurteilt wurden. Die Tinktur wurde unterschiedlich deklariert („Opioidtinktur mit schmerzlindernder und bewegungssteigernder Wirkung“ vs. „Placebotinktur“) und in ihrer Wirkung manipuliert („Klassische Konditionierung“: ja vs. nein). Die Ergebnisse zeigen, dass sich mit der neutralen Tinktur über Prozesse der Erwartung und Klassischen Konditionierung eine objektiv beobachtbare Reduktion des Schmerz- und Vermeidungsverhaltens erreichen lässt. Die zusätzliche Konditionierung konnte unabhängig von den Fear-Avoidance-Beliefs das Schmerzverhalten reduzieren. U. Bingel arbeitet in ihrem Beitrag neurobiologische Grundlagen von Placebo- und Nocebo-Mechanismen heraus. Die Forschung der letzten 30 Jahre hat eindrücklich gezeigt, dass es sich bei der Placebo-Analgesie nicht um einen rein psychologischen, sondern um einen komplexen neurobiologischen Vorgang handelt. Die Zusammenschau verschiedener wichtiger Arbeiten in den vergangenen Jahren bestätigt, dass es sich bei der Placebo-Analgesie um eine Form der endogenen, kognitiv vermittelten Schmerzhemmung handelt, welche zumindest partiell über die Ausschüttung endogener Opiate vermittelt wird. Mit Hilfe von modernen funktionell-bildgebenden Techniken konnten die zentralnervösen Korrelate der Placebo-Analgesie identifiziert werden. Hierbei scheint cingulo-frontalen Hirnarealen, wie dem dorsolateralen prefrontalen Kortex und dem rostralen anterioren Cingulum, in Kombination mit einem subkortikalen, antinozizeptiven Netzwerk eine Schlüsselrolle zu zukommen. Die verminderte Schmerzempfindung während der Placebo-Analgesie geht mit einer verminderten Aktivierung schmerzrelevanter Areale einher. Jüngste Daten der funktionellen Bildgebung des Spinalmarkes weisen darauf hin, dass diese endogen vermittelten Hemmung afferenter nozizeptiver Information bereits auf eine Modulation nozizeptiven Inputs auf Höhe des spinalen Hinterhorns zurückzuführen ist. Auch wenn diese Untersuchungen zur Neurobiologie des Placeboeffektes mit klassischen Placebos (also Leerpräparaten) durchgeführt wurden, ist es entscheidend zu realisieren, dass sich jede schmerztherapeutische Behandlung aus einer Verum- (aktive pharmakologische Substanz) und einer „Placebo“-Komponente durch kognitiv getriggerte endogene Prozesse zusammen setzt, sowie darüber hinaus auch noch Wechselwirkungen zwischen beiden eine Rolle spielen. Deshalb stellt es eine spannende Herausforderung dar, Placeboeffekte experimentell nicht nur mit inerten Placebo-Pillen zu untersuchen, sondern auch im Kontext aktiver Medikation. So konnte auch gezeigt werden, dass Unterschiede in der verbalen Instruktion bei der Vergabe von Opiaten den analgetischen Effekt substantiell modulieren. Wird Studienteilnehmern die Instruktionen gegeben, dass das nachfolgend haDer Schmerz · Supplement 1 · 2011
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Abstracts bilitierte Medikament zu einer Schmerzsensibilisierung führen würde, so hebt sich der analgetischen Effekt von Opiaten vollständig auf. Für Placebo-Effekte spielen somit mit der Behandlung assoziierte kontextuelle Faktoren wie Erwartung, Ängste und Vorerfahrungen mit Behandler und Behandlung eine wichtige Rolle. Die Untersuchung dieser vermutlich erkrankungs- und substanzspezifischen Wechselwirkung aus medikamentöser Therapie und kognitiv getriggerten endogenen Substraten ist ein äußerst spannendes Forschungsfeld mit erheblichen Implikationen für die Medikamentenentwicklung und die praktische Schmerztherapie. Aus diesem Grund wird im abschließenden Beitrag von W. Rief diskutiert, welche praktische Relevanz diese Ergebnisse zum Placeboeffekt haben, wie er sich sinnvoll und zielgerichtet in den klinischen Alltag integrieren lässt und wie er die rein pharmakologische Wirksamkeit eines Analgetikums positiv ergänzen kann. Es werden sowohl Beispiele zum Placebo-Effekt als auch zum Nocebo-Effekt aus klinischen Studien vorgestellt. Es wird aufgezeigt, dass diese unspezifischen Mechanismen in klinischen Studien zum Teil bis zu 80% der therapeutischen Effekte erklären, zum Teil auch in einem ähnlich hohen Ausmaß das Auftreten von Nebenwirkungen determinieren. Daraus leiten sich zahlreiche Implikationen ab, wie neue Forschungsdesigns zur Durchführung klinischer Studien aussehen können, die besser die beteiligten unspezifischen Effekte berücksichtigen. Bisher übliche Designs für klinische Studien (zum Beispiel doppelblinde randomisierte Zuordnung zu zwei Gruppen) stellt einen artifiziellen Sonderfall dar, der nur einen begrenzten Erkenntnisgewinn erlaubt, so dass eine Modifikation notwendig erscheint. Daraus leiten sich neue klinische Anwendungsfelder ab, die sowohl zu einer Steigerung der Effektivität medizinischer Maßnahmen als auch zu einer Reduktion von Nebenwirkungen beitragen können. Hierzu müssen systematisch Kontextfaktoren manipuliert werden und Variationen in Erwartungseffekten sowie Lerneffekte in ihrer Interaktion mit der pharmakologischen Wirkung von Medikamenten analysiert werden. Auch wird ein Ausblick auf die weiteren Forschungsprojekte der Forschergruppe zu Placebo-Mechanismen gegeben. Neben konkreten Projekten werden hierzu auch zukünftige Perspektiven aufgezeigt. Damit bestätigt die Forschung der Forschergruppe, dass Placebomechanismen ein exzellentes Paradigma zur Untersuchung von Prozessen der Schmerzentstehung und Schmerzkontrolle darstellen, jedoch auch richtungsweisend für die Weiterentwicklung klinischer Studiendesigns sind und neue Anhaltspunkte zu einer verbesserten Versorgung von Patienten geben können.
Multimodalität – Chancen und Grenzen SY 50 BVSD-Symposium: Konzeption eines IV-Vertrages Rücken schmerz R. Thoma1, J. Nadstawek2, M. Pleuger3, V. Amelung4 1Diakoniewerk München-Maxvorstadt, Interdisziplinäres Zentrum für Schmerztherapie, München, Deutschland, 2Universität Bonn, Klinik und Poliklinik Anästhesiologie, Operative Intensivmedizin, Bonn, Deutschland, 3KKH-Allianz, Integrierte Gesundheitsversorgung, Hannover, Deutschland, 4Medizinische Hochschule Hannover, Institut für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung, Hannover, Deutschland Rückenschmerzen gehören zu den häufigsten Behandlungsanlässen in der ambulanten medizinischen Versorgung und zählen somit zu den Volkskrankheiten. Sie nehmen einen Spitzenplatz bei den Krankheitsfehltagen und bei den Neuzugängen der Erwerbsunfähigkeit ein. Fast 80% der Erwachsenen leiden im Laufe ihres Lebens ein oder mehrmals unter Rückenschmerzen, bei ca. 2–7% der Bevölkerung entwickelt sich ein chronisches Leiden.
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Patienten mit akuten Rückenschmerzen benötigen schnelle und kompetente Hilfe, damit ihre Beschwerden nicht chronisch werden. Gemeinsam mit der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin hat die KKH-Allianz deshalb für Patienten mit akuten Rückenschmerzen im Lendenwirbelsäulenbereich seit dem Jahr 2009 das Gesundheitsprogramm „Aktiver Rücken“ umgesetzt. Die Behandlung in einem Netzwerk aus Vertragsärzten, Physiotherapeuten, Psychotherapeuten, Krankenhäusern und Rehabilitationseinrichtungen, durch die Krankheitsursachen wesentlich schneller erkannt, Langzeitfolgen vermieden und die Lebensqualität der Patienten somit möglichst schnell wieder hergestellt werden können, stieß bei KKH-Allianz Versicherten auf großes Interesse. Bei vielen Betroffenen dauerten die Beschwerden jedoch bereits länger als zwölf Wochen an, z. T. sie litten bereits an chronischen Rückenschmerzen. Auch ihre Behandlung war bislang nicht optimal verlaufen. Um zukünftig bereits chronifizierten und davon bedrohten Patienten adäquate Behandlungskonzepte anbieten zu können, haben der Berufsverbandes der Ärzte und Psychologische Psychotherapeuten in der Schmerz- und Palliativmedizin in Deutschland e.V. (BVSD) und die KKH-Allianz im Jahr 2011 einen interdisziplinären und sektorenübergreifenden Integrationsvertrag geschlossen, bei denen die leitliniengerechte Versorgung von krankengeldberechtigten Patienten mit chronischen Rückenschmerzen im Mittelpunkt steht. Das Versorgungskonzept soll auf der Basis eines umfassenden Erstassessments und der anschließender Zuweisung auf die geeignete Versorgungsstufe der Optimierung der Versorgung von Patienten mit einer drohenden Chronifizierung oder bereits chronifizierten Rückenschmerzen dienen. J. Nadstawek beschreibt in seinem Vortrag „Lücken in der Vergütung bedeuten Lücken in der Versorgung“, wie sich die derzeitige katastrophale Situation der Vergütung der Schmerztherapie in der Regelversorgung auf die Versorgung in der Praxis auswirkt. Der neue IV-Vertrag bietet nun erstmals die Möglichkeit, leitliniengetreue multimodale Schmerztherapie auch im ambulanten Bereich umzusetzen. Der Gesundheitsökonom V. E. Amelung von der Medizinischen Hochschule Hannover beleuchtet das Thema unter dem Gesichtspunkt der Möglichkeiten der „Versorgungssteuerung in der Schmerztherapie über Selektivverträge“. Insbesondere die innovative Vergütungssystematik (Erfolgs- und Risikobeteiligung der Leistungserbringer) und die intendierten Anreize des Versorgungskonzeptes werden analysiert. Im Fokus der Betrachtung steht dabei auch, welche kurz- und mittelfristigen Ergebnisse zu erwarten sind und wie Fehlsteuerungen vermieden werden können. M. Pleuger beschreibt in Ihrem Beitrag „IV Rückenschmerz: So geht es in der Praxis“ das Konzept des neuen IV-Vertrages. Ausgehend von den Empfehlungen der „Nationalen Versorgungsleitlinie Kreuzschmerz“ wird in enger Zusammenarbeit von besonders qualifizierten Schmerztherapeuten, Psychologischen Psychotherapeuten und Physiotherapeuten für jeden Patienten individuell der effektivste Behandlungsweg ausgewählt. Nicht indizierte oder nicht zielführende medizinische Maßnahmen unterbleiben. So wurde bewusst darauf verzichtet, operative und interventionelle Verfahren in das Versorgungskonzept einzubeziehen, da laut „Nationaler Versorgungsleitlinie Kreuzschmerz“ bei den sog. nichtspezifischen Kreuzschmerzen keinerlei wissenschaftliche Evidenz für die Wirksamkeit jeglicher interventioneller Verfahren vorliegt. Im Vordergrund steht die Nachhaltigkeit des Therapieergebnisses wie etwa die langfristige Erhaltung der Arbeitsfähigkeit.
Diagnostische Procedere SY 51 Psychometrie bei Schmerzpatienten: Was liest sich zwischen den Zeilen M. Hüppe1, J. Frettlöh2, P. Nilges3, J. Wager4 1Universität zu Lübeck, Klinik für Anästhesiologie, Lübeck, Deutschland, 2Uniklinikum Bergmannsheil Bochum, Abt. für Schmerztherapie, Bochum, Deutschland, 3DRK Schmerz-Zentrum Mainz, Psychotherapie, Mainz, Deutschland, 4Vestische Kinder- und Jugendklinik Datteln, Universität Witten/Herdecke, Vodafone Stiftungsinstitut und Lehrstuhl für Kinderschmerztherapie und Pädiatrische Palliativmedizin, Datteln, Deutschland Die Anwendung validierter psychometrischer Verfahren gehört zum Standard der Diagnostik und Qualitätssicherung in der Schmerztherapie. Fragebögen sollen ökonomisch, reliabel und valide sein. Mit ihnen sollen psychische Störungen bzw. Belastungen erfasst werden, die eine ursächliche, aufrecht erhaltende und behandlungsrelevante Bedeutung haben können. Der Einsatz psychometrischer Verfahren dient damit unterschiedlichen Zielsetzungen und findet bei unterschiedlichen Personengruppen statt. In dem Symposium werden einige Besonderheiten thematisiert, die von erfahrenen Schmerzpsychotherapeuten bei der Verwendung dieser psychometrischen Verfahren beobachtet werden. Zudem werden Verfahren vorgestellt, die zukünftig vermehrt an Bedeutung in der Diagnostik chronischer Schmerzen gewinnen. Immer wieder fallen in schmerztherapeutischen Einrichtungen Patienten auf, die sich in psychometrischen Verfahren als so „gesund“ beschreiben, dass es mit einer chronischen Schmerzerkrankung kaum vereinbar erscheint. Was kennzeichnet Patienten, die psychometrisch so „auffällig unauffällig“ sind? Die Basis der Analyse von J. Frettlöh und M. Hüppe im ersten Beitrag (Psychometrisch total normal: Was kennzeichnet Patienten, die psychometrisch auffällig unauffällig sind?) sind Daten der QUAST-Analysestichprobe von 10.054 Patienten aus 19 kooperierenden schmerztherapeutischen Einrichtungen (Frettlöh et al., 2009). Für diese Patienten wurde ein psychischer Belastungsindex gebildet. Dieser ergab sich aus Messwerten verschiedener psychometrischer Instrumente des Deutschen Schmerzfragebogens. Berücksichtigt wurden die Allgemeine Depressionsskala, die psychische Summenskala des SF-36, der Pain Disability Index und die affektive Schmerzempfindung. Patienten, die sich in diesen vier psychometrischen Verfahren so beschrieben, dass ihre Werte im unteren Quartil der Verteilung der Schmerzpatienten lagen, wurden als „auffällig unauffällig“ operationalisiert. Dies traf auf insgesamt 280 Patienten zu. Diese Subgruppe wird hinsichtlich soziodemographischer und klinischer Merkmale beschrieben und mit den Patienten der Analysestichprobe verglichen, die diese „unauffälligen“ psychometrischen Werte nicht aufweisen. Eine nachfolgende Analyse schließt ausschließlich Patienten mit auffällig niedrigen Werten in der Allgemeinen Depressionsskala (ADS), da uns dieses Verfahren am ehesten geeignet erscheint, um sich bei entsprechender Motivlage als psychisch unauffällig darzustellen. Depression und Angst sind häufige komorbide Störungen bei Patienten mit chronischen Schmerzen. Die Prävalenz ist in spezialisierten Schmerzbehandlungseinrichtungen deutlich erhöht, die Diagnose und Mitbehandlung ist ein wesentlicher Faktor für einen Behandlungserfolg. Dementsprechend sind viele psychometrische Verfahren zur Erfassung von Angst und Depression entwickelt worden, und Screeningverfahren für Depression und Angst sind feste Bestandteile in Schmerzdiagnostik und Forschung. Verwendet werden national und international unterschiedliche Fragebögen, eine hinsichtlich Vergleichbarkeit von Untersuchungen ungünstige Situation. Erkennbar ist eine Tendenz weg von Verfahren zur Überprüfung eines Merkmals (z. B. Depression) hin zur Kombination mehrerer Aspekte innerhalb eines Fragebogens (z. B. kombinierte Erfassung von Angst und De-
pression mit der Hospital Anxiety and Depression Scale, HADS). Der Beitrag von P. Nilges (Belastungsmessung kurz und bündig: Welche Verfahren sind zur Depressions- und Angstmessung geeignet?) stellt mehrere Verfahren vor und zeigt erste vergleichende Befunde der Erhebung von Angst, Depression und Stressmerkmalen bei Patienten mit chronischen Schmerzen mit einer deutschen Version der Depression Anxiety Stress Scales (DASS, Lovibond & Lovibond, 1995) Das Selbstbeurteilungsverfahren enthält in der Langfassung 42 Items, die Kurzversion hat 21 Items. Das Verfahren liegt inzwischen in 27 Sprachen vor, eine deutsche Übersetzung stammt von Essau (http://www2.psy. unsw.edu.au/groups/dass/German/German.htm). Im Beitrag werden erste vergleichende Befunde der Erhebung von Angst, Depression und Stressmerkmalen mittels einer deutschen Version der DASS bei Patienten mit chronischen Schmerzen vorgestellt. Die Faktorenstruktur des Originals konnte mit den Daten einer nichtklinischen Stichprobe mit über 400 Personen (Daten von Essau) repliziert werden. Auch in Studien der Mainzer Arbeitsgruppe bei über 400 Patienten mit chronischen Schmerzen belegen konfirmatorische Faktorenanalysen die dreifaktorielle Struktur. Verwendet wurde eine Kurzversion mit 21 Items, bei der mit jeweils 7 Items Depression, Angst bzw. Stress erfasst werden. Die Reliabilität der Skalen für Depression, Angst und Stress ist bereits für die ursprüngliche Übersetzung mit 0,89, 0,86 bzw. 0,87 gut. Eine Überarbeitung einzelner ungünstig formulierter Items führte zur weiteren Verbesserung der psychometrischen Merkmale. Prüfungen zur konvergenten Validität zeigten erwartungsgemäß enge Beziehungen bei Depression und Angst mit den jeweiligen Skalen bei ADS bzw. HADS (Korrelation für Depression >0,8; Angst >0,6). Die Tauglichkeit als Screening-Verfahren wurde anhand des Außenkriteriums „Diagnose Affektive Störung“ (gestellt mit dem SKID) für eine Patientengruppe (n=150) mit chronischen Schmerzen überprüft. Eindeutige Mittelwertunterschiede zwischen den Diagnosegruppen belegen die differentielle Validität, die sich auch bei den Werten für Spezifität und Sensitivität im Vergleich zu ADS und HADS zeigt. Der DASS ist für die Schmerzdiagnostik ein ökonomisches und zuverlässiges Verfahren, das zudem die allgemeine Stressbelastung als einen weiteren bisher vernachlässigten Aspekt erfasst. Die Diagnostik schmerzrelevanter Aspekte bei Kindern mittels psychometrischer Verfahren ist eine besondere Herausforderung, insbesondere die Zuordnung zu unterschiedlichen Schmerzschweregraden. In den letzten Jahren wurden verschiedene validierte Fragebögen zur Erfassung der Multidimensionalität des chronischen kindlichen Schmerzes zur Verfügung gestellt. Jedoch fehlt nach wie vor eine valide Zuordnung der betroffenen Kinder in unterschiedliche Schweregrade der Schmerzerkrankung. Der Beitrag von J. Wager (Schmerzdiagnostik bei Kindern – Schweregradklassifikation: mehr als die Summe der einzelnen Teile) stellt ein neues Klassifikationssystem vor, das mithilfe eines clusteranalytischen Vorgehens entwickelt wurde – der „Paediatric Severity Index for Chronic Pain“ (PedSIC-Pain). Der PedSIC-Pain ermöglicht es, Kinder und Jugendliche mit chronischen Schmerzen aufgrund verschiedener Schmerzparameter insgesamt fünf distinkten Schweregraden zuzuordnen. Weiterführende Untersuchungen konnten unter anderem zeigen, dass erhöhte Schmerzschweregrade mit zunehmender emotionaler Belastung und zunehmender Nutzung des Gesundheitssystems einhergehen. Erste Implikationen für eine stratifizierte Therapie auf der Basis des PedSIC-Pain werden präsentiert. 1. Frettlöh J, Maier C, Gockel H, Zenz M, Hüppe M (2009) Patientenkollektiv deutscher schmerztherapeutischer Einrichtungen. Schmerz 23: 527–591. 2. Lovibond PF, Lovibond SH (1995) The structure of negative emotional states: comparison of the Depression Anxiety Stress Scales (DASS) with the Beck Depression and Anxiety Inventories. Behavior Research Therapy 33: 335–343
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Abstracts Stellenwert invasiver Verfahren SY 52 Neurostimulation bei chronischen Schmerzsyndromen – Stel lenwert der invasiven Behandlungsverfahren D. Rasche1, R. Reichart2, V. Tronnier3 1Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Neurochirurgische Klinik, Lübeck, Deutschland, 2Universitätsklinikum Jena, Klinik für Neurochirurgie, Jena, Deutschland, 3Neurochirurgische Universitätsklinik, Lübeck, Deutschland Die invasive Schmerztherapie im Allgemeinen und die Neurostimulation im Speziellen stellt eine Ergänzung im Behandlungsablauf von Patienten mit chronischen neuropathischen Schmerzen dar, wenn die konservativen und medikamentösen Optionen nicht zu einer ausreichenden Schmerzlinderung führen oder von deutlichen Nebenwirkungen begleitet sind. Im Sinne einer Neuromodulation erfolgt die reversible, elektrische Stimulation über implantierbare Elektroden an peripheren Nerven, dem Rückenmark oder im bzw. auf dem Gehirn. Im Symposium soll der aktuelle Stellenwert und klinische Einsatz der peripheren Nervenstimulation (PNS), epiduralen Rückenmarkstimulation (SCS), Motorkortexstimulation (MCS) und der tiefen Hirnstimulation (DBS) bei spezifischen Indikationen und chronischen Schmerzpatienten aufgezeigt werden. Anhand der klinischen Erfahrungen der Referenten und einem aktuellen Review der Literatur wird die gegenwärtige Indikationsstellung im Kontext der Speziellen Schmerztherapie vermittelt und eine evidenzbasierte Empfehlung präsentiert. Unbestritten ist die Tatsache dass bei allen chronischen Schmerzpatienten unabhängig von der Schmerzursache vor einer invasiven Prozedur eine psychologische Evaluation zum Ausschluss von Kontraindikationen (z. B. somatoforme Schmerzstörung, Substanzmissbrauch und -abhängigkeit etc.) durchgeführt werden sollte. Eine begleitende oder reaktive Depression wird im Allgemeinen nicht als absolute Kontraindikation für die Neuromodulation angesehen. Die Neurostimulation umfasst alle Ebenen des peripheren und zentralen Nervensystems mit Implantation von unterschiedlichsten Elektroden zur elektrischen Stimulation von Nerven, Rückenmark oder Gehirn. Die einfachste und komplikationsärmste Anwendung besteht in der subkutanen Implantation von Elektroden im Bereich des Schmerzareals. Die Indikationen umfassen Narbenschmerzen nach chirurgischen Eingriffen an Rumpf oder Extremitäten (z. B. Leistenschmerz, Post-Thorakotomie-Schmerz etc.) und am Hinterhaupt im Sinne einer Stimulation des Nervus occipitalis major bei chronischen Kopf- und Gesichtsschmerzen. Bei Mononeuropathien nach isolierter Schädigung eines Nervs kann proximal der Läsionsstelle die direkte Stimulation der Nerven mit Implantation einer Elektrode peri- oder intraneural erfolgen. Hierfür scheinen die großen Nerven der Extremitäten bevorzugt geeignet (z. B. Nervus ulnaris, N. peroneaus communis etc.). Prospektive randomisierte Studien mit adäquaten Patientenzahlen und ausreichendem Nachbeobachtungszeitraum über 12 Monate hinaus sind bisher nicht durchgeführt worden. Im Gegensatz dazu ist die Datenlage bei der Anwendung der epiduralen Rückenmarkstimulation („spinal cord stimulation“, SCS) bei unterschiedlichen chronischen Schmerzsyndromen deutlich besser. Durch prospektive und randomisierte Studien konnte bei therapierefraktärer Angina pectoris sowie Ischämieschmerzen bei peripherer arterieller Verschlusskrankheit Grad II–III eine gute Evidenz und ein Empfehlungsgrad A erreicht werden. Bei CRPS Typ I und dem sog. „failed back surgery syndrome“ (FBSS) mit prädominantem Beinschmerz konnte eine Evidenz Grad II und ein Empfehlungsgrad B festgestellt werden. Für alle anderen Anwendungen der SCS bei unterschiedlichen Schmerzsyndromen (CRPS II, Rückenschmerz, Leistenschmerz etc.) liegt keine Evidenz bzw. Empfehlungsgrad vor und diese Behandlungen können bei Versagen der konservativen Methoden im
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individuellen Behandlungsfall angewandt werden. Ein entscheidendes Kriterium der SCS stellt die Empfindung von Kribbelparästhesien im Schmerzareal durch eine überschwellige Reizung der Hinterstränge des Rückenmarks dar. Aus operativ praktischen Gesichtspunkten kann zwischen perkutanen Stabelektroden und chirurgisch offen zu implantierenden Plattenelektroden unterschieden werden. In den letzten fünf Jahren sind die achtpoligen Stabelektroden bevorzugt, da ggf. durch Umprogrammierung leichte Elektrodendislokationen kompensiert werden können. Die Entwicklung wiederaufladbarer Impulsgeber (seit 2005) mit ca. 9 Jahren Lebensdauer bedeutet für Patienten mit hohem Energieverbrauch eine Verbesserung der Lebensqualität mit weniger Folgeoperationen bei Batterieerschöpfung. Auch die Implementierung einer automatischen Anpassung der Stimulationsintensität an unterschiedliche Körperpositionen (seit 2010) erscheint bei geeigneten Patienten sinnvoll und vorteilhaft. Langzeitergebnisse, sowohl aus klinischer als auch aus ökonomischer Sichtweise, müssen hier aber noch abgewartet und evaluiert werden. Insgesamt kann davon ausgegangen werden, dass in Deutschland derzeit ca. 1500 SCS-Systeme/Jahr implantiert werden, davon ca. ein Drittel als wiederaufladbare Neurostimulatoren, allerdings in steigender Anzahl. Allgemein anerkannt erscheint die Tatsache dass die Indikation zur Neurostimulation erst nach Versagen der medikamentösen Schmerztherapie gestellt wird. Umstritten ist jedoch der genaue Zeitpunkt im Hinblick auf die Vielzahl der heutzutage zur Verfügung stehenden Analgetika und das Nebenwirkungsprofil. Vor dem Hintergrund der Problematik der fortschreitenden Schmerz-Chronifizierung und der z. T. immer noch ineffektiven pharmakologischen Schmerzbehandlung muss bei bestimmten Schmerzerkrankungen der Einsatz der Neuromodulation auch frühzeitig im Behandlungsverlauf erwogen werden. Hier sei zum Beispiel der Einsatz der SCS bei radikulärem neuropathischem Beinschmerz nach Bandscheibenoperation angeführt. Hier sollte die Indikation zur SCS vor dem Einsatz von hochpotenten Opioiden gestellt werden. Dies spiegelt sich auch in der aktuellen interdisziplinären S3-Leitlinie zur SCS bei chronischen Schmerzsyndromen wieder (siehe: http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/041-002.html). Bereits seit den 1980er Jahren des letzten Jahrhunderts werden chirurgische Elektroden zur Oberflächenstimulation des Gehirns epidural implantiert, um chronische Schmerzsyndrome zu lindern. Dazu werden Plattenelektroden oberhalb des Gyrus präzentralis, kontralateral zur schmerzhaften Körperseite, eingesetzt (sog. Motorkortexstimulation, MCS). Im Gegensatz zur SCS ist diese Stimulationsform unterschwellig und wird vom Patienten nicht unmittelbar gespürt. Die Stimulationsintensität liegt zwischen 30 und 80% der jeweils individuellen Erregungsschwelle des motorischen Kortex und ist mit ca. 20–50 Hz eher niederfrequent. Die Hauptindikationen werden heutzutage bei behandlungsresistenten Schmerzen im Sinne eines zentralen oder Thalamusschmerz nach Schlaganfall (sog. „post-stroke pain“, PSP), neuropathischen Schmerzen des Gesichtes im Sinne einer Trigeminus-Neuropathie (TNP) und Schmerzen nach zervikalem Wurzelausriss oder Plexus-brachialis-Verletzung gesehen. Nach Implantation der Elektroden erfolgt eine mindestens einwöchige Testphase mit externem Impulsgeber zur Evaluierung einer Schmerzlinderung und ggf. Placebo- oder Doppel-Blind-Testung, um mögliche falsch-positive Responder zu identifizieren. Erst nach objektivierbarer Schmerzlinderung um >30% und Reduktion der Analgetika erfolgt die Implantation eines Neurostimulators. Insgesamt kann davon ausgegangen werden, das weltweit ca. 450–500 Pat. mit dieser Methode behandelt worden sind und die Erfolgsquote für PSP ca. 50–60%, TNP ca. 60–85% und ca. 50–75% bei Nervenwurzelausriss bzw. Plexusverletzung beträgt. Ähnliche Erfahrungen liegen bei der tiefen Hirnstimulation (engl.: „deep brain stimulation“, DBS) und chronischen Schmerzsyndromen vor. Als prinzipielle Voraussetzung gelten auch hier die Ausschöpfung aller konservativen Therapieoptionen und der Ausschluss von psychiatrischen Kontraindikationen. Große Verbreitung und auch Evidenz besitzt die DBS in der Behandlung von therapierefraktären Bewegungsstörungen wie z. B. tremordominanter Morbus Parkinson und Dystonie. Als Zielpunkte für die stereotaktisch geführte Elektroden-
einlage bei chronischen Schmerzen gelten in diesen Fällen der mediale und laterale Thalamus (je nach Schmerzlokalisation; somatosensorische Umschaltstelle) sowie das periventrikuläre Grau (körpereigene Endorphin-Sekretion). Ebenso wie bei der MCS ist die DBS unterschwellig und orientiert sich an den stimulationsbedingten Nebenwirkungen. Der Behandlungserfolg wird ähnlich wie bei der MCS im Rahmen einer Testphase überprüft, bevor ein definitiver Neurostimulator implantiert wird. Betrachtet man die Indikationsstellung für die DBS so zeigt sich das auch hier eine Bevorzugung von anatomisch gut definierten Schmerzsyndromen wie z. B. Gesichtsschmerzen, Phantomschmerzen etc., besteht. Im eigenen Patientenkollektiv von insgesamt >80 Patienten konnte bei ca. 60% der Patienten eine >30%ige Schmerzlinderung durch die DBS erzielt werden. Durch die Placebo- oder Doppel-Blind-Stimulation wurden ca. 20% als falsch-positive Responder identifiziert und die Stimulationselektroden wieder entfernt. Da sich die Indikationen für die unterschiedlichen operativen Verfahren zum Teil überschneiden, wurde ein Behandlungsalgorithmus aufgestellt, in dem die weniger invasiven Verfahren bevorzugt werden. Hier wird bei Mononeuropathien und radikulären neuropathischen Schmerzen die PNS bzw. SCS empfohlen. Erst bei Nachweis eines zentralen strukturellen Schadens im Bereich des Myelons oder weiter proximal nach intrazerebral wird die MCS und ggf. die DBS in Erwägung gezogen. Aufgrund der Komplexität und Schwierigkeit dieses hochselektiven Kollektivs von chronischen Schmerzpatienten und der speziellen operativen Verfahren sollte eine solche Behandlung nur in zertifizierten interdisziplinären Zentren mit langjähriger Erfahrung im Bereich der Neurochirurgischen und Speziellen Schmerztherapie angewandt werden.
Kopfschmerz SY 53 Migränetherapie: Hilft wirklich nichts nicht gegen Migräne? A. Straube1, C. Gaul2, S. Darabaneanu3 1Klinikum Großhadern, Neurologische Klinik und Poliklinik, München, Deutschland, 2Universitätsklinikum Essen, Neurologische Klinik, Essen, Deutschland, 3Universitätsklinikum Kiel, Medizinische Psychologie Kiel, Kiel, Deutschland Dieser etwas provokative Titel geht auf eine Aussage von G. Haag anlässlich des 20-jährigen Bestehens der Deutschen Migräne und Kopfschmerz-Gesellschaft zurück und wirklich, wenn man die Therapieangebote im Web-Netz anschaut, gibt es eine unübersehbare Fülle von Angeboten, die alle für sich in Anspruch nehmen wirksam zu sein. Dabei finden sich häufig auch heftige Kontroversen bezüglich der Erfolgsmeldungen von alternativen Therapieverfahren. Typische Themen der letzten Jahre waren der Stellenwert der Corrugatorchirurgie, der Botulinustoxingabe, PFO-Verschluss und von kortikalen Stimulationstechniken (z. B. TMS) in der Prophylaxe der Migräne. Weitere Themen sind aber auch der Stellenwert von spezifischen Brillen, die höherfrequente Lichtanteile reduzieren, spezifische allergenfreie Diäten und der Manualtherapie. Tatsächlich haben bis zu 80% aller Kopfschmerzpatienten Erfahrungen mit Verfahren außerhalb der klassischen Schulmedizin. Am häufigsten werden Akupunktur (>50%) und Homöopathie (>20%) eingesetzt, gleichwohl für die Akupunktur eine Überlegenheit gegenüber Scheinakupunktur nicht gezeigt wurde und für Homöopathie der Wirksamkeitsnachweis beim Kopfschmerz völlig fehlt. Zur Behandlungsmotivation werden der Wunsch nichts unversucht zu lassen und der Wunsch selbst aktiv gegen die Erkrankung anzugehen am häufigsten angegeben. Dabei ist gerade die Schwelle alternative Verfahren zu ergreifen häufig deutlich niedriger als ein „schulmedizinischen Verfahren“ zu akzeptieren. Generell zeigt sich, dass es sich lohnt diese Aktivität des Patienten, die ja an sich schon ein therapeutisches
Ziel ist, in ein übergeordnetes Behandlungskonzept zu integrieren, um so den Patienten mit seinen Bedürfnissen und zum Teil nicht immer rationalen Wünschen abzuholen. Um dieser Forderung nachkommen zu können, werden im Symposium die am häufigsten nachgefragten Verfahren diskutiert. Auch die Sporttherapie hat den Vorteil, dass eine prinzipielle Akzeptanz besteht, wobei häufig die Umsetzung in der Praxis unklar ist und auch rudimentär bleibt. Das liegt z. T. auch darin begründet, dass die wissenschaftliche Bearbeitung der Sporttherapie sehr lückenhaft ist. Daher soll gerade die bisherigen Erkenntnisse über die generelle Wirksamkeit, möglichen physiologischen Mechanismen und der sinnvollsten Form der Sporttherapie diskutiert werden. So ist z. B. bis heute nicht geklärt, ob nur allein aerober Ausdauersport wirksam ist oder nicht auch z. B. isometrische Übungen, wie z. B. Kraftsport. Auch ist nicht gezeigt, dass eine regelmäßige Sporttherapie wirklich zu einer Reduktion des individuellen Stessniveau führt. Seit 2005 gibt es in Deutschland aber auch in anderen Ländern (z. B. Dänemark) sog. integrierte Behandlungszentren für Patienten mit chronischen Kopfschmerzen, In der Regel wird in diesen Zentren neben einer qualifizierten medizinischen Betreuung auch psychologische und Bewegungstherapie angeboten. Mit diesen Angeboten werden im Durchschnitt eine Reduktion der mittleren Kopfschmerztage um 50% erreicht, welche auch noch nach 12 Monaten anhält. Bis heute fehlen aber vergleichende Studien, die die Behandlungsergebnisse der verschiedenen Konzepte vergleichen. Aus Studien über die Besserung von Patienten mit chronischen täglichen Kopfschmerzen bzw. Migräne ist bekannt, dass die Kombination eines medikamentösen Verfahrens mit psychologischen Verfahren wie z. B. Entspannungsverfahren oder Biofeedback erfolgreicher sind, als die Einzeltherapien. Unklar ist aber, ob dieses für die Kombination auch anderer Interventionen auch gilt und ob sich der Erfolg durch weitere zusätzliche Therapieangebote weiter steigern lässt. Kritisch anzumerken ist, dass bezüglich des Medikamentenentzuges eine Überlegenheit einer stationären Behandlung gegenüber einem ambulanten Angebotes nicht zeigen ließ. Vor dem Hintergrund knapper werdender Finanzmittel werden in der Zukunft gerade Fragen nach zuverlässigen Prädiktoren, die eine Zuordnung der Patienten in die verschiedenen therapeutischen Angebote (z. B. intensivierte multimodale Therapie vs. alleinige Aufklärung usw.) erlauben sowie die Frage, ob sich der Therapieerfolg durch Kombination anderer Therapieverfahren über das Maß der durch die bisherigen Therapieangebote realisierbaren steigern lässt, in den Fokus der wissenschaftlichen Bearbeitung treten. Vor diesem Hintergrund werden wahrscheinlich auch Konzepte, die bisher allgemein akzeptiert sind, sich einer Neubewertung stellen müssen. Das Symposium soll ein erster Versuch der Annäherung an diese Fragen sein, die letztlich sich nicht nur für den Kopfschmerz sondern auch für andere Schmerzerkrankungen und multimodale Konzepte stellt.
Schmerz und Bewegung SY 54 Physiotherapie bei chronischen Schmerzen im Bezug zu neuro physiologischen Grundlagen H. Casser1, D. Falla2, C. Haas3 1DRK Schmerz-Zentrum Mainz, Mainz, Deutschland, 2Pain Clinic, Center for Anesthesiology, Emergency and Intensive Care Medicine, University Hospital Göttingen, Göttingen, Deutschland, 3Hochschule Fresenius, FB Gesundheit, Idstein, Deutschland In diesem Symposium werden die Zusammenhänge von Schmerz, Bewegung und Verhalten dargestellt und Wege zur günstigen Beeinflussung aufgezeigt. Bei der Entwicklung chronischer Schmerzen wirken neurale Anpassungsprozesse in entscheidender Weise auf die Schmerzleitung ein und können bis hin zu einer Verselbstständigung der Schmerzsignale Der Schmerz · Supplement 1 · 2011
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Abstracts im ZNS führen. Nervale Prozesse spielen bei der Entwicklung stabiler Bewegungsmuster ebenso eine entscheidende Rolle, wie die Aktivität der tiefen und der oberflächlichen Muskulatur. Im Mittelpunkt stehen dabei zum einen eine quasi-repetitive Bewegungsausführung und zum anderen die Freisetzung neurotroper Faktoren, die vor allem mit reflex- aber auch varianzbasierten Bewegungsformen assoziiert sind. Die Plastizität des Nervensystems ermöglicht Anpassungsvorgänge auf sich wiederholende Reize im Sinne einer Stabilisierung des Verhaltens, bei hochgradiger Varianz kann allerdings auch ein „Aufbrechen“ stabiler pathologischer Muster erreicht werden. Im ersten Beitrag (D. Falla, Beitrag in Englisch) wird zunächst der Zusammenhang von Nozizeption und deren Einfluss auf die motorische Kontrolle von Kopf- und Halsbewegungen aufgezeigt und anschließend eine Übersicht über die Grundprinzipien evidenzbasierter therapeutischer Übungen für Funktionsstörungen an der Halswirbelsäule dargestellt. Im zweiten Beitrag (C. Haas) werden die Bedeutung von Bewegung, Repetition, motorischem Lernen und die Auswirkungen auf Schmerzentwicklung und -chronifizierung herausgearbeitet. Motorisches Lernen kann als ein Prozess definiert werden, der durch Übung und Anwendung sowie Sammeln von Erfahrung gekennzeichnet ist und die motorische Handlungsfähigkeit beeinflusst. Je weniger komplex ein System ist, desto geringere Anpassungsmöglichkeiten besitzt es. Umgekehrt ermöglicht eine hohe Anpassungsmöglichkeit die Kompensation oder Reduktion pathologischer Einflussgrößen, z. B. die Schmerzentstehung, wie auch die Beendigung pathologischer Zustände. Damit erhöhen sich die therapeutischen Möglichkeiten, die Symptomatik zu beeinflussen. Im abschließenden Beitrag (M. Egan Moog) werden die wichtigsten evidenzbasierten Mechanismen skizziert, die sowohl auf die subjektive Schmerzwahrnehmung als auch auf die Überschreibung eines maladaptiven Schmerzgedächtnisses positiv einwirken können. Physiotherapeutische Therapieansätze können in mechanisch stimulierende (z. B. konventionelles Tens) und nozizeptiv-stimulierende (z. B. endgradige Gelenkmobilisiationen) unterteilt werden. Aber auch Erkenntnisse aus der Lernforschung und kognitiv-verhaltenstherapeutische Komponenten (z. B. Angstabbau, Belohnungssystem) werden berücksichtigt. Wissenschaftliche Daten der letzten Jahre belegen, dass interdisziplinäre Therapieansätze zur Schmerzreduktion, Funktions- und Partizipationsverbesserung beitragen. In diesem Symposium werden die bewegungstherapeutischen Möglichkeiten von Seiten der Physiotherapie anhand der zugrunde liegenden Schmerzmechanismen wie auch der evidenzbasierten, neurologisch begründeten Therapieansätze dargestellt. Für eine effektive interdiszplinäre Therapieabstimmung ist dies eine wichtige Voraussetzung.
Psychologische Verfahren SY 55 E-Health im Schmerzmanagement: Chancen und Risiken elekt ronischer Technologien beim chronischen Schmerz C. Leonhardt1, C. Bischoff2, A. Evers3 1Philipps-Universität Marburg, Institut für Medizinische Psychologie, Marburg, Deutschland, 2AHG-Klinik für Psychosomatik Bad Dürkheim, Bad Dürkheim, Deutschland, 3Radboud University Nijmegen, Medical Centre, Medical Psychology 840, HB Nijmegen, Niederlande Elektronische Kommunikationstechnologien werden in der Versorgung chronischer Schmerzpatienten zunehmend bedeutsamer, wie ein kürzlich veröffentlichtes Topical Review in der Zeitschrift Pain deutlich macht (Keogh et al. 2010). Dabei ist die Hoffnung, kosteneffektive maßgeschneiderte Lösungen für Diagnostik, Edukation und Therapie zu entwickeln.
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C. Leonhardt stellt in ihrem Beitrag die Umsetzung eines bekannten Rückenschmerzbuches („The Back Book“, Roland et al., 2002) in eine stark auditiv orientierte computerunterstützte Fassung vor sowie die Wirksamkeitsprüfung dieser Neuentwicklung im Rahmen eines randomisierten Designs hinsichtlich Einstellungsänderung bei Rückenschmerzpatienten. Die Umsetzung orientierte sich an den inhaltlichen Vorgaben des „Backbooks“, das v. a. darauf abzielt Kausal- und Kontrollattributionen beim Patienten in Richtung eines biopsychosozialen Krankheitsverständnisses zu verändern. Gleichzeitig wurde versucht, nachgewiesene Informationsbedürfnisse von Rückenschmerzpatienten zu berücksichtigen und die multimedialen Möglichkeiten des PCs zu nutzen (z. B. vorwiegend gesprochene Texte mit Kernsätzen auf dem PC, patientennahe Modelle im Video). In einem randomisierten Design mit drei Gruppen (PC-Version, Broschüre, Wartegruppe) zeigten die Patienten der PC-Gruppe signifikant deutlichere Einstellungsänderungen in Hinblick auf ein biopsychosoziales Krankheitsmodell (BBQ; dt Version Mannion et al., 2009) sowie signifikant stärker reduzierte Angst-Vermeidungs-Überzeugungen bezogen auf körperliche Aktivität als Wartegruppen-Patienten (mittlere Effektstärken). Im Vergleich zur Broschüre gab es keine signifikanten Unterschiede. Computerbasierte Beratung für Rückenschmerzpatienten erwies sich hier als ebenso wirksam wie schriftliche Patienteninformation und effektiver als die hausärztliche Beratung allein. Im zweiten Beitrag (A. Evers) wird ein e-Health-Projekt aus den Niederlanden für Patienten mit Rheumatoider Arthritis (RA) und psychosozialen Risikofaktoren vorgestellt. Untersucht werden sollte, ob Elemente kognitiver Verhaltenstherapie für RA-Patienten durch E-Coaching eingesetzt werden könnten, um eine kosteneffektivere Therapieoption zu haben. In einem randomisierten Design mit zwei Gruppen (E-Coaching vs. Kontrollgruppe) sollten Effektivität und Zufriedenheit der neuen Therapieoption überprüft werden. Die Ergebnisse zeigten, dass ein an kognitiv-behaviorales Risikoprofil angepasstes E-Coaching machbar ist und von den betroffenen Patienten mit mehr Vor- als Nachteilen bewertet wird. Die ersten Effektivitätsergebnisse deuten an, dass es Verbesserungen in der Funktionsfähigkeit, hohe Patientenzufriedenheit und wenige Dropouts in der Behandlungsgruppe gab. Risikoprofiladaptiertes E-Coaching erwies sich hier somit als ein vielversprechender neuer Weg für RA-Patienten mit psychosozialen Risikofaktoren. Der dritte Beitrag (C. Bischoff) beschäftigt sich mit einer Studie, welche zum Ziel hatte, die Wirksamkeit von handheldgestütztem Selbstmanagement in der Rehabilitationsnachsorge zu evaluieren. Dieses Coaching mittels PDA stützt sich auf psychologische Erkenntnisse zur Selbstregulation und zum Selbstmanagement (siehe Handlungssteuerungskonzept von Miller et al. 1960). Patienten sollte es nach Entlassung aus einer Rehabilitationsklinik erleichtert werden, neu erworbene Verhaltensweisen im Alltag zu Hause einzuüben und dadurch den Reha-Erfolg zu sichern. Vorgestellt werden erste Ergebnisse einer randomisierten Evaluationsstudie eines 14-tägigen E-Coaching im ersten halben Jahr der poststationären Phase der Rehabilitationsnachsorge. Die Projekte zeigen, dass sich erfolgversprechende Einsatzmöglichkeiten neuer elektronischer Technologien auch bei Schmerzpatienten ergeben. Grenzen für den Ersatz einer „Face-to-face“-Therapie, Anpassungen an die jeweiligen Patientengruppen und notwendige Überlegungen zum Datenschutz müssen jedoch ebenfalls beachtet werden. 1. Evers AWM, Kraaimaat, FW, Riel PLCM van, Jong AJL de (2002) Tailored cognitive-behavioral therapy in early rheumatoid arthritis for patients at risk: A randomized controlled trial. Pain 100: 141–153. 2. Keogh E, Rosser BA, Eccleston C (2010) E-Health and chronic pain management: current status and developments. Pain 151(1):18–21. 3. Macea DD, Gajos K, Glia Calil YA, Fregni F (2010) The efficacy of webbased cognitive behavioral interventions for chronic pain: a systematic review and meta-analysis. The Journal of Pain11: 917–929. 4. Mannion AF, Horisberger B, Eisenring C, Tamcan O, Elfering A, Muller U (2009) The association between beliefs about low back pain and work
presenteeism. J Occup Environ Med 51(11):1256–1266. 5. Miller GA, Galanter E, Pribram, KH (1960) Plans and the structur of behavior. New York: Holt, Rinehart & Winston. 6. Roland M, Waddell G, Klaber Moffett J, Burton K, Main C, Cantrell T. The Back Book: The best way to deal with back pain; Get Back Active. London: The Stationary Office; 2002.
Neuropathischer Schmerz SY 56 Modediagnose CRPS?! Fortschritte bei der Diagnose von „CRPS“ und „Pseudo-CRPS“!? B. Zernikow1, F. Birklein2, C. Maier3 1Vestische Kinder- und Jugendklinik- Universität Witten/Herdecke, Vodafone Stiftungsinstitut und Lehrstuhl für Kinderschmerztherapie und Pädiatrische Pallia, Datteln, Deutschland, 2Johannes Gutenberg Universität, Klinik für Neurologie, Mainz, Deutschland, 3Berufsgenossenschaftliches Universitätsklinikum Bergmannsheil der Ruhr-Universität-Bochum, Abt. Schmerztherapie, Bochum, Deutschland Bis zu 50% und mehr aller Patienten, die mit der Überweisungsdiagnose CRPS derzeit deutschen Schmerzkliniken zugewiesen sind, haben andere Erkrankungen oder Störungen. Es handelt sich offensichtlich um eine Modediagnose, die beispielsweise beim Vorliegen von Ödemen, fehlender Gebrauchsfähigkeit der Extremität oder auch nur radiologisch nachweisbarer Osteopenie von verschiedensten Berufsgruppen vergeben wird. Von daher ist die Frage der für die Diagnosestellung „CRPS“ notwendigen Kriterien von hoher medizinischer Bedeutung. Vor kurzem wurden die früheren IASP-Kriterien modifiziert und validiert. Die Autoren reklamieren eine hohe Sensitivität und Spezifität [1]. Mit diesem Symposium sollen die Argumente für diese Kriterien dargelegt werden, allerdings in einem zweiten Vortrag auch eine Gegenposition formuliert werden. Kritiker bemängeln die mangelnde Validität der Kriterien, weil die Kontrollgruppe ein nichtadäquates Kollektiv einschloss und die Fallzahl zudem zu gering war. Zudem fehlen die apparativ-radiologischen Verfahren komplett, was der Fehldiagnose CRPS gefährlichen Vorschub leisten kann. Ein ähnlich komplexes Bild zeichnet sich auch, wenn die Diagnose CRPS für Kinder und Jugendliche vergeben werden soll. Auch die Besonderheiten dieser Altersgruppe werden im Symposium diskutiert. Harden, R. N., Bruehl, S. P. Diagnosis of complex regional pain syndrome: signs, symptoms, and new empirically derived diagnostic criteria. Clin J Pain 2006;22(5):415–9
Praktikerseminare Donnerstag, 06.10.2011 PS1 Praktiker-WorkShop: Diagnostik und Therapie von Rücken schmerzen M. Pfingsten1, F. Petzke2, J. Strube3, D. Seeger4, W. Pennekamp5, J. Hildebrandt6 1Universitätsmedizin Göttingen, Schmerztagesklinik und -Ambulanz, Göttingen, Deutschland, 2Universität Köln, Schmerzambulanz der Klinik für Anästhesie, Köln, Deutschland, 3Universitätsmedizin Göttingen, Schmerztagesklinik – und Ambulanz, Göttingen, Deutschland, 4Universitätsmedizin, Schmerzklinik, Göttingen, Deutschland, 5Berufsgenossenschaftliches Universitätsklinikum Bergmannsheil, Radiologie, Bochum, Deutschland, 6Universitätsmedizin Göttingen, Schmerzklinik, Göttingen, Deutschland Vorsitz: Pfingsten (Göttingen) und Petzke (Göttingen)
Beiträge – Überblick über das Problem (J. Hildebrandt, Göttingen) – Körperliche Untersuchung (J. Strube, Göttingen) – Diagnostische Radiologie (W. Pennekamp, Bochum) – Diagnostische und therapeutische Nervenblockaden (J. Hildebrandt, Göttingen) – Medikamentöse Verfahren (F. Petzke, Göttingen) – Physio-, Trainings- und Ergotherapie (D. Seeger, Göttingen) – Psychologische Diagnostik und Therapie, Multimodale Verfahren (M. Pfingsten, Göttingen)
Inhaltsbeschreibung Bei Rückenschmerzen gibt es sehr viele angebotene Therapieverfahren, was für Behandler und Patienten zu einer erheblichen Verunsicherung führen kann. Seit kurzer Zeit gibt es evidenzbasierte nationale und internationale Leitlinien wie die Nationale Versorgungsleitlinie Kreuzschmerz, diese werden im Seminar berücksichtigt bzw. in ihrer praktischen Konsequenz erläutert. Röntgenaufnahmen werden bei nicht-spezifischen Rückenschmerzen primär nicht empfohlen, sondern sollen nur dann durchgeführt werden, wenn Hinweise auf ernsthafte Erkrankungen vorliegen. Neben der Diskussion um die Indikation zu bildgebenden Verfahren werden in diesem Beitrag die zu erwartenden Befunde an der Wirbelsäule in Schnittbilduntersuchungen (MRT/CT) und konventionelles Röntgen vorgestellt (Pennekamp). Anamnese und körperliche Untersuchung sind der Schlüssel zur diagnostischen und therapeutischen Planung. Sie spielen eine wesentlich wichtigere Rolle als technische Verfahren. Den Seminarteilnehmer/ innen wird ein rationelles, standardisiertes Anamnese- und Untersuchungskonzept vermittelt;(Differenzierung von radikulären u. nichtradikulären Beschwerden sowie orientierende Differenzierung von nichtradikulären Beschwerden (Strube). Die Bedeutung von Nervenblockaden und Infiltrationen spielen eine zunehmend geringere Rolle; bei einer kleinen Patientengruppe scheinen sie aber wichtig und effektiv zu sein. Dies bezieht sich auf diagnostische Blockaden vor invasiven Eingriffen (Wurzelblockade, Facettenblockade, Diskografie) und therapeutischen Injektionen, peridural, Sakro-Iliacal-Gelenk (Hildebrandt). Medikamente müssen zielgerichtet und entsprechend der Krankheitsphase akut, subakut und chronisch eingesetzt werden. Für viele in der Schmerztherapie eingesetzte Medikamente gibt es keinen WirksamDer Schmerz · Supplement 1 · 2011
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Abstracts keitsnachweis. Im Seminar werden die wesentlichen Medikamente benannt und deren Leitliniengerechte und rationelle Verordnung erläutert (Petzke). Rückenschmerzen sind keine genuine psychosomatische Erkrankung, jedoch wird sowohl das Verhalten als auch das Erleben der Patienten durch kognitive Faktoren, wie z. B. Katastrophisieren, Schmerzerwartungen, Krankheits- und bewegungsbezogene Ängste in erheblicher Weise moduliert wird. Daraus abgeleitete Behandlungsprinzipien sind in ein „multimodales“ Vorgehens integriert (Pfingsten). Die physiotherapeutischen Behandlungen haben eine salutogenetische Orientierung anstelle einer pathogenetisch orientierten Denkweise. Unter einer funktionsorientierten Sichtweise werden mit den Patienten konkrete Zielsetzungen u. a. in Bezug auf das Bewegungsverhalten sowie den Umgang mit Grenzen vereinbart und anschließend schrittweise erarbeitet (Seeger). Dieser Praktiker-Kurs soll aus interdisziplinärer Sicht den aktuellen Stand des Wissens darlegen und praxisnah vermitteln, so dass die Teilnehmer danach in der Lage sind, diese in ihrem Berufalltag umzusetzen. Die Vermittlung der Inhalte vollzieht sich explizit an den Ergebnissen der neuen S3-Leitlinie „Kreuzschmerz“.
PS2 Opioidtherapie im klinischen Alltag außerhalb der schmerzthe rapeutischen Versorgungspraxis M. Gleim1, H. Ohnesorge1, S. Schulzeck1 1Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin, UK SH, Kiel, Deutschland Langzeit-Opioid-behandelte Patienten begegnen uns zunehmend häufig auch außerhalb der speziellen schmerztherapeutischen Versorgung. Besonders im akut medizinischen Bereichen wie dem ambulanten Bereitschaftsdienst, der Notaufnahme oder der perioperativen Schmerztherapie stellen sich hierbei häufig Probleme. Im Praktikerworkshop werden grundlegende Probleme chronisch Opioid behandelter Schmerzpatienten bearbeitet. Spezielle Komplikationen der Opioid-Langzeittherapie, deren pathophysiologische und psychosoziale Grundlagen und Lösungsmöglichkeiten werden anhand Erfahrungen aus dem eigenen Arbeitsbereich und exemplarischer Fälle dargestellt. Das „Wie“ und „Für“ und „Wider“ der möglichen Lösungsansätze in diesen Situationen wird mit den Teilnehmern diskutiert. Ein Schwerpunkt behandelt die Besonderheiten in der perioperativen Versorgung von Patienten unter einer chronischen Opioidtherapie und die hierbei nicht seltenen Probleme in der Zusammenarbeit mit NichtSchmerzspezialisten: Nicht be- oder erkannte Opioid-Vortherapie, die Probleme einer Absetzsymptomatik oder einer mangelnden Effektivität der sonst wirksamen Akutschmerztherapie erfordern spezielles Vorgehen und erhöhen den Aufwand der Versorgung dieser Patienten oft beträchtlich.
PS3 Multimodale Therapie bei orofazialen Schmerzen: Teamwork zwischen Neurologen, Psychologen und Zahnärzten U. Galli1, D. Ettlin2, C. Gaul3 1Praxis für Neurologie und Psychotherapie, Zürich, Schweiz, 2Zahnmedizinisches Zentrum Zürich, Klinik für Kaufunktionsstörungen, abnehmbare Rekonstruktionen, Alters- und Behindertenzahn, Zürich, Schweiz, 3Westdeutsches Kopfschmerzzentrum, Klinik für Neurologie; Universitätsklinikum Essen, Essen, Deutschland Orofaziale Schmerzen sind häufig und werden von verschiedenen Berufsgruppen – oft im Alleingang – behandelt. Analog zu persistierenden Schmerzen in anderen Körperteilen sind besonders interventionell tätige Behandler oft vom Ziel geleitet, mittels Eingriffen alles
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therapeutisch „Machbare“ zu tun. Demgegenüber stehen multimodale Verfahren der allgemeinen Schmerztherapie, welche sich auch im Bereich chronischer orofazialer Schmerzen etabliert haben und die der multifaktoriellen Genese dieser Schmerzbilder Rechnung tragen. So finden sich z. B. auch in der zahnärztlichen Praxis Patienten mit „unklaren Schmerzen“ und krankheitsrelevanten psychischen Komorbiditäten, die aber häufig übersehen oder zu spät diagnostiziert werden. In diesem Praktikerseminar werden die Voraussetzungen für eine gelungene interdisziplinäre Behandlung aus neurologischer, psychologischer und zahnärztlicher Sicht dargestellt. Dazu gehören: ein gut strukturiertes Anamnesegespräch mit geeigneten Screeningverfahren zur Erkennung von Risikopatienten, eine klare Differenzialdiagnostik sowie definierte Indikationskriterien für komplexe und einfache Behandlungssituationen. Anhand von Video-Fallbeispielen werden konkrete Diagnose- und Behandlungsstrategien praxisnah vorgestellt.
PS4 Multimodale Schmerztherapie im Krankenhaus – Betriebswirt schaft und Organisation E. Lux1, P. Paul2, I. Bross3 1Klinikum St.-Marien-Hospital Lünen, Klinik für Schmerz- und Palliativmedizin, Lünen, Deutschland, 2Klinikum St.Marien Hospital, Klinik Schmerz -und Palliativmedizin, Lünen, Deutschland, 3Klinikum St. -Marien-Hospital, Medizincontrolling, Lünen, Deutschland Multimodale Schmerztherapie im Krankenhaus ist im DRG-System abgebildet und kann bei bestehender Indikation seitens des Patienten und der Erfüllung therapeutischer Anforderungen seitens der Klinik im Rahmen des zu dokumentierenden OPS erbracht und gegenüber den Krankenkassen abgerechnet werden. Das Praktikerseminar richtet sich an Mitarbeiter aus Kliniken, welche zukünftig multimodale Schmerztherapie an ihrem Krankenhaus planen. Im ersten Beitrag (E.A. Lux) werden aus ärztlicher Sicht Indikationen und Organisationsmodelle beschrieben und im Kontext 10-jähriger Erfahrung aus einer Schmerzklinik erläutert und diskutiert. Betriebswirtschaftliche Erwägungen werden in konkreten Beispielen vorgestellt. Im zweiten Beitrag (P. Paul) werden aus der Sicht der Pflege und der Co-Therapeuten Tagesabläufe und Leistungsinhalte sowie deren Dokumentation beleuchtet. Hemmnisse in der Umsetzung geplanter Abläufe werden auf der Basis langjähriger Tätigkeit diskutiert. Dokumentationsinstrumente werden vorgestellt. Im dritten Beitrag (I. Bross) erfolgt die betriebswirtschaftliche Analyse aus der Sicht des Medizin-Controllers. Anforderungen und Sichtweisen der Kostenträger werden erläutert. Es erfolgen konkrete Hinweise zum proaktiven Umgang mit Krankenkassenanfragen.
PS5 Biofeedbackbehandlung bei Kopfschmerzen und Migräne U. Niederberger1, P. Kropp2 1Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel, Institut für Medizinische Psychologie Kiel, Kiel, Deutschland, 2Institut für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie, Medizinische Fakultät der Universität Rostock, Rostock, Deutschland Nach den aktuellen Leitlinien der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft gelten psychologische Verfahren, die der Verhaltenstherapie entstammen, als evidenzbasiert und hoch effektiv in der Behandlung der Migräne. Auch bei der Behandlung des Kopfschmerzes vom Spannungstyp sind diese Verfahren wirksam und können unter bestimmten Voraussetzungen als Alternative zur medikamentösen Therapie eingesetzt werden. Neben Entspannungsverfahren, operanten und kognitiv-verhaltenstherapeutischen Behandlungsansätzen im eigentlichen Sinne hat sich in den letzten Jahren zunehmend die
Biofeedback-Therapie als verhaltenstherapeutische Maßnahme zur Behandlung von Kopfschmerzen und Migräne etabliert. Aus umfangreichen Cochrane-Studien und Metaanalysen geht hervor, dass diese Therapieverfahren beispielsweise bei der Migräne ähnlich effektiv sind wie eine medikamentöse Prophylaxe. Das Prinzip dieser Behandlung ist einfach: Grundsätzlich können alle autonom oder zentral ablaufenden Körperfunktionen über Biofeedback beeinflusst werden. Sie müssen nur bewusst wahrgenommen werden. Dadurch lassen sich diese Funktionen willentlich in die gewünschte Richtung beeinflussen. Dies gilt in besonderem Maße auch für Kopfschmerzen und Migräne. So kann mit unspezifischer Wirkung zumindest eine autonome Ruhigstellung erreicht werden, die ihrerseits die Wahrscheinlichkeit beispielsweise für einen Migräneanfall reduziert. Aber auch spezifischer wirkende Verfahren können bei der Behandlung von Kopfschmerzen eingesetzt werden, so u. a. ein Ansatz zum Aufbau von Habituationseffekten. Im Praktikerseminar werden zunächst die Grundlagen der Biofeedbacktherapie vorgestellt. Es folgen einige Fallbeispiele bei der Anwendung im Bereich chronischer Schmerzzustände, hier speziell bei der Migräne und beim Kopfschmerz vom Spannungstyp. Abgerundet wird das Seminar mit praktischen Übungen der Teilnehmer an verschiedenen Biofeedbackgeräten und einer Darstellung der Fallstricke dieser Behandlung. Außerdem wird auf abrechnungstechnische Besonderheiten dieser Behandlungsmethode eingegangen.
PS6 Workshop: Curriculum Palliativmedizin Q13 und Schmerz therapie? F. Nauck1, A. Kopf2 1Georg-August-Universität Göttingen, Zentrum Anaesthesiologie, Rettungs- und Intensivmedizin, Göttingen, Deutschland, 2Charite Berlin/ Campus Benjamin Franklin, Anästhesie mit Schwerpunkt operative Intensivmedizin, Berlin, Deutschland Vorsitz: Friedemnn Nauck, Göttigen, Andreas Kopf, Berlin
Referenten und Titel – Frank Elsner: Curriculum Palliativmedizin aus Sicht der DGP – Andreas Kopf: Das Berliner Modell aus Sicht der DGSS
Inhaltsbeschreibung DGP und DGSS begrüßen die notwendige Anpassung der Ärztlichen Approbationsordnung (ÄAppO) aus dem Jahr 2009, in der die Palliativmedizin erstmals in einem sog. Querschnittsbereich Q13 Pflichtlehr- und Prüfungsfach wurde. Schmerztherapie ist bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht als Pflichtfach in der ÄAppO verankert. Während sich die DGP dafür einsetzt, dass die Schmerztherapie in einer weiteren Novellierung der ÄAppO einen eigenen Querschnittsbereich (Q14 – Schmerztherapie) erhält, sieht die DGSS diese Entwicklung sehr skeptisch und verfolgt eher ein Konzept eines gemeinsamen Q13 Schmerztherapie und Palliativmedizin. Die Lehrinhalte der Fächer Palliativmedizin und Schmerztherapie weisen in einigen Bereichen thematische Überschneidungen auf; in vielen Themenkomplexen sind jedoch auch Spezifika vorhanden, die ein eigenständiges Lehrangebot Palliativmedizin und ebenso ein eigenständiges Q14 Schmerztherapie erfordern. Im Workshop sollen die Möglichkeiten zur Umsetzung einer besseren Lehre in Palliativmedizin und Schmerztherapie diskutiert werden und überprüft werden, inwieweit auf regionaler Ebene die Schnittmengen der Fächer Palliativmedizin und Schmerztherapie genutzt werden können, um dem dringend notwendigen Bedarf an mehr studentischer Ausbildung in der Schmerztherapie Rechnung tragen zu können.
PS7 Kerndokumentation und Qualitätssicherung KEDOQS Schmerz bei der DGSS – Voraussetzungen, Ablauf, Nutzen G. Lindena1, B. Nagel2 1CLARA Clinical Analysis, Research and Application, Klinische Analyse, Forschung und Anwendung, Kleinmachnow, Deutschland, 2DRK SchmerzZentrum Mainz, Tagesklinik, Mainz, Deutschland KEDOQS Schmerz „für Anfänger“. Ganz aktuell sind Strukturempfehlungen für schmerztherapeutische Einrichtungen erschienen [1]. Hier wie im Editorial [2] wird eine einrichtungsübergreifende Strategie zur Beschreibung und Verbesserung der Schmerztherapie in Deutschland umgesetzt. Ein Baustein dieser Strategie ist auch KEDOQS Schmerz. Hier werden Struktur- (Aufgabenstellung durch die Patienten und den Schweregrad ihrer Erkrankung), Prozess- und Ergebnisqualitätsindikatoren ergänzt. „Kerndokumentation und Qualitätssicherung in der Schmerztherapie“ KEDOQS Schmerz soll Daten aus schmerztherapeutischen Einrichtungen im deutschsprachigen Raum zusammenführen und gemeinsam auswerten lassen. Die DGSS hat KEDOQS Schmerz initiiert und einen QS-Beirat einberufen, der die Bedingungen der Teilnahme, die Vereinbarungen mit den teilnehmenden Einrichtungen und die Funktion der Datensammlung steuert. Mit KEDOQS Schmerz sollen folgende Ziele verfolgt werden: – Patienten in schmerztherapeutischen Einrichtungen sollen mit ihren wesentlichen demographischen und klinischen Daten beschrieben werden – Indikationsqualität, – schmerztherapeutische Einrichtungen sollen ihr Leistungsspektrum und ihre Ergebnisse bestimmen und vergleichen können –Prozessund Ergebnisqualität, – ein vom jeweils genutzten Computerprogramm (Primärprogramm) unabhängiger Austauschdatensatz soll geschaffen werden – programm-, einrichtungs- und sektorenübergreifendes überregionales externes Qualitätsmanagement, – die Teilnehmer und die DGSS sollen diese Daten für die Weiterentwicklung der Schmerztherapie nutzen. Ein erster großer Schritt war die Entwicklung des Deutschen Schmerzfragebogens DSF. Für die Qualitätssicherung und Versorgungsforschung waren jedoch weitere über den DSF hinausgehende Informationen erforderlich. Daher umfasst der Kerndatensatz das Behandlungssetting (ambulant, teilstationär, stationär), die Hauptschmerzlokalisation, medizinische sowie psychologisch/psychiatrischen Diagnosen und das Chronifizierungsstadium. Im Behandlungsverlauf werden die durchgeführten diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen, ggf. unerwünschte Ereignisse erfragt sowie zum Abschluss einer (teil-)stationären Therapie und in größeren Zeiträumen der von den Patienten ausgefüllte Verlaufsfragebogen. Die Erhebungszeitpunkte (Behandlungsbeginn, Wechsel des Behandlungssettings, Behandlungsende, Follow-up) und die jeweils zu erhebenden Parameter sind klar definiert. Der Kerndatensatz ermöglicht es, vergleichbare Daten aus unterschiedlichen Einrichtungen, auch sektorenübergreifend zu erhalten. Er bildet eine gemeinsame Plattform, die unabhängig vom jeweils genutzten Computerprogramm (Primärprogramm) ist und sich als Austauschdatensatz für alle Primärprogramme eignet. Voraussetzungen für die Teilnahme an KEDOQS Schmerz sind: – die Nutzung und Dokumentation der Daten gemäß dem Kerndatensatz in einem edv-Programm (die Auswahl eines Programms mit KEDOQS-Funktionalität und die Erfassung), – die Einhaltung der Datenstruktur durch das primär genutzte Programm (Patientendaten Anamnese, Diagnostik- und Therapiedaten, Patientendaten im Verlauf im definierten Zeitfenster, Diagnostikund Therapiedaten), – die Einverständniserklärung der Patienten, – Anmeldung der Einrichtung bei KEDOQS Schmerz (Strukturdaten zur Einrichtung). Der Schmerz · Supplement 1 · 2011
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Abstracts Der Nutzen für die Teilnehmer besteht einerseits in der Verfügbarkeit der Daten generell, von Vergleichsdaten aus anderen Einrichtungen, Echtzeit-Auswertungen online, Hilfen zur Auswertung der eigenen Daten, Auswertungen nach den Anforderungen der QS-Kommission, Qualitätssicherung und Benchmark. Zusätzlich besteht ein erheblicher Nutzen für die schmerztherapeutische Gemeinschaft in der DGSS, die diese Daten für die Versorgungsforschung, die Qualitätsentwicklung und die versorgungspolitische Argumentation nutzen kann. Über die unmittelbare individuelle Patientenversorgung hinaus dienen Daten aus schmerztherapeutischen Einrichtungen dazu, Aufgaben und Aufwand zu beschreiben, Therapieoptionen zu überprüfen und Erfahrungen auszutauschen. In klinischen Studien lassen sich nichtselektionierte Patienten und multimodale Therapiekombinationen schwer untersuchen, die Versorgungsforschung benötigt aber gerade diese Daten aus dem Alltag. Die Voraussetzungen für den Start von KEDOQS Schmerz sind nun erfüllt: Interessierte Einrichtungen können sich anmelden (www.kedoqs.de) und eine Vereinbarung mit CLARA schließen. Einige Programmanbieter haben den Kerndatensatz programmiert und das Hochladen der Daten ist vorbereitet. Auf der Nutzerseite von KEDOQS sind – anonyme – Daten vorhanden, die in ersten Abbildungen dargestellt werden. Im Seminar werden Vorgehen und Abläufe gezeigt und die Voraussetzungen aus der Sicht von Teilnahme-interessierten Einrichtungen erläutert. Fragen und Anregungen der Teilnehmer werden aufgenommen. 1. Sabatowski R et al. (2011) Empfehlungen zur Klassifikation schmerztherapeutischer Einrichtungen in Deutschland. Schmerz 25(4):368–76 2. Petzke F (2011) Ohne Struktur keeine Qualität! Schmerz 25(4):365–7
PS8 Problematische Interaktionen in der Schmerztherapie – von schwierigen Patienten und schwierigen Behandlern T. Müller1, J. Dries2, S. Birtel3 1DRK Schmerz-Zentrum Mainz, Psychotherapie, Mainz, Deutschland, 2DRK Schmerz-Zentrum Mainz, Physiotherapie, Mainz, Deutschland, 3DRK Schmerz-Zentrum Mainz, Schmerztherapie, Mainz, Deutschland Es gibt immer wieder Schmerzpatienten, die von einem interdisziplinär arbeitenden Team übereinstimmend als „schwierig“ bezeichnet werden. Einerseits wirken sie demotiviert („Widerstände“) und scheinen sich einer auf Eigenaktivität ausgerichteten Schmerztherapie zu verweigern, andererseits können sie die interaktiven Ressourcen des Teams erheblich belasten. Diesen Schwierigkeiten können verschiedene Faktoren zugrunde liegen. Dies können Zielkonflikte (z. B. laufendes Berentungsverfahren) oder Multimorbidität sein, weiterhin extreme Persönlichkeitsakzentuierung oder im Extremfall Persönlichkeitsstörungen sowie Verhaltensweisen („Agieren“, Inaktivität oder Vermeidungsverhalten etc.), die hieraus oder aus anderen psychischen Störungen (z. B. Angsterkrankungen oder depressiven Störungen resultieren). Auf der anderen Seite bestehen auf Behandlerseite ebenfalls Erwartungen an die Behandlung, die problematisch sein können oder bspw. therapeutische Hilflosigkeit angesichts unbeeinflussbar erscheinender Krankheitsverläufen. Resultat ist in beiden Fällen in der Regel eine gestörte Interaktion. Ein Lösungsansatz für dieses Dilemma kann sein, die Motive des Patienten zu verstehen und die eigenen Intentionen zu hinterfragen und so das eigene Interaktionsverhalten komplementär zu gestalten. Anhand von Fallbeispielen sollen die Faktoren, die die Therapie chronischer Schmerzpatienten als schwierig erscheinen lassen, dargestellt werden; weiterhin wird ein interdisziplinäres Team Lösungsansätze aus dem Klinikalltag darstellen und diskutieren.
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PS9 Multimodales Übungs- und Trainingskonzept zur Verbesserung von Beschwerden und Funktion an der Halswirbelsäule D. Seeger1 1Georg-August-Universität Bereich Universitätsmedizin, Schmerztagesklinik/ -ambulanz am Zentrum Anästhesiologie, Rettungs- und Intensivmedizin, Göttingen, Deutschland Angelehnt an die multimodalen interdisziplinären Behandlungskonzepte für chronische Rückenschmerzen wurde in der Schmerzklinik der Universitätsmedizin in Kooperation mit der BE Physiotherapie ein aktivierendes Behandlungskonzept für Patienten mit chronischen Schmerzen an der Halswirbelsäule entwickelt. Dieses Konzept wird seit 10 Jahren erfolgreich für Patienten mit Beschwerden an Kopf, Nacken mit und ohne Ausstrahlungen in die Arme umgesetzt. Ziel dieses Konzepts ist es zum einen gezielt evidenzbasierte Übungen zur Korrektur von ungünstigen Bewegungsmustern zu vermitteln, zum anderen edukativ theoretischen Inhalte und Hintergründe des Konzepts mit einzubeziehen, sowie strukturbezogen eine Übungsauswahl so zu treffen, dass den individuellen Ansprüchen des Teilnehmers einer Gruppe entsprochen werden kann. Ein wichtiger Bestandteil des Programms ist der Einsatz von Selbsthilfestrategien und zu Beginn die genaue Analyse der Erwartungen, die in eine individuelle Zieledefinition mündet. Zu guter Letzt werden die beschriebenen Anteile des Konzepts in trainingstherapeutischen Ansätzen zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit der Muskulatur vereint und ein Transfer in Alltagsbewegungen vorgenommen. Zuhörer dieses Praktikerseminars gewinnen Einblick in dieses Konzept und werden ermuntert auch bei Beschwerden an der Halswirbelsäule aktivierende Maßnahmen umzusetzen und einen Aufbau von Behandlungsprogrammen in Gruppen für HWS-Patienten in Erwägung zu ziehen, da auch diese von gruppendynamischen Effekten sehr profitieren. Ein neues, ein anderes Arbeiten erleichtert und belebt den Therapeutenalltag und erwirkt zufriedene Patienten.
PS10 QST im klinischen Alltag – Fallstricke und Auswertungsalgorith men A. Westermann1, E. Krumova1, D. Pfau2 1BG Universitätsklinikum Bergmannsheil, Abteilung für Schmerztherapie, Bochum, Deutschland, 2Universitätsmedizin Mannheim, Lehrstuhl für Neurophysiologie, Mannheim, Deutschland Wie im Vorjahr sollen praktische Anleitungen zur Durchführung von QST gegeben werden, mit besonderem Schwerpunkt auf die Wahl des Messortes, Untersuchung bei Patienten mit Allodynie, psychischer Komorbidität sowie bei sozialmedizinischen Fragestellungen (Plausibilität und Reliabilität). Der zweite Schwerpunkt werden Übungen zur Auswertung von QSTBefunden sein: Welche Störungen der Detektion belegen bestimmte Erkrankungen? Wie interpretiert man Hyperalgesien? Kann man anhand des sensorischen Profils auf bestimmte Pathomechanismen schließen? Wie kann man unplausible Befunde erkennen? Hierfür werden typische Befunde mit richtiger und falscher Befundung vorbereitet und mit den Teilnehmern besprochen.
PS11 Der schwierige Fall – ein Videoseminar zum praktischen Um gang mit Schmerzpatienten T. Jürgens1, C. Lahmann2 1Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf, Systemische Neurowissenschaften, Hamburg, Deutschland, 2Klinikum rechts der Isar, Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, München, Deutschland Gerade chronische Schmerzpatienten können im Alltag einer Schmerzambulanz die behandelnden Ärzte vor große Herausforderungen stellen, und zwar nicht nur im fachlichen Bereich, sondern auch im interaktionellen Bereich. Hier ist neben fundiertem schmerztherapeutischen Wissen auch eine zielgerichtete Kommunikationsstrategie entscheidend, um beiderseitige Enttäuschungen zu vermeiden. Im Rahmen dieses Seminares wollen wir typische Gesprächssituation, wie sie im schmerztherapeutischen Alltag auftreten, vorstellen. Anhand von Videosequenzen mit Schauspielpatienten werden wir den Effekt der verschiedenen Kommunikationsstrategien demonstrieren und Implikationen für den klinischen Alltag diskutieren.
Freitag, 07.10.2011 PS12 Achtsamkeit und Akzeptanz in der Schmerztherapie J. Korb1 1DRK Schmerz-Zentrum, Tagesklinik, Mainz, Deutschland Achtsamkeits- und akzeptanzbasierte Methoden finden in den letzten Jahren zunehmend Zugang in der Psychotherapie, so auch bei chronischen Schmerzpatienten. Mehrere Studien haben gezeigt, dass eine Haltung der Schmerzakzeptanz mit verringerter körperlicher und psychischer Beeinträchtigung einhergeht und entsprechende therapeutische Ansätze zu einer deutlichen Verbesserung führen können. Statt wiederholt vergeblicher Versuche der Schmerzbeeinflussung und Kontrolle, welche die Aufmerksamkeit des Patienten vermehrt auf die Schmerzthematik lenken, soll der Focus wieder stärker auf die wichtigen Lebensbereichen und Werte des Patienten gerichtet werden. Steht jedoch Akzeptanz nicht im Widerspruch zu dem Ziel, die Selbstwirksamkeit des Patienten bezüglich der Schmerzen zu erhöhen, was sich ebenfalls als wichtig und effizient erwiesen hat? Und wie lässt sich eine Haltung der Schmerzakzeptanz therapeutisch vermitteln, ohne dabei Widerstände beim Patienten auszulösen? Denn diese möchten meist nicht lernen, mit den Schmerzen zu leben, sondern wollen ohne Schmerzen leben. Bereits 1985 hat Jon Kabat-Zinn seine Therapie der „mindfulness-based stress reduction“ (MBSR) auf chronische Schmerzpatienten angewandt. Jüngere Ansätze kommen aus der Richtung der Akzeptanzund Commitment-Therapie (Hayes et al., 2004), die inzwischen auch für die Behandlung chronischer Schmerzpatienten konkretisiert wurden (McCracken, 2005; Dahl et al., 2005). Anhand praktischer Beispiele werden Interventionen zur Förderung einer Haltung der Akzeptanz und Übungen zur Achtsamkeit gezeigt, jedoch auch Schwierigkeiten und Grenzen der Verfahren diskutiert.
PS13 Diagnostik und Therapie primärer Kopfschmerzen A. Peikert1 1Neurologische Praxis, Bremen, Deutschland Primäre Kopfschmerzen machen etwa 90% aller Kopfschmerzerkrankungen aus. In der Praxis kommt ihnen daher die größte Bedeutung zu. Das Praktikerseminar wendet sich an alle, die die Diagnostik und Therapie primärer Kopfschmerzerkrankungen optimieren möchten. Wie gestaltet man das Anamnesegespräch effektiv, worauf ist bei der körperlichen Untersuchung besonders zu achten, wann ist Zusatzdiagnostik erforderlich. Wie geht man vor, wenn die klassischen Therapieansätze nicht greifen. Welche Tipps und Tricks gibt es bei Problempatienten. Dabei wird der Schwerpunkt nicht ausschließlich auf Migräne und Spannungskopfschmerz gelegt, sondern es werden auch die selteneren Erkrankungen wie trigeminoautonome Kopfschmerzen und die sehr heterogenen Gruppe 4 der Internationalen Kopfschmerzklassifikation besprochen.
PS14 Schmerzdiagnostik mit Skalen und Fragebögen P. Nilges1 1DRK Schmerz-Zentrum Mainz, Psychotherapie, Mainz, Deutschland Zur Anwendung von Fragebögen und Skalen in der Schmerzdiagnostik bemerkt Williams: „Die Verwendung zuverlässiger, valider und sinnvoller Verfahren ist keineswegs schwieriger als die Anwendung uninterpretierbarer oder ungeeigneter Methoden“ (Williams 1995, S. 55). Die Erfassung von Schmerzmerkmalen wie Intensität, Dauer, Maximum, Minimum und Qualität ist inzwischen weitgehend diagnostischer Standard. Die verwendeten Skalenformen, -formate und Instruktionen variieren dagegen noch immer erheblich. Themen des Praktikerseminars sind Grundlagen, Auswahl und Anwendung der Verfahren im klinischen Alltag. Kriterien für „gute“ und „schlechte“ Verfahren werden diskutiert. Besprochen und praxisnah vermittelt werden die derzeit üblicherweise verwendeten – Verfahren zur Schmerzmessung (VAS, NRS, Schmerztagebücher, Fragebögen zur Schmerzqualität), – Verfahren zur Bestimmung der Chronifizierung (MPSS, Graduierung nach von Korrff) sowie – bereichsspezifische Instrumente zur Erfassung psychischer Belastungen (depressive Symptome und Angst). Die Auswertung und Interpretation werden praxisgerecht erarbeitet. Dabei werden häufige Fehlerquellen, Probleme (z. B. Auswertung bei fehlenden Werten) und Entscheidungen für oder gegen bestimmte Formate sowie die Anwendungsmöglichkeiten und -grenzen beim Einsatz von Fragebögen bei Patienten mit körperlichen Beschwerden erläutert. Besonderen Stellenwert hat in diesem Praktikerseminar das Gespräch mit Patienten: Bei der Einführung der Verfahren, der Beantwortung von Fragen und Zweifeln und bei der Vermittlung der Ergebnisse. Mögliche Alternativen zu den gebräuchlichen Verfahren werden kurz vorgestellt.
1. Dahl, J., Wilson K.G., Luciano C. (2005). Acceptance and Commitment Therapy for chronic Pain. Context Press. 2. Hayes, S.C., Strohsahl, K.D., Wilson K.G. (2004). Akzeptanz und Commitment Therapie. Cip-Medien. 3. Kabat-Zinn (1985). The Clinical Use of Mindfulness Meditation for the SelfRegulation of Chronic Pain. Journal of Behavioral Medicine 8: 163–190. 4. McCracken, L.M. (2005). Contextual-behavioral Therapy for chronic pain. Intl Assn for the Study of Pain.
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Abstracts PS15 Umsetzung der ambulanten Palliativversorgung – von SAPV und mehr! T. Sitte1, M. Thöns2, E. Eichner3 1Deutsche Palliativ Stiftung, Fulda, Deutschland, 2Palliativnetz Witten e.V., Witten, Deutschland, 3Augsburger Palliativversorgung gemeinnützige GmbH, Augsburg, Deutschland
Referenten und Titel – T. Sitte (Fulda): SAPV in Deutschland: Stand und Visionen – E.Eichner (Augsburg): Aufbau eines Palliative Care Teams im Kontext bestehender hospizlicher und ambulanter hausärztlicher/pflegerischer Versorgung: Brauchen wir überhaupt SAPV? – M. Thöns (Witten): Umsetzung ambulanter Palliativversorgung in der Praxis
Inhaltsbeschreibung Hauptziel palliativer Behandlung ist es, die Lebensqualität und Funktionalität der Patienten und ihrer Angehörigen zu erhalten bzw. zu verbessern. Mit dem vor 4 Jahren im Sozialgesetzbuch V festgeschriebenen Anspruch auf spezialisierte ambulante Palliativ-Versorgung (SAPV) sollte professionelle Palliativbehandlung zu den Menschen gebracht werden. Unter SAPV soll eine aktive, ganzheitliche und multidisziplinäre Behandlung auf Spezialistenniveau von Patienten mit unheilbaren, fortgeschrittenen und weiter fortschreitenden Erkrankungen, die nicht mehr auf kurative Behandlung ansprechen, verstanden werden. Im Ersten Beitrag wird Thomas Sitte den aktuellen Stand in Deutschland darstellen. Seit Einführung des gesetzlichen Anspruchs auf SAPV am 1.4.2007 hat sich zwar einiges bewegt, von einer Flächendeckung sind wir aber 4 Jahre später immer noch meilenweit entfernt. Im zweiten Beitrag wird Eckhard Eichner die provokative Frage beantworten, ob SAPV bzw. eigenständige Palliative Care Teams überhaupt gebraucht werden, wenn bestehende hospizliche und funktionierende ambulante hausärztliche/pflegerische Versorgung vorhanden sind: Brauchen wir überhaupt SAPV? Dies wird mittlerweile angesichts der nur sehr zögerlich sich entwickelnden Flächendeckung schon vielerorts behauptet. Im dritten Beitrag von Matthias Thöns sollen anhand von Patientenbeispielen Kochrezepte für die Praxis ambulanter Palliativversorgung vermittelt werden.
PS16 Ultraschallgezielte Punktionstechniken in der Schmerztherapie T. Grau1, J. Keßler2, M. Greher3 1Klinikum Gütersloh gGmbH, Klinik für Anästhesiologie, op. Intensivmedizin, Notfall- und Schmerzmedizin, Gütersloh, Deutschland, 2Universitätsklinikum, Überregionales Zentrum für Schmerztherapie und Palliativmedizin, Heidelberg, Deutschland, 3Herz-Jesu Krankenhaus, Abteilung für Anästhesie, Perioperative Intensivmedizin und Schmerztherapie, Wien, Österreich
Referenten und Titel – Thomas Grau (Gütersloh): Ultraschallgezielte Blockade des Ganglion stellatum – Jens Kessler (Heidelberg): Ultraschallgezielte Blockade der Nn. ilioinguinalis/iliohypogastricus – Manfred Greher (Wien): Ultraschallgezielte Facettenblockade
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Inhaltsbeschreibung Ultraschallgezielte Punktionstechniken haben in der Regionalanästhesie seit Jahren einen festen Stellenwert. Gemessen an der Anzahl publizierter Artikel gibt es nun auch einen deutlichen Trend zu ultraschallgezielten Verfahren in der Schmerztherapie. Im Sinne einer verbesserten Patientensicherheit sollen durch die Nutzung des Ultraschalls Strahlenexposition vermieden, Komplikationen verringert und Erfolgsraten verbessert werden. Im ersten Beitrag (T. Grau) soll die für den Schmerztherapeuten wichtige Blockade des Ganglion cervicothoracicum (stellatum) dargestellt werden. Bedingt durch die räumlich enge Beziehung zu sensiblen Nachbarstrukturen wie A. carotis oder Ösophagus ist eine Visualisierung von Zielgebiet und Ausbreitungsverhalten des Lokalanästhetikums von Vorteil. Im zweiten Beitrag (M. Greher) wird die bereits vor vielen Jahren wissenschaftlich untersuchte ultraschallgezielte Facettenblockade erläutert. Alternativ zur CT-gestützten Technik erlaubt die Nadelführung unter Ultraschallkontrolle eine gut lokalisierbare Applikation kleiner Volumina an Injektat. Der dritte Beitrag (J. Kessler) beschreibt die Technik der ultraschallgezielten Blockade der Nervi ilioinguinalis und iliohypogastricus. Gerade bei der Therapie chronischer Schmerzen nach iatrogenen Schädigungen im Innervationsbereich, beispielsweise nach Leistenherniotomien, ist die diagnostische Blockade dieser beiden Nerven ein wichtiges Instrument. Der Zuhörer bekommt in diesem Symposium einen Überblick über die Möglichkeiten und Limitierungen der Ultraschalltechnologie bei interventionellen Verfahren in der Schmerztherapie. Es erfolgt eine komplette Darstellung der Blockadeform von der Bewertung verfügbarer Studienergebnisse bis hin zur Vermittlung praxisrelevanter Tipps. Sonoanatomie, sachgerechte Punktionsplanung und Durchführung der invasiven Maßnahme werden erläutert.
PS17 Umgang mit Zielkonflikten in der Schmerztherapie J. Frettlöh1 1Uniklinikum Bergmannsheil Bochum, Abt. für Schmerztherapie, Bochum, Deutschland Sobald die psychosozialen Rahmenbedingungen eines Patienten so gestaltet sind, dass eine Besserung der Symptomatik gleichzeitig massive negative Konsequenzen für den Betroffenen nach sich zieht, gerät dieser in einen Zielkonflikt: So hat ein Patient verständlicherweise wenig intrinsische Motivation, eine Genesung mit entsprechender Eigeninitiative voranzutreiben, wenn er gleichzeitig dadurch Nachteile für seine Lebensführung befürchten muss. Berufliche und auch private Lebensumstände können so gestaltet sein, dass ein Patient bei deutlicher Symptombesserung innerhalb des sozialen Umfeldes mit negativen Auswirkungen rechnen muss. Ein persönliches Scheitern, z. B. als Erziehungsberechtigter oder Ehepartner wird nicht selten mit der eingetretene Schmerzerkrankung begründet, ggf. sogar eine drohende Trennung durch schmerzbedingte Hilfsbedürftigkeit verhindert. Den Betroffenen selbst sind derartige Zielkonflikte oft nicht bewusst. Sie führen aber i. d. R. zu schlechtem Therapie-Outcome (Michalak u. Schulte 2002) oder münden in frustrane und langwierige Behandlungsverläufe. Hier kommt dem (Schmerz-)Therapeuten die dringliche, aber auch schwierige Aufgabe zu, mögliche Zielkonflikte aufzudecken. Zunächst ist es wichtig, die persönlichen Ziele eines Patienten tatsächlich zu explorieren und nicht aus dem Kontext der Person zu erschließen. Die subjektive Wertigkeit von Zielen kann letztlich nur von der betroffenen Person und nicht vom ärztlichen oder psychologischen Untersucher eingestuft werden. Dabei können Fremdanamnesen sinnvolle Ergänzungen liefern.
In der therapeutischen Arbeit gilt es dann, durch Zugewinn an neuen sozialen Kompetenzen oder Änderung persönlicher Norm- und Wertvorstellungen alternative Möglichkeiten zur Zielerreichung zu erarbeiten oder aber alternative Ziele anzustreben. So wird der Betroffene in die Lage versetzt, nicht mehr auf Schmerz als Lösungsweg aus seinem Dilemma zurückgreifen zu müssen. Nicht immer erlauben es die psychosozialen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, einen konstruktiven Ausweg aus dem Ziele-Dilemma zu finden. In dem vorgesehenen Praktikerseminar werden Möglichkeiten des therapeutischen Umgangs mit Zielkonflikten vorgestellt und demonstriert.
PS18 „Ich bilde mir den Schmerz doch nicht ein“: Biopsychosoziale Zusammenhänge von Schmerz erklären – aber wie? H. Nobis1 1MEDIAN-Klinikum für Rehabilitation Bad Salzuflen, Orthopädische Psychosomatik/Interdisziplinäre Schmerztherapie, Bad Salzuflen, Deutschland Wer die Arbeit mit Schmerzkranken kennt, weis um die besondere Herausforderung, besonders, wenn es um die Vermittlung biopsychosozialer Zusammenhänge geht. Oft anzutreffende „Vorurteile“ von Patienten, jeder Schmerz sei nur ein lokales Geschehen, der Schmerz weise immer auf einen körperlichen Defekt und seine Skepsis bis Ablehnung gegenüber psychosozialen Mitwirkungsfaktoren führen schnell zu Kommunikationsproblemen, besonders wenn der Therapeut versucht, psychosoziale Wirkfaktoren anzusprechen. Oft laute der Vorwurf: „Ich bilde mir den Schmerz doch nicht ein“. U. a. Moseley (2003) konnte in eigenen Untersuchungen nachweisen, dass jeder Mensch in der Lage ist, Zusammenhänge der Schmerzphysiologie zu verstehen und das diese Kenntnisse dazu führen, dass der Schmerz weniger bedrohlicher wahrgenommen wird und sich der Umgang mit Schmerzen verbessert. Zur Bedeutung von Edukation in der multimodalen Schmerztherapie sei auf eine Veröffentlichung der „American Geriatrics Society“ (AGS) im Jahr 2002 hingewiesen. So heißt es u. a. in den Evidence-geprüften Leitlinien: „Patient education programs are integral components of the management of persistent pain syndromes“. „The importance of patient education cannot be overemphasized“ (JAGS, 50,2002). Eine Reihe von „(Schmerz-)Edukations-Programmen“ wurde veröffentlicht, die je nach therapeutischer Fachrichtung unterschiedliche Aspekte einer Informationsvermittlung hervorheben und in wissenschaftlichen Studien positive Behandlungseffekte erzielten. Das Begreifbarmachen eines „biopsychosozialen“ Schmerzverständnisses kann auch an einer „pädagogisch“ unzureichenden Vermittlung scheitern. Deshalb ist wichtig (Pfingsten, 2003) „dass Erklärungen für die Patienten verständlich sind und möglichst viele ihrer alltäglichen Erfahrungen aufgreifen.“ Die Lebensnähe und Plausibilität von Erklärungen sollten auf Seiten des Schmerzpatienten zu einer persönlich Identifikation mit dem Gesagten führen. Diese „Identifikation“ mit den „biopsychosoziale Zusammenhängen bei Schmerz“ schafft erst die Compliance für ein interdisziplinär-multimodal ausgerichtetes Therapiekonzept. Den Schmerz und besonders den chronische Schmerz als biopsychosoziales Phänomen für den Patienten „begreifbar“ machen, Zusammenhänge „auf Höhe des Patienten“ erklären zu können heißt, Schmerzedukation auch als eine „pädagogische“ Herausforderung anzuerkennen und mit Prinzipien der Pädagogik zu gestalten. Auszüge aus der sich in der Praxis bewährten Erklärungsmodelle zum Thema „Der biopsychosoziale Schmerz“ und „Wie wird aus Schmerz – chronischer Schmerz?“ des Bad Salzufler-Curriculums werden vorgestellt und deren Umsetzung in Einzel- und Gruppensettings diskutiert. Teilnehmerkreis: Ärzte, Psychologen, Physiotherapeuten und Pflegekräfte.
PS19 Manualmedizinische Diagnostik und Therapie zervikozephaler Beschwerden nach HWS-Distorsion H. Casser1 1DRK Schmerz-Zentrum Mainz, Mainz, Deutschland Vorsitz: H.-R. Casser (Mainz)/M. Graf
Referenten und Titel – Leitliniengerechtes Vorgehen (Hans-Raimund Casser, Mainz) – Funktionelle und manualmedizinische Diagnostik und Therapie (Michael Graf, Trier)
Inhaltsbeschreibung Ärzte, die Patienten mit HWS-Distorsionen behandeln, sind häufig unsicher bei der Wahl der therapeutischen Mittel. Trotz der hohen Prävalenz mangelt es an wissenschaftlichen Grundlagen, so dass selbst etablierte Therapiekonzepte nicht ausreichend differenzieren zwischen einer funktionellen Störung und einer strukturellen Läsion. Der behandelnde Arzt muss daher über umfassende anatomische und neurophysiologische Kenntnisse der Region, über Erfahrung in der Funktionsdiagnostik sowie über Kenntnisse der Pathophysiologie der HWS-Region verfügen. Da Gelenkmorphologie und -funktion sowie Muskel- und Neurophysiologie des Kopfgelenkbereichs sich deutlich von der der klassischen HWS unterscheiden, wird nicht nur in der Manuellen Medizin zwischen dem zervikoenzephalen Syndrom (Pathophysiologie des Kopfgelenkbereichs) und dem zervikobrachialen Syndrom (Pathologie und Pathophysiologie der klassischen HWS) differenziert. Nach Distorsionsverletzungen des Kopfgelenkbereiches kann ein breites Spektrum von Symptomen auftreten, etwa Nachen-Kopfschmerz, Gleichgewichtsstörungen, Tinnitus, Globus (Dysphagie), Dysphoniegefühl, Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen sowie kognitive Störungen. Eine Standardbehandlung, die nur auf einzelne Störungen abzielt, ist angesichts der Vielfalt der möglichen Symptome zum Scheitern verurteilt. An erster Stelle muss nach komplexer und aktueller Diagnose die kausale Therapie stehen. Hierbei muss der Therapeut differenzieren zwischen dem Ort der Läsion und der Art der Läsion.
Fazit – Keine routinemäßige Maximaldiagnostik aufgrund der fehlenden therapeutischen Konsequenzen und der Gefahr der Sensibilisierung des Patienten. – Schmerzauslöser vermeiden, da jeder Schmerz in der Frühphase zur Verstärkung der Symptome führen kann. – Frühfunktionelle Behandlung nicht nur der HWS, sondern des gesamten Bewegungssystems. – Immobilisation nur bei struktureller Läsion, da jede unnötige Immobilisation zur Verkürzung der kurzen Nackenstrecker und zur Abschwächung der ventralen Halsmuskulatur führt. – Verzicht auf starre Therapieschemata: Eine variable Therapie richtet sich nach der Art der Störung, dem Stadium und der Intensität der Schmerzen. – Individuelle, interdisziplinären Therapie nach individuellem Befund. Die Therapie chronischer HWS-Beschwerden sollte auch die therapeutische Lokalanästhesie, Akupunktur, ordnungstherapeutische Maßnahmen sowie psychologische Betreuung beinhalten, ebenso ist das soziale Umfeld einzubeziehen.
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Abstracts PS20 Mindfulness-based Stress Reduction (MBSR nach Kabat-Zinn ) in der Therapie chronischer Schmerzen – eine Einführung mit praktischen Übungen H. Lucius1 1Schmerzzentrum NORD am SCHLEI-Klinikum Schleswig, Schmerzambulanz Fachklinik, Schleswig, Deutschland Das Programm der Mindfulness-based Stress Reduction (MBSR) geht auf den Amerikaner Jon Kabat-Zinn zurück, der 1979 die Stress Reduction Clinic an der University of Rochester/USA gründete. Inzwischen wird die Methode weltweit gelehrt und ist Gegenstand zahlreicher Forschungsprojekte – auch in Deutschland. Längst sind nicht mehr nur Schmerzpatienten die Zielgruppe, sondern auch Mitarbeiter/innen in Schulen, Betrieben oder Krankenhäusern. Therapeuten bieten Trainingseinheiten für jedermann an – auch und ganz besonders für Ärzte/innen, die besonders burn-out-gefährdet erscheinen. Dabei sind Achtsamkeitsübungen kein „neues Konzept“, es handelt sich nicht um eine Therapie im engeren Sinne und es steht keine religiös-spirituelle Anbindung oder gar Ideologie dahinter (auch wenn dies immer noch unterstellt wird!). Achtsamkeit ist eine innere geistige Haltung, bei der wir uns um ein gleichmütiges Wahr- und Annehmen sich einstellender Phänomene bemühen. Dies beinhaltet eine gelassene Akzeptanz dessen, was gerade präsent ist, ohne beurteilen, verändern oder auch nur loslassen zu wollen. Wertungen wie „richtig“ oder „falsch“ sind ohne Bedeutung. Regelmäßige Praxis ermöglicht eine offene Präsenz und führt im Optimalfall zu einem beständiges Achtsamsein. Hierin liegt eine wesentliche Voraussetzung zur Stressreduktion im Rahmen der Selbstfür- und -vorsorge. Zahlreiche Studien (u. a. von Schmidt, et al., Freiburg, im November 2010 auf dem Kongress Meditation und Wissenschaft in Berlin vorgestellt) zeigen sehr gute Auswirkungen auf Migräne, Rücken- und Gelenkschmerzen, zu onkologischen Erkrankungen und auch zum Fibromyalgiesyndrom liegen valide Daten vor. Eine Metaanalyse von Grossmann et al., 2004, konnte eine Effektstärke von 0,5 nach Cohen ermitteln. Neben bereits etablierten Verfahren wie der Acceptance and Commitment Therapy (ACT) nach Hayes et al. (vgl. DGSS 2009 und 2010) und der Dialektisch behaviouralen Therapie (DBT) hat sich in den vergangenen Jahren das Verfahren der Mindfulness-Based Cognitive Therapy (MBCT) nach Teasdale et al. einen Platz vor allem in der Psychotherapie erobert. Die formale Praxis der MBSR besteht im Kern aus drei Teilen: 1. dem Bodyscan, einer achtsamen Körperwahrnehmung, 2. der Sitzmeditation, 3. einer Reihe von sanften Bewegungsübungen, die überwiegend der Yoga-Tradition entstammen. Darüber hinaus spielt die Praxis im Alltag eine große Rolle (z. B. Geschirr spülen, achtsames Essen...), achtsame Kommunikation ist zu üben, immer wieder sind Gedanken und Gefühle wahrzunehmen und Neuausrichtung vorzunehmen. Das Seminar wird in die Thematik der MBSR anhand eines Vortrags und einer Reihe von Übungen einführen. Der Nutzen für die TN besteht in der Erfahrung einer wirksamen Methode zur eigenen Stressund Schmerzbewältigung, zur Burn-out-Prophylaxe und zur Verbesserung der Lebensqualität. Dies ist eine wesentliche Voraussetzung, um z. B. chronisch Schmerzkranke wirksam begleiten und behandeln zu können.
PS21 Biofeedback in der Schmerztherapie A. Diezemann1 1DRK-Schmerz-Zentrum Mainz, Tagesklinik für interdisziplinäre Schmerztherapie, Mainz, Deutschland Biofeedback stellt in der Schmerztherapie ein etabliertes Verfahren dar. Durch die systematische Rückmeldung messbarer körperlicher
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Signale können Patienten mit chronischen Schmerzen unterschiedlich profitieren: Zusammenhänge zwischen seelischen Prozessen mit körperlichen Prozessen können dargestellt werden, was dem Patienten das Verständnis für ein biopsychosoziales Modell erleichtert. Darüber hinaus kann der Patient lernen, spezifische physiologische Veränderungen hervorzurufen. Dies fördert die Entwicklung einer Selbstwirksamkeitserwartung, welche einen wesentlichen Aspekt einer günstigen Schmerzbewältigung darstellt. Das Seminar bietet einen Überblick über die Biofeedbackanwendung in der Schmerztherapie, die vermuteten Wirkmechanismen und die Wirksamkeit bei verschiedenen Schmerzbildern. Die unterschiedlichen Methoden werden mit einem Mehrkanalgerät und tragbaren Ein-Kanalgeräten demonstriert. Hierbei werden Aspekte der Diagnostik, Modellvermittlung, der Einsatz von Biofeedback bei Rücken- und Nackenschmerzen, Kopfschmerz und allgemeine Entspannungstechniken mit Hilfe von Biofeedback vorgestellt. 1. Martin A, Rief W (Hrsg.) Wie wirksam ist Biofeedback? Hans Huber, Bern 2. Pruns T., Praun N. (2002). Biofeedback. Ein Handbuch für die therapeutische 3. Praxis. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Samstag, 08.10.2011 PS22 Kommunikation für „Breaking bad news“ im Querschnittfach 13 A. Kopf1, H. Hölzer2, C. Klapp3, B. Kampel4 1Charité-Universitätsmedizin Berlin, Campus Benjamin Franklin, Anästhesiologie mit Schwerpunkt Intensivmedizin, Berlin, Deutschland, 2Trainingszentrum für Ärztliche Fähigkeiten (TÄF), Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland, 3Klinik für Geburtsmedizin, Campus Virchow der Charité, Berlin, Deutschland, 4Trainingszentrum für Ärztliche Fertigkeiten, Berlin, Deutschland Jeder Arzt, jede Ärztin kennt das mulmige Gefühl, Patienten eine schlechte Botschaft überbringen zu müssen: Widerstreitende Gefühle zwischen „schnell hinter sich bringen wollen“ und „noch ein bisschen aufschieben“ sind spürbar, je stärker umso schlechter die Nachricht und umso jünger die Patientin/der Patient ist. Die gute Kommunikation zwischen Arzt und Patient, gerade in kritischen Situationen, hat jedoch eine immense Bedeutung für Lebensqualität, Gesundheit und psychische Adaptationsfähigkeit von Patienten und deren Angehörigen. „Breaking bad news“ ist erlernbar und eine verbesserte ArztPatient-Kommunikation ist nicht nur ein Gewinn für die Patienten, sondern genauso für uns Ärzte und das Team.
Referenten und Titel – A. Kopf (Berlin): Einführung – C. Klapp (Berlin): Gesprächstechniken – H. Hölzer (Berlin): Training und Einsatzmöglichkeiten für Simulationspatienten
PS23 Entspannungsverfahren bei chronischem Schmerz A. Diezemann1 1DRK-Schmerz-Zentrum Mainz, Tagesklinik für interdisziplinäre Schmerztherapie, Mainz, Deutschland Entspannungsverfahren spielen eine wichtige Rolle in der Schmerztherapie und sind weit verbreitete Basistechniken. In dem Seminar sollen verschiedene Formen der Entspannung (Progressive Muskelentspannung, Imaginationen, Atementspannung) vorgestellt und praktisch
durchgeführt werden. Darüber hinaus werden Wirkung und Ziele der Entspannung, die Modellvermittlung und auch Strategien im Umgang mit Motivationsproblemen vermittelt. Schwierigkeiten, wie Unruhe oder Schmerzverstärkung, die beim Training auftreten können und der Transfer in den Alltag sollen anhand von praktischen Beispielen besprochen werden. Das Seminar bietet die Möglichkeit, Fragen und Probleme aus der Praxis zu diskutieren.
Behandlung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung ambulant nicht möglich. Die Problematik des Off-label use in der professionellen ambulanten Begleitung Sterbender wird aus der Sicht eines ambulant tätigen Palliativmediziners (Matthias Thöns), eines Apothekers (Klaus Ruberg) und eines Juristen (Andreas Penner) diskutiert. Gemeinsam werden Lösungsstrategien formuliert, damit eine moderne ambulante palliativmedizinische Behandlung weiterhin „Kassenleistung“ bleibt.
1. Lüking M, Martin A (2010) Entspannung, Imagination, Biofeedback und Meditation. In Kröner-Herwig, B., Frettlöh, J., Klinger, R., Nilges, P. (2010). Schmerzpsychotherapie, Berlin: Springer Verlag, S. 566–584. 2. Petermann F, Vaitl D (2009) Entspannungsverfahren. Das Praxishandbuch. Weinheim, Beltz, PVU.
PS26 Psychiatrische Untersuchung
PS24 Tumorschmerztherapie – „Wenn nichts mehr hilft!“ R. Laufenberg-Feldmann1, R. Schwab1 1Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität, Klinik für Anästhesiologie, Mainz, Deutschland In diesem Workshop werden Problemfälle der Tumorschmerztherapie vorgestellt. Ziel dieses Seminars ist es, gemeinsam anhand von Fallbeispielen einen Algorithmus zu erarbeiten, wenn die Analgesie bisher unzureichend ist oder nicht tolerable Nebenwirkungen der Medikation aufgetreten sind. Neben ätiologisch basierten Behandlungskonzepten werden als mögliche Optionen der Opioidwechsel inklusive des Einsatzes von L-Polamidon bis hin zu invasiven Verfahren vorgestellt.
PS25 Das Off-label use-Problem – ambulante Palliativmedizin keine Kassenleistung mehr? M. Thöns1, K. Ruberg2, A. Penner3 1Palliativnetz Witten e.V., Witten, Deutschland, 2Kronen-Apotheke Marxen, Wesseling, Deutschland, 3Rechtsanwaltssozietät Dr. Reborn, Dortmund, Deutschland
Referenten und Titel – Dr. med. Matthias Thöns (Witten): Off label use aus der Sicht des ambulanttätigen Palliativmediziners – K laus Ruberg (Wesseling): Off-label use aus der Sicht des Apothekers – Dr. jur. Andreas Penner (Dortmund): Off-label use aus der Sicht des Juristen
Inhaltsbeschreibung Der zulassungsüberschreitende Einsatz von Medikamenten (sog. Offlabel-use) ist in der Palliativmedizin weit verbreitet. Über 60% der medikamentösen Therapieempfehlungen sind „off-label“. Zum Ende letzten Jahres hat das Bundessozialgericht eine Erleichterung der Erstattungsvoraussetzungen für Medikamente, die in der Palliativmedizin „off-label“ eingesetzt werden, mit der Begründung abgelehnt, diese dienten „nur“ der Leidenslinderung. Das rechtfertige keine Modifikation der Erstattungsvoraussetzungen. Diese Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum „off-label use“ verkennt die besonderen Problemlagen in der Palliativmedizin und sie ist auch unter den Gerichten keineswegs unumstritten. Sollten Entscheidungen gegen eine Erstattungspflicht des Off-label use in palliativer Situation Bestand haben und auch die Selbstverwaltung oder Politik nicht eingreifen, ist eine moderne palliativmedizinische
V. Lindner1 1Klinik für Neurologie, Kiel, Deutschland Die Erfahrung einer Komorbidität zwischen seelischen Störungsmustern und Schmerzerkrankungen ist im medizinischen Betreuungsbereich allgemein weit verbreitet und erstreckt sich auf nahezu sämtliche Fachrichtungen. In dem zu oben genannten Thema vorbereiteten Seminar soll daher dieser Themenkomplex sowohl aus schmerztherapeutischer als auch psychiatrischer Sicht beleuchtet werden.
PS27 Sekundäre Kopfschmerzen: Diagnostisches Vorgehen, Differen tialdiagnosen und Therapie C. Schankin1 1Klinikum der Universität München – Großhadern, Neurologische Klinik und Poliklinik, München, Deutschland In der täglichen Praxis gibt es immer wieder Fälle, bei denen sich ein Kopfschmerzsyndrom nicht als klassischer primärer Kopfschmerz präsentiert. Handelt es sich bei dem chronischen Kopfschmerz wirklich um einen Spannungskopfschmerz, oder liegt ihm nicht doch eine möglicherweise bedrohliche Erkrankung zugrunde? Wann liegt ein Notfall vor? Welche diagnostischen Möglichkeiten gibt es neben der Routinebildgebung und wie setzt man sie sinnvoll ein? Wie geht man konkret bei der Therapie des Analgetika-induzierten Kopfschmerzes vor? Wie bei der idiopathischen intrakraniellen Hypertension?
Eingeleitet durch einprägsame, z. T. videounterstützte Fälle soll in dem Seminar eine algorithmische Vorgehensweise für die typischen Probleme und Therapiekonstellationen in der täglichen Praxis vermittelt werden.
PS28 Interdisziplinäre Begutachtung von Personen mit chronischen Schmerzen R. Dohrenbusch1, S. Seddigh2 1Institut für Psychologie, Bonn, Deutschland, 2DRK Schmerz-Zentrum Mainz, Mainz, Deutschland Die Begutachtung chronisch Schmerzkranker im Sozialrecht erfordert in den meisten Fällen einen interdisziplinären Zugang. Dies gilt insbesondere für die Beurteilung der Auswirkungen chronischer Schmerzen auf die Funktionsfähigkeit im Alltag und die berufliche Leistungsfähigkeit. Schwerpunkte ärztlicher Begutachtung sind bei Klagen über chronische oder chronisch-rezidivierende Schmerzen Fragen zur Kausalität (Schmerz- oder Krankheitsursachen im sozialrechtlichen Sinn), zur Diagnostik bzw. zum Vorliegen einer behandlungsbedürftigen Erkrankung sowie zur Beurteilung der Auswirkungen von Schmerzen auf die körperliche und mentale Leistungsfähigkeit. Schwerpunkte psychologischer Begutachtung gelten der Diagnostik psychischer Störungen und Beeinträchtigungen, der Erfassung psychischer (kognitiver, emotionaler und sozialer) Funktionen, der PerDer Schmerz · Supplement 1 · 2011
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Abstracts sönlichkeitsdiagnostik, der kognitiven Leistungsdiagnostik und der Überprüfung möglicher Verfälschungstendenzen im Reaktions- oder Antwortverhalten. Wenn Schmerzerkrankungen chronifiziert oder mit psychischen Störungen oder erheblichen psychosozialen Anpassungsproblemen assoziiert sind, dann kann sich die Untersuchung an den Leitlinien zur Begutachtung psychischer und psychosomatischer Erkrankungen orientieren. Diese sehen vor, Informationen zu Beschwerdebild, Krankheitsgenese, Krankheitsverarbeitung, Therapie sowie ICF-orientiert zu Aktivitäts- und Partizipationsbeeinträchtigungen in ein schlüssiges und konsistentes Bild zur Funktions- und Leistungsfähigkeit des Untersuchten zu integrieren. Besonderes Augenmerk sollte bei der Integration der Befunde auf die Unterscheidung krankheitswertiger und nichtkrankheitswertiger, willentlicher Anteile am Krankheitsgeschehen und an der Beschwerdedarstellung gelegt werden. In der Veranstaltung sollen die Grundlagen der medizinischen (v. a. neurologischen) und psychologischen Begutachtung von chronisch schmerzkranken Personen fall- und anwendungsorientiert dargestellt werden. Die Möglichkeiten einer interdisziplinären Zusammenarbeit werden herausgestellt. Besondere Vorteile interdisziplinärer Zusammenarbeit ergeben sich durch die Verwendung einander ergänzender diagnostischer Methodengruppen und die dadurch erweiterte Datenbasis. Durch die Vielzahl unterschiedlicher Untersuchungsmethoden (körperliche Untersuchung, Labordiagnostik, bildgebende Verfahren, körperliche und psychologische Funktions- und Leistungstests, Exploration, normierte Fragebögen, Verhaltensbeobachtung, Tests zur Beschwerdenvalidierung) ist in der Regel eine zuverlässigere Statusbeschreibung möglich sowie eine sicherere Prognose der zukünftig zu erwartenden Funktions- und Leistungsfähigkeit. Fragen und Anregungen aus dem Zuhörerkreis zur Vertiefung praktischer Einzelaspekte der Begutachtung soll breiter Raum gegeben werden.
PS29 Strategien in der postoperativen Schmerztherapie anhand von Fallbeispielen K. Ferlemann1 1Universitätsmedizin Göttingen, Schmerzklinik, Göttingen, Deutschland In diesem Workshop sollen beispielhafte Kasuistiken interessanter postoperativer Problemfälle vorgestellt werden. Die Fälle sind real und resultieren aus der konsiliarischen Betreuung einer Schmerztherapeutischen Einrichtung in einem großen Universitätsklinikum. Thematisch handelt es sich um Patienten mit vorbestehendem Opiatabusus, junge Menschen mit langer Krankenhauskarriere, Patienten mit postoperativer iatrogener Opiatgewöhnung, CRPS-Patienten und Skoliose-Kinder. Die Fälle werden ca. 10 min in ihren Spezifika vorgestellt, danach interaktiv mit den Teilnehmern potentielle Lösungswege erarbeitet und zum Schluss die durch uns gewählte Vorgehensweise mit dem erzielten Resultat vorgestellt.
PS30 Unklare Extremitätenschmerzen: Tipps zum Management an Fällen demonstriert D. Naleschinski1, M. Gleim2, M. Späth3 1Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Sektion Neurologische Schmerzforschung und -therapie, Kiel, Deutschland, 2Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel, Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin, Kiel, Deutschland, 3Rheumatologie München-Gräfeling, Gräfeling, Deutschland Das Leitsymptom „Extremitätenschmerz“ führt viele Patienten in eine medizinische Behandlung. Verschiedene Fachrichtungen sind im Verlauf an der Diagnosefindung und -stellung beteiligt – diesbezüglich ist es von großer Wichtigkeit, gezielt die häufigsten Ursachen des Extre-
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mitätenschmerzes auszuschließen und die betreffenden Patienten den richtigen Anlaufstellen zuzuführen. In diesem Symposium soll sich dem Leitsymptom „Extremitätenschmerz“ anhand von Fallbeispielen genähert werden. Dabei soll den Zuhörern die Strategie eines optimalen Fallmanagements nahegebracht werden. Dies umfasst nicht nur die Diagnostik der jeweiligen Erkrankung, sondern auch die spezifischen Therapien sowohl der Ursache als auch der Schmerzerkrankung selbst. Im ersten Vortrag (M. Gleim) erfolgt eine genauere Darstellung von Schmerzerkrankungen im Rahmen der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit, die durch ihre Zugehörigkeit zum Kreis der arteriosklerotischen Erkrankungen in Mitteleuropa eine Zivilisationskrankheit darstellt. Der zweite Beitrag (D. Naleschinski) fokussiert auf seltene Polyneuropathien als Ursachen von Schmerzerkrankungen in den Extremitäten. Hierbei sollen unter anderem Polyneuropathien anhand von Fallbeispielen behandelt werden, die in Bezug auf Symptomatik und Patientenklientel einen atypischen bzw. seltenen Verlauf zeigen. Der dritte Beitrag (M. Späth) soll einen Überblick über Symptomatik und aktuelle Standards bei schmerzhaften rheumatologischen Erkrankungen geben.
PS31 Besonderheiten der Pharmakotherapie beim alten Patienten I. Gralow1 1Schmerzambulanz und Tagesklinik Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie UK Münster, Münster, Deutschland Die demographische Entwicklung der Bevölkerung in westlichen Industrienationen macht es erforderlich, sich zunehmend mit den spezifischen Gesundheitsproblemen, insbesondere mit altersspezifischen Schmerzsyndromen auseinander zu setzen. Nachlassende Funktion der für den Metabolismus entscheidenden Organe, Arzneimittelinteraktionen bei Multimorbidität, eingeschränkte Evaluation sowie fehlende Studien erschweren die praktische Umsetzung der berechtigten Forderung nach weitgehender Schmerzlinderung auch im höheren Lebensalter. Altersspezifische Besonderheiten einer differenzierten Pharmakotherapie und Tipps für den klinischen Alltag sollen vermittelt werden.
PS32 Praktikerseminar multimodale Kopfschmerztherapie G. Gossrau1, A. Schütze2, T. Sommerfeld3 1Universitätsklinikum Dresden, UniversitätsSchmerzCentrum, Dresden, Deutschland, 2USC – UniversitätsSchmerzCentrum, Schmerzambulanz, Dresden, Deutschland, 3UniversitätsSchmerzCentrum, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Dresden, Dresden, Deutschland Der positive Effekt einer multimodalen Therapie chronischer Schmerzen wurde mehrfach belegt. Dies gilt auch für Patienten mit chronischem Kopfschmerz und Migräne. Neben etablierten medikamentösen Therapien wird die kognitive Verhaltenstherapie eingesetzt. In diesem Rahmen werden auch Entspannungstherapien wie die progressive Muskelrelaxation nach Jacobson geübt. Gruppendynamische Effekte werden zur Information und zum Fertigkeitstraining der Patienten genutzt. Zusätzlich kommen physiotherapeutische Methoden zur individuellen körperlichen Aktivierung mit Erlernen langfristig einsetzbarer Heimübungsprogramme zum Einsatz. Begleitend erfolgt die Kontrolle der Therapieeffekte und Anpassung insbesondere der Medikation. Unterstützend werden in ausgewählten Patienten auch Verfahren der Atemtherapie und Akupunktur eingesetzt. Häufig liegen bei Patienten mit jahrelang schwer therapierbaren Kopfschmerzen begleitend psychische Erkrankungen vor. Für Migräne-
patienten beispielsweise sind Angsterkrankungen und Depressionen häufige Komorbiditäten. Diese können den Verlauf der Migräne beeinflussen. Eine Miterfassung psychischer Erkrankungen bei langjährigen Kopfschmerzpatienten hat somit nicht nur therapeutische Konsequenzen auf die jeweilige psychische Erkrankung sondern auch Einfluss auf die Kopfschmerzen. In diesem Praktikerseminar soll der diagnostische und therapeutische Zugang zu Patienten mit langjährigen Kopfschmerzen vermittelt werden. Einzelne Therapiekomponenten werden erläutert und an Patientenbeispielen in einem multidisziplinären Rahmen vorgeführt.
PS33 Management neuropathischer Schmerzen A. Binder1, F. Mahn1, J. Koroschetz2, S. Rehm3 1Universitäts-Klinikum Campus Kiel, Klinik für Neurologie, Kiel, Deutschland, 2Klinik für Neurologie, Sektion für neurologische Schmerzforschung und -therapie, Kiel, Deutschland, 3Klinik für Neurologie, UK-SH, Campus Kiel, Sektion für Neurologische Schmerzforschung und Therapie, Kiel, Deutschland Neuropathische Schmerzen unterscheiden sich ätiologisch und symptomatisch von chronischen Schmerzen, bei denen das Nervensystem intakt ist. Auch die Therapie neuropathischer Schmerzen unterscheidet sich von der Therapie nozizeptiver Schmerzen, was eine klinische Differenzierung zwischen diesen beiden Schmerzformen notwendig macht. In diesem Seminar sollen die klinischen Manifestationen neuropathischer Schmerzbilder aufgezeigt und die über die körperliche Untersuchung und Anamnese hinausgehenden apparativen Untersuchungstechniken erläutert werden: Neurophysiologische Untersuchungsverfahren ermöglichen eine Funktionsdiagnostik des peripheren und zentralen Nervensystems, Schädigungen des Schmerz verarbeitenden Systems können auch durch die quantitative Thermotestung detektiert und quantifiziert werden. Die Erstellung eines genauen sensorischen Profils für einen Patienten oder eine bestimmte Patientengruppe kann durch die Durchführung einer kompletten quantitativen sensorischen Testung erfolgen. Außerdem sollen exemplarische Therapiepläne für einige häufige neuropathische Schmerzsyndrome besprochen werden, um eine mögliche Vorgehensweise praxisnah bereitzustellen.
PS34 Drittmittel in der Schmerzforschung: Chancen multidisziplinä rer Projekte zwischen Grundlagen und Klinik H. Rittner1, P. Reeh2, K. Hügen3 1Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie, Zentrum für Operative Medizin, Universität Würzburg, Würzburg, Deutschland, 2Institut für Physiologie und Experimentelle Pathophysiologie, Universität Erlangen, Erlangen, Deutschland, 3Zentrale für klinische Studien, Würzburg, Deutschland Sowohl die klinische als auch die Grundlagenforschung sind in zunehmendem Maße auf externe Drittmittelgeber angewiesen. Hierbei spielen multidisziplinäre Konzepte und die Zusammenarbeit von Klinikern und Grundlagenforschern eine immer größere Rolle. Klinische Forschung wird durch die verschiedenen geänderten Rahmenbedingungen zunehmend schwieriger und für Nachwuchsforscher weniger einladend. Zudem werden im Rahmen von Zulassungsstudien der Industrie auch von teilnehmenden Wissenschaftlern weitere Qualifikationen gefordert (Prüfarzt etc.). Das Praktikerseminar soll hier einen Einstieg ermöglichen und den Teilnehmern vornehmlich entsprechende weitere Ressourcen an die Hand geben. Im Bereich Schmerz gibt es eben der Deutschen Forschungsgemeinschaft auch Möglichkeiten der Förderung durch Fachgesellschaften, das BMBF oder durch die Industrie. Allerdings ist einerseits das Wis-
sen um solche Geldgeber häufig nicht gebündelt verfügbar und andererseits bestehen oft große inhaltliche und formale Hürden bei der Erstantragsstellung. In diesem Seminar sollen im ersten Beitrag (H. Rittner) die verschiedenen Drittmittelquellen aufgezeigt werden. Ferner können Kooperationsmöglichkeiten der verschiedenen Disziplinen und Forschern anhand von eigenen Beispielen diskutiert werden Der zweite Beitrag umfasst Hinweise für die Antragstellung bei klinischen Projekten (C. Hügen). Hier werden Erfahrungen aus der DFG Nachwuchsakademie weitergegeben. Anhand von praktischen Beispielen werden mögliche Hürden und Fallstricke aufgezeigt. Ebenso werden weitere Ressourcen zum Thema zur Verfügung gestellt. Der dritte Beitrag (A. Brack) fokussiert auf die Grundlagenforschung und vermittelt Tipps und Chancen sowohl von öffentlichen als auch privaten bzw. industriellen Förderquellen und stellt Internetquellen für Forschungsförderungsmöglichkeiten vor. Das Praktikerseminar richtet sich vornehmlich an junge Nachwuchswissenschaftler insbesondere auch aus der Nachwuchsförderung der DGSS in Zusammenarbeit mit Prof. W. Magerl. Im Vorfeld können an die Vorsitzende bereits spezifische Fragen gerichtet werden, die dann im Seminar bearbeitet werden können. Die Teilnehmer erhalten zusätzlich Skripte, die die Informationen gebündelt zusammenfassen.
PS35 Opioidentzug im multimodalen Setting M. Hornyak1, G. Kratzer2, B. Klasen3 1Universitätsklinikum Freiburg, Interdisziplinäres Schmerzzentrum, Freiburg, Deutschland, 2Algesiologikum, Schmerztherapiezentrum, München, Deutschland, 3Diakoniewerk München-Maxvorstadt, Interdisziplinäres Zentrum für Schmerztherapie, München, Deutschland Vorsitzender/Organisator: M. Hornyak (Freiburg)
Referenten und Titel – M. Hornyak (Freiburg): Opioidabhängigkeit in der Schmerztherapie: Risikofaktoren und Prädiktoren – G. Kratzer (München): Opioidentzug stationär: Interdisziplinäre Aspekte – B. Klasen (München): Motivationale Gesprächsführung: Nicht nur für den Patienten
Inhaltsbeschreibung Die Verordnungszahlen der Opioide steigen seit Jahren. Medizinisch nicht sinnvolles Einnahmeverhalten findet sich z. B. bei 5–24% der Patienten mit Rückenschmerzen. Bobachtungsstudien weisen darauf hin, dass Schmerzpatienten mit psychischen Problemen häufiger mit Opioiden behandelt werden. Hierdurch wird die Behandelbarkeit der psychischen Störung erschwert und eine Chronifizierung wahrscheinlicher. Gefordert wird, dass zumindest ein Screening für das Vorliegen einer psychischen Erkrankung vor jeder Opioidbehandlung erfolgen sollte. Bei Langzeitgabe wird sich in der Regel immer eine körperliche Abhängigkeit (Entzugssymptome bei Absetzen oder deutlicher Dosisreduktion) entwickeln. Eine psychische Abhängigkeit soll jedoch von einer (nicht selten iatrogener) Überdosierung abgegrenzt werden. Der erste Beitrag (M. Hornyak) gibt einen Überblick über aktuelle Studien zu Risikofaktoren und Prädiktoren einer Opioidabhängigkeit in der Therapie von chronischen Schmerzen. Im zweiten Beitrag (G. Kratzer) werden klinische Aspekte und Fallstricke des Opioidentzugs im stationären Setting dargestellt. Im dritten Beitrag (B. Klasen) werden psychologische Interventionen beim Opioidentzug, insbesondere Aspekte der motivationalen Gesprächsführung thematisiert.
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Abstracts Den Teilnehmern werden Fallbeispiele und ein Überblick zu klinischen Aspekten der Opioidabhängigkeit und Opioidüberdosierung bei Patienten mit chronischen Schmerzen präsentiert.
PS36 Ergotherapeutische Praxis bei CRPS – was muss der behandeln de Arzt wissen S. Schulzeck1, M. Krause2 1Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin, UK SH, Kiel, Deutschland, 2Ergotherapie am Exer, Kiel, Deutschland Die multimodale Therapie des CRPS erfordert in schwierigeren Fällen häufig eine lange ausdauernde Behandlung und Betreuung der betroffenen Patienten. Ergotherapeutische Verfahren sind hierin ein wichtiger Bestandteil und beinhalten u. a. auch neuere spezielle Verfahren wie z. B. die Spiegeltherapie. In der Behandlung der Patienten wird in der angestrebten Aktivierung oft ein schwieriger Grad zwischen Schonung und Belastung beschritten, der auch von dem verantwortlichen ärztlichen Verordner eingehendere Kenntnisse der jeweiligen Methoden erfordert. In dem Praktikerseminar sollen wichtige Behandlungsgrundsätze für die stadiengerechte Therapie des CRPS mit Schwerpunkt der Physiound Ergotherapie aus ärztlicher Sicht vermittelt werden. Mit Demonstration der ergotherapeutischen Verfahren soll die eingehendere Kenntnis und das Verständnis der einzelnen Techniken erreicht werden. Der interprofessionelle Dialog erscheint besonders günstig, um die Komponenten der multimodalen Therapie aufeinander abzustimmen.
Poster Donnerstag, 06.10.2011 P01 – Experimentelle Schmerzmodelle P01.1 Pharmakologische und metabolische Differenzierung der bei den Analgetika Tapentadol und Tramadol B. Kögel1, W. Schröder1, J. De Vry1, K. Schiene1, W. Englberger2, R. Terlinden3, T. Christoph1, T. Tzschentke1 1Grünenthal GmbH, Pharmakologie, Aachen, Deutschland, 2Grünenthal GmbH, Molekulare Pharmakologie, Aachen, Deutschland, 3Grünenthal GmbH, Pharmakokinetik, Aachen, Deutschland Hintergrund und Zielsetzung. Die Moleküle von Tapentadol und Tramadol haben chemisch gesehen bestimmte Ähnlichkeiten, sind aber funktionell sehr unterschiedliche Analgetika. Ziel dieser Präsentation ist es, die unterschiedlichen pharmakologischen und metabolischen Eigenschaften beider Substanzen zu charakterisieren. Material und Methode. Verschiedene Schmerzmodelle am Tier, sowie in vitro Methoden zur Charakterisierung von Bindung und intrinsischer Aktivität an Opioid-Rezeptoren bzw. Serotonin- und Noradrenalin-Transportern kamen zur Anwendung. Ergebnis. Tramadol ist ein Razemat, wobei die serotoninerge Aktivität im (+)- und die noradrenerge Aktivität im (−)-Enantiomer lokalisiert ist (Ki für 5-HT und NA Wiederaufnahme-Hemmung 0,87 bzw. 0,59 µM). Hinsichtlich seiner opioiden Wirkung ist Tramadol ein Prodrug, da diese Aktivität im (+)-Enantiomer des Demethyl-Metaboliten lokalisiert ist (Ki für MOR-Bindung 0,017 µM). Daraus ergibt sich auch, dass sich aufgrund des Metabolismus der relative Beitrag der bei-
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den Wirkkomponenten (opioiderg und monoaminerg) zur Analgesie über die Zeit ändert. Im Gegensatz zu Tramadol ist Tapentadol eine enantiomerenreine Substanz. Beide Wirkmechanismen, sowohl die opioide als auch die noradrenerge, sind direkt im Tapentadol-Molekül selbst lokalisiert. Eine metabolische Aktivierung ist nicht notwendig. Tapentadol dagegen ist kein Prodrug, es bildet keine aktiven Metabolite und hat keine relevante serotoninerge Wirkung (Ki‘s [µM]: MOR 0,1, NA 0,48, 5-HT 2,37). Da das Verhältnis von opioider und noradrenerger Wirkkomponente über die gesamte Wirkdauer konstant (=1:1) ist, können beide Komponenten optimal synergistisch interagieren und so besonders potent zur analgetischen Wirkung beitragen. Bei Tramadol hingegen tragen die Enantiomere nur additiv zur Gesamtwirkung bei (gezeigt in einem neuropathischen Schmerzmodell). Dadurch ist trotz der vergleichsweise höheren opiodergen und serotoninergen Aktivität von Tramadol, die Wirkstärke von Tapentadol konsistent über alle Tiermodelle hinweg deutlich höher (z. B. Akutschmerz Ratte 2,2 vs. 9,6 mg/kg i.v.; Neuropathieschmerz (SNL) Ratte, 1,65 vs. 3,5 mg/kg i.v.). In Übereinstimmung mit den In-vitro-Befunden zeigen MikrodialyseMessungen im Rattenhirn, dass Tapentadol zu einem klaren Anstieg von Noradrenalin aber nicht von Serotonin führt (556% bzw. 221% der Baseline), wohingegen nach Tramadol beide Neurotransmitter deutlich erhöht sind (5-HT 543% bzw. NA 504% der Baseline). Diskussion. Der Synergismus der Wirkkomponenten von Tapentadol im Vergleich zu Tramadol hat zur Folge, dass Tapentadol eine hochpotente und breite analgetische Wirkung besitzt. Schlussfolgerung. Tapentadol und Tramadol können aufgrund ihrer unterschiedlichen pharmakologischen und metabolischen Profile ganz klar unterschieden werden.
P01.2 Aktivierte Mikrogliazellen spielen eine wichtige Rolle bei der myositisbedingten Erregbarkeitssteigerung spinaler Neurone: intrazelluläre Ableitungen bei der Ratte U. Hoheisel1, M. Chacur2, R. Treede1, S. Mense1 1Medizinische Fakultät Mannheim, Universität Heidelberg, Institut für Neurophysiologie, Mannheim, Deutschland, 2Institut für Anatomie, Universität Sao Paulo, Sao Paulo-SP, Brazil Fragestellung. Aktivierte Mikrogliazellen spielen für die zentrale Sensibilisierung als Vorstufe der Chronifizierung eine entscheidende Rolle. Über ihren Einfluss bei der Entstehung chronischer Muskelschmerzen ist allerdings wenig bekannt. Ziel der Untersuchung war es, im Tierexperiment erste neurophysiologische Ergebnisse über die Rolle der Mikroglia bei der Chronifizierung von Muskelschmerzen zu gewinnen. Material und Methode. Bei narkotisierten Ratten wurde mit intrazellulärer Technik die Aktivität einzelner Hinterhornneurone im Rückenmarkssegment L4 registriert. Mit dieser Technik können sowohl Aktionspotenziale als auch unterschwellige Potenziale (EPSPs) ausgewertet werden. 12 Tage zuvor wurde bei den Tieren durch Injektion von komplettem Freunds Adjuvans in den M. gastrocnemius soleus eine chronische Myositis ausgelöst und ein Verweilkatheter in den lumbalen Subarachnoidalraum eingeführt. Über den Katheter wurde von einer subkutan implantierten osmotischen Minipumpe kontinuierlich Minocyclin – ein Blocker der Mikrogliaaktivierung – intrathekal abgegeben (200 µg/die). Die Gabe des Lösungsmittels diente als Kontrolle. Die Testung der Erregbarkeit der Hinterhornneurone erfolgte durch elektrische Reizung des Muskelnerven und durch definierte Druckreizung des Muskels. Ergebnisse. 107 Neurone wurden intrazellulär abgeleitet: 32 in unbehandelten Tieren, 27 in Myositistieren, 29 in Myositistieren mit Minocyclinbehandlung, und 19 in Myositistieren mit Lösungsmittelbehandlung. Im Vergleich zu unbehandelten Tieren zeigten Tiere mit einer Muskelentzündung einen signifikant höheren Anteil an Hinterhornneuronen, die mit Aktionspotentialen oder mit EPSPs auf elektri-
sche Reizung des Muskelnerven reagierten (p<0,01; zweiseitiger Test). Ebenso stieg der Anteil der auf schmerzhafte Druckreizung des Muskels reagierenden Neurone (APs und EPSPs) signifikant an (p<0,01). Die intrathekale Behandlung mit Minocyclin verhinderte diesen entzündungsbedingten Anstieg der neuronalen Erregbarkeit auf elektrische (p<0,02) und mechanische Reizung (p<0,03). Im Gegensatz zur Erregbarkeit der Neurone beeinflusste Minocyclin aber nicht den entzündungsbedingten Anstieg der Ruheaktivität. Die intrathekale Gabe des Lösungsmittels hatte keinen signifikanten Effekt auf die gesteigerte neuronale Erregbarkeit. Schlussfolgerungen. Die Daten zeigen, dass Mikrogliazellen eine wichtig Rolle bei der erhöhten Erregbarkeit der Hinterhornneurone infolge einer chronischen Muskelläsion spielen, aber nicht bei der gesteigerten läsionsbedingten Ruheaktivität der Neurone. Die Daten deuten darauf hin, dass neuronale Erregbarkeit und Ruheaktivität durch unterschiedliche Mechanismen kontrolliert werden.
2008 (28)45: 11571–82] durch eine Interaktion der MMP9 Hemopexin Domäne mit LRP-1 erklären lässt. Folge der Signalprozesse ist eine verminderte Expression von Claudin-1, die vermutlich die erhöhte Permeabilität des Perineuriums widerspiegelt. Schlussfolgerung. Die selektive und vorübergehende Öffnung des Perineuriums ermöglicht hydrophilen Medikamenten das Vordringen zu ihrem Wirkort. Damit bietet sie einen innovativen Ansatz, auch in vivo neue hydrophile Medikamente für eine selektive Blockade von Schmerzfasern zu nutzen.
P01.3 Intrazelluläre Signaltransduktionsprozesse in der Regulation der Permeabilität des Perineuriums im Rahmen der Regional anästhesie
Pseudoephedrin (PSE) ist ein Stereoisomer des Ephedrin und wirkt als adrenerger Agonist im Wesentlichen auf die α-Adrenorezeptoren. PSE wird häufig in Erkältungsmitteln in Kombination mit anderen Substanzen, wie z. B. der Acetylsalicylsäure (ASS, Aspirin® Complex) eingesetzt, allerdings sind die Mechanismen seiner entzündungs- und schmerzhemmenden Wirkung noch weitgehend unverstanden. Wir konnten zeigen, dass PSE in Lipopolysaccharid (LPS)-stimulierten primären Mikrogliazellen der Ratte den Schmerzbotenstoff Prostaglandin E2 (PGE2) dosisabhängig hemmt. Dabei wirkt PSE nicht wie ein klassisches Antiphlogistikum wie z. B. Diclofenac, da es nicht die Enzym-Aktivität der Cyclooxgenase (COX) hemmt. Die LPS-induzierte Expression und Synthese der COX-2 und der Prostaglandin E2 Synthase, das entscheidende Enzym für die PGE2-Synthese, werden ebenfalls nur schwach durch PSE gehemmt. Die dem PGE2-hemmenden Effekt zu Grunde liegenden Mechanismen sind noch weitgehend unbekannt und sollen in weiteren Untersuchungen aufgeklärt werden. PSE und ASS haben als Einzelsubstanzen keinen Einfluss auf die Zytokinsynthese, allerdings zeigt die Kombination aus PSE und ASS in den LPS-stimulierten Zellen eine Hemmung der TNFα-Synthese. Die Mechanismen dieser kombinatorischen Wirkung sind noch nicht bekannt, es könnte sich aber um einen posttranskriptionellen Effekt handeln, da die Kombination aus PSE und ASS keine Wirkung auf die LPS-induzierte mRNA Expression in Mikrogliazellen zeigt. Unsere Daten zeigen neue Wirkungsweisen von PSE alleine und in Kombination mit ASS und unterstützen auf molekularer Ebene klinische Beobachtungen eines möglichen entzündungs- und schmerzhemmenden Potentials von PSE in Kombination mit Analgetika wie z. B. ASS zur Behandlung von erkältungsbedingten Symptomen.
A. Böcker1, D. Hackel1, S. Amasheh2, M. Fromm2, A. Brack1, H. Rittner1 1Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie, Zentrum für Operative Medizin, Universität Würzburg, Würzburg, Deutschland, 2Charité – Campus Benjamin Franklin, Institut für Klinische Physiologie, Berlin, Deutschland Fragestellung. Ansätze zur gezielten Blockade von Schmerzfasern im Rahmen der Regionalanästhesie sind in vivo stark durch die Diffusionsbarriere des Perineuriums eingeschränkt, die das Vordringen hydrophiler Substanzen (z. B. Opioide, Tetrodotoxin) zu ihrem Wirkort verhindert. Die Barriere kommt durch Tight Junction-Verbindungen zwischen Perineuralzellen zustande, an deren Ausbildung Claudin-1 beteiligt ist. Lokale Injektion von 10% NaCl führt zur vorübergehenden Öffnung des Perineuriums. Durch perineurale Koinjektion von 10% NaCl mit dem Opioidagonisten DAMGO ([D-Ala2, N-MePhe4, Gly-ol]-Enkephalin) bzw. Tetrodotoxin ist damit im Verhaltensexperiment ein analgetischer Effekt auszulösen. Koinjektion der Substanzen mit 0,9% NaCl bewirkt keine Antinozizeption. Mediator der Barriereöffnung ist vermutlich die Matrixmetalloproteinase 9 (MMP9). Lokale Applikation von MMP9 mit DAMGO führt ebenfalls zu einem Anstieg der nozizeptiven Schwellen. Als möglicher Interaktionspartner von MMP9 konnte LDL receptor-related protein 1 (LRP-1) im Perineurium nachgewiesen werden. Ziel der Untersuchungen ist es, beteiligte Signalkaskaden und deren Auswirkung auf die Claudin-1 Expression darzustellen. Material und Methode. Eine 10% NaCl-Lösung bzw. MMP9 wurden perineural an den N. ischiadicus von Wistar-Ratten injiziert. Dann wurden zu verschiedenen Zeiten Nerven entnommen, um im Western Blot die Kinetik der Aktivierung der intrazellulären Signalproteine Erk und Akt darzustellen. Immunhistochemisch wurde der Zeitverlauf der Claudin-1 Expression nach Injektion von 10% NaCl untersucht. Ergebnisse. Die lokale Injektion von 10% NaCl wie auch von MMP9 führte über ca. 2 h zu einer Aktivierung, z. T. Phosphorylierung, von Erk (pErk) aber nicht von Akt. Die Gesamtkonzentration von Erk und Akt blieb dabei unverändert. pErk war vermehrt im Perineurium nachweisbar. In Verhaltensexperimenten der Arbeitsgruppe konnte gezeigt werden, dass die Injektion des Erk-Inhibitors PD98059 dosisabhängig zur Aufhebung der Antinozizeption führte, die nach Gabe von DAMGO in 10% NaCl zu beobachten war. Immunhistochemisch stellte sich nach Injektion von 10% NaCl für ca. 4 h eine verminderte Expression von Claudin-1 dar. Diskussion. Die durch hypertone Lösung induzierte Permeabilität des Perineuriums ist ein durch MMP9 regulierter Vorgang. Dabei kommt es zu einer vorübergehenden Phosphorylierung von Erk, die sich unter Berücksichtigung vorhergehender Studien [Campana et al. J Neurosci
P01.4 Entzündungs- und schmerzhemmende Wirkung von Pseudo ephedrin in Kombination mit Acetylsalicylsäure B. Fiebich1, U. Gessner2 1Uniklinikum Freiburg, Abteilung Psychiatrie, Freiburg, Deutschland, 2Bayer Vital GmbH, Scientific Affairs, Leverkusen, Deutschland
P01.5 fMRT: Eine neue Methode zur Untersuchung der analgetischen Aktivität von Crotoxin, einem klassischen β-Neurotoxin S. Wolz1, K. Esser2, A. Hess1 1Institut für Klinische und Experimentelle Pharmakologie und Toxikologie der FAU, Pharmakologische Bildgebung, Erlangen, Deutschland, 2Institut für Zoologie, Stiftung Tierärztliche Hochschule, Auditorische Neurobiologie, Hannover, Deutschland Crotoxin, eine neurotoxische Komponente aus dem Gift der Südamerikanischen Klapperschlange (Crotalus durissus terrificus), ist bekannt für seine analgetische Aktivität. Mehrere Autoren konnten bereits zeigen, dass diese Substanz in Modellen für akuten Schmerz eine Analgesie hervorruft, die vermutlich auch auf Wirkmechanismen im ZNS basiert. Zu Beginn wurde die Wirkung von Crotoxin in Verhaltenstests am Rattenmodell untersucht. Zum Einsatz kamen Hargreaves- und TailFlick-Test zum Nachweis der antinozizeptiven Wirkung, Rota-RodDer Schmerz · Supplement 1 · 2011
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Abstracts Test zur Prüfung der motorischen Integrität und Open-Field-Test um das Erkundungs- und Angstverhalten der Versuchstiere zu überwachen. Die analgetische Wirkung von Crotoxin konnte hierbei nachgewiesen werden: Pfoten- und Schwanz-Wegzugslatenz waren unter Einwirkung von Crotoxin signifikant erhöht. Keine signifikanten Veränderungen konnten in Rota-Rod- und Open-Field-Test nachgewiesen werden. Im Folgenden war Ziel der vorliegenden Studie diese antinozizeptiven Effekte mittels fMRT nachzuweisen. Hierzu wurden mit Isofluran anästhesierten Ratten lokal Hitzereize (40°C, 45°C, 50°C, 55°C) dorsal an den Hinterpfoten appliziert und die veränderte ZNS-Aktivität unter Crotoxin-Gabe mittels BOLD-Signal gemessen. Zusätzlich wurde auf der linken Seite vier Stunden vor Messbeginn Zymosan A plantar sc injiziert um auch antihyperalgetische Wirkungen von Crotoxin detektieren zu können. So konnten sowohl analgetische (rechte Pfote), als auch antihyperalgetische (linke Pfote) Effekte nachgewiesen werden. Die fMRT-Messungen erfolgten an einem 4,7 Tesla Bruker Biospec-Scanner unter Verwendung einer GE EPI fMRT-Sequenz (TEeff=24,4 ms, TR=2000 ms, matrix 64×64, inplane-resolution 390×390 µm, FOV 25×25 mm, 1 mm slice thickness, 22 slices). Zu Beginn erfolgte zur Erstellung einer Basislinie eine Messung über 50 min. Im Anschluss wurde Crotoxin (45 µg/kg) oder NaCl-Lösung (Kontrolle) i.p. injiziert. Dann erfolgte die eigentliche Messung über 100 min. Standard-Vorverarbeitungs-Methoden und die GLM-Analyse kamen zum Einsatz. Mittels eines elektronischen 3D-Atlas des Rattengehirns wurden die BOLD-Signale für die Strukturen der Schmerzmatrix analysiert. Peakhöhe und aktiviertes Volumen wurden als relative Änderungen im Hinblick auf ihre Basislinie pro Gehirnstruktur berechnet. Im Rahmen dieser Studie konnten für Crotoxin sowohl analgetische, als auch antihyperalgetische Effekte nachgewiesen werden. Eine Reduktion der Gehirnaktivität ließ sich in Gehirneingangsstrukturen, wie Medulla oblongata und Thalamus, aber auch im Limbischen System, den Basalganglien und in motorischen Ausgangsstrukturen nachweisen. Mittels Korrelationsanalysen konnte außerdem ein starker Abfall der korrelierenden Gehirnaktivität im lateralen Schmerzsystem und wiederum in den Basalganglien gezeigt werden. Zusammenfassend kann gesagt werde, dass mittels BOLD fMRT-Messungen die analgetischen und antihyperalgetischen Effekte von Crotoxin auf Gehirnstruktur-Ebene gezeigt werden konnten.
Perfusionssystemes appliziert. Peritonealmakrophagen wurden 4 Tage nach i.p. Thioglykolatinjektion entnommen und mit den DRG-Neuronen für 4 h bei 37°C und 5% CO2 koinkubiert. Für die statistische Auswertung wurde eine Two Way Analysis of Variance (ANOVA) herangezogen. Ergebnisse. Die Applikation von Capsaicin führte zu dosisabhängigen, TRPV1-getragenen Kationeneinströmen in DRG-Neuronen: Nicht koinkubierte DRG-Neurone reagierten auf eine applizierte Capsaicinkonzentration von 100, 200, 500 bzw. 1000 nM mit einem Strom von (Mittelwert±SEM) 46±41 pA, 177±71 pA, 827±207 pA und 2205±379 pA. Zur Untersuchung des Einflusses der aktivierten Makrophagen auf die TRPV1-Empfindlichkeit wurden 4 Gruppen (jeweils n=30–36) gebildet: 1. DRG-Neurone unbehandelt; 2. DRG. Neurone mit Makrophagen; 3. DRG-Neurone mit Makrophagen und CCL-2; 4. DRG-Neurone mit CCL-2. Hierbei zeigte sich, dass die Amplitude der TRPV1-getragenen Kationeneinströme der Gruppe 3 signifikant vergrößert war gegenüber der Gruppe 2 (1262±270 pA gegenüber 487±140 pA bei 500 nM). Andere Gruppenvergleiche sowie Vergleiche einzelner Capsaicinkonzentrationen einer Gruppe mit der jeweiligen Konzentration einer anderen Gruppe ergaben in der ANOVA keine signifikanten Unterschiede. Diskussion. Da die Aktivierung von TRPV1 durch Hitze eine Schmerzempfindung auslöst, wäre bei einer thermischen Hyperalgesie eine verstärkte Aktivität von TRPV1 als elektrophysiologisches Korrelat denkbar. Wir konnten in vitro zeigen, dass die Kokultur von DRGNeuronen mit CCL2-aktivierten Makrophagen die Aktivierung von TRPV1 gemessen an den Einwärtsströmen erhöht. Dies spricht für eine Beteiligung von TRPV1 an der im Schmerzverhaltenstest gemessenen Hyperalgesie. Die genauen Mechanismen dieser Aktivierung sollen in weiteren Studien untersucht werden. Schlussfolgerung. Die durch aktivierte Makrophagen hervorgerufene Hyperalgesie im Verhaltensversuch korreliert mit einer Beeinflussung der von TRPV1 getragenen Ionenströme.
P01.6 Aktivierte Makrophagen modulieren TRPV1-Ströme in DRGNeuronen von Ratten
Bei den meisten funktionellen MRT-(fMRT-)Tierexperimenten kann man auf den Einsatz von Anästhetika nicht verzichten um die Stabilität der Messungen zu gewährleisten und den Tieren unnötige Belastungen zu ersparen. Bislang ist ungeklärt welche Effekte die verschiedenen Anästhetika auf die Nozizeption und auf das BOLD-Signal im ZNS haben. Aus diesem Grund versuchen wir das optimale Tieranästhetikum für fMRT-Schmerzforschung zu finden, welches leichte Handhabbarkeit und gute anästhetische Eigenschaften hat, dabei die Nozizeption kaum beeinflusst und wiederholte Messungen an ein und demselben Tier erlaubt. In dieser Studie wurden fMRT-Messungen an Ratten mit 3 verschiedenen Anästhetika durchgeführt: Isofluran (ISO), Propofol (PRO) und Medetomidin (MED). ISO ist ein sehr schwach analgetisches Inhalationsnarkotikum. Da gezeigt werden konnte, dass unter ISO zuverlässige BOLD Signale gemessen werden können, wird es häufig bei fMRTExperimenten eingesetzt. PRO und MED sind Injektionsnarkotika, die breiten Einsatz in der Veterinärmedizin finden und für wiederholte Messungen geeignet sind. Aus diesem Grund wurden PRO und MED gegen ISO als Standardsubstanz verglichen. PRO ist nicht analgetisch und sollte folglich ein stärkeres BOLD-Signal liefern. Dahingegen ist MED ein starkes Analgetikum, was zu einer schwächeren BOLD-Antwort führen sollte. Als Nozizeptionsmodel wurde eine wiederholte Hitzestimulation der linken Hinterpfote der Ratte eingesetzt. Während einer Messung wurde die Abfolge von 4 Hitzestimuli (40°C, 45°C, 50°C, 55°C) 3-fach appli-
J. Viebahn1, D. Pflücke2, H. Rittner2, E. Wischmeyer1 1Bayerische Julius-Maximilians-Universität Würzburg, Physiologisches Institut, Würzburg, Deutschland, 2Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie, Zentrum für Operative Medizin, Universitätsklinikum Würzburg, Würzburg, Deutschland Fragestellung. Schmerzverhaltenstests an leukozytendepletierten Ratten zeigten, dass eine intraplantare Injektion des Chemokins CCL2 (MCP-1) nur dann eine thermische Hyperalgesie (Hargreaves-Test) hervorruft, wenn CCL2 zusammen mit Makrophagen injiziert wird. Transient Receptor Potential Vanilloid 1 (TRPV1) ist ein hitzesensitiver Kationenkanal, der u. a. auf sensorischen Neuronen der Hinterwurzelganglien (DRG) von Ratten exprimiert ist. In dieser Studie wird untersucht, ob in einer Kokultur von DRG-Neuronen und Makrophagen die Aktivierung von TRPV1 durch CCL2-stimulierte peritoneale Makrophagen beeinflusst werden kann. Material und Methode. Unbehandelten Wistar-Ratten wurden die Hinterwurzelganglien auf Rückenmarksebenen L1-S1 entnommen. Die hieraus gewonnenen DRG-Neurone wurden bei 37°C und 5% CO2 kultiviert, um 24 h später elektrophysiologische Ganzzellableitungen durchzuführen. Hierbei wurde Capsaicin als TRPV1-Agonist in verschiedenen Konzentrationen (100; 200; 500 und 1000 nM) mittels eines
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P01.7 Effekte verschiedener Anästhetika auf die Schmerzverarbei tung im ZNS von Ratten: funktionelle MRT-(fMRT-)Studie T. Makarova1, A. Hess1 1Institut für Klinische und Experimentelle Pharmakologie und Toxikologie, Pharmakologische Bildgebung, Erlangen, Deutschland
ziert. Die BOLD-fMRT-Messungen wurde in einem 4,7 T BRUCKER Scanner mit einer GE-EPI-Sequenz durchgeführt (TEeff=24,4 ms, TR=2000 ms, Matrix 64×64, inplane-resolution 390×390 µm, 22 slices, 1mm slice thickness, FOV 25×25 mm). Die Daten wurden mittels GLMAnalyse bearbeitet. Die Größe des aktivierten Volumens und die Amplitude des BOLD-Signals in den wichtigsten Regionen der Schmerzmatrix wurden untersucht. Die Gesamtgehirnaktivität unter PRO war im Vergleich zu ISO signifikant erhöht, vor allem im Bereich des limbischen Systems (Hippocampus, Septum und Amygdala), im Assoziationskortex – Strukturen, wichtig für die emotionale Bewertung der Nozizeption – und in den Basalganglien. Unter MED war die Gesamtgehirnaktivität hingegen signifikant reduziert. Die größten Unterschiede wurden beobachtet in Strukturen, die für die sensorische Bewertung der Nozizeption verantwortlich sind (Thalamus, primärer und sekundärer somatosensorischer Kortex), aber auch in den für PRO genannten Strukturen, im ventralen Tegmentum und im olfaktorischen Tuberkulum. Wie erwartet liefern Messungen mit PRO stärkeres BOLD-Signal als ISO. Aufgrund der schlechten Handhabbarkeit ist die Substanz dennoch für die breite Verwendung ungeeignet. Wie das reduzierte BOLD-Signal gezeigt hat, kann MED in die Schmerzforschung nicht eingesetzt werden, da es sehr stark analgetisch wirksam ist. Somit bleibt ISO unser Anästhetikum der ersten Wahl für fMRT.
P01.8 Spannungsabhängige Natriumkanalblockade durch das synthe tische Cannabinoid ajulemische Säure N. Foadi1, M. Karst2, G. Haeseler3, M. Leuwer4, J. Ahrens5 1Medizinische Hochschule Hannover, Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin, Hannover, Deutschland, 2Medizinische Hochschule Hannover, Anästhesiologie, Hannover, Deutschland, 3Krankenhaus Dorsten, Dorsten, Deutschland, 4University of Liverpool, Liverpool, United Kingdom, 5Medizinische Hochschule Hannover, Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin, Hannover, Deutschland Fragestellung. An Patienten mit chronisch neuropathischen Schmerzen konnte in einer klinischen, randomisiert kontrollierten Studie ein therapeutischer Effekt des synthetischen, nicht psychoaktiven Cannabinoids ajulemische Säure (AJA) nachgewiesen werden (Karst et al., 2003). Im Tiermodell zeigt AJA analgetische sowie auch antiinflammatorische Effekte (Dajani et al., 1999). Ziel der vorliegenden In-vitro-Studie ist, den Effekt von AJA am spannungsgesteuerten Natriumkanal zu untersuchen. Material und Methode. Die α-Untereinheit des humanskelettmuskulären NaV1.4 und des neuronalen NaV1.2 Natriumkanals wurden in stabil transfizierten HEK293-Zellen exprimiert. Mittels der „wholecell“-Konfiguration der Patch-Clamp-Technik wurden Natriumeinwärtströme jeweils in der Kontrolle, darauf unter Applikation einer bestimmten Konzentration von AJA (Test) und schließlich im Auswasch ermittelt. Es wurden AJA Konzentrationen im Bereich von 0,3–100 µM appliziert. Untersucht wurde der Ruheblock bei verschiedenen Membranpotentialen, die schnelle Inaktivierung, die Erholung von der schnellen Inaktivierung sowie der „use-dependent“-Block nach repetitiver Reizung.
Ergebnisse. AJA blockierte bei einem physiologischen Membranpotential spannungsgesteuerte Natriumkanäle ab einer Konzentration von 1 µM (NaV1.4) bzw. 3 µM (NaV1.2) reversibel. Ausgehend von drei verschiedenen Membranpotentialen (−70, −100 und −150 mV), erfolgte ein Testpuls auf 0 mV. Der unter AJA-Applikation bei diesem Puls gemessene Strom wurde auf den Auswasch normalisiert und gegenüber der AJA-Konzentration aufgetragen. Der an die daraus resultierende Dosis-Wirkungskurve angepasste Hill-Fit ergab bei einem Haltepotential von –70 mV IC50 –Werte von jeweils 4,4 µM (Nav1.4) und 7,1 µM (Nav1.2). AJA bewirkte bei beiden Isoformen eine verstärkte Blockade des schnell inaktivierten Kanalzustands. Bei einer Konzentration von 10 µM AJA zeigte sich hierbei eine Verschiebung
der Verfügbarkeitskurve um 16±2,5 mV in Richtung hyperpolarisierter Potentiale im Vergleich zum Auswasch (Nav1.2). Es zeigte sich ein „use-dependent“-Block (zunehmender Block bei repetitiver Reizung, ersichtlich am Verhältnis des letzten zum ersten Puls einer Serie von 10 Pulsen) von 10–15% in Abhängigkeit von der Konzentration für beide Kanalisoformen. Diskussion. Eine verstärkte Bindung an inaktivierte Kanäle und eine zunehmende Kanalblockade bei repetitiver Depolarisation („use -dependent“-Block) sind Charakteristika von Lokalanästhetika-ähnlichen Substanzen. Die vorliegende Studie zeigt, dass AJA in einem klinisch relevanten Konzentrationsbereich (~2 µM) (Batista et al., 2005) Lokalanästhetika-ähnlich wirkt. Schlussfolgerung. Die Blockade spannungsgesteuerter Natriumkanäle durch das synthetische Cannabinoid AJA verweist auf einen membranstabilisierenden Effekt dieser Substanz. Dies könnte einen Mechanismus der therapeutischen Wirkungsweise von AJA bei neuropathischen Schmerzen darstellen. 1. Batista et al., Journal of Chromatography B 820 (2005) 77–82. 2. Dajani et al., J Pharmacol Exp Ther 1999; 291:31–38. 3. Karst et al., JAMA 2003;290(13):1757–1762.
P01.9 RodImAnD: Ein relationales Datenbanksystem für präklinische funktionelle MRT zur optimierten Analyse Analgetika-induzier ter Änderungen im ZNS von Nagern L. Konnerth1, M. Gaudnek1, K. Brune1, A. Hess1 1FAU Erlangen-Nuremberg, Dep. of Experimental and Clinical Pharmacology, Erlangen, Deutschland Pain research has been revolutionized by two superior technologies: Functional brain imaging by MRI (fMRI), allowing repetitive, non-invasive observation of CNS functions, and mouse genomics, providing mice with defined deviations giving insight into molecular processes of brain function. The combination of these cutting-edge technologies opens a new avenue in brain research: Defining the role of gene products for delineating brain regions involved in information processing, in our case pain research in hypo- and hyperalgesic transgenic mice. The investigation of gene-drug-interactions incorporates the exploration of a high-dimensional space spun by variables like mouse strain, stimuli (i.e. different painfulness), analgesic drugs and differential response of brain regions of the pain matrix. Here even the pure administration of the huge amount of generated data is a complex task. Therefore, we aimed at developing a database allowing for (1) structured organization of the fMRI-data and (2) dynamic and interactive access to the data for performing statistical evaluation. Moreover, the integration of various other data sources like ABA, INCF WHS (see contributions on this meeting) becomes easily possible. This integrated database for brain function in transgenic mice strongly supports data sharing and collaboration with other working groups. We developed a database using the relational MySQL database management system, which works on many different system platforms and allows access from every SQL-aware application. The free integrated environment MySQL Workbench is used for database engineering. The tables contain information about MRI measurement, experimental animals (including physiological monitoring), stimuli and pharmacological substances used during acquisition. Moreover, the database keeps track of the analysis tools used, their parameterization and versions. The data management system obtained allows for more efficient data handling, reading and processing. Compared to earlier storage in file folders, which implies a data organization hierarchy complicating searches beyond the folder structure, lookups based on complex filter criteria are now easily possible. The laborious and error-prone manual assembly of interrelated data is eliminated. Search results include old Der Schmerz · Supplement 1 · 2011
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Abstracts matching experiments which might have been overlooked without a central database, effectively enlarging the base of statistical analysis and possibly reducing the need for new experiments. Furthermore, compared to file system based storage, interrelated datasets cannot be displaced, renamed or cleared accidentally. It is more robust than pure file system based storage and simplifies and encourages the reuse of formerly acquired results. The possibility of reusing results will largely increase as other groups start to incorporate their data into the database. Moreover, this approach will hopefully further decrease the need for new animal experiments and thereby supports animal welfare (3R concept). Finally incorporating wholebrain responses of various stimulations, drugs and (transgenic) mouse models into this database will pave the way for new data-mining strategies. This will greatly facilitate translational approach for searching and characterizing the effects on CNS processing of novel analgesics.
P01.10 Direkte Wirkung von Acetylsalicylsäure am polymodalen Schmerzrezeptor TRPV1 – ein generelles neues Wirkprinzip für Aspirin®-artige Analgetika? K. Geörg1, U. Binzen1, A. Schedel1, P. Bugert1, H. Klüter1, R. Treede1, W. Greffrath1 1Universitätsmedizin Mannheim, Universität Heidelberg, Lehrstuhl für Neurophysiologie, Zentrum für Biomedizin und Medizintechnik Mannheim (CBTM), Mannheim, Deutschland Fragestellung. Acetylsalicylsäure („acetylsalicylic acid“, ASA) wird schon lange zur Behandlung von Schmerzen, Entzündungen, Fieberzuständen und zur Blutverdünnung genutzt. Der lange bekannte – und 1971 mit dem Nobelpreis ausgezeichnete – Wirkmechanismus von ASA beschreibt die irreversible Hemmung des Enzyms Cyclooxygenase (COX) mit resultierender Reduktion von Entzündungsmediatoren. Dieser indirekte Signalweg vermag jedoch lediglich die Substanzwirkung in der späten Phase der Entzündung zu erklären. Bezüglich der frühen Entzündungsreaktion gibt es Hinweise darauf, dass ASA auch direkt am peripheren Nozizeptor wirken und dort den Capsaicinrezeptor TRPV1 beeinflussen könnte (Neuroscience Letters 320, 2002:61 ff). Daher wurde in dieser Studie die pharmakologische Wirkung von ASA auf den TRPV1 Rezeptor im heterologen Expressionssystem untersucht. Methodik. HEK293-Zellen wurde transient mit einem GFP-gekoppelten Konstrukt aus Volllängen-TRPV1 der Ratte transfiziert und mit dem Fluoreszenzfarbstoff FURA-2AM und der Kalzium-ImagingTechnik untersucht (Olympus IX81 Mikroskop mit cell^R-Modul). Die Zellen wurden repetitiv mit Capsaicin stimuliert (300 nM für 30 s), 30 s vor und während der zweiten Applikation wurden der kompetitive TRPV1 Antagonist Capsazepine (CPZ), ASA, Methylsalicylat (MS), Salicylsäure (SAc), Vehikellösung oder Kombinationen dieser Substanzen appliziert. Die ADP-induzierte Thrombozytenaggregation und deren Beeinflussung durch 30 min Präinkubation von ASA, MS und SAc wurden mittels Aggregometrie bestimmt. Ergebnisse. Capsaicin aktivierte die transgene Zelllinie mit einer EC50 von rund 200 nM, diese Aktivierung konnte durch den kompetitiven TRPV1 Antagonisten Capsazepine aufgehoben werden (IC50 rund 30 nM). Auch die Koapplikation von ASA, SAc und MS, jeweils in Konzentration von 1 µM, reduzierte die Capsaicin-Antworten signifikant (jeweils p<0,001, ungepaarter T-Test vs. Vehikel). Höhere Einzeldosen dieser Substanzen sowie die Koapplikation von ASA mit CPZ in jeweils hemmender Konzentration hoben jedoch diese Hemmung der Nozizeptoraktivierung wieder auf. Erwartungsgemäß hemmte ASA konzentrationsabhängig die ADP-induzierte Aggregation humaner Thrombozyten (IC50 rund 8 µM), nicht jedoch MS oder SAc. Im Rahmen unserer Studie konnte TRPV1 weder biochemisch noch funktionell auf Blutplättchen identifiziert werden.
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Schlussfolgerungen. Diese Ergebnisse legen einen direkten, unmittelbaren und komplexen pharmakologischen Hemmmechanismus von ASA und verwandter Substanzen direkt am Capsaicinrezeptor nahe, der keinem üblichen kompetitiven oder nichtkompetitiven Mechanismus entspricht. Dieser zusätzliche Signalweg über TRPV1 ist unabhängig von der bekannten irreversiblen Hemmung der COX durch Azetylierung, die für die Hemmung der Blutgerinnung mittels ASA essenziell ist.
P01.11 Arthritis und hTNF bei Maus und Mensch: präklinische und klinische Therapiekontrolle mittels funktioneller Magnetreso nanztomographie A. Hess1, J. Rech2, R. Axmann2, C. Heindl-Erdmann1, S. Kreitz1, K. Brune1, G. Schett2 1FAU Erlangen-Nuremberg, Dep. of Experimental and Clinical Pharmacology, Erlangen, Deutschland, 2FAU Erlangen-Nuremberg, Department of Internal Medicine 3, Erlangen, Deutschland Pain is the key symptom in patients with arthritis. Although the pivotal role of TNF-α in arthritic inflammation is well documented, its role as a mediator of pain is less understood. We hypothesized that hypernociception due to chronic TNF overexpression leads to an altered pain processing in the brain. Using functional magnetic resonance imaging (fMRI) we demonstrated that mice overexpressing human tumor necrosis factor (hTNF), as well as rheumatoid arthritis patients exhibit more intensive, widespread and prolonged brain activity upon nociceptive stimuli. Graph theoretical connectivity analysis of the fMRI data showed rewiring within the pain matrix under chronic pain conditions i.e. tight clustering of brain activity in thalamus and periaqueductal grey. Neutralization of TNF by antibodies rapidly reversed this hypernociception in mice and men. This was reflected by an overall decrease of the functional activity in the brain pain matrix and by dissociation of the tight clustering long before anti-inflammatory effects were evident. These results suggest profound functional changes of nociceptive brain activity during arthritis in mice and men, which normalize upon hTNF blockade. This similarity of pain related effects in mouse and man facilitates a translational approach for searching novel analgesics.
P01.12 Spinale und supraspinale Verarbeitung Capsaicin-induzierter Schmerzen J. Gierthmühlen1, T. Rempe2, S. Wolff2, C. Riedel2, P. Stroman3, R. Baron4, O. Jansen2 1Sektion für Neurologische Schmerzforschung und Therapie, Institut für Neuroradiologie, Klinik für Neurologie, UKSH, Campus Kiel, Kiel, Deutschland, 2Institut für Neuroradiologie, UKSH, Campus Kiel, Kiel, Deutschland, 3Canada Research Chair in Imaging Physics, Centre for Neuroscience Studies, Dept of Diagnostic Radiology, Dept of Physics, Kingston, Ontario, Kanada, 4Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel, Sektion Neurologische Schmerzforschung und -therapie, Kiel, Deutschland Einleitung. Hyperalgesie und Allodynie sind Symptome neuropathischer Schmerzen, die durch eine Sensibilisierung peripherer und zentraler (spinaler, supraspinaler) nozizeptiver Strukturen erklärt werden. Experimentell kann eine periphere und zentrale Sensibilisierung durch kutane Applikation von Capsaicin erreicht werden. Ziel dieser Studie war die Untersuchung spinaler und supraspinaler Aktivierungsmuster nach Capsaicin-induzierter Allodynie und Hyperalgesie mittels fMRT. Methoden. Bei 17 gesunden Probanden (7 w, 10 m, mittleres Alter: 26,9±2,3 Jahre) wurden zunächst nicht-schmerzhafter thermische und
mechanische Reize (Dermatom C6) während einer spinalen fMRT appliziert (3T, Head-Neck-Coil, 10 sagittale Schichten, Schichtdicke 2 mm, Single-Shot FSE, TR 9000 ms, TE 38 ms, FOV 288×144×20 mm, Matrix 192×96, Voxelgröße 1,5×1,5×2 mm). Anschließend erfolgte eine Sensibilisierung im Testareal durch topische Capsaicin-Applikation (0,6%) mit anschließender Wiederholung der fMRT-Untersuchung mit denselben thermischen und mechanischen Stimuli, die nun als schmerzhaft empfunden wurden. Aktivierungsmuster vor und nach Capsaicin-Applikation wurden verglichen. Ergebnisse. Nach Sensibilisierung konnte supraspinal eine verminderte Aktivierung im dorsolateralen pontinen Tegmentum (DLPT), sowie eine vermehrte (Hitzeallodynie) beziehungsweise verminderte (mechanische Hyperalgesie) Aktivierung in der rostralen ventralen Medulla oblongata (RVM) beobachtet werden. Spinal zeigte sich eine vermehrte Aktivierung im ipsi- und kontralateralen Vorder- und Hinterhorn bei der thermischen Messung sowie im superfiziellen ipsilateralen und im tiefen kontralateralen Hinterhorn bei der mechanischen Messung. Schlussfolgerung. Die Ergebnisse zeigen eine vermehrte spinale Aktivierung und eine veränderte Aktivierung in supraspinalen Zentren der Schmerzmodulation (RVM, DLPT) nach Sensibilisierung und liefern damit wichtige neue Erkenntnisse über die menschliche Schmerzverarbeitung.
P01.13 Stärkere fMRT-Aktivierung für C – vs. Ad-Fasern in verschiede nen Hirnarealen nach Hitzestimulation mit unterschiedlichem Interpuls-Intervallen A. Ritter1, U. Kappauf1, M. Franz1, C. Dietrich1, W. Miltner1, T. Weiss1 1Inst. f. Psychologie, Biologische und Klinische Psychologie, Jena, Deutschland Leicht myelenisierte (Aδ) und unmyelenisierte (C) Nervenfasern sind die wichtigsten Afferenzen für schmerzhafte und thermische Reize. Ihre unterschiedlichen biophysikalischen und sensorischen Eigenschaften führen zu unterschiedlichen Qualitäten bei der Wahrnehmung von schmerzhaften Reizereignissen. Der erste Schmerz ist Aδ-Faser-, der zweite Schmerz C-Faser-vermittelt. Die differentielle Verarbeitung dieser beiden Eingänge in der Neuromatrix des Schmerzes ist bislang wenig erforscht. Anliegen der vorliegenden Studie war es zu untersuchen, welche Auswirkung schmerzhafte thermische Reize mit hoher und geringer zeitlicher Summation des zweiten Schmerzes auf die Verarbeitung im menschlichen Gehirn haben. 16 Versuchspersonen wurde auf der Handoberfläche die Temperatur von 39 auf 49°C erhöht, wobei die Maxima der Hitzereize unterschiedliche zeitliche Abstände (Interpuls-Intervalle, IPI) voneinander hatten. Zur präferentiellen Stimulation von C-Fasern durch die Summation des 2. Schmerzes verwendeten wir kürzere IPI als für die präferentielle Stimulation von Aδ-Fasern. Die beiden Bedingungen wurden so abgestimmt, dass die wahrgenommene Schmerzintensität für beide Reizklassen gleich war. Stärkere fMRT-Aktivierungen zeigen sich durchweg für die Bedingung mit den kurzen IPI, in der sich die Summation des C-Faser-geleiteten zweiten Schmerzes auswirkt. Verglichen mit der Bedingung für die präferentielle Stimulation für Aδ-Fasern mit den langen IPI findet sich diese stärkere Aktivierung bilateral im insulären Kortex, im dorsolateralen Präfrontalkortex und im sekundär-somatosensorischen Kortex, sowie medial im anterioren zingulären Kortex und im Thalamus und darüber hinaus im kontralateralen Nucleus Caudatus und Putamen. Grundsätzlich lässt sich die stärkere Aktivierung für die C-Faser-geleiteten Schmerzreize in diesen Strukturen so deuten, dass die Wahrnehmung des zweiten Schmerzes eine größere Wichtigkeit für die Homöostase und das langfristige Funktionieren des menschlichen Körpers besitzt und deshalb stärker emotional konnotiert ist. Des
Weiteren leiten sich daraus möglicherweise unterschiedliche Bewältigungsstrategien für den ersten und zweiten Schmerz ab. Unterstützt durch BMBF 01EC1003B „Chronischer Rückenschmerz“ und Bernstein-Programm 01RQ0703 „Neuromatrix des Schmerzes“.
P01.14 Schmerzwahrnehmung und Schmerzhemmung bei Alexithymie B. Herbert1, H. Flor2 1Universitäsklinik Tübingen, Eberhard-Karls-Universität Tübingen, Tübingen, Deutschland, 2Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Lehrstuhl für Neuropsychologie an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Mannheim, Deutschland Fragestellung. Alexithymie bezeichnet die Unfähigkeit, Gefühle wahrzunehmen und zu beschreiben und geht einher mit Defiziten der Emotionsregulation und einem erhöhten Erkrankungsrisiko für eine Reihe psychiatrischer und somatischer Erkrankungen, inklusive chronischer Schmerzerkrankungen. Experimentelle Studien zur Schmerzwahrnehmung bei Alexithymie sind selten, mit bislang heterogenen Befunden. Bis dato nicht untersucht sind Mechanismen der Schmerzhemmung bei Alexithymie, welche Aufschluss über eine intakte oder gestörte zentral mediierte Schmerzkontrolle geben können Ein Paradigma hierfür stellt die Induktion stressinduzierter Analgesie (SIA) dar. Material und Methode. Alexithymie wurde anhand der TAS-20 bei gesunden Probanden erhoben. Sensorische Wahrnehmungsschwelle, Schmerzschwelle sowie Schmerztoleranz wurden anhand eines elektrischen Stimulationsparadigmas vor und nach Stressinduktion erhoben. Ergebnisse. Es zeigte sich eine erhöhte sensorische Wahrnehmungssowie Schmerzschwelle in Abhängigkeit von der individuellen Ausprägung an Schwierigkeiten, eigene Gefühle zu identifizieren. Dieses alexithyme Problem sowie die Gesamtausprägung an Alexithymie waren signifikant negativ mit dem Grad an stressinduzierter Analgesie korreliert. Diskussion und Schlussfolgerung. Die eruierte Assoziation zwischen Problemen der Gefühlswahrnehmung und einer verminderten Perzeption von somatosensorischen und Schmerzreizen ist in Einklang mit Befunden zum negativen Zusammenhang zwischen Alexithymie und interozeptiver Sensitivität. SIA beschreibt eine reduzierte Schmerzreaktion nach Stressexposition, wird durch deszendierende schmerzinhibitorische zentralnervöse Mechanismen vermittelt und indiziert eine adäquate, zentral mediierte Schmerzkontrolle. Die nachgewiesene Beeinträchtigung der SIA bei Alexithymie gibt relevanten Einblick in einen möglichen vermittelnden zentralnervösen Mechanismus zur Bedeutung von Alexithymie bei chronischen Schmerzerkrankungen.
P01.15 Neuronale Hyperalgesiemechanismen bei Patientinnen mit Endometriose K. Möller1, A. Kopf2 1Charite Universitätsmedizin Berlin, Schmerzambulanz, Berlin, Deutschland, 2Charite Berlin/ Campus Benjamin Franklin, Anästhesie mit Schwerpunkt operative Intensivmedizin, Berlin, Deutschland Fragestellung. Endometriose ist eine gynäkologische Erkrankung mit einer Prävalenz von 5–15% aller Frauen im gebährfähigen Alter in Deutschland. Bei der Endometriose handelt es sich um verstreutes Uterusstroma außerhalb des cavum uteri. Die Leitsymptome sind Dysmenorrhoe, Unterbauchschmerz und Infertilität. Die Behandlung von Schmerzen bei der Endometriose ist aufgrund der Komplexität der Erkrankung und ihrer Entstehung sehr schwierig und besteht zurzeit aus der operativen Behandlung mit Entfernung der Endometrioseherde, Der Schmerz · Supplement 1 · 2011
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Abstracts mit der zumindest kurzfristig eine erhebliche Reduktion der Schmerzen erzielt werden kann, der hormonellen Therapie und der Gabe von Analgetika. Unklar ist die Pathogenese der Schmerzen. Es gibt Ansätze, die Schmerzen auf die neuropathische Komponente hin zu therapieren. Studien zeigen ein Einsprossen von Nervenfasern in die Endometrioseläsionen. Diese Neubewertung des Endometriose-assoziierten Schmerzes als neuropathischen Schmerz steht im Mittelpunkt der Untersuchung. Zur quantitativen Erfassung der neuropathischen Schmerzkomponente wurde das QST-Protokoll der DGFN benutzt. Die Fragestellung war, ob Patientinnen mit Endometriose zentrale Hyperalgesiemechanismen entwickeln und diese mit QST messbar sind. Es wurden zwei Gruppen von Patientinnen aus der Endometriosesprechstunde des Krankenhaus Charite Benjamin Franklin in Berlin untersucht. Untersuchungsmethode war das standardisierte QST-Protokoll der DGFN. Als Messpunkte wurden der gesunde Handrücken und am Unterbauch der Bereich des punctum maximum (ipsilateral) des Schmerzes ausgewählt. Insgesamt haben 31 Patientinnen an der Untersuchung teilgenommen. Davon hatten 16 Patientinnen chronische Schmerzen (>20 d/Monat). Die zweite Gruppe bestand aus 15 Patientinnen die zyklusabhängige Schmerzen (<10 d/Monat) angaben. Die vorliegenden Ergebnisse zeigen keinen eindeutigen neuropathischen Ursprung. Eine vorsichtige Interpretation der Hypästhesie im Bereich des suprapubischen Areals könnte mit einer zentralen Hemmung auf spinaler Ebene erklärt werden. Das könnte Hinweis auf eine Rolle der zentralen Sensibilisierung sein und damit eine Beteiligung des ZNS bedeuten. Ebenso zeigte sich eine thermale Hypästhesie in dem Bereich des suprapubischen Areals. Ein signifikantes Ergebnis gab es bei der Druckschmerzprüfung auf dem punctum maximum. Der Ansatz, klinische Untersuchungsmethoden wie QST zur Evaluierung der Schmerzgenese heranzuziehen, ist bei der vielfältigen Pathogenese der Endometriose durchaus berechtigt. Da es auf histopathologischer Ebene eine starke Evidenz für eine neuropathische Komponente gibt, sollte der Ansatz in einer weiteren Studie erneut geprüft werden. QST bietet zurzeit die feinste Analyse der neuropatischen Schmerzsymptomatik, ob es jedoch bei der Endometriose eine sensible Untersuchungsmethode ist, könnte diskutiert werden.
P04 – Akutschmerz P04.1 Umfrage zur Analgesie bei medizinischen Prozeduren in der Neuropädiatrie D. Perry1, F. Ebinger2 1Fachkrankenhaus Neckargemünd, Neuropädiatrie, Neckargemünd, Deutschland, 2Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsklinikum Heidelberg, Neuropädiatrie, Heidelberg, Deutschland Fragestellung. Die Vermeidung oder Reduktion von Schmerzen bei medizinischen Prozeduren in der Pädiatrie ist ein Thema von zunehmender Bedeutung. Inwieweit sich jedoch der Klinikalltag entsprechend verändert hat, ist unklar. Wir führten daher eine Umfrage in deutschen, österreichischen und Schweizer neuropädiatrischen Einrichtungen durch. Material und Methode. An 424 Kliniken und sozialpädiatrische Zentren in Deutschland, an 49 Kliniken in Österreich und 9 Kliniken in der deutschsprachigen Schweiz, die neuropädiatrische Untersuchungen durchführen, wurde ein Fragebogen geschickt, der u. a. die Nutzung von EMLA bei Venenpunktionen und die Anwendung von Analgesie und Sedierung bei Lumbalpunktionen erfragte. Die Rücklaufquote betrug 54%. Erhebungszeitraum war Juni 2008 bis Januar 2009. Ergebnisse. Deutlich wurden große Unterschiede im Vorgehen zwischen den einzelnen Ländern und in Deutschland zwischen den Einrichtungen. In der Schweiz und in Österreich scheint sich eine Analgesie bei medizinischen Prozeduren stärker durchgesetzt zu haben. Das
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EMLA-Pflaster wird bei Blutentnahmen oder Venenzugängen routinemäßig genutzt, in Österreich auch bei LPs. In Deutschland nutzen nur knapp ein Viertel aller Einrichtungen EMLA bei Blutentnahmen immer oder meistens, in Österreich dagegen 90% und in der Schweiz sogar 100%. Nur knapp 18% halten in Deutschland die vorgeschriebene Einwirkzeit von 60 Minuten ein. Bei Lumbalpunktionen wendet weniger als die Hälfte aller antwortenden Kliniken fast immer eine Lokalanästhesie an, knapp drei Vierteln fast immer oder meistens. Am häufigsten wird das EMLA-Pflaster genutzt (67%). 11,5% nutzen EMLA und Lidocain und 3,1% Lidocain alleine. Eine systemische Analgesie wird von 30,8% aller Einrichtungen fast immer oder meistens angewendet. Auch hier stehen die Antwortenden aus Österreich mit 57,1% an erster Stelle. Häufiger als eine Analgesie wird bei einer LP eine Sedierung durchgeführt, insgesamt bei fast 50% aller Einrichtungen. In Kliniken, die über Leitlinien zur Analgesie bei medizinischen Prozeduren verfügen, werden häufiger analgetische Maßnahmen durchgeführt. Diskussion. Die Nutzung von EMLA ist ohne größeren Aufwand möglich. Anders als bei einer Analgosedierung gibt es kaum Argumente, die einer Nutzung entgegenstehen. In Deutschland scheint sich jedoch EMLA im Alltag noch nicht ausreichend durchgesetzt zu haben. Auch bei Lumbalpunktionen wird keine konsequente Analgesie durchgeführt. Die berichteten Länderunterschiede sind wegen der unterschiedlichen Teilnehmerzahlen mit Einschränkung zu beurteilen. Schlussfolgerungen. Wir empfehlen die konsequente Nutzung von Lokalanästhetika bei allen planbaren Venenpunktionen zumindest bei allen Kindern unter 12 Jahren und bei bestimmten Patientengruppen unabhängig vom Alter. Bei Lumbalpunktionen sollten die Empfehlungen der Qualitätssicherungsgruppe der Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie auch für nichtonkologische Patienten übernommen werden. Entsprechende klinikinterne Leitlinien sollten erstellt werden.
P04.2 Erhöht die postoperative Schmerztherapie mit Diclofenac das Nachblutungsrisiko? G. Miestiner1, H. Schuckall1, M. Kurz1 1Landeskrankenhaus Salzburg, Universitätsklinik für Anästhesiologie, perioperative Medizin und allgemeine Intensivmedizin, Interdisziplinäre Schmerzambulanz, Salzburg, Österreich Einführung. Diclofenac ist ein sehr weit verbreitetes und häufig eingesetztes nichtsteroidales Antirheumatikum (NSAR). Auch in der postoperativen Analgesie hat es aufgrund seiner guten analgetischen Eigenschaften einen Stellenwert als Basis-Schmerzmittel der Stufe 1 im Sinne des WHO-Stufenplans. Durch die unselektive Hemmung der Cyclooxygenase (COX) weist es jedoch auch thrombozytenaggregationshemmende Eigenschaften auf. Es existieren Daten, die darauf hinweisen, dass Diclofenac dadurch klinisch relevanten Einfluss auf die Nachblutungshäufigkeit haben kann. Ziel der Studie war es, herauszufinden, ob der Einsatz von Diclofenac zur kurzfristigen postoperativen Analgesie bei chirurgischen und unfallchirurgischen Patienten das Nachblutungsrisiko erhöht. Material und Methoden. Es wurden in einer retrospektiven Analyse 754 digital archivierte Patientenakten der Universitätskliniken für Chirurgie und Unfallchirurgie des Landeskrankenhauses Salzburg aus dem Jahr 2007 untersucht. Mithilfe eines standardisierten Auswertungsformulars wurden alle relevanten Daten aus den Akten erhoben, anschließend in eine elektronische Datenbank übertragen und statistisch ausgewertet. Ergebnisse. 600 der 754 untersuchten Patienten erhielten Diclofenac zur postoperativen Schmerztherapie. Es konnte kein statistisch signifikanter Zusammenhang zwischen der Applikation von Diclofenac und dem Auftreten von Nachblutungen nachgewiesen werden. Auch die Applikationsdauer (≤3 Tage/>3 Tage) hatte keinen Einfluss auf die Komplikationshäufigkeit. Dasselbe gilt für die Applikationsart (intra-
venös/oral). Kein einziger Patient, der eine Nachblutung erlitt, verstarb daran. Interpretation. Trotz der gesicherten hemmenden Wirkung des Medikamentes auf die Thrombozytenaggregation konnte in dieser Studie keine statistisch signifikante Häufung von klinisch relevanten Nachblutungen durch die Anwendung von Diclofenac nachgewiesen werden. Dies lässt den Schluss zu, dass Diclofenac ein für die postoperative Schmerztherapie (zumindest nach chirurgischen und unfallchirurgischen Eingriffen) geeignetes und sicheres Präparat darstellt.
P04.3 Projekt: „Das schmerzarme Krankenhaus“ des Landeskranken hauses Salzburg H. Schuckall1, M. Kurz1, G. Pollheimer1, A. Wenger1, C. Merten1 1Landeskrankenhaus Salzburg, Universitätsklinik für Anästhesiologie, perioperative Medizin und allgemeine Intensivmedizin, Interdisziplinäre Schmerzambulanz, Salzburg, Österreich Einleitung. Die Schmerztherapie während eines Krankenhausaufenthaltes ist ein wesentlicher Teil der Behandlung. Sie beeinflusst viele Faktoren wie Patientenzufriedenheit und -komfort. Darüber hinaus senkt sie die Morbidität und Mortalität, indem es zu weniger Begleiterscheinungen kommt. Dies hat auch wirtschaftliche Vorteile, da die Krankenhausaufenthaltsdauer reduziert wird und so Kosten gesenkt werden. Zusätzlich hat der Patient ein Recht auf eine adäquate, dem wissenschaftlichen Stand entsprechende, Schmerztherapie (§ 110 StGB, § 120 ASVG). Die Implementierungen solcher Konzepte sind schon öfters beschrieben worden. In Studien hat sich gezeigt, dass Erwachsene nach elektiven chirurgischen Eingriffen zu 50–70% über moderate bis starke Schmerzen klagen. Mit der Zielsetzung die Schmerztherapie in einem Krankenhaus der Maximalversorgung zu standardisieren und damit zu verbessern wurde die interdisziplinäre Schmerzambulanz des LKH Salzburg unter der Leitung von Frau OÄ Dr. H. Schuckall beauftragt, das Projekt „Schmerzarmes Krankenhaus“ durchzuführen. Methodik. a) Erfassung und Dokumentation des Schmerzes: – Patientenkurven wurden adaptiert mit der Möglichkeit den Schmerz über VAS/NRS/KUSS einzutragen, – Schulungen der Pflege, Schmerz zu erfassen und dokumentieren, – Tools zur Erfassung: hauseigenen Schmerzschieber. b) Pumpenmanagement: – einheitliche Pumpe, – einheitliches Pumpenmanagement. c) Erstellung von Standards: – Postoperative Schmerztherapie, – Schmerzüberwachungs- und Pumpenmanagementprotokoll, – Postoperativer Anordnungsbogen für Anästhesisten (verpflichtende – Vorschreibung u. rechtliche Absicherung der Pflege = Ergebnis), – Verpflichtung, wann Arzt verständigt wird, – Folgerung Schmerztherapie. Ergebnisse. Auf allen Stationen des LKHs wurde eine Schmerzerhebung ein- und regelmäßig durchgeführt. Durch das im OP beginnende Schmerzmanagement durch den Anästhesisten wurde die Schmerzbehandlung der Patienten im postoperativen Verlauf deutlich verbessert. Im Intranet wurde ein elektronisches Schmerzhandbuch für alle MitarbeiterInnen zur Verfügung gestellt. Hier besteht die Möglichkeit alle Richtlinien, Äquivalenztabellen oder medikamentösen Therapien abzurufen. Diskussion. Die Standardisierung einer Schmerztherapie in einem Haus der Maximalversorgung verbessert die Schmerztherapie beim Patienten. Dies beschleunigt und verbessert die Behandlungsabläufe. Die einheitliche Schmerzerfassung und -dokumentation führt zu einer Verbesserung der Schmerztherapie. Auch bei Routineoperationen kann es bei einer Schmerzunterversorgung bzw. Überstimulation des nozizeptiven Systems zu pathologischen Veränderungen der neurona-
len Verschaltung kommen. Allerdings wurde deutlich, dass eine gute und suffiziente Versorgung nur durch eine sorgfältige und regelmäßige Betreuung auch nach der Operation durch einen Akutschmerzdienst gewährleistet ist. Diese strukturelle Schwäche der Organisationsstruktur konnte dem Krankenhausträger verdeutlicht werden und wird derzeit implementiert.
P04.4 Oral-transmukosales Fentanylcitrat (OTFC) im Rettungsdienst bei Monotrauma H. von Hartrott1, H. Richter1, O. Grenzer1, A. Kopf1 1Charite Berlin/Campus Benjamin Franklin, Anästhesie mit Schwerpunkt operative Intensivmedizin, Berlin, Deutschland Hintergrund. Die prähospitale Versorgung akuter Schmerzen im Rettungsdienst – ohne Notarzt– wird als mangelhaft eingeschätzt. Aufgrund unerwünschter Folgen akuter Schmerzen und aus humanitären Gesichtspunkten sollten akute Schmerzen auch prähospital suffizient versorgt werden. Die bei einfacheren Verletzungen eingesetzten Rettungsassistenten (RA) haben jedoch nur eine eingeschränkte Legitimation zur Medikamentengabe und für invasive Interventionen. OTFC ist analgetisch potent, benötigt keinen periphervenösen Zugang, ist schnell wirksam und durch die patientenkontrollierte Applikation relativ sicher. Die Studie sollte daher untersuchen, ob OTFC durch RA eingesetzt werden kann und ob es analgetisch effektiv und dabei sicher ist. Methodik. Die Studie erfolgte prospektiv, randomisiert, doppelblind und placebokontrolliert. Eingeschlossen wurden volljährige Patienten mit Monotrauma der Extremitäten. Primäre Zielparameter: Beurteilung der subjektiven Transportfähigkeit, Schmerzintensität und Notwendigkeit einer Nachalarmierung. Sekundäre Zielparameter: Erfassung von Vitalparametern und Patientenkomfort. Die Studiendurchführung erfolgte nach Einweisung der RA nach einem standardisierten Protokoll. Nach Einwilligung des Patienten wurden bis zur Einlieferung in das Krankenhaus in definierten Intervallen Schmerzintensität (NAS 0-10), Vitalparameter, Nausea, Sedierung, Versorgungszeit und Notwendigkeit der Nachalarmierung eines Notarztes erfasst. Zur Gruppenvergleichbarkeit wurde das Gewicht der verbrauchten Arzneimittelmatrix ermittelt und eine Einschätzung des RA zur Wirksamkeit des jeweils eingesetzten Applikators (Schulnoten 1–6) erfragt. Ergebnisse. 49 vollständige Datensätze konnten dokumentiert werden (26 Verum- und 23 Placebogruppe). Die subjektive Transportfähigkeit war bei Placebo in 48% vs. 31% bei Verum gegeben (p=0,221). Die durchschnittliche Pain Intensity Difference (PID) vor und nach Lagerung betrug −0,17 SKE für Placebo und für Verum −0,12 SKE (p=0,659). In einem Fall (Placebogruppe) musste der Notarzt zur Schmerztherapie nachalarmiert werden. Die PID über den gesamten Beobachtungszeitraum lag 2,0 SKE (Verum) bzw. 2,3 SKE (Placebo; p=0,653). Die Einsatzzeiten waren ohne signifikanten Unterschied (p=0,587). In keiner der Gruppen kam es zu bedrohlichen Medikamentenwirkungen. Die unerwünschten opioidbedingten Wirkungen waren in beiden Gruppen nicht signifikant verschieden: Sedierung (p=0,08), Nausea (p=0,928), ebenso der Matrixverbrauch (p=0,696) und die Bewertung der Analgesie durch die RA (3,5 vs. 3; p=0,199). Diskussion. OTFC ist durch RA gut anwendbar und analgetisch wirksam. In der Studie war diese Wirksamkeit nicht signifikant verschieden von Placebowirkung. Unter gegebenen Studienbedingungen war OTFC frei von unerwünschten Wirkungen, es sind aber größere Fallzahlen nötig, um die Sicherheit von OTFC im Rettungsdienst zu belegen. Es ist zu diskutieren, ob die spezifischen (analgetischen) Wirkungen von OTFC durch die unspezifischen Kontextfaktoren (Zuwendung des RA, 15-minütige Transportverzögerung) maskiert werden. Es ist daher zu schlussfolgern, dass für eine regelhafte Verwendung von OTFC im Rettungsdienst keine Indikation besteht, dass aber die emDer Schmerz · Supplement 1 · 2011
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Abstracts pathische und zeitliche Zuwendung des RA als wichtiger Faktor zum schmerzreduzierten Transport nach Monotrauma gefordert und durch entsprechende Maßnahmen der RA eingeführt werden sollte.
P04.6 Interventionsgrenzen bei Schmerzen aus Patientensicht bei elektiven orthopädischen Eingriffen
P04.5 Implementierung von transkutaner elektrischer Nervenstimu lation in der postoperative Schmerztherapie
J. Erlenwein1, D. Stüder2, F. Petzke1, M. Przemeck3 1Zentrum Anästhesiologie, Rettungs- und Intensivmedizin, Universitätsmedizin Göttingen, Schmerz-Tagesklinik und -Ambulanz, Göttingen, Deutschland, 2Diakoniekrankenhaus Annastift, Orthopädische Klinik der MHH, Hannover, Deutschland, 3Diakoniekrankenhaus Annastift, Klinik für Anästhesie und Intensivmedizin, Hannover, Deutschland
S. Melle1, A. Zimmer2, W. Meißner3 1Universitätsklinikum, Klinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie, Schmerzambulanz, Jena, Deutschland, 2Universitätsklinikum, Klinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie, Schmerzambulanz, Jena, Deutschland, 3Universitätklinikum, Klinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie, Schmerzambulanz, Jena, Deutschland Einleitung. Trotz in kontrollierten Studien nachgewiesener Wirksamkeit von TENS in der postoperativen Schmerztherapie [1] wird diese bis her kaum eingesetzt. In einer Pilotstudie bei Patienten nach Thoraxeingriffen einer Universitätsklinik sollte die Umsetzbarkeit und Wirksamkeit eines solchen nicht invasiven, kostengünstigen Konzeptes beobachtet werden. Methode. Die Patienten wurden im Rahmen der Prämedikation über eine TENS-Behandlung zusätzlich zur systemischen Schmerztherapie (Nichtopioid und bedarfsweise Piritramid) aufgeklärt. Postoperativ wurde im Aufwachraum mit der TENS-Therapie durch die Pain Nurse begonnen. Die Anwendung des TENS erfolgte selbständig durch die Patienten, eine mindestens 3-malige Anwendung pro Tag für jeweils 30 Minuten wurde vereinbart. Die Pain Nurse führte tägliche Visiten durch und sammelte die Geräte am Behandlungsende ein. Umsetzbarkeit, Schmerzintensität und Nebenwirkungen wurden regelmäßig dokumentiert. Ergebnisse. Es wurden insgesamt 55 Patienten nach mittelgroßen thoraxchirurgischen Eingriffen (v. a. Thorakoskopien, Laserenukleationen, Mediastinoskopien) eingeschlossen, wenn diese keine Regionalanalgesien erhielten. Die mittlere Anwendungsdauer betrug 2,8 Tage. 13 Patienten beendeten die TENS-Therapie vor diesem Zeitpunkt aus unterschiedlichen Gründen („zu viele Strippen“, wenig Schmerzen unter medikamentöser Schmerztherapie). Am 1. postoperativen Tag gaben die Patienten in Ruhe bzw. bei Belastung/Mobilisation eine Schmerzintensität unter TENS-Therapie von 3 bzw. 5,1 an (11-teilige NRS), am 2. postoperativen Tag betrugen diese Werte 2,4 bzw. 4,4. Alle Patienten konnten das TENS-Gerät problemlos bedienen. Es wurden keine Nebenwirkungen beobachtet. Es gab keinerlei technische oder organisatorische Probleme. Diskussion. Mit Hilfe der Kombination von systemischer Schmerztherapie und der Verwendung eines TENS-Gerätes konnte eine suffiziente Schmerztherapie etabliert werden. Technische Probleme oder Nebenwirkungen wurden nicht beobachtet. Die Implementierung in die tägliche Routine gestaltete sich problemlos. F reynet et al., Is transcutaneous electrical nerve stimulation effective in relieving postoperative pain after thoracotomy? Interact CardioVasc Thorac Surg 2010;10:283-288
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Fragestellung. Im Rahmen der postoperativen Schmerztherapie werden neben den funktionellen Qualitätszielen typischerweise auch die aus dem Bereich der chronischen und Tumorschmerztherapie stammenden Ziel- und Interventionsvorgaben einer Schmerzreduktion auf einer Numerischen Rating Skala (NRS) auf ≤3 in Ruhe und auf ≤5 bei Belastung angewandt. Fragestellung dieser Untersuchung war es diese Grenzwerte mit einer qualitativen Bewertung aus Sicht von elektiven operativen Patienten auf einer elfstufigen NRS zu vergleichen. Material und Methoden. 170 elektive orthopädische Patienten wurden mit 2 standardisierten zugeordneten Fragebögen am Tag vor der Operation und am dritten postoperativen Tag zu Erwartungen und Erleben postoperativer Schmerzen befragt. Die Datenauswertung erfolgte anhand eines nichtparametrischen Rangkorrelationstests (Kendall Tau). Ergebnisse. Erwartung: Patienten erwarteten eine postoperative Schmerzintensität von 4,4. Die Patienten gaben im Vorfeld an, postoperativ eine Schmerzintensität von 3,3 durchgehend und von maximal 4,2 ertragen zu können. Als Erwartungen an den Grad der Linderung der Schmerzen durch die Schmerztherapie auf einer elfstufigen NRS (0= keine Linderung, 10= vollständige Linderung) wurde im Mittel ein erwarteter Linderungsgrad von 7,6 angegeben. Postoperatives Schmerzerleben: Erlebter Minimalschmerz war 2,6, Maximalschmerz 5,7. Dabei gaben die Patienten postoperativ an, durchgehend einen Schmerz von 3,5 (Median 4) und einen Maximalschmerz von 4,2 (Median 4) ertragen zu haben ohne nach zusätzlichen Schmerzmedikamenten zu verlangen. Insgesamt bewerteten sie die Linderung ihrer Schmerzen (0= keine, 10= vollständige Linderung) mit 7,9. Hinsichtlich der präoperativen Einschätzung korrelierten lediglich die Angaben von durchgehend zu ertragenden vs. ertragenen Schmerz schwach (p=0,008, k=0,159). Schmerzerwartung und Schmerzerleben, Angaben zu toleriertem Maximalschmerz und dem Grad der erwarteten Linderung wiesen keine signifikanten Korrelationen auf. Diskussion. Zwar gab es bis auf die Angabe zur durchgehend tolerierten Schmerzstärke keine Korrelation zu den präoperativen Angaben, jedoch lagen die mittleren Angaben zu den Interventionsschwellen auf der NRS sowohl prä- als auch postoperativ in einem ähnlichen Bereich. Dabei scheint für die Patienten sowohl der durchgehend erträgliche Schmerz als auch der tolerierte Maximalschmerz sehr nahe beieinander zu liegen. Eine notwendige Unterscheidung in zwei Stufen (Ruhe/ Bewegung) lässt sich aus diesen Daten nicht herleiten. Eine einfache numerische Interventionsgrenze auf der NRS von 4, so wie es auch bei chronischen und Tumorschmerzpatienten zum Teil empfohlen wird könnte bei orthopädischen Eingriffen ausreichend sein. Als wichtiger Parameter wird der (fehlende) Wunsch nach weiterer Medikation deutlich, was aber voraussetzt, dass eine regelmäßige Schmerzbefragung stattfindet. Schlussfolgerung. Auf der NRS kann ein Schmerz von 4 unabhängig von Ruhe oder Belastung als therapeutische Interventionsgrenze genutzt werden.
P04.7 Werden klinische Leitlinien zur postoperativen Schmerzthera pie von Knie-TEP-Operationen befolgt und welchen Einfluss hat das auf die Ergebnisqualität? R. Zaslansky1, M. Komann2, W. Meißner3 1Universitätsklinik Jena, Klinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie, Jena, Deutschland, 2Universitätsklinikum Jena, Klinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie, Jena, Deutschland, 3Friedrich-Schiller-Universität Jena, Klinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie, Jena, Deutschland Fragestellung. Studien zeigen, dass die Qualität einer Behandlung steigt, wenn sie leitliniengemäß durchgeführt wird. Wir untersuchten, inwieweit die S3-Leitlinien (LL) „Behandlung akuter perioperativer und posttraumatischer Schmerzen“ [1] befolgt werden und welchen Einfluss die Leitlinienbefolgung auf die Ergebnisqualität hat. Methodik. Wir betrachteten Patienten aus der deutschen Akutschmerz-Datenbank QUIPS (www.quips-projekt.de), bei denen eine Endoprothese im Knie implantiert wurde (Knie-TEP, OPS 5-822). Im Rahmen von QUIPS werden Patienten standardisiert am ersten postoperativen Tag nach Schmerzen und Nebenwirkungen befragt. Wir analysierten, wie viele der von den LL für Knie-TEP-Operationen empfohlenen fünf Maßnahmen in der Praxis befolgt wurden (Patienteninformation, Schmerzdokumentation, präoperative Opioide bei Allgemeinanästhesie, Regionalanalgesie, systemische Schmerztherapie bei Vorhandensein von Schmerzen). Ergebnisse. Im Zeitraum 1/2009 bis 1/2011 befanden sich 1282 komplette Datensätze zu Knie-TEP-Operationen in der Datenbank. 9% (n=12) erhielten 1 Intervention, 6% (n=77) erhielten 2, 17,6% (n=225) erhielten 3, 50,1% (n=642) erhielten 4 und 25,4% (n=325) erhielten 5 Interventionen. Bis zu 4 Interventionen verbesserten sich die Ergebnisse mit steigender Anzahl angewendeter Interventionen. In der Gruppe, die alle fünf Interventionen erhalten hatten, waren Maximalschmerz, Belastungsschmerz, Müdigkeit, und Stimmungseinschränkung jedoch signifikant höher als in den Gruppen mit 1–4 Interventionen. Diese Gruppe wurde besonders häufig mit systemischer Schmerztherapie behandelt. Die Erbrechenshäufigkeit war in allen Gruppen nahezu gleich. Diskussion: Eine Zunahme der LL-Befolgung führt zunächst zu einer Verbesserung der Ergebnisqualität. Unerwarteterweise waren die Ergebnisse der Patienten, die alle Interventionen erhielten, jedoch am schlechtesten. Eine Erklärung könnte darin liegen, dass die Intervention „systemische Schmerztherapie“ (leitliniengerecht!) durch hohe Schmerzen getriggert wurde, z. T. in diesem Fall die von den Patienten berichteten Schmerzintensität nicht Folge, sondern Auslöser der Therapie gewesen sein könnten. Bei Registerauswertungen muss daher beachtet werden, dass Abhängigkeit bzw. Unabhängigkeit einer Variablen wechseln können. Schlussfolgerungen. Die Mehrzahl der Patienten mit einer Knie-TEPOperation wird nur zum Teil entsprechend evidenzbasierter Richtlinien behandelt. Die Ergebnisse verbessern sich jedoch mit fast jeder einzelnen den Richtlinien entsprechenden Intervention. Behandlung akuter perioperativer und posttraumatischer Schmerzen (Hrsg. Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung zur Schmerztherapie), www.awmf.de
P04.8 Überprüfung des edukativen und angstreduzierenden Effektes von schriftlicher Information über postoperative Schmerzthe rapie C. Schulz-Gibbins1, A. Kopf2, S. Sölken2 1Charite Berlin/ Campus Benjamin Franklin, Anästhesie Schmerzambulanz, Berlin, Deutschland, 2Charite Berlin/ Campus Benjamin Franklin, Anästhesie mit Schwerpunkt operative Intensivmedizin, Berlin, Deutschland Einleitung und Fragestellung. Präoperative Information von Patienten über die postoperative Schmerztherapie verringert die Angst vor und nach der Operation und wirkt sich positiv auf postoperatives
Schmerzerleben und Patientenzufriedenheit aus (Lithner 2002, Sjöling 2003,Wilder-Smith 1992,Niemi-Murola 2007). Gemäß der aktuellen S3-Leitlinie (AWMF-RegisterNr.041/1001) 2007/2009 zur Behandlung perioperativer und posttraumatischer Schmerzen soll eine patientengerechte Aufklärung vor der Operation erfolgen. Ob eine schriftliche Information in der Lage ist, die Aufklärung zur postoperativen Schmerztherapie zu verbessern, ist bislang nicht untersucht. An der Charité wurde(Campus Benjamin Franklin, Mitte und Virchow) ein Informationsblatt mit dem Titel: „Keine Angst vor Schmerzen-Informationen für unsere Patienten zur Behandlung von Schmerzen“ erstellt. Dieses Blatt enthält Informationen zu peri- und postoperativer Schmerztherapie. In der Untersuchung wurde das Informationsblatt hinsichtlich folgender Fragestellungen evaluiert: a) Führt das präoperative schriftliche Informationsblatt zu präoperativer Angstreduktion? b) Führt das Informationsblatt zu einer Verbesserung der Schmerzbewältigung? Sekundäre Zielparameter. Akzeptanz des Fragebogens, Informationsgehalt, Verständlichkeit. Material und Methode. Erstellt wurden drei verschiedene Fragebogen für Patienten der Anästhesiesprechstunde am Campus Benjamin Franklin der Charité, die sich am nächsten Tag einem operativen Eingriff unterzogen. 50 Probanden (Gruppe 1) erhielten das Informationsblatt vor Anästhesiegespräch und wurden anschließend mit der Variante 1 des Fragebogens befragt, 50 Probanden (Gruppe 2) erhielten die Variante 2 Fragebogens ohne Kenntnis des Informationsblattes und 20 Probanden (Gruppe 3, aus Gruppe 1 rekrutiert) erhielten nach der Operation die Variante 3 des Fragebogens („Aufklärungserfolg“). Die Fragen zu „Angst“ und „Informationsbedürfnis“ sind validiert (APAIS; Berth et al., 2007), weitere Fragen bezogen sich auf „Schmerzerwartungen“ und die Qualität des Fragebogens. Die statistische Auswertung erfolgt mit χ2-Verfahren sowie t-test für abhängige und unabhängige Stichproben. Ergebnisse. Insgesamt konnten 91 präoperative Bögen, davon 46 mit und 45 ohne Informationsblatt, ausgewertet werden. Von 19 Fragebögen (postoperativ) konnten 18 ausgewertet werden. 11 Patienten beantworteten die offenen Fragen. Ein Großteil dieser Patienten wünschte sich eine detailliertere Aufklärung zu Narkoseformen- und risiken und verwendeten Schmerzmitteln. Insgesamt wurde das Blatt als hilfreicher Überblick gewertet. Ein Patient bemängelte die Verständlichkeit, dazu wenig Bilder mit Aufklärungsinhalt verwendet wurden. Die vollständige Auswertung insbesondere zu den primären Zielparametern steht noch aus, da die Befragung erst Anfang Juni 2011 abgeschlossen wurde. Diskussion und Schlussfolgerung. Eine erste Sichtung der Fragebogen konnte zeigen, dass das Informationsblatt von den Patienten zum Erhalt eines ersten Überblicks über die peri- und postoperative Schmerztherapie eingeschätzt wird. Hinsichtlich der Vorschläge zu mehr Detailinformationen könnte das Blatt überarbeitet werden. In Folge könnte überprüft werden, ob mehr Detailinformation zu einer Erniedrigung oder zu einer Erhöhung präoperativer Angst führen.
P04.9 Vergleich von intravenösem Paracetamol vs. Metamizol in der postoperativen Schmerztherapie nach abdominalen Eingriffen M. Kaiser1, M. Klarhöfer1, A. Kopf1 1Charite Berlin/ Campus Benjamin Franklin, Anästhesie mit Schwerpunkt operative Intensivmedizin, Berlin, Deutschland Einleitung. Paracetamol und Metamizol sind häufig in der postoperativen Schmerztherapie verwendete Analgetika, für die es keine direkten Vergleichsuntersuchungen hinsichtlich ihrer analgetischen Effektivität gibt. Die Hypothese war, dass das Metamizol aufgrund seiner glattmuskelrelaxierenden Wirkungen bei abdominalen Operationen
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Abstracts gegenüber Paracetamol hinsichtlich der analgetischen Wirkungen überlegen ist. Material und Methode. Es handelte sich um eine kontrollierte, prospektive, randomisierte, doppelblinde Studie. Nach Fallzahlkalkulation für einen klinischen relevanten opioidsparenden Effekt einer der beiden untersuchten Analgetika mussten mindestens 30 Probanden je Gruppe in die Studie eingeschlossen werden Einschlusskriterien waren Probanden mit einer ASA-Klassifikation I–III, die sich einer Radikalen Prostatektomie, Hysterektomie, Cholezystektomie oder Hemikolektomie unterzogen. Nach Aufklärung und Einverständnis wurden im Aufwachraum alle Probanden mit einer PCA-Pumpe (Morphin 1,2 mg Bolus, Refraktärzeit 10 min, keine Hintergrundinfusion) versorgt. Parallel erhielten alle Probanden als Nichtopioidanalgetikum entweder Metamizol oder Paracetamol (viermal täglich je 1 g als Kurzinfusion). Zu festen Zeitpunkten wurden die abgerufene Morphinmenge (mg), Schmerzintensität (NAS 0–10 Score) in Ruhe und Belastung sowie unerwünschte Wirkungen [Übelkeit: objektiv n. Salomäki (NAS 0–3), subjektiv n. NAS (0–10) Erbrechen, Vigilanz (Score nach Ready NAS 0–3)] dokumentiert. Der primäre Endpunkt der Studie war der kumulative Morphinverbrauch in den ersten 36 h postoperativ im Vergleich zwischen Metamizol und Paracetamol. Ergebnisse. In den beiden Gruppen (Metamizol n=38, Paracetamol n=37) waren weder kumulativer Morphinverbrauch, (p=0,3), noch Schmerzintensität in Ruhe (p=0,4) und in Belastung oder Inzidenz von Übelkeit und Erbrechen (p=0,4) signifikant verschieden. Von den deskriptiv erfassten sekundären Endpunkten war einzig die subjektive Übelkeit zum Zeitpunkt „12 h nach Verlassen des Aufwachraums“ signifikant verschieden (p=0,03). Diskussion. Die Gabe eines Nichtopiatanalgetikums zusätzlich zu einem Opiat hat opioidsparende und die opioidtypischen Nebenwirkungen reduzierende Effekte. Für die postoperative Schmerztherapie war Metamizol lange das einzige intravenös verfügbare Nichtopiatanalgetikum und stellte den Standard dar. Vergleiche zwischen verschiedenen intravenös applizierbaren Nichtopioidanalgetika für die postoperative Analgesie sind bislang kaum in kontrollierten Studien untersucht worden. In der eigenen Studie konnte zusammenfassend kein klinisch relevanter Unterschied zwischen intravenösem Metamizol und Paracetamol zu postoperativen Analgesie bei intraabdominalen Eingriffen gezeigt werden. Die Vorstellung, dass Metamizol eine besondere analgetischen Wirkung bei „viszeralem“ Schmerz habe, konnte damit nicht belegt werden. Schlussfolgerung. Für die frühe postoperative Phase nach abdominalen Operationen scheint die Wahl zwischen Metamizol und Paracetamol keinen Effekt auf die Analgesiequalität, den Opioidverbrauch und typische opioidassoziierte unerwünschte Wirkungen zu haben, so dass die Auswahl entsprechend subjektiver Erwägungen getroffen werden kann. 1. Jage, J, Anästhesist, Vol 57, 4,382–390 2. Brack, A. Anästhesist, Vol53,3,263–280 3. Schug, S. Best P & ResCliAnaest, Vol. 21, No. 1, pp. 31
P04.10 Wirksamkeit unterschiedlicher Nichtopioide in der postoperati ven Schmerztherapie W. Meißner1, R. Zaslansky1, J. Rothaug2, A. Goettermann1, M. Komann1 1Universitätsklinik Jena, Klinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie, Jena, Deutschland, 2Friedrich-Schiller Universität Jena, Klinik für Anästhesie und Intensivmedizin, Jena, Deutschland Einleitung. Nichtopioidanalgetika gehören zur Basis jeder systemischen postoperativen Schmerztherapie, vergleichende Untersuchungen zur Wirksamkeit bestimmter Substanzen kommen jedoch zu widersprüchlichen Ergebnissen. Daher sollten Versorgungsdaten des QUIPS-Registers, einer großen deutschen Datenbank mit Patien-
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tenangaben zu Prozess- und Ergebnisqualität in der postoperativen Schmerztherapie, hinsichtlich Wirksamkeit und Nebenwirkungen verschiedener Nichtopioide verglichen werden. Methode. Aus dem QUIPS-Register wurden Datensätze der Jahre 2009 bis 2011 ausgewählt, wenn die Gabe eines Nichtopioidanalgetikums auf der Normalstation dokumentiert war. Die gegebene Dosis wurde nicht berücksichtigt. Analysiert wurden die am 1. postoperativen Tag standardisiert erhobenen Outcomeparameter des Patientenfragebogens (Schmerzintensität, funktionelle Beeinträchtigung, Nebenwirkungen, Zufriedenheit). Ergebnisse. Es wurden 24.970 Datensätze ausgewertet. Am häufigsten wurde Metamizol verabreicht (n=15.337), gefolgt von Diclofenac (n=3178), Ibuprofen (n=2945), Paracetamol (n=2772) und Etoricoxib (n=738). Die Schmerzintensität war unter Etoricoxib am geringsten (Maximalschmerz NRS 4,5), gefolgt von Ibuprofen (4,5), Diclofenac (4,6), Metamizol (4,6) und Paracetamol (5,0). Schmerzbedingte Bewegungs- und Respirationseinschränkungen waren unter antiphlogistischen Nichtopioiden geringer als unter Metamizol und Paracetamol. Müdigkeit und Übelkeit traten unter Diclofenac und Ibuprofen seltener auf als unter Etoricoxib, Metamizol und Paracetamol. Diskussion. Die Analyse einer großen Zahl von prospektiv erhobenen Registerdaten zeigt klinisch relevante Unterschiede zwischen den am häufigsten postoperativ eingesetzten Nichtopioidanalgetika. Antiphlogistisch wirkende Substanzen lassen dabei in vielen Parametern Vorteile gegenüber Metamizol und Paracetamol erkennen. Limitationen dieses Analyseansatzes sind ein möglicher Bias durch nicht kontrollierte Variablen (z. B. Operationen) und die fehlende Berücksichtigung der unterschiedlichen Risiken der eingesetzten Nichtopioide.
P04.11 Einflussfaktoren auf das Schmerzerleben bei elektiven ortho pädischen Operationen J. Erlenwein1, D. Stüder2, F. Petzke1, M. Przemeck3 1Zenrum Anästhesiologie, Rettungs- und Intensivmedizin, Universitätsmedizin Göttingen, Schmerz-Tagesklinik und -Ambulanz, Göttingen, Deutschland, 2Diakoniekrankenhaus Annastift, Orthopädische Klinik der MHH, Hannover, Deutschland, 3Diakoniekrankenhaus Annastift, Klinik für Anästhesie und Intensivmedizin, Hannover, Deutschland Fragestellung. Im Vorfeld elektiver orthopädischer Operationen ist der Anteil Patienten mit länger bestehenden funktionellen Einschränkungen, mit Schmerzen und reduzierter Lebensqualität hoch. Es ist anzunehmen, dass diese Patienten im Rahmen ihrer meist längerfristig angelegten Operationsplanung Erwartungen an diese Operation und die damit verbundenen Schmerzen entwickeln. Diese Untersuchung erfasste den Einfluss von Faktoren auf die Schmerzerwartung und wie diese das perioperative Schmerzerleben beeinflussten. Material und Methoden. 170 Patienten im Rahmen elektiver orthopädischer Operationen (sämtliche orthopädische Eingriffe inkl. großer Wirbelsäuleneingriffe) wurden in diese Studie anhand zweier standardisierter zugeordneter Fragebögen am Tag vor der Operation und am dritten postoperativen Tag befragt. Die Daten wurden anhand eines nichtparametrischen Rangkorrelationstests (Kendall Tau) ausgewertet. Ergebnisse. Präoperatives Schmerzniveau, die Schmerzfrequenz, Erfolg und Dauer bisheriger Behandlungen, Zeitraum der Planung und Terminvereinbarung hatten keinen Einfluss auf die erwartete Intensität postoperativer Schmerzen. Dagegen wurde diese durch den präoperativen Maximalschmerz, den Grad und die Dauer der funktionellen Einschränkungen, der Planungszeit des Eingriffs (was ist der unterschied zu Zeitraum der Planung?) und von Ängsten vor der Operation und Ängsten vor Schmerzen beeinflusst (k=0,251/k=0,330). Interessanterweise beeinflusste die Schmerzerwartung das postoperative Schmerzniveau nicht. Es zeigte sich auch nur eine geringe Korrelation zwischen prä- und postoperativem Schmerzniveau. Je länger
die präoperative Behandlungsdauer desto stärker war der postoperative Maximalschmerzen (k=−0,208). Wenn die Schmerztherapie vor der OP als erfolgreich eingeschätzt wurde, hatten die Patienten weniger postoperative Schmerzen (k=−0,187). Für Zeit und Grad der Einschränkung der Patienten konnte hinsichtlich des postoperativen Schmerzniveaus kein Zusammenhang nachgewiesen werden. Je länger Patienten ihre Operation geplant hatten, desto höher war ihr postoperatives Schmerzniveau, jedoch nicht der Maximalschmerz. Die Zufriedenheit der Patienten mit der Schmerztherapie korrelierte nicht mit der erlebten Schmerzstärke. Diskussion. Der Einfluss von präoperativen Maximalschmerzen, Gradund Dauer von Einschränkungen, Planungsdauer und Ängsten auf die Schmerzerwartung konnte gezeigt werden. Präoperative Schmerzen, die Dauer und der Erfolg einer präoperativen Behandlung, Zeitraum der Operationsplanung und Ängste waren relevante Einflussfaktoren auf den postoperativen Schmerz. Trotz ähnlicher Faktoren hatte die Schmerzerwartung selbst keinen Einfluss auf das postoperative Schmerzniveau. Ebenso zeigte sich, dass die Zufriedenheit der Patienten mit der Schmerztherapie unabhängig von erwarteten und erlebten Schmerzen war. Schlussfolgerung. Eine gute präoperative Schmerztherapie führt zu niedrigeren postoperativen Schmerz. Die Erwartung der Patienten hat keinen Einfluss auf den Schmerz jedoch stehen Ängste im Vorfeld der Operation in enger Verbindung mit stärkerem Schmerz. Als Qualitätsziel gilt die Zufriedenheit der Patienten als wichtiges Ziel, sie ist jedoch als Qualitätsmerkmal der postoperativen Schmerztherapie ein schlechter Parameter, da diese nicht mit der erlebten Schmerzstärke korreliert.
P04.12 Anforderungen an die innerklinische Versorgung komplexer Schmerzpatienten J. Erlenwein1, J. Schlink1, K. Ferlemann1, F. Petzke1 1Zentrum Anästhesiologie, Rettungs- und Intensivmedizin, Universitätsmedizin Göttingen, Schmerz-Tagesklinik und -Ambulanz, Göttingen, Deutschland Fragestellung. Ziel der Untersuchung ist es das Profil und Spektrum innerklinischer Konsilleistungen einer Schmerzambulanz bei stationären Patienten an einer Universitätsklinik darzustellen. Material und Methode. Es wurden alle innerklinischen Konsile der Schmerzambulanz (als eigenem beratenden Dienst neben Akutschmerzdienst und Palliativabteilung) der Universitätsmedizin Göttingen aus 3 Jahren (2008 bis 2010) inhaltlich und quantitativ ausgewertet hinsichtlich Leistung-, Indikations- und Patientenspektrum und den getroffenen Empfehlungen. Ergebnisse. 882 Patienten wurden im Rahmen von 1193 Konsultationen betreut. 851 Patienten konnten differenziert ausgewertet werden. Die meisten betreuten Patienten entstammten chirurgischer Disziplinen (47,7% große chirurgische 11,4% kleine chirurgische, 34% konservative, 5,3% psychologisch/psychiatrische und 1,5% sonstige Disziplinen). In 53,1% war ein Akutschmerz Indikation für das Konsil (11,2% Tumorschmerz, 32,1% chronischer Schmerz). Dieser stand jedoch in 82,7% in Zusammenhang mit einer chronischen Schmerz- oder einer Tumor Erkrankung. 40,8% der Akutschmerzen stand nicht im Zusammenhang mit einer Operation sondern dem konservativen Behandlungsspektrum. Für 33,3% der konsilarisch betreuten Patienten war die Schmerzproblematik der primäre Aufnahmegrund für den stationären Aufenthalt. Immerhin 9,4% der betreuten Patienten hatte aktuell oder zuvor ein Missbrauchsverhalten (Medikamente, Drogen, gemischt). 14,1% der Konsultationen erfolgten wegen Nebenwirkungen der bisherigen Therapie. Neben der reinen Therapieoptimierung war in 39% der Fälle der Zielauftrag des Konsils eine diagnostische Evaluierung oder eine spezielle schmerztherapeutische Leistung (11,8%) wie eine Blockade. Des Weiteren wurde in vielen Fällen neben weiterer Diagnostik the-
rapeutisch Physiotherapie (19,2%), psychologische und psychiatrische Betreuung (11,1%) und andere Verfahren (z. B. Spiegeltherapie, TENS, PMR) oder die Anbindung an eine schmerztherapeutische oder palliativmedizinisch spezialisierten Einrichtung (20,5%) empfohlen. Dadurch wurde ein nennenswerter Anteil Patienten für die eigene Ambulanz rekrutiert. Bei 17,7% aller Patienten erfolgte eine Anbindung (eigene Schmerzambulanz 16,1% aller Patienten). Diskussion. Im Rahmen der konsiliarischen Betreuung durch die Schmerzambulanz wird ein breites Spektrum an Schmerzarten und Problempatienten betreut. Dabei liegen meist Mischformen akuter, chronischer und Tumorbedingter Schmerzen oft in Kombination mit einem Medikamenten- oder Drogenabusus vor. Hinsichtlich der Therapie reicht hierbei nicht die rein medikamentöse Optimierung, sondern es bedarf letztendlich aller auch in der ambulanten Betreuung von Schmerzpatienten genutzten mulitmodalen Diagnose- und Therapieansätze. Schlussfolgerung. Es bedarf auch in der Akutschmerztherapie und bei der Versorgung chronischer und tumorbedingten Schmerzpatienten der Multimodalität. Auch komplexe Akutschmerzprobleme sind nicht mit den Mitteln eines klassischen postoperativen Akutschmerzdienstes zu bewältigen, sondern erfordern differenzierte Erfahrung und Konzepte in der Therapie.
P04.13 Auswertung der Schmerzkonsile der Uniklinik Köln im Jahr 2010 J. Löser1, F. Petzke², M. Bilgic1, B. Pilgram1, R. Koch1, O. Dagtekin1 1Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin, Uniklinik Köln, Schmerzzentrum, Köln, Deutschland, ²Georg-August-Universität Göttingen, ZARI, Schmerz-Tagesklinik und –Ambulanz, Göttingen, Deutschland Einleitung. Allgemeiner Bestandteil in der Patientenbehandlung ist die qualifizierte und konsequente Schmerztherapie mit dem Ziel einer individuellen Optimierung. Um dies zu erreichen, wurde in der Uniklinik Köln u. a. ein Schmerzkonsildienst eingerichtet, der von Mitarbeitern des Schmerzzentrums besetzt wird und von allen Fachabteilungen der Klinik mittels Onlineformular angefordert werden kann. Material und Methoden. Seit dem 01.01.2010 erfolgt die Anforderung und Dokumentation der Schmerzkonsile über das Softwaresystem der Klinik. Das Online-Formular enthält Pflichtfelder zur Anforderungsindikation, Dokumentation der Anamnese, Diagnose und Behandlung, Es wurden alle im Jahr 2010 vom Schmerzzentrum der Uniklinik Köln durchgeführten Schmerzkonsile in dieser Datenbank retrospektiv analysiert. Patientenkontakte durch den Akutschmerzdienst der Klinik flossen in die Analyse nicht ein. Ziel war die Erfassung noch bestehender Probleme und Verbesserungsmöglichkeiten. Ergebnisse. An 254 Arbeitstagen wurden 623 Schmerzkonsile bei 436 Patienten bearbeitet. Die Zeitdauer pro Konsil inklusive Wegezeit betrug durchschnittlich eine Stunde. Das Gros der Anforderungen wurde von den Fachabteilungen Orthopädie (123), Innere Medizin (67), Dermatologie (43), Unfallchirurgie (31), Neurochirurgie (26), MKG (22) und Viszeralchirurgie (22) gestellt. Insgesamt bestanden Konsilwünsche in 24 Fachabteilungen. Bei 95 Patienten (21,8%) bestanden Tumorschmerzen, bei 106 Patienten (24,3%) chronische Schmerzen, bei 97 Patienten (22,2%) akute postoperative Schmerzen, bei 62 Patienten (14,2%) akute nichtoperative Schmerzen, bei 51 Patienten (11,7%) akute postoperative Schmerzen bei vorbestehenden chronischen Schmerzen und bei 25 Patienten (5,7%) akute nichtoperative Schmerzen bei vorbestehenden chronischen Schmerzen. In der überwiegenden Zahl der Fälle (96,6%) wurde eine Therapieoptimierung gewünscht. In 284 Fällen (65,1%) wurde eine Erhöhung der Opiatgabe empfohlen. Bei 81 Patienten (18,6%) wurde ein Opiatwechsel durchgeführt. Bei 196 Patienten (45,0%) wurden Koanalgetika verordnet. In 53 Fällen (12,1%) wurden zusätzliche Maßnahmen wie TENS, Spiegeltherapie und PMR verordnet. Ein Folgekonsil wurde von unserer Abteilung bei 49 Patienten (11,2%) empfohlen, eine Anbindung an eine SchmerzamDer Schmerz · Supplement 1 · 2011
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Abstracts bulanz bei 53 Patienten (12,2%). Eine Empfehlung zur psychosomatischen, psychiatrischen oder psychologischen Mitbetreuung erfolgte in 23 Fällen (5,3%). Der ICD10-Code F45.41 (chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren) wurde nur bei 6 Patienten angegeben. Diskussion. Die Schmerzkonsile wurden von Mitarbeitern des Schmerzzentrums neben ihrer normalen Ambulanztätigkeit durchgeführt und banden erhebliche zeitliche Ressourcen. Bei den anfordernden Kollegen konnte eine Unsicherheit im Umgang mit Opiaten, v. a. bei Dosiserhöhungen und -anpassungen festgestellt werden. Unser Konsilangebot wurde deshalb gerne angenommen. Vor dem Hintergrund des allgemeinen Kostendruckes verwundert die selten durchgeführte Verschlüsselung der Chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (F45.41). Als Konsequenz unserer Analyse erfolgt momentan eine Überarbeitung und Vereinfachung dieser Diagnoseverschlüsselung.
P04.14 Liegedauer von Kathetern zur peri- und postoperativen Peri duralanästhesie J. Hansen1, B. Böttiger1, O. Dagtekin1 1Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin, Universitätsklinikum Köln, Köln, Deutschland Fragestellung. Die Frage der Liegedauer von Kathetern zur kontinuierlichen Periduralanästhesie ist schon immer ein Diskussionsthema zwischen Anästhesisten und Vertretern operativer Fachgebiete, aber auch von Anästhesisten untereinander. Obwohl die Verwendung von Periduralkathetern zur postoperativen Analgesie ein etabliertes Verfahren ist, gibt es bisher wenige Untersuchung über die durchschnittliche Liegedauer dieser in Abhängigkeit des durchgeführten Eingriffs. Material und Methode. In unserer Klinik wird die postoperative Versorgung eingesetzter regionalanästhetischer Verfahren durch einen Akutschmerzdienst vorgenommen. Dabei werden alle durchgeführten Verfahren in einer Datenbank verzeichnet. Im Zeitraum von 13.12.2007 bis 06.01.2011 wurden insgesamt 1612 Periduralkatheter in die Datenbank aufgenommen. Nach Ausschluss doppelter, fehlerhafter oder widersprüchlicher Datensätze verblieben 1607. Danach wurde die Datensätze den verschiedenen Fachdisziplinen zugeordnet. Insgesamt wurden 874 Periduralkatheter bei visceralchirugischen, 351 bei urologischen, 178 bei gynäkologischen, 71 bei orthopädisch-traumatologischen, 63 bei gefäßchirurgischen, 57 bei kardiochirurgischen und 13 bei sonstigen Eingriffen angelegt. Die statistische Auswertung erfolgte mittels der Tabellenkalkulation Microsoft Excel©. Ergebnisse. Insgesamt ergibt sich eine mittlere Liegedauer der Periduralkatheter von 6,39 Tagen [Konfidenzintervall (6,19;6,59), a=0,05]. Nach Fachdisziplinen aufgeteilt ergibt sich: – Visceralchirugie: Mittelwert 7,45 Tage, [Konfidenzintervall (7,20; 7,70), a=0,05] – Urologie: Mittelwert 4,83 Tage, [Konfidenzintervall (4,56; 5,09), a=0,05] – Kardiochirurgie: Mittelwert 5,23 Tage, [Konfidenzintervall (4,68; 5,78), a=0,05] – Gefäßchirurgie: Mittelwert 5,51 Tage, [Konfidenzintervall (4,66; 6,35), a=0,05] – Gynäkologie: Mittelwert 4,94 Tage, [Konfidenzintervall (4,64; 5,23), a=0,05] – Orthopädie/Traumatologie: Mittelwert 4,99 Tage, [Konfidenzintervall (4,27; 5,70), a=0,05] – Sonstige: Mittelwert 14,08 Tage, [Konfidenzintervall (1,11; 27,05), a=0,05] Diskussion. Ziel dieser Untersuchung war es zunächst den „gefühlten“ Liegedauern, die tatsächlichen gegenüberzustellen, da insbesondere in der Literatur nur spärlich Material hierzu zu finden ist. Insgesamt zeigt sich eine weite Spannbreite der Liegedauern von Kathetern zur
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Periduralanästhesie die von verschiedenen Faktoren beeinflusst wird. Die deutlich unterschiedliche Liegedauer zwischen Kathetern zur Analgesie bei und nach visceralchirurgischen Eingriffen und jenen zur Analgesie bei und nach sonstigen Eingriffen ist auffällig. Schlussfolgerung: Eine weitere Analyse des Datenmaterials ist erforderlich um die Einflüsse verschiedener Faktoren (z. B. Eingriffsart oder Fachdisziplin) herausarbeiten zu können. Weiterhin ist auch der Vergleich mit den Daten der Akutschmerzdienste anderer Einrichtungen wünschenswert um die Auswirkung infrastruktureller und lokaler Gegebenheiten angemessen würdigen zu können. Inwiefern die oben beschriebenen Liegedauern mit vermehrten Komplikationen einhergehen, kann ebenfalls nur eine genauere Aufarbeitung des vorliegenden Datenmaterials zeigen.
P05 – Kopfschmerz I P05.1 Die Wirksamkeit einer manualisierten musiktherapeutischen Behandlung im Vergleich zu einem musikpädagogischen An gebot bei chronisch primären Kopfschmerzen im Kindes- und Jugendalter J. Koenig1, M. Kaess2, R. Oelkers-Ax2, P. Parzer2, C. Lenzen2, F. Resch2, T. Hillecke1 1SRH Hochschule, Fakultät für Therapiewissenschaften, Heidelberg, Deutschland, 2Universitätsklinikum, Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Heidelberg, Deutschland Einer repräsentativen epidemiologischen Umfrage zufolge, hatten mehr als drei viertel der 11- bis 17-jährigen Kinder und Jugendlichen in Deutschland in den letzten drei Monaten Schmerzen – mehr als die Hälfte berichtet von wiederkehrenden Schmerzen. In dieser Altergruppe stellen Kopfschmerzen mit großem Abstand den Hauptschmerztyp (34%), gefolgt von Rückenschmerzen (13%M; Ellert et al. 2007). Musiktherapie leistet bereits einen relevanten Beitrag in der ambulanten Versorgung chronischer Schmerzpatienten. Bislang liegen evaluierte Behandlungsmanuale für Erwachsene im Bereich chronischer nichtmaligner Schmerzen (Hillecke & Bolay 2000, Hillecke 2005, Wormit et al. 2007) und Kindern mit Migräne vor (Leins 2006). Die hier vorgestellte Studie untersucht die Adaption dieser Behandlungsmanuale für jugendliche Patienten (12 bis 17 Jahre) mit chronischen primären Kopfschmerzen vom Migräne und/oder Spannungstyp in der ambulanten Praxis. Ein für 12 Behandlungseinheiten à 45 Minuten konzipiertes musiktherapeutisches Behandlungsmanual wird im Vergleich zu einem dosisadäquaten musikpädagogischen Angebot evaluiert. Hauptzielkriterien der Behandlung sind die Reduktion der Kopfschmerzhäufigkeit und Intensität gemessen mittels Schmerztagbüchern, jeweils über den Zeitraum von 8 Wochen, vor Therapiebeginn, nach Therapieabschluss und im Follow-up 6 Monate nach Therapieabschluss. Experimental- und Kontrollgruppe umfassen je 35 Patientinnen und Patienten mit primären chronischen Kopfschmerzen vom Spannungs- und/oder Migränetyp im Alter zwischen 12 und 17 Jahren. Die vollständigen Daten liegen im Dezember 2011 vor. 1. Ellert U, Neuhauser H, Roth-Isigkeit A (2007) Schmerzen bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland: Prävalenz und Inanspruchnahme medizinischer Leistungen. Ergebnisse des Kinder- und Jugendgesundheitssurveys (KiGGS). Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheits-
schutz, 50:711–717 2. Hillecke T, Bolay HV (2000) Musiktherapie bei chronischen Schmerzen – theoretische Grundlagen – das Heidelberger Modell. AINS 35:394–400 3. Hillecke TK (2005) Chronischer, nicht maligner Schmerz. In: Bolay HV et al. (Hrsg) Evidenzbasierte Musiktherapie. Uni-Edition, Berlin 4. Wormit AF, Hillecke TK, Leins AK, Resch F, Bardenheuer HJ (2007) Musiktherapie bei chronischen, nicht-malignen Schmerzen. In: Hillecke TK (Hrsg) Themenheft „Musiktherapie“, VTVM 28:100–114 5. Leins AK (2006) Heidelberger Therapiemanual: Migräne bei Kindern. In: Bolay HV (Hrsg) Buchreihe Evidenzbasierte Musiktherapie
P05.2 Trigeminonozizeptive Stimulation bei episodischen Cluster kopfschmerzpatienten S. Windeck1, A. Stankewitz1, A. Ciupe1, A. May1 1Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Institut für Systemische Neurowissenschaften, Hamburg, Deutschland Clusterkopfschmerz gehört zu den trigemino-autonomen Kopfschmerzen. Die Prävalenz liegt bei unter 1%, wobei vorwiegend Männer betroffen sind. Er ist durch kurze, einseitige, stärkste Kopfschmerzattacken mit autonomen Symptomen charakterisiert und unterliegt einer zirkadianen Periodizität [1]. Pathophysiologisch erklärt man sich die Attacken durch eine Initiierung im Hypothalamus und einer sekundären Aktivierung des trigemino-autonomen Reflexes über einen trigemino-hypothalamischen Schaltkreis. Durch PET-Studien konnte während der Clusterkopfschmerzattacke eine spezielle Aktivierung der hypothalamischen Region, besonders dem ipsilateralen hypothalamischen Grau [2–4], gezeigt werden. Mittels eines experimentellen trigeminalen Reizes untersuchten wir erstmals die Schmerzverarbeitung bei Patienten mit episodischem Cluster innerhalb und außerhalb der aktiven Episode mittels eventrelated f-MRI. Das Schmerz-Paradigma ist validiert [5] und erfolgreich in der Migräne eingesetzt worden [6]. Den Probanden wurden randomisiert, über ein Schlauchsystem, je 15-mal Ammoniakgas (als Schmerzstimulus) Rosenduft, oder Luftstöße intranasal verabreicht. Dabei wurden 16 Patienten zweizeitig gemessen. Einmal während der aktiven Episode und mindestens 4 Wochen nach Abklingen der Episode. Als Kontrollen wurden alters- und geschlechtsgematchte Probanden mit demselben Versuchsaufbau untersucht. Im Vergleich der akuten Episode gegenüber der Phase außerhalb der Episode, sowie im Vergleich zu gesunden Kontrollprobanden zeigte sich eine signifikante Signalverstärkung (BOLD-Effekt) im Bereich des hypothalamischen Graus. Dies ist die erste Arbeit die eine funktionelle Beteiligung dieses Areals auch außerhalb der akuten Attacke bei Clusterpatienten zeigt. Es ist davon auszugehen, dass eine pathologische Aktivierung des posterioren hypothalamischen Graus im Übergang zum Tegmentum nicht nur wie bisher angenommen die eigentliche Attacke auslöst, sondern vielmehr grundlegend die Suszeptibilität Clusterattacken zu generieren reguliert. 1. Headache Classification Subcommitee of the International Headache Society. The Internal Classification of Headache Disorders: 2nd edition. Cephalalgia 2004; 24 Suppl 1:9. 2. May A. et al. (1998) Hypothalamic activation in cluster headache attacks. Lancet 352:275–278. 3. May A. et al. (2000) PET and MRA findings in cluster headache and MRA in experimental (4) Sprenger T. et al. (2004) Specific hypothalamic activation
during a spontaneous cluster headache attack. Neurology 62 (3):516–517. 4. Stankewitz A. et al. (2010) A new trigemino-nociceptive stimulation model for event related f-MRI. Cephalalgia 30(4) 475–485. 5. Stankewitz et al. (2011) Trigeminal nociceptive transmission in migraineurs predicts migraine attacks. Journal of Neuroscience (2011) 31: 1937–43.
P05.3 Propofol zur Behandlung chronischer Kopfschmerzen? Zwei Fallstudien und Literaturübersicht J. Oeltjenbruns1, A. Kopf1 1Benjamin Franklin Schmerz- und Palliativzentrum, Klinik für Anästhesiologie m. S. operative Intensivmedizin, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Campus Benjamin Franklin, Berlin, Deutschland Hintergrund. Die suffiziente analgetische Behandlung von Schmerzexazerbationen bei chronischen (primären) Kopfschmerzen ist oftmals schwierig. Seit Ende der 1990er Jahre existieren Fallserien über die effektive Behandlung solcher Schmerzen mit subhypnotischen Dosen von Propofol. Hierbei wird v. a. eine GABAA-Rezeptor vermittelte analgetische Wirkung diskutiert [1]. In einer aktuellen RCT konnten diese Ergebnisse nicht bestätigt werden [2]. In unserem Schmerzzentrum wurden zwei Patientinnen mit therapierefraktären chronischen Kopfschmerzen mit Propofol behandelt. Die Behandlungsergebnisse sollen vorgestellt und im Spiegel der aktuellen Studienlage diskutiert werden. Methodik. Zwei Pat. (63 u. 59 J.) mit chron. Migräne (A) bzw. chron. Spannungskopfschmerz (B) wurden zweimalig bei Schmerzexazerbationen mit titrierender i.v.-Gabe von Propofol (initial 30 mg, folgend je 20 mg in 5-Minuten-Intervallen) behandelt. Nach jedem Bolus wurde die Schmerzintensität (NRS) erfragt und die Titration bei einer berichteten zufriedenstellenden Schmerzreduktion beendet. Mittels Kopfschmerzkalender wurde der weitere Verlauf der Kopfschmerzsymptomatik dokumentiert. Ergebnisse. Bei den Pat. konnte durch Propofoltitration eine zufriedenstellende Schmerzlinderung (>80%ige Reduktion i. d. NRS) nach 110 bzw. 130 mg (A) und 210 bzw. 130 mg Propofol (B) erreicht werden. Diese analgetische Wirkung war bis max. 4 Tage nach der Behandlung anhaltend. Langfristige (>3 Monate Nachbeobachtung) analgetische Effekte der (wiederholten) Behandlungen konnten nicht beobachtet werden. Diskussion und Schlussfolgerung. In der Literatur finden sich 6 Fallserien (insg. >140 Pat.) zur Anwendung von Propofol (bis 234±74 mg /Behandlung) bei chron. Kopfschmerzen. In diesen wird einstimmig über hohe Responderraten und drastische Schmerzreduktionen in der meist 24-stündigen Nachbeobachtung berichtet. In einer Fallserie von 77 Pat. konnte mit durchschnittlich 110 mg Propofol eine mittlere Reduktion der Schmerzintensität von über 90% (NRS) beobachtet werden [3]. In der bislang einzigen RCT zeigte sich in der 30-tägigen Nachbeobachtung keine klinisch bedeutsame Reduktion der Schmerzintensität u. der schmerzbedingten Beeinträchtigung nach Propofol im Vergleich zum aktiven Placebo (Midazolam) [2]. Die gute Wirksamkeit der i.v.-Propofoltitration in den unkontrollierten Studien im Vergleich zur RCT kann möglicherweise durch einen starken Kontexteffekt dieser „invasiven“ Behandlungsform erklärt werden. Aktuell besteht aufgrund der unzureichenden Studienlage keine Evidenz für die Anwendung von Propofol zur Behandlung chron. Kopfschmerzen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund beschriebener lebensbedrohlicher Suchtentwicklungen nach wiederholter (medizinischer) Anwendung von Propofol in subhypnotischen Dosierungen [4, 5].
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Abstracts 1. Krusz JC. Curr Pain Headache Rep 2006 2. Simmonds MK. Anesth Analg 2009 3. Krusz JC. Headache 2000 4. Schneider U. Addict Biol 2001 4. Koopmann A. Am J Psychiatry 2011
P05.4 Wirksamkeit eines aeroben Sportprogramms bei der Migräne erkrankung C. Overath1, S. Darabaneanu1, H. Schäl2, M. Graf2, U. Niederberger1, B. Weisser3, W. Gerber1 1Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel, Institut für Medizinische Psychologie Kiel, Kiel, Deutschland, 2Christian-Albrechts-Universität, Kiel, Deutschland, 3Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Institut für Sportwissenschaft, Kiel, Deutschland Fragestellung. Sport wird von Ärzten häufig als Prophylaxe gegen die Migräneerkrankung empfohlen. Es wird daher eine positive Wirkung aeroben Ausdauersports auf die Anzahl, die Intensität und die Dauer der Migräne-Anfällen angenommen. Diese Wirkung wurde bereits durch einige Studien belegt. Die Stärke der Wirkung in Abhängigkeit des körperlichen Anstrengungsgrades des aeroben Ausdauersports ist jedoch noch nicht geklärt. Ziel dieser Studie ist es, den Einfluss unterschiedlich körperlich anstrengenden aeroben Ausdauersports, Walking und Jogging, auf die Kopfschmerz-Parameter der Migräne zu untersuchen. Material und Methode. 39 Patienten wurden untersucht und nach der Attackenanzahl schichtweise parallelisiert und randomisiert zwei Gruppen zugeteilt. Die erste Gruppe unterzog sich einem zehnwöchigen aeroben Sportprogramm (Joggen), welches dreimal pro Woche gemeinsam mit einem Sportwissenschaftler durchgeführt wurde. Die Vergleichsgruppe führte zehn Wochen lang ein sehr leichtes Walking durch. Diese unterschwellig durchgeführte körperliche Bewegung, welche maximal eine geringe Leistungssteigerung mit sich bringen sollte, wurde ebenfalls dreimal wöchentlich, an demselben Ort, zu gleichen Tageszeiten und mit den selben Trainern absolviert. Die Gruppen füllten während der gesamten Trainingszeit sowie 2 Monate vorher und nachher Migräne-Tagebücher aus, so dass ein gefundener Effekt nicht auf einen Tagebucheffekt zurück zu führen ist. Ergebnisse. Die Stichprobe (n=28, Drop-out-Rate von 28%) weißt folgende Kennwerte auf: eine durchschnittliche Erkrankungsdauer von 21 Jahren, ein durchschnittliches Alter von 44,5 Jahre mit 82% weiblicher und 18% männlicher Probanden. Es zeigte sich sowohl in der Walking- als auch in der Jogginggruppe eine signifikante Erhöhung des Fitnesslevels (PWC150), wobei sich die Fitness in der Jogginggruppe signifikant stärker erhöhte. In beiden Gruppen zeigte sich eine signifikante Reduktion der Migränehäufigkeit.
P05.5 Gesteigerte und asymmetrische kortikale Erregbarkeit bei Patienten mit vestibulärer Migräne. eine fMRT-Studie C. Best1, P. zu Eulenburg1, H. Krämer2, T. Bauermann1, P. Stoeter1, M. Dieterich3 1Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität, Klinik für Neurologie, Mainz, Deutschland, 2Justus-Liebig-Universität, Gießen, Zentrum für Neurologie und Neurochirurgie, Neurologische Klinik, Gießen, Deutschland, ³Klinikum Großhadern, Neurologische Klinik und Poliklinik, München, Deutschland Fragestellung. Die vestibuläre Migräne (VM) stellt als Unterform der Migräne eine häufige Form zentraler Schwindelsyndrome dar [1, 2]. Bei VM geht episodenhafter Schwindel mit migränetypischen Symptomen einher. Mögliche ursächliche Mechanismen sind eine trigemi-
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no-vaskuläre Dysfunktion [3], eine gesteigerte neuronale Exzitabilität oder eine reduzierte inhibitorische Aktivität [4]. Ziel der Studie war die Untersuchung der intrakortikalen reziproken intersensorischen Inhibition. Dabei wurde als Stimulationsparadigma ein visueller optokinetischer Nystagmus (OKN) verwendet. Material und Methoden. 10 VM-Patienten und 14 altersangepasste gesunde Probanden wurden in randomisierter Reihenfolge mit zwei OKN-Bedingungen (OKN-Rund OKN-L; 6°/s horizontales Streifenmuster) bzw. einer Ruhebedingung mit fMRT untersucht. Nachfolgend wurden Patienten und Probanden mittels statischer Posturographie hinsichtlich ihrer Haltungsregulation während einer der oben vergleichbarenvisuellen Stimulation untersucht. Ergebnisse. Kortikale Aktivierungen: Bei VM Patienten konnte bei demVergleich OKN-R vs. OKN-L eine deutliche Asymmetrie des zerebralen Aktivierungsmusters nachgewiesen werden. OKN-L: Bei VM Patienten warensignifikante Mehraktivierungen im gesamten OKNaktivierten kortikalen Netzwerknachzuweisen, dies betraf vor allem bilateral somatosensible Areale, visuelle Assoziationsareale und zerebellär Crus 1. OKN-R: Hier fanden sich keine signifikanten Mehraktivierungen. Kortikale Deaktivierungen: In der VM-Gruppe konnten in der OKN-R Bedingung signifikante Minderaktivierungen subkortikal im Claustrum und im linken Lobulus parietalis inferior (IPL) nachgewiesen werden. Typische Deaktivierung im Bereich der hinteren Insel, des anterioren Cingulumoder des Gyrus temporalis superior fehlten gänzlich. Im Rahmen der Posturographieuntersuchung zeigte sich eine signifikante Instabilität der posturalen Kontrolle bei den Patienten. Diskussion und Schlussfolgerungen. Bei Patienten mit VM kommt es während OKN-Stimulation im Vergleich zu Gesunden (i) zu einer ausgeprägten Asymmetrie kortikaler Aktivierungsmuster, (ii) zu einerdeutlich gesteigerten kortikalen Aktivierung visueller und somatosensibler Areale und (iii) im Claustrum und IPL zu reduzierten Deaktivierungen, wobei die typischen OKN-induzierten Deaktivierungen im Bereich multimodaler vestibulärer Areale bei den Patienten gänzlich fehlt. Zusätzlich konnte gezeigt werden, dass die Haltungskontrolle im Rahmen einer visuellen Stimulation bei den Patienten signifikant instabiler wurde. Damit unterstützten diese Ergebnisse der Patienten mit VM die Hypothese einer gestörten intrakortikalen Inhibition bei Patienten mit Migräne. 1. Strupp et al., Nervenarzt 2003 2. Neuhauser & Lempert, ActaOtolaryngol. 2005 3. Ambronsini et al., Cephalalgia 2003 4. Aurora & Wilkinson,Cephalalgia 2007
Förderung: Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF;01 GW 0642), Stiftung Innovation Rheinlandpfalz.
P05.6 Aberrante endogene Schmerzmodulation bei Patienten mit episodischer Migräne F. Seifert1, N. Noack1, F. Nickel1, A. Stocker1, C. Maihöfner1 1UK Erlangen, Neurologie, Erlangen, Deutschland Fragestellung. Es ist bisher nicht bekannt, ob bei Patienten mit Migräne eine veränderte endogene Schmerzmodulation vorliegt. Eine veränderte endogene Schmerzmodulation könnte Ursache oder Folge von Migräne sein. In der aktuellen Studie sollte unter Verwendung eines elektrischen Hyperalgesiemodells geklärt werden, ob bei Migränikern im Vergleich zu gesunden Probanden (i) die Adaptation des elektrisch induzierten Schmerzes an den repetitiven elektrischen Reiz im Vergleich zu gesunden Kontrollen verändert ist und ob (ii) die elektrisch induzierte Hyperalgesiefläche verändert ist. Methoden. In die Studie wurden 15 Patienten mit episodischer Migräne mit oder ohne Aura sowie 12 gesunde Kontrollpersonen eingeschlossen. Das transdermale elektrische Hyperalgesiemodell wurde einer-
seits am Kopf im trigeminalen System (Stimulationsort rechte Stirn), andererseits an der oberen Extremität und damit im extratrigeminalen System (Stimulationsort rechter volarer Vorarm) angewendet. Bei den Patienten wurden die Messungen im kopfschmerzfreien Intervall durchgeführt. Gemessen wurde die Adaptation an einen repetitiven elektrischen Stimulus (Initial NRS 5) über 30 Minuten sowie das Areal der zeitlich parallel induzierten sekundären Pin-Prick-Hyperalgesie. Ergebnisse. Bei den Migräne-Patienten fand sich im Vergleich zu den gesunden Probanden (i) eine signifikant geringere Adaptation an den repetitiven elektrischen Reiz im trigeminalen und geringer auch im extratrigeminalen System (trigeminal nach 30 min NRS 3,12±1,61 vs. 1,42±1,46, p=0,01, U-Test; am Arm nach 30 min NRS 2,69±1,84 vs. 1,21±1,41, p=0,03, U-Test). Zudem fand sich bei den Migräne-Patienten im Vergleich zu den gesunden Probanden (ii) eine signifikant größere elektrisch induzierte Hyperalgesiefläche im trigeminalen System jedoch nicht signifikant am Arm (trigeminal 5,16±4,23 vs. 0,80±1,75, p=0,001, U-Test; am Arm 8,42±8,03 vs. 4,24±4,06, p=0,10, U-Test). Schlussfolgerungen. In der vorliegenden Studie konnten signifikante Unterschiede in der Funktion endogener schmerzmodulatorischer Systeme im kopfschmerzfreien Intervall bei Patienten mit episodischer Migräne dargestellt werden. Bei den Patienten scheint eine gesteigerte Aktivität schmerzfazilitatorischer und/oder eine geminderte Aktivität schmerzinhibitorischer Mechanismen vorzuliegen. Diese Veränderungen finden sich betont im trigeminalen System. Unterstützt vom ELAN-Fond (NL–10.02.03.1) der Universität Erlangen-Nürnberg und vom „Deutschen Forschungsverbund Neuropatischer Schmerz“, BMBF.
P05.7 Two in one: Auftreten zweier trigeminoautonomer Kopfschmer zen bei einem Patienten H. Shanib1, C. Gaul1 1Uniklinik Essen, Neurologie, Essen, Deutschland Fragestellung. Trigeminoautonome Kopfschmerzen (TAK) sind seltene primäre Kopfschmerzen. Die Klassifikation der Internationalen Kopfschmerzgesellschaft (ICHD-II) zählt dazu Clusterkopfschmerz, paroxysmale Hemikranie und das SUNCT-Syndrom. Die Zuordnung der Hemicrania continua (aktuell unter „andere primäre Kopfschmerzen“) ist umstritten. Gemeinsames Kennzeichen aller TAK sind kurze Attackendauer, streng einseitige Ausprägung sowie trigeminoautonome Begleitsymptome. Das Auftreten zweier dieser seltenen Diagnosen ist höchst ungewöhnlich und selten. Material und Methode. Analyse der Patienten die sich erstmals mit einem TAK zwischen dem 1.1.2009 und 30.5.2011 im Westdeutschen Kopfschmerzzentrum vorstellten. Ergebnisse. Im Studienzeitraum stellten sich 380 Patienten erstmals mit einem TAK vor. Identifiziert werden konnten vier Patienten (1,05%), bei denen die Kombination mehrerer TAK bzw. einer Hemicrania continua vorlag. Alle Patienten konnten die unterschiedlichen Kopfschmerzen klar voneinander unterscheiden. Anhand der ICHDII ließen sich die Diagnosen gegeneinander abgrenzen und es zeigte sich ein Ansprechen auf die typischerweise für die Erkrankungen eingesetzten Akuttherapeutika und Prophylaxen. – Patientin 1: 37 Jahre, chronischer Clusterkopfschmerz links und Hemicrania continua links – Patientin 2: 79 Jahre, initial episodischer Clusterkopfschmerz rechts, im Verlauf paroxysmale Hemicranie rechts – Patient 3: 47 Jahre, chronischer Clusterkopfschmerz links und chronische paroxysmale Hemicranie rechts – Patient 4: 46 Jahre, chronischer Clusterkopfschmerz links und chronisches SUNCT-Syndrom links Diskussion. Pathophysiologische Grundlage des gemeinsamen Auftretens oder des Wechsels von einer zur anderen TAK-Entität könnte die postulierte funktionelle Dysfunktion des Hypothalamus sein. Bei
dem sequentiellen Auftreten bleibt offen, ob ein TAK in einen anderen übergeht und es sich somit um ein Spektrum von Kopfschmerzerkrankungen handeln könnte, die klinisch nicht immer so klar gegeneinander abgegrenzt werden können, wie die aktuelle Kopfschmerzklassifikation suggeriert oder, ob zwei distinkte Erkrankungen vorliegen. Unklar bleibt, warum das therapeutische Ansprechen auf Kortison, Indometacin, Verapamil oder Lamotrigin die Kopfschmerzentitäten häufig so eindeutig voneinander abgrenzt. Aufgrund der autonomen Begleitsymptome ist die Zuordnung der Hemicrania continua zu den TAK sinnvoll, auch wenn sie nicht durch kurze Attacken gekennzeichnet ist. Schlussfolgerungen. Das gemeinsame oder sequentielle Auftreten von zwei TAK bei einem Patienten ist möglich und muss bei der Diagnosestellung und Therapieauswahl berücksichtigt werden.
P05.8 Multimodale Kopfschmerztherapie unter Berücksichtigung der psychischen Komorbidität A. Rambau1, A. Schütze1, M. Schiller1, R. Scharnagel1, K. Große1, U. Kaiser1, U. Ettrich1, R. Sabatowski1, G. Goßrau1 1UniversitätsSchmerzCentrum, Universitätsklinikum „Carl Gustav Carus“, Dresden, Deutschland Fragestellung. Für chronische Rückenschmerzpatienten sind multimodale Behandlungsprogramme als effiziente Therapie etabliert. Zu multimodalen Therapien bei chronischen Kopfschmerzen sind nur wenige Daten verfügbar. Hier zeigen wir die Ergebnisse einer multimodalen Schmerztherapie für Kopfschmerzpatienten unter Berücksichtigung der psychischen Komorbidität. Material und Methoden. Untersucht wurden 59 Kopfschmerzpatienten, die an einem 200-stündigen multimodalen Therapieprogramm teilnahmen; 57,7% davon Migränepatienten und 42,3% Patienten mit anderen Kopfschmerzen. 31% der Kopfschmerzpatienten litten an mindestens einer komorbiden psychischen Störung. Depressive Störungen traten am häufigsten auf. Der Behandlungseffekt wurde anhand der Kopfschmerzintensität, -häufigkeit, gesundheitsbezogener Lebensqualität, Vitalität, Depressivität und Ängstlichkeit untersucht. Die Daten wurden zu Therapiebeginn (T1), 6 (T2) und 12 Monate (T3) nach Therapieende erhoben und statistisch mit nichtparametrischen Tests analysiert. Ergebnisse. 6 (T2) und 12 (T3) Monate nach Therapieende wurden für die Gesamtgruppe der Kopfschmerzpatienten signifikante (p<0,05) Reduktionen der Kopfschmerzintensität erzielt. Für Kopfschmerzpatienten mit psychischer Komorbidität hielt die signifikante Reduktion nur 6 Monate an, für nicht komorbide Patienten dagegen mindestens 12 Monate. Eine signifikante und dauerhafte Reduktion der Ängstlichkeit (T2: p=0,029, T3: p=0,003) und der depressiven Symptomatik (T2: p=0,013, T3: p=0,001) konnte für Patienten ohne psychische Komorbidität erreicht werden. Unabhängig vom Vorliegen komorbider psychischer Störungen konnte für alle Kopfschmerzpatienten eine signifikante Reduktion der subjektiven schmerzbedingten Beeinträchtigung (ohne Komorbidität: T2: p=0,000, T3: p=0,000; mit Komorbidität: T2: p=0,004, T3: p=0,040) und eine signifikante Verbesserung der Vitalität (ohne Komorbidität: T2: p=0,006, T3: p=0,000; mit Komorbidität: T2: p=0,014, T3: p=0,007) erreicht werden. Hinsichtlich der Art der komorbiden psychischen Störung zeigen die Ergebnisse, dass Kopfschmerzpatienten, die zusätzlich unter Angststörungen leiden in mehr Variablen stärker vom Therapieprogramm profitieren als Patienten mit einer komorbiden affektiven Störung. Dahingegen scheint die Anzahl der komorbiden psychischen Störungen keinen wesentlichen Einfluss auf den Therapieerfolg zu haben, entscheidend ist vielmehr ob eine komorbide psychische Störung vorliegt, oder nicht. Die Migränetage der Kopfschmerzpatienten wurden signifikant und stabil reduziert (T2: p=0,012; T3: p=0,013).
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Abstracts Diskussion. Klinisch relevante Reduktionen der Kopfschmerzintensität, Migränetage, -attackenhäufigkeit, schmerzbedingten Beeinträchtigung und Verbesserung der Vitalität wurden erreicht. Kopfschmerzpatienten ohne psychische Komorbidität profitieren deutlicher von diesem Therapieprogramm. Schlussfolgerung. Besondere multimodale Therapiestrukturen für Kopfschmerzpatienten mit psychischer Komorbidität sind erforderlich.
P05.9 Substanzgebrauch und Persönlichkeitsprofile bei Patienten mit Clusterkopfschmerz T. Jürgens1, Y. Paelecke-Habermann2, A. Lindwurm3, T. Dresler4, R. Lürding3, K. Henkel5, E. Leinisch6, C. Gaul7 1Institut für Systemische Neurowissenschaften, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und Neurologische Klinik, Universität Regensburg, Hamburg/Regensburg, Deutschland, 2Psychologie I, Universität Würzburg, Würzburg, Deutschland, 3Neurologische Klinik, Universität Regensburg, Regensburg, Deutschland, 4Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, Universität Würzburg, Würzburg, Deutschland, 5Schmerzklinik Kiel und Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, RWTH Aachen, Kiel/Aachen, Deutschland, 6Neurologische Klinik, Universität Regensburg und Neurologische Klinik, Helios Klinikum, Erfurt, Regensburg/ Erfurt, Deutschland, 7Neurologische Klinik, Universitätsklinikum Essen, Essen, Deutschland Hintergrund und Studienziel. In bisherigen Studien konnte bei Patienten mit Clusterkopfschmerz (CK) ein erhöhter Konsum von Substanzen wie Nikotin und Koffein sowie teilweise auch Alkohol nachgewiesen werden. Allerdings waren die Ergebnisse nicht immer eindeutig, teils unkontrolliert und umfassten teils die Unterformen des Clusterkopfschmerzes nicht. Zudem ist der Einfluss von Persönlichkeitszügen wie „reward-dependance“, „harm avoidance“ und „novelty seeking“ unbekannt. Diese Studie soll daher den Substanzgebrauch von Clusterkopfschmerzpatienten im Vergleich zu Gesunden und Migränepatienten sowie den Einfluss von Persönlichkeitsmerkmalen untersuchen. Methoden. In einer multizentrischen prospektiven Studie wurden Patienten mit chronischem CK (n=27), episodischem CK in (n=26) und ausserhalb der aktiven Phase (n=22) sowie Migränepatienten (n=24) and gesunde Kontrollen (n=31) eingeschlossen. Es wurden epidemiologische Daten, der „Fagerstrøm nicotine dependence test“ (FTND), der „Alcohol Use Disorders Identification Test“ (AUDIT), ein Koffeinfragebogen und der „Tridimensional Personality Questionnaire“ (TPQ) erhoben. Die statistischen Unterschiede wurden mittels chi-Quadrattest, ANOVA und entsprechender Post-hoc-Tests untersucht. Ergebnisse. Nikotinkonsum war bei Patienten m (p<0,001) mit einem höherem Grad an Abhängigkeit im FTND (p<0,01). Ebenso war auch der Koffeinkonsum in der CK-Gruppe erhöht (p<0,01). Während sich die Punktwerte im AUDIT zwischen allen Gruppen nicht signifikant unterschieden (p>0,1) und die Zahl der abstinenten Patienten bei CK erhöht war, konnte bei Patienten mit CK (insbesondere solchen mit einer chronischen Form) ein Trend zu riskantem Alkoholkonsum nachgewiesen werden (p<0,1). Persönlichkeitszüge in Form von FTQPunktwerten unterschieden sich nicht zwischen den Gruppen (p>0,15). Diskussion. Clusterkopfschmerz erhöht das Risiko von Nikotin- und Koffeingebrauch. Während Clusterkopfschmerz wohl aufgrund der attackenauslösenden Wirkung einen Teil der Patienten vor Alkoholkonsum schützt, haben diejenige, die Alkohol konsumieren ein deutlich erhöhtes Risiko für gefährlichen Konsum. Dafür disponierende Persönlichkeitszüge (insbesondere „novelty seeking“) unterscheiden sich nicht zwischen den Gruppen. Somit könnten andere Clusterkopfschmerz-spezifische Mechanismen wie Veränderungen im orexinergen System relevant sein, die sowohl in der Pathophysiologie des Clusterkopfschmerzes als auch bei Substanzmissbrauch diskutiert werden.
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P05.10 Direkte und indirekte Kosten des Clusterkopfschmerzes – eine gesundheitsökonomische Analyse C. Gaul1, J. Finken1, J. Biermann2, S. Mostardt2, H. Diener1, O. Müller1, J. Wasem2, A. Neumann2 1Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Essen, Essen, Deutschland, 2Institut für Medizinmanagement, Universität Essen, Essen, Deutschland Hintergrund und Fragestellung. Der Clusterkopfschmerz (CK) ist der häufigste der trigeminoautonomen Kopfschmerzen, er tritt in einer episodischen (eCK) und einer chronischen (cCK) Verlaufsform auf und geht mit einer hohen Beeinträchtigung der Patienten einher. In der Akuttherapie werden überwiegend Triptane, zur Prophylaxe Verapamil, Lithium, Topiramat und andere Substanzen eingesetzt. Material und Methode. Über 6 Monate wurden die Inanspruchnahme des Gesundheitssystems, die Therapiekosten (ambulant und stationär) und die indirekten Kosten bei Patienten mit Clusterkopfschmerz erfasst. Ergebnisse. Es konnten 179 Patienten (107 eCK, 72 cCK) eingeschlossen werden. Die mittlere Attackenfrequenz der Patienten lag bei 3,5±2,5 Attacken/Tag. Die mittleren Gesamtkosten im 6-Monats-Zeitraum bei 5963 € pro Patient. Die Beeinträchtigung durch den Clusterkopfschmerzen und die direkten Kosten korrelierten mit der Attackenfrequenz (p<0,001). 24 (13,4% der Patienten waren arbeits- oder erwerbsunfähig. Schlussfolgerung. Der Clusterkopfschmerz geht mit erheblichen direkten und indirekten Kosten einher. Ob Verbesserungen in der Therapie eine Kostenreduktion bewirken, muss in prospektiven Studien untersucht werden.
P05.11 Migräne im Kinder und Jugendalter – Was bringt die Triptanro tation? A. Keil1, G. Hirschfeld1, T. Hechler1, M. Blankenburg1, B. Zernikow1 1Vestische Kinder- und Jugendklinik Datteln, Vodafone Stiftungsinstitut für Kinderschmerztherapie und Pädiatrische Palliativmedizin, Datteln, Deutschland Fragestellung. Führt bei Kindern und Jugendlichen mit Migräne, die auf die Gabe von Sumatriptan nicht (mehr) ansprechen bzw. die weitere Einnahme aufgrund der Nebenwirkungen ablehnen, ein Wechsel auf Zolmitriptan zu einer besseren Attackentherapie? Sumatriptan und Zolmitriptan nasal sind die einzigen Triptane mit einer Zulassung für Kinder ab einem Alter von 12 Jahren. Der Triptanwechsel im Kindesalter ist bis dato nicht wissenschaftlich untersucht. In der vorliegenden Studie werden Daten von 41 Kindern analysiert, die sich zwischen 2003 bis 2011 in der Kinderschmerzambulanz vorgestellt haben und bei denen eine Triptan-Rotation von Sumatriptan auf Zolmitriptan stattfand. Fragestellung ist, inwieweit sich die Schmerzsymptomatik nach der Rotation verändert. Material und Methode. Gemessen wurden die subjektiv empfundene Wirksamkeit (SEW) des Medikaments sowie primäre Schmerzparameter (PSP; Schmerzintensität, schmerzbezogene Beeinträchtigung, Attacken-Frequenz, Attacken-Dauer, Schulfehltage). Die Veränderungen der PSP wurde basierend auf zwei Messzeitpunkten untersucht: Messzeitpunkt 1: vor Rotation von Sumatriptan auf Zolmitriptan, Messzeitpunkt 2: ca. 3 Monate (Median 3; Range: 1–9) nach Rotation. Unterschiede in den PSP wurden mittels gepaarter T-tests sowie Wilcoxon-Tests analysiert. Außerdem wurde untersucht, welche demographischen und krankheitsbezogenen Parameter (Alter, Geschlecht, Aura) mit einer Verbesserung nach Triptan-Rotation assoziiert sind. Ergebnisse. 49% der Kinder und Jugendlichen gaben eine gute bzw. sehr gute Wirksamkeit von Zolmitriptan an; bei 36% der Patienten war es subjektiv nicht bzw. mäßig wirksam; 15% nahmen Zolmitriptan aufgrund der Nebenwirkungen nicht weiter ein. Im Vergleich zwischen
Messzeitpunkt 1 und 2 fand sich keine Veränderung der PSP. Die Subgruppenanalysen zeigten, dass das Alter der Patienten mit der Verbesserung der schmerzbezogenen Beeinträchtigung (rho=0,41; p<0,05) und der Schmerzintensität (rho=0,35; p<0,05) korreliert war. Jüngere Kinder zeigten tendenziell eine Abnahme der schmerzbezogenen Beeinträchtigung und der Schmerzintensität; ältere Kinder zeigten in beiden Parametern tendenziell eine Zunahme. Schlussfolgerung. In fast 50% der Patienten, bei denen Sumatriptan nicht ausreichend wirksam war oder nicht akzeptable NW ausgelöst hatte, war Zolmitriptan gut bis sehr gut wirksam. Dies spiegelte sich jedoch nicht in einer Verbesserung der PSP Schmerzintensität, schmerzbezogene Beeinträchtigung, Attacken-Frequenz, Attacken-Dauer, Schulfehltage wider. Warum jüngere Kinder besser von Zolmitriptan profitieren, könnte mit einem geringeren Schweregrad sowie dem stärkeren Einbezug der Eltern zusammenhängen. Dies gilt es in zukünftigen Studien zu überprüfen.
P05.12 DMKG-Netzwerkprojekt „Rare Headaches“: Erfassung seltener Kopfschmerzen im deutschsprachigen Raum T. Jürgens1, L. H. Schulte1, C. Gaul², C. Schankin³, T. Sprenger4, T. Kraya5 1Universitätsklinikum Hamburg (UKE), Institut für systemische Neurowissenschaften, Hamburg, Deutschland, ²Universitätsklinikum Essen, Neurologische Klinik, Essen, Deutschland, ³Universitätsklinikum München, Neurologische Klinik, München. Deutschland, 4Universitätsspital Basel, Neurologische Klinik, Basel, Schweiz, 5Universitätsklinikum Halle, Neurologische Klinik, Halle, Deutschland Hintergrund und Studienziel. Für aussagekräftige Studien zu seltenen Kopfschmerzarten gibt es häufig selbst an spezialisierten Zentren nur geringe Patientenzahlen. Aus diesem Grund wird derzeit die Datenbank „Seltene Kopfschmerzen“ aufgebaut, in der Patienten mit seltenen Kopfschmerzarten aus dem gesamten deutschsprachigen Raum erfasst werden. Diese Datenbank erfasst insgesamt 45 seltene Kopfschmerzen. Methoden. Aus spezialisierten Zentren im gesamten deutschsprachigen Raum werden Patienten mit seltenen Kopfschmerzen nach Einholung ihres schriftlichen Einverständnisses mittels standardisierter Meldebögen pseudonymisiert an die zentrale Datenbank in Hamburg gemeldet. Es werden unter anderem Alter, Geschlecht und die Kopfschmerzdiagnose des Patienten erfasst. Die Stammdaten des Patienten sowie die Pseudonymisierungsliste verbleiben im jeweiligen Zentrum. Das Datenbankprojekt basiert auf dem Kooperationsprinzip: nur Zentren, die selbst Patienten an diese Datenbank melden, können auch für eigene Studien Informationen abrufen. Ergebnisse. Die Rekrutierung der Zentren für die Teilnahme am DMKG-Netzwerkprojekt ist angelaufen und es konnten bereits 150 Patienten in den ersten fünf Zentren eingeschlossen werden. Die fünf häufigsten Diagnosen hierbei sind der primär und sekundär chronische Cluster-Kopfschmerz (insgesamt 58 Patienten), der wahrscheinliche trigeminoautonome Kopfschmerz (21 Patienten), die Hemicrania continua (12 Patienten), die episodische und chronische paroxysmale Hemikranie (8 Patienten) und das SUNCT-Syndrom (7 Patienten). Diskussion. Die Teilnahme weiterer Zentren am DMKG-Netzwerkprojekt „Rare Headaches“ ist wünschenswert, da zu vielen seltenen Kopfschmerzen bisher nur wenige aussagekräftige Studien gibt. Der Aufwand ist gering und bietet die Basis für weiterführende Studien zu den erfassten Patienten mit seltenen Kopfschmerzen (weitere Informationen sind unter www.dmkg.de abrufbar).
P07 – Neuropathischer Schmerz I P07.1 …and the pain goes away – 80 years fighting „Tic Douloureux“ by Martin Kirschner‘s thermocoagulation of the Gasserian Ganglion S. Scholtz1, V. Tronnier2, D. Rasche3 1Universit Heidelberg, Augenklinik, IVCRC, Heidelberg, Deutschland, 2Neurochirurgische Universitätsklinik, Lübeck, Deutschland, 3Neurochirurgische Klinik, UK S-H, Lübeck, Deutschland Objective. Trigeminal Neuralgia, also called “Tic Doulourex”, is recognized as the most severe facial pain known. Martin Kirschner, multitalented German surgeon modified Härtel’s puncture technique and developed a safe and effective surgical procedure to treat Trigeminal Neuralgia (TN). This poster is to honour Kirschner’s life and contribution to neurosurgery due to the 80th anniversary of the first electro coagulation of the Gasserian Ganglion by Kirschner in 1931. Methods. Selective literature research of books and journal articles via PubMed, Google Scholar and Google. Results. Among the most remarkable achievements of Martin Kirschner was the first electro thermo coagulation of the Gasserian Ganglion in 1931 in patients suffering from TN by using a stereotactical aiming device especially invented for this surgery. He was successfully tapping the Foramen Ovale in over 90% by using this skull fixed “frame”. For electro coagulation he used a steel needle with an uninsulated tip. Five years later Kirschner published 250 cases of TN he had successfully treated by this technique. Thermocoagulation in TN is worldwide used and in selected cases the initial success rate is very high (85–95%) although long term follow-up evaluates a pain recurrence in up to 50% after several years. Conclusion. Kirschner was one of the most important surgeons of the first half of 20th century. In times of diversifying surgical specialties he was one of the rare who not only overlooked but performed successfully also the newly emerging techniques. By applying electric coagulation Kirschner enabled many patients a life without the severe stabbing “Tic douloureux”.
P07.2 Burning Mouth Syndrome als Ausdruck einer „Small Fiber Neuropathy“? M. Daubländer1, R. Rolke2, M. Bittner3, R. Seeberger4 1Universität Mainz, Zahnklinik, Mainz, Deutschland, 2Universitätsmedizin Bonn, Neurologie, Bonn, Deutschland, 3Universität Würzburg, MKG, Würzburg, Deutschland, 4Universität Heidelberg, MKG, Heidelberg, Deutschland Material. Es wurden 5 gesunde Probanden und 5 Patienten mit „Burning Mouth Syndrom“ übereinstimmend in Alter und Geschlecht verglichen. Vergleichsareale waren jeweils Zunge zu Fuß sowie Fuß zu Fuß und Zunge zu Zunge. Bei den Probanden wurden neurologische Erkrankungen sowie Grunderkrankungen lokaler oder systemischer Natur ausgeschlossen. In beiden Gruppen wurden standardisierte Anamnesebögen und Voruntersuchungen durchgeführt. Methode. Quantitativ-sensorische Testung (QST)intraoral im mittleren Zungendrittel und Fußrücken. Standardisierte Erweiterung der klinisch neurologischen Sensibilitätsprüfung mittels MSA („modular sensory analyzer“)-Thermotester (SenseLab/Somedic) für die thermischen Reize wie Detektionsschwelle-Kaltreiz (CDT), Detektionsschwelle-Warmreiz (WDT), Warm-Kaltschwelle (TSL), Kälteschmerzschwelle (CPT), Hitzeschmerzschwelle(HPT). Des Weiteren mechanische Detektionsschwelle (PPT), mechanische Schmerzschwelle (MPT), überschwellige Schmerzreize (MPS), aufsteigende NadelreiDer Schmerz · Supplement 1 · 2011
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Abstracts Tab. 4
EM Kontrollen P
SeNF Dichte (Mittelwert±SD)
syNF Dichte (Mittelwert±SD)
P.
Ratio
6.6±2.7 1.0±0.8 <0.0001
0.7±1.0 5.3±2.6 <0.001
<0.0001 <0.001
10:1 1:5
Tab. 5
EM Kontrollen P
Sensible Ganglien (Mittelwert±SD)
Sympath. Ganglien (Mittelwert±SD)
P
Ratio
2.6±0.7 1.1±0.8 <0.0001
0.4±0.7 1.9±0.9 <0.001
<0.0001 <0.001
6:1 1:2
ze (WUR), mechanische Detektionsschwelle (MDT) und Vibrationsschwelle (VDT). Ergebnisse. Die CDT-Kalteschwelle bei BMS sind für die Reizweiterleitung verantwortlichen Aδ-Fasern generalisierte Defizite für Fuß und Zunge zu beobachten. Bei der Zunge (**p<0,01)sind die Defizite signifikanter als beim Fuß(*p<0,05). WDT-Warmschwelle: Hier zeigt sich ein deutliche signifikante Abweichung über der Zunge (**p<0,01) zur Kontrollgruppe, wobei das Fußareal identisch sowohl beim BMS als auch bei der Kontrollgruppe ist. Dies ist ein Hinweis auf ein C-Faserreizdefizit bei BMS. Die TSL-Warm-Kaltschwelle wird nicht signifikant. Die CPT-Kälteschwelle zeigt eine signifikante Kältehyperalgesie über der Zunge (**p<0,01). HPT-Hitzeschwelle und PPT-Taktile Detektionsschwelle: Zeigen keine signifikante Unterschiede in beiden Gruppen. MPT – Mechanische Schmerzschwelle: Eine Pinprickhypoalgesie zeigt sich über der Zunge (***p<0,001) der BMS- Patienten. Hierzu sind bei beiden Gruppen über dem Fuß keine Unterschiede feststellbar. MPS-überschwellige Schmerzreize: Zeigen eine verminderte Wahrnehmung bei den BMS-Patienten, die sich allerdings nicht signifikant unterscheiden auf Grund der Streuung. WUR-Windup für Nadelreize: Zeigt keine Unterschiede der beiden Gruppen. MDT-Mechanische Detektionsschwelle: keine signifikanten Unterschiede.
P07.3 Die Rolle des sympathischen und sensiblen Nervensystems in der Schmerzpathogenese der Endometriose J. Arnold1, M. Barcena de Arellano1, C. Rüster1, A. Schneider1, S. Mechsner1 1Charité Universitätsmedizin Berlin, Campus Benjamin Franklin, Klinik für Gynäkologie mit Hochschulambulanz, Endometriosecentrum, Berlin, Deutschland Fragestellung. Endometriose (EM) ist eine östrogenabhängige Krankheit, die sich durch das Vorkommen von Endometrium-ähnlichem Gewebe außerhalb des Cavum uteri charakterisiert. Weltweit sind 15–20% aller Frauen im reproduktiven Alter betroffen. Die EM manifestiert sich unter anderem in Form von peritonealen Herden im kleinen Becken und führt zu einer chronischen Entzündungsreaktion und kann somit zum Formenkreis der chronisch-entzündlichen Erkrankungen gezählt werden. In chronisch entzündlichen Autoimmunerkrankungen (AIE) werden Veränderungen der sympathischen und sensiblen Innervation beobachtet, die sich infolge der Entzündungsreaktion entwickeln. Dabei scheint das Einsprossen von sensiblen Nervenfasern (seNF) zu einer hohen Gewebekonzentration an proinflammatorischen Neurotransmittern (wie Substanz P, SP) zu führen, während der Rückzug der sympathischen Innervation mit einer verminderten Konzentration antiinflammatorischer sympathischen Neurotransmitter (wie Noradrenalin) einhergeht. Diese Ergebnisse lassen vermuten, dass sowohl sympathische (syNF) als auch seNF eine Rolle in der Schmerz-
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pathogenese der EM spielen. Dementsprechend wurde in dieser Arbeit das Verhältnis seNF und syNF in peritonealen Endometrioseläsionen untersucht, sowie die neurotrophen Eigenschaften der Douglasflüssigkeit (DF) von EM Patientinnen analysiert. Material und Methoden. In 40 peritonealen Endomerioseläsionen (pEL) und 15 Kontrollproben (Peritoneum von nicht-EM Patientinnen) wurden immunhistochemisch seNF (anti-Substanz P) und syNF (anti-Tyrosinhydroxylase, TH) nachgewiesen, sowie das Verhältnis zueinander ermittelt. Neuronal growth assay: Sensible und sympathische Ganglien wurden mit der DF von Frauen mit (n=40) und ohne EM (n=20) inkubiert. Die NF-Aussprossung der Ganglien wurde mit einem neuronalen Wachstumsscore bewertet und mittels Immunfluoreszenzfärbung charakterisiert. Ergebnisse. In pEL konnten im Vergleich zum unauffälligen Peritoneum eine signifikant höhere Dichte an seNF, sowie eine signifikant erniedrigte sympathische Innervation nachgewiesen werden. Die DF von Frauen mit Endometriose induzierte eine signifikant erhöhte Aussprossung seNF, während die Aussprossung der sympathischen Ganglien gehemmt war. Die Inkubation der Ganglien mit der DF der Kontroll-Patientinnen zeigte ein inverses Ergebnis. Verschiedene Schmerzstärken (keine, milde und starke Unterbauchschmerzen) zeigen keine Unterschiede in der seNF-Aussprossung. Diskussion. EM-assoziierte NF scheinen einen Einfluss auf die Schmerzpathogenese zu nehmen. EM zeigt sowohl neurotrophe als auch nervenabstoßende Eigenschaften, die zu einem Einsprossen von seNF in das Gewebe aber zu einem Verlust von syNF führt. Schlussfolgerung. Die Dysbalance von sensibler und sympathischer Innervation in der pEL sowie die neurotrophen Effekte der DF von EM-Patientinnen scheinen eine Erklärung für den proentzündlich, schmerzhaften Zustand der EM Patientinnen zu geben (Tab. 4, 5).
P07.4 Die Beteiligung der Neurotrophine an der Pathogenese von Endometriose-assoziierten Schmerzen M. Barcena de Arellano1, J. Arnold2, C. Rüster2, F. Vercellino2, V. Chiantera2, A. Ebert2, A. Schneider2, S. Mechsner2 1Klinik für Gynäkologie, Endometriose Forschungslabor, Berlin, Deutschland, 2Charité Campus Benjamin Franklin, Klinik für Gynäkologie, Endometriosecentrum, Berlin, Deutschland Fragestellung. Endometriose (EM) ist durch das Vorkommen von Endometrium-artigen Gewebe außerhalb des Cavum uteri definiert. Es handelt sich um eine benigne östrogenabhängige, chronisch-inflammatorische Erkrankung, die bei 10–15% der Frauen im reproduktiven Alter auftritt. Neben einer ausgeprägten Dysmenorrhoe ist der chronisch rezidivierende Unterbauchschmerz Hauptsymptom der EM. Die Schmerzpathogenese ist in weiten Teilen ungeklärt. Ein wichtiger Schmerzmechanismus stellt zum einen die Freisetzung von Schmerzmediatoren wie Prostaglandine, Kinine, Histimine und Interleukine durch die EM-Läsion mit entsprechender Aktivierung peritonealer Nozizeptoren dar. Eine weitere Schmerzkomponente scheint aber auch durch Nervenfasern bedingt, die in die EM-Läsionen einsprossen. Myelinisierte und unmyelinisierte sensible Nervenfasern finden sich im direkten Kontakt zu peritonealen Läsionen. Weiterhin exprimieren EM-Implantate Neurotrophine (NT), welche ihrerseits das Einsprossen der Nervenfasern in die EM-Läsion begünstigen könnten. Die neurogene Modulation durch EM-Läsionen ist ein bislang unerforschtes Phänomen in den komplexen Abläufen der Endometriose-assoziierten Schmerzpathogenese. Die Mechanismen dieser Interaktion sind derzeitig unklar, daher sollten zunächst neurotrophe Faktoren der EM-Läsionen selber sowie der Douglasflüssigkeit von Patientinnen mit EM analysiert werden. In dieser Studie wurde der Einfluss von NT auf die Neuromodulation mittels In-vitro-Experimenten weiter charakterisiert.
Material und Methoden. Nachweis von NGF mittels Immunfluoreszenz in primären Zellkulturen von Endometriomen (n=5) und peritonealen EM-Läsionen (n=5). Doppelfärbungen zum Nachweis von Epithel- (Anti-Cytokeratin) und Stromazellen (Anti-Vimentin) wurden durchgeführt. Analyse der NGF-, BDNF- und NT-3 Expression in der Douglasflüssigkeit (DF) von Frauen mit EM (n=12) und ohne EM (n=12) mittels Western Blot. Analyse der neurotrophen Eigenschaften der DF von Frauen mit EM mittels eines in vitro neuronalen Wachstumsassays, sowie Inhibition der sensiblen Neuritenaussprossung mit einem Antikörper gegen NGF, NT-3, BDNF und mittels eines NGFAntagonisten K252a. Ergebnisse. In allen Endometriose-Zellkulturen wurde NGF sowohl in Stroma- als auch in Epithelzellen mittels Immunfluoreszenz Doppelfärbung nachgewiesen. Die DF von Frauen mit EM zeigte im Vergleich zu der Kontrollgruppe eine signifikant stärkere NGF, BDNF und NT3-Expression. Die Höhe der NT Expression korrelierte nicht mit der Schmerzintensität oder der Symptomatik der EM-Gruppe. Sensible Ganglien, die mit DF von Frauen mit EM inkubiert wurden, zeigten eine signifikant höhere Neuritenaussprossung als die nicht EM-Gruppe. Diese Aussprossung korreliert ebenfalls nicht mit der Schmerzintensität. Die Neuritenaussprossung der Ganglien wurde mit AntiNGF, Anti-BDNF, Anti-NT-3 und K252a inhibiert. Diskussion. Unsere Daten zeigen die Expression von NGF in peritonealen und ovariellen Endometrioseläsionen, sowie die Expression von NGF, BDNF und NT-3 in der DF von EM-Patientinnen. Der in vitro neuronale Assay zeigte, dass die DF von EM Patientinnen eine NT-abhängige Aussprossung der sensiblen Neuriten induziert. Schlussfolgerung. Diese Daten belegen neurotrophe Eigenschaften der Endometriose und lassen vermuten, dass NT über die Induktion von Nervenwachstum eine wichtige Rolle in der Schmerzpathogenese spielen.
P07.5 Diabetic peripheral neuropathic pain: Patient characteristics, diagnoses and treatment in clinical practice E. Schneider1, F. Birklein2, S. Wilhelm1, A. Schacht3, D. Ziegler4 1Lilly Deutschland GmbH, Medical Department Neuroscience, Bad Homburg, Deutschland, 2Johannes Gutenberg Universität Mainz, Klinik und Poliklinik für Neurologie, Mainz, Deutschland, 3Lilly Deutschland GmbH, Global Statistical Sciences, Bad Homburg, Deutschland, 4Institut für Klinische Diabetologie – Deutsches Diabetes Zentrum, Leibnitz-Zentrum an der Heinrich-Heine-Universität, Düsseldorf, Deutschland Introduction. Diabetic peripheral neuropathic pain (DPNP) is a common complication of diabetes that can have a significant impact on a patient’s quality of life. Although there are DPNP management guidelines, treatment is often inadequate. DPNP treatment should be tailored to the patient’s needs, but little is known if and how this is achieved in clinical practice. This study evaluated characteristics of DPNP patients and their treatment in Germany. Methods. This was a baseline (BL) analysis of a prospective, multicenter (307 sites), non-interventional study in DPNP patients. Demographics and other BL characteristics, including medical history, diagnostic methods and pre-treatments were collected. Severity of pain as well as mental and physical functioning were evaluated by Brief Pain Inventory (BPI), Clinical/Patient Global Impression of Severity Scales for DPNP (CGI-S/PGI-S), Hospital Anxiety and Depression Scale (HADS, 0–21) and Sheehan Disability Scale (SDS, 0–30). Results. 2576 patients, mean age 65.8 years (standard deviation [SD] 11.5), 51.2% females, were treated by general practitioners (GP, 47.6%), neurologists (N, 20.1%), diabetologists/endocrinologists (D/E, 15.5%), internists (15.6%) and pain specialists (15.8%). The majority of patients (90.8%) suffered from type 2 diabetes with median diabetes duration of 112 months (Q25%–Q75%: 57–183) and a mean body mass index of 30.0 (SD 5.56). Treatment of diabetes included insulin (47.4%) and
oral antidiabetic drugs (60.1%). Median HbA1c value was 7.1% (Q25%– Q75%: 6.5–7.8). Diabetic neuropathy (DPN) was mainly diagnosed by GP (36.3%), N (30.6%) and D/E (17.5%), by clinical neurological (90.3%) and nerve conduction velocity assessment (35.6%) or neuropathy scores (20.9%). The median time since DPN diagnosis was 21.8 months (Q25%–Q75%: 8.8–54.7). 72.4% of patients were pre-treated for DPNP, 42.0% with non-opioid analgesics, anticonvulsants (37.5%), antidepressants (26.9%) and opioids (22.0%). Non-pharmacological treatment was given to 35.8% of the patients, most frequently physical therapy (26.5%). DPNP at BL was severe in 22.6%, moderate in 54.8% and mild in 22.7% of patients. BPI average pain was 5.1 (SD 2.04), the mean interference score was 4.8 (SD 2.18), CGI-S was 4.4 (SD 0.91) and PGI-S 4.5 (SD 1.05). Clinically relevant symptoms (HADS ≥11) were found for anxiety in 60.9% and depression in 44.9% of patients. Disability rating (median SDS total score) was 15 (Q25%–Q75%: 10–21). Discussion and Conclusion. These data demonstrated that GP play an important role in the care of patients with diabetes and DPNP. The patients in this observational study showed relatively stable glycemic control, but the majority (77.3%) complained about moderate to severe pain, had clinically relevant symptoms of depression and anxiety, as well as functional impairment, irrespective of the fact that 72.4% were pre-treated for DPNP.
P07.6 Schmerzevozierte Potentiale bei Morbus Fabry N. Üçeyler1, A. Kahn1, D. Zeller1, Z. Katsarava2, C. Sommer1 1Universität Würzburg, Neurologische Klinik, Würzburg, Deutschland, 2Universitätsklinikum Essen, Westdeutsches Kopfschmerzzentrum, Essen, Deutschland Fragestellung. M. Fabry ist eine X-chromosomal vererbte lysosomale Speicherkrankheit, die u. a. das Nervensystem betrifft. Ursache ist ein Mangel oder eine Unterfunktion des Enzyms α-Galaktosidase; Therapie ist die Enzymsubstitution („enzyme replacement therapy“, ERT). Das PNS ist meist im Sinne einer Small-fiber-Neuropathie (SFN) betroffen mit Affektion der intraepidermalen dünn- bzw. unbemarkten Aδ- und C-Fasern. Elektrisch ausgelöste schmerzevozierte Potenziale („pain-related evoked potentials“, PREP) zeigen objektiv die elektrischen Eigenschaften der Aδ-Fasern. Wir untersuchen, ob sich bei Patienten mit M. Fabry mittels PREP die funktionelle Affektion von Aδ-Fasern nachweisen lässt. Methoden. Es wurden 68 Fabry-Patienten und 15 gesunde Kontrollen untersucht. Alle Patienten wurden neurologisch, mit Schmerz- und Depressionsfragebögen, Elektroneurographie und quantitativ sensorischer Testung (QST) untersucht. 34 Patienten willigten einer Hautstanzbiopsie ein (lateraler Unterschenkel, Rücken). PREP wurden durch Tripelstimulation mit dem 2-fachen der individuellen Schmerzschwelle an Gesicht, Hand und Fuß evoziert und mittels einer Nadelelektrode über Cz abgeleitet. Die PREP-Latenz (N1) und die Peakto-peak-Amplitude (PPA) wurden bestimmt. Bei der Auswertung nahmen wir eine Stratifizierung nach der Nierenfunktion vor, da sie ein Indikator für die Schwere der Erkrankung ist. Es gilt eine glomeruläre Filtrationsrate (GFR) von ≥60 als normal und von <60 ml/ min/1,73 m2 als eingeschränkt. Ergebnisse. Bei den meisten Patienten waren der neurologische Untersuchungsbefund (50/68) und die elektrophysiologische Untersuchung des N. suralis (63/68) normal. Männliche Patienten und Patienten, die bereits mit ERT behandelt werden und schwerer betroffen sind erreichten in den Fragebögen höhere Werte als Frauen bzw. als Patienten, die weniger stark betroffen sind. Bei Männern mit M. Fabry war die Anzahl der IENF distal auf 2,5 Fasern/mm (Frauen: 8,2; p<0,001) und proximal auf 13,8 Fasern/mm reduziert (Frauen: 24,8; p<0,01). In der QST fanden sich bei den Männern deutlich angehobene Wahrnehmungsschwellen für Kälte, Wärme, und Temperaturunterschiede (p<0,001), während das sensible Profil von Frauen überwiegend normal war. Bei Der Schmerz · Supplement 1 · 2011
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Abstracts den PREP-Messungen hatten nach Stimulation an der Hand Patienten mit reduzierter vs normaler GFR niedrigere PPA (6 µV vs. 17 µV); auch Patienten mit ERT hatten niedrigere PPA als solche ohne Behandlung (8 µV vs. 19 µV; je p<0,01). Nach Stimulation am Fuß hatten Patienten mit reduzierter GFR vs normaler GFR längere N1-Latenzen (197 ms vs. 174 ms; p<0,05); zudem fanden sich niedrigere PPA bei Männern vs Frauen (11 vs. 19 µV; p<0,05), reduzierter vs. normaler GFR (7 vs. 16; p<0,01) und ERT vs. keine ERT (7 vs. 18; p<0,01). Schlussfolgerungen. Die Ableitung von PREP ist eine objektive und einfache Zusatzmethode, um die elektrischen Eigenschaften von AδFasern bei Patienten mit M. Fabry und SFN zu untersuchen.
P07.7 Stimulation winziger Hautareale mit Laserhitzereizen und quantitative sensorische Testung in Patienten mit postherpeti scher Neuralgie M. Franz1, W. Miltner1, T. Weiss1 1Institut für Psychologie, Lehrstuhl für Biologische und Klinische Psychologie, Jena, Deutschland Fragestellung. Bei postherpetischer Neuralgie (PHN) handelt es sich um ein chronisch neuropathisches Schmerzsyndrom, das nach Herpes Zoster auftreten kann. Ein Verlust von Aδ- und C-Fasern ist ein häufig beobachtetes Phänomen – besonders ausgeprägt im PHN betroffenen Areal sowie zu einem geringeren Ausmaß im kontralateralen Areal. Zur Evaluierung der Funktion von Aδ- und C-Fasern bieten sich u. a. die Quantitativ Sensorische Testung (QST) sowie Laserhitzestimulation winziger Hautareale an (LWH). Ziel der gegenwärtigen Studie ist ein Vergleich beider Methoden hinsichtlich ihrer Sensitivität Aδ- und C-Faserfunktionsverluste in Patienten mit PHN zu detektieren. Material und Methode. Es wurden 16 Patienten mit PHN (9 Frauen, 7 Männer) im Alter von 44 bis 79 (Mean: 60,3; ±10,2 Std) sowie 16 alters- und geschlechtsparallele Kontrollpersonen mittels QST und LWH untersucht. Die QST-Untersuchung wurde entsprechend des von Rolke et al. (2006) vorgeschlagenen Protokolls durchgeführt. Im Anschluss wurde das PHN Areal (TA) sowie das kontralaterale Kontrollareal (KA) mit jeweils 100 Laserhitzereizen (900 mJ) stimuliert. Hierbei wurde die Methode der Stimulation winziger Hautareale (ca. 0,1 mm2) mittels einer Lochblende verwandt. Ergebnisse. Im Vergleich zur Kontrollgruppe nahmen PHN Patienten signifikant weniger Laserhitzereize im TA und KA wahr. Von den thermischen Parametern der QST Batterie zeigte die Wärmedetektionsschwelle (WDT) signifikante höhere Schwellen für die PHN Patienten im TA verglichen zur Kontrollgruppe. Diskussion. Die erheblich reduzierte Detektionsrate von Laserhitzereizen deutet auf einen funktionellen Verlust der Aδ- und C-Faserintegrität hin. Dies steht im Einklang mit Hautbiopsiestudien, die eine deutlich reduzierte epidermale Nervenfaserdichte bei PHN Patienten im TA und KA berichtet haben. Die QST-Daten zeigen ebenfalls deutlich erhöhte Schwellen für WDT im TA, was ebenfalls auf einen Verlust der Aδ-/C-Faserfunktionen hindeutet. Allerdings fanden sich mit der QST keine thermischen Auffälligkeiten im KA. Dies könnte durch das größere Stimulationsareal (Thermode) bedingt sein, welches geringere Faserverluste durch räumlich-zeitliche Summationsprozesse verdeckt. Schlussfolgerung. LWH könnte zur Diagnose von Aδ- und C-Faserverlusten bei PHN Patienten eine nützliche Ergänzung zur QST darstellen.
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P07.8 Capsaicin 8%-Pflaster bei peripheren, neuropathischen Schmer zen Ist eine Vorbehandlung mit topischem Lidocain wirklich notwendig? U. Kern1, W. Nowack1 1Schmerz-und Palliativzentrum Wiesbaden, Wiesbaden, Deutschland Einleitung. Ein neuer Ansatz in der Behandlung peripherer, neuropathischer Schmerzen besteht in der topischen Applikation von hochdosiertem Capsaicin 8% über 60 min (Füße 30 min). Wegen möglicher Brennschmerzen während der Anwendung wird zwar eine topische Vorbehandlung mit Lidocain empfohlen, klinisch und experimentell bestehen jedoch Zweifel an der Wirksamkeit von Lidocain bei Capsaicin-induzierten Akutschmerzen. Der Schmerzverlauf von vorbehandelten und nicht vorbehandelten Patienten während einer Capsaicin 8%-Therapie sollte verglichen werden. Material und Methoden. Die Schmerzverläufe von 60 Patienten einer ambulanten, schmerztherapeutischen Einrichtung während einer Capsaicin 8%-Pflaster-Anwendung wurden prospektiv erhoben. Die Daten Lidocain-vorbehandelter Patienten (LVP) wurden mit denen der nicht vorbehandelten Patienten (NLVP) verglichen. Erfasst wurde die Differenz des VAS-Wertes nach 60 min (Anwendungsende) gegenüber der Schmerzstärke zu Therapiebeginn. Alle LVP gehörten zur Gruppe der initalen Capsaicin 8%-Pflaster- Patienten der schmerztherapeutischen Einrichtung und erhielten damals noch prinzipiell zusätzlich eine Infusion mit Lidocain 80 mg+1 g Metamizol i.v. während der Behandlung. Nach fortschreitender Erfahrung der Behandler wurde bei allen NLVP auf diese begleitende (Basis-)Analgesie verzichtet und der von dieser Gruppe angeforderte Analgetikabedarf zusätzlich dokumentiert. Ergebnisse. Von 18 LVP berichteten 15 (83,3%) eine Schmerzzunahme während Capsaicin 8% -Anwendung, 3 (16,7%) Patienten eine Schmerzabnahme. Auch von den 42 NLVP erlebten 3 Patienten (7,1%) eine Schmerzlinderung 60 min nach Therapiebeginn, 6 Pat. (14,3%) keine Veränderung gegenüber dem Ausgangsschmerz und 33 (78,6%) eine Schmerzverstärkung. Die durchschnittliche VAS-Veränderung der LVP betrug +2,94, bei den NLVP nur +2,29. Sie war somit ohne lokalanästhetische Vorbehandlung und trotz Verzicht auf eine i.v.-Basisanalgesie niedriger als mit einer Vor-Behandlung. So verlangten auch 40,4% der NLVP keine weiteren Analgetika, 54,8% lediglich eine Analgesie mit Metamizol (1–2 g) und nur 4,8% danach noch die zusätzliche Gabe eines Opioids (Piritramid, 3,75–15 mg). Diskussion. Bei Verzicht auf eine topische Lidocain-Vorbehandlung war keine größere Schmerzzunahme während der Capsaicin 8%-Anwendung zu beobachten war als ohne Lokalanästhesie. Dies deckt sich mit doppelblinden, experimentellen Untersuchungen am Menschen, die keinen Einfluss von Lidocain-Pflaster auf den Capsaicin-induzierten Schmerz zeigen konnten. Der niedrige Opiat-Bedarf unserer Patienten während der Capsaicin 8%-Therapie ohne topische LidocainVorbehandlung spricht zusätzlich für deren Entbehrlichkeit. Eine mit zunehmender Therapeutenerfahrung „entspanntere Behandlungsathmosphäre“ hingegen erscheint uns bzgl. der Patientenführung ausgesprochen bedeutsam. Schlussfolgerungen. Entgegen der in der Fachinformation zur Capsaicin 8%-Pflaster-Therapie empfohlenen Vorbehandlung mit topischem Lidocain halten wir diese aufgrund eigener Erfahrungen und dargelegter Daten für entbehrlich. Die Behandlungsdauer lässt sich so um mehr als 1 Stunde verkürzen. Die Herstellung des Posters wurde unterstützt durch die Firma Astellas.
P07.9 Schmerzreduktion nach topischem Capsaicin 8%-Pflaster – ers te klinische Erfahrungen U. Kern1, W. Nowack1 1Schmerz-und Palliativzentrum Wiesbaden, Wiesbaden, Deutschland Einleitung. Hochdosiertes topisches Capsaicin 8%-Pflaster (Qutenza™) ist eine neue Behandlungsoption gegen periphere, neuropathische Schmerzen (NP). Nach einer topischen Applikation über 60 min (Füße 30 min) sollen NP über einen Zeitraum von bis zu 12 Wochen gelindert werden. Ziel der Untersuchung war, Ausmaß und Verlauf dieser Schmerzlinderung unter klinisch-ambulanten Bedingungen zu überprüfen. Material und Methode. Insgesamt 51 Patienten mit NP unterschiedlicher Genese wurden mit topischem Capsaicin 8%-Pflaster behandelt. Das Ausmaß der erreichten Schmerzlinderung wurde nach 4 und 12 Wochen erfasst, wobei die Patienten nach der durchschnittlichen Schmerzstärke der jeweils vorangegangenen Woche gefragt wurden. Ergebnisse. 23 der Patienten waren männlich, 26 Patienten weiblich. Postoperative, neuropathische Schmerzen lagen in n=17 Fällen (33,3%) vor, eine Postzosterneuralgie in n=19 Fällen (37,3%) und NP sonstiger Genese (z. B. Plexusneuropathie/PNP n. Chemotherapie u. a. m.) in n=15 Fällen (29,4%). Zum Erhebungszeitpunkt lag die 4-Wochen-Angabe bereits von n=37 der 51 Patienten vor, die 12-Wochen-Angabe von n=33 der 51 Patienten. Nach 4 Wochen gaben 25 Patienten (68%) eine Schmerzlinderung von −1 VAS oder mehr an (12 Wochen: n=10, 27%). Eine Schmerzlinderung von −3 VAS oder mehr wurde nach 4 Wochen bei n=22 (67%) erreicht (12 Wochen: n=10, 26%). Von den n=33 bereits bis zur 12. Woche dokumentierten Patienten, berichteten 8 (24,2%) von einer noch größeren Schmerzlinderung als zum Zeitpunkt 4 Wochen, 9 Patienten (27,3%) von einer wieder rückläufigen Schmerzlinderung, während 16 (49%) immer noch auf gleichem Niveau profitierten. Diskussion. Umschriebene periphere neuropathische Schmerzen zählen zu den Schmerzsyndromen mit oft heftiger Intensität und erheblicher Einschränkung der Lebensqualität. Die hier beschriebenen Schmerzlinderungen entwickelten sich nach nur einmaliger Anwendung über 30–60 min. Sie waren nicht zwingend bereits nach 4 Wochen komplett erreicht, die Wirkdauer betrug nicht selten auch deutlich länger als 12 Wochen. Schlussfolgerung. Topisches Capsaicin 8%-Pflaster lindert bei einer klinisch relevanten Zahl von Patienten periphere, neuropathische Schmerzen in zum Teil erheblichem Ausmaß über mehrere Wochen bis Monate. Die Herstellung des Posters wurde unterstützt durch die Firma Astellas.
P07.10 Zentrale Desensibilisierung durch Tapentadol? Option oder Fiktion?
Ergebnisse. Kasuistik 1 (NPP): – M. K., geb. 1953, weibl., Diagnose: Lumbalgie und radikuläre Ausstrahlung li. bei Z. n. NPP L5/S1 li. 05/2009. – Tag 1: Rückenschmerz (RS) NRS 7, Beinschmerz (BS) NRS 6, painDETECT: 14, Beginn mit Tapentadol 2×50 mg. – Tag 21: RS: NRS 4, BS: erloschen! Steigerung auf 2×150 mg. – Tag 28: RS: NRS 2, BS: weiter erloschen. – Tag 63: Trotz unveränderter Dosis (!): RS: jetzt NRS 1, BS: weiter erloschen, painDETECT: 6 Tag 94: Ohne Dosissteigerung (!): RS: NRS 1, BS: weiter erloschen, painDETECT: zusätzlich erniedrigt auf 2. Kasuistik 2 (Stumpf- und Phantomschmerz): – J. L., geb. 1941, männl., traumat. OS-Amputation re. 1972, Opiate u. Antiepileptika unbefriedigend. – Tag 1: einschießende/elektrisierende Stumpfschmerzen (SSz) (NRS 7–8) u. Phantomschmerz (PSz) d. Wade (NRS 7). Beginn mit 2×50 mg Tapentadol. – Tag 21: Nach Steigerung auf 2×100 mg jetzt PSz u. SSz von nur NRS 3–4. – Tag 54: Ohne weitere Dosissteigerung (!): Schmerzlinderung von NRS 3–4 auf jetzt NRS 1. Kasuistik 3 ( Radikulärer Beinschmerz n. Spondylodese): – R. E., geb. 1975, weibl., radikuläre Beinschmerzen re. n. Spondylodese 7/2009 bei Gleitwirbel. – Tag 1 : Beginn mit 2×50 mg Tapentadol bei NRS 4. – Tag 25: Unter der Tageshöchstdosis von 500 mg/d deutlich geringere Sedation als unter Fentanyl, Schmerzlinderung unwesentlich besser (NRS 3). – Tag 70: Ohne weitere Dosissteigerung (!): Fortschreitende Schmerzlinderung auf jetzt NRS 0 (beim Gehen in der Ebene) bzw. NRS 1 beim Treppensteigen. Diskussion. In allen Fällen kam es zwischen 4. u. 12. Woche zu fortschreitender Analgesie ohne Dosissteigerung. Die Vermutung liegt nahe, dass dies eher der Noradrenalin-Reuptake-Hemmung als der (eher sofortigen) Wirkung am µ-Rezeptor zuzuschreiben ist. In allen Fällen lag ein neuropathischer Schmerz vor, bei dem inhibitorische Bahnen besonders einschränkt sind. Schlussfolgerung. Die Wirkung von Tapentadol hängt primär von einer suffizienten analgetischen Dosierung ab. Die Kasuistiken lassen jedoch vermuten, dass sich der Effekt (im Sinne eines „wind-down“?) über Wochen noch steigern lässt. Die Herstellung des Posters wurde unterstützt durch die Firma Grünenthal.
P07.11 Tapentadol bei Phantomschmerzen – eine neue Behandlungs option? Eine Fallserie
U. Kern1 1Schmerzzentrum Wiesbaden, Wiesbaden, Deutschland
U. Kern1, P. Bialas2, D. Fangmann3 1Schmerzzentrum, Wiesbaden, Deutschland, 2Klinik f. Anästhesiologie, Universität Homburg Saar, Homburg, Deutschland, 3Praxis für Anästhesiologie u. Schmerztherapie, Wallenhorst, Deutschland
Einleitung. Tapentadol entwickelt seine analgetische Wirkung über einen dualen Wirkmechanismus: einem µ-Opiat-Rezeptor-Agonismus und einer Noradrenalin-Reuptake-Hemmung. Entgegen einer sofortigen µ-Rezeptor-Wirkung, entwickeln Substanzen mit NoradrenalinReuptake-Hemmung eine Schmerzlinderung häufig erst verzögert. Es werden 3 Kasuistiken geschildert, bei denen es ohne Dosissteigerung nach mehreren Wochen unter Tapentadol zur progredienten Schmerzlinderung kam. Material und Methode. Anamnese u. Schmerzentwicklung von 3 Patienten mit zunehmender Schmerzlinderung ohne Tapentadol-Dosissteigerung wurden dokumentiert. Initiale Schmerzlinderungen durch Dosissteigerung und fortschreitende Schmerzlinderungen ohne Dosissteigerung wurden gegenüber gestellt.
Einleitung. Phantomschmerzen (PSz) entstehen multifaktoriell mit peripheren u. zentralen Ursachen. Behandlungserfolge durch Opiate und Modulation schmerzhemmender Bahnen legten einen Behandlungsversuch mit Tapentadol nahe, welches beide Ansätze in sich vereinigt. PSz-Behandlungen mit Tapentadol sollten erstmals beschrieben werden. Material und Methode. Erfolgreiche PSz-Behandlungen mit Tapentadol wurden exemplarisch von klinischen Schmerztherapeuten zusammengetragen. Erfasst wurden demographische Daten, PSz-Stärke (VAS) und Tapentadol-Dosis zum Erfassungs-Zeitpunkt und „sonstige Beobachtungen“ (Phantom- u. Schlafqualität/Medikation). Ergebnisse. Drei Schmerztherapeuten trugen 5 positive Behandlungsverläufe zur Fallserie bei. Der Schmerz · Supplement 1 · 2011
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Abstracts Kasuistik 1: A.K, weibl., 81 J., OS-Amputation re. (pAVK) 2006: – Trotz 25 µg/h Fentanyl, 1500 mg/d Metamizol u. „Bedarfs-Opiaten“/ Schlafmittel: PSz VAS 7, Schlafstörungen, Attacken. 100 mg/d Tapentadol: Durchschlafen mögl. (VAS 3), 250 mg/d: erbhebl. (!) Schmerzreduktion (VAS 0–1). Ferner: 250 mg/d: „Phantombein eingeschlafen“. Kasuistik 2: J.L., 70 J., männl., traumat. OS-Amputation re. 1972: – PSz VAS 7, Schlafstörung., Opiate/Antiepileptika ineffektiv, Tag 21 (Tapentadol 200 mg/d): PSz VAS 3,5. Tag 54 (Tapentadol 200 mg/d): VAS 1. Ferner: Stumpfschmerz geringer. Kasuistik 3: W.Z., 68 J., traumat. OS-Amputation li. vor 38,5 J.: – PSz VAS 6 (max. VAS 10), Attacken, auch nachts. 50 µg/h Fentanyl + 3600 mg Gabapentin + 60 mg Duloxetin + Procain-Infus. unbefriedigend. Schlaf: max. 2 h/Nacht. Unter 400–500 mg/d Tapentadol: Analgesie anfänglich gering, aber: VAS 4 n. ca. 10 Wochen. Schlaf: 5 h/Nacht mit 350 mg/d. Ferner:. Attacken u. Akut-Opiate seltener. Kasuistik 4: M.S., 57 J., OA-Amputation re. vor 2,5 J. (NPL): – Trotz Oxycodon/Naloxon 20 mg/d, Pregabalin 300 mg/d, Amitriptylin 150 mg/d: PSz VAS 7 (max. VAS 9). Ersatz des Opioids durch Tapentadol (200 mg/d): PSz nun VAS 3 (max. VAS 7). Ferner: Phantom-Motorik schwächer. Kasuistik 5: V.P., 32 J., traumat. Armplexus-Deafferenzierung re. 4/2005: – PSz VAS 8,5, Pregabalin 600 mg/d mäßig wirksam, Fentanyl 37,5 µg/h wirkungslos. Tag 10 (Tapentadol 200 mg/d): PSz VAS 5, bei Tapentadol 300 mg/d: VAS 2. Ferner: Tapentadol 900 mg/d (ohne Rücksprache!) wg. Exazerbation vertragen/schmerzlindernd. Diskussion. Bei Amputationen besteht eine Einschränkung intrakortikaler Inhibition u. deszendierender Bahnen (aktivierbar durch das katecholaminerge System), experimentelle Arbeiten weisen auf einen Anstieg a-adrenerger-Rezeptoren nach Denervation hin. Die Bedeutung von Noradrenalin für PSz ist zwar ungeklärt, die NoradrenalinReuptake-Hemmung durch Tapentadol könnte jedoch (neben der Opiatwirkung) die Behandlungserfolge erklären. Schlussfolgerung. Tapentadol stellt möglicherweise eine neue Behandlungsoption für Phantomschmerzen dar. Die Herstellung des Posters wurde unterstützt durch die Firma Grünenthal.
P07.12 Phantomschmerzen und kortikale Reorganisation nach intensi ver Nutzung einer sensomotorischen Feedbackprothese C. Dietrich1, S. Preißler1, G. Hofmann2, W. Miltner1, T. Weiss1 1Institut für Psychologie, Lehrstuhl für Biologische und Klinische Psychologie, Jena, Deutschland, 2Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie, Universitätsklinikum Jena, Jena, Deutschland Fragestellung. Armamputierte empfinden häufig Schmerz (Phantomschmerz, PS) im amputierten Körperteil. Neurowissenschaftliche Studien der letzten Jahre stellten unter anderem einen Zusammenhang zwischen PS und somatotopen Eigenschaften funktioneller Repräsentationen des menschlichen Körpers im primären somatosensorischen Kortex (S1) fest. Der von der Amputation betroffene S1 wies eine kortikale Reorganisation (KRO) des Lippenareals in Richtung des Handareals auf. Das Ausmaß KRO korrelierte eng mit der Stärke der PS. In vorliegender Studie wurde untersucht, ob a) in der untersuchten Stichprobe ein Zusammenhang zwischen der Stärke der PS und KRO in S1 besteht und ob b) KRO reduziert wurde, wenn durch ein sensomotorisches Training die PS gemildert wurden. Material und Methode. 13 Patienten mit chronischen Phantomschmerzen nach Hand- oder Armamputation durchliefen ein zweiwöchiges Training zur Verbesserung der Nutzung einer myoelektrischen Feedbackprothese, deren Griffstärke den Patienten mittels elektrokutaner Stimulation am Stumpf zurückgemeldet wurde. Die Rückmeldung wurde über 6 Elektroden realisiert, die 12 unterschiedliche Stimula-
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tionsmuster zur Druckkodierung erzeugten. Phantomschmerzen wurden mit verschiedenen Schmerzskalen vor Beginn, während und nach Ende des Trainings sowie sechs Monate nach Abschluss des Trainings überprüft. Zu gleichen Zeiten wurden mit Magnetenzephalographie somatosensorisch evozierte Felder (SEFs) bei pneumatischer Stimulation der Unterlippe gemessen. Euklidische Abstände geschätzter Quellendipole (links, rechts) dienten als Maß für KRO. Ergebnisse. Die Ergebnisse zeigen a) einen Zusammenhang zwischen PS und KRO und b) eine Verminderung KRO bei Reduktion der Phantomschmerzen nach dem Training. Diskussion. Die Reduktion von Phantomschmerzen nach einem sensomotorischen Training an einer Feedbackprothese geht bei Patienten mit vorbestehender KRO in S1 mit einer Re-Reorganisation des Lippenareals in S1 einher. Schlussfolgerung. Nutzen Phantomschmerzpatienten eine somatosensorische Feedbackprothese, können PS gemildert werden. Dies ist mit einer Umorganisation somatotoper Karten in S1 verbunden.
P07.13 Starke Schmerzen bei Restless-Legs-Syndrom durch periphere Nervenkompressionen an der unteren Extremität – ein chirur gisch therapierbares Problem M. Raghunath1 1Arabella Klinik München/Adickes Privatklinik Frankfurt, Plastische Chirurgie, München, Deutschland Einleitung. Das Restless-Legs-Syndrom (RLS) ist eine neurologische Erkrankung mit in Ruhe und vor allem nachts auftretenden Missempfindungen und Bewegungsdrang, sowie bei einigen Patienten starken Schmerzen. Ursächlich wird Dopamin eine zentrale Rolle zugesprochen. Zudem wird eine Disinhibition spinaler Reflexe angenommen. Entsprechend ist zusätzlich zu zentralen Ursachen ein Einfluss des peripheren Nervensystems denkbar. Dies findet in der Schmerztherapie mit wiederholten peripheren Nervenblockaden Anwendung. In dieser Untersuchung wird der Effekt der chirurgischen Entlastung komprimierter, peripherer Nerven auf die Schmerzintensität des RestlessLegs-Syndroms beschrieben. Methode. Im Zeitraum von 06/08 bis 06/11 wurden 70 Dekompressionsoperationen an kombinierten Nervenkompressionen der unteren Extremität durchgeführt. Von den bds. Operierten hatten n=16 (8 w, 8 m) einen Follow-up von mindestens 4 Monaten bis 3 Jahren (Median: 16,7 Monate). Alle 16 Patienten erfüllten die vier essentiellen Kriterien für RLS. Die Diagnosestellung war neurologischerseits erfolgt und die medikamentöse Therapie durchgeführt. Der Altersschnitt lag bei 65,9 Jahren, die Krankheitsdauer bei durchschnittlich 18,86 J. Durch Lokalisation der Beschwerden, Zuordnung zu Versorgungsgebieten peripherer Nerven, lokale Untersuchung der zugehörigen Nerven an den anatomisch vorgegebenen Engstellen auf Druckdolenz, Hoffmann-Tinel-Zeichen und Messung der Berührungsschwellen für 1 und 2 Punkte mit dem „pressure-specified sensory device“ (PSSD, S.M.S. International, Towson, USA) wurden die kombinierten Nervenkompressionen diagnostiziert. Neurologischerseits waren Nervenkompressionen in keinem Fall, in 6 Fällen eine Polyneuropathie beschrieben. Die entlasteten Nerven waren Peroneus communis mit Endästen (bei 14 Patienten), Tibialis in den tarsalen Tunneln (12), Tibialis am Hiatus m. solei (3), N. Saphenus/femoralis im Adduktorenkanal (3), N. cutaneus femoris lateralis (3), Nn. digitales plantares zwischen den Metatarsaleköpfchen (3). Prä- und postoperativ wurden Schmerzintensität und -charakter mit der visuellen Analogskala (VAS) und dem Pain-detect-Bogen (Fa. Pfizer) ermittelt. Der Schweregrad des RLS wurde mittels des IRLS-Scores beurteilt. Die Pat. schätzten die Gesamtverbesserung in% ein. Der Medikamentenverbrauch wurde erfasst und die Sensibilität mit dem PSSD gemessen.
3.0 d'
2.0 1.0 0.0 Kontrolle Betroffen Seite
G. Hirschfeld1, M. Blankenburg1, T. Hechler1, B. Zernikow1 1Vestische Kinder- und Jugendklinik Datteln, Vodafone Stiftungsinstitut
für Kinderschmerztherapie und Pädiatrische Palliativmedizin, Datteln, Deutschland Fragestellung. Die bisher detailliertesten Arbeiten zur Funktionsweise des somatosensorischen Systems bei PatientInnen mit Complex Regional Pain Syndrome (CRPS, Morbus Sudeck) verwendeten die quantitative sensorische Testung (QST), um Wahrnehmungs- und Schmerzschwellen zu bestimmen (Sethna et al., 2007). Wie bei jedem psychophysischen Verfahren kann man aus den Ergebnissen der QSTTests nicht nur die Schwellen bestimmen, sondern auch die Sensitivität sowie die Antworttendenz der Probanden quantifizieren (Clark, 1971). In der vorliegenden Arbeit soll erstmals untersucht werden, ob die mechanische Schmerzempfindlichkeit bei Kindern mit CRPS oder CRPS ähnlicher Symptomatik, auf Veränderungen in der Sensitivität, der Antworttendenz, oder in beiden Parametern zurückzuführen ist. Material und Methode. 11 Kinder und Jugendliche (Alter: 7–23 Jahre; 83% weiblich) mit CRPS/CRPS ähnlicher Symptomatik im Kindesalter wurden mit QST nach dem Protokoll der DFNS untersucht (Rolke et al., 2006). Die Bestimmung von Sensitivität und Antworttendenz wurden für die Antworten im QST-Subtest „Mechanische Schmerzempfindlichkeit“ (MPS) der nach der Methode der konstanten Stimuli durchgeführt wird, analysiert. Für jeden Probanden und jede Körperseite wurden die Sensitivität (d‘) sowie die Antworttendenz (beta) im Sinne der Sensory Decision Theory (SDT) bestimmt. Unterschiede zwischen der betroffenen und der nichtbetroffenene (Kontroll-)Körperseite wurden mittels gepaarter nichtparametrischer Tests untersucht. Ergebnisse. Die Analyse nach der SDT zeigte für die mechanische Schmerzempfindlichkeit, dass die Sensitivität herabgesetzt war (d‘ Kontrollseite=1,89; d‘ Testseite =1,25; p=0,08). Gleichzeitig zeigte sich eine Veränderung der Antworttendenz, so das bereits schwächere Reize als schmerzhaft klassifiziert wurden (beta Kontrollseite =5,61; beta Testseite =3,47) (Abb. 2). Schlussfolgerung. Patienten mit CRPS/CRPS-ähnlicher Symptomatik im Kindesalter zeichnen sich sowohl durch reduzierte Sensitivität als auch einer zu „schmerzhaft“ verschobenen Antworttendenz für potentiell schmerzhafte mechanische Reize aus. Beides kann zu den Befunden der Allodynie führen (Sethna, et al. 2007). Vergleiche von Schmerzschwellen sollten routinemäßig um Analysen mit den SDTParametern ergänzt werden.
0.0 -1.5 -3.0 Median +/- 95% Cl
Antworttendenz [beta]
Differenz Betroffen - Kontrolle
P07.14 Reduzierte Sensitivität und verschobene Antworttendenzen bei CRPS – erste Ergebnisse einer Sensory-Decision-Theory-Analyse der mechanischen Schmerzempfindlichkeit
Differenz Betroffen - Kontrolle
Sensitivität [d']
8 beta
Ergebnis. Der Schweregrad ermittelt mit dem IRLS-Score lag präoperativ durchschnittlich bei 32,8, postoperativ bei 14,1. Die Patienten werteten die Verbesserung >75% in 8 Fällen, >50% in 5 Fällen und 3-mal keine Verbesserung. Die Schmerzintensität sank von VAS ø 7,68 auf 3,09, 13 Patienten konnten die Medikamenteneinnahme reduzieren, 7 im Bereich von 75 bis 100% Dosisreduktion. 14 Patienten zeigten eine Verbesserung der Sensibilität. Die Pain Detect Scores veränderten sich von durchschnittlich 17,6 (7–28) auf 8,9 (4–19). Diskussion. Kompressionen peripherer Nerven können Schmerzen, Missempfindungen und Unruhe bei RLS-Patienten verstärken. Diese Untersuchung bestätigt den Einfluss der peripheren Nerven auf den Schweregrad des RLS und zeigt eine Behandlungsmöglichkeit. Starker Schmerz und hoher Schweregrad mit Therapieresistenz könnten als Hinweise dienen, diejenigen Patienten mit möglichen Nervenkompressionen herauszufiltern. Das Ergebnis des Pain-detect-Bogens zeigt eine große Streubreite.
6 4 2 0 Kontrolle Betroffen Seite
0 -2 -4 -6
Median +/- 95% Cl
Abb. 2 8 Unterschiede zwischen der betroffenen und der nichtbetroffenen Körperteil. Unterschiede in der Sensitivität (oben) Unterschiede in der Antworttendenz (unten).
P09 – Rückenschmerz und Bewegungsapparat I P09.1 Topische Applikation einer Nonivamid/Nicoboxil-Creme be einflusst Hämodynamik und Hämoglobin Oxygenierung in der Haut und der darunterliegenden Muskulatur J. Warnecke1, T. Wendt2, M. Schak1, T. Schiffer2, W. Bloch2, T. Weiser3, M. Kohl-Bareis1 1RheinAhrCampus, FH Koblenz, Mathematik und Technik, Remagen, Deutschland, 2Deutsche Sporthochschule Köln, Institut für Kreislaufforschung und Sportmedizin, Köln, Deutschland, 3Boehringer Ingelheim Pharma GmbH & Co KG, Medizinische Wissenschaft, Ingelheim, Deutschland Einleitung. Seit Jahrzehnten werden topische hyperämisierende Präparate zur Behandlung von Muskel- und Gelenkbeschwerden verwendet. Ein Beispiel dafür ist eine Zubereitung, die das Capsaicinoid Nonivamid und den Nikotinsäureester Nicoboxil enthält („Finalgon®“). Die Effekte auf die kutane Hämodynamik sind schon länger beschrieben, aber die Effekte auf die Muskulatur unter der darüberliegenden behandelten Hautpartie wurden bisher nicht untersucht. Ziel dieser Studie war es, die Effekte einer topischen Nonivamid/Nicoboxil Zubereitung (0,17/1,08%; „Finalgon® Wärmecreme stark“) auf Hämodynamik und Hämoglobin-Oxygenierung in Haut und Muskulatur mit optischer Spektroskopie zu untersuchen. Methoden. Der Effekt der Creme auf oxygeniertes (oxyHb) und deoxygeniertes (deoxyHb) Hämoglobin in Haut und Muskel sowie auf die Sauerstoffsättigung des kutanen Blutes wurde mit optischer Spektroskopie im sichtbaren (VIS) und nahinfraroten (NIR; Messtiefe bis 2,5 cm) Wellenlängenbereich untersucht. Die Untersuchungen wurden an 14 freiwilligen Probanden gemäß der Deklaration von Helsinki durchgeführt und von der Ethik-Kommission der Deutschen Sporthochschule Köln genehmigt. Linke und rechte Wade (in der regio cruris posterior über dem musculus soleus und dem caput laterale des musculus gastrocnemius) der Versuchspersonen wurden mit der Nonivamid/Nicoboxil Creme (ca. 1 cm Cremestrang, = 250 mm3, für eine Hautfläche von 90×60 mm), bzw. einer Scheinapplikation behanDer Schmerz · Supplement 1 · 2011
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Abstracts delt. Kutanes und muskuläres oxyHb und deoxyHb wurden mit einem kombinierten NIR/VIS Sensor bestimmt. Ergebnisse. Topische Behandlung mit Nonivamid/Nicoboxil Creme erhöhte die Konzentration von oxyHb und Sauerstoffsättigung in Haut und Muskel signifikant. Bereits nach 15 min war die Wirkung deutlich, wobei schnellere und ausgeprägtere Effekte in der Haut zu beobachten waren. Diese Effekte hielten über den gesamten Beobachtungszeitraum (bis zu 93 min) an. Der Hämoglobingehalt in der Muskulatur der behandelten Wade nahm im Vergleich zur scheinbehandelten Wade um bis zu 175% zu. Schlussfolgerung. Nahinfrarotspektroskopie ermöglicht die nichtinvasive Bestimmung von Hämoglobin Oxygenierung in der Muskulatur der Wade nach topischer Anwendung von Nonivamid/Nicoboxil Creme. Die Anwendung der Creme erhöhte den lokalen Blutgehalt und die Hämoglobin-Oxygenierung in der behandelten Hautregion und der darunterliegenden Muskulatur. Die Förderung der Muskeldurchblutung z. B. durch physikalische Methoden ist bewährt zur Prävention von Sportverletzungen, sowie zur Behandlung von leichteren Muskelschädigungen und schmerzhaften Verspannungen. Die positiven klinischen Erfahrungen mit der Anwendung einer Nonivamid/ Nicoboxil Creme bei der Behandlung dieser muskulären Probleme stehen im Einklang mit unseren Befunden zur Muskeldurchblutung.
P09.2 Klassifikation von Patienten mit Rückenschmerz auf Basis elekt rophysiologischer und psychosozialer Daten D. Nötzel1, C. Puta1, C. Borys2, C. Anders3, H. Wagner4, B. Gabriel1, G. Valet5, H. Gabriel1 1Friedrich-Schiller-Universität Jena, Lehrstuhl für Sportmedizin, Jena, Deutschland, 2Universitätsklinikum Jena, Institut für Psychosoziale Medizin und Psychotherapie, Jena, Deutschland, 3Universitätsklinikum Jena, Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie, FB Motorik, Jena, Deutschland, 4Westfälische Wilhelms Universität, Arbeitsbereich für Bewegungswissenschaft, Münster, Deutschland, 5em. Max-Planck-Institut für Biochemie, Martinsried, Deutschland Hintergrund. Chronischer unspezifischer Rückenschmerz (CURS) verändert bei betroffenen Personen die Aktivierung von Rumpf- und Beckenmuskeln als Reaktion auf eine externe Störung [3, 4]. Zudem unterscheiden sich CURS-Patienten von gesunden Kontrollpersonen in psychosozialer Variablen [1]. Die statistische Analyse wird überwiegend mittels multivariater Verfahren [4] seltener mit Verfahren zur Klassifikation [2, 5] durchgeführt. Klassifikationsverfahren bieten gegenüber auf Mittelwertvergleichen beruhenden Verfahren den Vorteil einer individuellen Patientenklassifikation. Ein großer Nachteil von Klassifikationsmodellen ist der Umgang mit Fehlwerten (z. B.: keine Reflexantwort), welche methodische oder physiologische Ursachen haben können. Fragestellung. Können Gesunde und Patienten mit CURS anhand muskulärer Latenzzeiten und psychosozialer Variablen klassifiziert werden? Welches Klassifikationsverfahren (CLASSIF1 oder logistische Regression) ist am besten geeignet? Methoden. In den Lerndatensatz wurden 9 Patientinnen mit CURS (Alter: 43±12 Jahre, Gewicht: 62±8 kg, Größe: 166±5 cm, VAS: 51±27 [0–100]) und 9 gesunde weibliche Kontrollpersonen (36±10 Jahre, 61±9 kg, 168±7 cm) eingeschlossen. Mittels Oberflächenelektromyographie wurden die muskulären Latenzzeiten bei 7 Rumpf-, 1 Beckenund 5 Beinmuskeln bilateral bei externen Störungen über die linke und rechte Hand untersucht. Neben diesen 52 elektrophysiologischen Werten gingen noch 11 psychosoziale Items (HADS, SF39) in den Datensatz für eine Person ein. Zur Validierung wurde ein Kontrolldatensatz von 14 dem System unbekannten Personen (6 Gesunde und 8 Patientinnen mit CURS) integriert. Die Analyse der Daten erfolgte mit CLASSIF1 und vergleichend mit einer logistischen Regression.
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Der Schmerz · Supplement 1 · 2011
Ergebnisse. Die selektierten Werte von Gesunden und Patienten mit CURS unterschieden sich quantitativ nur geringfügig. Auf Grund von einzelnen nicht vorhandenen Reflexen bei Patienten mit CURS und bei Gesunden konnten nur 8 von 18 Personen für die logistische Regression verwendet werden. Eine binär logistische Regression ist mit dieser Probandenanzahl nicht möglich. Demgegenüber konnten mittels CLASSIF1 alle gesunden Personen (Spezifität: 1,0) und Patienten mit CURS (Sensitivität: 1,0) richtig klassifiziert werden. Im Validierungsdatensatz wurden 5 der 8 Patienten mit CURS und 6 der 6 gesunden Personen richtig klassifiziert. Schlussfolgerung. Nicht vorhandene Reflexantworten auf externe Störungen stellen eine Schwierigkeit bei der Auswertung von muskulären Latenzzeiten dar. Der entscheidende Vorteil von CLASSIF1 in solchen Analysefällen ist die Berücksichtigung von Fehlwerten bei der Betrachtung großer Datenkolumnen. Diese Studie wurde vom Kompetenzzentrum für interdisziplinäre Prävention der FSU Jena und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (01EC1003B) gefördert. 1. Linton SJ (2000), Spine 25:1148–1156 2. Nötzel D, Puta C, Wagner H et al. (2010), Der Schmerz Supplement 1:128 3. Nötzel D, Puta C, Wagner H et al. (2011), Der Schmerz 25:199–206 4. Radebold A, Cholewicki J, Panjabi MM et al. (2000), Spine 25:947–954 5. Reeves NP, Cholewicki J, Milner TE (2005), J Electromyogr Kinesiol 15:53–60
P09.3 Rückenschmerz während der Schwangerschaft – ein Stabilitäts problem der lumbalen Wirbelsäule? Antworten mittels eines Muskel-Skelett-Modells A. Liebetrau1, C. Puta2, D. Schinowski1, H. Wagner1 1Westfälische Wilhelms Universität, Bewegungswissenschaft, Münster, Deutschland, 2Friedrich-Schiller-Universität Jena, Lehrstuhl für Sportmedizin, Jena, Deutschland Einleitung. Bis zu 50% aller Frauen erleiden während der Schwangerschaft lumbale Rückenschmerzen (LRS). Hierfür werden in der Literatur verschiedene Gründe diskutiert. Es wird angenommen, dass durch die Gewichtszunahme sowie die Vergrößerung des Uterus veränderte Momente auf die Lendenwirbelsäule (LWS) wirken, welche eine verringerte spinale Stabilität zur Folge haben könnten. Ebenso wird die Hyperlordose als eine Ursache für LRS während der Schwangerschaft genannt. Weder die Ätiologie des LRS noch die Bedeutung der sich während der Schwangerschaft verändernden Lordose der LWS ist vollständig geklärt. Ziel dieser Studie ist es, die biomechanischen Veränderungen während einer Schwangerschaft mit Hilfe eines Muskel-Skelett-Modells zu untersuchen und ihre möglichen Auswirkungen auf die Stabilität der LWS zu beschreiben. Es stellt sich die Frage, ob eine Hyperlordose während der Schwangerschaft funktionell zu einer Verbesserung der Stabilität der LWS und ggf. damit zu einer verminderten Anfälligkeit für LRS beitragen kann? Methode. Das biomechanische 2D-Modell der LWS besteht aus fünf lumbalen Segmenten (L1–L5). Es beinhaltet fünf Drehzentren und einen Massenpunkt als modellierten Oberkörper sowie ein fixiertes Becken. Die lumbale paraspinale Muskulatur wurde anhand von drei antagonistischen Muskelpaaren dorsal und ventral der LWS simuliert. Durch Veränderungen des geometrischen Arrangements des MuskelSkelett-Modells wurden die Situationen „nicht Schwanger“ (A) und „Schwanger“ mit verschieden großer Lordose (B, C) bezüglich ihrer lumbalen segmentalen Stabilität analysiert. Um in jedem lumbalen Drehzentrum eine stabile Gleichgewichtsposition zu gewährleisten, wurden die lokalen Gegendrehmomente für jede Situation (A, B, C) und jedes Drehzentrum berechnet. Diese Gegendrehmomente repräsentieren den Effekt der lumbalen segmentalen Muskulatur im Modell. Die Stabilität der LWS wurde quantifiziert, in dem pro Simulation (A,
B, C) und je Drehzentrum die Eigenwerte der Jacobimatrix der Bewegungsgleichung des muskuloskeletalen Systems berechnet und ausgewertet wurden. Ergebnisse. Der Vergleich der Simulationen (A, B) zeigt einen deutlichen Anstieg der pro lumbalem Drehzentrum wirkenden Drehmomente bei „Schwangeren“ in Abhängigkeit der Vergrößerung des ventralen Bauchraumes und der Ausprägung der Lordose. Je ausgeprägter die Lordose simuliert wird (B, C), desto geringer müssen die wirkenden Gegendrehmomente der segmentalen Muskeln sein, um die LWS zu stabilisieren. Diskussion. Die Ergebnisse zeigen, dass die sich während der Schwangerschaft ausbildende vergrößerte Lordose notwendig ist, um eine bestmögliche segmentale Stabilität der LWS zu gewährleisten und die Beanspruchung der segmentalen Muskulatur zu minimieren. Die Hyperlordose scheint eine physiologische Adaptation an die schwangerschaftsbedingten biomechanischen Veränderungen zu sein. Schlussfolgerung. Eine vergrößerte Lordose während der Schwangerschaft ist eine mechanische Optimierung, um die lokalen Gegendrehmomente der lumbalen spinalen Segmente zu reduzieren und damit ggf. durch mögliche segmentale Instabilitäten verursachte Schmerzen zu mindern.
P09.4 Axial lumbar back pain: one location – many perceptions and mechanisms M. Förster1, F. Mahn2, R. Freynhagen3, T. Tölle4, M. Brosz5, U. Gockel6, R. Baron7 1Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Sektion Neurologische Schmerzforschung und -therapie, Kiel, Deutschland, 2Christian-Albrechts-Universität Kiel, Schmerzsektion Neurologie, Kiel, Deutschland, 3Benedictus Krankenhaus Tutzing, Zentrum für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Schmerztherapie & Palliativmedizin, Tutzing, Deutschland, 4Zentrum für interdisziplinäre Schmerztherapie, Neurologische Klinik – Klinikum rechts der Isar, TU München, München, Deutschland, 5StatConsult GmbH, Magdeburg, Deutschland, 6CASQUAR GmbH, Bochum, Deutschland, 7Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel, Sektion Neurologische Schmerzforschung und -therapie, Kiel, Deutschland Background. Axial low back pain (LBP) is a common and socioeconomic issue in today’s aging society. Considering LBP as a syndrome with both nociceptive and neuropathic pain components (mixed-pain), it is important to specifically detect the neuropathic proportion in axial LBP. Classical neuropathic pain symptoms are burning, paresthesias and pain attacks. Thus identification of subgroups with certain sensory symptoms may help finding a specific therapy for patients rather than grouping them based on etiology. Additionally we investigated the profile of specific clusters in a cohort of LBP patients who had undergone intervertebral disc surgery. Methods. This investigation uses epidemiological and clinical data on the symptomatology of 1083 patients with axial lumbar pain from a cross sectional survey (painDETECT) –to estimate the component of neuropathic pain which contributes to axial LBP, – to detect subgroups of patients with typical sensory symptom profiles, – to detect differences in post-surgery LBP patients. Findings. The most prominent symptoms were pain attacks, pressureinduced pain and burning sensations. Prickling, allodynia, thermal symptoms or numbness played a minor role or were nearly absent. One third of the patients scored positive or unclear on the PainDETECT questionnaire (PDQ). A hierarchical cluster analysis revealed five subgroups showing a characteristic sensory profile. Two clusters showed only one remarkable sensory symptom while the others were graded as “intermediate” or “never” (pain attacks and pressure-evoked pain).
Two clusters showed two distinct findings (burning/pressure-evoked pain and burning/prickling). One cluster did not show any differences in the characteristic features of pain components. Clusters of postIVD-surgery patients showed similar patterns with a tendency to score rather neuropathic on the PDQ. Interpretation. The detection of neuropathic pain components in axial LBP supports the mixed-pain concept. Even though some features highlight the presence of nociceptive pain (e.g. pressure-induced pain) the appearance of burning and paresthesias are clear indices for neuropathic pain. Sensitization of small nociceptive fibers may explain pain attacks, while neuropathic symptoms likely arise via nerval injury. One explanation is continuous mechanical compression following musculoskeletal instability causing intradiscal small nociceptive sprouts to suffer injury. This effect might be potentiated by IVD surgery since these patients have a greater neuropathic pain component in their overall pain. We identified five specific sensory profiles showing a parallel occurrence of nociceptive and neuropathic pain being a part of axial LBP. However these two components can also be found as separate clusters indicating the one or the other component as the major patho-mechanism. Thus it might help in determining the best therapy for a specific subgroup of patients in axial LBP.
P09.5 Lokale mechanische Hyperalgesie und generalisiert gesteiger te Schmerzempfindlichkeit bei chronisch nichtspezifischem Rückenschmerz C. Puta1, B. Schulz1, S. Schöler2, W. Magerl3, B. Gabriel2, H. Gabriel1, T. Weiss2 1Friedrich-Schiller-Universität Jena, Lehrstuhl für Sportmedizin, Jena, Deutschland, 2Friedrich-Schiller-Universität Jena, Lehrstuhl für Biologische und Klinische Psychologie, Jena, Deutschland, 3Medizinische Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg, Lehrstuhl für Neurophysiologie, Mannheim, Deutschland Hintergrund. Personen mit chronisch nicht-spezifischem Rückenschmerz (CRS) zeigen eine verminderte Schmerzschwelle in Antwort auf schmerzhafte elektrische intrakutane Stimuli am Finger [1]. Diese Befunde werden im Hinblick auf eine zentrale Sensitivierung bei CRS diskutiert. Hypothese. CRS-Patienten weisen verminderte mechanische Schmerzschwellen in Antwort auf schmerzhafte punktuelle Stimulationen sowohl am schmerzhaften (lumbal paraspinal) als auch nicht schmerzhaften Areal (Hand dorsal) verglichen mit gesunden Kontrollpersonen auf. Material und Methode. 14 weibliche CRS-Patienten (Alter: 52,1±3,7 Jahre, VAS 100 mm 4 Wochen: 34±14; HADSA: 7,38±2,93, HADSD: 5,57 ±2,71; CRS>5 Jahre, unmediziert ab 48 h vor Messung, rechtshändig; Ausschluss von psychiatrischen Erkrankungen, Neuropathien, Diabetes, spinale Pathologie – MRT (Red Flags, entzündl. Erkrankungen) und 14 parallelisierte (Alter, Größe, Gewicht, Bildungsstand) gesunde Kontrollpersonen wurden untersucht. Zur Ermittlung der StimulusResponse-Funktion auf punktförmige schmerzhafte Stimuli wurde Nadelstich-Schmerz (Pin-Pricks) in fünf Stimulus-Sequenzen von je sieben punktförmigen Stimuli (Kräfte von 8, 16, 32, 64, 128, 256, und 512 mN) in pseudorandomiserter Reihenfolge [2] lumbal paraspinal und an der Hand dorsal induziert. Die gemittelten NRS (numerische Rating-Skala)-log10-transformierten Schmerzwerte (5 Stimulus-Sequenzen) wurden mittels one-way-ANOVA auf Gruppenunterschiede für jeden punktförmigen Stimulus geprüft. Zur Vermeidung des Verlustes von NRS-Werten von Null wurde vor der log10-Transformation(+0,1) zum angegebene Wert hinzuaddiert [3]. Ergebnisse. CRS-Patienten zeigten am schmerzhaften Areal ein dreibis sechsfach höhere Schmerzsensitivität für niedrige und mittlere punktförmige schmerzhafte Stimuli verglichen zur gesunden Kontrolle (log10 Mittelwert ± SEM, CRS vs. gesunde Kontrolle: 8 mN 0,24±0,18 Der Schmerz · Supplement 1 · 2011
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Abstracts vs. −2,8±0,16, p<0,05; 16 mN: 0,24±0,16 vs. −0,42±0,16, p<0,01; 32 mN: 0,37±0,16 vs. −0,37±0,16, p<0,01; 64 mN: 0,49±0,15 vs. −0,33±0,17, p<0,01; 128 mN: 0,71±0,13 vs. 0,18±0,16; p<0,05). Am nicht schmerzhaften Areal wiesen CRS-Patienten eine drei- bis fünffach höhere Schmerzsensitivität verglichen zur gesunden Kontrolle für Stimuli von 8 mN bis 64 mN auf (CRS vs. Kontrolle; p<0,05: 8 mN −0,17±0,13 vs. −0,75±0,12; 16 mN 0,36±0,16 vs. −0,68±0,13; 32 mN: 0,9±0,16 vs. −0,56±0,14; 64 mN 0,29±0,15 vs. −0,19±0,15). Bei stärkeren Stimuli (256 mN, 512 mN) wurde der empfundene Schmerz zwischen beiden Gruppen sowohl lumbal paraspinal als auch an der Hand dorsum nicht unterschiedlich bewertet. Diskussion/Schlussfolgerung. CRS-Patienten weisen lokale mechanische Hyperalgesie am schmerzhaften und nichtschmerzhaften Areal für niedrige und mittlere punktuelle schmerzhafte Stimuli der Haut auf. Demgegenüber bewerteten beide Gruppen stärkere Stimuli an beiden Testarealen nicht unterschiedlich. Diese Studie weist auf eine generalisiert gesteigerte Schmerzempfindlichkeit bei CRS hin. Gefördert durch das BMBF 01EC1003B. 1. Flor H, Diers M, Birbaumer N. Neurosci Lett 2004 2. Magerl W, Wilk SH, TreedeR. Pain 1998 3. Rolke R, et al. Eur J Pain 2006
P09.6 Ist sehen besser als fühlen? Beobachtung des Rückens reduziert die experimentelle Schmerzintensität bei chronischen Rücken schmerzpatienten M. Diers1, W. Zieglgänsberger1, P. Yilmaz1, R. Bekrater-Bodmann1, J. Foell1, M. Rance1, S. Kamping1, J. Trojan1, A. Drevensek1, G. Erhardt-Raum1, H. Flor1 1Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Lehrstuhl für Neuropsychologie an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Mannheim, Deutschland Fragestellung. Bei Patienten mit chronischem Rückenschmerz ist das Körperbild oft gestört. Für einen selbst ist der Rücken ist eine eher unbekannte Region des Körpers. Bisher ist nicht bekannt, welchen Einfluss eine visuelle Beobachtung des eigenen Rückens auf die Einschätzung experimenteller Schmerzreize in dieser Region hat. Material und Methoden. Wir untersuchten 17 Patienten mit chronischem Rückenschmerz und 17 gesunde Kontrollprobanden. Während der schmerzhaften Reizung des Musculus trapezius mit Druckreizen oder subkutanen elektrischen Reizen wurde den Probanden online Video Feedback des Rückens oder des Handrückens sowie Feedback des vergrößerten oder des verkleinerten Rückens dargeboten. Es wurden Schmerz- und Toleranzschwelle erhoben. Die Druckreize wurden in einer Stärke von 50% und die subkutanen elektrischen Reize 70% über der Schmerzschwelle dargeboten. Die Probanden schätzten die Intensität und Unangenehmheit der Reize nach jedem Stimulationsblock auf einer numerischen Ratingskala (0= gar nicht schmerzhaft bis 10= größter vorstellbarer Schmerz) ein. Ergebnisse. Patienten mit chronischem Rückenschmerz hatten signifikant höhere Schmerzeinschätzung verglichen mit gesunden Kontrollprobanden. Visuelles Feedback des Rückens reduzierte die wahrgenommene Schmerzintensität im Vergleich zu einem Feedback des Handrückens. Diskussion und Schlussfolgerung. Das Sehen der Schmerzregion scheint die aversiven Reize weniger bedrohlich zu machen. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass ein Training des Körperbildes oder visuelles Feedback der Schmerzregion Patienten mit chronischem Rückenschmerz helfen könnte. Diese Forschung wurde unterstützt von PHANTOMMIND des European Research Council (FP7/2007–2013)/ERC Grant Agreement No. 230249.
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Der Schmerz · Supplement 1 · 2011
P09.7 Existiert ein Einfluss von Kinesiotape auf mechanische Schmerz schwellen und taktile Genauigkeit am lumbalen Rücken? S. Funk1, B. Schulz1, D. Nötzel1, B. Gabriel2, T. Weiss2, H. Gabriel1, C. Puta1 1Friedrich-Schiller-Universität Jena, Lehrstuhl für Sportmedizin, Jena, Deutschland, 2Institut für Psychologie, Lehrstuhl für Biologische und Klinische Psychologie, Jena, Deutschland Hintergrund. Die Effekte von Kinesiotaping (KT) sind noch nicht vollständig erforscht. Jüngste Studien weisen daraufhin, dass KT bei chronisch lumbalem Rückenschmerz zu einer signifikanten Reduzierung der Schmerzen führen kann [1]. Die zugrunde liegenden Mechanismen sind weitgehend unbekannt. Fragestellung. Existiert ein Einfluss von Kinesiotape auf die mechanisch schmerzhafte Sensitivität und taktil-räumliche Genauigkeit am lumbalen Rücken? Methoden. 24 Studierende (7 weiblich, 17 männlich, Alter: 24,7±2,2 Jahre; Gewicht: 75,6±15 kg, Größe: 179,1±9,1 cm) wurden untersucht. Das KT wurde mit einer vertikalen Ausrichtung im Bereich zwischen L1L4-5 und einem Wirbelsäulenabstand von ca. 4 cm für einen Zeitraum von drei Tagen randomisiert (linke, rechte Seite) appliziert (Anlage: Muskeltechnik). Die taktil-räumliche Genauigkeit am Rücken wurde mittels 2-Punkt-Diskrimination (TPD, modifizierte Grenzwertemethode, 5 Serien auf-/absteigender Abstände) untersucht. Die Sensitivität auf mechanisch schmerzhafte Stimuli (MPS) wurde mittels Applikation von sieben Pin-Pricks (Intensität 8–512 mN) in einer randomisierten Reihenfolge von 35 Stimuli und einem anschließendem Schmerz Rating (VAS: 0–100) ermittelt. Alle Werte wurden vor und nach der KT-Applikation am Test -und Kontrollreal (korrespondierende Seite paraspinal) untersucht. Zur Analyse der Daten wurde eine Differenzbildung der Werte des Test-/Kontrollareals zwischen der Vor- und Nachmessung durchgeführt, um den Effekt des Tapes zu analysieren. Zum statistischen Vergleich erfolgte ein Wilcoxon-Vorzeichen-Rang-Test. Ergebnisse. Die TPD war zwischen Test(T)- und Kontrollareal(K) nicht signifikant verschieden (Mittelwert ± Standardabweichung; T: 0,23±2,26; K: −0,06±1,65; p=0,47) Die angegebene Schmerzstärke bei MPS war zwischen Test- und Kontrollareal nicht signifikant verschieden (log10 Mittelwert±Standardabweichung; T: 0,28±0,30; K: 0,21±0,26; p=0,063).Bei der Analyse der TPD-Daten wurde ein Patient ausgeschlossen, da er bei der TPD die Grenze des Messinstrumentes erreichte. Diskussion/Schlussfolgerungen. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass KT die Sensitivität auf schmerzhaft mechanische Stimuli sowie die taktil-räumliche Differenzierungsfähigkeit nicht verändert. Es bleibt zu diskutieren, ob die mögliche Veränderung peripherer Schwellen durch KT-Applikation zur Schmerzreduktion [1] beiträgt. Gefördert durch das BMBF 01EC1003B. Paoloni M.Eur J Phys Rehabil Med. 2011, 47(2): 237–243.
P09.8 Vitamin D-Mangel bei chronischen Schmerzpatienten D. Boujong1, R. Jaklin1, J. Holtermann1, O. Eslauer1, C. Sommer1 1Bezirksklinikum Obermain, Anästhesie, Intensivmedizin und Schmerztherapie, Ebensfeld, Deutschland Einführung. Die Bedeutung von Vitamin D für den Knochenstoffwechsel ist seit langem bekannt. In jüngerer Zeit wurde Vitamin D vermehrt mit Schmerzerkrankungen in Verbindung gebracht: So ist die Prävalenz des Vitamin-D-Mangels bei Rheumapatienten hoch, ein Zusammenhang zwischen Vitamin D und Muskelschmerz wird kontrovers diskutiert. Belegt sind auch Effekte auf Muskelkraft und Koordination (Sturzhäufigkeit) von Senioren. Wir untersuchten daher die Häufigkeit eines Vitamin-D-Mangels bei chronischen Schmerzpatienten, sowie
einen möglichen Zusammenhang zwischen Vitamin-D-Spiegel und Muskelschmerz. Methodik. Der 25-OH-Vitamin-D-Spiegel wird bei Patienten unseres multimodalen Schmerztherapieprogramms routinemäßig bestimmt. Wir untersuchten die Häufigkeit des Vitamin-D-Mangels, sowie den Zusammenhang zwischen Vitamin-D-Spiegel und dem Vorliegen muskulärer Schmerzen. Hierzu wurde der Anteil der muskulären Komponente an den Gesamtschmerzen vom behandelnden Physiotherapeuten in einer Ratingskala eingestuft. Der Zusammenhang zwischen muskulärer Komponente und Vitamin-D-Spiegel wird durch Ermitteln der linearen Korrelation geprüft. Die mittleren Spiegel und die Prävalenz des Mangels werden mit den vom Robert-Koch-Institut erhobenen epidemiologischen Daten verglichen. Nach 50 Patienten wurde eine Zwischenauswertung durchgeführt. Ergebnisse. Zum Zeitpunkt der Zwischenauswertung (n=50) betrug der Median der gemessenen 25-OH-Vitamin-D-Spiegel 12,1 µg/l. 84% der Patienten wiesen einen Vitamin-D-Mangel (<20 µg/l) auf, 30% einen erheblichen Mangel (<10 µg/l). Kein Patient erreichte den als optimal angesehenen Spiegel von >30 µg/l. Ein Zusammenhang zwischen Vitamin-D-Mangel und muskulärer Schmerzkomponente oder Fibromyalgie konnte in der Zwischenauswertung bisher nicht bestätigt werden. Diskussion. Die Prävalenz des Vitamin-D-Mangels liegt bei Patienten eines multimodalen Schmerztherapieprogramms erheblich über den vom RKI ermittelten Daten für die Allgemeinbevölkerung (58% Vitamin-D-Mangel). Zur Klärung der Kausalität sind weitere Untersuchungen erforderlich. In jedem Fall sollte der Vitamin-D-Versorgung dieser Patientengruppe vermehrte Aufmerksamkeit gewidmet werden. Interessenkonflikte: Keine.
Diskussion. Nordic Walking ist eine Sportart, bei der Gesundheitsaspekte eine große Rolle spielen. Nordic Walker sind durchschnittlich älter als Läufer, das weibliche Geschlecht überwiegt. Schmerzen treten auch beim Nordic Walking über lange Distanzen auf. Die vorliegende Untersuchung zeigt, dass die Häufigkeit der Einnahme von Schmerzmitteln deutlich geringer ausfällt als bei Langstreckenläufern. Ernsthafte gesundheitliche Störungen im Zusammenhang mit der Einnahme von Analgetika sind von Läufern bekannt [1, 6], werden von Nordic Walkern aber nicht berichtet und finden sich auch nicht in der Literatur. Diese Ergebnisse sind als Hinweise zu werten, die durch größer angelegte Untersuchungen zu überprüfen sind.
P09.9 Schmerzmittel im Breitensport: auch beim Nordic Walking?
P09.10 Medizinische Trainingstherapie im Rahmen der multimodalen Schmerztherapie verbessert signifikant die körperliche Leis tungsfähigkeit bei chronischen Schmerzpatienten
M. Klein1, V. Staar2, F. Mertzlufft1 1Ev. Krankenhaus Bielefeld, Klinik für Anästhesiologie, Intensiv-, Notfall-, Transfusionsmedizin und Schmerztherapie, Bielefeld, Deutschland, 2NORDIC Walking Staar, Enger, Deutschland Fragestellung. Die Einnahme von Schmerzmitteln im Ausdauersport, auch bei Breitensportlern, ist weit verbreitet [1]. Bis zu 60% der Teilnehmer eines Marathons nehmen bereits vor dem Start ein Analgetikum ein [2]. Nordic Walking dagegen gilt als Gesundheitssportart [3, 4, 5]. Dennoch gibt es inzwischen auch Nordic Walking Wettkämpfe über die Marathon Distanz. Über den Einsatz von Analgetika im Zusammenhang mit Nordic Walking ist bisher kaum etwas bekannt. Methoden und Ergebnisse. Befragt wurden 60 Teilnehmer (Nordic Walking) des Hermannslaufes 2011, eines Berglaufes im Teutoburger Wald (Distanz von 31,1 km, bergauf 515 hm, bergab 710 hm), die sich mit strukturiertem Training (3 Mon.) vorbereitet hatten. Geschlechterverteilung: w:m, 2:1, 86% der Befragten zwischen 40 und 60 Jahre alt (41–50 J. 62%, 51–60 J. 24%). Die Trainingsintensität lag zwischen 1 und 3 Einheiten pro Woche. Schmerzen im Zusammenhang mit Training u./o. Wettkampf gaben fast die Hälfte der Teilnehmer (48%) an. Schmerzen bei Trainingseinheiten von 1,5 Stunden hatten 7%. 31% der Sportler berichteten von Schmerzen bei längerem Training (18 km, 28 km). 41% der Sportler hatten Schmerzen im Zusammenhang mit dem Wettkampf. Im Vordergrund standen vor allem Muskelschmerzen. Nur 10% der Nordic Walker nahmen ein Schmerzmittel im Zusammenhang mit Training oder Wettkampf ein. Ein Teilnehmer hatte ein Schmerzmittel vor dem Wettkampf eingenommen. Es wurden Ibuprofen, Diclofenac und Acetylsalicylsäure verwendet. Aber 28% der Befragten nahmen Homöopathische Präparate ein. Gesundheitliche Probleme nach dem Wettkampf wurden von Nordic Walkern in der überwiegenden Mehrheit (75%) verneint. Ernsthafte Störungen kamen nicht vor.
1. Brune, K., Niederweis, U., Küster, M., Renner, B.: Laien- und Leistungssport: geht nichts mehr ohne Schmerzmittel ? Dtsch Arztebl 2009; 106(46): A 2302–4 2. Brune, K., Niederweis, U., Kaufmann, A., Küster-Kaufmann, M.: Jeder zweite nimmt vor dem Start ein Schmerzmittel, MMW-Fortschr. Med. Nr. 40/2009 3. Figard-Fabre, H. et al.: Physiological and perceptual responses to Nordic walking in obese middle-aged women in comparison with the normal walk. European journal of applied physiology 2010 108 (6), 1141–1151 4. Mannerkorpi, K. et al.: Does moderate-to-high intensity Nordic walking improve functional capacity and pain in fibromyalgia? A prospective randomized controlled trial. Arthritis research & therapy 2010, 12 (5) R189 5. Oakley, C. et al.: Nordic poles immediately improve walking distance in patients with intermittent claudication. European journal of vascular and dovascular surgery 2008, 36 (6), 689–94 6. Clarkson, Priscilla M: Exertional rhabdomyolysis and acute renal failure in marathon runners. Sports medicine 2007, 37 (4–5) 361–63
B. Frauenberger1, L. Dorscht1, B. Flatau2, R. Sittl1 1Universitätsklinik Erlangen, Schmerzzentrum, Erlangen, Deutschland, 2Medi train – Zentrum für Gesundheitssport, Erlangen, Deutschland Hintergrund. Die Effektivität eines multimodalen Therapieprogramms bei chronischen Schmerzpatienten ist bereits seit vielen Jahren bekannt. Nach der Metaanalyse von Flor et al. liegt die Schmerzreduktion bei 20 bis 40% [1]. Ein Therapiebaustein ist dabei gezieltes körperliches Training im Rahmen der medizinischen Trainingstherapie. Inwieweit hoch chronifizierte Schmerzpatienten (MPSS II und III) einen messbaren Trainingserfolg durch solch ein Programm erzielen können, ist bislang wenig untersucht [2]. Methode. Wir untersuchten 900 Patienten, die in den Jahren 2000– 2011 an einem multimodalen Therapieprogramm in unserer Tagesklinik teilgenommen haben in Bezug auf ihre körperliche Leistungsfähigkeit vor und nach der Gruppentherapie. Die Patienten führten ein Training mit individuellem Trainingsplan für jede Sporteinheit unter engmaschiger Betreuung durch das sporttherapeutische Team durch. Es erfolgte ein ausführliches körperliches Assessment zur Erhebung der sportlichen Leistungsfähigkeit zu Beginn und am Ende der 5-wöchigen Therapie. Dazu wurden folgende Tests durchgeführt: Narcessian-Squat-Test (Kraftausdauertest), Muskelfunktionstest zur Beurteilung der Dehnfähigkeit nach Janda, OEX-Beweglichkeitsmessung an der oberen Extremität, Koordinationstest nach Verdonck/ Wilke, Jamar-Hand-Dynamometer-Test und der Maximalkrafttest im HWS-/Schulterbereich am Haltungsstabilisator. Ergebnisse. In allen durchgeführten Tests konnten nach 5 Wochen signifikante Verbesserungen gezeigt werden. Sowohl im NarcessianSquat-Test als auch im Jamar-Hand-Dynamometer-Test konnten eine hoch signifikante Leistungs- bzw. Kraftverbesserung erreicht werden. Aber auch im Beweglichkeitstest (OEX-Beweglichkeit an der oberen Der Schmerz · Supplement 1 · 2011
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Abstracts Extremität) und im IPN Ausdauer-Test zeigten die Patienten signifikante Verbesserungen. Eine genaue Darstellung der Ergebnisse wird im Poster präsentiert. Schlussfolgerung. Trotz hohem Chronifizierungsgrad und erheblicher Schmerzen können Schmerzpatienten motiviert werden ein gezieltes körperliches Training im Rahmen einer multimodalen Therapie durchzuführen. Die Verbesserungen im Bereich der körperlichen Leistungsfähigkeit sind außerordentlich hoch. Die guten Ergebnisse sind nur möglich wenn wir die Patienten individuell betreuen und sehr behutsam an die körperliche Betätigung heranführen. Durch dieses Vorgehen kann beim chronischen Schmerzpatienten die Angst vor Bewegung reduziert werden, die eine große Rolle bei der Aufrechterhaltung der Schmerzen spielt und Teil des negativen Teufelskreises ist [3]. 1. Flor H., T. Fydrich, D.C. Turk: Efficacy of multidisciplinary pain treatment centers: a meta-analytic review. Pain49.2(1992):221–30 2. Hois G., Ziehner K.: Sporttherapie mit chronischen Rückenschmerzpatienten. Bewegungstherapie und Gesundheitssport 2005;21:163–172 3. Quint S.: Faktoranalytische Untersuchung der Pain Anxiety Symptom Scala (PASS-D 20) an älteren Patienten mit chronischem Rückenschmerz. Zeitschrift für medizinische Psychologie (4/07):173–9
P09.11 Reduced activation of the deep cervical extensor muscles in patients with neck pain is independent of muscle size J. Schomacher1, S. Boudreau1, D. Falla2 1Center for Sensory-Motor Interaction (SMI), Department of Health Science and Technology, Aalborg University, Aalborg, Dänemark, 2GeorgAugust-Universität Bereich Universitätsmedizin, Schmerztagesklinik/ambulanz am Zentrum Anästhesiologie, Rettungs- und Intensivmedizin, Göttingen, Deutschland Research question. Are changes in the activation of the semispinalis cervicis related to differences in muscle size in patients with neck pain? Material and Methods. Intramuscular EMG was acquired from the semispinalis cervicis at the levels of C2 and C5 from 10 women with chronic neck pain and 9 healthy controls. Subjects performed circular contractions in the horizontal plane at 15 N and 30 N force with continuous change in force direction in the range 0–360º. Tuning curves of surface EMG average rectified value (ARV) were computed from the circular contractions. The mean point of the ARV curves defined a directional vector, whose strength, expressed as a percentage of the mean ARV during the entire task, defined the directional specificity of the muscle activity. In addition, the cross sectional area (CSA) of the semispinalis cervicis was measured with ultrasonography at the same locations of the intramuscular electrodes. Results. Patients displayed reduced EMG amplitude of the semispinalis cervicis at both spinal levels during the circular contractions (average across spinal levels, mean ± SD: 129.01±58.99 µV and 126.83±58.78 µV for the 15 N and 30 N contractions respectively) compared to controls (158.69±66.27 µV and 187.64±87.82 µV; p<0.05). Furthermore, the directional specificity of semispinalis cervicis muscle was lower for the patients during the circular contractions (average across spinal levels, mean ± SD: 17.78±7.45% and 19.33±8.18% for the 15 N and 30 N contractions respectively) compared to controls (22.62±13.81% and 27.73±14.44%; (p<0.05). On the contrary the CSA of the semispinalis cervicis muscle was similar between patients (C2: 220.83±47.13 mm2, C5: 218.13±20.10 mm2) and controls (C2: 213.13±28.48 mm2, C5:238.81±42.68 mm2) at both spinal levels (p>0.05). No significant correlation was found between CSA and EMG activity or directional specificity (R²<0.06; p>0.05). Discussion. In contrast to asymptomatic individuals, the semispinalis cervicis muscle has reduced and less defined activity during a multidirectional isometric contraction in patients with chronic neck pain. The observation that reduced activation was found at two different spinal
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levels suggests that this may be a generalised change in people with neck pain. Reduced activation of the deep semispinalis cervicis may be attributed to a number of mechanisms however the results of this study suggest that it is not related to changes in muscle size. Conclusion. Activity of the semispinalis cervicis is reduced and less defined in patients with neck pain. Reduced activity is likely due to alterations in the neural drive to the muscle.
P11 – Tumorschmerz und Palliativmedizin I P11.1 Tumorschmerztherapie mit PCA-Pumpen-Erfahrungen aus einem ambulanten Palliativnetz E. Lux1, J. Heine1, P. Paul1 1Klinikum St.-Marien-Hospital, Klinik für Schmerz- und Palliativmedizin, Lünen, Deutschland Hintergrund. Zur ambulanten Betreuung vor Palliativpatienten werden auf gesetzlicher Grundlage aktuell in Deutschland neue Versorgungsstrukturen etabliert. Erfahrungen zu Organisation, Kosten und Effektivität von parenteraler Schmerztherapie mit PCA(patientenkontrollierter Analgesie)-Pumpen stehen nur in begrenztem Maße zur Verfügung. Patienten und Methodik. Sofern eine orale oder transkutane Analgetikamedikation für den Patienten im Ergebnis unbefriedigend war oder aufgrund von anderen Symptomen nicht durchführbar war, erfolgte nach Umrechnung anhand von Äquipotenzdaten eine PCA-Therapie. Mittels retrospektiver Datenanalyse von 108, in einem Palliativnetz häuslich mit PCA-Therapie betreuten Patienten, wird die Effektivität des schmerztherapeutischen Verfahrens wie auch dessen organisatorisches Umfeld betrachtet. Ergebnisse. Trotz äquipotenter Dosierungen der Opioidmedikation musste diese bei 12,9% der Patienten nach oben korrigiert werden. Mit Umstellung des Applikationswegen wurde bei allen Patienten eine zufriedenstellende Analgesie erreicht, welche bis zum Lebensende über eine durchschnittliche Zeit von 35 Tage erhalten blieb. Während 3889 Behandlungstagen waren 76 ungeplante Besuche bei den Patenten aufgrund von technischen Problemen notwendig. Schlussfolgerungen. Versagen im Rahmen der Tumorschmerztherapie orale/transkutane Opioidanwendungen, profitieren Palliativpatienten von parenteraler Analgetikaapplikation mit PCA-Pumpensystemen. Diese Therapiemethode ist, sofern sie in der Hand eines geschulten und regelhaft erreichbaren Betreuungsteams stattfindet – häuslich sicher anwendbar.
P11.2 Therapie von Durchbruchschmerz – innovative Optionen oder „flächendeckende Suchterzeugung“ M. Thöns1, T. Sitte2 1Palliativnetz Witten e.V., Witten, Deutschland, 2Deutsche PalliativStiftung, Fulda, Deutschland Hintergrund. Etwa 70% aller Tumorpatienten leiden unter Durchbruchschmerzen, diese sollten u. a. mit kurz wirksamen Opioiden behandelt werden. Aus Studien ergibt sich, dass immer noch ein großer Anteil der Patienten die verschriebenen Medikamente aus Furcht vor Gewöhnung und Sucht nicht einnimmt [1]. Fehlgebrauch und die Gefahren einer Suchtentstehung rücken auch zunehmend in den wissenschaftlichen Fokus, hier stehen vor allem schnell und gut wirksame transmukosale Fentanylpräparate in der Kritik. Anhand einer Pubmed Recherche sollte eine Quantifizierung des Problems versucht werden, um so zu einer Versachlichung der Diskussion beizutragen.
Methoden. Ende Mai 2011 wurde anhand einer Pubmed-Recherche die Trefferzahl aus der Kombination der gemeinsamen Treffer von „misuse OR abuse OR addiction“ mit verschiedenen Substanzen durchgeführt. Ergebnisse. Zu den Suchtbegriffen lassen sich folgende Trefferraten bei folgenden Begriffen finden: Opioid 24.499, Morphine 11.353 (46,4% bezogen auf alle Opioidtreffer), Buprenorphine 1796 (7,3%), Codeine 1342 (5,9), Fentanyl 614 (2,5%), Oxicodone 374 (1,5%), Palladone 261 (1,1%), Tramadol 268 (1,1). Fentanyl mucosal ergab 3, nasal keinen Treffer. Bei Benzodiazepinen ließen sich 7602 Artikel identifizieren, allein für Diazepam 2173. Die drei gefunden Artikel zu mukosalem Fentanyl betrafen Missbrauch von Fentanylpflastern. Diskussion. Auf aktuellen Kongressen wird den kurz wirksamen Opioiden – insbesondere den neueren Fentanylpräparaten – ein erhebliches Suchtpotential zugeschrieben, welches in Äußerungen wie „Der Arzt als Dealer“ oder „Kick auf Rezept“ thematisiert wird. Schlussfolgerung. Obgleich umfangreiche Literatur zum Missbrauch von Opioiden vorhanden ist, konnten zu mukosalen bzw. nasalen Fentanylpräparaten anhand der Suchkriterien keine Arbeiten identifiziert werden. Den Autoren sind zwar aus Gutachtenstellungen einzelne Missbrauchsfälle bekannt, trotzdem kann anhand der Datenbankrecherche ein größeres Problem nicht objektiviert werden. Der unbestrittene Nutzen schnell wirksamer Opioide in der palliativen Behandlung sollte nicht durch eine eher an Emotionen ausgerichtete Diskussion Schaden nehmen [2]. 1. Freye, E: Opioide in der Medizin. Springer, Stuttgart 2010 2. Cicero, T.J., Ellis, M.S., Paradis, A., Ortbal, Z.: Determinants of fentanyl and other potent µ opioidagonist misuse in opioid-dependent individuals. Pharmacoepidemiol Drug Saf. 19 (2010), 1057–1063
P11.3 Qualitätsmerkmal „Wissen“ bezüglich des WHO Stufenschemas stratifiziert durch eine Befragung von Palliativ- und Notfallme dizinern: prospektive/retrolektive Fragenbogenstudie C. Wiese1, C. Lassen1, J. Vormelker1, N. Meyer1, K. Fragemann2, B. Graf1, G. Hanekop3, S. Wirz4 1Universitätsklinikum Regensburg, Klinik für Anästhesiologie, Regensburg, Deutschland, 2Universitätsklinikum Regensburg, Bildungszentrum, Regensburg, Deutschland, 3Universitätsmedizin Göttingen, Zentrum Anästhesiologie, Rettungs- und Intensivmedizin, Göttingen, Deutschland, 4CURA – kath. Krankenhaus im Siebengebirge, Bad Honnef, Anästhesie, Interdisziplinäre Intensivmedizin, Schmerztherapie, Palliativmedizin, Bad Honnef, Deutschland Hintergrund. Die Schmerztherapie mit Opioidanalgetika ist ein bedeutender Teil der Palliativversorgung in Deutschland [2, 5]. Das WHO Stufenschema bildet hierzu eine der Grundlagen der Tumorschmerztherapie. Ziel der vorliegenden Untersuchung war es, tumorschmerztherapeutische Kenntnisse angehender Palliativ- und Notfallmediziner zu ermitteln und mit in der Literatur beschriebenen zu vergleichen und zu diskutieren. Methodik. Die Zielvariable „Wissen“ wurde mittels 24 Items eines standardisierten Fragebogeninstruments fokussiert. Hierzu wurden Teilnehmer von Palliativ- und Notarztausbildungskursen (PK und NK) befragt (prospektive Auswertung der PK, retrolektive Auswertung der NK). Zielvariablen waren die Kenntnis (1) des WHO Stufenschemas, (2) der Therapiestufen, (3) der Therapieprinzipien, (4) der Substanzgruppen, (5) der Medikamentenkombinationen, (6) der Opioidnebenwirkungen, (7) der Auslöser von Tumorschmerzen und (8) der Ursachen für Schmerzzunahmen bei Tumorpatienten. Ergebnisse. In der Gruppe PK war das WHO-Stufenschema 164 Respondenten (88,6%) bekannt, in der Gruppe NK 297 (63,3%). Die PK beantworteten im Vergleich zu NK statistisch signifikant mehr Items korrekt (p<0,001; PK: MW 18/24; SD +2,84; Range 4–24 vs. NK: MW 11/24; SD +5,7; Range 2–24). In der Einzelbetrachtung gab es keine si-
gnifikanten Unterschiede bei den drei Hauptsubstanzgruppen, der Atemdepression als seltene Nebenwirkung sowie den wichtigsten Medikamentenkombinationen. Schlussfolgerungen. Die vorliegende Untersuchung konnte für die Zielvariable „Wissen“ in Bezug auf das WHO Stufenschema und dessen relevante Inhalte unter Berücksichtigung bestimmter Stratfizierungskriterien zeigen, dass die PK insgesamt signifikant bessere Kenntnisse zur Tumorschmerztherapie haben als die NK. Im Literaturvergleich sind die NK auf Basis entsprechender Parameter mit weiteren national und international untersuchten Arztgruppen vergleichbar. Die PK scheinen im Gruppenvergleich und im Literaturvergleich theoretisch besser ausgebildet [1–5]. Die klinische Relevanz muss in weiteren Arbeiten untersucht werden. 1. Bernatzky et al. Schmerz 1999 2. Ensink et al. Schmerz 2002 3. Pflughaupt et al. Schmerz 2010 4. Sabatowski et al. Schmerz 2001 5. Wu et al. Acta Anaesthesiol Taiwan 2006
P11.4 Richtig geklebt wirkt besser! Hat medizinisches Fachpersonal Optimierungspotential bei der Handhabung von opioidhaltigen transdermalen therapeutischen Systemen (TTS)? K. Semmernegg1, S. Aichholzer2, S. Sommersguter2, C. Gosch2, A. Palko2, R. Schantl2, U. Kaum2, M. Krainer1, I. Stelzl2, H. Fuchs2, G. Filzwieser1 1Landeskrankenhaus, Abteilung für Anästhesiologie und Intensivmedizin, Palliativteam, Deutschlandsberg, Österreich, 2Palliativteam, Deutschlandsberg, Österreich Fragestellung. Die Effizienz und Sicherheit opioidhaltiger TTS, sog. Schmerzpflaster, hängt von der richtigen Anwendung ab. Wir gewannen bei unserer palliativmedizinischen Schmerzarbeit den Eindruck, dass außer Patienten und ihrem nichtmedizinischen Umfeld, auch medizinisches Fachpersonal Optimierungspotential in der Handhabung von TTS hat. Ziel der Befragung war die Erhebung des Ist-Zustandes der Anwendungsqualität von opioidhaltigen TTS in unserem Versorgungsbereich (188.000 Einwohner). Zusatzfragen zu dem Thema opioidinduzierte Obstipation sollten zeigen, ob bei medizinischem Fachpersonal diesbezügliche fachliche Informationslücken vorhanden sind. Weiters fragten wir nach der Einschätzung des eigenen Wissensstandes betreffend opioidhaltiger TTS und die Bereitschaft für Schmerzpflasterfortbildungen. Material und Methode. 802 Personen (Hausärzte, med. Fachpersonal unseres Stammspitals Deutschlandsberg, Hauskrankenpflege, Pflegeheime und Palliativ) wurden zu den Themen Handhabung und Eigenschaften von TTS sowie opioidinduzierte Obstipation befragt. Literaturgrundlage waren Fachinfos opioidhaltiger TTS, Patienteninformationsbroschüren der Pharmaindustrie und das Lehrbuch der Palliativmedizin v. Aulbert, Nauck und Radbruch. Ergebnisse. 327 Fragebögen wurden retourniert (40,8%). Nach Palliativ (100%) war die größte Rücklaufquote bei der Hauskrankenpflege (55,1%). Am geringsten war diese bei den Hausärzten (22,3%). 50,2% schätzten ihre Erfahrung als ausreichend ein. 83,2% bekundeten Fortbildungsinteresse. 74,3% waren weiblich. 58,7% wussten, dass ein teilgelöstes TTS entfernt und durch ein neues gleicher Stärke ersetzt werden sollte. 79,8% kannten den richtigen Entsorgemodus gebrauchter TTS. 30% gaben an, die 7-Tage-Pflasterkarenz einer zuvor beklebten Hautstelle zu kennen. 66,7% wussten, dass zwei unterschiedlich lang klebende Fentanyl-TTS nach 72 h, gerechnet vom erstgeklebten entfernt und durch eines oder mehrere, entsprechend der Gesamtdosis, ersetzt werden müssen. 36,7% würden lange Haare an der Klebestelle mit der Schere kurz schneiden. 73,1% entschieden sich für vorausblickendes Rasieren. 44% war bekannt, dass Opioid-TTS-Träger Sauna und Solarium vermeiden sollten. 66,4% kannten die NW Obstipation Der Schmerz · Supplement 1 · 2011
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Abstracts bei Opioid-TTS. 48% wussten, dass in diesen Fällen die regelmäßige Einnahme von Laxanzien erforderlich sein kann. Innerhalb der Befragungsgruppen gab es große Ergebnisunterschiede. So wussten z. B. 81,8% der Hausärzte, 62,5% der Spitalsärzte, 53,4% der DGKP Pflegeheim und 41,8% der DGKP Krankenhaus, dass TTS langsam ihre Wirkung entfalten. Die angeführten Ergebnisse sind ein Teil der erhobenen Gesamtdatenmenge.Diskussion. Adäquates Wissen über opioidhaltige TTS ist bei med. Fachpersonal unseres Versorgungsgebietes nicht ausreichend vorhanden. Dieses Defizit an Fachkenntnis weist auf ein deutliches Optimierungspotential hin. Schlussfolgerung. Praxisorientierte schmerztherapeutische Ausbildungen und Fallbesprechungen sowie anwenderfreundliche Infos zum Nachlesen könnten adäquate Optimierungsinstrumente sein. Wichtig erscheint uns, dass die Sensibilisierung für schmerztherapeutische Themen in einem frühen Stadium der beruflichen Sozialisation begonnen und weiterführend kompetent begleitet wird. Ein fachlicher Schulterschluss von Pharmaindustrie und med. Versorgungssystemen ist dafür wünschenswert.
P11.5 Suizidalität trotz Schmerzkontrolle und Palliative Care N. Noll1, B. Schlisio1 1Universität Tübingen, Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin, Tübingen, Deutschland Problemstellung. Der Wunsch nach selbstbestimmter Lebensbeendigung ist bei Palliativpatienten weder ein häufiges aber auch kein seltenes Phänomen. Dieser Wunsch könnte sogar mit der zunehmenden Wertstellung des Individuums und dem Ideal eines autonomen Lebens in unserer säkularisierten Welt weiter an Bedeutung gewinnen. Epidemiologische Untersuchungen zum Wunsch nach Selbsttötung spiegeln die Relevanz des Problems. In der Debatte um die Bewertung des ärztlich assistierten Suizids während des Ärztetag 2011 fand diese Problematik ihren berufspolitischen Ausdruck. Material und Methoden. Es wird der Fall einer 68-jährigen Patientin dargestellt, die wegen therapieresistenter Schmerzen eine spezielle palliativmedizinische Betreuung erhielt. Die Schmerzkontrolle und die dadurch mögliche Mobilisierung der Patientin gelangen nahezu vollständig durch eine intrathekale Analgetikaapplikation. Acht Wochen später tötete sich die Patientin durch die gleichzeitige Applikation von mehreren Fentanylpflastern. Anhand dieses Falls und der Literaturanalyse werden Inzidenz und Prädiktoren von Suizidalität bei Palliativpatienten erörtert. Ergebnisse und Diskussion. Schon 1998 haben Breitbart et al. bei ihrer epidemiologischen Untersuchung feststellen müssen, dass 10–20% der Krebskranken Suizidgedanken äußern. Das Institut für Demoskopie Allensbach hat in seiner 2010 durchgeführten Umfrage ermittelt, dass bereits jeder 3. Arzt der befragten Stichprobe um Hilfe beim Suizidvollzug gebeten wurde. Die im gleichen Jahr von der Ruhruniversität Bochum initiierte Umfrage bei 1600 Mitgliedern der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin ermittelte 10 Fälle von Sterben auf Verlangen. Robson et al. konnten in ihrem 2009 publiziertem Review eine standardisierte Mortalitätsrate durch Suizid von 1–11 bei Tumorpatienten im Vergleich zur Normalbevölkerung feststellen. Als Determinanten für den Sterbewunsch werden körperliche Funktionseinbusse, Depression, Hoffnungslosigkeit, Einsamkeit und Krankheitsentität ermittelt. Wie in unserer Falldarstellung gezeigt, können der initiale Behandlungserfolg und der starke Fokus auf die körperlichen Symptome zu Fallstricken bei der Beurteilung der Lebensqualität von Palliativpatienten werden. Depression und Hoffnungslosigkeit auf der Patientenseite und die Hilflosigkeit der Behandler auf der anderen Seite haben zu einer zunehmenden Akzeptanz von ärztlicher Suizidhilfe geführt. Um aus diesem Dilemma zu finden, muss die palliativmedizinische Forschung praktikable und wirksame Copingstrategien für Palliativ-
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patienten entwickeln. Als Beispiel sei die von Chochinov et al. probagierte Dignity Therapie genannt.
P11.6 „Therapieverlaufskontrolle im Rahmen der AAPV durch aktive Patienteneinbindung“ erste Erfahrungen (www.krebs-therapie begleiter.de) K. Gastmeier1, T. Leipold2 1Zentrum für ambulantes Operieren und Schmerztherapie, Potsdam-Babelsberg, Deutschland, 2ClinPath GmbH, Berlin, Deutschland Die Anwendung der Therapieverlaufskontrolle zielt auf die hausärztlich Versorgung von Krebspatienten zwischen Erstdiagnose (allgemeine ambulante Palliativversorgung in den verschiedenen Stufen (AAPV) und Spezieller ambulanter Palliativversorgung (SAPV). Am 16.03.2011 erfolgte im Rahmen des Aktionstages gegen Tumorschmerz eine umfangreiche Information über die Medien. Unter den Begriffen „Krebs“ und „Therapiebegleiter“ kann man sich hierzu leicht einen Überblick an Informationen dazu aus dem Internet verschaffen. Seit dem 01.04.2011 steht ein Server bei der Kv-comm in Potsdam zur Verfügung, der alle Datenschutzrechtliche Voraussetzungen erfüllt, um ein solches Projekt in Angriff zu nehmen. Durch eine einfache Online-Anmeldung auf dieser Plattform können spezielle Verlaufssymptome und Begleiteinschätzungen eigenständig durch Patienten oder deren Angehörige durch regelmäßige und strukturierte Fragebögen erfasste werden. Die bisher erhobenen Daten sollen im Poster ausgewertet und dargestellt. Eine Unsicherheit beim Therapiebegleiter war es, ob dies vom Patienten angenommen und nachvollzogen werden würde. Welche Patientengruppen (Alter, Geschlecht u. a.) würden sich beteiligen? Regionale Verteilung der Beteiligten (PLZ?) feststellen. Wo sind Schwerpunkte bzw. Lücken? Welche Schwerpunkte/Problem lassen sich aus den eingegebenen Daten erkennen? Gibt es außer Krebspatienten auch andere Patientengruppen, die sich über den Therapiebegleiter vertreten lassen wollen? Aus den o. g. Punkten soll der Fragebogen den aktuellen Patientenproblemen angepasst und erweitert werden. Finanzierung ist nach wie vor zu klären. Dem Idealismus der Beteiligten ist die Entstehung und Primärabsicherung des Projektes zu verdanken. Dies wird auf Dauer nicht ausreichen. Mit dem Poster wollen wir auf dem Schmerzkongress interessierte Kolleginnen und Kollegen in den verschiedenen Arbeitskreisen bzw. Institutionen finden, die die Idee des Therapiebegleiters für ihre Patienten nachvollziehen und sich dem Projekt anschließen können.
P11.7 Integrative tagesambulante spezielle Schmerztherapie für Krebs-Schmerzpatienten (ITASSK) seit 3 Jahren ein erfolgreiches ambulantes Therapiekonzept K. Gastmeier1, H. Warnholz1, H. Jopke1, U. Petersohn2 1Zentrum für ambulantes Operieren und Schmerztherapie, PotsdamBabelsberg, Deutschland, 2Institut f. Künstliche Intelligenz, Fakultät Informatik, TU Dresden, Dresden, Deutschland Hintergrund. Die integrative tagesambulante spezielle Schmerztherapie für Krebs-Schmerzpatienten (ITASSK) hat sich als auf der Basis des Dysfunktionsmodells für chronisch schmerzkranke Patienten in der Praxis bewährt. Auch die Anpassung des Modells speziell für Krebsschmerzpatienten und ältere Patienten in der ambulanten Therapie ist in den letzten Jahren erfolgreich verlaufen. Durch konsequente Prophylaxe und integrative Bewegungs- und Verhaltenstherapie im Sinne von Adherence sind Krebsschmerz und chronische Schmerzen zeitnah und langfristig reduzierbar. Gerade sog. „austherapierte“ Patienten können von unserem Konzept profitieren – im Sinne einer kostenschonenden und ambulanten lösungsorientierten Kurzzeittherapie. Unser
Therapiekonzept kann damit zur Kostensenkung bzgl. Medikamenten und Betreuungskosten beitragen. Sie lässt sich gut im Praxisalltag interdisziplinär mit speziell geschulten Physio- und Integrationstherapeuten flächendeckend durchführen. Methode. Kernstück ist, nach einem Screening (Anamnese, Untersuchung, Konzeptaufklärung u. Therapiezielbestimmung) eine Übungsfolge in sieben Therapieeinheiten, in denen sich die Therapie auf die Aspekte der Edukation, kognitiv-verhaltenstherapeutische, aktivfunktionale Übungen und eine intensive strukturierte Körper- und Atem-Wahrnehmung konzentriert. Während dieser Therapieeinheit beginnt die Auflösung von dysfunktionalen Verkettungsmuster. Dies erlebt der Patient selbst in seinem sich erweiternden Bewegungsspielraum als sehr intensiven sensorischen Input. Für zeitnah auftretende Schmerzen ist immer der Schmerztherapeut in räumlicher Nähe und für eine möglicherweise notwendige Intervention Abruf bereit. Dies schafft eine optimale Grundlage für die notwendige Vertrauensbildung und gestattet dem Patienten – im Wechselspiel von Schmerz und zunehmender Mobilität – seine Grenzen achtsamkeitsbasiert zu überwinden. Damit beginnt die von uns erwartete Schmerzüberschreibung, z. T. die kognitive Umstrukturierung. Bewährt hat sich die Durchführung in einer gleichbleibenden Kleingruppe (6–8 Patienten), die für diese intensive Therapie den erforderlichen stützenden sowie motivierenden Rahmen schafft. Zur Verlaufsdokumentation und Therapieevaluation setzen wir aus Praktikabilitätsgründen den WHO-Fragebogen zur Lebensqualität („Wellbeing Five“) und den DGSS-Fragebogen ein, der mittels der Computersoftware iSuite (Wissensbanksystem iSuite®V. 3.3.) vom Patienten dokumentiert wird. Ergebnisse. Die vorläufigen Ergebnisse für den Untersuchungszeitraum vom 01.01.2009 bis dato weisen differenzierte und positive Aspekte des ambulanten Kurzzeittherapiekonzeptes ITASSK nach. Die Ergebnisse sollen für die Gesamtgruppe der nach dem ITASSK Konzept therapierten Patienten und gesondert für Krebs- und Rückenschmerzpatienten sowie „älteren“ Patienten dargestellt werden. Die Ergebnisse werden anhand von Delta-Charts erläutert. Diese stellen einen guten Indikator für den Behandlungserfolg in der jeweils ausgewerteten Kategorie dar.
P11.8 Anforderungen an die innerklinische konsiliarische Betreuung von Palliativpatienten unter besonderer Berücksichtigung der schmerztherapeutischen Beratung J. Schlink1, A. Geyer1, J. Erlenwein1, F. Petzke1, F. Nauck1 1Zentrum Anästhesiologie, Rettungs- und Intensivmedizin, Universitätsmedizin Göttingen, Schmerz- Tagesklinik und -Ambulanz, Göttingen, Deutschland Fragestellung. Ziel der Untersuchung ist es, das Profil und Spektrum innerklinischer Konsilleistungen eines Palliativdienstes unter besonderer Berücksichtigung der schmerztherapeutischen Betreuung an einer Universitätsklinik darzustellen. Material und Methode. Es wurden alle ärztlichen Konsile des palliativmedizinischen Konsiliardienstes (eigener Konsildienst neben Akutschmerzdienst und Schmerzambulanz) der Abteilung Palliativmedizin der Universitätsmedizin Göttingen aus 3 Jahren (2008 bis 2010) inhaltlich und quantitativ hinsichtlich Indikations-, Patienten- und Leistungsspektrum und getroffenen Empfehlungen ausgewertet. Ergebnisse. 273 Patienten wurden im Rahmen von 950 Konsultationen mitbehandelt und ausgewertet. Die Mehrzahl der Patienten entstammte den konservativen Disziplinen (45,4% Innere Medizin, 11% Strahlentherapie, 4,8% Neurologie, 1,5% Dermatologie, 1,1% Pädiatrie). 16,2% der Patienten wurden primär von großen chirurgischen Disziplinen betreut, 18,2% von kleinen chirurgischen Fächern (Gynäkologie 9,5%). 71,8% der Patienten wurden während eines stationären Aufenthaltes konsiliarisch betreut, 28,2% im Rahmen eines ambulanten Aufenthaltes. Patienten mit Tumorerkrankungen waren mit 97,9% am häufigsten
Grund für die Anforderung. 63,0% der Patienten boten eine Schmerzproblematik, in 40,3% handelte es sich um Tumorschmerzen. Es überwogen nozizeptive somatische und viscerale Schmerzen. 7,3% der Patienten hatten neuropathische Schmerzen. Zielauftrag des Konsils war in 20,5% eine Therapieoptimierung und in 34,8% die stationäre Übernahme oder ambulante palliativmedizinische Anbindung. Als Konsilleistung wurde bei 76,2% der Patienten eine Optimierung der Analgesie empfohlen (95,7% opiatbasiert). Für 7% der Patienten wurden physiotherapeutische Maßnahmen, für 4,8% psychologische und psychosomatische Betreuung empfohlen. Bei 25,6% der Patienten erfolgte die Empfehlung für sozialrechtliche Beratung (Pflegestufe, Hilfsmittel, Patientenverfügung). Bei 61,5% erfolgte ein Gespräch zu Krankheitsverarbeitung mit Patient, Angehörigen oder als Familiengespräch. Bei 64,5% der Patienten war die Organisation einer ambulanten oder stationären Palliativversorgung Teil der Leistung. Eine ambulante oder stationäre Anbindung an eine spezialisierte palliative Einrichtung (Palliativstation, Ambulanter Palliativdienst, Hospiz) wurde für 88,6% der Patienten empfohlen. 86,8% aller Patienten wurde im Verlauf an die eigene Abteilung ambulant oder stationär angebunden. Diskussion. Im Rahmen der konsiliarischen Betreuung palliativer Patienten wird ein breites Spektrum an Leistungen erbracht. Dabei steht neben organisatorischen Leistungen und Unterstützung der Krankheitsverarbeitung besonders die schmerztherapeutische Beratung im Vordergrund. Neben der ärztlichen Betreuung bedarf es auch psychologischer Begleitung, physiotherapeutischer Behandlung und sozialrechtlicher Beratung. Schlussfolgerung. Neben den schmerztherapeutischen Leistungen bedarf es auch bei der innerklinischen Betreuung von Palliativpatienten multidisziplinärer Ansätze, um den Anforderungen an eine bedarfsadaptierte Weiterversorgung im stationären oder ambulanten Bereich gerecht zu werden.
P11.9 Paragraph 2 Abs. 1b der BtMVV behindert die individuelle Be handlung von Patienten mit stärksten Tumorschmerzen M. Zimmermann1, M. Schrott2, K. Zacharowski1 1Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie, Frankfurt am Main, Deutschland, 2Central-Apotheke, Steinbach, Deutschland Kasuistik. Eine 68-jährige Patientin mit der Diagnose Bronchial Ca mit ausgeprägter lumbosakraler Metastasierung (ED 2011, Mamma Ca ED 1990‘), hatte unter einer Schmerztherapie (Hydromorphon 3-mal 20 mg, Morphin Perf. 10 mg/h, Lyrica 2-mal 75 mg, Ibuprofen 2-mal 800 mg) noch starke Tumorschmerzen (NRS 5-8) an der Wirbelsäule. Unter der bestehenden Therapie war sie sediert, kaum kontaktfähig und nach abgeschlossener Strahlentherapie überwachungspflichtig. Es wurde ein untertunnelter PDK (postoperative Standardmedikation: Sufenta epidural/Ropivacain) gelegt, der es ermöglichte die Schmerzen auf NRS 1–2 zu senken, sowie Morphin und Hydromorphon auszuschleichen bzw. stark zu reduzieren. Die Patientin klarte hierunter auf und konnte wieder mit ihren Angehörigen kommunizieren. Die heimatnahe Verlegung konnte nicht durchgeführt werden, da eine patientenbezogene Verschreibung für Sufentanil nicht möglich war. Die versorgende Apotheke der Palliativstation, sowie die Apotheke eines ambulanten Pflegedienstes waren daher nicht in der Lage die eingeleitete Therapie fortzusetzen. Dies wurde auf Nachfrage durch das zuständige Regierungspräsidium und die Bundesopiumstelle in Bonn schriftlich bestätigt. Die Weiterführung der epiduralen Schmerztherapie mit dem hierfür zugelassenen Medikament entspräche einem Offlabel use mit den entsprechenden juristischen Konsequenzen. Diskussion. Alternativen wären eine Umstellung auf die Vormedikation oder eine Neueinstellung der epiduralen Therapie auf Medikamente, die erneut zu einer starken Sedierung geführt hätten. Weitere mögliche Konsequenzen bestanden in einer unbeabsichtigten termiDer Schmerz · Supplement 1 · 2011
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Abstracts nalen Sedierung und einer verlängerten Krankenhausliegezeit. In der geschilderten palliativen Situation der Patientin mit kurz zu erwartender Lebenszeit stellt die BtMVV eine ethisch nicht zu vertretende Einschränkung der therapeutischen Freiheit für ein zugelassenes Medikament dar.
P11.10 Querschnittfach 13 Palliativmedizin: Strukturentwicklungen mit Integration der Schmerzmedizin A. Kopf CBF, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Klinik für Anästhesiologie m.S. operative Intensivmedizin, Berlin, Deutschland Hintergrund. Eine Vielzahl von Erkrankungen äußert sich durch Schmerzen und Schmerzen sind der häufigste Grund, warum ein Arzt aufgesucht wird. Während sich nach Einführung der „Speziellen Schmerztherapie“ vielerorts hoch spezialisierte Ambulanzen und Praxen für Schmerzmedizin etablieren konnten, werden gleichzeitig in der Mehrzahl der ambulanten und stationären Behandlungseinrichtungen Schmerzen weiterhin gar nicht wahrgenommen oder insuffizient behandelt. Da Fort- und Weiterbildungen in den letzten zwei Dekaden daran kaum etwas ändern konnten, sollte es das Ziel sein, jedem angehenden Arzt bereits während des Studiums die Grundlagen der „Allgemeinen Schmerzmedizin“ zu vermitteln. Leider weisen universitäre Lernzielkataloge nur vereinzelt für die Schmerzmedizin relevante Inhalte aus, ein eigenes Fach Schmerzmedizin ist in der aktuellen Approbationsordnung von 2003 nicht vorgesehen. Die DGSS hat daher die Anpassung der Ärztlichen Approbationsordnung (ÄAppO) aus dem Jahr 2009 begrüßt, in der (leider nur) die Palliativmedizin erstmals in einem so genannten Querschnittsbereich (Q13) Pflichtlehr- und Prüfungsfach wurde. Da die Lehrinhalte von Palliativ- und Schmerzmedizin in einigen Bereichen thematische Überschneidungen aufweisen, sind auf Fakultätsebene einige teilweise sehr unterschiedliche Entwicklungen zu beobachten. In der vorliegenden Befragung sollte versucht werden, die Integration von Schmerzmedizin in das Q13 zu einem Zeitpunkt zu untersuchen, an dem die meisten Fakultäten die Lehrveranstaltungsordnungen verabschiedet haben oder unmittelbar davorstehen. Methodik. Teilnehmer des Erlanger Treffens (der DGAI) der Lehrkoordinatoren aller medizinischer Fakultäten im April 2011 wurden mit einem Fragebogen am Ende des Sommersemesters 2011 gebeten, Angaben über den Umfang der Lehre im Q13 zu machen, die verwendeten Lehrformate, den Anteil schmerzmedizinischer Inhalte, die Fächerbeteiligung und die Verwendung der Curricula für die Lehre der DGSS und der DGP. Ergebnisse. Die Rücklaufquote betrug 77% (27 von 35 Fakultäten). Der Lehrumfang für das Q13 wurde im Mittel mit 25 Std. angegeben (2-50), der Anteil schmerzmedizinischer Inhalte daran mit 21% (5-50), die von anästhesiologischen Dozenten unterrichteten Stunden mit 10 (0-26). In 7 Fakultäten ist die Anästhesiologie nicht an der Lehre von Q13 beteiligt. Das Curriculum Schmerzmedizin für die Lehre der DGSS wird von 50% der befragten Fakultäten verwendet, das Curriculum Palliativmedizin der DGP von 73%. Diskussion. Die Einführung des QF13 hat zu vielen unterschiedlichen lokalen Lösungen geführt, da die Approbationsordnung weder Umfang, noch Struktur und Inhalte des neuen Querschnittfaches vorgegeben hat. Schmerzmedizinische Inhalte sind in unterschiedlichem Umfang in den Lehrveranstaltungsordnungen berücksichtigt worden. Nur in 6 von 27 Fakultäten hat die Schmerzmedizin allerdings einen Umfang von mehr als 25%. Dozenten der Anästhesiologie sind – neben v.a. Onkologen und Radiologen – häufig als Dozenten beteiligt. Die Befragung bildet den voraussichtlichen Lehrezustand für die nächsten Jahre ab. Trotz der erfreulich hohen Anteile von schmerzmedizinischen Inhalten in einigen Fakultäten wird die Abbildung der Schmerzmedizin im Q13 insgesamt nicht den klinischen Erfordernissen der in der Praxis unverzichtbaren „Allgemeinen Schmerzmedizin“ gerecht.
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Die Ergebnisse sollen alle für die Lehre Verantwortlichen dazu ermutigen, schmerzmedizinische Lernziele durch Dozentenexport in das Q13 oder andere Fächer bzw. Querschnittfächer zu ermöglichen. Gleichzeitig sollten die erfolgreiche Einführung des Q13 und seine innovativen Lehrformate (s. Lehrumfrage des BVMD von 2010) das Bemühen um ein „Q14 Schmerzmedizin“ stimulieren. Sollten moduläre Studiengänge zukünftig zunehmen, könnten auch individuelle Lösungen in der Lage sein, die schmerzmedizinische Lehre in Zukunft sicherzustellen.
P15 – Multimodale und andere Therapieverfahren I P15.1 Effektivität multimodaler Schmerzbehandlung unter besonde rer Berücksichtigung der schmerzbezogenen Medikamenten einnahme E. Neuschulz1, M. Pfingsten1, G. Pavlakovic1, F. Petzke1 1Universitätsmedizin Göttingen, Schmerztagesklinik und -Ambulanz, Göttingen, Deutschland Fragestellung. In der Behandlung chronischer Schmerzen haben sich in den letzten Jahren sog. multimodale Behandlungsprogramme als erfolgreich erwiesen. Die längerfristige Effektivität dieser Behandlungsprogramme wurde anhand unterschiedlicher Effektparameter bisher mehrfach nachgewiesen, nicht jedoch nicht in Bezug auf die Optimierung bzw. Reduzierung der Analgetika-Einnahme untersucht. In einer amerikanischen Studie war festgestellt worden, dass Patienten mit Opiat-Einnahme sich in der Effektivität der Ergebnisse multimodaler Behandlung nicht von denjenigen unterscheiden, die keine Opiate einnahmen. Die Studienlage zu dieser Frage ist allerdings sehr begrenzt. Abgesehen von der Effektivität in Bezug auf Schmerz, Funktionsfähigkeit sowie psychometrische Parameter interessierte uns im Besonderen die Frage, ob durch eine multimodale Behandlung stabile Reduzierungen der Analgetika-Einnahme erreicht werden können und in der 1-Jahres-Katamnese beibehalten werden. Material und Methoden. 66 Patienten (62% Frauen, mittleres Alter 51 Jahre, mittlere Schmerzdauer 82 Monate (fast 7 Jahre), mittlere Schmerzintensität NRS 5,9), die wegen unterschiedlicher chronischer Schmerzsyndrome an der multimodalen tagesklinischen Behandlung teilgenommen haben, wurden in Bezug auf die langfristige Effektivität der Behandlung (1-Jahres-Katamnese) im Rahmen der Qualitätssicherung regulär nachuntersucht. Zur Quantifizierung der Analgetika wurde u. a. die Medication Quantification Scale III eingesetzt. Bei dieser Quantifizierung sind für die Bewertung der individuellen Medikamenten-Einnahme explizit Toxizität, Nebenwirkungsrate und langfristige Risiken in einem Summenwert berücksichtigt. Des Weiteren erfolgte eine qualitative Bewertung der Medikamenten-Einnahme durch ein Ranking-System für die Veränderung der MedikamentenVerschreibung zwischen den Messzeitpunkten a) vor und sofort nach Behandlung, b) vor und 1 Jahr nach dem Ende der Behandlung Ergebnisse. Wie erwartet zeigten sich in der 1-Jahres-Katamnese gute bis sehr gute und anhaltende Effekte. Die subjektive Schmerzintensität, das subjektive Beeinträchtigungserleben, Depressivität und Angstsymptome, sowie die subjektive Lebensqualität zeigten gute bis sehr gute und anhaltende Verbesserungen. 70% der Patienten werteten auch 1 Jahr nach der Behandlung dieselbe noch als guten bzw. sehr guten Erfolg. Die eingenommenen Analgetika konnten sowohl optimiert als im Mittel auch deutlich reduziert werden, der MQS-Score reduzierte sich von durchschnittlich 9,4 vor Behandlung auf 6,4 nach Behandlung und hatte 1 Jahr nach Abschluss einen Wert von 7,4. Bei 30 Patienten (45%) war eine Reduktion der Medikamente um mindestens 30% der vorhergehenden Dosierung möglich, 10 Patienten (16%) nahmen auch in der 1-Jahres-Katamnese keine Analgetika mehr ein.
Diskussion. Durch unsere Untersuchung konnte die gute Effektivität multimodaler Schmerzbehandlung auch anhand der Verringerung der Medikamenteneinnahme demonstriert werden.
P15.2 Begleitung der Leistungserweiterung um eine stationäre multimodale Schmerztherapie unter dem Gesichtspunkt der Patientenzufriedenheit und der Prozessoptimierung R. Hecker1, J. Schröder2, O. Steidle3 1Evangelische Kliniken Gelsenkirchen GmbH, Leitung Qualitäts- und Medizinprozessmanagement, Gelsenkirchen, Deutschland, 2Evangelische Kliniken Gelsenkirchen GmbH, Schmerztherapie, Gelsenkirchen, Deutschland, 3Evangelische Kliniken Gelsenkirchen GmbH, Qualitäts- und Medizinprozessmanagement, Gelsenkirchen, Deutschland Fragestellung. In der multimodalen Schmerztherapie werden viele unterschiedliche Spezialtherapien in einer hohen Taktung angeboten. Hieraus ergibt sich die Fragestellung, ob bei einer so hohen und vielschichtigen Therapievorhaltung positive Deckungsbeiträge zu realisieren sind. Trotz des hohen wirtschaftlichen Drucks steht in den Evangelischen Kliniken immer der Patient im Vordergrund, so dass neben der optimalen Therapieanordnung ausreichend Regenerationsphasen vorenthalten werden müssen. Material und Methode. Im Zeitraum Mai 2010 bis Mai 2011 wurden folgende Materialien erhoben und analysiert: – Patientenfragebögen: In dem Patientenfragenbogen, den alle Patienten bekommen, wird die Zufriedenheit über die einzelnen Therapien und über die organisatorischen Abläufe abgefragt. – Patientenakten: Aus den Patientenakten wurden die relevanten medizinischen/pflegerischen Daten gewonnen. Es wurde eine Stichprobe gezogen und analysiert. – K linischer Behandlungspfad mit integriertem Prozesskostenbericht: Aus dem Prozesskostenbericht konnten die relevanten wirtschaftlichen Daten gewonnen werden, welche zur wirtschaftlichen Analyse dienten. Ergebnisse. Durch die Auswertung der Patientenfragebögen konnte festgestellt werden, dass bei einer Rücklaufquote von 70%, für den medizinisch/pflegerisch/therapeutischen Bereich eine Durchschnittsbewertung von 1,72 (Schulnotensystem) abgegeben wurde. Im organisatorischen Bereich konnte ein Wert von 1,52 realisiert werden. Die Gesamte multimodale Schmerztherapie wurde mit einer Note von 1,37 bewertet. Neben anderen Ergebnissen, konnte bei der Auswertung der Patientenakten eine durchschnittliche Verbesserung der NRS-Werte um −2,4 Punkte herausgearbeitet werden. In der Prozesskostenrechnung wurden, anhand des klinischen Behandlungspfades, eine Kalkulation durchgeführt. Hierbei konnte erarbeitet werden, dass bei Einhaltung des klinischen Pfades ein positiver Deckungsbeitrag von 235,23 € realisiert werden kann. Diskussion. Bei einer Rücklaufquote von 70% der Patientenfragebögen kann von einer repräsentativen Beurteilung der Ergebnisse ausgegangen werden. Die sehr gute Beurteilung der Patienten schließt darauf, dass die optimierte Prozessstruktur nicht zu Lasten der Patienten geht. Die Reduktion des Schmerzempfindens der Patienten, im Durchschnitt um Minus 2,4 NRS-Punkten, lässt eine positive medizinische Beurteilung zu. Durch den positiven Deckungsbeitrag kann ebenfalls eine optimale Prozessstruktur belegt werden. Schlussfolgerung. Die subjektive schmerzfreie Lebensqualität der Patienten konnte von 25 auf 50% gesteigert werden. Durch eine gute Prozessorganisation und eine patientenfreundliche (Ausgewogenheit zwischen Therapie- und Regenerationsphasen) Anordnung der Therapien, lassen sich positive Deckungsbeiträge realisieren, welche nicht zu Lasten der Patienten gehen. Die multimodale Schmerztherapie kann, unter Berücksichtigung einer hohen Patientenzufriedenheit, wirtschaftlich organisiert werden.
P15.3 Evaluation einer tagesklinischen multimodalen Therapie bei lokalisationsunspezifischen chronischen Schmerzen (IMPERA pain study) A. Höra1, P. Hungerland1, C. Funke1, A. Sablotzki1 1Klinik für Anästhesiologie, Intensiv- und Schmerztherapie am Klinikum St. Georg, Leipzig, Deutschland Fragestellung. Die Wirksamkeit multimodaler Schmerztherapie ist insbesondere für chronische Rückenschmerzen gut belegt. Im Rahmen der IMPERApain Study wurde ein seit Mai 2006 im Klinikum St. Georg Leipzig bestehendes multimodales tagesklinisches Behandlungsprogramm zur Therapie chronischer Schmerzen evaluiert. Dieses Therapieprogramm basiert auf dem wissenschaftlichen Hintergrund des „functional restoration“-Modells. Ziel ist die Aktivierung körperlicher, psychischer und sozialer Ressourcen. Die Behandlung dauert insgesamt fünf Wochen (vier Wochen plus eine Wiederholungswoche nach drei Monaten). Untersucht wurde die Therapieeffektivität bezogen auf Schmerzerleben (Intensität und Qualität), Depressivität und schmerzbedingte Beeinträchtigung unabhängig von der Schmerzlokalisation. Methode. Eingeschlossen wurden Schmerzpatienten mit einem Chronifizierungsgrad von II–III nach Gerbershagen unabhängig von der Schmerzlokalisation. Die Datenerhebung fand mittels folgender psychometrischer Verfahren zur Diagnostik der Schmerzverarbeitung statt: Numerische Ratingskala NRS (Schmerzstärke), Schmerzempfindungsskala SES (Schmerzqualität), Allgemeine Depressionsskala ADS (Depressivität) und Pain Disability Index PDI (schmerzbedingte Beeinträchtigung). Die Verlaufsbeobachtung erfolgte zu fünf verschiedenen Zeitpunkten: T0 zu Beginn, T1 am Ende der vierwöchigen Behandlung, T2 nach der Wiederholungswoche, T4 sechs und T5 zwölf Monate nach Therapiestart. Ausgewertet wurden alle bis zum 31.12.2009 vorliegenden Daten (n=272, davon 180 Frauen und 77 Männer im Alter zwischen 22 und 74 Jahren). Vergleiche zwischen Zeitpunkten wurden mit dem nichtparametrischen Friedman-Test und entsprechenden multiplen Anschlusstests durchgeführt. Ergebnisse. Bis zum Zeitpunkt der Drei-Monats-Katamnese (T2), ließen sich signifikante Verbesserungen bei allen gemessenen Parametern im Vergleich zur Ausgangssituation feststellen. Dies deckt sich auch mit den Ergebnissen anderer Untersuchungen zur Wirksamkeit von multimodalen Programmen. Bei der subjektiven Beeinträchtigung und dem affektiven Schmerzempfinden ergaben sich signifikante langfristige Effekte (T4, T5). Schmerzintensität und Depressivität zeigten langfristig nur in der Tendenz Unterschiede zum Basiswert. Als Gründe hierfür kommen unter anderem Drop-out-Effekte und Selektionseffekte in Frage. Schlussfolgerung. Besonders deutlich wird die Reduktion des schmerzbedingten Beeinträchtigungserlebens in seinen unterschiedlichen Aspekten (Schmerzleiden, Depressivität, Verlust an Lebensqualität). Die Evaluationsergebnisse dienen als Beitrag zum wissenschaftlichen Diskurs über die Effektivität multimodaler Schmerztherapie bei lokalisationsunabhängigen chronischen Schmerzen.
P15.4 Ergebnisse eines 19-tägigen multimodalen Schmerztherapie programms bei Patienten mit initialem Opioidentzug J. Lutz1, B. Otto1, K. Große1 1Zentralklinik Bad Berka RKA, Zentrum für Interdisziplinäre Schmerztherapie, Bad Berka, Deutschland Fragestellung. Der Einsatz von Opioiden im Akutschmerzbereich, in der intra- und postoperativen Schmerztherapie sowie in der Therapie von Tumorschmerzen ist unstrittig. Bei chronischen Nichttumorschmerzen (CNTS) werden Opioide in der Langzeit- bzw. Daueranwendung jedoch zunehmend kritisch hinterfragt (Lutz, 2011). In den Der Schmerz · Supplement 1 · 2011
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Abstracts letzten Jahren mehren sich zudem klinische Beobachtungen, die darauf hindeuten, dass es bei Patienten mit CNTS nach Opioidentzug zu Schmerzlinderung und Stimmungsverbesserung kommen kann (z. B. Rome et al. 2004). In der vorliegenden Studie wird untersucht, wie sich Schmerzstärke und Stimmungslage bei Patienten kurz- und mittelfristig verändern, wenn ein Opioidentzug im Rahmen einer multimodalen Schmerztherapie durchgeführt wurde. Als Vergleichsgruppen wurden Patienten mit fortdauernder Opioidbehandlung (kein Entzug) und Patienten ohne Opioide untersucht. Material und Methode. Zur Überprüfung der Ergebnisgrößen Schmerzstärke („numeric rating scale“, NRS) und Depressivität (allgemeine Depressionsskala, ADS [1], Hospital-Anxiety and Depression-Scale deutsch HADS-D [2]) wurden drei Studienpopulationen vor Beginn (t0), bei Abschluss (t1) und 3 bzw. 6 Monate nach einer dreiwöchigen multimodalen Schmerztherapie (t2) miteinander verglichen: Gruppe 1 (n=78) und 2 (n=31) bestanden aus opioidbehandelten Patienten. Bei Gruppe 1 wurde innerhalb der aktivierenden multimodalen Schmerztherapie ein Opioidentzug durchgeführt. Die Patienten in Gruppe 3 (n=78) waren opioidfrei. Zwischen den Gruppen zeigten sich keine bedeutsamen Unterschiede in Bezug auf Schmerzbild, Chronifizierungsstadium und antidepressiver Einstellung bei Aufnahme. Das Alter der Patienten lag im Mittel bei 57,24 (±SD: 11,1) Jahren. Ergebnisse. Schmerzstärke und Depressivität (HADS-D, ADS) nahmen von t0 zu t1 in allen Gruppen signifikant ab und von t1 zu t2 wieder signifikant zu, blieben aber unter dem Ausgangsniveau (t0). Gruppe 3 war hinsichtlich Schmerzstärke und Depressivität über alle Messzeitpunkte hinweg am wenigsten beeinträchtigt. Diskussion. Es fanden sich in allen Gruppen vergleichbare Schmerzstärken zu Therapiebeginn und ähnliche Verläufe in der Schmerzentwicklung zu den drei Messzeitpunkten. Alle Patienten zeigten kurzfristig signifikante Verbesserungen, die mittelfristig zwar wieder zurückgingen, jedoch nicht das Ausgangsniveau erreichten. Ähnliche Ergebnisse wurden für die Depressivität nachgewiesen. Die Ergebnisse zeigen zunächst, dass regimegestützte Opioidentzüge innerhalb eines multimodalen Schmerztherapieprogramms im Mittel zu keiner (oft befürchteten) Schmerzverstärkung führen. Darüber hinaus kam es bei allen Patienten in allen Gruppen zu einem Anstieg des psychischen Wohlbefindens (HADS-D, ADS). Den späteren Wiederanstieg der gemessenen Parameter werten wir als Hinweis für Probleme in der weiteren ambulanten Versorgung dieser Patienten. Schlussfolgerung. Opioidentzüge mit begleitender multimodaler Schmerztherapie bei Patienten mit CNTS tragen in einem entsprechenden Rahmen zu Schmerzlinderung und Stimmungsverbesserung bei. Die Ergebnisse ermutigen dazu, Patienten mit nicht mehr effektiver Opiodtherapie einen Entzug in Verbindung mit einer multimodalen Schmerztherapie anzubieten.
nach Gerbershagen), Schmerzschweregrad (V. Korff), sozialrechtlicher Status und Schmerzlokalisationen mit ein. Mögliche Empfehlungen waren: ambulante Behandlung, psychosomatische Behandlung, Operation, Verweis an andere Fachrichtung, multimodale Schmerztherapie, Abschluss eines laufenden Rentenverfahrens, ambulante Weiterbehandlung, Geriatrie und stationäre MST. Ergebnisse. Von 843 Patienten wiesen 778 (92,3%) den höchsten Chronifizierungsgrad MPSS 3 auf. V. Korff IV hatten 647 Patienten (76,7%) erreicht. 186 Pat. (22,1%) waren arbeitsfähig. Die Schmerzen waren in 88,8% multilokulär, 6,0% bilokulär und 4,9% monolokulär. Häufigste Lokalisation war Rücken bei 454 Patienten (53,9%). Therapieempfehlungen waren: ambulante Behandlung 152 Pat. (18%), psychosomatische Behandlung Pat. 59 (7%), Operation 25 Pat. (3%), Verweis an andere Fachrichtung (u. a. chirurgische Fächer oder Innere Medizin und Psychiatrie bzw. Psychotherapie) 64 Pat. (7,6%), MST 458 Pat. (54,3%), Geriatrie Pat. 14 (1,7%). Von den Patienten mit einem Angebot zur stationären MST kamen 331 (72,8%) zur Aufnahme. Diskussion. Bei Schmerzpatienten kann in einem interdisziplinär arbeitenden Schmerzzentrum mithilfe eines konzentrierten stationären ASS (analog OPS 1-910) innerhalb kurzer Zeit eine individuelle Therapieempfehlung erarbeitet werden, die derzeit in der ambulanten Versorgung kaum möglich erscheint. Die Untersuchung schloss überwiegend hochchronifizierte Schmerzpatienten mit meist höchstem Schmerzschweregrad ein. Trotzdem kamen nach intensivem Assessment nur 54,3% (458 von 843) der Patienten für eine stationäre multimodale Schmerztherapie in Betracht. 72,7% dieser Patienten nahmen das Angebot an und wurden später stationär aufgenommen. Damit wurde in nur 39% der untersuchten Fälle eine stationäre MST durchgeführt. Die Untersuchung zeigt einerseits die Zeckmäßigkeit der Durchführung eines Assessments vor Angebot einer stationären MST. Andererseits wird dargestellt, dass trotz sorgfältiger Diagnostik und erarbeiteter Therapieempfehlung mehr als ein Viertel der Patienten das Angebot dann nicht wahrnahmen. Schlussfolgerung. Die Durchführung der multidisziplinären algesiologischen Diagnostik zeigt individuelle sowohl ambulante als auch stationäre Therapiemöglichkeiten auf und kann damit zu einer zeitnahen, effektiven, Ressourcen schonenden Behandlung beitragen. Die Therapieteilnahme ist abhängig von der Eigenmotivation des Patienten. Sinnvoll erscheint ein frühes Assessment in einem frühen Chronifizierungsstadium, um weitere Chronifizierung und damit Arbeitsunfähigkeit und hohe direkte und indirekte Folgekosten zu vermeiden.
P15.6 Kinder und Jugendliche mit chronischen Schmerzerkrankungen – Finanzielle Belastungen und Auswirkung auf die Arbeitszeit aus Sicht der Familie
J. Lutz1, K. Große1, B. Otto1 1Zentralklinik Bad Berka, Zentrum für Interdisziplinäre Schmerztherapie, Bad Berka, Deutschland
A. Ruhe1, T. Hechler1, P. von Lützau1, A. Tietze1, J. Behlert1, C. Wamsler1, M. Dobe1, U. Rohr1, R. Hartmann1, F. Krummenauer2, B. Zernikow1 1Vodafone Stiftungsinstitut und Lehrstuhl für Kinderschmerztherapie/ Pädiatrische Palliativmedizin, Vestische Kinder- und Jugendklinik Datteln, Universität Witten/Herdecke, Datteln, Deutschland, 2Universität Witten/ Herdecke, Fakultät für Gesundheit, Institut für Medizinische Biometrie und Epidemiologie (IMBE), Witten, Deutschland
Fragestellung. Im Zuge des steigenden Kostendruckes im Gesundheitswesen wird auch bei chronischen Schmerzerkrankungen eine hohe Effektivität und Qualität in Diagnostik und Therapie gefordert. Vor Therapie ist eine exakte Indikationsstellung mithilfe eines Assessments (ASS, analog OPS 1-910) sinnvoll. Es dient nicht nur der Auswahl therapiegeeigneter Patienten für eine stationäre multimodale Schmerztherapie (MST), sondern zunächst der Erstellung einer individuellen Behandlungsempfehlung in einer geeigneten Einrichtung. Material und Methode. Untersucht wurden im Zeitraum zwischen Mai 2007 und März 2011 843 Patienten im Alter von 17–87 Jahren. Die Daten schlossen u. a. Demographie, Schmerzchronifizierung (MPSS
Fragestellung. Sowohl die individuellen als auch die gesellschaftlichen finanziellen Belastungen, die durch chronische Schmerzen bei Kindern und Jugendlichen entstehen, sind von hoher Relevanz. Neben den hohen direkten Kosten zahlreicher medizinischer Maßnahmen sind vor allem die indirekten Kosten – wie schulische und berufliche Ausfälle – bedeutsam. Ziel der vorliegenden Untersuchung ist es zwei zentrale Kostenaspekte aus Sicht betroffener Familien darzustellen: 1) die erlebte finanzielle Belastung und 2) Auswirkungen auf die Arbeitszeiten der Eltern. Material und Methode. 85 Eltern wurden vor der Aufnahme zur stationären multimodalen Schmerztherapie mittels eines standardisierten
P15.5 Schmerz-Assessment (OPS 1-910) als modernes Instrument zur Steuerung der Versorgung chronischer Schmerzpatienten
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Fragebogens (KostenFragebogen) zu den zwei Kernparametern innerhalb der letzten 6 Monate befragt. Die erlebte finanzielle Belastung wurde operationalisiert als erinnerte Kosten in den letzten 6 Monaten sowie die Belastungseinschätzung dieser Kosten. Die Auswirkungen auf die Arbeitszeit wurden anhand der Fehltage in den letzten 6 Monaten sowie anhand der Arbeitszeitverkürzungen operationalisiert. Die Auswertung der Daten erfolgte deskriptiv. Ergebnisse. Die finanzielle Belastung empfinden 20% der Befragten als hoch mit durchschnittlich 237€ pro Monat (SD 242 €; Min=30 €, Max=1000 €). Ca. 60% geben eine mäßige finanzielle Belastung an mit durchschnittlich 90 € pro Monat (SD 71 €; Min=10 €, Max=260 €). Die Kosten setzen sich u. a. aus Fahrtkosten (106,72 €/Monat), zusätzliche Ausgaben für Arzneimittel (40 €/Monat) und Nachhilfekosten (91 €/ Monat) zusammen. Das kindliche Schmerzproblem führt bei über der Hälfte (57,4%) der Befragten zu Arbeitsausfällen. Die Anzahl an versäumten Tagen innerhalb von 6 Monaten liegt bei den Befragten bei durchschnittlich 10 Tagen; 14% reduzierten ihre Arbeitszeit aufgrund des kindlichen Schmerzproblems. Diskussion und Schlussfolgerung. Die elterliche Einschätzung der finanziellen Belastung und der Arbeitsfehlzeiten zeigt divergierende Ergebnisse. Während die Mehrzahl der Eltern nur geringe finanzielle Belastungen berichtet, stellen die Arbeitsausfälle für nahezu 60% ein Problem dar. Diese Befunde geben erstmals ein detailliertes Bild über erlebte Belastungen i. S. von indirekten Kosten der betroffenen Familien. Die Befunde deuten daraufhin, dass die Kosten für das Schmerzproblem weitestgehend abgedeckt werden, und nur eine kleine Teilgruppe deutliche Kosten auf sich nimmt. Sie zeigen aber auch, dass das kindliche Schmerzproblem insofern zu finanziellen Einschränkungen führen kann, als die Eltern nicht zur Arbeit gehen können bzw. sogar ihren regelmäßigen wöchentlichen Arbeitsumfang reduzieren müssen. Um ein umfassendes Bild über die tatsächlichen finanziellen Belastungen aufgrund von kindlichen chronischen Schmerzen aus gesellschaftlicher Perspektive zu erhalten, sollten die Elternangaben um Kosteninformationen der Krankenkassen ergänzt werden.
P15.7 Einfluss einer teilstationären multimodalen Schmerzbehand lung auf eine komorbid bestehende klinisch relevante depressi ve Symptomatik D. Tuffner1, P. Albert1, L. Dorscht1, B. Fraunberger1, P. Mattenklodt1, R. Sittl1 1Schmerzzentrum, Universitätsklinikum Erlangen, Erlangen, Deutschland Fragestellung. Bei Patienten mit chronischen Schmerzen sind in der Regel psychische Komorbiditäten festzustellen. Hierbei handelt es sich besonders häufig um eine depressive Symptomatik, die zur Chronifizierung der Schmerzen beitragen kann. Somit stellt sich die Frage, inwiefern sich eine multimodale Schmerzbehandlung bei Patienten mit chronischen Schmerzen, die gleichzeitig unter einer klinisch relevanten Depression leiden, auf die depressive Symptomatik auswirkt. Methode. Die untersuchte Stichprobe bestand aus 126 Patienten, welche zwischen 2002 und 2011 an einer teilstationären multimodalen Schmerzbehandlung am Schmerzzentrum des Universitätsklinikums Erlangen teilnahmen und die Kriterien einer klinisch relevanten depressiven Erkrankung erfüllten. Mittels t-Test wurden die Werte der Allgemeinen Depressionsskala (ADS) zu Beginn (t1) und gegen Ende (t2) der Behandlung verglichen. Zudem wurden Katamnesedaten nach zwölf Monaten (t3) erhoben. Ergebnis. Bei Therapiebeginn (t1) wurde im ADS ein durchschnittlicher Summenwert von 34,02 (T-Wert: 65,55) erhoben. Dies ließ sich am Ende der Therapie (t2) hoch signifikant (p<0,001) reduzieren (Summenwert: 23,48, T-Wert: 56,98). Auch zwölf Monate nach Beendigung der Therapie (t3) blieben die durchschnittlichen ADS-Werte hochsignifikant (p<0,001) reduziert (Summenwert: 28,51, T-Wert: 60,78). Diskussion. Die Daten sprechen dafür, dass chronische Schmerzpatienten mit einer komorbid bestehenden klinisch relevanten Depres-
sion nach einer teilstationären multimodalen Schmerzbehandlung mit einer Reduktion depressiver Symptome reagieren. Aktuell ist jedoch noch unklar, worauf der antidepressive Effekt zurückzuführen ist. Zukünftige Studien sind notwendig, um die Frage zu klären, ob die Verbesserung der depressiven Symptomatik mit der Schmerzreduktion einhergeht oder ob sich die Behandlung auch unabhängig von der Schmerzreduktion auf die Depression auswirkt.
P15.8 Gebührenordnung fördert Fehlversorgung M. Thöns1, M. Zenz2 1Palliativnetz Witten e.V., Witten, Deutschland, 2Ruhr-Universität Bochum, Bochum, Deutschland Hintergrund. Mit Gutachten von 2001 stellte der Sachverständigenrat eine Über- bzw. Fehlversorgung von Patienten mit Rückenschmerzen fest, die insbesondere durch zu häufige bildgebende Diagnostik und darauf beruhende invasive Therapie gekennzeichnet sei. Als Ursache wurden an erster Stelle Vergütungsanreize genannt. In ähnlicher Weise hat der HTA-Bericht auf Über- und Fehlversorgung erst in diesem Jahr hingewiesen. Zwischenzeitlich gab es mehrere Änderungen in der Gebührenordnung für gesetzlich Krankenversicherte (EBM). Durch Auswertung des aktuellen EBM, sollte die Honorarhöhen in Bezug auf die Invasivität einer Schmerztherapie untersucht werden. Methoden. Die Abrechnungspositionen wurden nach ihrem Abrechnungswert und der dafür angesetzten Prüfzeit in Beziehung gesetzt. Den meisten Leistungen ist im EBM eine Prüfzeit zugeordnet, aus dieser ergibt sich die maximal mögliche Abrechnungshäufigkeit pro Zeit und somit das zu erzielende Höchsthonorar. Ergebnisse. Während für Gesprächsleistungen niedrige Honorare und hohe Prüfzeiten angesetzt werden (z. B. Schmerzberatung – 11,74 €/10 min=70,44 €/h), zeigt sich eine Steigerung des theoretisch zu erwirtschaftenden maximalen Honorars bei Akupunktur (126,18 €), Opioidinfusion (165,60 €), GLOA (185,80 €), Sympathicusblockaden (315,45 €) und Periduralanalgesien (798,72 €). Fazit. Der aktuelle EBM fördert im Bereich der Schmerztherapie invasive Therapieverfahren durch 10-fach höhere Honorarmöglichkeiten. Obgleich die Erfolge nicht invasiver multimodaler Therapieverfahren unstrittig in der Behandlung chronischer Schmerzen sind, werden diese unzureichend in den aktuellen Gebührenordnungen abgebildet. Gleiche Fehlanreize gibt es in Bezug auf die bildgebende Diagnostik, in Deutschland werden mittlerweile mehr Schnittbilduntersuchungen durchgeführt als im gesamten restlichen Europa. Wir sehen daher dringenden Handlungsbedarf. 1. http://www.svr-gesundheit.de/Gutachten/Gutacht01/Kurzf-de.pdf 2. http://portal.dimdi.de/de/hta/hta_berichte/hta301_bericht_de.pdf 3. Arnold B et al.: Multimodale Schmerztherapie. Schmerz 2009;23:112–120
P15.9 Direkte und indirekte Kosten: interdisziplinäre multimodale Therapie vs. konventionelle Behandlung chronischer Rücken schmerzen L. Weh1, U. Marnitz2, B. Jan2 1Klinik Hasliberg, Hasliberg, Schweiz, 2Rückenzentrum am Markgrafenpark, Berlin, Deutschland Einleitung. Die Behandlung des chronischen Rückenschmerzes durch eine Interdisziplinäre Multimodale Schmerztherapie (IMS) ist „state of the art“. Der ökonomische Effekt für das Gesundheitssystem und die Volkswirtschaft ist dennoch nicht belegt. Zielsetzung ist der Vergleich der Kosten einer Therapie chronischer Rückenschmerzen durch eine IMS mit einer konventionellen Behandlung. Material und Methode. Berechnet wurden die Kosten vor und nach einer 4-wöchigen interdisziplinären multimodalen Therapie im RüDer Schmerz · Supplement 1 · 2011
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Abstracts ckenzentrum am Markgrafenpark in Berlin (RZ) und derjenigen einer konventionellen Behandlung chronischer Rückenschmerzen. Ausgewertet wurden die Daten einer Berliner Krankenkasse (BKK–VBU) aus den Jahren 2004 bis 2008. Der Datensatz umfasste den Ressourcenverbrauch durch Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen bezüglich der ICD-10-Diagnosen M40 bis M54. Bei der Parallelisierung der beiden Gruppen wurde 9 Kriterien berücksichtigt um den IMS-Fällen möglichst vergleichbare Kontrollpatienten zuzuordnen: – Alter ±5 Jahre – Geschlecht – Familienstand – ICD10 Diagnosen M40 bis M54 (Dorsopathien) – ICD 10 Diagnosen F30 und F40 (Angst und Depression) – Anzahl der Arztkonsultation im Quartal vor der Intervention bzw. der analogen Krankheitssituation – Anzahl der Komorbidität im Quartal vor der Intervention bzw. der analogen Krankheitssituation – Jahr der Krankengeldzahlung Den 257 Patienten mit IMS im RZ konnten nach den oben genannten Kriterien 257 konventionell behandelte Kontrollpatienten zugeordnet werden. Die Kosten der 514 Patienten wurden über den Zeitraum vom 01.01.2004 bis 30.09.2008 berücksichtigt. Angewandt wurden eine Matched-Pairs-Technik und das Bottom-up-Verfahren. Ergebnisse. Die durchschnittlichen direkten Krankheitskosten waren nach der IMS-Behandlung im ersten Jahr um etwa 22% geringer als in der Kontrollgruppe, die Arztbesuche waren seltener (33% im ersten Quartal). Der Krankengeldbezug war innerhalb des ersten Jahres nach IMS deutlich vermindert (bis zu 27% im 2. Quartal). Nach einem Jahr glichen sich die Kosten bei IMS- und Kontrollgruppe jedoch wieder an. Schlussfolgerung. Die Studie konnte zeigen, dass eine IMS sich auch ökonomisch für Krankenkassen und Volkswirtschaft positiv gegenüber einer konventionellen Behandlung auswirkt. Allerdings war dieser positive Effekt auf etwa 1 bis 1,5 Jahre limitiert.
P15.10 Differenzierung von Behandlungspfaden in einem multimoda len Komplexprogramm J. Langer1, E. Pioch1, W. Seidel1 1Klinik für Manuelle Medizin, Kremmen/Sommerfeld, Deutschland Fragestellung. In der Behandlung von Patienten mit chronischen Schmerzen im Bewegungssystem sucht die Klinik für Manuelle Medizin seit Jahren nach der Möglichkeit Subgruppen für therapeutische Behandlungsmodule zu bilden. Subgruppenanalysen sind erforderlich für den wirtschaftlichen Einsatz von Ressourcen bei der erhöhten Behandlungsanforderung dieser Patientengruppe. Es ist aber auch erforderlich um Kausalitäten besser verstehen zu können und Behandlungsziele zu definieren. Seit mehreren Jahren werden nun Therapiepfade erprobt, denen die Patienten durch ein interdisziplinäres Aufnahmesetting zugeordnet werden. Dabei stehen die folgenden Therapiepfade zur Verfügung: – manualmedizinisch-orthopädischer Behandlungspfad mit 4 verschiedenen Schwerpunkten und jeweils mit und ohne psychoedukativem Zusatzprogramm, – manualmedizinisch-psychotherapeutisch orientierter Behandlungspfad, – schmerztherapeutisch-invasiv orientierter Behandlungspfad, – erweiterte Verlaufsdiagnostik. Wohl wissend, dass das zu untersuchende Kollektiv eine Selektion von Schmerzpatienten ist, die sich um die Aufnahme speziell in der Klinik für Manuelle Medizin/Sommerfeld bemüht haben, stellt sich die Frage, wie sich die Behandlungsindikationen für die unterschiedlichen Behandlungsschwerpunkte prozentual für Schmerzpatienten verteilen und welche Diagnosegruppen sich vorwiegend in welchem Behandlungspfad wiederfinden.
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Material und Methode. Es erfolgt die Datenauswertung der Patientenakten des Jahres 2009 bezüglich der Verteilung der Behandlungspfade und der Diagnosegruppen. Anlass ist eine aktuelle Datenzusammenführung aus dem Deutschen Schmerzfragebogen, der Diagnose und Liegestatistik, sowie von klinischen Daten des Sommerfelder Befundsystems für eine weitergehende Subgruppenanalyse. Die Daten werden in SPSS/Excel erfasst und ausgewertet. Diskussion. Die Ergebnisse werden auf der Posterausstellung erstmalig präsentiert werden. Es wird zu zeigen sein, wie sich die Behandlungsindikationen für Patienten mit chronischen Schmerzen im Bewegungssystem verteilen. Dabei ist zu beachten, dass hier nicht Kausalitäten benannt werden, sondern die Indikation für Behandlungsmöglichkeiten in einem begrenzten Angebot. Diese Zahlen stehen damit natürlich auch im Verhältnis zu den jeweiligen Möglichkeiten, den stattgehabten Vorbehandlungen und den jeweiligen Ressourcen der Patienten. Schlussfolgerung. Es wird gezeigt werden, wie hoch der Anteil von Patienten ist, der aus manualmedizinisch orientiertem Blickwinkel primär eine eher funktionell orientierte Behandlung bzw. eine Behandlungsprogramm mit erhöhtem psychotherapeutischem Anteil (ohne ein rein psychosomatisches Behandlungsprogramm anbieten zu können) benötigen. Die gute Auslastung der Verteilung zwischen den Indikationen für die unterschiedlichen Behandlungspfade spricht dafür, dass eine Gruppenbildung nach den genannten Kriterien möglich und nutzbringend ist. Die Erweiterung dieser Studie wird gezielte Ergebnisse zu Behandlungseffektivität in den genannten Behandlungspfaden bringen.
P15.11 Untersuchung der Effektivität einerstationären multimodalen Gruppenbehandlung im Rahmen eines integrierten Versor gungskonzepts EndFragment D. Schroll1, A. Schneider2, B. Klasen2, . Brinkschmidt1, S. Neumeier1, G. Kratzer3 1Algesiologikum/Schmerzzentrum München Maxvorstadt, stationäre Schmerztherapie, München, Deutschland, 2Diakoniewerk MünchenMaxvorstadt, Interdisziplinäres Zentrum für Schmerztherapie, München, Deutschland, 3Algesiologikum MVZ, Schmerztherapiezentrum, München, Deutschland Fragestellung. Wir untersuchen die Effektivität der multimodalen stationären Gruppenbehandlung in Rahmen der stationären schmerztherapeutischen Versorgung in zwei Münchener Krankenhäusern, in denen vollstationäre multimodale Gruppenbehandlung angeboten wird. Methode. Patienten werden nach einem ambulanten bzw. stationären interdisziplinären Assessment in eine dreiwöchige Gruppenbehandlung aufgenommen. Die Behandlung umfasst medizinische und psychologische Edukation, psychologische übende Verfahren, psychotherapeutische Interventionen, Physiotherapie, Medizinische Trainingstherapie und Ergotherapie (Arnold 2009). Drei Monate nach Beendigung der Therapie wurde in einem ambulanten Reassessment der Fortschritt überprüft. Falls die Aufnahmekriterien für eine ergänzende stationäre Behandlung gegeben waren, wurden die Patienten erneut aufgenommen. Demnach dauerte die Behandlung für die meisten der 161 Patienten insgesamt 5 Wochen, mit einer Therapieintensität von ca. 120 h. Etwa 54% der Patienten litten unter Rückenschmerzen, 22% unter muskuloskelettalen Schmerzen und 11% unter neuropathischen Schmerzen. 76,4% der Patienten wiesen vor Behandlung eine hohe schmerzbedingte Beeinträchtigung (stark limitierende) auf (v. Korff =4). Wir untersuchten eine Stichprobe von 61 Patienten, von denen eine Prä- und Postmessung verfügbar war. Mit Hilfe von t-Tests untersuchten wir Veränderungen im Grad der erlebten Beeinträchtigung (v. Korff), Veränderungen im Bereich der subjektiv erlebten Lebensqualität (FW7), Veränderung im affektiven Schmerzerleben (SBL) und Veränderungen im Bereich der Depressivität und Ängstlichkeit (HADS).
Ergebnisse. Im Bereich des subjektiven Wohlbefindens (FW7) konnte eine signifikante Verbesserung gemessen werden [t(55)=5,62; p<0,001]. Ebenso zeigte sich eine signifikante Veränderung im Bereich der schmerzbedingten Beeinträchtigung [v. Korff; t(30)=2,21; p=0,03]. Auch Depressivität (HADS-D) nahm zwischen den Messzeitpunkten signifikant ab [t(54)=2,39; p=0,02] . Interessanterweise zeigte sich kein signifikanter Unterschied beim affektiven Schmerzererleben. Ängstlichkeit (HADS-A) reduzierte sich nicht signifikant. Diskussion. Wie aufgrund bestehender Studien zu erwarten ist, konnte mittels hochintensiver multimodalen Behandlung (Guzmann 2002), eine signifikante Reduktion der Beeinträchtigung und eine Verbesserung der Lebensqualität erreicht werden. Die Ergebnisse unterstützen Untersuchungen wonach auch bei Patienten mit hoher Schmerzchronifizierung durch eine multimodale Behandlung signifikante Effekte erreichbar sind (Hüppe 2011). Schlussfolgerung. Im Rahmen eines integrierten schmerztherapeutischen Versorgungskonzepts hat stationäre multimodale Gruppenbehandlung einen wichtigen Stellenwert. Gerade für Patienten mit hoher Schmerzchronifizierung, die sich auf ambulante Angebote nicht oder nur begrenzt einlassen können, stellt ein hochintensives stationäres Gruppenprogramm eine effektive Behandlungsoption dar. Studienleiter: Daniel Schroll (Diplompsychologe), Krankenhaus für Naturheilweisen, Anna Schneider, Diakoniekrankenhaus München, Dr. Bernhard Klasen, (Diplompsychologe), Diakoniekrankenhaus München, Dr. Brinkschmidt (Chefärztin), Krankenhaus für Naturheilweisen, Dr. Neumeier (Chefärztin), Krankenhaus für Naturheilweisen, Dr. Kratzer (Algesiologikum MVZ, Ambulantes Zentrum für Schmerzmedizin, München). 1. Arnold B, Brinkschmidt T, Casser HR, Gralow I, Irnich D, Klimczyk K, Müller G, Nagel B, Pfingsten M, Schiltenwolf M, Sittl R, Söllner W (2009) Multimodale Schmerztherapie. Der Schmerz, 23, 112–120. 2. Guzmán J, Esmail R, Karjalainen K et al. (2002) Multi-disciplinary bio-psychosocial rehabilitation for chronic low-back pain. Cochrane Database Syst Rev Issue 1. Art. No.: CD000963 3. Hüppe M, Maier C, Gockel H, Zenz M, Frettlöh J (2011) Behandlungserfolg auch bei höherer Schmerzchronifizierung? Der Schmerz, 25, 77–88.
P17 – Pflege P17.1 Topische Therapieform bei peripheren neuropathischen Schmerzen – praktische Anwendung von Qutenza durch die Pflege und medizinische Fachkräfte M. Thomm1, N. Schlegel1 1Uniklinik Köln, Schmerzzentrum der Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin, Köln, Deutschland Einleitung. Qutenza-Wirkfolie findet ihren Einsatz – als Monotherapie oder in Kombination mit anderen Therapeutika – bei peripheren neuropathischen Schmerzen bei Erwachsenen, die nicht an Diabetes leiden. Zu den peripheren neuropathischen Schmerzen wird eine Reihe chronischer Schmerzsyndrome gezählt, die nach einer Schädigung afferenter Neurone fokal oder generalisiert im peripheren Nervensystem entstehen können. Typische Beispiele sind die postzosterische Neuralgie und Schmerzen bei Polyneuropathien. Neben einer oralen medikamentösen Therapie stellt die lokale Behandlung mit Capsaicin, z. B. mit Qutenza-Wirkfolie in einer 8%igen Konzentration eine weitere Therapieoption dar, die in klinischen Studien belegt ist. Capsaicin führt zu einer Defunktionalisierung der epidermalen Nervenfasern, die jedoch nach ca. 3 Monaten wieder regenerieren. Die Defunktionalisierung führt zu einer Inhibition der Schmerzweiterleitung und anderer Stimuli wie z. B. Hitze.
Methodik. In der Uniklinik Köln sind innerhalb eines Jahres 21 Patienten mit Qutenza-Wirkfolie mit folgenden Indikationen behandelt worden: Postzosterische Neuralgien, periphere Nervenschädigungen, HIV-assoziierte Polyneuropathien, Meralgia parästhetika unklarer Genese und Polyneuropathien nach immunsuppressiver Therapie. 90% (19) der behandelten Patienten erfuhren nach Anwendung eine leichte bis sehr gute Schmerzlinderung, die 10 bis 12 Wochen andauerte, lediglich 10% (2) der Patienten waren Non-Responder. Vor der Anwendung sind folgende Vorbereitungen zu beachten: Das Bereitstellen von Lidocain Gel 4%, Qutenza-Wirkfolie, Permanent Marker, Nitril Handschuhe (kein Latex!), Schere, Waschlappen, Handtücher, „Frischhaltefolie“, kurzwirksames Analgetikum, Reinigungsgel, Coldpacks, Abwurfbehälter. Die Schmerzerfassung muss vor und während der Behandlung dokumentiert werden. Vorbehandlung. Ermittlung und Markierung der schmerzhaften Hautareale. Die zu beklebende Haut sollte unverletzt und trocken sein. Wenn notwendig, Haare mit einer Schere entfernen (nicht rasieren!). Bei erniedrigtem Blutdruck, Zugang legen und Blutdruckkontrollen während der Behandlung durchführen. Durchführung. Applikation des topischen Lidocains, für eine Stunde belassen, abwaschen und die Haut trocknen lassen. Mit Nitril Handschuhen (Cave!), Qutenza auf die Größe und Form des schmerzenden Hautareals zuschneiden, platzieren und mit „Frischhaltefolie“ fixieren. Bei Anwendung am Fuß, Wirkfolie für 30 min und an anderen Körperstellen für 1 h belassen. Nach der Behandlung die Wirkfolie nach innen einrollen und separat entsorgen. Die Haut gründlich mit Reinigungsgel abwaschen. Akute Schmerzen, die während und nach der Behandlung auftreten können, sollten durch lokale Kühlung und/oder mit einem nichtretardierten Analgetikum behandelt werden. Fazit. Die Behandlung von Qutenza ist eine Therapieform, die selbständig von einer geschulten erfahrenen medizinischen Fachkraft durchgeführt werden kann. Ihr Aufgabenbereich beschränkt sich nicht nur auf die Einweisung und Durchführung des Anwendungsverfahrens, sondern ihre hohe Fachkompetenz befähigt sie auch, Nebenwirkungen wie z. B. Blutdruckentgleisungen und /oder auftretende Schmerzen zu erkennen und folglich zielgerichtet handeln zu können.
P17.2 Qualitätssicherung durch den Akutschmerzdienst und des sta tionären Pflegepersonals bei Regionalanästhesieverfahren D. Feyen1, M. Thomm1 Schmerzzentrum der Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin der Uniklinik Köln, Köln, Deutschland Fragestellung. Wie wichtig ist eine regelmäßige Visite des Akutschmerzdienstes und geschultes Pflegepersonal bei der Betreuung von Patienten mit einem Regionalanästhesieverfahren? Methodologie: Ein 66-jähriger Patient, der sich vor 47 Jahren (1963) eine Speiseröhrenverätzung durch Trinken einer Kalilauge aufgrund einer falsch beschrifteten Flasche zugezogen hat, klagt seitdem über eine Refluxerkrankung bei Ösophagusstenose. Seitdem bougiert sich der Patient zum Durchstoßen der Nahrung selbstständig. Vor sechs Jahren (2005) kam es aufgrund der Verengung erstmalig zu einer Perforation der Speiseröhre. 2010 wurde zur operativen Versorgung der Ösophagusstenose eine transthorakale Ösophagektomie mit Rekonstruktion durch Magenhochzug durchgeführt. Für diese Operation erhielt der Patient einen thorakalen Periduralkatheter zur Schmerzeinstellung. Dieser wird zweimal täglich durch den Akutschmerzdienst bzw. den Bereitschaftsdienst visitiert und einmal pro Schicht durch das stationäre Pflegepersonal. Das Pflegepersonal wird regelmäßig in einer mehrstündigen Fortbildung durch den Akutschmerzdienst im Umgang mit Regionalanästhesieverfahren geschult. Ergebnis. Am vierten postoperativen Tag stieg das zuvor unauffällige CRP auf 134 mg/l (Normwert <5), gleichzeitig wurde ein Pleuraerguss diagnostiziert. Am siebten postoperativen Tag stiegen auch die LeuDer Schmerz · Supplement 1 · 2011
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Abstracts Pharmaceutical Pain Care Manager produktneutrale pharmazeutische Beratung von Spezialisten und Fachärzten produktneutrale Planung und Beratung in der Organisation von Fachver anstaltungen oder Kongressen selbständige Durchführung fachlicher Schulungen auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft für medizinische Fachberufe Begleitung von Projektarbeit an Krankenkenhäusern z.B. Unterstützung bei der Etablierung von Schmerzstandards, Begleitung von Zertifizier ungsmaßnahmen Curriculum 60 UE Präsenz/ 50 UE Selbstlernphase
Basiscurriculum Modul 1 Einführung in das Handlungs- und Ver antw ortungsfeld Schmerzmedizin und seine Versorgungs strukturen Modul 2 Grundlagenwissen Schmerz und Schmerzdiagnostik Modul 3 Qualitätssicherung und Wissensmanagement in der Schmerzmedizin Modul 4 Pharmakologie und Therapeutische Verfahren Modul 5 Spezielle Schmerzmedizin und Spezielle Schmerzerkrankungen Modul 6 Recht in der praktischen Schmerzmedizin Modul 7 Bezugswissenschaftliche Aspekte zur Schmerzmedizin Lebensqualität und Ethik in der Schmerzmedizin Interprofessionelle Kommunikation in der Schmerztherapie Modul 8 Praxis-und Simulationsmodul Modul 9 Prüfungsmodul Schriftlicher Abschlusstest Facharbeit (Schwerpunkt: Organisation und Qualitätssicherung in der Schmerzmedizin) Hospitation (4 Std.)
Rezertifizierung (3-jährig)
Voraussetzungen: => Projekt/ Strukturmanagement in der Schmerzmedizin => Beratungstätigkeit in der Schmerzmedizin (Nach weise über Arbeitgeber) Leistungsnachweise: => Hospitation in Schwerpunkteinrichtung Schmerzmedizin (8 Std.) => 1 selbständig durchgeführte produktübergreifende Fachfortbildung in der Schmerzmedizin
Abb. 3 9 Curriculum PPCM
kozyten auf 12,07/nl (Referenzbereich 4,4–11,3), und der Patient klagte über einen geringen Druckschmerz an der leicht erhabenen Einstichstelle des Periduralkatheters, jedoch ohne inflammatorische Zeichen. Einige Stunden später bei erneuter Visite war die Einstichstelle stark geschwollen, so dass der Periduralkatheter unter sterilen Kautelen entfernt wurde. Hierbei entleerte sich ca. 1 ml gelbliches Sekret aus der Punktionsstelle, die daraufhin nach einer Ultraschalluntersuchung erneut punktiert wurde. Ein MRT der HWS/BWS zeigte ein entzündliches Geschehen ohne Abszessnachweis. Die Schwellung an der Einstichstelle war ab dem Tag der Katheterentfernung langsam rückläufig und am 13. postoperativen Tag nur minimal prominent. Die täglichen Visiten endeten am 16. postoperativen Tag, eine Woche vor der Entlassung. Schlussfolgerung. Die Versorgung der Patienten mit einem Periduralkatheter beinhaltet nicht nur die Erfassung der Schmerzintensität in Ruhe und Bewegung, sondern auch die Sensibilität und Motorik, die Inspektion der Einstichstelle und die Kontrolle der Laborwerte. Durch die regelmäßigen spezifischen Kontrollen und der ausführlichen Dokumentation seitens des Akutschmerzdienstes und des stationären Pflegepersonals kann bei Auftreten einer Komplikation der Verlauf bis ins Detail zurückverfolgt werden. Die interdisziplinäre Auswertung der Ergebnisse der Visiten und Besprechungen unter maßgeblicher Beteiligung des Akutschmerzdienstes stellt somit eine schnelle und situativ angepasste Behandlung sicher. Ebenfalls wird Komplikationen proaktiv entgegengewirkt, da Veränderungen im Befund und Befinden des Patienten unmittelbar erfasst werden.
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P17.3 Pharmaceutical Pain Care Manager – Curriculum für Pharmabe rater zur Verbesserung produktunabhängiger Beratung in der Schmerzmedizin K. Fragemann1, C. Lassen2, N. Meyer2, B. Graf2, C. Wiese2 1Universitätsklinikum Regensburg, Bildungszentrum, Regensburg, Deutschland, 2Universitätsklinikum Regensburg, Klinik für Anästhesiologie, Regensburg, Deutschland Fragestellung. Die schmerztherapeutische Kompetenz von Ärzten ist national und international nicht zufriedenstellend [1, 2]. Ärzte wünschen in Spezialbereichen Partner, die eine kompetente produktunabhängige Beratung bieten [3]. Ziel der Studie war es in diesem Zusammenhang, den Weiterbildungsbedarf von Pharmaberatern (Schwerpunkt Schmerztherapie) zu ermitteln und eine bedürfnisorientierte Qualifikation zu entwickeln (Abb. 3). Methodik. Prospektive Befragung von Pharmaberatern, die in der Schmerzmedizin tätig sind. Hierzu wurde ein zweiteiliger Fragebogen erstellt [Teil A: Demografische Daten (10 Items), Weiterbildungsverhalten, subjektiver Fortbildungsbedarf (36 Items); Teil B: 70 Wissensitems]. Entwicklung eines speziellen, produktunabhängigen Curriculums unter Berücksichtigung der Empfehlungen des Kerncurriculums der DGSS zur schmerztherapeutischen Ausbildung. Ergebnisse. Befragung von n=114 Pharmaberatern (Fragebogenrücklauf 100%). Auswertbar bezüglich Teil A: n=94 Bögen (82,5%) von Teil B: n=90 Bögen (78,9%). Eine medizinische Berufsqualifikation hatten n=21 (22,3%). Aufgaben im qualifizierten schmerzmedizinischen Bereich wie Einführung von Standards, Entwicklung von Organisationskonzepten, Netzwerkbildung und Schulungsaufgaben wurden im Mittel mit >90% als sehr wichtig/wichtig beurteilt. Dabei hielten n=21 (22%) Standards in der Schmerzmedizin für unwichtig, n=10 (10%)
waren spezifische Leitlinien unbekannt. Neben den Grundlagen der Schmerzmedizin die im Einzelnen von >50% als Weiterbildungsbedarf benannt wurden, bestand insbesondere zu Qualitätssicherung, Organisation der Schmerztherapie, Recht und Wissensmanagement (im Mittel >74%) großes Weiterbildungsinteresse. Im Mittel wurden 48/70 Items der Wissensfragen richtig beantwortet (68,5%). n=77 (82%) benannten schmerztherapeutische, produktunabhängige Fortbildungen als sehr hilfreich. Schlussfolgerung. Die medizinische Qualifikation der Respondenten war bei allgemein hohem Ausbildungsniveau eher gering. Jedoch bestand eine hohe Bereitschaft zur produktunabhängigen Weiterbildung. Bislang fehlen schmerzmedizinische Weiterbildungsangebote für Pharmaberater. Diese erscheinen hinsichtlich der vorliegenden Ergebnisse und dem ärztlichen Wunsch nach kompetenten Partnern notwendig. Deshalb wurde das Weiterbildungscurriculum zum „Pharmaceutical Pain Care Manager“ entwickelt, das ein produktunabhängiges Kompetenzprofil bietet, zu einer Qualitätssteigerung führen kann und den Pharmaberater zum Partner in der Schmerzmedizin ausbildet. 1. Pflughaupt 2010 2. Gallagher 2004 3. MKM Trendstudie 2010
4. Anmerkung: Teile der Daten sind zur Veröffentlichung eingereicht (EJP).
P17.4 Opioidentzug bei chronischen Schmerzpatienten aus der Pers pektive der Pflege
kalte Hände und Füße. 17 Patienten (53%) gaben vermehrt Verspannungen an und 16 Patienten (50%) klagten über Muskelkrämpfe bzw. -zuckungen. 15 Patienten (47%) gaben verstärktes Gähnen an und 13 Patienten (41%) verspürten unangenehmes Herzklopfen. Bei 7 Patienten (22%) tränten die Augen. 5 Patienten (je 16%) litten unter Übelkeit und Magenkrämpfen. Eine Verbesserung der Symptome trat im Mittel am 4. bis 6. Tag des Entzuges ein. 19 Patienten (59%) konnten nach ca. 4 Tagen über eine verbesserte Stimmung berichten. Bei allen Patienten war gegen Ende der Therapie eine Verbesserung der Depressivität sowie eine Schmerzreduktion zu verzeichnen. Keiner der 37 Patienten brach den Entzug ab. Diskussion und Schlussfolgerung. Bei entsprechend ausführlicher Aufklärung und Vorbereitung ist mit dem beschriebenen Regime ein Opioidentzug im Rahmen einer MST gut und komplikationslos durchführbar. Entgegen der Erwartung vieler Patienten ist neben einer Schmerzlinderung auch mit einer Stimmungsaufhellung zu rechnen. Zur Verlaufsbeobachtung ist u. a. die modifizierte SOWS geeignet. Schlafstörungen eignen sich am wenigsten zur Beurteilung eines Entzugsverlaufs, da diese Symptome häufig vorbestehend sind. Auch die Schmerzstärke ist naturgemäß als Entzugsverlaufsparameter ungeeignet.
P17.5 Die Integration von Achtsamkeitsübungen in das verhaltens therapeutische Schmerzbewältigungskonzept der multimoda len Schmerztherapie
K. Möller1, K. Lehmann1, J. Lutz1 1Zentralklinik Bad Berka RKA, Zentrum für Interdisziplinäre Schmerztherapie, Bad Berka, Deutschland
C. Hafner1, L. Dorscht2, P. Albert3, R. Sittl2 1Friedrich Alexander Universität Erlangen-Nürnberg, Schmerzzentrum, Erlangen, Deutschland, 2Universitätsklinikum Erlangen, Scherzzentrum, Erlangen, Deutschland, 3Schmerzzentrum, Universitätsklinikum, Erlangen, Deutschland
Hintergrund. Die Anwendung von Opioiden in der Therapie bei postoperativen Schmerzsyndromen und Tumorschmerzen ist weithin anerkannt. In zunehmendem Maße werden Opioide auch bei Patienten mit chronischen Nicht-Tumor-Schmerzen (CNTS) eingesetzt. Eine Langzeittherapie ist bei CNTS-Patienten nicht unumstritten und immer häufiger wollen Patienten selbst wegen starken Nebenwirkungen und fehlendem Therapieerfolg diese Medikamente wieder entziehen. Ziel der Posterpräsentation ist eine Darstellung des angewandten Entzugsregimes inklusive verschiedener Verlaufsparamter im Rahmen einer 19-tägigen multimodalen Schmerztherapie (MST) bei chronischen Schmerzpatienten im Zentrum für interdisziplinäre Schmerztherapie der Zentralklinik Bad Berka (ZBB). Methodik. 36 Patienten im Alter zwischen 31 und 80 Jahren waren in der Untersuchung eingeschlossen. Der Entschluss zum Entzug wurde gemeinsam mit den Patienten vor Aufnahme getroffen, Der Entzug konnte meist innerhalb der ersten Behandlungswoche der stationären MST abgeschlossen werden. Neben einem medikamentösen Entzugsregime gehörten u. a. Akupunktur, verschiedene vegetativ stabilisierende Maßnahmen sowie eine fortlaufende Motivationsbehandlung durch alle Teammitglieder mit zur Behandlung. Zur Dokumentation des Verlaufs diente eine modifizierte Form der SOWS (Short Opiate Withdrawal Scale nach Gossop 1990). Patienten schätzten dabei anhand der Ausprägungen „keine“, „gering“, „mittel“ und „stark“ ihre Entzugssymptome selbst ein. Neben der SOWS wurden bei allen Patienten zu Beginn und vor Entlassung die Depressivität (ADS und HADS-D) gemessen. Die Schmerzstärke wurde mittels Schmerztagebuch 4-mal täglich erhoben. Ergebnis. Bei 4 Patienten war die SOWS nicht verwertbar. 32 Skalen waren vollständig. Als Verlaufsmarker des Entzuges wurden Symptome ab der Stärke „mittel“ und „stark“ gewählt. Dokumentiert wurde der Zeitpunkt der endgültigen Verbesserung der jeweiligen Symptomatik. 30 Patienten(94%) litten an Schlafstörungen. 19 Patienten (59%) gaben vermehrtes Schwitzen, 17 Patienten (53%) verspürten verstärkt
Einleitung. Achtsamkeitsübungen gewinnen immer mehr Bedeutung in der therapeutischen Arbeit. In der multimodalen Schmerztherapie chronischer Schmerzen bieten Achtsamkeitsübungen eine sinnvolle Ergänzung zum verhaltenstherapeutischen Schmerzbewältigungstraining. Achtsamkeitsübungen können verschiedene Themenbereiche des Schmerzbewältigungstrainings sinnvoll ergänzen bzw. vertiefen. Die Übung der Achtsamkeit auf einzelne Sinne ergänzt z. B. das Thema „Aufmerksamkeitslenkung“, Achtsamkeitsübungen auf innere Prozesse (Atem – Gedanken, Atem – Gefühle, Atem – Körperwahrnehmungen) können dabei helfen, eine innere Distanz gegenüber Belastungen zu gewinnen und die eigene Akzeptanz gegenüber Gegebenheiten zu erhöhen. Hier bietet sich für die Pflege im co-therapeutischen Kontext ein Aufgabenfeld, das gut zum pflegerischen Auftrag passt, Menschen zum bewussten Umgang mit sich selbst und zur Selbstfürsorge hinzuführen. Fragestellung. Wie hilfreich sind aus Patientensicht Achtsamkeitsübungen im Umgang mit chronischen Schmerzen? Welchen Gewinn können die Patienten aus diesen Übungen ziehen? Methode. Patienten mit chronischen Schmerzen wurden am Ende eines fünfwöchigen tagesklinischen multimodalen Schmerztherapieprogramms mittels eines Fragebogens zu ihren Erfahrungen mit verschiedenen Achtsamkeitsübungen befragt. Im Achtsamkeitstraining wurde zwischen Achtsamkeitsübungen „nach innen“ (Atem, Gedanken, Gefühle, Körperwahrnehmungen) und „nach außen“ (Ansprechen der einzelnen Sinne in der Natur/ Achtsamkeit bei der Verrichtung alltäglicher Handlungen) unterschieden. Zu beurteilen war, wie hilfreich die einzelnen Übungen empfunden wurden (Skala von 0= hilfreich bis 5= nicht hilfreich), welche Übungen die Befragten ggf. im Alltag weiterführen wollten und welche Effekte spürbar waren (Multiple-Choice-Fragen). Ergebnisse. An der Befragung nahmen bis zum Zeitpunkt der Auswertung insgesamt 35 Patienten teil, weitere Fragebögen werden noch in die Auswertung eingehen. Das Alter der Teilnehmer lag im MittelDer Schmerz · Supplement 1 · 2011
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Abstracts wert bei 49,6±11,6. Der Anteil der weiblichen Teilnehmerinnen betrug 77,1%. Am hilfreichsten wurde auf einer Skala von 0–5 die Achtsamkeit auf den Atem bewertet (MW 1,04/ SD 1,31), gefolgt von der Achtsamkeit auf die Sinne (MW 1,46/ SD 1,33) und auf die Gedanken (MW 1,73/ SD 1,48). In einer Auswahl von vierzehn Achtsamkeitsfeldern für die Anwendung im persönlichen Alltag rangierten das Sehen, der Atem, Haushaltstätigkeiten und die Körperpflege deutlich an vorderer Stelle. Die Frage nach dem hilfreichsten Aspekt des Achtsamkeitstrainings zeigte, dass der Zugewinn an innerer Ruhe (25 von 35), das Nicht-Bewerten von Gegebenheiten (22 von 35) und das Loslassen von Gedanken (20 von 35) im Vordergrund standen. Schlussfolgerung. Achtsamkeitsübungen sind eine wertvolle und sinnvolle Ergänzung im multimodalen Konzept der Behandlung chronischer Schmerzen. Die Ergebnisse der Patientenbefragung spiegeln den positiven Effekt besonders im seelischen Befinden wieder (innerlich ruhiger werden, nicht bewerten, Gedanken loslassen können). Eben diese Aspekte finden sich auch in den Inhalten des Schmerzbewältigungstrainings (Aufmerksamkeitslenkung, Akzeptanz, Umgang mit dysfunktionalen Gedanken). Die Achtsamkeitsübungen können hier als praktische Vertiefung gesehen werden. Entspannungsübungen können durch Achtsamkeitsübungen auf innere Prozesse ergänzt werden. Das Erleben innerer Ruhe spielt häufig bei Patienten, die mit Gedankenkreisen zu tun haben, eine wichtige Rolle. Hierbei sind die Achtsamkeit auf den Atem und auf Gedanken besonders unterstützend. Um diese Synergieeffekte zu nützen, sollten die Inhalte des Schmerzbewältigungstrainings und das Achtsamkeitstraining gut miteinander verzahnt werden.
P17.6 Weiterbildung in der Schmerzmedizin – Stand mono- und inter professioneller Konzepte im deutschsprachigen Raum K. Fragemann1, C. Wiese2 1Universitätsklinikum Regensburg, Bildungszentrum, Regensburg, Deutschland, 2Universitätsklinikum Regensburg, Klinik für Anästhesiologie, Regensburg, Deutschland Ziel. Untersuchungen deuten daraufhin, dass aktuell die interprofessionelle Lehre in der Schmerzmedizin nicht zufriedenstellend strukturiert ist [1, 2, 3]. Vor diesem Hintergrund ist auch für den deutschsprachigen Raum von Interesse, bestehende Weiterbildungen gemäß einer 1) geographischen Streuung, 2) Klassifizierung, 3) Struktur, 4) Qualifikation, 5) Evaluation und 6) konzeptionellen Verbreitung für die einzelnen Berufsgruppen systematisch zu erheben, um Tendenzen und Entwicklungen zu erkennen. Methodik. Analyse der Suchmaschinen Google®, Google Scholar® sowie der wissenschaftlichen Datenbanken Medline/PubMed und Embase von 1990–2011 bezüglich definierter Suchbegriffe (z. B. Schmerzkurs). Einschlusskriterium waren Weiterbildungen mit einer Dauer ≥8 Stunden in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Ergebnisse. Insgesamt wurden im deutschsprachigen Raum n>40 differente Weiterbildungsmodelle gefunden, die sich konzeptionell in monoprofessionell – interdisziplinäre [davon: Ärzte (ca.10%), Pflegeberufe/med. Assistenzberufe (ca. 75%), Psychologen sowie Physiotherapeuten (<5%)] sowie in ihrer Zielsetzung ausdrücklich interprofessionelle Weiterbildungen (<5%) klassifizieren lassen. In ihrer Struktur verwiesen (ca.40%) auf ein vorhandenes Curriculum, darunter befanden sich bei einem Drittel Hinweise auf eine Anlehnung an bestehende Curricula, die durch verschiedene Fachgesellschaften anerkannt sind. Qualifikationsregularien wie theoretische Prüfungen/Leistungsnachweise wiesen ca. 50% auf. Der theoretische Stunden-, Weiterbildungsumfang variierte zwischen 8 Stunden und 120 Stunden bzw. 4 Semestern und lag bei den Pflegeberufen/medizinischen Assistenzberufen am häufigsten bei 40–60 Stunden. Eine überregionale Verbreitung ihres konzeptionellen Ansatzes haben ca. 20% der Weiterbildungen. Eine systematische wissenschaftliche Evaluation fand sich bei weniger
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als 15% der Weiterbildungsmodelle. Eine interne Qualitätssicherung der Prozesse und der Teilnehmerzufriedenheit ließen sich mangels Hinweisen nicht zuverlässig ableiten. Schlussfolgerung. Die Ergebnisse zeigen eine hohe Diversität in den schmerzmedizinischen Weiterbildungsangeboten. Insbesondere das pflegerische Angebot in Deutschland ist durch uneinheitliche Qualitätsmerkmale (inhaltlich/methodisch) gekennzeichnet. Es erscheint somit insbesondere für Pflegeberufe eine allgemeine qualitätssichernde Regulierung durch die einzelnen Fachgesellschaften und Berufsverbände überlegenswert zu sein. Insbesondere die Untersuchung von Lernerfolgen und Effekten auf die Praxis der Schmerzmedizin kann eine sog. „Best-Practice“ der Weiterbildung fördern. Hinweis: Die im Abstract angegebenen Daten sind Teil der Untersuchung „Nationale und internationale Entwicklungen in der schmerzmedizinischen Weiterbildung“. Da die Untersuchung aktuell noch nicht komplett abgeschlossen ist, wurden hier vorläufige tendenzgebende Teilergebnisse verwendet. 1. Niemi-Murola et al. 2007 2. Wilson 2007 3. Watt-Watson et al. 2004
P17.7 „Experte/-in für Schmerzmanagement in der pädiatrischen Pfle ge“ – Evaluation einer Zusatzqualifikation für Gesundheits- und KinderkrankenpflegerInnen P. von Lützau1, S. Herzog2, A. Menke1, T. Hechler1, B. Zernikow1 1Vodafone Stiftungsinstitut und Lehrstuhl für Kinderschmerztherapie und Pädiatrische Palliativmedizin, Vestische Kinder- und Jugendklinik Datteln, Universität Witten/Herdecke, Datteln, Deutschland, 2evangelisches Krankenhaus Bielefeld gGmbH, Bielefeld, Deutschland Fragestellung. Internationale Studien belegen, dass Gesundheitsund KinderkrankenpflegerInnen Wissenslücken im Bereich des pädiatrischen Schmerzmanagements haben und somit kein optimales Schmerzmanagement durchführen. Mittlerweile gibt es in Deutschland auch für die Berufsgruppe der Gesundheits- und KinderkrankenpflegerInnen Zusatzqualifikationen im Bereich des pädiatrischen Schmerzmanagements. Eine davon wird seit Juni 2010 am Vodafone Stiftungsinstitut und Lehrstuhl für Kinderschmerztherapie und Pädiatrische Palliativmedizin an der Vestischen Kinder- und Jugendklinik Datteln angeboten (Experte für Schmerzmanagement in der pädiatrischen Pflege). Essentiell bei der Etablierung einer neuen Zusatzqualifikation ist deren Evaluation. Ziel dieser Studie war daher die Evaluation des Curriculums bezüglich des Wissenszuwachses und der Zufriedenheit der Teilnehmerinnen. Material und Methode. In die Studie wurden 47 Pflegende eingeschlossen. Der Wissenszuwachs wurde durch Vorher-Nachher-Messung anhand der deutschen Version des Pediatric Nurses Knowledge and Attitudes Survey Regarding Pain (PNKAS) – Shriners Revision 2002 überprüft. Die Zufriedenheit der Teilnehmer wurde anhand standardisierter Fragebögen erhoben, mittels derer die Teilnehmer u. a. bewerteten, wie zufrieden sie mit den Inhalten der Zusatzqualifikation und mit der gesamten Zusatzqualifikation waren. Neben deskriptiver Statistik wurden Mittelwertvergleiche mittels abhängiger T-Test sowie ANOVAs mit Messwiederholung durchgeführt. Ergebnisse. Der Wissensstand der Teilnehmer stieg nach der Zusatzqualifikation signifikant an (T[df=46]=10,03; p≤0,001). Berufserfahrung bzw. Ausbildungsgrad der TN hatten keinen signifikanten Einfluss auf den Wissenszuwachs. Zufriedenheit: Insgesamt war die Mehrzahl der TeilnehmerInnen sowohl mit den Inhalten als auch mit der gesamten Zusatzqualifikation „sehr zufrieden“ (67,2%) bis „überwiegend zufrieden“ (30,9%). Diskussion. Im Vergleich zu internationalen Studien zeigt sich, dass die TeilnehmerInnen der Zusatzqualifikation schon zu Beginn des Kur-
ses über ein relativ hohes Maß an Wissen verfügen. Dennoch belegen die Ergebnisse der Post-Befragung, dass dieses Wissen nach der Teilnahme an der Zusatzqualifikation signifikant gestiegen ist. Dies deutet darauf hin, dass unabhängig von den Vorraussetzungen, die eine Teilnehmerin mitbringt, die Zusatzqualifikation zu einem Wissenszuwachs führen kann. Die Ergebnisse der Zufriedenheitsbefragung veranschaulichen, dass die Inhalte der Zusatzqualifikation mit den Erwartungen der Teilnehmer übereinstimmen. Weitere Untersuchungen sind erforderlich um bspw. zu überprüfen, ob das gelernte Wissen in der Praxis umgesetzt wird oder ob der Fragebogen für unterschiedliche Fachgebiete (Onkologie, Neonatologie…) modifiziert werden muss.
P17.8 Die Anwendung von Capsaicin 8% aus pflegerischer Sicht A. Goettermann1, W. Meißner2 1Universitätsklinikum, Anästhesiologie und Intensivtherapie, Jena, Deutschland, 2Universitätsklinikum, Klinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie, Jena, Deutschland Fragestellung. Capsaicin 8% (Qutenza®) ist zur Behandlung peripherer neuropathischer Schmerzen zugelassen. Die Anwendung ist jedoch relativ aufwändig. In dieser Arbeit sollten pflegerische Aufgaben, Ressourcenaufwand und erste Ergebnisse beschrieben werden. Material und Methode. Bei den von uns mit Capsaicin 8% behandelten Patienten wurden die pflegerischen Behandlungsabläufe und der Zeitbedarf erfasst. Die Patienten wurden einen Monat nach erfolgter Behandlung zu den Schmerzen befragt. Ergebnis. Der pflegerische Behandlungsablauf besteht aus folgenden Schritten: Zu Beginn wird die behandelnde Stelle (Areal des Oberflächenschmerzes) markiert und eine Folienschablone erstellt. Anschließend wird auf das schmerzende Areal eine lokale Betäubung mit Lidocain Gel 4% für eine Stunde aufgebracht. Nach gründlichem Abwaschen des Gels wird das Pflaster an Hand der Schablone zurechtgeschnitten und aufgeklebt. In den meisten Fällen musste das Pflaster zusätzlich fixiert werden. Dabei muss Kontakt mit Haut oder Schleimhautkontakt des Patienten und des Behandelnden sorgfältig vermieden werden (Schutzhandschuhe). Nach max. einer Stunde wird das Pflaster entfernt und mit Reinigungsgel gesäubert. Bei den ersten Behandlungen stellte sich heraus, dass die lokale Betäubung nicht ausreichte und die Verabreichung starker schnell wirkender Opioide nötig wurde. Deshalb versorgten wir später die Patienten nach dem Aufkleben des Pflasters mit einer Kühlkompresse. Eine zusätzliche Schmerzmittelgabe war seitdem nicht mehr nötig. Die pflegerische Gesamtbehandlungszeit beträgt ca. 2–2,5 h/Fall. Innerhalb eines Jahres wurden 22 Patienten mit peripheren neuropatischen Schmerzen mit Capsaicin 8% behandelt. Patienten mit PHN (postherpetische Neuralgie) und PNP (Polyneuropathie) berichteten zu über 50% von einer deutlichen Schmerzlinderung nach 1 Monat. Patienten mit anderen Diagnosen (z. B. Mononeuropathien) zeigten ein weniger gutes Ansprechen. Diskussion und Schlussfolgerung. Nach ärztlicher Anordnung kann das Pflegepersonal eigenverantwortlich die Capsaicinapplikation vornehmen, benötigt jedoch einen gewissen Zeitaufwand. Die ursprünglich empfohlene Lidocain- und Opioidanalgesie hat sich bei unseren Patienten als unzureichend erwiesen, durch die Anwendung von Kühlkompressen konnte die Schmerzhaftigkeit der Behandlung deutlich reduziert werden. Die Mehrzahl der Patienten mit PZN und PNP profitierte von der Behandlung noch nach einem Monat.
P17.9 Pflegerische Erfolge im postoperativen Schmerzmanagement – positive Bilanz nach Einführung zweier Schmerzkonzepte in operativen Kliniken M. Bryant1 1Uniklinik Köln, Medizinische Synergien, Köln, Deutschland Problemstellung. Eine systematische Befragung zur postoperativen Schmerzen in den operativen Kliniken der Uniklinik Köln zeigte 2009 deutliche Mängel in der postoperativen Schmerzversorgung. Zur Verbesserung dieser Situation wurde die Einführung von Schmerzkonzepten in zwei Kliniken beschlossen. Der Erfolg dieser Maßnahme sollte 2011 mit einer nochmaligen Befragung nach Maßgabe von QUIPS© überprüft werden. Methode. Schmerzmanagement wird zum Qualitätsmanagement: Zuerst wurde eine Verfahrensanweisung erstellt. Die Durchführung und Überwachung der Schmerztherapie legten wir in den gemeinsamen Verantwortungsbereich unseres ärztlichen und pflegerischen Personals. Von Dezember 2010 bis Februar 2011 führten drei Mitarbeiter der Klinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin, Akutschmerzdienst und Qualitätsmanagement, in Kooperation mit den Mitarbeitern der Kliniken folgende Aufgaben durch: – Erstellen eines klinikbezogenen schmerztherapeutischen Stufenplans, – Anpassung und Verbesserung der Dokumentation zur Schmerzerfassung, – Schulung des Pflegepersonals (Patientenberatung, Gebrauch von Schmerzskalen, – Dokumentation, Schmerzkonzept, Anpassung der Schmerztherapie gemäß den von Patienten berichteten Schmerzintensitäten), – Schulungen der Ärzte, – abschließende zweite QUIPS-Patientenbefragung. Ergebnisse. Die Daten der zweiten QUIPS-Befragung vom Frühjahr 2011 zeigen, dass die Implementierung einer systematischen Stufentherapie zur Verbesserung der Schmerzintensitäten und der mit Schmerz assoziierten Beeinträchtigungen führt und damit zu einer erhöhten Zufriedenheit der Patienten: – Befragt wurden 173 Patienten auf den vier Stationen der zwei Kliniken. – Erfasst wurden maximaler Schmerz, geringster Schmerz, Schmerz bei Belastung, schmerzbedingte Beeinträchtigungen und Patientenzufriedenheit. Die Schmerzeinschätzung erfolgte mithilfe einer numerischen Ratingskala von 0 bis 10. – Auf allen Stationen haben sich die Mittelwerte des Maximalschmerzes und Belastungsschmerzes reduziert. So fiel der Wert des Belastungsschmerzes in einer Station von 3,88 (2009) auf 2,83 (2011), in einer anderen von 3,49 auf 1,95. – Die schmerzassoziierten Beeinträchtigungen konnten im Durchschnitt aller vier Stationen ebenfalls reduziert werden. 2009 hätten sich noch 24,5% der Patienten mehr Schmerzmittel nach der Operation gewünscht, jetzt waren es nur noch 2,6%. – Die Zufriedenheit der Patienten hat sich auf allen vier Stationen erhöht. Im Benchmark aller an QUIPS teilnehmenden deutschen Stationen verbesserten sich unsere Stationen von hinteren auf vordere Plätze. Diskussion und Schlussfolgerung. Alle vier Stationen zeigen Verbesserungen, zwei Stationen allerdings weniger deutlich. Grund dafür ist die unterschiedliche Qualität der Konzeptumsetzung durch Pfleger und Ärzte. Je besser das Schmerzkonzept umgesetzt wird, desto besser sind die Resultate. Für die Überprüfung der Umsetzung hat sich QUIPS als verlässlicher Qualitätsindikator bewährt. Mit Hilfe von QUIPS ließen sich strukturelle Veränderungen in der Therapie gut einführen und anpassen.
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Abstracts P17.10 Interventionsstudie zur Entwicklung und Implementierung einer Handlungsempfehlung (HE) zum angemessenen Schmerz management älterer Menschen in Pflegeheimen (PAIN Inter vention) A. Budnick1, I. Wulff1, M. Kölzsch2, F. Könner2, R. Kreutz2, D. Dräger1 1Charité – Universitätsmedizin Berlin, Institut für Medizinische Soziologie, Berlin, Deutschland, 2Charité – Universitätsmedizin Berlin, Campus Mitte, Institut für Klinische Pharmakologie und Toxikologie, Berlin, Deutschland Fragestellung. Verbessert die Anwendung einer interdisziplinären HE zum Schmerzmanagement älterer Menschen die Schmerzsituation und dadurch die Autonomie von Pflegeheimbewohnern? Material. Im ersten Projektjahr wird eine interdisziplinäre HE entwickelt, welche sich in fünf Teilbereiche gliedert: (1) Schmerzassessment, (2) medikamentöse Behandlung, (3) nichtmedikamentöse Anwendungen, (4) institutionelle Rahmenbedingungen und (5) strukturelle Empfehlungen für Leistungsanbieter. Zur Beantwortung der Hauptfragestellung wird eine clusterrandomisierte Interventionsstudie, einfach verblindet, zur Prüfung der Wirksamkeit der HE zum Schmerzmanagement bei Pflegeheimbewohnern durchgeführt. Im Fokus der Studie steht, ob die Implementierung und Umsetzung der HE die Schmerzintensität bei Pflegeheimbewohnern reduziert sowie deren Schmerzverarbeitung unterstützt und die Autonomie der Bewohner fördert. Zudem werden Veränderungen hinsichtlich institutioneller Rahmenbedingungen geprüft. Methode. Am Ende des ersten Projektjahres liegt eine HE zu einer ganzheitlichen Schmerztherapie bei älteren Menschen in Pflegeheimen vor. In die Studie werden Pflegeheimbewohner (m/w) mit keinen bis leichten kognitiven Beeinträchtigungen (MMSE ≥18) aus Berlin einbezogen. Zudem müssen die Studienteilnehmer von Schmerzen betroffen sein und der behandelnde Hausarzt die Studienteilnahme schriftlich zusichern. Zur Erfassung der Bewohnerperspektive werden nach einer Baseline-Erhebung zur schmerztherapeutischen Versorgung zwei weitere Erhebungszeitpunkte drei sowie sechs Monate nach der Durchführung der Qualifizierungsmaßnahmen (Interventionsgruppe = Implementierung der HE; Kontrollgruppe = Basisinformationen zum Schmerzmanagement) folgen. Nach der Implementierung der HE sowie der Vermittlung der Basisinformation zum Schmerzmanagement werden dazu Bewohner, Pflegefachkräfte und Hausärzte befragt. Diskussion. Die HE befähigt im Pflegeheim tätige Berufsgruppen zu einer verbesserten Versorgung von schmerzbetroffenen Heimbewohnern. Gleichzeitig wird ein Qualifizierungskonzept vorgelegt, welches die beteiligten Berufsgruppen entsprechend ihrer Vorkenntnisse zu den Themen: Schmerzassessment, medikamentöse Behandlung und Anwendung nichtmedikamentöser Interventionen fortbildet. Zur Sicherstellung der Umsetzungsqualität werden die Einrichtungen wissenschaftlich begleitet. Schlussfolgerung. Die Implementierung einer interdisziplinären HE schafft wissenschaftliche Voraussetzungen zur Verbesserung der schmerztherapeutischen Versorgung älterer Pflegeheimbewohner mit Schmerzen. Es wird davon ausgegangen, dass die Schmerzintensität der Heimbewohner reduziert, die Autonomie derselben gefördert und Versorgungsprozesse optimiert werden.
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Poster Freitag, 07.10.2011 P02 – Experimentelle Schmerzmodelle II P02.1 „Unterschiedliche Verarbeitung von Berührung und Graphäst hesie im menschlichen Gehirn: eine fMRI-Studie“ P. Albert1, E. Peltz2, C. Maihöfner3 1Universitätsklinikum Erlangen, Schmerzzentrum, Erlangen, Deutschland, 2Uniklinik Erlangen, Neurologie, Erlangen, Deutschland, 3Klinik für Neurologie und Schmerzzentrum, Universität Erlangen, Erlangen, Deutschland Fragestellung. Berührungsreize werden normalerweise im menschlichen Gehirn in einem somatosensorischen Netzwerk bestehend aus dem primären (S1) und sekundären (S2) somatosensorischen Kortex verarbeitet. Dieses Aktivierungsmuster kann vermutlich in Abhängigkeit der Bedeutung des taktilen Reizes deutlich abweichen. Die Fragestellung der aktuellen Studie war daher, inwieweit sich neutrale Berührungsreize von graphästhetischen Stimuli in ihrer Verarbeitung im menschlichen Gehirn unterscheiden und welche somatosensorischen sowie kognitiven Netzwerke bei der Verarbeitung graphästhetischer und taktiler Stimuli eine Rolle spielen. Material und Methode. Es wurden insgesamt 13 gesunde, rechtshändige Probanden untersucht. Sowohl die taktile als auch die graphästhetische Stimulation erfolgte auf dem mittleren Handrücken der rechten Hand mittels Wattestäbchen. Für die graphästhetische Stimulation wurden Zahlen auf dem Handrücken „geschrieben“, die die Probanden mit geschlossenen Augen erkennen sollten. Der Vorgang wurde mit den Testpersonen zunächst trainiert. Die Testung mittels fMRI erfolgte in einem Blockdesign von 5 Stimulationen (Applikation je 3 Sekunden, Ruhephase je 21 Sekunden). Ergebnisse. Während bei neutralen taktilen Stimuli im Wesentlichen ein somatosensorisches Netzwerk bestehend aus S1 und S2 aktiviert wurde, zeigte sich bei der Applikation graphästhetischer Stimuli ein grundlegend anderes Aktivierungsmuster. Neben einer deutlich stärkeren Aktivierung der somatosensorischen Areale S1 und S2 fanden sich zusätzlich signifikante Aktivierungen in den Bereichen des präfrontalen Kortex (DLPFC, VLPFC, DMPFC), des anterioren und posterioren cingulären Kortex (ACC, PCC), des Thalamus (TH), des Cuneus (CU) sowie des parietalen Assoziationskortex (PA). Diskussion. Obwohl es sich in beiden Versuchbedingungen um die Applikation rein taktiler Stimuli handelte, zeigte sich bei graphästhetischen Stimuli eine substantiell unterschiedliche und deutlich komplexere kognitive und somatosensorische Verarbeitung im Gehirn. Schlussfolgerung. In Abhängigkeit ihrer Bedeutung bzw. ihres Kontextes können taktile Reize zu einem signifikant unterschiedlichen Aktivierungsmuster im menschlichen Gehirn führen. Unterstützt durch den Deutschen Forschungsverbund „Neuropathischer Schmerz“ (BMBF) und die STAEDTLER-Stiftung (TP 4/Maihöfner).
P02.2 Habituation – a central phenomenon: measured with laser evoked potentials and QST P. Hüllemann1, F. Mahn1, Y. Shao1, G. Wasner2, R. Watfeh1, R. Baron3 1Christian-Albrechts-Universtät Kiel, Schmerzsektion Neurologie, Kiel, Deutschland, 2Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel, Klinik für Neurologie, Kiel, Deutschland, 3Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel, Sektion Neurologische Schmerzforschung und -therapie, Kiel, Deutschland In recent studies the habituation phenomenon has been briefly described when using pain research paradigms with repetitive painful stimulation. Most authors tried to circumvent this phenomenon trying to raise the stimulus intensity according to the subjects’ pain ratings. In this study we intended to test whether habituation can be reproducibly induced in all subjects. We also tried to measure the changes of somatosensory perception when there was on-going habituation. For this purpose we induced habituation in 32 subjects with repetitive painful laser heat stimuli at different body areas and tested the A-delta-fiber and C-fiber input with laser evoked potentials and with assessment tools from the QST-protocol. We found that the somatosensory input from the contra lateral side is also dampened when repetitive stimuli were applied to the ispilateral side first. We also showed that not only the same entitiy of stimuli (repetitive painful heat pain) is dampened by habituation mechanisms but also the input of cold stimuli conducted by the same fiber class (A-delta-fibers). On the other hand, other A-delta fiber entities like mechanical pinprick sensations were not significantly affected. Since habituation could be induced in all subjects, stimulation with repetitive laser stimuli is a method which is easy to reproduce. Furthermore, habituation induced by repetitive painful stimuli turned out to be a clearly physiological phenomenon which indicates normal central processing of pain in healthy controls. Likewise, central habituation might change when central processing of pain is altered such as by neuropathic pain disorders.
P02.3 Das „Realitätsdilemma“ – statistische, klinische und praktische Signifikanz. Wer erzählt uns was über Erfolge in der Schmerz therapie? U. Kaiser1, A. Schütze2, R. Sabatowski1 1Universitätsklinikum Dresden, UniversitätsSchmerzCentrum, Dresden, Deutschland, 2USC – UniversitätsSchmerzCentrum, Schmerzambulanz, Dresden, Deutschland Einleitung. Statistische Analysen sind in der biometrischen und psychologischen Forschung weit verbreitet. Wenn Veränderungen gemessen werden, ist es vor allem von Interesse, ob die vorliegenden Effekte tatsächlich generalisierbar sind und darüber hinaus, ob sie wirklich bedeutsam für weitere Überlegungen sind. Dabei stoßen einfache statistische Signifikanzberechnungen an ihre Grenzen, denn jeder Effekt wird mit einer ausreichenden Stichprobe irgendwann signifikant. Eine Entscheidung darüber, ob solche Effekte auch wesentlich bzw. bedeutsam sind, kann damit noch nicht gefällt werden. Eine Lösung ist die Betrachtung der Ergebnisse mit Hilfe verschiedener Signifikanzparameter, um wesentliche von unwesentlichen Effekten zu unterscheiden. Allerdings zeigt es sich bei näherer Betrachtung, dass nur dann eine Interpretation und ein Vergleich der Ergebnisse gelingen können, wenn man Grenzen und Möglichkeiten dieser Parameter einbezieht. Methode. 214 Patienten einer multimodalen Tagesklinik (2006–2008) wurden anhand folgender Daten untersucht: – Variablen der Veränderungsmessung: Schmerzintensität (NRS), Lebensqualität (SF 36), schmerzbedingte Beeinträchtigung (PDI), Depression (ADS), Angst (HADS). Die Daten wurden zu Baseline (T1), am Ende der Therapie (T2), nach einer Wiederholungswoche 3 Monate nach T2 (T3), 6 Monate nach T3 (T4), 1 Jahr nach T3 (T5) und
2 Jahre nach T3 (T6) erhoben. In die Analyse fließen die Daten zu T1 und T2, sowie T1 und T6 ein. – Analyse: der RCI („reliable change index“), wird berechnet und in seinen Möglichkeiten im Vergleich zum bisher üblichen Einsatz der Effektstärke und des klinischen Signifikanztests diskutiert. Berechnungen erfolgen durch SPSS 16.0. Ergebnisse. Im ersten Teil der Darstellungen erfolgt eine bewusste Diskussion der Bedeutung des Alphafehlers und des Betafehlers in der Planung von Untersuchungen und ihr Einfluss auf die Interpretation signifikanter Ergebnisse. Dabei werden die Einflussfaktoren auf den Betafehler in Beispielen dargestellt (Effektgröße des zu erwartenden Effektes, Stichprobengröße unter Beibehaltung des Alphafehlers von 5% als Minimum des Konsenses zu Sicherstellung der Annahme der Nullhypothese). Zudem soll hier dargestellt werden, dass Signifikanztests nur vor dem Hintergrund einer Entscheidung für oder gegen in jedem Fall vorher postulierter Hypothesen (Nullhypothese und Alternativhypothese) sinnvoll sind. Alleinige Signifikanzergebnisse ohne vorherige konzeptuell begründete Hypothesen sind unmöglich zu interpretieren, weil die Bedeutung des signifikanten Ergebnisses nicht erfasst werden kann. Im zweiten Teil der Darstellungen wird die Effektstärke nach Cohen (1962) näher beleuchtet. Dabei interessieren auch hier vor allem die Grenzen der Effektstärke im Hinblick auf die Verwendung verschiedener Verfahren, die eine Adaptierung der Effektstärkeberechnung erfordern, sowie im Hinblick auf die Verwendung zum Vergleich verschiedener Stichproben, zu verschiedenen Zeitpunkten. Anhand von Beispielen soll die Beeinflussbarkeit der Effektstärke durch Differenzveränderung der Messwerte sowie durch Veränderungen der Varianz demonstriert werden. Im dritten Teil wird der RCI als weitere Signifikanzparameter vorgestellt und anhand von Beispielen näher beleuchtet. Unter der Berechnung RCI, der im Hinblick auf die bisherigen, oben geschilderten Schwierigkeiten konzipiert wurde, zur Entscheidung zwischen Respondern und Non-Respondern Aussagen treffen zu können, verschwinden einige kleine bis mittelgradige Effekte, die durch Effektstärke und klinische Signifikanz beschrieben wurden. Schlussfolgerung. Statistische Tests sind wichtige Instrumente, um Effekte aus interessierenden Fragestellungen zu bestimmen. Dennoch werden die Relevanz und Bedeutung dieser Effekte durch die Verwendung solcher Tests nicht einfach belegt oder widerlegt. Es ist in jedem Fall wichtig, bei den Entscheidungen und Interpretationen die Grenzen und die Anwendungsbereiche dieser Tests zu reflektieren und dabei auch die Notwendigkeiten der Fragestellungen einfließen zu lassen. Es ist in jedem Fall unmöglich, die Bedeutung des signifikanten Ergebnisses abzuschätzen, ohne die Möglichkeit der Fehler einer falschpositiven Annahme bzw. Zurückweisung in Rechnung zu stellen. Dies erfordert allerdings Forschungsdesigns mit vorher klar definierten Forschungshypothesen und die Beachtung des Betafehlers in der Entscheidung über die Annahme oder Ablehnung einer der Hypothesen. Ebenso fraglich erscheint vor dem Hintergrund des bisher wenig berücksichtigten Betafehlers die Bedeutung replizierter oder nicht replizierter Befunde, die möglicherweise auf dieses statistische Phänomen zurückzuführen sein können. In der Zukunft sollten Studien diesbezüglich genauer geplant und sorgfältiger zum Beispiel hinsichtlich der Stichprobengröße oder Effektsicherstellung durch spezielle methodische Verfahren (Kovarianzanalyse, geringere Varianzen der Untersuchungsgruppe etc.) durchgeführt werden. Vor allem die Effektstärke erscheint vor dem Hintergrund ihrer Veränderlichkeit durch Varianz und Differenz der Messwerte für die Bewertung von Therapieeffekten in Metaanalysen eher ungeeignet. Cohen (1962) selbst forderte vom Forscher, die praktische Bedeutsamkeit der gefundenen Effekte anhand der Kontextbedingungen einzuschätzen und diese Bewertung nicht allein von der Effektstärke abhängig zu machen. Der RCI wurde 1995 bereits durch Kastner und Basler in der Schmerztherapie eingeführt, ist aber bisher leider nicht weiter aufgegriffen worden. Dies erscheint aufgrund seiner Konzipierung und Stärken Der Schmerz · Supplement 1 · 2011
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Abstracts unverständlich. Gerade mit Hilfe des RCI als statistisches Maß ist die Einschätzung der Veränderung der Messergebnisse unter der Gruppierung Responder/Non-Responder möglich.
P02.4 NSAID‘s may delay recovery of muscle pain after exercise M. Rother1, E. Seidel2, I. Rother1 1X-pert Med GmbH, Clinical Operations, Gräfelfing, Deutschland, 2Sophien- und Hufeland Klinikum, Zentrum für Physikalische und Rehabilitative Medizin, Weimar, Deutschland Objective. Eccentric contraction causes microtrauma induced muscle fiber destruction with delayed onset of muscle pain. Neutrophils and tissue macrophages migrate to the damaged muscle tissue, clean up the debris of broken proteins, and then initiate the regeneration phase [1]. These changes are self-resolving over a period of a few days. The use of NSAIDs seems a reasonable therapeutic approach to treat pain and inflammation induced by eccentric contractions. One of the reasons why the effect of systemic NSAID’s might be limited is delayed recovery. Nieman et al. found elevated cytokine levels in ibuprofen users following a 160 km race [2]. Methods. This multiple-dose, double-blind, parallel-group, randomized, placebo controlled study investigated the effect of muscle pain induced by walking down stairs with a total altitude of 300–400 m depending on body weight. Subjects with a pain score of at least 3 on a 10point categorical pain scale at 12–16 hours after exercise were randomized to placebo (n=48) and 100 mg ketoprofen b.i.d. (n=24). 200 mg ketoprofen was given bid over 7 days. Muscle pain was rated by the subjects using a 10 point categorical pain scale before exercise, before the first dose of study drug, at 1, 2, 4, 8, and 12 hours after the first dose of study drug. Subsequently, pain rating was performed immediately before study drug applications. The following parameters were assessed; Area under the curve of all assesments (AUC), Maximum pain (Pmax), Time of maximum pain (Tmax) and Time to end of pain (Tend). A Wilcoxon test for unpaired observations was used to test the null hypothesis of no difference between treatment groups against the alternative hypothesis of a difference between groups. A 2-sided significance level of 5% was applied. Results. Oral ketoprofen resulted in significantly higher pain scores (p=0.0240) compared to placebo considering the full observation period (AUC). Pmax and Tmax were numerically higher for the ketoprofen group as compared to the placebo group but the differences were not statistically significant. Evaluation of all parameters indicated that most of the negative effect of oral ketoprofen was caused by a delay of recovery (Tend: p=0.0046). Conclusion. Application of a prescription dose of a high potent antiinflammatory drug ketoprofen might reduce muscle pain early after exercise but this might be on the expense of producing deleterious effects on recovery. Since application of ibuprofen [3] and celecoxib [4] showed reduced muscle soreness without effects on recovery, the effect might be drug specific (anti-inflammatory potency) or may depend on mode and timing of drug application. 1. MacIntyre DL, Reid WD, McKenzie DC. Delayed muscle soreness. The inflammatory response to muscle injury and its clinical implications. Sports Med 1995;20(1):24–40 2. Nieman DC, Dumke CL, Henson DA, McAnulty SR, Gross SJ, Lind RH. Muscle damage is linked to cytokine changes following a 160 km race. Brain, Behaviour and Immunity 2005; 19; 398–403 3. Tokmakidis SP, Kokkinidis EA, Smilios I, Douda H. The effects of ibuprofen on delayed muscle soreness and muscular performance after eccentric exercise. J. Strength Cond. Res. 2003; 17 (1); 53–59 4. Paulsen G, Egner IM, Drange M, Langberg H, Benestad HB, Fjeld JG, Hallén J, Raastad T. A COX-2 inhibitor reduces muscle soreness, but does not influence recovery and adaptation after eccentric exercise. Scand J Med Sci Sports.
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2009 Jun 10. [Epub]
P02.5 Die Wirkung von Ablenkungsaufgaben auf die Schmerzempfin dung und den nozizeptiven Flexorreflex (RIII-Reflex) A. Kreusch1, C. Albers1, J. Sommer2, M. Marziniak1, R. Ruscheweyh3 1Universitätsklinikum Münster, Klinik und Poliklinik für Neurologie, Münster, Deutschland, 2Universitätsklinikum Marburg, Psychiatrie, Marburg, Deutschland, 3Universität München, Klinikum Großhadern, Neurologie, München, Deutschland Fragestellung. Ablenkung führt zu einer verminderten Schmerzempfindung. Aufgrund der Ergebnisse funktioneller zerebraler Bildgebung vermutet man, dass dies zumindest teilweise auf der Aktivierung absteigender schmerzhemmender Bahnen, und damit auf einer Hemmung der nozizeptiven Übertragung auf Rückenmarksebene, beruht. Hier haben wir den nozizeptiven Flexorreflex (RIII-Reflex) verwendet, um die Wirkung von Ablenkung auf die spinale nozizeptive Übertragungsstärke beim Menschen direkt zu quantifizieren. Material und Methode. Bei 27 jungen gesunden Probanden wurde der basale RIII-Reflex (Reizung alle 6 s) sowie dessen zeitliche Summation (10 Reize, 1 Hz) durch elektrische Stimulation des N. suralis am Außenknöchel ausgelöst und am M. biceps femoris abgeleitet. Die Intensität der Schmerzreize wurde auf einer numerischen Ratingskala (0–10) bewertet. Während der Reflexableitung wurden drei Ablenkungsaufgaben von je 2 min Dauer getestet: (1) Hören der mitgebrachten Lieblingsmusik, (2) Visualisierung angenehmer Situationen („mental imagery“) und (3) eine sensori-diskriminative Aufgabe (Zählen von Pinselstrichen an bestimmten Fingern). Bei einer vierten Aufgabe sollten sich die Probanden auf den Schmerz konzentrieren. Ergebnisse. Alle Ablenkungsaufgaben bewirkten während der Ableitung des basalen RIII-Reflexes eine signifikante Reduktion der Schmerzempfindung (Musik auf 86±16% der Kontrolle, „mental imagery“ 79±14%, Pinsel 74±16%, alle p<0,001). Dagegen wurde der RIII-Reflex nur durch die Pinselaufgabe verkleinert (auf 82±13% der Kontrolle, p<0,001). Konzentration auf den Schmerz bewirkte eine Potenzierung des basalen RIII-Reflexes (112±18% der Kontrolle) und der zugehörigen Schmerzempfindung (121±20%). Das Ausmaß der zeitlichen Summation von Schmerzempfindung und RIII-Reflex wurde durch die Ablenkungs- und Konzentrationsaufgaben nicht verändert, abgesehen von einer Zunahme der zeitlichen Summation der Schmerzempfindung beim Musikhören. Diskussion. Alle Ablenkungsaufgaben führten zu einer Reduktion der Schmerzempfindung, aber nur die Pinselaufgabe bewirkte auch eine Reduktion des RIII-Reflexes. Dies spricht dafür, dass nicht alle Ablenkungsstrategien gleichermaßen zu einer Aktivierung absteigender schmerzhemmender Bahnen führen. Der selektive Effekt auf die basale Schmerzempfindung bzw. den basalen RIII-Reflex, aber nicht auf die zeitliche Summation der beiden Parameter, legt nahe, dass Ablenkungsaufgaben eine stärkere Wirkung auf AMPA- als auf NMDA-Rezeptor-vermittelte nozizeptive Mechanismen haben. Schlussfolgerung. Die vorliegende Studie zeigt, dass nur manche Ablenkungsaufgaben zu einer Aktivierung der absteigenden Schmerzhemmung führen, während andere eine Schmerzreduktion offenbar vorzugsweise über rein supraspinale Mechanismen bewirken. In beiden Fällen scheinen Ablenkungsaufgaben v. a. auf AMPA- und nicht auf NMDA-Rezeptor-vermittelte nozizeptive Mechanismen zu wirken.
P02.6 Die Rolle TRPV1-positiver nozizeptiver Afferenzen bei der In duktion nozizeptiver Langzeitpotenzierung (Schmerz-LTP) beim Menschen
P02.7 Ableitung von laserevozierten Potentialen (LEP) an mechanoin sensitiven C-Fasern nach Blockade des Nervus cutaneus femoris lateralis mit Ropivacain
F. Henrich1, W. Magerl1, R. Treede1, T. Klein1 1CBTM, Medizinische Fakultät Mannheim der Uni Heidelberg, Lehrstuhl für Neurophysiologie, Mannheim, Deutschland
M. Dusch1, J. van der Ham1, B. Weinkauf1, J. Benrath2, M. Schmelz3, R. Rukwied4, M. Ringkamp5, R. Treede6, U. Baumgärtner7 1Klinik für Anästhesiologie, Universitätsklinik Mannheim, Medizinische Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg, Schmerzzentrum, Mannheim, Deutschland, 2Klinik für Anästhesie und Operative Intensivmedizin, Schmerzzentrum, Ladenburg, Deutschland, 3Universitätsklinikum Mannheim, Institut für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin, Mannheim, Deutschland, 4Universitätsmedizin Mannheim, Klinik für Anästhesiologie, Klinische und Experimentelle Schmerzforschung, Mannheim, Deutschland, 5The Johns Hopkins Hospital, Department of Neurosurgery, Baltimore, USA, 6Universität Heidelberg, Lehrstuhl für Neuropyhsiologie, Mannheim, Deutschland, 7Universitätsmedizin Mannheim, Lehrstuhl für Neurophysiologie am CBTM, Mannheim, Deutschland
Fragestellung. Die Induktion nozizeptiver Langzeitpotenzierung (LTP) durch hochfrequente elektrische Reize (HFS) beim Menschen führt sowohl zu einer lang anhaltenden Schmerzsteigerung elektrischer Testreize am Ort der Konditionierung (homotope Schmerz-LTP) als auch zu sekundärer Hyperalgesie gegen mechanische Reize in der Umgebung der Konditionierung (heterotope Schmerz-LTP; Klein et al. 2004). Hier testeten wir die Hypothese, ob ein durch topisches Capsaicin hervorgerufener transienter Rückzug peptiderger Nozizeptoren aus der Haut (Desensibilisierung) die Auslösung von Schmerz-LTP durch HFS beim Menschen verhindert. Material und Methoden. An der placebokontrollierten Studie nahmen 21 gesunde Männer im Alter von 21 bis 38 Jahren (MW 24±4) teil. Zur Desensibilisierung wurde ein 8%iges Capsaicinpflaster (Qutenza®Pflaster; 4,5 cm²) über 2 Tage für jeweils 22 h auf einer Unterarminnenseite aufgebracht. Der Verlauf der Desensibilisierung wurde durch die Bestimmung von Hitzeschmerzschwellen (HPT; Cut-off 50°C, TSA, Medoc) über alle vier Testtage (1. Tag: Baselinemessungen, 2–3. Tag Pflasterapplikation; 4. Tag LTP-Auslösung) objektiviert. Am 4. Tag wurde Schmerz-LTP im Capsaicin-desensitivierten Areal durch HFS (5×1 s mit 100 Hz bei 10× Detektionsschwelle T) oberflächlicher Nozizeptoren via 10 kreisförmig angeordneter, punktförmiger Elektroden (Ø je Elektrode: 250 µm) induziert und mit LTP in normaler Haut verglichen. Das Ausmaß sowohl der homotopen (Applikation elektrischer Testreize durch die konditionierende Elektrode; 10×T) als auch der heterotopen Schmerz-LTP (Applikation punktförmige mechanische Testreize in der Umgebung der konditionierenden Elektrode; Ø 250 µm; Stärke: 8 512 mN) wurde durch Schätzung der Schmerzhaftigkeit anhand einer numerischen Ratingskala (0–100) quantifiziert. Ergebnisse. HPT im desensitivierten Areal stieg von 45,4±2,1 (Tag 1) auf 49,9±0,4 °C an (p<0,001, gepaarte T-tests), wohingegen HPT im unbehandelten Areal von 45,8 (Tag 1) auf 44,4 (Tag 4) signifikant abfiel (p<0,01). Die mittlere Schmerzhaftigkeit der 5 HFS-Trains war im desensitivierten Areal im Vergleich zum Kontrollareal signifikant reduziert (16,5/100 vs. 34,9/100, p<0,001). Sowohl der Anstieg der Schmerzhaftigkeit elektrischer Testreize am Ort der Konditionierung (+40,2% vs. +141,6%; homotope Schmerz-LTP; 0–60 min nach HFS) als auch die sekundäre Hyperalgesie (+11,4% vs. +134,3%; heterotope Schmerz-LTP) nach HFS waren im Capsaicin-desensitivierten Areal gegenüber der Kontrollbedingung signifikant reduziert (beide p<0,001). Diskussion und Schlussfolgerung. Der nahezu komplette Verlust der Hitzeschmerzempfindlichkeit legt eine nahezu vollständige Denervierung der Haut von TRPV1-positiven Afferenzen nach topischem Capsaicin nahe. Die signifikante Reduktion homo- und heterotoper Schmerz-LTP nach Denervierung bestätigt tierexperimentelle Befunde über die Relevanz TRPV1-positiver nozizeptiver Afferenzen bei der Induktion nozizeptiver LTP (Liu und Sandkühler, 1997).
Einleitung. Die C-Faser vermittelte Komponente eines LEP ist schwierig zu isolieren. Wahrscheinlich wird sie durch den Input der schneller leitenden Ad-Fasern zentral inhibiert. Um das Antwortverhalten von polymodalen und mechanoinsensitiven Fasern zu untersuchen wurde eine Nervenblockade des N. cutaneus femoris lateralis (LFCN) an gesunden Probanden durchgeführt. Methoden. Bei 10 gesunden männlichen Probanden wurde Ultraschall gezielt eine Blockade des LFCN mit Ropivacain 1% durchgeführt. 30 Minuten nach der Blockade wurden die auf mechanische und elektrische Stimuli anästhesierten Areale erhoben. Die auf mechanische Stimuli (polymodele Nozizeptoren) anästhesierten Areale waren dabei signifikant größer als die auf elektrische Stimuli (mechanoinsensitive Nozizeptoren) anästhesierten Areale. So konnte ein Areal mit differenzierter Sensitivität etabliert werden. In allen drei Arealen (native Haut, vollständig anästhesierte Haut und differenziert sensitive Haut) wurden LEP‘s, Latenzen der Schmerzempfindung und die Schmerzintensität gemessen und erhoben. Ergebnisse. Die Latenz auf LEP betrug im differenziert sensitiven Areal 225 ms, verglichen mit 185 ms in nativer Haut. Die LEP Amplituden betrugen 13,8 µV beziehungsweise 25,6 µV. Die Latenz der Schmerzempfindung nach dem Laserreiz betrug 653,9 ms beziehungsweise 405,6 ms. Die Schmerzintensität wurde mit 5/10 NRS verglichen mit 1/10 NRS angegeben. Schlussfolgerungen. Die Latenz und Amplitude der LEP in nativer Haut entsprechen Ad-Fasern. Die Ergebnisse in der differenziert anästhesierten Haut entsprechen nicht, wie erwartet, denen von C-Fasern. Für C-Fasern war die Latenz zu kurz, für Ad-Fasern zu lang. Diese Beobachtung könnte ein Hinweis auf das Vorkommen von teilweise unmyelinisierten Fasern beim Menschen sein.
P02.8 Neuronale Korrelate des Einflusses instruierter Angst auf die Wahrnehmung von Hitzeschmerz P. Reicherts1, M. Wieser1, A. Gerdes2, P. Pauli1 1Uni Würzburg, Lehrstuhl für Psychologie I, Würzburg, Deutschland, 2Uni Mannheim, Lehrstuhl für Klinische und Biologische Psychologie I, Mannheim, Deutschland Fragestellung. Emotion und Schmerz sind eng verknüpft, so dass die Verarbeitung von Schmerz durch Manipulation des emotionalen Zustands verändert werden kann. Negative Emotionen erhöhen die Schmerzwahrnehmung, so führt Angst zu erhöhter sensorischer Sensitivität und Hyperalgesie. Außerdem weisen die neuronale Repräsentation von Emotion und Schmerz viele Gemeinsamkeiten auf, was einen wechselseitigen Einfluss nahe legt. In der vorliegenden Studie werden unter Verwendung eines Angst-Instruktions-Paradigmas neben subDer Schmerz · Supplement 1 · 2011
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Abstracts jektiven auch physiologische und neuronale Maße zur Untersuchung des Effektes von Angst auf Schmerz herangezogen. Methoden. 21 Personen wurden im Magnetresonanztomographen (MRT) Hitzereize verabreicht (schmerzhaft/nicht schmerzhaft), während zusätzlich Hinweisreize eine potentielle Gefahr bzw. Sicherheit anzeigten. Den Probanden wurde zuvor mitgeteilt, sie könnten während der Präsentation des Gefahren-Hinweisreizes bis zu 3 jedoch mindestens einen unangenehmen elektrischen Reiz erhalten (tatsächlich keine elektrische Stimulation). Während der Messung im MRT wurden zusätzlich sensorische und affektive Schmerz-Ratings, Hautleitfähigkeit (EDA) und Ratings der Gefahren bzw. Sicherheits-Reize erfasst. Ergebnisse. Die EDA-Auswertung ergab stärkere Reaktionen auf den Gefahren-Reiz im Vergleich zum Sicherheits-Reiz zu Reizbeginn. Schmerzhafte im Vergleich zu nicht-schmerzhaften Hitzereizen führten zu erhöhter Hautleitfähigkeit unabhängig von Sicherheit und Gefahr. Die Auswertung der affektiven Schmerzratings ergab signifikant höhere Urteile unter Gefahr im Vergleich zur Sicherheitsbedingung. Schmerzintensitätsratings ergaben signifikante Unterschiede zwischen schmerzhafter und nicht schmerzhafter Stimulation, diese war jedoch unbeeinflusst von der angezeigten Gefahr. Die dargebotenen Gefahren-Reize wurden von den Probanden als bedrohlich, negativ und emotional bewegend bewertet und stärker mit einem möglichen elektrischen Reiz assoziiert als der Sicherheitsreiz. Die vorläufige fMRTAuswertung deutet auf Aktivierungen von Angst- sowie Schmerz-relevanten Arealen hin. Diskussion. Die Ergebnisse zeigen einen Einfluss des Gefahren-Reizes auf die subjektive Verarbeitung von Schmerz, der sich in einer (affektiven) Hyperalgesie zeigt. Erhöhte neuronale sowie physiologische Reaktionen auf den Gefahren-Reiz, sowie die subjektive Ratings demonstrieren eine erfolgreiche Emotions-Induktion. Die Auswertung der funktionellen Daten soll weiteren Aufschluss über den zeitlichen Verlauf und beteiligte Strukturen der Verarbeitung von Schmerz und Angst liefern. Ausblick. Die Relevanz des emotionalen Zustands – insbesondere des negativen Affekts – für das Erleben von Schmerz kann durch die Ergebnisse der vorliegenden Studie weiter belegt werden. Zukünftig soll die Variation negativer Emotionen weitere Erkenntnisse über den Zusammenhang von Schmerz und Emotion liefern.
P02.9 Altersbezogene Unterschiede in der endogenen Schmerzmodu lation am Beispiel des DNIC-Paradigmas W. Grashorn1, C. Sprenger2, U. Bingel1 1Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Klinik und Poliklinik für Neurologie, Hamburg, Deutschland, 2Universitätsklinikum HamburgEppendorf, Institut für Systemische Neurowissenschaften, Hamburg, Deutschland Fragestellung. Die Prävalenz chronischer Schmerzerkrankung steigt mit zunehmendem Alter stetig an und Schmerz stellt eines der häufigsten gesundheitlichen Probleme im höheren Lebensalter dar, aber die Ursachen hierfür sind bislang ungenügend verstanden. Es existieren zunehmende Hinweise dafür, dass dies durch eine altersbedingte Abnahme der Fähigkeit zu endogener Schmerzhemmung bedingt sein könnte. Ziel dieser Studie war, mögliche Altersunterschiede in der endogenen Schmerzmodulation am Beispiel des etablierten „Diffuse Noxious Inhibitory Controls“ (DNIC) Paradigmas dualer Schmerzstimulation zu untersuchen. Material und Methode. 15 gesunde jüngere (mittleres Alter 24,7 J., 20– 31 J.) und 14 gesunde ältere Probanden (mittleres Alter 67,8 J., 42–70 J.) absolvierten ein typisches DNIC-Paradigma mit dualer Schmerzstimulation. Dieses umfasste 3 experimentelle Blöcke in denen jeweils 6-phasische Hitzeschmerzreize (Peltier-Thermode) am rechten Unterarm als Testreize verabreicht wurden. Während des ersten und dritten Blocks wurde keine weitere begleitende Maßnahme angewendet. Nur
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während des zweiten Blockes erfolgte eine parallele Applikation eines Cold-Pressor-Tasks (Eiswasserimmersion) am linken Unterschenkel, der den tonisch konditionierenden Schmerzreiz darstellte. Als Verhaltensmaß erfolgte nach jedem Testreiz ein Schmerzrating auf einer visuellen Analogskala [0–100]. Ergebnisse. Jüngere Probanden zeigten im Durchschnitt einen analgetischen Effekt von 12,2±2,5 [Differenz der mittleren VAS Ratings von Block 1 und 3 vs. Block 2, SEM, t(14)=4,9, p<0,001]. Auch die Gruppe der älteren Probanden zeigte einen signifikanten analgetischen Effekt, der im Mittel aber nur 5,3±1,7 betrug [t(13)=3,1, p<0,01]. Ein Gruppenvergleich zeigte, dass die Schmerzreduktion in der Gruppe der jüngeren Probanden signifikant größer war als bei den älteren Probanden [t(27)=2,22, p=0,035]. Diskussion. Unsere Ergebnisse zeigen, dass gesunde ältere Menschen eine reduzierte Fähigkeit besitzen, Schmerzreize im DNIC-Paradigma zu inhibieren. Auch wenn die neurobiologischen Grundlagen des DNIC-Paradigmas am Menschen nicht umfassend geklärt sind, legt dies eine verminderte Funktionalität deszendierender schmerzinhibierender Systeme im älteren Menschen nahe. In Übereinstimmung mit früheren Studien bekräftigen die aktuellen Daten die Annahme einer reduzierten schmerzmodulatorischen Kapazität im gesunden älteren Menschen. Schlussfolgerung. Gesunde ältere Menschen weisen eine verminderte endogene schmerzmodulatorischen Kapazität auf, die zumindest teilweise die altersassoziierten Unterschiede in der Prävalenz, Verlauf und der Bedeutung von Schmerzerkrankungen erklären kann.
P02.10 Carry over effects may bias the results of experimental pain model studies using cross-over designs M. Rother1, I. Rother1 1X-pert Med GmbH, Clinical Operations, Gräfelfing, Deutschland Background/Aim. Pain related to UVB induced sunburn is an established, simple, acute pain model. But, Sycha et al. [1] as well as Yarnitzky et al. [2] found substantial differences in pain measures between study segments. We investigated whether differences between study segments can be validated and whether carry over effects contributed to those potential differences between two segments of a cross-over study. Methods. This subject and observer blinded, placebo controlled part of a validation study in 24 healthy volunteers evaluated the (well known) effect of 600 mg oral ibuprofen given bid in a 2 segment cross-over study. Individual minimal erythema doses (MEDs) were established for all subjects. The effect of Ibuprofen was compared to placebo on skin areas irradiated with 3 MED. Treatment started immediately after irradiation and again at 12 h, 24 h and 36 h post UVR. Assessment of hyperalgesia to heat was evaluated using a 9×9 mm thermode (Somedic AB, Stockholm, Sweden). In addition, other signs of inflammation (erythema, skin temperature) were evaluated for all areas after irradiation and again at 6, 12, 24, 36 and 48 h. Subjects returned within 4 to 11 days to the study site for the second segment of the study. For the evaluation of the study endpoints, a two-period Crossover-Analysis Wilcoxon Test (two-sided test for difference) for Sums, Differences and Crossover Differences was performed. Results. The combined analysis of both study segments failed to show treatment effects for hyperalgesia to heat (p=0.4502) and skin temperature (p=0.2786). For both parameters statistical significant carry-over effects could be demonstrated (p=0.0386 and 0.0052, respectively). In contrast to this, significant treatment effects were shown for the analysis of erythema for the combination of both segments (p=0.0233) with no significant carry over effects (p=0.1574). If both segments were investigated separately, only segment 2 showed consistently the expected superiority of the ibuprofen group (p=0.0048 for hyperalgesia to heat). Conclusion. This study clearly identified the risk of carry over effects in experimental pain studies using a cross-over design. Reasons given
for this bias includes practice effects [2]. One of the important practice effects is training related changes in reaction time which are of particular importance to the evaluation of pain threshold parameters. But practice effects might not only involve the subjects but also the study personal. Since evaluating segment 2 alone clearly showed the expected pharmacological effects, we suggest the following changes for followup cross-over studies: – intensified training sessions before segment 1, – increase in sample size, – use of a larger thermode (e.g. 18×18 mm) to recruit more pain receptors for more consistent results. 1. Sycha T, Gustorff B, Lehr S, Tanew A, Eichler HG, Schmetterer L. A simple pain model for the evaluation of analgesic effects of NSAIDs in healthy subjects. Br J Clin Pharmacol. 2003; Aug; 56(2):165–72. 2. Yarnitzky D, Sprecher E, Zaslansky R, Hemli JA. Multiple session experimental pain measurement. Pain 1996; 67, 327–333
P02.11 Kann willentliche Aktivierung der absteigenden Schmerzhem mung unter kontinuierlichem Feedback der spinalen nozizepti ven Übertragungsstärke erlernt werden? F. Weinges1, M. Schiffer1, J. Sommer2, M. Marziniak1, R. Ruscheweyh3 1Universitätsklinikum Münster, Neurologie, Münster, Deutschland, 2Universitätsklinikum Marburg, Psychiatrie, Marburg, Deutschland, 3Universität München, Klinikum Großhadern, Neurologie, München, Deutschland Fragestellung. Die absteigende Schmerzhemmung reduziert die Übertragung nozizeptiver Information bereits auf Rückenmarksebene durch die Ausschüttung von Noradrenalin und Serotonin aus langen, vom Hirnstamm absteigenden Bahnen und wird unter anderem durch kognitive und emotionale Prozesse gesteuert. Hier haben wir getestet, ob Probanden eine willentliche Aktivierung der absteigenden Schmerzhemmung erlernen können, wenn sie kontinuierliches Feedback über ihre spinale nozizeptive Übertragungsstärke erhalten. Material und Methode. Zur Quantifizierung der nozizeptiven spinalen Übertragungsstärke wurde der spinal vermittelte nozizeptive Flexorreflex (RIII-Reflex) verwendet. Dazu wurde der N. suralis am Außenknöchel elektrisch stimuliert und der RIII-Reflex mittels Oberflächenelektroden vom M. biceps femoris abgeleitet. Die Reflexgröße wurde den Probanden direkt in Form von Balken auf einem Bildschirm rückgemeldet. Auf Kommando sollten die Probanden dann versuchen, die Größe des Reflexes zu verringern. Bei 15 Probanden wurde der Reflex in festen Abständen von 6 s ausgelöst, bei weiteren 15 Probanden in randomisierten Abständen von 8–12 s. Die Probanden trainierten die Reflexsuppression an drei Terminen mit jeweils zwei bis fünf Versuchsreihen. Ergebnisse. Unabhängig von der Stimulationsart (feste oder randomisierte Abstände) erreichten die Probanden bereits beim ersten Termin eine signifikante (p<0,001) und reversible Reduktion der Reflexgröße auf 82±14% der Kontrolle. Beim zweiten und dritten Termin wurden weitere Reduktionen der Reflexgröße auf 73±24% und 69±23% erreicht. Am dritten Termin erreichten 47% der Probanden eine Reduktion der Reflexgröße auf unter 70%. Parallel zur Reflexgröße reduzierte sich die subjektiv empfundene Schmerzhaftigkeit der Stimulation, mit signifikanter Korrelation der beiden Parameter an Termin 1 und 2 (r=0,63 und 0,63, p<0,001). Diskussion. Die Ergebnisse zeigen, dass Probanden lernen können ihre absteigende Schmerzhemmung willentlich zu aktivieren, wenn sie kontinuierliches Feedback über ihre spinale nozizeptive Übertragungsstärke erhalten. Schlussfolgerung. Ein Training der absteigenden Schmerzhemmung stellt potentiell eine attraktive Methode dar, Schmerzempfindung nichtmedikamentös zu beeinflussen. Weitere Studien müssen zeigen,
wie lange der Trainingserfolg anhält und ob sich klinische Schmerzen durch ein solches Training positiv beeinflussen lassen.
P02.12 Defizite der konditionierten Schmerzmodulation bei chroni schen Schmerzpatienten variieren zwischen Testmethoden L. Da Silva1, F. Petzke2 1Uniklinik Köln, Schmerzzentrum der Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin, Köln, Deutschland, 2Universitätsmedizin Göttingen, Schmerz-Tagesklinik und -Ambulanz, Göttingen, Deutschland Fragestellung. Einer Störung schmerzmodulierender Systeme wird in der Pathophysiologie chronischer Schmerzen eine zunehmend große Rolle zugeschrieben. Dabei ist nicht gesichert, ob diese Störung einen allgemeinen Mechanismus der Chronifizierung von Schmerzen darstellt und/oder nur spezifische Patienten betrifft oder eine krankheitsspezifische Störung darstellt. Die Funktion dieser Systeme kann mit verschiedenen Testverfahren untersucht werden, die alle dem Prinzip der konditionierten Schmerzmodulation (KSM) folgen. Einen definierten Teststandard gibt es bisher nicht. In dieser Studie wurden Patienten mit Fibromyalgiesyndrom (FMS), Osteoarthrose an Hüfte oder Knie (OA) und gesunde Kontrollpersonen (KP) mit drei verschiedenen Methoden zur Auslösung einer KSM untersucht, um einen möglichen spezifischen Effekt bei FMS zu prüfen und die verschiedenen Methoden zu vergleichen. Material und Methoden. Teilnehmer waren weiblich, 30 mit FMS, 20 mit OA und 30 KP. Erhoben wurden Daten zu Schmerzcharakteristika, psychologische Fragebögen zu Angst, Depressivität, Schmerzbewältigung und eine quantitaive sensorische Testung nach DFNS Protokoll an der Hand. KSM wurde mittels eines Kaltwasserbads von 12°C als konditionierendem Reiz und individuell auf NRS 50 (0–100) kalibrierte schmerzhafte Druck- (KSM-D50) und Hitzestimuli (KSM-H50) als Testreize. Ein auf- und absteigender räumlicher Summationsversuch (KSM-RS) mit verschiedenen Einauchtiefen am Arm wurde im selben Wasserbad durchgeführt. KSM wurde als die Abnahme der Schmerzintensität der Testreize definiert, bzw. als die Differenz der Schmerzintensität zwischen Ein- und Auftauchen, jeweils in % NRS. Gruppenunterschiede wurden mit nichtparametrischen Testverfahren untersucht. Ergebnisse. Patientinnen mit FMS hatten wie erwartet erniedrigte Kälteschmerz-, Hitzeschmerz und Druckschmerzschwellen. KSM-RS zeigte eine signifikante Schmerzmodulation in allen drei Gruppen, war aber bei den KP stärker ausgeprägt. KSM-H50 zeigte vergleichbare Modulationseffekte bei Patientinnen mit FMS und KP, aber deutlich weniger bei OA. KSM-D50 zeigte keine Modulation bei FMS und OA, aber einen deutlichen Trend bei den KP. Diskussion. Ein grundsätzliches Problem der KSM-Testung stellte dar, dass in allen Tests, insbesondere aber bei KSM-RS, bei einzelnen KP kein ausreichendes Schmerzniveau erreicht werden konnte, um einen optimalen Vergleich der Testverfahren zu ermöglichen. Ein spezifischer Verlust an KSM ließ sich für Patientinnen mit FMS nicht nachweisen. Schlussfolgerung. Deutliche, aber in Bezug auf die Schmerzdiagnose unspezifische Unterschiede zu KP konnten insbesondere im KSM-RS gezeigt werden. Die individuell kalibrierten Testreize zeigten widersprüchliche Befunde. Diese ersten Ergebnisse sollen in weiteren Analysen exploriert werden.
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Abstracts P02.13 Klassisch konditionierte Hyperalgesie als erlernter Nocebo effekt
P06 – Kopfschmerz II
A.-K. Bräscher1, S. Becker2, D. Kleinböhl1, R. Hölzl1 1Otto-Selz-Institut, Universität Mannheim, Labor für Klinische Psychophysiologie, Mannheim, Deutschland 2Alan Edwards Centre for Research on Pain, McGill University, Montreal, Canada Hintergrund. Unsere Schmerzwahrnehmung wird durch zahlreiche Faktoren moduliert, so auch durch Placebo- und Noceboeffekte, die durch Erwartungen und klassische Konditionierung erzeugt werden. Es ist jedoch unklar, ob auch klassische Konditionierung allein perzeptuelle Prozesse verändern kann. In zwei Studien wurde mit Hilfe von klassischer Konditionierung die Hitzeschmerz-Wahrnehmung manipuliert und ein Noceboeffekt induziert. Gewöhnlich werden Noceboeffekte anhand subjektiver Ratings untersucht; dies birgt jedoch das Risiko, lediglich die Antwortkriterien der Probanden zu beeinflusssen und nicht die Wahrnehmung selbst. Daher wurde zusätzlich zu subjektiven Ratings die Hitzewahrnehmung mittels eines Verhaltensmaβes erfasst. Methoden. 21 bzw. 22 gesunde Probanden nahmen in Studie 1 bzw. 2 zur differenziellen klassischen Konditionierung der Hitze-Schmerzwahrnehmung teil. In einer Lernphase dienten zwei verschiedene nicht-schmerzhafte Temperaturen als Hinweisreize (konditionierte Stimuli), die von einer moderaten und einer gerade schmerzhaften Temperatur (unkonditionierte Stimuli) gefolgt wurden. In der Testphase folgte beiden Hinweisreizen nur noch die gerade schmerzhafte Temperatur. Der Noceboeffekt wurde untersucht, indem behaviorale und subjektive Reaktionen auf die gerade schmerzhafte Temperatur unter Berücksichtigung des Hinweisreizes verglichen wurden. Als konditionierte Reaktionen erwarteten wir höhere Schmerzratings und vermehrte perzeptuelle Sensibilisierung bei der gerade schmerzhaften Temperatur, wenn diese dem Hinweisreiz folgte, der zuvor mit der moderaten Temperatur assoziiert war. Ergebnisse. Erhöhte Schmerzratings zeigten eine erfolgreiche Konditionierung der subjektiven Wahrnehmung in einer Subgruppe von Probanden in beiden Studien (Studie 1: n = 13; Studie 2: n = 11). Die verhaltensmäßige Wahrnehmungsreaktion wurde ebenfalls erfolgreich konditioniert, allerdings variierte der Effekt abhängig von der subjektiv eingeschätzten Schmerzhaftigkeit der Temperatur: Bei subjektiv nicht-schmerzhaften Temperaturen überwog die Habituation, bei subjektiv schmerzhaften dagegen die Konditionierung verstärkter perzeptueller Sensibilisierung. Dies zeigt einen konditionierten Noceboeffekt im Sinne einer Hyperalgesie an. Sowohl im Verhalten als auch im subjektiven Rating kam es über die Zeit hinweg zu einer Abschwächung der Effekte (Extinktion). Diskussion. Es wurde erfolgreich ein Noceboeffekt in der Schmerzwahrnehmung konditioniert, was sich sowohl im Verhaltensmaß als auch in den subjektiven Urteilen zeigte. Dies war jedoch nur bei einem Teil der Probanden zu beobachten: nur wenn die Probanden die Reize auch subjektiv schmerzhaft einschätzten, zeigte sich der Noceboeffekt auch im Verhaltensmaβ. Das Ergebnis zeigt zum einen, dass für konditionierte Noceboreaktionen die subjektiv wahrgenommene Stimulusintensität entscheidend ist; zum anderen, dass subjektive und behaviorale Maβe der Wahrnehmung unterschiedliche Aspekte von Wahrnehmung und Nocebo- bzw. Placeboreaktionen erfassen.
P06.1 Ein neues chronisches Migräne-Tiermodell in der Maus
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D. Segelcke1, K. Hemmer1, I. Bäcker1, N. Wronkowitz1, F. Paris1, M. Andriske1, X. Zhu1, H. Lübbert2 1Ruhr-Universität Bochum, LS Tierphysiologie, Bochum, Deutschland, 2Biofrontera AG, Leverkusen, Deutschland Die meisten aktuellen Tiermodelle für Migräne beschäftigen sich mit der Entstehung der akuten Schmerzattacken und der Wirkung akuter Migränemedikamente. Mit diesen Modellen kann man jedoch die Entstehung der chronischen Migräne nicht untersuchen. Auch fehlen Tiermodelle die den 5-HT2B-Rezeptor im Zusammenhang mit der Migräneentstehung genauer untersuchen. In dem hier vorgestellten Tiermodell kann durch die Gabe von 5-HT2BRezeptorsagonisten (mCPP und BW723C86) eine Plasmaproteinextravasation (PPE) in der Dura mater ausgelöst werden, wie es schon Johnson et. al (2003) im Meerschweinchen zeigte. Im Gegensatz zum Meerschweinchen gelingt dies nur durch eine vorherige 4 Wochen andauerte Haltung unter hypoxischen Bedingungen (10% Sauerstoff). Durch die chronische Hypoxie werden die Mäuse sensitiver gegenüber 5-HT2B-Rezeptoragonisten. Durch die Gabe von 5-HT2B-Rezeptorantagonisten während der chronischen Hypoxie kann die Sensitivität gegenüber den Agonisten reduziert bzw. aufgehoben werde. Auch die Gabe von einem NOS-Inhibitor führte zum gleichen Effekt. Durch die chronische Hypoxie kommt wahrscheinlich zu einem Gefäßremodelling innerhalb der Dura mater, welches die erhöhte Sensitivität auslöst. Mäuse die unter normoxischen Bedingungen gehalten werden zeigen keine erhöhte Sensitivität gegenüber Substanzen die auf den 5-HT2BRezeptor wirken. Mit diesem Tiermodell ist es möglich sowohl einen „gesunden“, als auch einen „kranken“ Zustand in einer Spezies zu untersuchen. Johnson, K.W., Nelson, D.L., Dieckman, D.K., Wainscott, D.B., Lucaites, V.L.,Audia, J.E., Owton, W.M., & Phebus, L.A. (2003). Neurogenic dural proteinextravasation induced by meta-chlorophenylpiperazine (mCPP) involves nitric oxideand 5-HT2B receptor activation. Cephalalgia 23, 117–123.
P06.2 Charakterisierung der Plasma-Protein-Extravasation (PPE) in einem Maus-Migränemodell A. Hunfeld1, D. Segelcke1, M. Andriske1, F. Paris1, X. Zhu1, H. Lübbert1 1Ruhr-Universität, Lehrstuhl für Tierphysiologie, Bochum, Deutschland Bei Migräne handelt es sich um eine neurologische Erkrankung, die von halbseitig auftretenden Kopfschmerzen gekennzeichnet ist und mit vegetativen Symptomen wie Übelkeit oder Lichtempfindlichkeit einhergehen kann. Die Pathogenese einer Schmerzattacke spielt sich in der von trigeminalen Nervenfasern innervierten Dura mater ab. Nach einem Stimulus setzen Endothelzellen Stickoxid (NO) frei, was wiederum die Sekretion von Neuropeptiden aus den trigeminalen Nervenendigungen bewirkt. Dies ist mit einer Plasma Protein Extravasation (PPE) in der Dura mater gekoppelt, welche ein etablierter Indikator für eine Migräneattacke in Tiermodellen ist. In der Literatur gibt es sowohl für den Mechanismus, mit dem Proteine in den perivaskulären Raum übertreten können, als auch für die Lokalisation dieses Vorganges verschiedene Hypothesen, die im Rahmen dieser Arbeit für ein Maus-Modell der Migräne ergründet werden sollen. Dazu werden Mäuse durch eine vierwöchige Hypoxie-Behandlung für den Serotoninrezeptor-Agonisten meta-Chlorphenylpiperazin (mCPP) sensitiviert, der anschließend eine akute Migräneattacke (inklusive PPE) auslösen kann. Darauf folgt entweder die Injektion des Fluoreszenztracers
BSA-FITC oder die des Tracers Meerrettichperoxidase (HRP) um die PPE zu visualisieren. Nach Verwendung von BSA-FITC dient die rechte Hemisphäre der Dura mater als Whole-Mount-Präparat zur mikroskopischen Begutachtung. Dabei kann die PPE in Form von perivaskulären phagozytierenden Zellen, welche das ausgetretene BSA-FITC aufgenommen haben, visualisiert werden. Diese sind homogen über die gesamte Dura mater verteilt und können in Assoziation mit allen Gefäßtypen gefunden werden. Die Dura mater der linken Hemisphäre wird dazu verwendet, die Menge des ausgetretenen BSA-FITC nach der Methode von Spokes et al. (1995) im Fluorimeter zu quantifizieren. In der Dura mater der hypoxischen mCPP-injizierten Mäuse kann eine signifikant höhere BSAFITC Menge im Vergleich zur Saline-Kontrolle nachgewiesen werden, was eine erhöhte PPE-Rate im Migränemodell anzeigt. Um diese Ergebnisse auf elektronenmikroskopischer Ebene bestätigen zu können, wurde der Tracer HRP unter gleichen Versuchsbedingungen eingesetzt. Dabei zeigen sich unter anderem HRP-gefüllte Vesikel in Endothelzellen, gefärbte Interzellularspalten von Endothelzellen, sowie HRP-positive Strukturen im tieferen perivaskulären Gewebe. In dem verwendeten Modell ist es möglich, in einem Individuum die Migräne-assoziierte PPE sowohl quantitativ (Fluorimetrie) als auch auf licht- und elektronenmikroskopischer Ebene durch den Austritt der Tracer BSA-FITC und HRP in der Dura mater der Maus zu untersuchen.
P06.3 Die Rolle von Histamin im Migräne-Tiermodell Maus M. Kremser1, D. Segelcke1, K. Hemmer1, N. Wronkowitz1, M. Andriske1, F. Paris1, X. Zhu1, H. Lübbert1 1LS Tierphysiologie, Ruhr-Universität Bochum, Bochum, Deutschland In der Literatur wird immer wieder diskutiert, ob und in wie fern Histamin eine Rolle bei der Migräne-Entstehung in der Dura mater spielt. Die Histamin-Rezeptoren H1 und H2 sind sowohl auf Endothelzellen als auch auf den die Blutgefäße umgebenden glatten Muskelzellen lokalisiert. Durch die Aktivierung der G-Protein-gekoppelten Rezeptoren und einer daraus resultierenden Erhöhung des intrazellulären Kalziums wird die Synthese von Stickstoffmonoxid (NO) angetrieben. Die Freisetzung von NO und die nachgeschaltete, erhöhte Ausschüttung von proinflammatorischen Substanzen (wie CGRP und Substanz P) aus nozizeptiven trigeminalen Nervenendigungen führen zu einer Vasodilatation und einer Plasmaproteinextravasation (PPE). Histamin liegt in der Dura mater u. a. in zahlreichen Mastzellen gespeichert vor, welche rezeptorvermittelt degranulieren können und so Histamin freisetzen. Um den Einfluss des Histamins auf die Entstehung einer neurogenen Entzündung zu überprüfen, wurde ein Hypoxie-Mausmodell verwendet. In diesem Modell werden weibliche NMRI-Mäuse vier Wochen unter Hypoxie-Bedingungen (10% Sauerstoff) gehalten. Im Anschluss an die Hypoxie-Phase wurde den Mäusen Histamin intravenös (i.v.) injiziert. Das Ausmaß der PPE in der Dura mater konnte nach i.v.-Applikation von Evans Blue (EB) und anschließender Perfusion mit Saline photometrisch quantifiziert werden. Der Unterschied zwischen den Negativkontrollen und den mit Histamin behandelten Tieren des Hypoxie-Modells war signifikant (p<0,05). In den Normoxie-Kontrollen hingegen war kein Effekt des Histamins zu erkennen. Zusammenfassend bedeutet dies, dass Histamin im verwendeten Hypoxie-sensitivierten Migräne-Tiermodell eine PPE auslösen kann, die in den Normoxie-Kontrollen mit gleichen Konzentrationen nicht induzierbar ist. Somit scheint die Wirkung von Histamin eine Rolle bei einer neurogenen Entzündung in der Dura mater zu spielen.
P06.4 Die trigeminale Innervation der mittleren Schädelgrube von Mensch und Ratte: eine vergleichende anatomische Studie M. Schüler1, K. Messlinger1, N. Winfried2, R. de Col1 1Universität Erlangen-Nürnberg, Institut für Physiologie & Pathophysiologie, Erlangen, Deutschland, 2Anatomisches Institut 1, Erlangen, Deutschland Ziele. Extrakranielle Strukturen werden zunehmend als ätiologisch bedeutsam in der Pathogenese von Kopfschmerzen wahrgenommen. Mit Hilfe neuronaler Tracing-Studien haben wir den anatomischen Verlauf trigeminaler Nervenfasern in der mittleren Schädelgrube, deren extrakranielle Projektionen und ihren elektronenmikroskopischen Aufbau in der Ratte und im Menschen untersucht und miteinander verglichen. Methoden. Der Schädel adulter Wistar Ratten und menschlicher Körperspender wurde entlang der Sagittalnaht geteilt, das Hirngewebe entfernt und so ein Halbschädelpräparat mit anhaftender Dura mater für die anatomischen Studien gewonnen. Der Ramus meningeus des Nervus mandibularis (Nervus spinosus) wurde distal des Ganglion Gasseri (trigeminale) an seinem Eintrittsort in die Dura mater identifiziert und über eine kurze Strecke mobilisiert. Die periphere Projektion dieser trigeminalen Afferenzen und die zugehörigen Ursprungsneurone im Ganglion trigeminale wurden mittels Neuronal Tracing Techniken untersucht. Hierzu wurde der kristalline fluoreszierende Tracer DiI im Halbschädelpräparat der Ratte an den proximalen Nervenstumpf, im Menschen an die distalen Nervenästen appliziert. Anschließend wurden die Präparate mit 4% PFA fixiert und für 4 bis 5 Monate bei 37°C inkubiert. Der proximale Abschnitt des Nervus spinosus wurde zudem vergleichend in menschlichen und tierischen Präparaten elektronenmikroskopisch auf seine axonale Zusammensetzung hin untersucht. Ergebnisse. Sowohl in der Ratte als auch im Menschen folgen die trigeminalen Nervenfasern des Nervus spinosus zunächst dem Verlauf der Arteria meningea media und dringen mit zahlreichen Ästen in die arterielle Gefäßwand ein. Im Weiteren verzweigen sich die trigeminalen Fasern in der parietalen und temporalen Dura mater und bilden dort ein dichtes Nervenfasernetz aus. Über die Schädelnähte und entlang der Venae emisseriae verlassen zahlreiche Nervenfasern des N. spinosus die innere Schädelhöhle, treten nach extrakranial und innervieren dort das Periost sowie die perikranielle Muskulatur, mit besonders hoher Nervenfaserdichte in deren sehnigen Ansätzen. Die Ursprungsneurone dieser trigeminalen Afferenzen konnten ausschließlich im mandibulären und maxillären Abschnitt des Ganglion trigeminale nachgewiesen werden. In beiden Spezies setzt sich der Nervus spinosus aus ca. zwei Dritteln unmyelinisierter und ca. einem Drittel myelinisierter Axone zusammen. Schlussfolgerung. Die hohe Übereinstimmung zwischen den anatomischen Befunden in Ratte und Mensch zeigt, dass die Ratte ein geeignetes Modell ist um die Besonderheiten des trigeminalen Systems genauer untersuchen zu können. Insbesondere erlaubt das Rattenmodell die detaillierte Untersuchung der bis heute unbekannten extrakraniell verlaufenden Nervenfasern meningealer Äste des Nervus trigeminus auf funktioneller und struktureller Ebene.
P06.5 Trigeminale Afferenzen der nasalen Mukosa der Ratte J. Nakajima1, K. Messlinger1, M. Schüler1, S. Gerner1, N. Winfried2, R. de Col1 1Universität Erlangen-Nürnberg, Institut für Physiologie & Pathophysiologie, Erlangen, Deutschland, 2Anatomisches Institut 1, Erlangen, Deutschland Fragestellung. Für die gute und schnelle Wirksamkeit nasal oder in den Rachenraum applizierter Medikamente bei der Therapie von Kopfschmerzen fehlt bisher ein guter Erklärungsansatz der hierbei beteiligten Mechanismen. Eine direkte Wechselwirkung der nasalen Der Schmerz · Supplement 1 · 2011
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Abstracts Mukosa und Dura mater über kollaterale Verbindungen trigeminaler Afferenzen könnte dabei eine entscheidende Rolle spielen. Mittels anatomischer und funktioneller Techniken untersuchten wir in der Ratte solche möglichen Verbindungen. Methoden. Mittels postmortem Tracing-Techniken wurde der Verlauf trigeminaler Fasern des N. ethmoidalis anterior und des N. nasociliaris in die nasale Mukosa und in der Dura mater der vorderen Schädelgrube untersucht. Der von äußerem Gewebe befreite Schädel adulter Wistar Ratten wurde so präpariert, dass der proximale Abschnitt des N. ethmoidalis anterior in der Nasenhöhle oder der N. nasociliaris nahe seiner Abzweigung aus dem N. ophthalmicus mit dem Fluoreszenzfarbstoff DiI markiert werden konnte. Anschließend wurde das Präparat in 4% PFA fixiert und 4 Wochen bei 37°C inkubiert. Um die Neuropeptidfreisetzung in der harten Hirnhaut nach nasaler Applikation von Capsaicin zu untersuchen, wurde nach koronaler Teilung in Höhe der Sutura coronalis das Hirngewebe in der vorderen Kopfhälfte entfernt und die verbleibende mit Dura ausgekleidete Schädelgrube mit physiologischer Lösung aufgefüllt. Die Konzentration von CGRP vor, während und nach chemischer Stimulation der nasalen Mukosa mittels Capsaicin wurde mit einem Standard-ELISA gemessen. Ergebnisse. Trigeminale Afferenzen des N. nasociliaris schließen sich dem N. ethmoidalis anterior an und treten anschließend in die Schleimhaut der Nasenhöhle ein. Während seines Verlaufs durch die vordere Schädelgrube zweigen zahlreiche Nervenfasern in die Dura mater ab, folgen in enger Nachbarschaft der A. meningea anterior und bilden dort ein dichtes Nervengeflecht aus. Vom N. ethmoidalis anterior ausgehend retrograd markierte Fasern zeigen neben zahlreich markierten Axonen im N. nasociliaris ebenfalls eine Vielzahl trigeminaler Nervenfasern, die sich um die A. meningea anterior ausbreiten. Die Ursprungsneurone der Axone des N. ethmoidalis anterior und des N. nasociliaris lassen sich ausschließlich im ophthalmischen Abschnitt des Ganglion trigeminale nachweisen. Die extrakranielle chemische Reizung der nasalen Mukosa mit Capsaicin führte zu einer signifikanten Erhöhung der intrakraniellen Konzentration des Neuropeptids CGRP relativ zum jeweiligen Basalwert vor der Capsaicin-Applikation. Schlussfolgerung. Sowohl die anatomische als auch die funktionelle Studie weisen auf zahlreiche direkte periphere Verbindungen, welche die nasale Mukosa mit der Dura mater über kollaterale Axone verbinden. Die Hemmung dieser Afferenzen könnte einerseits die gute Wirksamkeit von nasal applizierten Medikamenten erklären, andererseits könnten diese extrakraniellen Verbindungen für die Ätiologie bestimmter Kopfschmerzformen von Bedeutung sein.
Material und Methode. Es wurden primäre Zellkulturen aus dem Ganglion trigeminale aus der Maus isoliert. 5-HT-1B-Rezeptoren wurden mittels Immunfluoreszenz dargestellt. Die Stabilität von Sumatriptan in der Zellkultur wurde chromatographisch und massenspektrometrisch untersucht. Der Medikamentenübergebrauch wurde durch Inkubation der Zellkulturen mit 1 µM Sumatriptan über 96 h simuliert. Als Trigger wurde CGRP (500 nM) eingesetzt. Nach 8 h und 24 h wurde mittels TaqMan Low Density Assays (TLDA) untersucht, ob sich die Expression von folgenden an der Kopfschmerzpathophysiologie relevanten Proteinen (Signalwege, individuelle Gene) durch Inkubation mit Sumatriptan verändert: CGRP (CGRP, CGRP-receptor-like receptor, CGRP-receptor component protein, RAMP1), NO (NOS1, NOS2, NOS3), Substanz P (TAC1, TAC1R), Prostaglandin (COX2, PTGER4), Adenylatcyclase-Activating Polypeptide (PACAP, PACAPR1), 5-HTRezeptoren (5-HT-1B, 5-HT-1D, 5-HT-1F), Phosphodiesterasen (PDE3A, PDE5A). Ergebnisse und Diskussion. Serotoninrezeptoren vom Typ 5-HT-1B konnten auf Neuronen und Gliazellen nachgewiesen werden. Des Weiteren verhält sich Sumatriptan über 48 h im Zellkulturmedium stabil. Die Ergebnisse der TLDA zeigen, dass es nach einer Inkubation der trigeminalen Ganglienzellen mit Sumatriptan über 96 h zu einem um 37% geringeren Anstieg der CGRP-induzierten Hochregulation des 5-HT1D-Rezeptors kommt (p=0,03). Im Vergleich zur Kontrolle blieben die Signalwege von CGRP, NO, Substanz P, Prostaglandin und Adenylatcyclase-Activating Polypeptide unter Sumatriptan unverändert. Schlussfolgerung. Die Daten zeigen, dass das trigeminale System auf zellulärer Ebene auf den in der Pathophysiologie der Migräne bedeutsamen Trigger CGRP anders reagiert, wenn zuvor eine lange Exposition mit Sumatriptan vorlag. Die fehlende Hochregulation des Serotonin-Rezeptors 5-HT-1D könnte bedeutend sein für (1) den Wirkverlust von Triptanen bei übermäßiger Einnahme und (2) die Entstehung des MOH von Triptanen.
P06.6 Regulation von Kopfschmerz-Signalstoffen im trigeminalen Zellkulturmodell des Medikamentenübergebrauchskopf schmerzes (MOH)
Background. Inhalation of 100% oxygen belongs to the standard therapies of acute cluster headache (CH) attacks. The mechanism underlying the antinociceptive effect of oxygen is still not understood. We have previously demonstrated an inhibitory effect of hyperoxia on plasma protein extravasation in the rat dura mater in the model of electrically stimulating the rat trigeminal ganglion. To further clarify the effect of hyperoxia on the activity of trigeminal neurons with nociceptive afferent input, we examined the effect of hyperoxia on the activity of neurons in the rat spinal trigeminal nucleus (STN). Materials and Methods. Experiments were performed in eight male wistar rats anaesthetized with isoflurane (2%). Systemic arterial pressure and endexpiratory pCO2 were monitored continuously and oxygen concentration monitored by arterial blood gas analysis. Single unit activity was recorded extracellulary from rat spinal trigeminal nucleus (STN) with input from facial areas and the parietal dura mater. Ongoing activity per 58.9 s was analyzed under control conditions and under conditions of hyperoxia. For mechanically evoked activity, the impulses per 1.1 s within the intervals of stimulation were averaged. Results. In comparison to control conditions, the ongoing single unit activity of STN neurons did not significantly change after increasing the oxygen concentration (pO2: 285±50 mmHg). Moreover, hyperoxia had no effect on mechanically evoked activity of STN neurons (p>0.05).
E. Kubel1, M. Krumbholz1, U. Ködel1, G. Höfner2, A. Link3, S. Langer1, A. Straube1, C. Schankin1 1Klinikum der Universität München – Großhadern, Neurologische Klinik und Poliklinik, München, Deutschland, 2Ludwig Maximilian Universität München Fakultät für Chemie und Pharmazie, Zentrum für Pharmaforschung, München, Deutschland, 3Friedrich Alexander Universität Erlangen-Nürnberg, Physiologie und Pathophysiologie, Erlangen, Deutschland Hintergrund und Fragestellung. MOH ist definiert als Kopfschmerz an >15 Tagen/Monat mit regelmäßiger Einnahme von Schmerzmitteln wie z. B. Sumatriptan an >10 Tagen/Monat. Die Pathophysiologie des MOH ist bisher ungeklärt, wobei dem die Meningen versorgenden trigeminalen System (Neurone und Gliazellen des Ganglion trigeminale) an Kopfschmerzen generell eine besondere Bedeutung zukommt. In diesem Projekt soll untersucht werden, ob eine langanhaltende Stimulation von trigeminalen Ganglienzellen mit Sumatriptan die Expression von an der Kopfschmerzpathophysiologie beteiligten Signalstoffen oder deren Rezeptoren verändert.
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P06.7 Effects of hyperoxia on the activity of neurons in the rat spinal trigeminal nucleus with meningeal afferent input S. Stirn1, O. Covasala1, R. del Col1, K. Messlinger1, S. Schuh-Hofer2 1Universität Erlangen-Nürnberg, Institut für Physiologie und Pathophysiologie, Erlangen, Deutschland, 2Zentrum für Neurologie (Universität Tübingen), Institut für Neurophysiologie, CBTM Mannheim (Universität Heidelberg), Tübingen, Deutschland
Discussion. We failed to show an effect of hyperoxia on the activity of trigeminal neurons in the rat STN. The current experiments had been performed under “resting conditions”, while our previous study on the anti-inflammatory effect of hyperoxia had been performed in a model of neurogenic inflammation, which is supposed to play an important role in the pathophysiology of acute trigeminovascular headache attacks. Conclusion. To test whether hyperoxia exerts modulatory effects on STN neurons dependent on pathophysiological conditions more “resembling” an acute trigeminovascular headache attack, future experiments on the effect of hyperoxia on the activity of STN neurons will be performed under conditions of meningeal inflammation.
P06.8 Einfluss einer intravenösen Methylprednisolon-Therapie auf CGRP- und Melatoninspiegel bei Cluster-Kopfschmerzpatienten L. Neeb1, C. Anders, J. Hoffmann², U. Reiter³ 1Charité Universitätsmedizin Berlin, Klinik für Neurologie, Berlin, Deutschland, ²Charité Universitätsmedizin Berlin, Klinik für Neurologie und Experimentelle Neurologie, Berlin, Deutschland, ³Charité Universitätsmedizin Berlin, Neurologische Klinik und Poliklinik, Berlin, Deutschland Fragestellung. Die Therapie mit Steroiden zur kurzfristigen Attackenprophylaxe ist eine anerkannte Therapie des Clusterkopfschmerzes. Ihr Wirkmechanismus in der Clusterkopfschmerztherapie und die genau Pathophysiologie des Cluster-Kopfschmerzes sind allerdings unbekannt. In der Pathophysiologie spielen das trigeminovaskuläre System und der Hypothalamus eine entscheidende Rolle. Die Aktivierung des trigeminovaskulären Systems führt in der akuten Cluster-Attacke zur Ausschüttung des Neurotransmitters CGRP. Der Hypothalamus reguliert die lichtabhängige zirkadiane Sekretion von Melatonin. Bei Patienten mit Clusterkopfschmerz ist die nächtliche Melatoninsekretion während einer Clusterepisode im Vergleich zu gesunden Probanden vermindert. Diese Studie untersuchte, ob durch die Gabe von hochdosiertem Methylprednisolon i.v. bei Clusterkopfschmerzpatienten die Ausschüttung von CGRP als Zeichen der verminderten trigeminalen Aktivierung gehemmt und die Sekretion von Melatonin beeinflusst wird. Material und Methoden. An der Studie nahmen 10 episodische ClusterKopfschmerzpatienten und 5 Kontrollpatienten teil. Die Probanden erhielten zu Beginn einer Episode eine Standardtherapie mit Methylprednisolon 1 g i.v. über 3 Tage und anschließender oraler Abdosierung. Es erfolgte die Bestimmung von CGRP im Plasma der V. jugularis externa und von 6-Sulfatoxy-Melatonin im Nachturin einmalig vor, sowie einen Tag, eine und zwei Wochen nach der letzten Infusion als auch einmalig außerhalb der Episode. Die Anzahl der Kopfschmerzattacken pro Tag wurde von den Probanden dokumentiert. Als Kontrollpatienten dienten Patienten mit Multipler Sklerose, die im Rahmen eines akuten Subereignisses eine Therapie mit Methylprednisolon i.v. erhielten. Ergebnis. Die Gabe von Methylprednisolon führte zu einem kurzfristigen, deutlichen Rückgang der Attackenfrequenz. Korrelierend hierzu konnte eine signifikante Reduktion des CGRP Plasmaspiegels bis zu einer Woche nach letztmaliger Gabe von Methylprednisolon i.v. nachgewiesen werden. Die nächtliche Melatoninsekretion war eine und zwei Wochen nach Gabe von Methylprednisolon i.v. signifikant erhöht. In der Kontrollgruppe führte die Gabe von Methylprednisolon zu keiner signifikanten Veränderung des CGRP-Plasmaspiegels. Diskussion und Schlussfolgerung. Die prophylaktische Gabe von 1 g Methylprednisolon i.v. über 3 Tage bei Patienten mit Clusterkopfschmerz zu Beginn der Episode führt parallel zum Rückgang der Attackenfrequenz zu einer Erniedrigung des CGRP-Plasmaspiegels und zu einer Erhöhung der nächtlichen Melatoninsekretion. Die Ergebnisse geben Hinweise auf einen möglichen Funktionsmechanismus von Glukokortikoiden in der Clusterkopfschmerzprophylaxe. Ob es sich bei den
veränderten Sekretionsmustern um einen direkten Effekt von Methylprednisolon auf das trigeminovaskuläre System und den Hypothalamus oder um eine Folge der verminderten Attackenfrequenz handelt, lässt sich aus den vorliegenden Ergebnisse jedoch nicht beantworten.
P08 – Neuropathischer Schmerz II P08.1 Inhibition von Hyperalgesie bei CRPS durch transdermale elekt rische noxische Stimulation F. Nickel1, E. Peltz1, F. Seifert1, C. Maihöfner1 1Klinik für Neurologie und Schmerzzentrum, Universität Erlangen, Erlangen, Deutschland Fragestellung. Stimulus-evozierbare Schmerzen wie die mechanische Hyperalgesie sind ein häufiges Symptom beim komplexen regionalen Schmerzsyndrom (CRPS). Eine transdermale elektrische noxische Stimulation preferentiell von mechanoinsensitiven C-Fasern mit 20 Hz führte in einem humanen Schmerzmodell zu einer Inhibition der Hyperalgesie. Hier wurde untersucht, ob dieser antihyperalgetische Effekt auch bei neuropathischen Schmerzen im Rahmen eines CRPS nachweisbar ist. Material und Methode. Bei 12 Patienten mit CRPS1 der Hand und 12 gesunden Kontrollprobanden wurde im Bereich der mechanischen Hyperalgesie bzw. in einem Kontrollareal für 35 min transdermal elektrisch stimuliert. Dabei wurde die Stromstärke mit dem Ziel „5“ auf der numerischen Ratingskala von 0 bis 10 reguliert. Vor und nach Stimulation wurden die Taktile Detektionsschwelle (TDT) und die Mechanische Schmerzschwelle (MPT) 2 cm vom Stimulationsort entfernt gemessen. Ergebnisse. Vor Stimulation war die TDT in beiden Gruppen nicht unterschiedlich, aber die MPT der Patienten im Vergleich zur Kontrollgruppe reduziert im Sinne einer mechanischen Hyperalgesie. Nach Stimulation war die MPT der Patienten signifikant höher als zuvor. Ein signifikanter Unterschied zur Kontrollgruppe bestand nicht mehr. Überraschenderweise sank die TDT der CRPS-Patienten nach Stimulation. Hinsichtlich der für ein NRS-Rating von „5“ benötigten Stromstärken sowie der Adaptation an den elektrischen Schmerzreiz ließen sich zwischen den Gruppen keine signifikanten Unterschiede nachweisen. Diskussion. Offensichtlich wirkt eine transdermale elektrische noxische Stimulation mit 20 Hz nicht nur im humanen Modell, sondern auch bei neuropathischen Schmerzen im Rahmen eines CRPS antihyperalgetisch. Weitere Untersuchungen zu Zeitverlauf und örtlicher Verteilung dieses potentiell therapeutischen Effekts sind notwendig.
P08. 2 „Veränderungen der funktionellen Ruhekonnektivitäten bei Pa tienten mit komplex-regionalem Schmerzsyndrom (CRPS) – eine funktionelle Magnetresonanztomographie(fMRI)-Studie.“ A. Bolwerk1, F. Seifert2, C. Maihöfner3 1Institut für Physiologie und Experimentelle Pathophysiologie, Universität Erlangen, Erlangen, Deutschland, 2UK Erlangen, Neurologie, Erlangen, Deutschland, 3Klinik für Neurologie und Schmerzzentrum, Universität Erlangen, Erlangen, Deutschland Fragestellung. Das komplex-regionale Schmerzsyndrom (CRPS) zählt zu den neuropathischen Schmerzsyndromen. Es kann sich nach einem Trauma der oberen oder unteren Extremität mit oder ohne Nervenläsion bei circa 3–5% der Betroffenen entwickeln. In seltenen Fällen tritt es auch spontan auf. Der Pathophysiologie des CRPS liegen zum Teil neuroplastische Veränderungen des ZNS zu Grunde. So zeigen aktuelDer Schmerz · Supplement 1 · 2011
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Abstracts le Studien, dass es zu einer Reorganisation des primären somatosensorischen Kortex kontralateral zu der CRPS-Seite kommt. Zudem belegen jüngste Untersuchungen, dass ein chronischer Schmerz prinzipiell auch funktionelle Ruhekonnektivitäten im menschlichen Gehirn verändern kann. Das sog. „Default Mode Network“ (DMN) ist eines der am häufigsten beschriebenen Ruhenetzwerke, welches bei gesunden Probanden eine erhöhte Aktivität zeigt. Es besteht medial v. a. aus dem medialen präfrontalen Kortex, dem zingulären Kortex, Cuneus und dem Hippokampus. Laterale Anteile des DMN‘s sind der temporoparietale Kortex, der inferiore parietale Lobulus und der temporale Kortex. Die Fragestellung der aktuellen Studie war, ob das Ruhenetzwerk von CRPS-Patienten signifikante Veränderungen in den funktionellen Konnektivitäten verglichen mit dem Ruhenetzwerk einer gesunden Kontrollgruppe zeigt. Material und Methode. Es wurden die Ruhenetzwerkaktivitäten von 12 CRPS-Patienten und 12 gesunde Probanden, die bzgl. Alter und Geschlecht parallelisiert wurden, mittels fMRI untersucht. Die fMRIDaten wurden mit Hilfe des Computerprogramms Brain Voyager (BV) QX ausgewertet. Dabei wurde auf Gruppenebene eine unabhängige Komponentenanalyse (Independent Component Analyse; ICA) ausgeführt, um verschiedene unabhängige Ruhenetzwerke bei der Patientengruppe und der gesunden Kontrollgruppe zu identifizieren. Die gefundenen Ruhenetzwerke der beiden Gruppen wurden visuell und auf ihre Signalverläufe hin statistisch ausgewertet. Ergebnisse. Während die gesunde Kontrollgruppe normale Aktivierungen in den kortikalen Gebieten des Ruhenetzwerks zeigten, ließen die CRPS-Patienten im Vergleich zu der gesunden Kontrollgruppe deutlich reduzierte Konnektivitäten in den betreffenden Regionen erkennen. Schlussfolgerung. Diese Studie zeigt ein deutlich verändertes Aktivierungsmuster der kortikalen Gebiete des Ruhenetzwerkes bei Patienten mit einem CRPS verglichen einer gesunden Kontrollgruppe. Zudem lässt sie erkennen, welche umfangreichen Auswirkungen chronischer Schmerz über Jahre auf die Gehirnstrukturen und -aktivitäten bei CRPS haben kann. Unterstützt durch die STAEDTLER-Stiftung (TP 4/Maihöfner) und dem Deutschen Forschungsverbund „Neuropathischer Schmerz“ (BMBF).
P08.3 Zusammenhang zwischen den sensorische Veränderungen und dem Therapieerfolg in Patienten mit komplexem regionalem Schmerzsyndrom Typ I E. Krumova1, A. Westermann1, A. Reinersmann1, J. Frettlöh1, M. Tegenthoff1, C. Maier1 1Berufsgenossenschaftliches Universitätsklinikum Bergmannsheil der Ruhr-Universität-Bochum, Abt. Schmerztherapie, Bochum, Deutschland Um den Zusammenhang zwischen den sensorische Veränderungen und dem Therapieerfolg beim komplexen regionalen Schmerzsyndrom (CRPS) genau zu analysieren wurde bei 24 Patienten mit CRPS Typ I der oberen Extremität eine Quantitativ Sensorische Testung (QST) gemäß des DFNS-Protokolls (Deutscher Forschungsverbund Neuropathischer Schmerz [1]) an der betroffenen und kontralateralen Hand zum Zeitpunkt der Einschluss (T1) in der Studie sowie 6 Monate später (T2) durchgeführt. Zusätzlich wurden zu beiden Untersuchungszeitpunkten die Schmerzintensität sowie verschiedene Funktionsparameter der betroffenen Hand erfasst. Statistik: Z-Wert-Berechnung basierend auf der DFNS-Normdatenbank [2], Wilcoxon-Test für verbundene Stichproben, Häufigkeitsanalysen (SPSS). Die späteren Therapie-Versager (n=7) weisen zum Zeitpunkt der Erstmessung eine hochgradig pathologische Vibrationsschwelle (Z-Werte: −3,7±9,1 vs. −0,5±1,3 bei den Respondern) auf, die Plussymptome einschließlich der Druckhyperalgesie (Z-Werte: 1,5±1,6 vs. 2,1±1,7 bei den Respondern) sind dagegen vermindert.
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Bei den Therapie-Respondern (n=17) findet sich im Verlauf eine charakteristische Reduktion der Hyperalgesie (Z-Werte der Druckschmerzschwelle: 2,1±1,7 bei der Erstuntersuchung vs. 0,6±1,2 6 Monate später) mit einer Tendenz zur Normalisierung der Detektion. Bei den Therapie-Nonrespondern bleibt dagegen die Druckhyperalgesie zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung bestehen (Z-Werte zum Zeitpunkt T2: 1,4±1,8 vs. 0,6±1,2 bei den Respondern), hinzu kommt die Entwicklung einer Pinprick-Hyperalgesie (Z-Werte zum Zeitpunkt T2: 1,4±1,8 vs. 0,6±1,2 bei den Respondern). Die sensorischen Defizite bleiben entweder unverändert oder verschlechtern sich bei den meisten Nonrespondern. Erstmalig in dieser Studie wurde der Verlauf von QST-Profilen bei Patienten mit CRPS untersucht. Es fällt zunächst eine erstaunliche Konstanz der meisten Befunde innerhalb von 6 Monaten auf. Überraschend ist der Befund, dass sich bei Patienten mit einem Fehlen der therapeutischen Ansprechbarkeit ein ausgeprägtes, sensorisches Defizit im Bereich der großen Nervenfasern nachweisen lässt, was jetzt in einer größeren Studie reproduziert werden muss. Hier ergibt sich ein erster Anhalt dafür, dass das Vorliegen einer ausgeprägten sensorischen Wahrnehmungsstörung ein prognostisch ungünstiger Faktor ist, während die Hyperalgesie primär erst einmal ein positiver sein kann, sofern sie sich dann unter Therapie bessert. Dieses eröffnet Möglichkeiten zur Therapieüberwachung auf der Grundlage von standardisierten Erfassungsinstrumenten in Zukunft. 1. Rolke et al. Pain. 2006;123(3):231–43. 2. Magerl et al. Pain. 2010;151(3):598–605.
P08.4 Kutane und venöse Noradrenalin-Konzentration unter Aktivie rung und Hemmung des sympathischen Nervensystems beim komplexen regionalen Schmerzsyndrom J. Gierthmühlen1, A. Terkelsen2, L. Petersen3, L. Knudsen2, N. Christensen4, J. Kehr5, T. Yoshitake5, A. Binder1, C. Madsen2, G. Wasner1, R. Baron1, T. Jensen2 1Sektion für Neurologische Schmerzforschung und Therapie, UKSH, Campus Kiel, Neurologie/ Neuroradiologie, Kiel, Deutschland, 2Danish Pain Research Center, Aarhus University Hospital, Dänemark, Dept. of Neurology, Aarhus, Dänemark, 3Viborg Hospital, Viborg, Dänemark, Dept. of Clinical Physiology, Viborg, Dänemark, 4Herlev Hospital, Dänemark, Department of Internal Medicine and Endocrinology, Herlev, Dänemark, 5Dept. of Physiology and Pharmacology, Karolinska Institut, Stockholm, Schweden, Stockholm, Schweden Hintergrund. Das komplexe regionale Schmerzsyndrom (CRPS) ist klinisch durch sensorische, motorische und autonome Symptome gekennzeichnet. Es ist bekannt, dass vasomotorische Veränderungen bei CRPS-Patienten dynamisch sind, z. T. sich abhängig von der sympathischen Aktivität ändern können. Beim warmen Typ des CRPS wird eine unilaterale Inhibition, beim kalten Typ eine Veränderung der neurovaskulären Übertragung als Störung des sympathischen Nervensystems vermutet. Die genaue Rolle der kutanen sympathischen Aktivität beim CRPS ist bislang nicht bekannt. Ziel dieser Studie war es daher, den Einfluss maximaler sympathischer Aktivierung und sympathischer Hemmung auf die kutane und venöse Noradrenalin-Konzentration bei CRPS-Patienten und gesunden Kontrollen zu untersuchen. Methoden. Bei acht CRPS-Patienten und neun Kontrollen wurde eine Ganzkörperkühlung (maximale sympathische Aktivierung) und -wärmung (Inhibition des sympathischen Nervensystems) mittels Thermoanzug mit gleichzeitiger Messung der Hauttemperatur und des Hautblutflusses durchgeführt. Während der gesamten Studie wurde die kutane Noradrenalin-Konzentration in 20-min-Einheiten mittels Mikrodialysekatheter im schmerzhaften Areal der betroffenen Extremität und im korrespondierenden Areal der kontralateralen Extremität gemessen. Bestimmungen der venösen Noradrenalin-Konzentration erfolgten während der Baseline-Phase zu Beginn der Unter-
suchung sowie während maximaler sympathischer Aktivierung und Hemmung. Ergebnisse. Die Ganzkörperkühlung führte sowohl bei CRPS-Patienten, als auch bei den Kontrollen zu einer deutlichen sympathischen Aktivierung mit signifikantem Anstieg der kutanen und venösen Noradrenalin-Konzentration sowie einer signifikanten Vasokonstriktion mit reduzierter Hauttemperatur und -blutfluss. Die kutane Noradrenalin-Konzentration zeigte eine deutliche Korrelation mit der Hauttemperatur in beiden Gruppen. Unterschiede in der kutanen oder venösen Noradrenalin-Konzentration zwischen CRPS-Patienten und den Kontrollen oder zwischen betroffener und nichtbetroffener Extremität der CRPS-Patienten fanden sich nicht. Schlussfolgerung. Die in dieser Studie untersuchte Gruppe von CRPSPatienten zeigte eine normale sympathische Regulation bei Ganzkörperkühlung und -wärmung, was nicht auf eine Beteiligung des kutanen sympathischen Nervensystems bzw. Dysfunktion des sympathischen Nervensystems per se beim CRPS schließen lässt. Die erfolgreiche Messung der Modulation der kutanen Noradrenalin-Konzentration mittels Mikrodialyse direkt im schmerzhaften Areal von CRPS-Patienten ermöglicht weiterführende Untersuchungen verschiedener Patienten-Subgruppen, z. B. von Patienten mit sympathisch-unterhaltenen Schmerzen.
P08.5 Körperschema- und Körperbildstörung bei Patienten mit kom plexem regionalem Schmerzsyndrom A. Reinersmann1, J. Landwehrt2, J. Frettlöh3, E. Krumova4, A. Westermann1, C. Maier5 1BG Universitätsklinikum Bergmannsheil, Schmerztherapie, Bochum, Deutschland, 2Berufsgenossenschaftliche Universitätsklinik Bergmannsheil GmbH, Ruhr University Bochum, Klinik für Anästhesiologie, Intensiv-, Palliativ- und Schmerzmedizin, Bochum, Deutschland, 3Uniklinikum Bergmannsheil Bochum, Abt. für Schmerztherapie, Bochum, Deutschland, 4BG Universitätsklinikum Bergmannsheil, Abteilung für Schmerztherapie, Bochum, Deutschland, 5Berufsgenossenschaftliches Universitätsklinikum Bergmannsheil der Ruhr-Universität Bochum, Abt. Schmerztherapie, Bochum, Deutschland Ziel des Promotionsvorhabens ist die Klärung eines möglichen Zusammenspiels zwischen einer Körperschema- und Körperbildstörung beim CRPS. Hinweise für eine Körperschemastörung zeigen sich beispielsweise in einer signifikant verzögerten und fehlerhaften Erkennung der Lateralität von Händen [4, 6] oder auch einer, zur betroffenen Seite, verschobene subjektive Körpermittellinie [7]. CRPS-Patienten zeigen zudem häufig eine veränderte Wahrnehmung der betroffenen Hand, die hinweist auf eine Körperbildstörung [2, 3]. Es ist zu vermuten, dass die Störung des Körperschemas auf neuronaler Ebene in engem Zusammenhang mit einer Körperbildstörung steht. Es konnte bereits gezeigt werden, dass eine verzögerte Handlateralisationserkennung sich auch bei unilateralem Schmerz bilateral manifestiert und auch durch ein mehrtägiges Training nicht zu revidieren ist [5]. In einem weiteren Schritt sollte geklärt werden, ob diese Störung einhergeht mit einer Verschiebung der subjektiven visuellen Körpermittellinie [7]oder auch einer veränderten Wahrnehmung der Gummihandillusion [1]. Bisherige Ergebnisse zeigen einen signifikanten Unterschied in der Verschiebung der subjektiven visuellen Körpermittellinie zwischen CRPS-Patienten und gesunden Probanden, welche unabhängig von Schmerzempfinden oder Neglect-like-Symptomatik ist und nicht mit einer Störung der Handlateralisationserkennung einhergeht. In beiden Gruppen konnte die Gummihandillusion gleichermaßen ausgelöst werden, was darauf hinweist könnte, dass die Integration widersprüchlicher visueller und sensorischer Informationen im parietalen Kortex, dem Ort an dem vermutlich das Körperschema lokalisiert ist, auch bei CRPS-Patienten nicht beeinträchtigt ist. Hierfür sprechen auch Ergebnisse einer internen Studie, die zeigen, dass bei CRPS-Patienten das
Erkennen komplexer haptischer Information trotz gestörter Diskriminationsfähigkeit nicht eingeschränkt ist. 1. Botvinick, C. & Cohen, J. (1998). Rubber hand „feel“ touch that eyes see. Nature (391), S. 756. 2. Frettlöh, J., Hüppe, M., & Maier, C. (2006). Severity and specificity of neglectlike Symptoms in patients with Complex Regional Pain Syndrome (CRPS) compared to chronic limb pain of other origins. Pain (124), S. 184–189. 3. Galer, B. S., & Jensen, M. (1999). Neglect-like Symptoms in Complex Regional Pain Syndrome: results of a self-administered survey. Journal of Pain and Symptom Management (18), S. 2123–216. 4. Moseley, G. L. (2004). Why do people with Complex Regional Pain Syndrome take longer to recognize their affected hand? Neurology (62), S. 2182–6. 5. Reinersmann, A., Haarmeyer, G.-S., Blankenburg, M., Frettloeh, J., Krumova, E. K., Ocklenburg, S., et al. (2010). Left is where the L is right. Signficantly delayed reaction time in limb lateraliy recognition in both CRPS and Phantom limb pain patients. Neuroscience Letters (486), S. 240–5. 6. Schwoebel, J., Friedmann, R., Duda, N., & Coslett, H. B. (2001). Pain and the body schema: Evidence for peripheral effects on mental representations of movement. Brain (124), S. 2098–104. 7. Sumitani, M., Shibata, T., Iwakura, Y., Matsuda, T., Sakaue, G., Inoue, T., et al. (2007). Pathologic pain distors visuo-spatial perception. Neurology (68), S. 152–154.
P08.6 Capsaicin 8% in der klinischen Anwendung: eine Fallserie von 12 Patienten mit verschiedenen neuropathischen Schmerzsyn dromen C. Lassen1, T. Klier1, J. Bierner1, B. Graf1, C. Wiese1 1Universitätsklinikum Regensburg, Klinik für Anästhesiologie, Regensburg, Deutschland Fragestellung. Capsaicin ist ein Alkaloid, das aus Pflanzen der Gattung Capsicum (Paprika) gewonnen wird. Bei Säugetieren führt es initial zu einer Aktivierung von TRPV1 mit jedoch konsekutiver Herunterregulierung der kutanen nozizeptiven Nervenendigungen [1]. Seine Anwendung bei neuropathischen Schmerzen in einer Konzentration von 0,025–0,075% ist schon lange bekannt. Seit 2010 ist in Deutschland ein mit 8% hochkonzentriertes Pflaster kommerziell erhältlich (Qutenza®). Es ist zugelassen zur Behandlung von peripheren neuropathischen Schmerzen bei Erwachsenen, die nicht an Diabetes leiden [2]. Seine Wirksamkeit konnte in Studien für die Postzosterneuralgie und die HIV-assoziierte Neuropathie belegt werden [3, 4]. Im Rahmen dieser Untersuchung soll analysiert werden, inwieweit 8% Capsaicin auch bei anderen neuropathischen Schmerzen wirksam ist. Material und Methode. Vom 18.01.2011 bis 17.05.2011 wurden 13 Patienten mit verschiedenen neuropathischen Schmerzsyndromen mit 8% Capsaicin in unserer Schmerzambulanz behandelt. Wir analysierten retrospektiv die Daten der Patienten hinsichtlich zugrunde liegender Schmerzdiagnosen, Anwendungsort, Therapieerfolg, Nebenwirkungen und psychiatrischen Komorbiditäten. Ein Patient wurde konsiliarisch behandelt, über ihn lagen keine Folgeuntersuchungen vor. Daher konnten nur von 12 Patienten die Daten analysiert werden. Aufgrund der anonymisierten Erhebung war eine Zustimmung der Ethikkommission nicht notwendig. Ergebnisse. Von den behandelten 12 Patienten stellte sich ein anhaltender Therapieerfolg >4 Wochen (Schmerzreduktion >30% oder deutlich verbesserte Funktionalität) bei 5 Patienten ein. Bei 2 Patienten hielt die Schmerzreduktion nur <4 Wochen an. Die restlichen 5 Patienten verspürten keinen Effekt. Diskussion. Die Untersuchung wird limitiert aufgrund der retrospektiven Datenerhebung und der geringen Patientenzahl. Es kann jedoch gezeigt werden, dass ein Therapieerfolg bei verschiedenen neuropathischen Schmerzsyndromen mit Capsaicin 8% möglich ist. Dieser Der Schmerz · Supplement 1 · 2011
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Abstracts kann auch bei Vorliegen einer psychiatrischen Komorbidität erreicht werden. Schlussfolgerung. Capsaicin 8% kann auch bei anderen neuropathischen Schmerzarten als bisher untersucht schmerzreduzierend wirken. Der Therapieerfolg ist jedoch nicht vorhersehbar. 1. Szallasi A. Vanilloid receptor ligands: hopes and realities for the future. Drugs Aging 2001 2. Fachinfo Qutenza®, Stand Februar 2010 3. Backonja M et al. NGX-4010, a high-concentration capsaicin patch, for the treatment of postherpetic neuralgia: a randomised, double-blind study. Lancet Neurol 2008 4. Simpson DM et al. Controlled trial of high-concentration capsaicin patch for treatment of painful HIV neuropathy. Neurology 2008
P08.7 Die neuronale Repräsentation von Handbewegungen in einer Virtual-Reality-Umgebung zur Behandlung von Phantom schmerz M. Müller1, S. Kamping1, M. Diers1, F. Bach2, H. Maaß2, H. Çakmak2, P. Yilmaz1, M. Rance1, R. Bekrater-Bodmann1, J. Foell1, J. Trojan1, H. Flor1 1Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Lehrstuhl für Neuropsychologie an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Mannheim, Deutschland, 2Karlsruher Institut für Technologie, Institut für Angewandte Informatik, Eggenstein-Leopoldshafen, Deutschland Fragestellung. Chronischer Phantomschmerz tritt nach Amputationen häufig auf, und wird in Verbindung gebracht mit maladaptiver kortikaler Plastizität. In jüngster Vergangenheit wurde gezeigt, dass die Spiegeltherapie kortikale Reorganisation in Folge der Amputation rückgängig machen kann und zu einer Reduktion des Phantomschmerzes führt. In der vorliegenden Studie wurde eine Virtual-Reality-Anwendung entwickelt und getestet. Über einen Datenhandschuh wird die Bewegung einer Hand computertechnisch verarbeitet und online in einem Display gespiegelt und dargestellt. Dieser Datenhandschuh ist mit Sensoren ausgestattet, die im Magnetresonanztomographen (MRT) verwendet werden können. Methoden. Zwanzig gesunde Kontrollprobanden wurden in einem Block-Design untersucht. Über eine MRT-kompatible Brille sahen die Probanden hierbei eine 3-dimensionale Virtual-Reality-Umgebung, die aus ihrem eigenen Körper, der Röhre des MRT und zwei Händen bestand. Während der Simulation wurde das Modell der rechten Hand gespiegelt und als linke Hand des Probanden visualisiert. Die Probanden wurden dahingehend instruiert, sich auf das gespiegelte Bild der sich bewegenden virtuellen linken Hand zu konzentrieren, während sie ihre rechte Hand bewegten. Die MR-Bilder wurden auf einem 3T Siemens Scanner aufgenommen und mit SPM8 ausgewertet. Ergebnisse. Nach dem Experiment berichteten alle Probanden, dass Bewegungen der virtuellen linken Hand sich anfühlten, als würden diese Bewegungen tatsächlich mit der linken Hand ausgeführt. Des Weiteren fanden wir Aktivierung sowohl im primären sensomotorischen Kortex kontralateral zur tatsächlichen Bewegung, als auch ipsilateral zur virtuellen Bewegung. Diskussion und Schlussfolgerung. Unsere Ergebnisse zeigen, dass Bewegungen im virtuellen Raum als tatsächliche Bewegungen der eigenen Gliedmaße wahrgenommen werden. Diese Wahrnehmung geht einher mit einer Aktivierung in den zu erwartenden Gehirnarealen. Die vorliegenden Ergebnisse bilden den Ausgangspunkt einer Längsschnittstudie zum Effekt eines täglichen Virtual-Reality-Trainings auf kortikale Reorganisation und Phantomschmerz nach Amputationen. Diese Forschung wurde gefördert durch PHANTOMMIND des European Research Council (FP7/2007–2013)/ERC Grant Agreement No. 230249.
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P08.8 Mentale Rotation von Körperteilen bei Amputationspatienten mit und ohne Phantomschmerz J. Foell1, R. Bekrater-Bodmann1, M. Diers1, P. Yilmaz1, M. Rance1, S. Kamping1, J. Trojan1, H. Flor1 1Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Institut für Neuropsychologie und Klinische Psychologie, Mannheim, Deutschland Fragestellung. Nahezu alle Patienten können nach einer Amputation den verlorenen Körperteil immer noch spüren. Bei vielen Patienten sind die Empfindungen schmerzhaft. In einigen Fällen wird eine vollständige oder eingeschränkte Bewegungskontrolle über die Phantomhand wahrgenommen. Dass dabei die gefühlte Hand nicht visuell wahrgenommen werden kann, bedeutet eine Herausforderung für die multimodale sensorische Integrationsfähigkeit der Patienten. Empirische Ergebnisse deuten auf einen Zusammenhang zwischen dem Phantomschmerzerleben und der Fähigkeit zur mentalen Rotation des betreffenden Körperteils hin. Dieser soll in der vorliegenden Studie genauer untersucht werden. Material und Methoden. Wir untersuchten zehn Patienten mit chronischem Phantomschmerz sowie zehn Amputationspatienten ohne Phantomschmerz. Den Patienten wurden auf einem Bildschirm Fotos von einer Hand in unterschiedlicher Orientierung und aus unterschiedlichen Perspektiven präsentiert. Aufgabe der Patienten war es, möglichst schnell und korrekt anzugeben, ob eine linke oder rechte Hand dargestellt ist. Es wurde angenommen, dass die Eigenschaften der Phantomhand (Bewegungskontrolle, Ausrichtung, Deutlichkeit) mit dem propriozeptiven Einfluss in Zusammenhang stehen. In einem separaten Durchgang wurde zudem in variierender Ausrichtung eine lebensechte Gummihand neben dem Bildschirm platziert. Ergebnisse. Patienten, bei denen eine Phantomhand vorliegt, reagierten im Schnitt schneller als Patienten ohne Phantomhand auf solche Handdarstellungen, die dieselbe Lateralität wie die Phantomhand aufwiesen. Die Reaktionszeit bei Vorhandensein einer Phantomhand war vergleichbar zu der Reaktion auf der intakten Körperseite. Des Weiteren zeigt sich ein Zusammenhang zwischen der Fähigkeit zur mentalen Rotation der dargestellten Bilder und dem Vorliegen von Phantomschmerzen. Diskussion. Es zeigte sich, dass die Fähigkeit zur mentalen Rotation erhalten bleibt, wenn eine Phantomhand empfunden wird. Im Gegensatz dazu ist sie bei Patienten ohne Phantomhand vermindert. Weiter zeigt sich ein Zusammenhang zwischen einer schmerzhaften Phantomhand und der Integration einer bildlich dargestellten Hand. Diese Ergebnisse vertiefen das Verständnis über die Repräsentation der Phantomhand bei Amputationspatienten. Der Widerspruch zwischen einer sichtbaren Gummihand und der Hand, welche rotiert werden soll, setzt eine Integrationsleistung für multisensorische Informationen voraus, auf die der Phantomschmerz Einfluss nehmen kann. Es wird vermutet, dass die individuell ausgeprägte Fähigkeit zu einer solchen Integration mit der Entstehung und Aufrechterhaltung von Phantomschmerzen in Verbindung steht. Diese Forschung wurde unterstützt von PHANTOMMIND des European Research Council (FP7/2007–2013)/ERC Grant Agreement No. 230249.
P08.9 Epidemiologische Daten einer deutschlandweiten Erhebung von Phantomphänomenen bei Personen nach Amputation P. Yilmaz1, M. Diers1, R. Bekrater-Bodmann1, S. Kamping1, J. Foell1, M. Rance1, J. Trojan1, H. Flor1 1Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Institut für Neuopsychologie und Klinische Psychologie, Mannheim, Deutschland Fragestellung. In einer deutschlandweiten Erhebung wurden epidemiologische Daten zur Inzidenz von Phantomschmerz und anderer Phantomphänomene erfasst. Methoden. Es wurden insgesamt 23.000 Fragebögen an Personen nach einer Amputation versandt. Etwa 12% der angeschriebenen Personen füllten den Fragebogen vollständig aus und gaben ihr Einverständnis zur Datenspeicherung. Der Fragebogen umfasste 53 Fragen und Zeichnungen, die einer genauen Erfassung der Phantomphänomene dienten. Es wurden verschiedene Fragebögen für Patienten nach Armamputation und Beinamputation eingesetzt. Ergebnisse. Die Patienten waren im Durchschnitt 64,4 Jahre alt (18– 98 Jahre), 80% waren männlich. 60,3% haben aktuell Phantomschmerzen, 14,3% gaben an, irgendwann einmal Phantomschmerzen gehabt zu haben. Die durchschnittliche Intensität der Phantomschmerzen war 5,7 (auf einer Skala von 0= kein Schmerz bis 10= größter vorstellbarer Schmerz). 15,4% berichteten übertragene Empfindungen. Weiterhin werden Phantomphänomene wie das Spüren des Phantomgliedes, Phantomempfindungen und Teleskoping sowie Stumpfphänomene, Prothesennutzung und deren Zusammenhänge mit Phantomschmerzen berichtet. Diskussion und Schlussfolgerung. Es gibt eine hohe Prävalenz für Phantomschmerzen bei Personen nach Amputation. Eine genauere Erforschung der Ursachen für Phantomschmerzen und deren Zusammenhänge mit anderen Phantomphänomenen und der Nutzung von Prothesen kann helfen differenzierte Therapiestrategien zu entwickeln. Diese Forschung wurde unterstützt von PHANTOMMIND des European Research Council (FP7/2007–2013)/ERC Grant Agreement No. 230249.
P08.10 Die Gummihand-Illusion bei Amputationspatienten mit und ohne Phantomschmerz R. Bekrater-Bodmann1, J. Foell1, P. Yilmaz1, M. Rance1, M. Diers1, S. Kamping1, J. Trojan1, H. Flor1 1Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Institut für Neuropsychologie und Klinische Psychologie, Mannheim, Deutschland Fragestellung. Die Gummihand-Illusion beschreibt ein Wahrnehmungsphänomen, bei dem durch eine kongruente visuotaktile Stimulation von der eigenen, verdeckten Hand und einer künstlichen, sichtbaren Hand die letztere als eigener Körperteil empfunden wird. Das Illusionserleben scheint ein Maß für die Integrationsfähigkeit multimodaler sensorischer Information zu sein. Es wird vermutet, dass diese Integrationsfähigkeit auch eine Rolle bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von Phantomschmerzen nach einer Amputation spielt. Da die Gummihand-Illusion durch eine übereinstimmende Stimulation zwischen Stumpf und künstlicher Hand auch bei Amputierten induziert werden kann, stellt sich die Frage, ob ein Zusammenhang zwischen Phantomschmerz und Empfindungen während der Gummihand-Illusion besteht. Methoden. Bei zwölf Phantomschmerzpatienten mit unilateraler Armamputation wurde die Gummihand-Illusion an der Amputationsseite und an der intakten Hand induziert. Die Ergebnisse wurden mit denen aus einer zweiten Stichprobe von Armamputierten ohne Phantomschmerz in Beziehung gesetzt. Mögliche modulierende Faktoren wie eine generelle Phantomwahrnehmung oder wahrgenommene Deformationen des Phantomgliedes wurden erfasst.
Ergebnisse. Sowohl für die intakte Hand als auch für den Stumpf ließ sich in beiden Gruppen die Gummihand-Illusion induzieren, wobei die Empfindungen für den Stumpf jeweils schwächer waren. Es besteht ein positiver Zusammenhang zwischen den illusionären Empfindungen für beide Körperseiten innerhalb einer Person. Phantomschmerzen hängen mit reduzierten illusionären Empfindungen zusammen. Diskussion und Schlussfolgerung. Amputierte integrieren eine künstliche Hand in ihre Körperrepräsentation. Diese multisensorische Integration gelingt ihnen dabei besser für die intakte Hand, was darauf hindeutet, dass der zu überwindende Inkongruenzgrad für den Stumpf größer ist. Der intra-individuelle Zusammenhang zwischen den Wahrnehmungen für die intakte und die amputierte Seite während der Illusionsinduktion weist auf ein stabiles Merkmal hin. Die reduzierten illusionären Wahrnehmungen bei den Phantomschmerzpatienten deuten auf eine generell verringerte Fähigkeit zur Integration multisensorischer Information hin, welche möglicherweise ursächlich mit der Phantomschmerzentstehung und -aufrechterhaltung zusammenhängen könnte. Diese Forschung wurde unterstützt von PHANTOMMIND des European Research Council (FP7/2007–2013)/ERC Grant Agreement No. 230249.
P08.11 Veränderungen von Wahrnehmungs- und Schmerzschwellen bei Patienten nach Armamputation X. Fuchs1, P. Yilmaz1, R. Bekrater-Bodmann1, M. Diers1, J. Foell1, S. Kamping1, M. Rance1, J. Trojan1, H. Flor1 1Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Institut für Neuropsychologie und Klinische Psychologie, Mannheim, Deutschland Fragestellung. Amputationen gehen mit bedeutenden Veränderungen in der funktionellen Repräsentation des Körpers einher, die mit der Entstehung und Aufrechterhaltung von Phantomschmerz in Beziehung stehen. Diese neurophysiologischen Veränderungen äußern sich in veränderten somatosensorischen Sensibilitäten. In dieser Studie wird die thermische und mechanozeptive Sensibilität bei Probanden nach einer unilateralen Amputation des Arms untersucht. Wir vermuten, dass einerseits bedeutsame Unterschiede zwischen Arealen in der Nähe des Amputationsgebietes und entsprechenden Arealen auf der anderen Körperseite bestehen. Andererseits ist von Interesse, ob sich die Unterschiede auf diese Bereiche beschränken. Material und Methode. Thermische Reize wurden mit einer Thermode (Medoc Pathway) dargeboten. Druckreize wurden mit einem Druckalgometer (Medoc AlgoMed) dargeboten. Wärme-, Hitzeschmerz- und Druckschmerzschwellen wurden mittels konstant ansteigender Reize bestimmt. Es wurde registriert, ab wann eine Versuchsperson angab, eine Änderung bzw. eine schmerzhafte Empfindung wahrzunehmen. Sämtliche Messungen wurden am Thenar der vorhandenen Hand, proximal am Stumpfe und an der entsprechenden Stelle auf der gegenüberliegenden Körperseite sowie an beiden Mundwinkeln durchgeführt. Ergebnisse. Die meisten Probanden wiesen in der Umgebung des Amputationsortes eine deutlich niedrigere Wärme- und Hitzeschmerzschwelle auf, als an der entsprechenden gegenüberliegenden Stelle. Am Thenar lagen die Schwellen der meisten Untersuchungsteilnehmer im oberen Teil des Normbereichs oder gingen über ihn hinaus. Wir beobachteten individuelle Unterschiede zwischen den beiden Körperhälften bezüglich der Hitzeschmerzschwellen an den Mundwinkeln sowie am Amputationsort und dessen kontralateraler Entsprechung; allerdings war die Richtung dieser Unterschiede uneinheitlich. Diskussion. Die von uns beobachteten Seitenunterschiede und Abweichungen von Normwerten können als Hinweise für veränderte sensorische Integrationsmechanismen auf Rückenmarks- und Hirnebene gedeutet werden. Die Beobachtung, dass die Veränderungen sich nicht allein auf Areale beschränken, welche direkt von der Amputation be-
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Abstracts troffen sind, deutet darauf hin, dass die Veränderungen teilweise auf andere Bereiche generalisiert werden. Schlussfolgerung. Die sorgfältige sensorische Untersuchung Amputierter stellt einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der neurophysiologischen Veränderungen dar, die mit der Amputation einhergehen. In weiteren Studien sollen diese Maße mit Veränderungen der Hirnaktivität in Beziehung gesetzt werden. Diese Forschung wurde unterstützt von PHANTOMMIND des European Research Council (FP7/2007–2013)/ERC Grant Agreement No. 230249.
P08.12 Neurofeedback und Schmerz: eine wirksame Methode zur Be handlung von Phantomschmerz M. Rance1, P. Yilmaz1, M. Diers1, M. Ruttorf2, R. Bekrater-Bodmann1, S. Kamping1, J. Foell1, J. Trojan1, H. Flor1 1Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Institut für Neuropsychologie und Klinische Psychologie, Mannheim, Deutschland, 2Medical Faculty Mannheim, Heidelberg University, Computer Assisted Clinical Medicine, Mannheim, Deutschland Fragestellung. Es gibt einen Zusammenhang zwischen Phantomschmerzen und kortikaler Reorganisation. Das Ausmaß des Phantomschmerzes korreliert dabei mit dem Ausmaß der Verschiebung des Mundareals (nach Armamputation) in Richtung des Handareals im primären somatosensorischen Kortex (SI). Auch Veränderungen im anterioren Gyrus cinguli (ACC) wurden mit Phantomschmerz in Verbindung gebracht. Ziel der Studie war es, ein Neurofeedback Paradigma zu implementieren, das Probanden erlaubt, die Hirnaktivierung in schmerzverarbeitenden Arealen zu regulieren und so den Phantomschmerz zu beeinflussen. Material und Methoden. 10 gesunde Kontrollprobanden durchliefen insgesamt 24 Neurofeedback-Stizungen an 4 aufeinander folgenden Tagen. Ihre Aufgabe war es die Aktivierung im ACC oder der posterioren Insula (pIns) in Reaktion auf schmerzhafte elektrische Stimulation entweder herauf- oder herunterzuregulieren. Die Hirnaktivierung wurde mittels eines Siemens Trio 3T Kenspintomographen gemessen. Echtzeitanalysen wurden mit Turbo BrainVoyager 1.8 durchgeführt. Offline-Analysen wurden mit BrainVoyager QX 2.3 durgeführt. Ergebnisse. Die Probanden lernten ihre Hirnantwort differentiell zu regulieren. Eine „Herunterregulation“ der Aktivierung im ACC wurde von einer niedrigeren subjektiv empfundenen Schmerzstärke begleitet. Die „Hochregulation“ der Hirnaktivierung hatte keinen Effekt auf die Schmerzwahrnehmung. Diskussion und Schlussfolgerung. Das hier verwendete Paradigma ermöglicht es Probanden, ihre Schmerzwahrnehmung durch Regulation der Aktivierung in spezifischen Hirnarealen zu beeinflussen. Im nächsten Schritt soll nun eine Therapie implementiert werden, die es Patienten mit Phantomschmerz ermöglicht, ihre Schmerzwahrnehmung zu kontrollieren und dadurch der kortikalen Reorganisation entgegenzuwirken. Diese Forschung wurde unterstützt von PHANTOMMIND des European Research Council (FP7/2007–2013)/ERC Grant Agreement No. 23024.
P08.13 Morphologische Plastizität bei Patienten mit Phantomschmerz S. Preißler1, J. Feiler1, C. Dietrich1, G. Hofmann2, W. Miltner1, T. Weiss1 1Friedrich-Schiller-Universität Jena; Institut für Psychologie, Lehrstuhl für Biologische und Klinische Psychologie, Jena, Deutschland, 2Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie, Universitätsklinikum Jena, Jena, Deutschland Fragestellung. Neben funktioneller Plastizität scheinen auch morphologische Änderungen kortikaler Strukturen bei der Entwicklung chronischer Phantomschmerzen (PS) eine wichtige Rolle zu spielen. Auf funktioneller Ebene konnte ein Zusammenhang zwischen PS und kortikaler Reorganisation nachgewiesen werden. Ob diese funktionelle Plastizität auch mit morphologisch-strukturellen kortikalen Veränderungen einhergeht, ist hingegen bislang kaum geklärt. Material und Methode. In einer Querschnittstudie wurde das kortikale Volumen von 21 Patienten nach Amputation analysiert und mit einer gesunden Kontrollgruppe (n=14) mit Hilfe von FreeSurfer verglichen. Nachdem die Patienten mit den gesunden Kontrollen in kortikaler Dicke verglichen wurden, wurde die Patientengruppe in je eine Gruppe von Patienten mit kontinuierlichen PS (PSG; n=11, VAS: M±SD=5,46±1,64) und sporadischen PS und Phantomempfindungen (PEG; n=10, VAS: 0,91±1) unterteilt, um aus der folgenden Analyse auf den spezifischen Effekt von PS auf kortikale Dicke schließen zu können. Ergebnisse. Die Ergebnisse zeigen einen globalen Rückgang in Volumen der grauen Substanz über beide Hemisphären nach Amputation. Einen spezifischen Rückgang grauer Substanz findet man im früheren Handareal des kontralateral zur Amputation gelegenen primär motorischen Kortex. Eine Ausnahme vom generellen Rückgang bilden Areale, die dem dorsalen und ventralen visuellen Pfaden zugehörig sind, in denen zu einer Zunahme an grauer Substanz beobachtet wurde. Betrachtet man die Ergebnisse der PSG mit PEG, so findet sich bei den Schmerzpatienten eine Volumenreduktion in schmerzverarbeitenden kortikalen Bereichen. Diskussion. Die Ergebnisse sprechen einerseits für eine Restrukturierung im primär motorischen Kortex nach dem Verlust von motorischem Input. Andererseits scheint die verstärkte visuelle Kontrolle beim Gebrauch einer Prothese bei den Patienten nach Amputation zu einer Zunahme von kortikaler Dicke in Bereichen zu führen, die für visuelle Koordination benötigt werden. Unabhängig von Amputation ist PS mit dem Verlust an grauer Substanz in schmerzverarbeitenden Bereichen assoziiert. Schlussfolgerung. Die Volumenzunahmen nach Amputation lassen sich als adaptive Prozesse auf die veränderten Bedingungen für Motorik und visuelle Kontrolle interpretieren. Die Reduktion an grauer Substanz in schmerzverarbeitenden Bereichen könnte eine Konsequenz dauerhafter Aktivierung sein. Dies scheint eine Bestätigung für „maladaptive Plastizität“ bei chronischen Schmerzen darzustellen.
P08.14 Effect of spinal cord stimulation in patients with refractory angina pectoris H. van Suijlekom1, T. Tielen-Laarhoven1, L. Strijbosch-Wilderbeek1, J. Lammers2, K. Botman2 1Department of Anaesthesiology, ICU and Pain Management, Eindhoven, Niederlande, 2Department of Cardiology, Catharina Ziekenhuis, Eindhoven, Niederlande Introduction. The efficacy and safety of spinal cord stimulation (SCS) for patients with refractory angina pectoris has been demonstrated [1]. We started with this therapy in September 2009 and we wanted to assess the effect of spinal cord stimulation (SCS), in our patient group, on angina symptoms and quality of life in patients with refractory angina pectoris defined as severe angina due to coronary artery disease
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resistant to conventional pharmacological therapy and/or revascularization. Method. Patients with refractory angina referred for SCS treatment were prospectively followed regarding angina symptoms (pain intensity as measured by VAS and angina attack frequency), nitrate intake, patient satisfaction, quality of life (Seattle Angina Questionnaire and SF-36) and adverse events. Results. During September 2009 to December 2010, 19 patients, 14 male and 5 female, mean age 61.9 years (range 43–78), with refractory angina pectoris, received SCS therapy. Mean follow-up time after implantation was 9.2 months (range 1–16). The mean VAS at base-line was 6.2 (1.4 SD) and decreased to 1.9 (1.5 SD) at follow up. Patients reported fewer angina attacks (p<0.01), and a reduced short-acting nitrate intake (p<0.01). Patient satisfaction was high and quality of life improved. In 2 patients the lead needed to be repositioned during follow up to maintain the efficacy of the therapy. Discussion and conclusion. SCS alleviates angina symptoms and improves quality of life in patients with refractory angina pectoris. The therapy is safe and is an important asset to the quality of life in this patient group. Börjesson M, Andrell P, Lundberg D, Mannheimer C. Spinal cord stimulation in severe angina pectoris – A systematic review based on the Swedish Council on Technology assessment in health care report on long-standing pain. Pain 2008 Dec;140(3):501–8
P10 – Rückenschmerz und Bewegungsapparat II P10.1 Die Überlegenheit der operativen Osteoplastie bei der Behand lung von schmerzhaften Wirbelkörper-Frakturen R. Bornemann1, L. Otten1, E. Koch1, R. Pflugmacher1 1Universitätsklinikum Bonn, Klinik und Poliklinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Bonn, Deutschland Fragestellung. Im Hinblick auf die bei allen Patienten mit Wirbelkörper-Frakturen notwendige Schmerzreduktion, Funktionsverbesserung und Stabilisierung stellt sich die Frage nach der Überlegenheit der operativen Verfahren im Vergleich zu einer konservativen Behandlung. Bisherige Veröffentlichungen (D. Wardlaw et al. 2009, Buchbinder et al. 2009) haben widersprüchlich Resultate gezeigt. Anhand der Daten mehrerer klinischer Studien soll die Überlegenheit der operativen Wirbelkörper-Augmentationen belegt werden. Material und Methoden. Es wurden Ergebnisanalysen von Ballon-Kyphoplastien (BK) eines Gesamtkollektivs von Patienten mit schmerzhaften Wirbelkörperfrakturen bei Osteoporose, Myelomen und Knochenmetastasen vorgenommen. Der Verlauf von Schmerzintensität (VAS: 0–100 mm) und Funktionalität (Oswestry-Score) wurde den Ausgangwerten gegenübergestellt. Ergänzend wurde eine prospektive Vergleichsstudie von operierten Patienten (Ballon-Kyphoplastie) vs. standardisierte konservative Behandlung vorgenommen. Als innovative Alternative zur Ballon-Kyphoplastie wurde 2009 die Radiofrequenz-Kyphoplastie (RFK – DFine) eingeführt. Im Rahmen einer prospektiven Vergleichsstudie wurden die Daten der mit diesem Verfahren operierten Patienten mit denen einer konservativ behandelten Patienten-Gruppe verglichen. Ergebnisse. Die Auswertung des Gesamtkollektivs bezieht sich auf 466 (w: 241, m: 225) Patienten. In 256 Fällen wurde 1 Wirbelkörper behandelt, bei 208 Patienten wurde der Eingriff an mehreren Wirbelkörpern vorgenommen. Der durchschnittliche Rückgang der Schmerzintensität betrug nach dem Eingriff 63%, auch bei den nachfolgenden Untersuchungen bis zu 2 Jahren wurden entsprechende Erfolge registriert. Der Oswestry-Score ging post-operativ um 48% im Vergleich zum
Ausgangswert zurück. In der Vergleichsstudie wurde 244 Patienten (Osteoporose, Myelome) operativ (BK) und 120 Patienten konservativ behandelt. Während die VAS 3 Monate nach der Operation durchschnittlich um 59 mm zurückgegangen war, wurde bei konservativer Behandlung nur ein Rückgang von durchschnittlich 14 mm erreicht. Auch beim Rückgang des Oswestry-Scores ergaben sich gesicherte Unterschiede zugunsten der Ballon-Kyphoplastie. Die Vergleichsstudie Radiofrequenz-Kyphoplastie (n=114) vs. konservative Behandlung (n=67) ergab einen VAS-Rückgang von durchschnittlich 84% unter der RFK. In der Vergleichsgruppe betrug der Rückgang nur 6%. Die Gegenüberstellung des Oswestry-Scores entsprach diesem Resultat (60% vs. 11%). Schlussfolgerungen. Operative Verfahren zur Behandlung von Patienten mit Wirbelkörper-Frakturen erweisen sich den konservativen Behandlungsverfahren als gesichert überlegen, wobei sich diese Überlegenheit sowohl bei klinischen als auch bei radiologischen Befunden belegen lässt. Nach den neuesten DVO-Richtlinien soll demgemäß bereits nach 3-wöchiger konservativer Therapie ohne ausreichenden Erfolg eine operative Behandlung – am besten mit der RadiofrequenzKyphoplastie – in Erwägung gezogen werden.
P10.2 Behandlung und Krankheitskosten des Fibromyalgiesyndroms in Deutschland – eine Analyse der Daten der Barmer Ersatzkasse des Jahres 2008–2009 J. Volkova1, U. Marschall2, B. Arnold3, W. Häuser1 1Klinikum Saarbrücken, Interdisziplinäres Zentrum für Schmerztherapie, Saarbrücken, Deutschland, 2BARMER GEK Hauptverwaltung, Hauptabteilung Unternehmensstrategie, Wuppertal, Deutschland, 3Amper-Kliniken, Chefarzt der Abt. für Schmerztherapie, Dachau, Deutschland Hintergrund. Aus Deutschland lagen bisher nur eingeschränkt repräsentative Daten zur Behandlung und Krankheitskosten bei Patienten mit Fibromyalgiesyndrom (FMS) vor. Material und Methoden. Bei 6.897.846 Versicherten der BARMER vor Fusion mit der Gmünder Ersatzkasse (GEK) wurde in den Jahren 2007 und 2008 analysiert, ob in 8 betrachteten Quartalen mehr als 2 Abrechnungsfälle mit Diagnose M79.7 abgerechnet wurden (FMS-Fälle). Neben Analysen der Arzneimittelverordnungen im ambulanten ärztlichen Bereich wurden bei diesen Patienten im Zeitraum vom 1.7.2008 bis 30.6.2009 auch OPS-Prozeduren bei stationären Behandlungen im Falle der Haupt- oder Nebenentlassungsdiagnose FMS erfasst. Ergebnisse. Bei 14.870 Versicherten wurde im Zeitraum vom 1.1.2008 bis 31.12.2009 im ambulanten Bereich und bei 6130 Patienten im stationären Bereich eine FMS-Diagnose kodiert. Die 1-Jahres-Prävalenz der FMS-Diagnose lag bei 19.592 (0,3%) Versicherten. Im ambulanten Bereich wurden Nichtsteroidale Antirheumatika bei 48%, schwache Opioide bei 21% und starke Opioide bei 11% der Betroffenen verordnet. 8% wurden ambulant psychotherapeutisch behandelt. 31% wurden stationär behandelt, 14% der stationär Behandelten mit einer multimodalen Therapie. Die durchschnittlichen jährlichen Leistungsausgaben lagen bei 4331 €. Schlussfolgerung. Die Daten der BARMER belegen die hohen Krankheitskosten und die überwiegend nichtleitlinienkonforme Behandlung des FMS in Deutschland.
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Abstracts P10.3 Verbraucherbericht (Consumer Reports): Wirksamkeit von Be handlungen des Fibromyalgiesyndroms aus Sicht der Betroffe nen – eine multizentrische Studie E. Jung1, J. Erbslöh-Möller2, T. Weiss3, H. Kühn-Becker4, M. Gesmann5, A. Winkelmann6, R. Thoma7, J. Langhorst8, W. Häuser1 1Klinikum Saarbrücken, Interdisziplinäres Zentrum für Schmerztherapie, Saarbrücken, Deutschland, 2Praxis für Rheumatologie, Neunkirchen, Deutschland, 3Praxisklinik, Mannheim, Deutschland, 4Praxis für Schmerztherapie, Zweibrücken, Deutschland, 5Praxis für Schmerztherapie, Herford, Deutschland, 6Klinikum der Universität München, Physikalische Medizin und Rehabilitation, München, Deutschland, 7Diakoniewerk München-Maxvorstadt, Interdisziplinäres Zentrum für Schmerztherapie, München, Deutschland, 8Kliniken Essen-Mitte, Innere Medizin V, Naturheilkunde und integrative Medizin, Essen, Deutschland Einleitung. Die Anwendbarkeit evidenzbasierter Leitlinienempfehlungen auf Patienten der klinischen Routineversorgung ist eingeschränkt durch die restriktiven Einschlusskriterien und das Setting randomisierter kontrollierter klinischer Studien. Die Befragung von Verbrauchern (sog. Consumer reports) bietet die Möglichkeit, Informationen über den Nutzen von Therapieverfahren in der klinischen Routineversorgung zu erhalten. Verbraucherberichte von Patienten mit Fibromyalgiesyndrom (FMS) wurden in Europa bisher nicht durchgeführt, Methodik. Ein Fragebogen zur Wirksamkeit von pharmakologischen und nicht-pharmakologischen Behandlungen des FMS aus Sicht der Betroffenen wurde von medizinischen Experten verschiedener Fachrichtungen entwickelt. Der individuell erlebte Nutzen und Schaden von Therapieverfahren wurde von Betroffenen mit der selbstberichteten Diagnose eines FMS in einer 0–10 stufigen Skala (0= kein, 10= maximaler Nutzen bzw. Schaden) eingeschätzt werden. Die Studie fand von November 2010 bis April 2011 statt. Der Fragebogen wurde von den Regionalstellen der Deutschen Rheumaliga an ihre FMS-Mitglieder verteilt. Der Fragebogen wurde mit der Ausgabe 04/2010 dem Publikationsorgan der Deutschen Fibromyalgievereinigung DFV „Optimist“ beigelegt. Ausgefüllte Fragebögen beider Selbsthilfeorgansationen wurden an die jeweiligen Geschäftsstellen zurückgeschickt. Die Fragebögen wurden an alle konsekutiven Patienten mit bekannter Diagnosen eines FMS von 8 verschiedenen Einrichtungen verteilt: Komplementärmedizin, Rheumatologie, Schmerzmedizin, Psychosomatische Medizin, Physikalische Therapie. Die Fragebögen wurden von den Geschäftsstellen bzw. klinischen Einrichtungen anonym an das Studienzentrum zur Auswertung weitergeleitet. Ergebnisse. 1470 Fragebögen (95% Frauen, Durchschnittsalter 54,7 Jahre) wurden ausgewertet. Die durchschnittliche Dauer der Schmerzen in mehreren Körperregionen wurde mit 17,1 Jahren und die durchschnittliche Zeit seit der FMS-Diagnose mit 5,5 Jahren angegeben. 65,7% der Teilnehmer waren Mitglied einer FMS-Selbsthilfeorganisation. Als häufigste aktuelle Maßnahmen wurden Ablenkung (86,6%), Hinlegen (84,5%), Entspannung (50,1%), Dehnungsübungen (43,8%) und Wärmeanwendungen (42,8%) genannt. Der größte Nutzen wurde bei Wärmeanwendungen (7,1), Thermalbad (6,9), Ablenkung (6,6), Funktionstraining (6,1) und Walking bzw. Hinlegen (5,9) gesehen. Als häufigste aktuelle medikamentöse Therapie wurden NSAR von 40, 0% (Nutzen 4,4), Amitriptylin vom 29,4% (Nutzen 4,2), Duloxetin von 9,7% (Nutzen 4,1) und Tramadol von 8,0% (Nutzen 4,1), genannt. Diskussion. Die Verbraucherbefragung bestätigt einige Schlussfolgerungen systematischer Übersichtsarbeiten randomisierter kontrollierter Studien des FMS. Passive Wärmemaßnahmen und die Kombination von Gymnastik/Ausdauertraining (sog. Funktionstraining) werden von der Mehrzahl Betroffenen als nützlich erlebt. Pharmakologische werden seltener eingesetzt und als weniger nützlich als Selbstmanagementstrategien erlebt. Schlussfolgerung. Der Verbraucherbericht bestätigt die Empfehlungen der deutschen interdisziplinären Leitlinie zum FMS, dass in der
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längerfristigen Behandlung des FMS Selbstmanagementstrategien zu bevorzugen sind. *Die Studie wurde von der Deutschen Rheuma-Liga finanziell unterstützt.
P10.4 Wirksamkeit, Verträglichkeit, Lebensqualität und pharmakoö konomische Aspekte einer Opioidtherapie bei chronischen Rückenschmerzen W. Hofmann1, R. Rychlik2 1Medizinische Praxis, Marburg, Deutschland, 2Institut für Empirische Gesundheitsökonomie, Burscheid, Deutschland Fragestellung. Belegt durch Literatur und Studien, sind starke Opioide (WHO-Stufe III) zur Behandlung von chronischem Rückenschmerz wirksam und verträglich. Daten zur Gesundheitsökonomie sind hingegen rar. Diese Aspekte benötigen Langzeituntersuchungen in einem „real life setting“. Deshalb wurden in einer multizentrischen, offenen, vergleichenden Kohortenstudie die Wirksamkeit, Verträglichkeit, gesundheitsbezogene Lebensqualität und die Gesamtkosten der Behandlung von chronischen Rückenschmerzen in Deutschland untersucht. Material und Methode. Erwachsene Patienten mit chronischen mittelstarken bis starken Schmerzen im unteren Rücken (oberhalb der Gesäßfalte, unterhalb des kostalen Rippenbogens) und dem Bedarf einer Opioidtherapie konnten in die Studie eingeschlossen und über ein Jahr beobachtet werden. Die Patienten wurden bei Einschluss Kohorte 1 (Therapie mit der fixen Kombination aus Oxycodon/Naloxon, OXN, Targin®) und Kohorte 2 (Therapie mit anderen starken Opioiden, SO) zugeordnet. Daten wurden zu Beginn, nach 1, 4 Wochen, 6, 12 Monaten erhoben. Lebensqualität, Wirksamkeit, erhoben mit SF-36 (Skala 0–100, 100 Maximum), BPI-SF (NRS 0–10 keine/stärkste Schmerzen/ Beeinträchtigung), Verträglichkeit mittels BFI (NRS 0–100 keine bis sehr starke Einschränkung) und ADR/SADR-Dokumentation. Für die Ermittlung der Gesamtkosten wurden u. a. Parameter wie sozialer Status, Arbeitsfähigkeit, medikamentöse, nichtmedikamentöse Therapien, beruhend auf chronischem Rückenschmerz, erhoben. Ergebnisse. Eingeschlossen wurden 1013 Patienten (Ø Alter: 63,39 Jahre OXN, 64,91 Jahre SO). Nach einem Jahr Beobachtungsdauer wurden Daten von 970 Patienten ausgewertet. Drop-out: 4,24% der Patienten. Für 77,6% der Patienten basierte der chronische Rückenschmerz auf einer muskuloskeletalen Erkrankung. Im Beobachtungsverlauf sank die stärkste Schmerzintensität für OXN von Ø NRS 7,41 auf Ø NRS 4,42, für SO von Ø NRS 7,12 auf Ø NRS 5,47. Die soziale Aktivität verbesserte sich mit OXN von Ø 44 auf Ø 62,4 Punkte und mit SO von Ø 49,3 auf Ø 55,9 Punkte. Die Darmfunktion verbesserte sich unter OXN deutlich. Für 14,8% der OXN und 18,3% der SO-Patienten wurde ein ADR dokumentiert. Direkte Therapiekosten waren für OXN um € 369,53 niedriger als für SO. Mit OXN waren die Patienten Ø 24 Tage mehr arbeitsfähig als unter anderen SO. Diskussion. Starke Opioide werden mit Erfolg zur Therapie von chronischem Rückenschmerz verwendet. Eine von Beginn an eingesetzte adäquate und kostengünstige Therapie mit OXN verbessert deutlich die Wirksamkeit und Verträglichkeit der Opioidtherapie und steigert signifikant die Lebensqualität. Schlussfolgerung. Im Vergleich zu anderen SO belegt diese Kohortenstudie den zusätzlichen Nutzen der Therapie mit OXN: OXN ist wirksamer, verträglicher und ökonomisch günstiger als andere SO. Patienten profitieren von einer verbesserten Lebensqualität.
P10.5 Starke Wirksamkeit und überlegene Verträglichkeit bei der The rapie mit Oxycodon/Naloxon. Steigerung der Lebensqualität für Patienten mit muskuloskeletalen Schmerzen U. Schutter1 1Praxis für Spezielle Schmerztherapie, Anästhesiologie, Allgemeinmedizin, Marl, Deutschland Fragestellung. Erkrankungen der Haltungs- und Bewegungsorgane haben weltweit eine enorme gesundheitspolitische und gesellschaftliche Bedeutung. Die Prävalenz von muskuloskelettalen Schmerzen liegt in Deutschland bei 16% (T. Kohlmann. Schmerz 2003. 17: 405–411) und verursacht jährlich Kosten in Milliardenhöhe. Ziel der Studie war die Untersuchung der Wirksamkeit, Verträglichkeit und Lebensqualität unter Therapie mit retardiertem Oxycodon/Naloxon (OXN) im Vergleich zu unterschiedlichen Vortherapien bei Patienten mit muskuloskelettalen Schmerzen. Material und Methode. Im Rahmen der 4-wöchigen Beobachtung einer prospektiven, multizentrischen, nichtinterventionellen Studie waren Untersuchungstermine zum Eingang, nach 1, 2 (optional) und 4 Wochen festgelegt. Die analgetische Wirksamkeit und die Lebensqualität (LQ) wurden mittels Brief Pain Inventory Short Form (NRS, 0–10 = keine/e – stärkste/r vorstellbare/r Schmerz/Beeinträchtigung) bestimmt. Der Summenscore der LQ (0–70 = keine – stärkste Beeinträchtigung) basiert auf den Daten von 7 Einzelparametern. Der Therapieeffekt auf die LQ wurde als Komplement des Beeinträchtigungsscores berechnet. Die Darmfunktion wurde anhand des Darmfunktionsindex BFI (0–100) bestimmt. Gastrointestinale Nebenwirkungen wurden mit einer 5-Punkte-Skala beurteilt. Abschließend bewerteten Ärzte und Patienten die Wirksamkeit und Verträglichkeit der Therapie mit OXN. Ergebnisse. 6309 Patienten (Ø 66,5±13,5 Jahre) mit starken, opioidbedürftigen Schmerzen, die als Ursache eine Erkrankung des muskuloskelettalen Systems hatten, wurden aufgenommen. 1533 Patienten waren Opioid-naiv, 2457 mit schwachen und 2303 mit starken Opioiden vorbehandelt. Die Dosierung lag bei Ø 26,5±10 mg OXN/Tag. Die Schmerzintensität sank nach Umstellung auf OXN während der 4-wöchigen Beobachtungsphase um 41% von Ø NRS 5,6±1,8 auf 3,3±1,8. Der BFI normalisierte sich bei allen Patienten und reduzierte sich von Ø 43,3±30,2 auf 16,2±18,9. Der Anteil der Patienten mit gastrointestinalen Symptomen und Schwindel nahm deutlich ab. Der Summenscore des Therapieeffekts auf die LQ verbesserte sich um 53% von Ø 19,7±12,0 auf 41,9±12,5 (schwache Opioide) sowie um 31% von Ø 25,7±14,3 auf 37,4±14,3 (starke Opioide). Die Ärzte beurteilten abschließend zu 87,6% die Wirksamkeit und zu 89,0% die Verträglichkeit der Therapie als „sehr gut“ oder „gut“. Diskussion. Diese NIS-Daten bestätigen die Ergebnisse klinischer Studien zu Wirksamkeit (starke Analgesie), Verträglichkeit und Zusatznutzen (normalisierte Darmfunktion) von OXN. Patienten mit muskuloskeletalen Grunderkrankungen profitieren auch nach Vortherapie mit schwachen (Tramadol, Tilidin/Naloxon) und starken Opioiden von OXN. Schlussfolgerung. Für Patienten mit Schmerzen des Muskuloskeletalsystems sind die starke Wirksamkeit und die überlegene Verträglichkeit der Schmerztherapie mit OXN von großem Nutzen. Dies zeigt sich in der bemerkenswerten Verbesserung ihrer Lebensqualität. Die Liste der beteiligten Zentren kann beim Autor angefordert werden.
P10.6 Eine Pilotuntersuchung zur Bewertung des Behandlungserfol ges bei Rückenschmerzen J. Petrofsky1, L. Berk1, G. Bains1, B. Hau1, G. Doyle2, S. Chen2, L. Baird2, P. Desjardins2, J. Stark2, T. Schettler3 1Loma Linda University School of Allied Health, Department of Physical Therapy, Loma Linda, CA, USA, 2Pfizer Consumer Healthcare, Global Research and Development, Madison NJ, USA, 3Pfizer Consumer Healthcare, Berlin, Deutschland Einleitung. Rückenschmerz ist ein weit verbreitetes medizinisches Problem, welches neben den Schmerzen durch Arbeitsunfähigkeit und Behinderungen eine starke Belastung unserer Gesundheitssysteme darstellt. Bisher wurde die für andere akute Schmerzzustände bewährte Methode zur Bewertung des Einsetzens der Schmerzlinderung mit Hilfe einer Stoppuhr noch nicht für akute Rückenschmerzen genutzt. In dieser Pilotstudie wurde nun zum ersten Mal diese Methode zur Bewertung des Behandlungserfolges mit Thermacare-Wärmeumschlägen bei akuten Rückenschmerzen untersucht. Methode. In diese monozentrische, randomisierte, einfach blinde, placebokontrollierte Studie wurden Personen im Alter zwischen 18 und 55 Jahren mit akuten mindesten moderaten muskulären Rückenschmerzen rekrutiert. Der einen der beiden primären Studiengruppen wurde ein Thermacare Wärmeumschlag für den Rücken appliziert während die andere Therapiegruppe ein orales Placebo einnahm. Um die Verblindung der Studie zu gewährleisten wurde einer weiteren Therapiegruppe ein nicht warm werdender Rückenumschlag appliziert und eine weitere kleine Gruppe erhielt Ibuprofen-Tabletten oral. Zum Start der Auflagenanwendung bzw. der oralen Einnahme wurden zwei Stoppuhren gestartet. Die Probanden stoppten die erste Stoppuhr nachdem sie die ersten Zeichen einer Schmerzlinderung verspürten und die zweite Stoppuhr nach einer ersten bedeutenden Schmerzlinderung. Die Schmerzlinderung wurde stündlich bewertet. Ergebnis. 61 Studienteilnehmer wurden in die folgenden Gruppen randomisiert: ThermaCare-Wärmeumschlag (n=26), orales Placebo (n=25), inaktiver Schein-Umschlag (n=5) und orales Ibuprofen (n=5). Der Erfolg der Schmerzlinderung nach 0–8 Stunden (TOTPAR 0–8), war in der Thermacare-Behandlungsgruppe signifikant höher als bei der Gruppe, die Placebos eingenommen hat (22,0 vs. 11,5; p<0,001). Der durchschnittliche Wert der Schmerzlinderung über die Zeit war für die Thermacare-Behandlungsgruppe zu allen Zeitpunkten signifikant höher als der Wert für die Placebo-Gruppe. Die Zeitspanne bis zur ersten wahrnehmbaren Schmerzlinderung und die Zeit bis zu einer bedeutsamen Schmerzreduktion war für die Gruppe, die die Wärmeumschläge benutzte, mit einem Median von 96,5 Minuten bzw. 215,7 Minuten erheblich kürzer als für die Placebo-Gruppe mit jeweils >240 Minuten (p<0,05 für beide Vergleiche). Die Probanden der Thermacare-Gruppe berichteten in 53,8% sowohl eine erste wahrnehmbare und auch eine bedeutsame Schmerzlinderung, während dies nur von 28% der Patienten berichtet wurde, die orales Placebo erhielten. In drei Fällen wurden leichte Nebenwirkungen berichtet, die aber vom Studienleiter nicht in Verbindung mit dem Prüfprodukt gebracht wurden. Zusammenfassung. ThermaCare-Wärmeumschläge erzielten eine bedeutend schnellere Schmerzlinderung als orale Placebos bei Probanden mit muskulären Rückenschmerzen. Die Stoppuhr-Technik ist eine gut durchführbare Methode auch zur Messung des Einsetzens einer Schmerzlinderung bei akuten muskulären Rückenschmerzen.
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Abstracts P10.7 FACT, a new method for non-interventional trials NIT to demon strate the long-term effectiveness and tolerability of tapenta dol PR in regular daily clinical practice, in patients with severe chronic low back pain throughout Europe U. Gockel1, I. Steigerwald1, T. Tölle2, R. Baron3 1Grünenthal GmbH, Medical Affairs, Aachen, Deutschland, 2Zentrum für
Interdisziplinäre Schmerztherapie, Neurologische Klinik – Klinikum rechts der Isar, TU München, München, Deutschland, 3Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel, Sektion Neurologische Schmerzforschung und -therapie, Kiel, Deutschland Einleitung. Mit einer 12-Monats-Prävalenzrate von über 70% ist Rückenschmerz aktuell eines der größten Gesundheitsprobleme in Deutschland. Tapentadol ist ein neues zentralwirksames Schmerzmedikament, das über zwei Wirkmechanismen, Opioidrezeptorantagonismus und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmung in einem Molekül wirkt. In Studien konnte die Wirksamkeit von Tapentadol PR bei Rückenschmerzen gezeigt werden. Die verschiedenen Aspekte des Einsatzes von Tapentadol PR unter Bedingungen der täglichen Praxis einschließlich der Wirksamkeit und Sicherheit werden mittels der NIT FACT basierend auf internationalen Guidelines mit hohen wissenschaftlichen, technischen und methodischen Standards untersucht. Studienziele. Das primäre Ziel ist die Evaluierung der Langzeiteffektivität, Funktionalität, Tolerabilität und Sicherheit von Tapentadol PR bei schweren chronischen Rückenschmerzen in einer großen unselektionierten Studienpopulation in Europa und Australien unter regulären klinischen Alltagsbedingungen über zwei Jahre. Weitere sekundäre Untersuchungsziele sind die Evaluierung von computer- und internetbasierten Systemen bei NITs. Methodik. FACT ist als elektronische NIT konzipiert. Alle relevanten Informationen und Eingaben erfolgen digital per iPad oder lokalem PC in den Studienzentren. Die iPads als mobiler Terminal und lokalen PCs agieren als Interface zur zentralen Internetapplikation über eine sichere lokale Internetverbindung (GRPS, UMTS). Es erfolgt keine lokale Datenspeicherung, weder auf dem iPad noch auf dem PC vor Ort. Dies unterscheidet FACT von anderen Technologien wie z. B. PAINSOFT, painDETECT oder QUAST. Darüber hinaus stehen dem Studienzentrum seine eigenen Daten als Download zur Verfügung. Ergebnisse. FACT wurde im März 2011 in Deutschland gestartet. Andere europäischen Länder werden folgen, sobald Tapentadol PR in diesen Ländern zur Verfügung steht. Daten zum Therapieverlauf liegen zur Zeit noch nicht vor, jedoch sind Aussagen zur verwandten Methodik möglich. Die zentrale elektronische Projektsteuerung erlaubt erstmals die Teilnahme von Ärztenetzen an NITs und erleichtert Projektsteuerung und Mehrsprachigkeit. Limitierend muss jedoch bemerkt werden, dass immer noch nicht in allen Regionen Deutschlands eine stabile ausreichend schnelle Internetverbindung existiert. Bis Anfang Juni wurde die Dokumentation der ersten 65 (23 männlich/ 43 weiblich) von geplanten 600 Patienten in Deutschland begonnen. 86% der Patienten gaben an seit über einem Jahr an starken Rückenschmerzen zu leiden. Die durchschnittliche Schmerzintensität der letzten 72 h war 6,3 auf der 11-Punkte-NRS. Das Screeningergebnis auf neuropathische Schmerzkomponenten mittels painDETECT-Score war negativ bei 29%, unklar für 35,4% und positiv für 35,4% der Patienten. 55,4% der Patienten haben Komorbitäten. Die Hauptgründe für einen Therapiewechsel auf Tapentadol PR waren mangelnde Wirksamkeit (92%) und Nebenwirkungen (24%) unter der analgetischen Vortherapie. Weitere Aspekte zu klinischen und methodikrelevanten Aspekten werden mit Fortschreiten der NIT publiziert.
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P10.8 Wirksamkeit von Flupirtin MR in der Therapie akuter/subakuter Kreuzschmerzen – Ergebnisse einer randomisierten Placebo-/ aktiv kontrollierten Studie bei 326 Patienten M. Überall1, G. Müller-Schwefe2, B. Terhaag3 1Institut für Neurowissenschaften, Algesiologie & Pädiatrie, Nürnberg, Deutschland, 2Präsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie e.V., Leiter des reg. Schmerzzentrums DGS – Göttingen, Göppingen, Deutschland, 3AWD.pharma/CT Arzneimittel GmbH, Berlin, Deutschland Fragestellung. Evaluation der analgetischen Wirksamkeit von Flupirtin MR (FLU) zur Behandlung akuter/subakuter Kreuzschmerzen im Vergleich zu Placebo (PLA) und Tramadol (TRA). Methodik. Randomisierte, Placebo- und aktiv – gegen TRA (150 mg) einem für diese Indikation empfohlenen WHO Stufe 2 Opioidanalgetikum – kontrollierte klinische Parallelgruppenstudie zur Überprüfung der analgetischen Wirksamkeit von FLU (300 mg) bei erwachsenen Patienten mit akuten/subakuten Kreuzschmerzen (EUDRA-CT Registrierungsnummer: 2009-013268-38). Studienziel: Nachweis der Überlegenheit von FLU vs. PLA und der Nicht-Unterlegenheit gegenüber TRA. Primärer Endpunkt: Änderung des Schmerzindex (SI: Summenwert von größter, durchschnittlicher und geringster Schmerzintensität im Verlauf der vergangenen 24 Stunden) zwischen Baseline (V2) und Behandlungsende (V4) nach 4 Wochen Therapie. Ergebnisse. Evaluation der Angaben von 326 Patienten der Intent-toTreat (ITT)-Population; PLA: n=110; 55,5% Frauen, Alter: 59,2±10,6 Jahre, MPSS I/II: 51/59 (46,4/53,6%); FLU: n=109, 68,8% Frauen, Alter: 58,3±13,0 Jahre, MPSS I/II: 56/53 (51,3/48,6%); TRA: n=107, 63,6% Frauen, Alter: 57,5±12,6 Jahre, MPSS I/II: 59/48 (55,1/44,9%). SI bei BL (V2) für PLA: 17,9±4,4, FLU: 17,2±3,8, TRA: 17,6±3,6; SI bei V4: PLA: 12,4±6,0, FLU: 10,5±5,4, TRA: 11,8±5,7; SI-Änderung V4–V2 absolut [bzw. Standard Deviation Score (SDS) bzgl. V2]: PLA: −5,5±5,0 (−1,25±1,31), FLU: −6,6±5,2 (−1,76±1,38), TRA: −5,8±5,5 (−1,59±1,58). Gruppenvergleich: PLA vs. FLU: mittlere Differenz (SE; 95%-KI; Sign.): −0,52 (0,17; −0,85, −0,18; p=0,003); PLA vs. TRA: −0,34 (0,18; 0,70, 0,02; p=0,061); FLU vs. TRA: 0,17 (0,20; −0,22, 0,56; p=0,382). Unabhängig von der Ursache beendeten unter TRA (22/107; 20,6%) Patienten signifikant bzw. numerisch häufiger die Studie vorzeitig als unter FLU (11/109; 10,1%; p=0,038) bzw. PLA (13/110; 11,8%, p=0,097). Schlussfolgerung. Im Rahmen dieser Placebo-/aktiv kontrollierten randomisierten Studie zeigte FLU im Laufe der 4-wöchigen Studienphase bei Patienten mit akuten/subakuten Kreuzschmerzen im Vergleich zu PLA eine signifikant überlegene Schmerzlinderung (p=0,003) sowie im Vergleich zu TRA eine signifikant geringere Studienabbruchrate (p=0,038).
P10.9 Das Potential einer medikamentösen Placebobehandlung beim Fibromyalgiesyndrom: eine systematische Übersicht und Meta analyse von Medikamentenstudien J. Mahama1, W. Häuser2, T. Tölle3 1Klinikum Saarbrücken, Innere Medizin 1, Saarbrücken, Deutschland, 2Klinikum Saarbrücken, Interdisziplinäres Zentrum für Schmerztherapie, Saarbrücken, Deutschland, 3Zentrum für interdisziplinäre Schmerztherapie, Neurologische Klinik – Klinikum rechts der Isar, TU München, München, Deutschland Hintergrund. Systematische Übersichtsarbeiten zur medikamentösen Therapie des Fibromyalgiesyndroms (FMS) zeigten, dass eine Therapie mit „wahren“ Medikamenten einer medikamentösen Placebobehandlung nicht oder nur gering überlegen ist. Die Höhe der Antwortrate in Placebogruppen (sog. Placeboresponse) von Medikamentenstudien wurde bisher nicht untersucht. Weiterhin wurde bisher nicht untersucht, ob sich Patienten, welche auf eine Placebobehandlung ansprechen, durch demographische Variablen identifizieren lassen. Wir
untersuchten daher die Höhe und Prädiktoren der Placeboresponse bei Patienten mit FMS im Rahmen von Medikamentenstudien. Methodik. Wir führten dabei eine systematische Übersicht mit Metaanalyse mittels eines Random Effects Modell durch. Endpunkte der Analyse waren die gepoolte 30%ige und 50%ige Schmerzreduktion durch Placebo. Der Einfluss von patientenbezogenen Faktoren wie Alter, Geschlecht, Rasse und Schmerzniveau zu Beginn der Studie auf die Endpunkte wurde mittels Metaregression bestimmt. Wir führten eine systematische Literatursuche in den Datenbanken CENTRAL, MEDLINE, SCOPUS und den Datenbanken der U.S. Food and Drug Administration sowie der amerikanischen Vereinigung für Medikamentenforschung und -herstellung bis Dezember 2010 durch. Wir schlossen randomisierte Doppelblind-Studien mit einem Paralleldesign ein, welche eine Arzneimitteltherapie mit einer Placebotherapie bei FMS-Patienten, mit einer Behandlungsdauer von >12 Wochen, verglichen. Studien mit einem Cross-over-Design wurden ausgeschlossen, wenn die Ansprechrate auf das Placebo nicht gesondert für die 2 Stadien der Studie berichtet wurden. Studien mit nicht-pharmakologischen Placebos und solche mit Pseudoplacebos, oder die Kombination von Placebos mit einer anderen aktiven Therapie, wurden ebenso ausgeschlossen. Ergebnisse. 30 Studien mit insgesamt 3846 placebobehandelten Patienten wurden analysiert. Die gepoolte Rate von 30%iger Schmerzreduktion durch Placebo betrug 30,8% (95% CI 29,4 bis 32,3%), der 50%igen Schmerzreduktion durch Placebo 18,8% (95% CI 17,5 bis 20,1%). Das relative Risiko der 30%igen Schmerzreduktion „wahres“ Arzneimittel im Verhältnis zu Placebo lag bei 1,38 (95% CI 1,27 bis 1,49), jenes der 50%igen bei 1,57 (95% CI 1,36 bis 1,81). Die Schmerzreduktion durch Placebo war assoziiert mit weiblichem Geschlecht und nicht-kaukasischer Herkunft, jedoch nicht mit Alter und Schmerzniveau zu Studienbeginn. Schlussfolgerung. Pharmakologische Placebos führten bei einer relevanten Anzahl von FMS-Patienten zu einer klinisch beachtlichen Schmerzreduktion. Wirksamkeit, Sicherheit und Kosten zugelassener FMS-Medikamente im Vergleich mit unkaschiertem („honest“) Placebo sollten in großen länderübergreifenden Studien, finanziert von öffentlichen Einrichtungen, verglichen werden.
P10.10 The change in deep cervical flexor activity following training is associated with the degree of pain reduction in patients with chronic neck pain D. Falla1, S. O’Leary2, G. Jull2 1Universitätsmedizin Göttingen, Schmerzklinik/Department of Neurorehabilitation Engineering, Bernstein Center for Computational Neuroscience, Göttingen, Deutschland, 2Division of Physiotherapy, School of Health and Rehabilitation Sciences, University of Queensland, Brisbane, Australien Research Question. Altered activation of the deep cervical flexors (longus colli and longus capitis) has been found in individuals with neck pain disorders but the response to training has been variable. Although the mechanisms underlying the symptomatic benefits observed in patients performing exercise may be multifactorial, we hypothesize that the degree of muscle impairment present in the individual before the commencement of training is one of the important determinants of symptom relief. The purpose of this study was to test this hypothesis by investigating the relationship between deep cervical flexor muscle activity before training and change in symptoms in response to a 6 week exercise program specifically aimed at training the function of the deep cervical flexor muscles in patients with neck pain. Material and Methods. Fourteen women with chronic neck pain undertook a 6 week program of specific training for their deep cervical flexor muscles. At baseline and follow-up, measures were taken of neck pain intensity, perceived disability and deep cervical flexor EMG amplitude
(via a nasopharyngeal electrode suctioned over the posterior oropharyngeal wall) during performance of cranio-cervical flexion. Results. Following training, the activation of the deep cervical flexors increased (p<0.0001) with the greatest change occurring in subjects with the lowest values of deep cervical flexor EMG amplitude at baseline (R²=0.68; p<0.001). There was a significant relationship between initial pain intensity, change in pain level with training, and change in EMG amplitude for the deep cervical flexors during cranio-cervical flexion (R²=0.34, p<0.05). Discussion. Patients with the least activation of their deep cervical flexors on a task of cranio-cervical flexion show the greatest change in activation following 6 weeks of specific training. Furthermore, the percent change in activation of the deep cervical flexor muscles correlates with the degree of pain relief gained from training. This finding suggests that there is an association between the level of pain perceived by the patients and the degree of function of their deep cervical flexor muscles and supports the prescription of this form of exercise to patients with neck pain, particularly those who demonstrate poor performance on specific tests of deep cervical flexor muscle function. Conclusion. Specific training of the deep cervical flexor muscles in women with chronic neck pain reduces pain and improves the activation of these muscles, especially in those with the least activation of their deep cervical flexors prior to training. Selection of exercise based on a precise assessment of the patients’ neuromuscular control and targeted exercise interventions based on this assessment are likely to be the most beneficial to patients with neck pain.
P12 – Tumorschmerz und Palliativmedizin II P12.1 Ibandronat „Loading Dose“ zur Schmerzreduktion bei Patien tinnen mit therapierefraktären Knochenmetastasenschmerzen bei weit fortgeschrittenem Mammakarzinom H. Sittig1 1MVZ Buntenskamp, Schmerztherapie und Palliativmedizin am MVZ Buntenskamp, Geesthacht, Deutschland Fragestellung. Ossäre Metastasen treten bei ca. 80% der Patientinnen mit Mammakarzinom auf. Knochenschmerzen sind dabei das häufigste Symptom, mehr als 95% der Patienten mit Knochenmetastasen klagen über stärkste Schmerzen. Schmerzauslöser können skeletale Komplikationen sein, aber auch die Interaktion des Tumors mit dem Knochengewebe und den das Knochengewebe durchziehenden Nerven löst durch humurale Faktoren und Entzündung ein komplexes Schmerzgeschehen aus. Trotz Therapie mit NSAR, Opioiden, Antidepressiva, Antikonvulsiva und Kortikosteroiden ist nicht immer eine zufriedenstellende Schmerzkontrolle zu erzielen. Zusätzlich vermindern deren Nebenwirkungen die ohnehin beeinträchtigte Lebensqualität noch weiter. Auf Basis von Phase-II-Studienergebnissen der i.v.-Hochdosis-Ibandronat-Therapie („Loading Dose“) bei Patienten mit Urogenital-Tumoren wurde dieses Dosierungsschema bei Mammakarzinom-Patientinnen im Endstadium zum Management von therapierefraktären Knochenschmerzen erprobt. Material und Methode. Bei 16 Brustkrebspatientinnen (Median: 56,3 Jahre) mit therapierefraktären Knochenschmerzen infolge ossärer Metastasen wurde die Hochdosis Ibandronat-Therapie (6 mg Ibandronat i.v. Kurzinfusion 15 min an 3 konsekutiven Tagen) eingesetzt. Alle Patientinnen erhielten zuvor symptomatische Schmerztherapien (Opioide, Nichtopioide, Koanalgetika) und litten dennoch unter starken, z. T. unerträglichen Schmerzen. Zugleich belasteten deren schwere Nebenwirkungen die Betroffenen. Daten zur Intensität und Erträglichkeit der Knochenschmerzen wurden mehrfach täglich anhand visueller Analogskalen (VAS 0–10) dokumentiert.
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Abstracts Ergebnisse. Für alle 16 Patientinnen wurde eine deutliche Schmerzreduktion bereits am ersten Tag nach Gabe der Ibandronat „Loading Dose“ dokumentiert. Im Mittel sank die Schmerzintensität von anfänglich 9,4 (Tag 0) auf 4,8 (Tag 3) und schließlich auf 3,4 (Tag 6) VAS Punkte. Gleichzeitig sank die Schmerzerträglichkeit von 9,3 (Tag 0) auf 2,7 (Tag 3) und schließlich auf 1,8 (Tag 6) VAS Punkte. Der tägliche Verbrauch an Opioid-Rescue-Medikation konnte erheblich gesenkt werden. Keine der Patientinnen beschrieb unerwünschte Nebenwirkungen durch die Ibandronat-Medikation. Diskussion. Die analgetische Wirksamkeit von Bisphosphonaten ist mittlerweile durch mehrere Studien belegt und hat zu ihrer Indikationserweiterung geführt. Die hier gezeigten Ergebnisse belegen die schnelle Wirksamkeit und hohe Effizienz der Schmerzreduktion metastasenbedingter Knochenschmerzen durch die Ibandronat „Loading Dose“. Zusätzlich konnte die Analgetikamedikation bei den meisten Patientinnen erheblich gesenkt werden. Durch das in Phase-III-Studien belegte günstige renale Profil und die auch sonst geringen Nebenwirkungen erhöht Ibandronat damit deutlich die Lebensqualität der Patientinnen. Schlussfolgerung. Die Ibandronat „Loading Dose“ ist eine effektive Therapieoption zur schnellen Schmerzkontrolle therapierefraktärer Knochenmetastasen auch bei Mammakarzinom Patientinnen.
P12.2 Höhere Lebensqualität und weniger Knochenschmerzen durch Ibandronat – Phase-III-Studienergebnisse I. Diel1, J. Body2, M. Lichinitser3, E. Kreuser4, W. Dornoff5 1Schwerpunktpraxis für Gynäkologische Onkologie, Mannheim, Deutschland, 2Université Libre de Bruxelles, Institut Jules Bordet, Bruxelles, Belgien, 3Department of Clinical Chemotherapy, Cancer Research Center, Moscow, Russian Federation, 4Krankenhaus der Barmherzigen Brüder, Onkologische Ambulanz, Regensburg, Deutschland, 5Mutterhaus der Borromäerinnen, Trier, Deutschland Fragestellung. Brustkrebs ist das häufigste Karzinom bei Frauen in Deutschland. Bei mehr als 85% der Brustkrebspatientinnen im fortgeschrittenen Stadium entwickeln sich primär ossäre Metastasen, trotz rechtzeitiger Diagnose und operativer Entfernung des Primärtumors. Damit steigt ebenfalls das Risiko der Inzidenz skeletaler Komplikationen (SRE), wie Knochenschmerzen, spinaler Kompressionen und Frakturen, die zusätzlich die Lebensqualität der Betroffenen mindern. Während die mediane Überlebenszeit bei viszeraler Metastasierung ca. 24 Monate beträgt, ist sie für Patienten mit Knochenmetastasen weitaus länger. Damit ist primäres Behandlungsziel für Brustkrebspatientinnen im Endstadium der Erhalt bzw. die Steigerung der Lebensqualität. Ibandronat (Bondronat®), ein potentes Bisphosphonat der 3. Generation, reduziert die tumorinduzierte Osteolyse, stabilisiert das betroffene Gewebe und senkt so signifikant die Häufigkeit von SRE‘s. Material und Methode. Es wurden 3 multizentrische, randomisierte und placebokontrollierte Doppelblindstudien über einen Beobachtungszeitraum von 96 Wochen durchgeführt (nGes=876). In Studie I erhielten n=312 Patientinnen Ibandronat 6 mg i.v. oder Placebo alle 3–4 Wochen. In Studie II und III erhielten n=564 Patientinnen a) Ibandronat oral 50 mg täglich oder b) Placebo. Die Intensität der Knochenschmerzen wurde durch eine 5-stufige, der Analgetika-Bedarf anhand einer 7-stufigen Skala dokumentiert. Zur Bewertung der Lebensqualität wurden der EORTC QLQ-C30 Fragebogen und der WHO-Performance-Status erfasst. Ergebnisse. Das SRE-Risiko war vergleichbar für Ibandronat i.v und oral. Im gesamten Studienverlauf fiel die Schmerzempfindung unter Ibandronat i.v. und oral stetig, im Vergleich zu Placebo signifikant, bis unter den Ausgangswert zurück. Für beide Ibandronat Applikationsformen wurde ein signifikanter Schmerzrückgang schon innerhalb von 3 Monaten Behandlungszeit dokumentiert. Gleichzeitig verringerte sich der mittlere Analgetika-Bedarf im Vergleich zu Placebo.
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Nahezu alle abgefragten Bereiche des EORTC QLQ-C30 Fragebogens ergaben eine signifikante Steigerung der Lebensqualität der mit Ibandronat therapierten Patienten. Insgesamt nahm im Studienverlauf die Lebensqualität für beide Gruppen ab, der Rückgang im IbandronatArm erfolgte jedoch langsamer und blieb auf einem höheren Niveau als im Placebo-Arm. Diskussion. Im Gegensatz zu anderen Bisphosphonaten zeigt Ibandronat i.v. und oral eine signifikante Knochenschmerzreduktion unter den Ausgangswert für mehr als 2 Jahre unter gleichzeitiger Senkung des Analgetika-Bedarfs. Neben einer deutlichen Steigerung des Allgemeinzustands erhöhte sich über einen längeren Zeitraum ebenso die Lebensqualität der Patienten in allen Lebensbereichen. Schlussfolgerung. Die hier gezeigten Daten belegen für beide Bondronat® Darreichungsformen die Steigerung der Lebensqualität bei gleichzeitiger Verlangsamung der krankheitsbedingten WHO-PerformanceStatusminderung von Brustkrebs Patientinnen. Mit Bondronat® oral besteht eine komfortable Form zur häuslichen Selbstmedikation. Die Durchführung dieser Studien wurde durch Roche Pharma AG unterstützt. Prof. Diel arbeitet als Berater und Sprecher für Amgen, Roche und Novartis.
P12.3 Ibandronat „Loading Dose“: Effektive Therapie von Knochen schmerzen ausgelöst durch ossäre Metastasen A. Kurth1, C. Eberhardt2, U. Stumpf3, A. Müller4 1Johannes Gutenberg Universitätsklinikum, Orthopädische Klinik und Poliklinik, Mainz, Deutschland, 2Klinikum Hanau GmbH, Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Hanau, Deutschland, 3Universitätsklinikum Düsseldorf, Klinik für Unfall- und Handchirurgie, Düsseldorf, Deutschland, 4Ambulantes Krebszentrum, Frankfurt/Main, Deutschland Fragestellung. Knochenschmerzen sind oft erstes Anzeichen einer ossären Metastasierung. Sie beeinträchtigen die Lebensqualität enorm, da sie zu Immobilität und Spitalaufenthalten führen. Eine symptomatische Standard-Schmerztherapie (NSAR, Opioide, Bestrahlung, Analgetika) lindert die Schmerzen nur in wenigen Fällen erfolgreich, dazu leiden Patienten unter weiteren Nebenwirkungen der AnalgetikaTherapie. Trotz Radiatio der Knochenläsionen kann es bis zur vollständigen Schmerzlinderung noch Wochen dauern. Gerade für Patienten mit Erstdiagnose ossärer Metastasen ist eine effektive und schnelle Schmerzreduktion unter Erhalt der Lebensqualität jedoch bedeutsam. Mit der hochdosierten Ibandronat „Loading Dose“ zu Beginn der Therapie (Ibandronat 6 mg Tag 1–3, dann Ibandronat 6 mg alle 4 Wochen) wird eine schnell einsetzende Schmerzlinderung erreicht. Dieses Schema wurde bereits mit großem Erfolg in Phase-II-Studien an Urogenital-Ca.-Patienten getestet. In dieser Studie sollte der Effekt der „Loading Dose“ auf Knochenmetastasen bei anderen Tumor-Typen untersucht werden. Material und Methode. Insgesamt 26 Patienten mit erstdiagnostizierten Knochenschmerzen im Rahmen unterschiedlicher maligner Grunderkrankungen wurden mit der hochdosierten Ibandronat „Loading Dose“ (i.v. 6 mg Ibandronat über 1 Stunde an 3 konsekutiven Tagen) therapiert. Alle Patienten waren Bisphosphonat-naiv und erhielten bislang eine symptomatische Schmerztherapie mit NSAR oder Opioiden. Die Intensität der Knochenschmerzen wurde täglich durch eine visuelle Analog-Skala (VAS 10) dokumentiert. Innerhalb von 3 Wochen wurden alle Patienten einer weiteren Therapie (Bestrahlung, Operation, Chemotherapie) überwiesen. Ergebnisse. Innerhalb der ersten 5–7 Tage konnten die metastasenbedingten Knochenschmerzen unabhängig vom Tumortyp bei n=23 Patienten signifikant reduziert werden (VAS Tag 0=6,8, VAS Tag 7=3,7). Lediglich 3 Patienten berichteten von keiner Reduktion der Schmerzen. Die hochdosierte Ibandronat „Loading Dose“ Behandlung wurde gut vertragen. Weder waren Erhöhungen der Schmerzmedikation erforderlich noch wurden unerwünschte Nebenwirkungen beobachtet.
Diskussion. Diese klinische Pilot-Studie demonstriert das hohe analgetische Potential des Ibandronat „Loading Dose“ Konzepts zur deutlichen Schmerzreduktion innerhalb weniger Tage nach Beginn der Behandlung. Sehr wahrscheinlich sind diese auf die Hemmung pathologischer Prozesse der Osteolyse zurückzuführen. Insgesamt stehen diese Ergebnisse im Einklang mit früheren klinischen Studien zur hochdosierten Ibandronat-Therapie bei anderen Tumorentitäten. Schlussfolgerung. Schon innerhalb kurzer Zeit nach Diagnose ossärer Metastasen kann durch die Ibandronat „Loading Dose“ eine effektive Schmerzreduktion erreicht werden. Damit trägt Ibandronat erheblich zur Verbesserung bzw. dem Erhalt der Lebensqualität der Patienten bei. Um evidenzbasierte Empfehlungen für eine Routine Therapie des Ibandronat „Loading Dose“-Konzepts geben zu können, sind zwingend weitere klinische Studien unter Einschluss verschiedener Tumortypen erforderlich.
P12.4 Opiatrotation bei der Behandlung von Durchbruchschmerzen – ist ein Wechsel innerhalb schnellwirksamer Opioide sinnvoll? R. Zarth1, L. Welte2, J. Klenske3, D. Richter3 1Zollernalb-Klinikum, Zentralanästhesie, Albstadt, Deutschland, 2Krankenhaus Albstadt, Zentralanästhesie, Albstadt, Deutschland, 3Brustzentrum Zollernalb-Klinikum, Deutschland Fragestellung. Ziel der vorliegenden Arbeit war es zu untersuchen, ob die Methode der Opioidrotation bei der Durchbruchschmerztherapie einen Therapiegewinn darstellt. Methodik. Evaluation der ersten 14 Tage des Einsatzes von fünf verschiedenen Opioiden (Hydromorphon Sevredol, Effentora, Temgesic und Instanyl) bei 100 erwachsenen opioidtoleranten Mammakarzinompatientinnen (Alter zw. 40–60 J., Gewicht zw. 65–80 kg) mit DBS durch Knochenmetastasen, die vor Beginn Sevredol als Bedarfsmedikation erhalten haben, unter Verwendung eines standardisierten Fragebogens für den Arzt und die Patientinnen. Dokumentiert wurden die Häufigkeit der Einnahme, die Wirkung und Änderung der Schmerzqualität (Reduktion der Schmerzintensität, NRS-Skala), die Wirkgeschwindigkeit und Dauer, sowie gegebenenfalls die auftretenden Nebenwirkungen. Als Ausschlusskriterien wurden Drogen- und Alkoholabusus, das chronische Schmerzsyndrom, sowie ein diagnostizierter Schmerzmittelabusus definiert. Ergebnisse. Die Patientinnen erhielten als Dauermedikation Targin oder Jurnista (32 mg/d), die Bedarfsmedikation war zu Beginn der Studie Sevredol. Die Patientinnen wurden in fünf Gruppen mit jeweils 20 Patienten in einer Behandlungsgruppe randomisiert. In der Beobachtungszeit von 14 Tagen erhielten die Patientinnen eines der fünf Opioide gegen ihre Durchbruchschmerzen. 36 Patientinnen, die Sevredol, Temgesic oder Hydromorphon als DBS-Medikation erhielten mussten diese Medikamente bis zu viermal am Tag einnehmen. Bei den schnellwirksamen Fentanyl-Formen waren es nur 2 bei Instanyl und 4 bei Effentora. 23 bzw. 27 Patientinnen stuften die Wirkung des eingenommenen Opioids als deutlich besser und besser ein. 34 sahen keine Verbesserung der Wirkung und 16 Patientinnen beurteilten sogar eine schlechtere Wirkung als vorher. Mehr als die Hälfte der Patientinnen die Hydromorhpon (12) oder Sevredol (13) erhielten konnten keine Reduktion der Schmerzintensität feststellen, bei Effentora und Temgesic waren es fast zwei Drittel (18). Nur die Patientinnen, die Instanyl (13) erhielten konnten eine Reduktion der Schmerzintensität dokumentieren. Die Geschwindigkeit des Wirkeintritts nach der ersten und zweiten Gabe zeigt sehr deutlich, dass eine merkbare Schmerlinderung bei Instanyl innerhalb der ersten 10 Minuten nach Einnahme erfolgt (18/20). Bei Hydromorphon erfolgte eine merkbare Schmerzlinderung bei den meisten (10) Patientinnen innerhalb von 5 bis 10 Minuten. Bei Effentora und Temgesic dauerte die Schmerzlinderung nach erster Gabe am
längsten und wurde auch nach der zweiten Gabe des Opioids erst später empfunden. Schlussfolgerungen. Sowohl der Wirkeintritt als auch die Schmerzreduktion waren bei Instanyl deutlich schneller und effektiver als bei den anderen verwendeten Opioiden. Auch die Schmerzintensität und die Dauer einer Durchbruchschmerzepisode wurden durch die Patientinnen, die Instanyl erhalten als geringer bzw. kürzer empfunden. Nur bei den schnellwirksamen Fentanylen Instanyl und Effentora hat sich der Wechsel in der Bedarfsmedikation als effektiv erwiesen. Die Autoren erhielten bei der Durchführung dieser Studie keinerlei finanzielle Unterstützung von der pharmazeutischen Industrie.
P12. 5 Fentanyl Buccaltabletten zur Behandlung von Tumordurch bruchschmerzen im routinemäßigen Einsatz – Ergebnisse einer nichtinterventionellen Studie S. Lotfi1, F. Mathers2, D. Chang3 1Praxis für Hämatologie und Onkologie, Pforzheim, Deutschland, 2Praxis für Schmerztherapie und Anästhesiologie, Köln, Deutschland, 3Cephalon GmbH, Medizinische Abteilung, München, Deutschland Hintergrund. Bei Durchbruchschmerzen (DBS) handelt es sich um eine vorübergehende Verschlimmerung der Schmerzen, die trotz anderweitig kontrollierter Dauerschmerzen auftreten. Die Mehrheit der Krebspatienten (51–95%) leidet unter DBS und Studien haben gezeigt, dass diese die Lebensqualität der Patienten (z. B. körperliche Einschränkung, Depression, Angst etc.) verringern. Fentanyl Buccaltabletten (FBT) sind eine seit 2009 erhältliche neue Opioidformulierung, die zu einer schnellen Analgesie führt. Um die Verträglichkeit und Wirksamkeit bei routinemäßigem Einsatz von FBT bewerten zu können, wurde im Rahmen eines Risk Management Plans diese nichtinterventionelle Studie (NIS) in Deutschland und Österreich durchgeführt. Methode. Mit der Entscheidung des Arztes, die Durchbruchschmerzen eines Patienten mit FBT zu behandeln wurde das Schmerz-Management systematisch für bis zu 8 Wochen dokumentiert. Ergebnisse. Die Auswertung von 440 dokumentierten Patienten bestätigt die Ergebnisse klinischer Daten zur Wirksamkeit und Verträglichkeit von FBT. Durch die Therapie mit FBT wurde die Schmerzintensität während der DBS-Episoden als auch die Anzahl der Episoden reduziert. 64% der Patienten berichteten über eine ausreichende Schmerzlinderung innerhalb von 10 Minuten nach FBT-Einnahme. Rund 80% der Patienten waren mit der FBT Behandlung zufrieden und bewerteten die Handhabung des Arzneimittels als „einfach“ oder „sehr einfach“. Unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) wurden in weniger als 1% aller Patienten berichtet, waren nicht schwerwiegend und entsprechend der europäischen Fachinformation zu erwarten. Schlussfolgerung. Die Ergebnisse dieser nichtinterventionellen Studie bestätigen die Ergebnisse der klinischen Studien zu FBT und zeigen, dass der routinemäßige Einsatz von Fentanyl Buccaltabletten als Bedarfsmedikation eine schnelle und sichere Option zur Behandlung von Durchbruchschmerzen darstellt.
P12.6 Prolongierte Liegedauer eines lumbalen Periduralkatheters zur palliativen Tumorschmerztherapie T. Klier1, C. Lassen1, J. Bierner1, B. Graf1, C. Wiese1 1Universitätsklinikum Regensburg, Klinik für Anästhesiologie, Regensburg, Deutschland Patientenfall. Einer 72-jährigen Patientin mit verjauchendem RektumKarzinom sowie Infiltration in die angrenzenden Strukturen wurde operativ mit einem Deszendostoma versorgt. In gleicher Sitzung wurde eine Fasziektomie des rechten Oberschenkels durchgeführt. Es erfolgten mehrfache Revisionen bei sich entwickelnden Nekrosen. Der Schmerz · Supplement 1 · 2011
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Abstracts Aufgrund des absehbaren prolongierten Verlaufes mit zu erwartenden starken Schmerzen wurde im Rahmen einer Revisionsoperation ein Periduralkatheter (Punktionshöhe L3/L4) angelegt. Im Verlauf wurden am 6. Tag nach PDK-Anlage die Rektumextirpation und gleichzeitig der Versuch der plastischen Deckung des Defekts durchgeführt. Der Lappen wurde rasch nekrotisch, so dass dieser am übernächsten Tag wieder abgetragen werden musste. Der erneute Versuch der Deckung mittels Lappen und Spalthautdeckung erfolgte am 15. Tag nach PDK-Anlage. Die Entlassung der Patientin auf eine Palliativstation erfolgte 40 Tage nach Aufnahme in einem gut symptomkontrollierten Zustand. Der schmerztherapeutische Schmerzkatheter konnte erfolgreich und ohne Hinweise auf eine Infektion nach 35 Tage (70 ärztliche und 35 pflegerische Visiten) bei zufriedenstellender Schmerzlinderung entfernt werden. Ziel der exemplarischen Darstellung ist es, ein Beispiel für eine unkonventionelle tumorschmerztherapeutische Versorgung über einen Zeitraum von 35 Tagen mittels eines PDK darzustellen. Schmerztherapeutische Beurteilung. Im Rahmen von palliativer Schmerztherapie kommen oft auch invasive Maßnahmen zum Einsatz. Im WHO-Stufenschema werden diese Verfahren zwar nicht direkt angesprochen, eine Schmerzbehandlung durch die Unterbrechung der Weiterleitung von Schmerzimpulsen z. B. mit Lokalanästhetika wird aber explizit empfohlen (vgl. [1]). Mit Hilfe eines lumbalen Periduralkatheters konnte bei der Patientin über einen Zeitraum von 35 Tagen eine suffiziente nebenwirkungsarme Analgesie durchgeführt werden. Es erfolgten zweimal täglich anästhesiologische ärztliche Visiten sowie eine tägliche pflegerische Visite. Hierdurch wurden eine engmaschige Kontrolle der Einstichstelle, die Optimierung des Therapieerfolges sowie die Kontrolle von Nebenwirkungen oder Komplikationen gewährleistet. Es erfolgte regulär ein Verbandswechsel am 1. Tag nach Anlage, ab dann erfolgten die Pflasterwechsel nur noch bei Bedarf (insgesamt 4-mal). Ein Auslassversuch am 27. Tag nach Katheteranlage war trotz bereits differenzierter oraler Schmerzmedikation erfolglos. Die Einstichstelle zeigte bis zum letzten Tag keinen Hinweis auf Entzündung, Rötung und/oder Druckschmerz. Diskussion. Eine lange Liegedauer von Periduralkathetern in NutzenRisiko-Abwägung in der Tumorschmerztherapie ist durchaus tolerabel (vgl. [2] u. [3]), insbesondere, wenn alternative Behandlungsmethoden aufgrund von nicht tolerablen Nebenwirkungen, zu erwartender schlechterer Analgesiequalität oder patientenbezogenen Umständen nicht als gleichwertig angesehen werden können. 1. WHO 1996 2. Balga et al. 2009 3. Abel et al. 2010
P12.7 Wirksamkeit, Sicherheit und Verträglichkeit von intranasalem Fentanyl in der Therapie tumorbedingter Durchbruchschmer zen – Ergebnisse einer nichtinterventionellen Studie bei 131 Patienten M. Überall1, A. Sobel2, T. Nolte3 1Institut für Neurowissenschaften, Algesiologie & Pädiatrie, Nürnberg, Deutschland, 2O.Meany-Medical Data & Project Management, Nürnberg, Deutschland, 3Interdisziplinäres Schmerz- und Palliativzentrum Wiesbaden, Wiesbaden, Deutschland Fragestellung. Evaluation der analgetischen Wirksamkeit und Verträglichkeit von intranasalem Fentanyl Spray (INFS) zur Behandlung tumorbedingter Durchbruchschmerzen (DBS) unter Alltagsbedingungen und aus Sicht Betroffener. Methodik. Prospektive Evaluation der ersten 4 Wochen des Einsatzes von INFS bei erwachsenen Tumorpatienten mit – trotz Opioidbasisbehandlung – behandlungsbedürftigen Durchbruchschmerzen im Rahmen einer offenen, nichtinterventionellen Multizenterstudie (NIS) unter Verwendung standardisierter Fragebogen für Arzt, Pflege und
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Patient (Clinicaltrials.gov Registrierungsnummer: NCT00994760; Sponsor: Nycomed GmbH Deutschland). Ergebnisse. Evaluation der Angaben von 131 Patienten: 47,2% Frauen, Alter: 62,1±12,1 (SW: 24–91) Jahre, Größe: 169,3±9,2 cm, Gewicht: 66,7±14,4 kg, Body-Mass-Index: 23,2±4,4 kg/m2; TNM-Klassifikation: 61,7% =T2, N1/3: 46,4/33,9%, M1: 64,5%; ECOG-Status 0–4: 1,6/26,4/32,0/28,8/11,2%; ASA-Status II–V: 17,5/31,7/46,8/4,0%; Karnofsky-PPS: 58,6±21,6 (Median: 60, SW: 10–90), KPSS=60/50/40: 58,4/44,0/25,6%; Pflegestufe I/II/III/III+: 22,8/17,1/8,1/0,8%. Basisschmerztherapie: WHO-III: 91,6% (49,2% Fentanyl), WHO-II: 4,6%, WHO-I: 3,1%. DBS-Vorbehandlung bei 45/131 (34,4%) mit unretardiertem Morphin (n=27), anderen WHO-III-Opioiden (n=10), WHO-IIOpioiden (n=1) oder Nichtopioidanalgetika (n=7); Umstellungsgründe: unzureichende Wirkung, Geschwindigkeit, Handhabbarkeit und Verträglichkeit: 71,1%, 71,1%, 26,7%, 13,3%. Hintergrundschmerzintensität (NRS11): 5,6±2,3 (Median: 6; SW: 0–10); maximale DBS-Intensität vor INFS-Einsatz: 8,3±1,4 (Median: 9; SW: 4–10). INFS-Erstverordnungsdosis: 50/100/200 mg: 57,7/38,5/3,8%. Gesamtzahl dokumentierter DBS-Attacken unter INFS: 556. Wirksame INFS-Dosis: 50 mg: 28,0%, 100 mg: 64,0%, 200 mg: 8,0%. Erreichung der optimalen Dosis nach 7. DBS-Attacke. Erste Wirkung nach INFS Gabe bei 94,3%=10 min, 81,9%=5min und 36,3%=2 min. Maximale Wirkung bei 81,4%=10 min, 45,1%=5 min und 14,1%=2 min Schmerzintensität zum Zeitpunkt der maximalen INFS-Wirkung: 3,4±2,1 (Median: 3). Grad der Schmerzlinderung: vollständig: 9,8%, sehr stark: 29,0%, stark 31,0%. Bzgl. DBSVorbehandlungen bewerteten 96,2% der diesbezüglich erfahrenen Patienten INFS als „schneller“, 80,8% als „stärker“, 76,9% als „besser verträglich“ und 69,2% als „einfacher zu handhaben“. Insgesamt wurden von 5 Patienten (3,8%) 6 – leichte und in allen Fällen ohne spezifische Maßnahmen rasch und vollständig sistierende – opioid- bzw. anwendungstypische unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) gemeldet: Erbrechen (n=2), Schwindel, Müdigkeit, Nasenlaufen, Brennen in der Nase (jeweils n=1). Schlussfolgerung. Unter Alltagsbedingungen erwies sich im Rahmen dieser NIS INFS aus Sicht Betroffener nicht nur als (sehr) schnell, stark und nachhaltig, sondern – im Vergleich zu anderen Therapieoptionen (insbesondere dem traditionell in Deutschland beliebten Morphinlösungen) – auch als eine die DBS schneller und stärker lindernde Behandlungsalternative. Dosistitration und Handhabung waren einfach, die Anwendung sicher. Die vereinzelt (bei 3,8% der Patienten) zu beobachtenden UAW waren allesamt leicht und rasch vorübergehend. Die Durchführung dieser Studie wurde durch die Nycomed GmbH Deutschland (Byk-Gulden-Strasse 2, 78467 Konstanz) finanziert. Eine Liste der an der Studie beteiligten Ärzte kann beim korrespondierenden Autor angefordert werden
P12.8 Konsequenzen des Einsatzes von intranasalem Fentanyl in der Therapie tumorbedingter Durchbruchschmerzen auf Alltags aktivitäten, Lebensqualität und Bedarf an medizinischen Ver sorgungsleistungen M. Überall1, A. Sobel2, T. Nolte3 1Institut für Neurowissenschaften, Algesiologie & Pädiatrie, Nürnberg, Deutschland, 2O.Meany-Medical Data & Project Management, Nürnberg, Deutschland, 3Interdisziplinäres Schmerz- und Palliativzentrum Wiesbaden, Wiesbaden, Deutschland Fragestellung. Evaluation der mit dem Einsatz von intranasalem Fentanyl Spray (INFS) zur Behandlung tumorbedingter Durchbruchschmerzen (DBS) unter Alltagsbedingungen zu beobachtenden Änderungen bzgl. DBS-bedingter Beeinträchtigungen der Aktivitäten des alltäglichen Lebens, der Lebensqualität und des Bedarfs an medizinischen Versorgungs-/Pflegeleistungen aus Sicht von Ärzten, Pflegekräften und Betroffenen.
Methodik. Prospektive Evaluation der ersten 4 Wochen des Einsatzes von INFS bei erwachsenen, opioidtoleranten Tumorpatienten mit Durchbruchschmerzen im Rahmen einer offenen, nichtinterventionellen Multizenterstudie (NIS) unter Verwendung standardisierter Fragebogen für Ärzte, Pflegekräfte und Patienten (Clinicaltrials.gov Registrierungsnummer: NCT00994760). Ergebnisse. Evaluation der Angaben von 131 Patienten: 47,2% Frauen, Alter: 62,1±12,1 (SW: 24–91) Jahre; TNM-Klassifikation: 61,7% ≥T2, N1/2: 46,4/33,9%, M1: 64,5%; ECOG-Status 0–4: 1,6/26,4/32,0/28,8/11,2%; ASA-Status II–V: 17,5/31,7/46,8/4,0%; Karnofsky-PPS: 58,6±21,6 (Median: 60, SW: 10–90; Pflegestufe I/II/III/III+: 22,8/17,1/8,1/0,8%. Basisschmerztherapie: WHO-III: 91,6% (49,2% Fentanyl), WHO-II: 4,6%, WHO-I: 3,1%. Hintergrundschmerzintensität (NRS11): 5,6±2,3 (Median: 6; SW: 0–10);. Gesamtzahl dokumentierter DBS-Attacken unter INFS: 556. Erste Wirkung nach INFS Gabe bei 94,3%≤10 Min., 81,9%≤5 Min. und 36,3% ≤2 min. Maximale Wirkung bei 81,4% ≤10 min, 45,1% ≤5 min und 16,1% ≤2 min. Maximale DBS-Intensität vor INFS: 8,3±1,4 (Median: 9; SW: 4–10). Schmerzintensität zum Zeitpunkt der maximalen INFS-Wirkung: 3,4±2,1 (Median: 3). Grad der Schmerzlinderung: vollständig: 9,8%, sehr stark: 29,0%, stark 31,0%. Grad der DBS-bedingten Einschränkung der Aktivitäten des alltäglichen Lebens (dokumentiert mit dem „modified pain disability index“, mPDI7) vor/unter INFS: 51,9±11,4/29,1±16,3 (Median: 54/28); rel. Anteil Patienten mit signifikanter, schwerwiegender, extremer DBS-bedingter Beeinträchtigung vor/unter INFS: 83,7/26,3%, 58,7/11,3%, 27,2/3,8%. Rel. Anteil Patienten mit kritischen Einschränkungen der Lebensqualität (dokumentiert mit dem „quality-of-life by pain inventory“, QLIP) vor/unter INFS: 86,0/25,6%. INFS-bedingte Reduktionen des Pflegeaufwandes aus Sicht von Arzt/Pflege bzgl. Durchbruchschmerz: 81,8/97,1%, Dauerschmerzen: 52,7/76,5%, Depressivität: 49,1/62,6%, Angst: 51,8/64,2%, Anspannungen: 46,8/64,1%, Aktivitäten des alltäglichen Lebens: 40,5/63,3%. INFS-bedingte Verbesserungen aus Sicht von Arzt/Pflege/Patient bzgl. Pflege und Betreuung: 73,5 /60,9/72,8%; Autonomie 87,6/84,1/88,9%; schmerzbedingte Beeinträchtigungen im Alltag: 90,3/85,5/87,7%; Lebensqualität: 92,0/86,8/91,4%; Inanspruchnahme med. Leistungen: 65,2/69,6%. Schlussfolgerung. Unter Alltagsbedingungen erwies sich im Rahmen dieser NIS INFS aus Sicht von Ärzten, Pflegekräften und Betroffenen als (sehr) schnell, stark und nachhaltig wirksame DBS-Therapie, die aus Sicht aller Beteiligten nicht nur die DBS-bedingten Einschränkungen der Alltagsaktivitäten und der Lebensqualität sondern insbesondere auch den Bedarf an medizinischen Versorgungs-/Pflegeleistungen in erheblichem Maße senken konnte. Die Durchführung dieser Studie wurde durch die Nycomed GmbH Deutschland (Byk-Gulden-Strasse 2, 78467 Konstanz) finanziert. Eine Liste der an der Studie beteiligten Ärzte kann beim korrespondierenden Autor angefordert werden
P12.9 Die zielgerichtete Behandlung von Tumordurchbruchschmer zen mit Fentanyl Buccaltabletten – Ergebnisse der nichtinter ventionellen Studie (NIS) PRO-EFFECT G. Müller-Schwefe1, D. Thümmler2, D. Köneke3, M. Überall4 1Interdisziplinäres Schmerz- und Palliativzentrum Göppingen, Göppingen, Deutschland, 2AWD.pharma GmbH & Co. KG, Radebeul, Deutschland, 3CT Arzneimittel GmbH, Medizinische Wissenschaft, Berlin, Deutschland, 4Institut für Neurowissenschaften, Algesiologie & Pädiatrie, Nürnberg, Deutschland Hintergrund. Die Behandlung tumorbedingter Durchbruchschmerzen (DBS) stellt aufgrund ihrer oft unvorhersehbaren Manifestation, der kurzen Attackendauer sowie der starken Schmerzintensität hohe Ansprüche an eine Bedarfsmedikation. Durchbruchschmerzen, unter denen bis zu 90% der Patienten mit fortgeschrittener Tumorerkrankung – trotz ausreichender Basisanalgesie – leiden, treten binnen
Sekunden bis Minuten auf, halten meist ca. 30 Minuten an und sind außerordentlich schmerzintensiv. Sie nehmen – unabhängig von der zugrunde liegenden Tumorerkrankung – als eigenständiger Morbiditätsfaktor nicht nur Einfluss auf die Aktivitäten des alltäglichen Lebens sondern auch auf die Lebensqualität Betroffener. Adäquate Therapeutika sollten folglich nicht nur schnell und stark, sondern auch begrenzt wirken und vom Patienten selbständig und einfach anzuwenden sein. Methodik. Im Rahmen der nichtinterventionellen Studie (NIS) PROEFFECT wurde in 334 Praxen die DBS-Therapie mit einer Fentanyl Buccaltablette (FBT) mit OraVescent-Technologie über einen Zeitraum von bis zu 4 Wochen nicht nur bezüglich Wirksamkeit und Verträglichkeit dokumentiert, sondern auch hinsichtlich ihrer Auswirkung auf das alltägliche Leben und die schmerzbedingte Lebensqualität durch die Betroffenen bewertet. Zum Einsatz kamen standardisierte Selbstauskunftsinstrumente des Deutschen Schmerzfragebogens (QLIP und mPDI). Ergebnisse. Die Auswertung erfolgte anhand von 2623 Schmerzattacken (438 Patienten, jeweils 4 Wochen Behandlungsdauer). Bei den 34% vorbehandelten Patienten konnte im Vergleich zur Vorbehandlung durch den Einsatz der FBT für die Mehrzahl eine Verbesserung der Wirkgeschwindigkeit, der Wirkstärke, der Verträglichkeit und Handhabung dokumentiert werden. Mit einer medianen Dosis von 200 µg konnten 75% aller Patienten ihre DBS deutlich bis (fast) völlig lindern. Die erste Wirkung setzte laut Abschlusserhebung im Median nach 3–5 min ein, die maximale Wirkung war im Median bereits nach 11–15 min erreicht. Damit einher ging bei der Mehrzahl der Patienten eine Verringerung der schmerzbedingten Beeinträchtigungen der Aktivitäten des alltäglichen Lebens, des Bedarfs an medizinischen Hilfsleistungen, des Pflege- und Betreuungsaufwands sowie eine Zunahme von Autonomie und Selbstbestimmung. Ursächlich steht hier eine Auswirkung der DBS-Therapie auf die Wahrnehmung und Auswirkungen des Dauerschmerzes zur Diskussion. So berichteten mehr als die Hälfte der Patienten positive Veränderungen der DBS-Therapie mit der FBT auch hinsichtlich des Dauerschmerzes und seiner Auswirkungen, wie Schlaf, Selbständigkeit in Körperpflege und Alltagsverrichtungen, Haus-/Berufsarbeit sowie sozialen Unternehmungen. Zusammenfassung. Die patientengerechte Behandlung mit Fentanyl Buccaltabletten erwies sich im Rahmen dieser NIS nicht nur als effiziente, gut verträgliche und sichere Option zur Behandlung tumorbedingter Durchbruchschmerzen sondern auch als schnellere, stärkere und besser handhabbare Alternative zu den traditionell etablierten oralen Morphinlösungen. Die beobachteten Auswirkungen auf die allgemeine Schmerzsituation bietet – auch unter Kosten-Nutzen-Aspekten – Perspektiven für eine grundlegende Optimierung der Tumordurchbruchschmerztherapie. Die Liste der teilnehmenden Zentren kann beim Studienleiter angefordert werden. Die Durchführung dieser Studie wurde unterstützt durch AWD.pharma und CT Arzneimittel.
P14 – Pharmakologische Therapie des Schmerzes I P14.1 Vergleich der Nebenwirkungsraten von Tapentadol und Oxy codon – eine Metaanalyse randomisierter Studien M. Merker1, L. Eberhart1, T. Koch1, P. Kranke2, A. Morin1 1Universitätsklinikum Gießen und Marburg, Klinik für Anästhesie und Intensivtherapie, Marburg, Deutschland, 2Universitätsklinikum Würzburg, Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie, Würzburg, Deutschland Fragestellung. Mit Tapentadol ist ein neues Analgetikum im klinischen Einsatz, das sowohl als Agonist am μ-Opioidrezeptor wie auch als selektiver Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer wirkt. Tapentadol soll bei vergleichbarer analgetischer Potenz zu klassischen Opioidan-
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Abstracts algetika wie Oxycodon eine deutlich geringere Rate an unerwünschten Nebenwirkungen aufweisen. Material und Methoden. Es wurde eine systematische Literaturrecherche (MEDLINE, Cochrane-Register, Literaturverzeichnisse von Originalien und Übersichtsarbeiten sowie bisher evtl. nicht veröffentlichte Daten des Herstellers) nach randomisierten Studien durchgeführt, in denen Tapentadol zur Schmerztherapie im direkten Vergleich mit Oxycodon eingesetzt wurde. Die Literaturrecherche erfolgte in Übereinstimmung mit den PRISMA-Statements und wurde im Oktober bis Dezember 2010 durchgeführt. Als Hauptzielgrößen wurde der jeweilige Anteil an Patienten extrahiert die während der Schmerztherapie mit Tapentadol oder Oxycodon unter typischen Opiat-Nebenwirkungen, wie z. B. Übelkeit, Erbrechen oder Juckreiz, litten. Als statistische Kenngröße wurde das relative Risiko (RR) und das 95%-Konfidenzintervall (95%-KI) für das Auftreten dieser Nebenwirkungen unter Tapentadol im Vergleich mit Oxycodon berechnet. Ergebnisse. Insgesamt wurden 9 Studien mit insgesamt 7948 Patienten in diese Übersichtsarbeit eingeschlossen, wobei von diesen 2810 mit Oxycodon und 5138 mit Tapentadol behandelt wurden. Der Einsatz von Tapentadol geht demnach mit einem signifikantniedrigeren Risiko von Übelkeit (RR 0,61; 95%-KI 0,57–0,66), Erbrechen (RR 0,50, 95%-KI: 0,41–0,60), Obstipation (RR 0,47, 95%-KI 0,40–0,56), Schwindel (RR 0,86, 95%-KI 0,78–0,95), Schläfrigkeit (RR 0,76, 95%-KI 0,67– 0,86) und Juckreiz (RR 0,46, 95%-KI 0,37–0,58) einher. Diese typischen Nebenwirkungen wurden von allen 9 Studien untersucht. Eine Unterlegenheit von Tapentadol konnte nur für die Nebenwirkung „Mundtrockenheit“ (6 Studien mit 6218 Patienten, RR 1,79, 95%-KI 1,40–2,29) und Dyspepsie (1 Studie mit 646 Patienten, RR 2,75, 95%-KI 1,09–6,94) detektiert werden. Diarrhöen, Kopfschmerzen und Erschöpfungssymptome wurden ebenfalls von einer großen Anzahl der Primärstudien betrachtet (7 bzw. 8), hierbei konnten allerdings keine signifikanten Unterschiede zwischen den Substanzen festgestellt werden. Schlussfolgerungen. Die Ergebnisse zeigen bei vergleichbarer analgetischer Potenz eine Überlegenheit für Tapentadol hinsichtlich häufigster opioidtypischer Nebenwirkungen wie Übelkeit und Erbrechen. Aufgrund der noch relativ geringen Anzahl an Primärstudien ist aber eine stetige Neubewertung notwendig.
P14.2 Geschlechtsunterschiede in der Selbstmedikation von Schmer zen? Subgruppenanalyse von gepoolten Daten aus apotheken basierten nichtinterventionellen Studien mit Aspirin® U. Gessner1, C. Theurer1 1Bayer Vital GmbH, Scientific Affairs, Leverkusen, Deutschland Fragestellung. Zum möglichen Einfluss des Geschlechtes bei der Selbstmedikation von Schmerzen gibt es nur wenige Erkenntnisse. Ziel der vorliegenden Untersuchung war es, mögliche Geschlechtsunterschiede im Anwendungsverhalten, der Wirksamkeit unter Alltagsbedingungen und der Verträglichkeit bei der Therapie von verschiedenen Schmerzen im Rahmen der Selbstmedikation mit Aspirin zu evaluieren. Material und Methode. Die individuellen Patientendaten von 9391 Teilnehmern (3047 Männer, 6344 Frauen) aus fünf apothekenbasierten nichtinterventionellen Studien wurden gepoolt und ausgewertet. In allen Studien wurde Aspirin für die Behandlung verschiedenster Schmerzformen verwendet. Die Schmerzintensität wurde vor und über einen Zeitraum von 2 Stunden nach Einnahme auf einer 4-stufigen verbalen Rating-Skala dokumentiert. Ferner wurde das Anwendungsverhalten und das Auftreten von Nebenwirkungen erfasst. Ergebnisse. Das durchschnittliche Alter in den Subgruppen betrug 44,6±14,8 Jahre (Männer) bzw. 41,2±15,6 Jahre (Frauen). 88,6% der männlichen bzw. 90,2% der weiblichen Verwender klagten über mäßig starke bis starke Schmerzen. Der häufigste Verwendungsanlass waren Kopfschmerzen (70,4% bei Männern, 76,4% bei Frauen). 4,3% der Män-
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ner und 11,8% der Frauen gaben Migräne als Grund für die Einnahme an. Bei der 1. Einnahme nahmen mehr Männer (43,0%) als Frauen (33,2%) 2 Tabletten Aspirin ein. In der Behandlungsdauer, der Gesamtdosis sowie der Dosis pro Tag gab es nur geringfügige Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Die Dauer der analgetischen Wirkung war in beiden Gruppen vergleichbar. 49,3% der Männer und 53,6% der Frauen waren 2 h nach Einnahme von Aspirin schmerzfrei, 43,3% bzw. 39,9% gaben noch leichte Schmerzen an. Die Häufigkeit von Nebenwirkungen war in beiden Gruppen vergleichbar (ca. 10%). Über 90% sowohl der Männer als auch der Frauen beurteilten die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Aspirin als sehr gut bzw. gut. Diskussion und Schlussfolgerung. Während einige Studien Geschlechtsunterschiede bei Opioiden im Sinne einer stärkeren analgetischen Wirkung bei Frauen zeigten [1], ergab eine Studie mit Ibuprofen im Zahnschmerzmodell keine Hinweise auf ein unterschiedliches Ansprechen der Therapie bei Männern und Frauen [2]. Die vorliegende Analyse der individuellen Daten von über 9000 Patienten ergab ebenfalls keine Hinweise auf relevante Unterschiede im Anwendungsverhalten, der therapeutischen Effektivität oder der Häufigkeit von Nebenwirkungen zwischen männlichen und weiblichen Verwendern von Aspirin im Rahmen der Selbstmedikation von Schmerzen. Die Selbstmedikation von Schmerzen mit Aspirin unter Alltagsbedingungen ist sowohl bei Männern als auch bei Frauen gleichermaßen effektiv und gut verträglich. 1. Paller CJ et al: Sex-based differences in pain perception and treatment. Pain Med 2009, 10(2):289–299. 2. Averbuch M, Katzper M. A search for sex differences in response to analgesia. Arch Intern Med 2000; 160(22): 3424–3428.
P14.3 Einfluss der Schmerzintensität auf Anwendungsverhalten, Wirksamkeit und Verträglichkeit von Aspirin® unter Alltagsbe dingungen. Subgruppenanalyse apothekenbasierter nichtinter ventioneller Studien U. Gessner1, C. Theurer1 1Bayer Vital GmbH, Scientific Affairs, Leverkusen, Deutschland Fragestellung. Ziel der vorliegenden Analyse war es, den möglichen Einfluss der Schmerzintensität vor Behandlungsbeginn auf das Anwendungsverhalten, das Ansprechen einer Therapie mit Aspirin sowie die Verträglichkeit zu untersuchen. Material und Methode. In die Analyse gingen die individuellen Daten von 6669 Patienten aus vier apothekenbasierten nichtinterventionellen Studien mit Aspirin ein. Dokumentiert wurde die Schmerzintensität auf einer 4-stufigen verbalen Rating-Skala vor und über 2 h nach Einnahme. Ferner wurde das Anwendungsverhalten und das Auftreten von Nebenwirkungen erfasst. Die Subgruppe mit leichten Baseline-Schmerzen bestand aus 603 Patienten, mäßig starke bzw. starke Schmerzen gaben 3589 bzw. 2477 Patienten an. Ergebnisse. Starke Schmerzen wurden häufiger von Patienten berichtet, die Migräne, Rückenschmerzen, Muskel-/Gelenkschmerzen oder Regelschmerzen als Einnahmegrund angaben. Starke Schmerzen bedingten eine höhere Anfangsdosis und Einnahmefrequenz des Schmerzmittels als leichtere Schmerzen. Eine Einmalanwendung wurde von 51,3%, 39,1% und 32,9% der Anwender mit leichten, mäßig starken bzw. starken Schmerzen angegeben. Die Behandlungsdauer sowie die Anzahl der insgesamt bzw. pro Tag eingenommen Tabletten nahm mit dem Schweregrad des Ausgangsschmerzes zu, während die vom Anwender berichtete Dauer des analgetischen Effektes abnahm. 2 h nach Einnahme von Aspirin waren 87,3%, 58,5% bzw. 32,5% der Patienten mit leichten, mäßig starken bzw. starken Baseline-Schmerzen schmerzfrei. Die Häufigkeit von Nebenwirkungen war mit 12,7% in der Gruppe mit starken Schmerzen mehr als doppelt so hoch als in der mit leichten Schmerzen (5,3%).Die Wirksamkeit und Verträglichkeit von
Aspirin wurde von den Verwendern mit starken Baseline-Schmerzen schlechter beurteilt als von denen mit leichten Schmerzen (W: 86,6% vs. 95,4% bzw. V: 90,4% vs. 94,7%). Diskussion und Schlussfolgerung. In einer kürzlich publizierten Metaanalyse von 6 RCTs mit Aspirin bei Migräne und Spannungskopfschmerzen war das Ansprechen auf die Therapie nicht korreliert mit der Schmerzintensität vor Behandlungsbeginn [1]. In der hier vorliegenden Analyse nichtinterventioneller Studien waren deutlich mehr Patienten mit leichten und mäßig starken als mit starken Schmerzen nach 2 h schmerzfrei. Die fehlende Placebo-Kontrolle und breitere Anwendungsspektrum könnte hierfür ein Grund sein. Das Anwendungsverhalten orientierte sich an der Stärke der Schmerzen: starke Schmerzen führten zu einer höheren Tages- und Gesamtdosis und längerer Behandlungsdauer. In Folge gaben mehr Patienten Nebenwirkungen an. Die Verträglichkeit wurde dennoch von über 90% der Patienten mit sehr gut/gut beurteilt. Lampl C et al. Aspirin is first-line treatment for migraine or episodic tensiontype headache regardless of headache intensity. Poster presentation at IHC Congress, June 23–26, 2011, Berlin, Germany
P14.4 10-Jahres-Trend in der Verordnung von Opioiden – Daten der Versichertenstichprobe AOK Hessen/KV Hessen der Jahre 2000 bis 2009 P. Ihle1, R. Sabatowski2, I. Schubert1 1PMV Forschungsgruppe, Köln, Deutschland, 2UniversitätsSchmerzCentrum, Universität Dresden, Dresden, Deutschland Hintergrund. In den 1990er Jahren wurde eine Unterversorgung von Tumor- und Schmerzpatienten mit Opioiden problematisiert. Seit Mitte der 1990er Jahren ist nach Angaben des GKV-Arzneimittelindex eine kontinuierliche Zunahme der Opioidverordnungen zu beobachten: 2002 lag die Anzahl der abgegebenen Tagesdosen erstmals über den Nichtopioid-Analgetika [1]. Von Interesse sind jedoch nicht nur die Entwicklungen der Pro-Kopf-Verbräuche, sondern versichertenbezogene Analysen. Ziel der Studie ist deshalb die Untersuchung sowohl der Behandlungsprävalenz nach Art der Opioide als auch deren Einsatz bei Tumor- und Nichttumorerkrankungen über einen Zeitraum von zehn Jahren (2000 bis 2009). Methoden. Datenbasis ist die Versichertenstichprobe AOK Hessen/KV Hessen, eine 18,75%ige Zufallsstichprobe aller Versicherten der AOK Hessen. Im Jahr 2000 lag der Stichprobenumfang bei 326.599 Versicherten (51% Frauen, Durchschnittsalter 43,9 Jahre, Mortalitätsrate 1,5%) 2009 bei n=264.982 Personen (51,9% Frauen; Durchschnittsalter 46,4 Jahre, Mortalitätsrate 1,6%). Ausgewertet wurden die Opioide (ATC N02A), nicht berücksichtigt wurden Codein, Codeinkombinationen und Methadon. Die Ergebnisse werden auf die Stichtagsbevölkerung Deutschlands zum 31. Dez. des jeweiligen Jahres standardisiert. Es wurde von einer Opioidverordnung für eine Tumorerkrankung ausgegangen, wenn im Verordnungsjahr eine Tumordiagnose (ICD-10 Kapitel II, C00 bis C97 ohne C44) kodiert war. Ergebnisse. Im Jahr 2000 erhielten 3,74% der Bevölkerung (M: 2,99%, F: 4,46%) mindestens eine Opioidverordnung. 2009 lag die Behandlungsprävalenz bei 4,55% (M: 3,78%, F: 5,3%). Die Behandlungsprävalenz nahm somit um 21,7%, die Zahl der Tagesdosen um 187,2% und die DDD/Empfänger um 138,8% zu. An erster Stelle steht die Verordnung von Tramadol (2000: 2,65%, 2009: 2,44%), gefolgt von Tilidin (2000: 0,78%, 2009: 1,4%). WHO-Stufe-3-Opioide erhielten im Jahr 2000 0,72% der Versicherten, in 2009 1,29%. Die Behandlungsprävalenz mit retardierten Präparaten nahm deutlich zu (2000: 1,04%, 2009: 2,58%), bei extralangwirkenden Opioden stieg sie von 0,20% im Jahr 2000 auf 0,66% im Jahr 2009. Der Anteil der Opioidempfänger mit einer Einmalverordnung nahm deutlich ab (2000: 55,0%, 2009: 40,7%). Im Jahr 2000 war bei 83,8% der Opioidpatienten keine Tumordiagnose
dokumentiert. Dieser Anteil lag im Jahr 2009 mit 79,6% etwas niedriger. Zeigten sich im Jahr 2000 noch deutliche Unterschiede in der durchschnittlichen Anzahl an Opioid-Tagesdosen zwischen OpioidEmpfängern mit und ohne Tumordiagnose (kein Tumor: 61 DDD, Tumor: 88 DDD), lagen die durchschnittlichen Tagesdosen in 2009 in den beiden Gruppen deutlich höher und näher zusammen (kein Tumor: 154 DDD, Tumor: 164 DDD). Diskussion. Im Beobachtungszeitraum von 10 Jahren nahm nicht nur die Zahl der Opioidempfänger, sondern auch die Zahl der Tagesdosen je Empfänger deutlich zu. Der Anstieg ist insbesondere bei retardierten Opioiden und Opioiden der WHO-Stufe 3 zu beobachten. Der überwiegende Anteil der Verordnungen erfolgt für Nichttumorschmerzen. Die durchschnittliche Anzahl an verordneten Tagesdosen hat sich weitgehend angeglichen. Hier scheinen heute im Vergleich zum Jahr 2000 längere und/oder intensivere Therapien durchgeführt zu werden. Böger RH, Schmidt G. Analgetika. In: Arzneiverordnungs-Report 2010 Hrsg: U Schwabe, D Paffrath. Springer Verlag. Berlin, Heidelberg 2010:253–269
P14.5 Ziconotid – neue Daten zur praktischen Anwendung: Stabili tätsdaten als Monosubstanz oder als Kombination mit anderen Analgetika bei Anwendung in der Tricumed-Pumpe IP2000V W. Hofacker1, J. Theurich2, M. Hübschen3, T. Lahr3 1Kreiskliniken Unterallgäu/Kreisklinik Ottobeuren, Anästhesiologie, Ottobeuren, Deutschland, 2Labor L+S AG, Bad Bocklet, Deutschland, 3Eisai GmbH, Frankfurt/Main, Deutschland Fragestellung. Ziconotid ist zur Behandlung von starken, chronischen Schmerzen bei Erwachsenen angezeigt, die eine intrathekale (i.th.) Analgesie benötigen. Gemäß Angaben der Fachinformation wurde die chemische und physikalische Kompatibilität mit der programmierbaren, implantierbaren Synchromed-Pumpe nachgewiesen. Es sollten CE zertifizierte Pumpen äquivalent der Synchromed-Pumpe zur Administration von Ziconotid verwendet werden. In Deutschland werden jedoch in ca. zwei Drittel der Fälle implantierbare Gasdruckpumpen mit fixer Flussrate verwendet. Seit 2007 setzen wir Ziconotid erfolgreich als festen Bestandteil in unserem intrathekalen Behandlungsregime in Gasdruckpumpen mit konstanter Flussrate ein, seit 2009 zunehmend auch in Kombination mit anderen intrathekal wirksamen Medikamenten. Mit dieser Studie soll die Stabilität von Ziconotid in verschiedenen Konzentrationen und in verschiedenen Kombinationen mit anderen intrathekal eingesetzten Substanzen, wie Morphin, Hydromorphon, Baclofen und Sufentanil in der TRICUMED IP2000V mit 40 ml Reservoir untersucht werden. Material und Methode. Insgesamt 9 naive Gasdruckpumpen mit konstanter Flowrate (IP2000V, TRIMCUMED, Kiel) werden im Rahmen dieser Studie nach zweimaligen Spülen mit Ziconotid mit klinisch relevanten Konzentrationen von Ziconotid (Prialt, 100 µg/ml Lösung, reguläre Marktware, Eisai Ltd, Hatfield/UK) als Einzelsubstanz verdünnt in 0,9% NaCL oder in einfacher Kombination mit jeweils Morphin (Morphin Merck 20 mg/ml, MSI Mundipharma 100 mg/5 ml), Hydromorphon (Palladon injekt 10 mg/ml, Palladon injekt 100 mg/10 ml, Fa. Mundipharma), Baclofen (Lioresal intrathekal 10 mg/ml, Novartis Pharma GmbH) und Sufentanil (Sufentanil ratiopharm 0,05 mg/10 ml, 0,25 mg/5 ml) in verschiedenen für die klinische Praxis relevanten Konzentrationen befüllt und im Wärmeschrank unter kontrollierten Bedingungen bei 37° C inkubiert. Die Temperaturen werden mittels eines geeichten, im Wärmeschrank eingebrachten Temperaturmessers mit Speichermedium (Log 100, Dostmann Electronic GmbH, Wertheim-Reichholzheim) konstant gemessen und dokumentiert. Die Ziconotid Konzentrationen in jeder Pumpe werden direkt nach Befüllen der Pumpe (Tag 0) und anschließend in wöchentlichen Abständen bis zu insgesamt 6 Wochen (an Tag 7, 14, 21, 28, 35 und 42) mittels HighPerformance Liquid Chromatography (HPLC) ermittelt. Diese Metho-
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Abstracts de wurde von L+S AG Laboratories, Bad Bocklet-Großenbrach, entwickelt und validiert. Ergebnisse. Die Ergebnisse der Stabilitätsmessungen werden Ende August vorliegen und tabellarisch und in geeigneter graphischer Form vor dem Hintergrund der klinischen Erfahrungen vorgestellt werden. Diskussion und Schlussfolgerung. Insbesondere werden aus den Ergebnissen Empfehlungen zur Verwendung bestimmter Konzentrationen und Kombinationen für die therapeutische Praxis bei Einsatz von Gasdruckpumpen mit konstanter Flussrate erwartet.
P14.6 Galenik und Schmerz: Korrelation von End-of-Dose-Schmerz und Dosierschema von Opioden in der Therapie chronischer Schmerzen. Ergebnisse einer Patientenbefragung G. Müller-Schwefe1, A. Wimmer2, T. Giesecke2 1Präsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie e.V., Leiter des reg. Schmerzzentrums DGS – Göttingen, Göppingen, Deutschland, 2Janssen-Cilag GmbH, Medical & Scientific Affairs, Neuss, Deutschland Fragestellung. Neben Wirksamkeit und Verträglichkeit gibt es weitere patientenrelevante Parameter, die die Qualität einer medikamentösen Therapie bestimmen. Kriterien, die den Patienten in der Behandlung wichtig sind, wurden durch die internationale Patienten-PräferenzUmfrage PARES (Pain Research) systematisch erfasst. Unter anderem wurde der Zusammenhang zwischen dem Dosierschema von Opioiden und der regelmäßigen Zunahme der Schmerzen in den Stunden vor der nächsten Schmerzmittel-Einnahme (End-of-Dose-Schmerz) untersucht. Material und Methode. 875 Patienten in 219 schmerztherapeutischen Zentren wurden anhand eines strukturierten Fragebogens nach ihren Präferenzen zu ihrer Schmerzbehandlung befragt. Die Patienten litten unter mäßigen bis starken chronischen Schmerzen und wurden mit Opioiden der WHO-Stufen II und III behandelt. Der Erhebungsbogen umfasste 17 Fragen an den Patienten zu Demographie, Therapieschema, Schmerzreduktion, Lebensqualität und Erwartungen an die Schmerztherapie. Die Befragung wurde von der Firma Jassen-Cilag unter wissenschaftlicher Leitung von G. Müller-Schwefe durchgeführt und von einem unabhängigen Institut ausgewertet. Die Auswertung erfolgte deskriptiv und mittels statistischer Testmethoden. Ergebnisse. 53% der befragten Patienten waren unter 65 Jahre alt und 80% von ihnen litten unter Nicht-Tumor-Schmerz. 71% der Patienten wurden mit starken Opioiden behandelt; 29% mit Opoiden der WHOStufe II. Alle gängigen Applikationswege und Dosierschemata waren vertreten: oral zweimal täglich (36%), oral dreimal täglich (25%), oral einmal täglich (24%) und transdermal alle 3 bis 4 Tage (15%). 26% der Patienten berichteten von regelmäßig und 52% manchmal vor der nächsten planmäßigen Einnahme des Opioids auftretenden Schmerzen. Von den Patienten, die regelmäßig End-of-Dose-Schmerzen hatten, nahmen 17% ihr Medikament 1-mal täglich. Die Dauermedikation der Patienten ohne End-of-Dose-Schmerzen war zu 36% 1-mal täglich einzunehmen. Diskussion. Bei der 1-mal täglichen Gabe berichteten wesentlich weniger Patienten regelmäßig von End-of-Dose-Schmerz als bei der 2- oder 3-mal täglichen Gabe. Bei der 2- und 3-mal täglichen Gabe hingegen berichteten 71% der Patienten, dass die Schmerzlinderung nicht die geplante Zeitspanne überdauert und immer wieder End-of-doseSchmerzen auftraten. Das interpretieren wir dahingehend, dass eine 1-mal tägliche orale Applikation End-of-Dose-Schmerzen besser vorbeugt als ein 2- oder 3-mal tägliche Gabe. Eine Erklärung für das bessere Abschneiden der Einmalgabe könnte die lange Halbwertsdauer von einmal täglich einzunehmenden Opioiden, wie z. B. OROS-Hydromorphon sein, die eine zuverlässige Analgesie über 24 h ermöglicht. Schlussfolgerung. Die befragten Patienten ohne End-of-Dose-Schmerzen wurden zu einem wesentlich größeren Anteil mit 1-mal täglichen Opioiden therapiert. Das heißt, dass die 1-mal tägliche orale Opioid-
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gabe Vorteile bei der Prophylaxe von End-of-Dose-Schmerzen haben könnte.
P14.7 Galenik und Schmerz: Welches Dosierschema von Opioiden bevorzugen Patienten mit chronischen Schmerzen? Ergebnisse einer Patientenbefragung G. Müller-Schwefe1, A. Wimmer2, T. Giesecke2 1Präsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie e.V., Leiter des reg. Schmerzzentrums DGS – Göttingen, Göppingen, Deutschland, 2Janssen-Cilag GmbH, Medical & Scientific Affairs, Neuss, Deutschland Fragestellung. Neben Wirksamkeit und Verträglichkeit gibt es weitere patientenrelevante Parameter, die die Qualität einer medikamentösen Therapie bestimmen. Kriterien, die den Patienten in der Behandlung wichtig sind, wurde durch internationale Patienten-Präferenz-Umfrage PARES (Pain Research) systematisch erfasst. Unter anderem wurde die Bewertung und Präferenz der unterschiedlichen Dosierschemata von Opioiden und die daraus resultierende Therapietreue untersucht. Material und Methode. 875 Patienten in 219 schmerztherapeutischen Zentren wurden anhand eines strukturierten Fragebogens nach ihren Präferenzen zu ihrer Schmerzbehandlung befragt. Die Patienten litten unter mäßigen bis starken chronischen Schmerzen und wurden mit Opioiden der WHO-Stufen II und III behandelt. Der Erhebungsbogen umfasste 17 Fragen an den Patienten zu Demographie, Therapieschema, Schmerzreduktion, Lebensqualität und Erwartungen an die Schmerztherapie. Die Befragung wurde von der Firma Jassen unter wissenschaftlicher Leitung von G. Müller-Schwefe durchgeführt und von einem unabhängigen Institut ausgewertet. Die Auswertung erfolgte deskriptiv und mittels statistischer Testmethoden. Ergebnisse. 53% der befragten Patienten waren unter 65 Jahre alt und 80% von ihnen litten unter Nicht-Tumor-Schmerz. 71% der Patienten wurden mit starken Opioiden behandelt; 29% mit Opioiden der WHOStufe II. Alle gängigen Applikationswege und Dosierschemata waren vertreten: oral zweimal täglich (36%), oral dreimal täglich (25%), oral einmal täglich (24%), sowie transdermal alle 3 bis 4 Tage (15%). 54% aller befragten Patienten bewerteten die Einmalgabe als das einfachste Therapieschema. Für jeweils 18% war die Zweimalgabe bzw. die Pflasterapplikation am einfachsten, für 10% die dreimal tägliche Einnahme. In Relation zum jeweiligen Einnahmeschema zeigt sich, dass 91% der Patienten, die ihr Medikament derzeit einmal täglich einnahmen die Einmalgabe bevorzugen. Auch die Patienten mit Zweimalgabe (53%) oder Dreimalgabe (43%) hielten die einmal tägliche Gabe für das einfachste Therapieschema. Von 93% der Patienten wurde die Einfachheit des Therapieschemas als wichtig oder sehr wichtig für die regelmäßige Einnahme ihres Medikaments eingestuft. Diskussion. In unserer Befragung wurde ein einfaches Dosierschema als sehr wichtig für die regelmäßige Einnahme von Analgetika eingestuft. Von mehr als der Hälfte der Patienten wurde die 1-mal tägliche Einnahme, wie sie z. B. OROS-Hydromorphon bietet, als das einfachste Schema beurteilt. Je einfacher das Einnahmeschema desto leichter fiel es den Patienten, pünktlich an die Medikamenteneinnahme zu denken und somit die Compliance aufrecht zu erhalten. Schlussfolgerung. Die befragten Patienten mit chronischen Schmerzen präferieren für ihre Opioidtherapie ein einfaches Therapieschema. Mehr als die Hälfte davon bevorzugen die orale 1-mal tägliche Einnahme, die so zu einer verbesserten Compliance in der Schmerztherapie beitragen kann.
P14.8 Missbrauch von Opioiden – eine Internetrecherche R. Krueger1, A. Zimmer2, W. Meißner2 1Waldkrankenhaus „Rudolf Elle“, Klinik für Anästhesie und Intensivtherapie, Eisenberg, Deutschland, 2Universitätsklinikum, Klinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie, Jena, Deutschland Einleitung. Ziel dieser Untersuchung war es, im Internet nach Hinweisen für die Häufigkeit sowie Applikationswege des missbräuchlichen Einsatzes von Opioidanalgetika zu suchen. Methode: Am 26.09.2010 und 04.10.10 wurde ein in der Schweiz gehostetes deutschsprachiges Internetforum, ein nach eigenen Angaben „szenenahes Internetportal“, bezüglich der Suchbegriffe „Opiat“, „Opioid“ und „Applikationsart“, analysiert. Diese Abfrage wurde mit Hilfe der homepageeigenen Suchmaschine durchgeführt und die Ergebnisse deskriptiv dargestellt. Ergebnisse. Am häufigsten wurde die missbräuchliche Nutzung von Tramadol erwähnt (Tab. 6). Neben bekannten Applikationsformen (oral, i.v.) wurden bei einigen Präparaten häufig unerwartete Applikationswege beschrieben, beispielsweise wurde bei Tramadol in 22% eine nasale und in 10% eine inhalative Applikation erwähnt (oral: 30%, i.v.: 38%). Diskussion. Die im Kontext von Opioidmissbrauch in einem Internet-Forum am häufigsten genannten Substanzen sind Tramadol, Methadon und Codein. Diese werden teilweise in erheblichen Umfang in unüblichen Applikationsformen eingesetzt. Die präsentierten Daten sollen Behandler für diese Problematik sensibilisieren und legen nahe, bei der Verordnung von Opioiden Leitlinien gerecht zu handeln (LONTS, Durchbruchschmerztherapie bei Tumorpatienten). Zu diskutieren wäre auch in diesem Zusammenhang die Einführung der Betäubungsmittelpflicht für die Opioide der WHO-Stufe II.
P14.9 Medikamentencompliance – Untersuchung in einer Schmerz klinik K. Kipping1, A. Schwarzer1, C. Maier1 1Berufsgenossenschaftliches Universitätsklinikum Bergmannsheil der Ruhr-Universität Bochum, Schmerztherapie, Bochum, Deutschland Hintergrund. Noncompliance bei der Medikamenteneinnahme ist ein großes therapeutisches Problem (Starrels et al. 2010). Besonders Patienten in tertiären Schmerzkliniken fallen in der Literatur durch falsche Angaben zur aktuellen Medikation auf (Michna et al. 2007), mit schwerwiegenden Folgen wie Therapieresistenz und Arzneimittelinteraktionen. Ziel dieser prospektiven Studie ist es, die Medikamenteneinnahme von Patienten mittels toxikologischer Untersuchungen zu validieren, um Hinweise auf die Medikamentencompliance zu erhalten. Methoden. 243 Patienten (w=46,5%) einer tertiären Schmerzklinik werden detailliert zu ihrer aktuellen Medikation befragt (Substanz, Dosis, Einnahmezeitpunkt) und über eine Medikamentenüberprüfung aufgeklärt. Klinische Daten (Schmerzdauer, ADS) werden im ärztlichen Erstkontakt mittels Anamnese und Schmerzfragebogen (DSF, 2007) erhoben. Anhand kombinierter Methoden (HPLC, EIA, GC/MS) führt ein spezialisiertes Labor in Urin und Serum quantitative Bestimmungen und Medikamentenscreenings durch. Die Laborergebnisse werden anhand von Einnahme-, Halbwert- und Blutentnahmezeiten interpretiert und Plausibilitätsbetrachtungen unterzogen. Noncompliance hier ist definiert als Nachweis nicht angegebener Substanzen (falsch-positiv) und dem plausibel fehlenden Nachweis angegebener Medikamente (falsch-negativ). Ergebnisse. 39,9% der Patienten erweisen sich in den Laboranalysen als noncompliant mit 30,5% falsch-positiven und 12,3% falsch-negativen Befunden. Falsch-positive Befunde im Verhältnis zur Einnahmehäufigkeit zeigen überwiegend verschwiegene Einnahmen von Psy-
Tab. 6 Tramal/ Tramadolor/ Tramadol
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Methadon Codein/ Dihydrocodein Morphin/ Morphium Tilidin Oxycodon Buprenorphin Fentanyl/ Fenta Hydromorphon Dipidolor/ Piritramid Levomethadon Rapifen/ Alfentanil Sufentanyl/ Sufenta Remifentanyl
2276 2071 1798 1148 966 601 513 354 78 39 7 5 1
chopharmaka (27,5%), NSAID (22,9%) und anderen Analgetika (30%) wie Metamizol. Vorgetäuschte Medikamente sind vor allem Opioide (11,7%) und Koanalgetika (9,%). Fazit. Die Ergebnisse der Studie zeigen eine hohe Prävalenz für Noncompliance im Patientenkollektiv einer Schmerzklinik mit mehr Fehlangaben bei NSAID und weniger bei Opioiden. Zusammenhänge mit klinischen Merkmalen der Patienten werden diskutiert. 1. Starrels, J., Becker, W., Alford, D., Kapoor, A., Williams, A. and Turner, B. (2010). Systematic review: treatment agreements and urine drug testing to reduce opioid misuse in patients with chronic pain. Ann Intern Med 152 (11), 712–720 2. Michna, E., Jamison, R.N., Pham, L.D., Ross, E.L., Janfaza, D., Nedeljkovic, S.S., Narang, S., Palombi, D. and Wasan, A.D. (2007). Urine toxicology screening among chronic pain patients on opioid therapy: frequency and predictability of abnormal findings. Clin J Pain 23 (2), 173–179
P14.10 Effekte von Opioid-Analgetika im Fahrversuch M. Schumacher1, A. Knoche1, M. Vollrath2, R. Jantos3, E. Vuurman4, F. Petzke5, J. Ramaekers4 1Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Referat U3/Verkehrspsychologie, Verkehrsmedizin, Bergisch Gladbach, Deutschland, 2Technische Universität Braunschweig, Institut für Psychologie, Braunschweig, Deutschland, 3Universität Heidelberg, Institut für Verkehrs- und Rechtsmedizin, Heidelberg, Deutschland, 4Maastricht University, Dept. of Neuropsychology & Psychopharmacology, Faculty of Psychology and Neuroscience, Maastricht, Niederlande, 5Universitätsmedizin Göttingen, Schmerz-Tagesklinik und -Ambulanz, Göttingen, Deutschland Fragestellung. Opioide spielen eine unverändert wichtige Rolle in der Behandlung chronischer nichttumorbedingter Schmerzen. Ein genereller negativer Einfluss von Opioiden auf verkehrsrelevante Leistungen konnte in verschiedenen Untersuchungen mit dem Fokus auf einzelne Substanzen und unter Einsatz von computerbasierten Testverfahren nicht belegt werden. Studien zu Aspekten des Fahrverhaltens im Straßenverkehr gibt es bisher nur wenige. Material und Methoden. 20 Patienten mit mittlerem Alter von 54±8,9 Jahren (35–68 Jahre) unter stabiler Opioidmedikation (Morphinäquivalent ≥60 mg unter liberaler Komedikation mit Antidepressiva und Antikonvulsiva) und mit regelmäßiger Fahrpraxis (mehr als 2000 km im letzten Jahr) nahmen teil, ebenso wie 19 gesunde Kontrollen im Alter von 43±11 Jahre (23–58 Jahre) und mit gleicher Geschlechtsverteilung. Gesunde Kontrollen wurden im nüchternen Zustand und unter Einfluss von 0,5– Alkohol untersucht. Alle führten einen standardiDer Schmerz · Supplement 1 · 2011
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Abstracts sierten Fahrversuch durch. Qualität der Spurtreue wurde durch die Standardabweichung der seitlichen Position (SDSP) über eine Stunde Fahrdauer auf einer Autobahn erfasst. Die Zeit zur Anpassung der Fahrgeschwindigkeit (ZAF) und die Bremsenreaktionszeit (BRZ) wurden in einer Folgefahrt von 45 Minuten Dauer gemessen. Ergebnisse. Zwischen Patienten und nüchternen Kontrollen bestand kein Unterschied in der SDSP, unter Alkoholeinfluss nahm die SDSP bei den Kontrollen signifikant zu, als Hinweis auf eine verringerte Güte der Spurhaltung. Für die Maße Versuchsteil zur Folgefahrt (BRZ und ZAF) fanden sich ebenfalls keine Unterschiede zwischen Patienten und Kontrollpersonen. Ein Alkoholeffekt bei den Kontrollpersonen konnte hier nicht nachgewiesen werden. Trotz fehlender mittlerer Gruppenunterschiede zeigte sich bei den Patienten unter Medikation eine erheblich größere individuelle Variabilität der Ergebnisse. Diskussion. Unter relativ standardisierten Fahrbedingungen (Autobahn) aber relevanter Länge der Fahrbelastung (60 und 45 Minuten) fielen die Patienten nicht durch signifikante Veränderungen auf. Rückschlüsse auf das Fahrverhalten in anderen Verkehrssituationen sind nicht möglich. Ein weiterer einschränkender Faktor könnte sein, das insbesondere Patienten mit einer entsprechend positiven Selbsteinschätzung bezüglich ihrer Fahrfähigkeit teilgenommen haben. Schlussfolgerung. Die Ergebnisse belegen, dass Patienten unter Behandlung mit Opioiden nicht grundsätzlich in ihrem Fahrverhalten verändert und eingeschränkt sind. Dennoch weisen die Daten auf die Notwendigkeit der individuellen Risikoabschätzung hin.
P14.11 Einfluss von Opioiden auf die verkehrsrelevante Leistungsfähig keit M. Schumacher1, A. Knoche1, R. Jantos2, M. Kaiser3, R. Sabatowski4, F. Petzke5 1Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Referat U3/Verkehrspsychologie, Verkehrsmedizin, Bergisch Gladbach, Deutschland, 2Universität Heidelberg, Institut für Verkehrs- und Rechtsmedizin, Heidelberg, Deutschland, 3Universitätsklinik Köln, Schmerzzentrum Klinik für Anästhesiologie, Köln, Deutschland, 4UniversitätsSchmerzCentrum, Universität Dresden, Dresden, Deutschland, 5Universitätsmedizin Göttingen, Schmerz-Tagesklinik und -Ambulanz, Göttingen, Deutschland Fragestellung. Opioide spielen eine unverändert wichtige Rolle in der Behandlung chronischer nichttumorbedingter Schmerzen. Ein genereller negativer Einfluss von Opioiden auf verkehrsrelevante Leistungen konnte in verschiedenen Untersuchungen mit dem Fokus auf einzelne Substanzen nicht belegt werden. In dieser Untersuchung wurden Patienten mit chronischen Schmerzen, die stabil mit einem Opioid eingestellt waren (Morphinäquivalent ≥60 mg unter liberaler Komedikation mit Antidepressiva und Antikonvulsiva) mit gesunden Kontrollpersonen nüchtern und unter dem Einfluss von 0,5 ‰ Alkohol verglichen, um das Ausmaß der Beeinträchtigung in Beziehung zu einer definierbaren Referenz zu setzen. Material und Methoden. 26 Patienten mit mittlerem Alter von 54±8,3 Jahren (35–68 Jahre) unter stabiler Opioidmedikation und mit regelmäßiger Fahrpraxis nahmen teil. Die verkehrsrelevante Leistungsfähigkeit wurde mit dem WTS entsprechend der Fahrerlaubnisverordnung (FeV) untersucht. Dabei wurden Fähigkeiten wie Stresstoleranz, visuelle Orientierung, Konzentration, Aufmerksamkeit und Reaktionszeit getestet. 21 gesunde Kontrollpersonen wurden vor und nach Exposition mit 0,5‰ Alkohol im WTS untersucht. Ein standardisierter Kombinationsscore wurde als primäres Zielkriterium berechnet. Alle drei Gruppen wurden zusätzlich mit der größeren und altersunabhängigen Referenzgruppe des Wiener Test Systems (WTS) verglichen. Werte über der 16. Perzentile dieser Referenzgruppe gelten hierbei als ausreichende Ergebnisparameter. Ergebnisse. Patienten gaben eine mittlere bis starke Schmerzintensität an (NRS 5,8±1,9) und fühlten sich nur mäßig durch ihre Medikation
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beeinträchtigt. Die gesunden Kontrollen fühlten sich subjektiv durch den Alkoholeffekt relevant beeinträchtigt und als nicht fahrtüchtig. Allerdings ließ sich in keinem der Testverfahren bei den Kontrollpersonen eine relevante Leistungsabnahme durch Alkohol nachweisen. Im Kombinationssore erzielten die Patienten signifikant schlechtere Ergebnisse als die Kontrollpersonen und das unabhängig vom Alkoholeffekt. Eine alkoholbedingte Beeinträchtigung der Leistung konnte bei den Kontrollpersonen nicht nachgewiesen werden. Im Vergleich zur Referenzgruppe des WTS lagen die Patienten weniger häufig über der relevanten 16. Perzentile als Kontrollpersonen mit und ohne Einfluss von Alkohol. So bestanden von den fünf vorgeschriebenen Tests Patienten im Durchschnitt 3,4±1,0, Kontrollen nüchtern 4,1±0,8 und unter Alkoholeinfluss 4±0,7. Diskussion. In dieser Studie wurden Begleitmedikationen liberal gehandhabt um die Behandlungsrealität chronischer Schmerzpatienten zu berücksichtigen. Die gemessenen Effekte bei den Patienten reflektieren somit keinen reinen Opioideffekt. Die schwierige Rekrutierung für diese Studie verdeutlicht aber auch, dass die Untersuchung von pharmakologischen Monotherapien im Rahmen des klinischen Behandlungsalltags nur eingeschränkt möglich ist. Schlussfolgerung. Patienten unter medikamentöser Behandlung mit Opioiden zeigen im computergestützten Testsystem im Mittel eine verminderte verkehrsrelevante Leistungsfähigkeit. Der Stellenwert dieser Beeinträchtigung kann aufgrund des fehlenden Effekts von Alkohol auf die Leistungsfähigkeit bei den Kontrollpersonen und die große Überlappung zwischen Gesunden und Patienten nicht beurteilt werden.
P14.12 Antinozizeptive und antihyperalgetische Wirkung von Tapenta dol in Tiermodellen zum Entzündungsschmerz K. Schiene1, J. De Vry2, T. Tzschentke2 1Grünenthal GmbH, Global Preclinical Research and Development, Pharmacology, Aachen, Deutschland, 2Global Preclinical Research and Development, Pharmacology, Aachen, Deutschland Hintergrund und Zielsetzung. Das neue Analgetikum Tapentadol vereint µ-Opioid Rezeptor (MOR) Agonismus und Noradrenalin (NA) Wiederaufnahme-Hemmung in einem Molekül und zeigt ein breites Wirkungsprofil in verschiedenen präklinischen akuten und chronischen Schmerzmodellen. Die in dieser Studie durchgeführten Experimente untersuchen die Wirkung von Tapentadol in tierexperimentellen Entzündungsschmerzmodellen. Material und Methode. Die antinozizeptive bzw. antihyperalgetische Wirkung von Tapentadol wurde im Formalin-Test (nozizeptives Verhalten; Ratte, Maus), der Carrageenan- und CFA-induzierten mechanischen Hyperalgesie (Pfoten-Druck-Test, Ratte), der CFA-induzierten taktilen Hyperalgesie (von Frey Haar, Ratte) und der CFA-induzierten Kniegelenks-Arthritis (differenzielle Belastung der Kniegelenke, Ratte) untersucht. Ergebnis. Tapentadol zeigte eine volle antinozizeptive Wirkung im Formalin-Test mit einem ED50-Wert von 9,7 mg/kg (IP) in der Ratte und von 11,3 mg/kg (IP) in der Maus. Im Carrageenan- und CFA-induzierten Entzündungsschmerz reduzierte Tapentadol die mechanische Hyperalgesie mit einem ED50 von 1,9 mg/kg (IV) bzw. 1,7 mg/kg (IV). Die verminderte Belastung des durch CFA-Injektion entzündeten Kniegelenks wurde durch Tapentadol mit einem ED25 von 0,9 mg/kg (IV) aufgehoben. Als Komparatoren wurden in allen Modellen Ibuprofen und Morphin getestet. Die Wirksamkeit und die Potenz von Tapentadol waren der von Ibuprofen überlegen. Morphin zeigte eine höhere Potenz, aber eine vergleichbare Wirksamkeit wie Tapentadol. In mechanistischen Untersuchungen konnte die Wirkung von Tapentadol sowohl in der Carrageenan- als auch der CFA-induzierten Hyperalgesie durch den MOR-Antagonisten Naloxon und den a2-Adreno-
zeptor Antagonisten Yohimbin reduziert werden, nicht aber durch den serotonergen Rezeptor-Antagonisten Ritanserin.
P14.13 Metamizol interferiert mit der Thrombozytenhemmung durch Low-dose-ASS bei der analgetischen Therapie von Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen T. Hohlfeld1, L. Stickelbruck1, A. Saxena1, R. Werdehausen2, P. Kienbaum3, A. Schmitz2 1Universitätsklinikum, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Institut für Pharmakologie und Klinische Pharmakologie, Düsseldorf, Deutschland, 2Universitätsklinikum, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Klinik für Anästhesiologie, Düsseldorf, Deutschland, 3Klinik für Anästhesiologie, Universitätsklinikum, Heinrich-Heine-Universität, Düsseldorf, Deutschland Fragestellung. Einige Analgetika vom NSAID-Typ (z. B. Ibuprofen, Naproxen) können durch Kompetition an der Cyclooxygenase (COX1) die Hemmung der Thrombozytenfunktion durch Acetylsalicylsäure (ASS) aufheben. In-vitro-Untersuchungen im eigenen Labor haben eine entsprechende Interaktion auch für Metamizol, eines der am häufigsten verordneten Analgetika, gezeigt. Wir haben die mögliche Interaktion zwischen Low-dose-ASS und Metamizol in einer klinischen Beobachtungsstudie überprüft. Material und Methode. Es wurden 30 Patienten eingeschlossen, welche infolge kardiovaskulärer Erkrankungen dauerhaft ASS (75–150 mg/ Tag) und seit ≥5 Tagen zusätzlich Metamizol (20–80 mg/kg KG) erhielten. Indikationen für Metamizol waren Schmerzen nach chirurgischen Eingriffen, Tumor- und Skeletterkrankungen. Es erfolgte keine studienbedingte Änderung der Medikation. Im thrombozytenreichen Plasma wurde die Arachidonsäure-induzierte Thrombozytenaggregation (APACT 4004 Aggregometer) und Thromboxansynthese (Immunoassay) gemessen. Darüber hinaus wurden Plasmakonzentrationen von Metamizol in Form des aktiven Metaboliten 4-Methylaminoantipyrin (4-MAA) mittels HPLC bestimmt. Ergebnisse. Die zu erwartende vollständige Hemmung der Arachidonsäure-induzierten Thrombozytenaggregation bestand nur bei 8 von 30 Patienten (Responder), während die überwiegende Mehrzahl der Patienten (73%) trotz ASS-Behandlung eine Thrombozytenaggregation aufwies (Nonresponder). Die Arachidonsäure-induzierte Thromboxansynthese betrug bei Respondern 28±6 ng/ml gegenüber 484±99 ng/ ml bei Nonrespondern (p<0,01). Die thrombozytäre Thromboxansynthese wurde durch In-vitro-Zusatz hoher Konzentrationen von ASS (30 und 100 µmol/l) nur um 9,8 bzw. 18,3% gegenüber Kontrolle ohne ASS gehemmt. In allen Blutproben wurden effektive Konzentrationen von 4-MAA nachgewiesen (Bereich 4–348, Median 53 µmol/l). Diskussion. Die Ergebnisse bestätigen eindrucksvoll, dass die in Vorarbeiten nachgewiesene Arzneimittelinteraktion zwischen Metamizol und Low-dose-ASS im Rahmen der analgetischen Therapie von Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen Bedeutung hat. Weit mehr als die Hälfte der eingeschlossenen Patienten wiesen nicht die für eine Prävention kardiovaskulärer Ereignisse benötigte >90%ige Hemmung von Thrombozytenaggregation und Thromboxansynthese auf. Die bei Nonrespondern signifikant höheren Thromboxankonzentrationen zeigen darüber hinaus, dass die Interaktion auf der Ebene der thrombozytären Thromboxansynthese lokalisiert ist. Alle Patienten wiesen Plasmakonzentrationen von Metamizol (4-MAA) auf, für welche wir in vitro eine Interaktion mit ASS nachweisen konnten. Nachfolgestudien zum klinischen Outcome sind geplant. Schlussfolgerung. Analgetische Therapie mit Metamizol (≥5 Tage) kann die Hemmung der Thrombozytenfunktion und Thromboxansynthese durch Low-dose-ASS im Sinne einer Arzneimittelinteraktion aufheben.
P14.14 Positive Erfahrungen mit einem transdermalen BuprenorphinMatrixpflaster (Buprenorphin AWD® Matrix) bei Patienten mit nozizeptiven und neuropathischen Schmerzen – Ergebnisse einer nichtinterventionellen Studie (NIS) G. Müller-Schwefe1, D. Thümmler2, D. Köneke3, M. Überall4 1Interdisziplinäres Schmerz- und Palliativzentrum, Göppingen, Deutschland, 2AWD.pharma GmbH & Co. KG, Radebeul, Deutschland, 3CT Arzneimittel GmbH, Medizinische Wissenschaft, Berlin, Deutschland, 4Institut für Neurowissenschaften, Algesiologie & Pädiatrie, Nürnberg, Deutschland Hintergrund. Buprenorphin ist aufgrund seiner spezifischen Eigenschaften insbesondere für die Behandlung älterer und multimorbider Patienten geeignet, die einen Großteil der chronischen Schmerzpatienten darstellen. Bei Niereninsuffizienz ist keine relevante Akkumulation von Buprenorphin bzw. seiner Metabolite zu erwarten. Die Metabolite sind pharmakologisch wenig aktiv, deren verlängerte Halbwertszeit bei Leberfunktionsstörungen ist daher klinisch nicht relevant. Die Gefahr einer interventionspflichtigen Atemdepression bei Überdosierung ist im Vergleich zu anderen Opioiden geringer. Buprenorphin besitzt ein geringes Interaktionspotential. Aufgrund der geringen spasmogenen Wirkung stellen Pankreatitis und Gallenwegserkrankungen keine Kontraindikation dar. Pflastersysteme haben in Deutschland in der Schmerztherapie eine hohe Akzeptanz. Die kontrollierte Freisetzung mit daraus folgenden kontinuierlichen Wirkstoffspiegeln löst das Problem der Nicht-Adhärenz bei der Einnahme opioidhaltiger Analgetika. Die einfache Handhabung fördert zudem eine hohe PatientenCompliance. Ziel der vorliegenden NIS war die Bewertung der Wirksamkeit und Verträglichkeit eines Buprenorphin-haltigen Pflasters bei Patienten mit opioidpflichtigen Schmerzen. Neben der Schmerzlinderung standen insbesondere die Wirksamkeit in Abhängigkeit vom Schmerztyp, der Einfluss auf die Lebensqualität, die schmerzbedingte Beeinträchtigung der Alltagsaktivitäten und das Wohlbefinden der Patienten im Fokus der Beobachtung. Methodik. Im Rahmen der NIS wurde in 591 Praxen die Therapie mäßig starker bis starker chronischer, opioidpflichtiger Schmerzen mit einem Buprenorphin-Matrixpflaster (Buprenorphin AWD® Matrix) zwischen Januar und Oktober 2009 dokumentiert. Die Bewertung der Wirksamkeit und Verträglichkeit im Vergleich zur Vormedikation sowie der Auswirkung der Therapie auf die schmerzabhängigen Parameter der Lebensqualität erfolgte durch Patienten und Ärzte mit Hilfe standardisierter Fragebögen und Skalen (NRS, mPDI, EuroQoL, QLIP). Ergebnisse. 1727 Patienten (medianes Alter 73 Jahre) wurden über 11 Wochen mit Buprenorphin AWD® Matrix behandelt. 44,2% litten unter neuropathischen, 22,1% unter nozizeptiven Schmerzen, die übrigen unter Schmerzen gemischter Ursachen. Im Beobachtungszeitraum verringerte sich nach Angaben der Patienten die Schmerzintensität über den gesamten Tagesverlauf von im Median 6 auf 2,7 (NRS-11). Dies galt sowohl für den geringsten (z. B. Ruhe-) als auch den stärksten (z. B. Belastungs-)Schmerz. In der Folge gaben über drei Viertel der Patienten eine behandlungsbedingte Verbesserung ihrer schmerzbedingten Beeinträchtigungen an. Für 81,2% war damit eine Verbesserung ihrer Lebensqualität verbunden. Die Therapie war gut verträglich, zahlreiche systemische wie lokale unerwünschte Arzneimittelwirkungen der Vortherapien bildeten sich sogar zurück. Zusammenfassung. Buprenorphin AWD® Matrix erwies sich sowohl als sehr gut wirksame, wie auch – trotz des hohen Alters der teilnehmenden Patienten – als sehr gut verträgliche Behandlungsoption. Unter der Therapie zeigte sich eine nachhaltige Schmerzlinderung und entsprechende Rückbildung schmerzbedingter Beeinträchtigungen. Buprenorphin AWD® Matrix erwies sich bei allen Schmerzerkrankungen als wirksam, entfaltete jedoch gerade bei den im Alter häufigen neuropathischen und gemischten Schmerzsyndromen seine volle Wirkung.
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Abstracts Die Liste der teilnehmenden Zentren kann beim Studienleiter angefordert werden. Die Durchführung dieser Studie wurde unterstützt durch AWD.pharma und CT Arzneimittel.
P14.15 Multimodales Schmerzprogramm für Kinder und Jugendliche mit chronischen Kopfschmerzen – Ein Fallbericht Böswald Yvonne2, Gravou-Apostolatou C2,3, Mattenklodt P2, Grießinger N12, Sittl R2, 1Universitätsklinikum Erlangen, Anästhesiologische Klinik, Erlangen,
Deutschland, 2Universitätsklinikum Erlangen, Interdiziplinäres Schmerzzentrum, Erlangen, Deutschland, 3Universitätsklinikum Erlangen, Kinderund Jugendklinik, Erlangen, Deutschland Einleitung. Neueren Untersuchungen zeigen, dass bis zu 70 % der Kinder zwischen 6 und 16 Jahren Erfahrungen mit Kopfschmerzen haben. Bereits 20% der Kinder dieser Altersgruppe leiden sogar unter chronischen Kopfschmerzen. Bei Kindern mit chronischen Kopfschmerzen sind psychosoziale Faktoren nicht nur eine Ursache, sondern auch eine Folge der Schmerzerkrankung und können ihre Lebensqualität erheblich beeinträchtigen. Ziel ist deswegen ein frühzeitiges Erkennen der Erkrankung und die Kinder dann nicht nur medikamentös zu behandeln, sondern ergänzend auch verhaltenstherapeutische Verfahren anzuwenden. Am Universitätsklinikum Erlangen wurde ein multimodales Gruppentherapieprogramm etabliert, dessen wesentliche Bestandteile sich aus Edukation zum Thema Schmerz, dem Erlernen von Entspannungsverfahren, Methoden zur Stressbewältigung und dem Umgang mit dem Schmerz zusammensetzen. Über einen Zeitraum von 9 Wochen finden einmal wöchentlich Gruppensitzungen über 240 Minuten statt. Betreut werden die Kinder und Jugendlichen von jeweils einer Kinderärztin, einem Schmerztherapeuten, einem Psychologen und einer Physiotherapeutin. Voraussetzung für die Teilnahme sind ein Mindestalter von 11 Jahren und die Diagnose Migräne, chronischer Spannungskopfschmerz oder eine Mischform. Fallbericht. Anhand eines Fallberichtes sollen die Auswirkungen des teilstationären multimodalen Gruppenprogrammes für Kinder und Jugendliche mit chronischen Schmerzen dargestellt werden: Rahel, 16 Jahre, mit der Diagnose: Chronischer Spannungskopfschmerz und Migräne ohne Aura seit fünf Jahren. Das Auftreten erster Kopfschmerzen steht im zeitlichen Zusammenhang mit dem Ausbruch einer schizoaffektiven Störung des Vaters. Postnatal hatte Rahel einen postmeningitischen Hydrocephalus entwickelt, der mit einem ventriculo-peritonealen Shuntsystem versorgt wurde. Ein sicherer Hinweis für eine Shuntdysfunktion lag nach mehrfachen Kontrollen jedoch nicht vor. Zu Beginn der Behandlung klagte Rahel über drückende Schmerzen im Nackenbereich mit zusätzlich sehr starken Episoden von bis zu 48 h Dauer im periorbitalen Bereich, ca. ein bis drei Mal pro Woche. Die durchschnittliche Schmerzintensität betrug 7-9 auf der NRS (Numerische Rating Skala, wobei 0= kein Schmerz und 10= maximal vorstellbaren Schmerz bedeutet). Begleitend wurde noch eine Phono- und Photophobie, sowie Übelkeit und eine verstärkte Geruchsempfindung angegeben. Im Verlauf des Gruppenprogrammes lernte Rahel ihre persönlichen Kopf-schmerzauslöser besser zu identifizieren und entwickelte eigene Ablenkungsstrategien. In Kombination mit der regelmäßigen und eigenständigen Anwendung der erlernten Entspannung zeigte sich bei Rahel bereits bei Abschluss der Gruppenprogrammes eine Abnahme der Anfallshäufigkeit und eine Reduktion der Kopfschmerzintensität. Sie gab an, dass die Kopfschmerzen in ihrem Alltag jetzt eine wesentlich geringere Rolle spielen würden. Schlussfolgerung. Kinder und Jugendliche mit einer chronischen Schmerzerkrankung profitieren von der Teilnahme an einem Programm das aus mehreren Bausteinen besteht und über die reine medikamentöse Schmerztherapie weit hinausgeht (multimodales Therapiekonzept)
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P16 – Multimodale und andere Therapieverfahren I P16.1 Erfolgreiche Schmerzreduktion bei Teilnehmern eines teleme dizinischen Coachingprogramms I. Rose1, T. Kreiser1, S. Kottmair1, R. Philipp1, J. Böhme2, S. Lorenz3, A. Straube4 1almeda GmbH, München, Deutschland, 2Hallesche Krankenversicherung, Stuttgart, Deutschland, 3Universitätsklinikum Rechts der Isar München, München, Deutschland, 4Klinikum Großhadern, Neurologische Klinik und Poliklinik, München, Deutschland Einleitung. Schmerzen sind ein weit verbreitetes Gesundheitsproblem. Nach Expertenmeinung leiden 5–8 Mio. Menschen in Deutschland an dauerhaften behandlungsbedürftigen Schmerzen. Die entstehenden Kosten für die Schmerzbehandlung werden pro Jahr auf ca. 29 Mrd. Euro geschätzt. Die Entstehung bzw. die Vermeidung von Schmerzen ist mit wichtigen Lebensstilaspekten u. a. in den Bereichen Bewegung sowie Stresserleben assoziiert. Vor diesem Hintergrund wurden ab 2006 spezielle telemedizinische Coachingprogramme für Schmerzpatienten entwickelt. Methodik. Bei dem mehrjährigen Coachingprogramm zum Thema Rückenschmerz werden im 1. Schritt in Frage kommende Versicherungsnehmer mit akuten und langjährigen chronischen Rückenschmerzen von einer privaten Krankenversicherung auf Basis von Diagnosenennungen (ICD) und Leistungsausgaben selektiert. Die Versicherten werden schriftlich zur Programmteilnahme eingeladen. Die Teilnehmer werden monatlich von einem persönlichen Coach kontaktiert. Im Fokus der telefonischen Betreuungsgespräche steht die Reduktion der Schmerzepisoden durch eine nachhaltige Lebensstilintervention. Dies betrifft v. a. die Steigerung der körperlichen Aktivität, den Umgang mit Stressauslösern, ergonomische Gestaltung des Arbeitsplatzes sowie die Reduktion von Übergewicht. Zu Programmstart erfolgt bei jedem Teilnehmer eine Risikostratifizierung und Auswertung. Auf dieser Grundlage wird gemeinsam mit dem Teilnehmer ein individueller Betreuungsplan mit Zielen zur Schmerzreduktion und Lebensstiländerung entwickelt. Um den Muskelaufbau und die körperliche Aktivität zu fördern, werden die Teilnehmer gezielt zu externen Leistungserbringern (z. B. qualifizierte medizinische Rückenzentren) gesteuert. Im Rahmen der Coachinggespräche werden die Teilnehmer zu einer regelmäßigen Teilnahme an diesen Trainingsaktivitäten motiviert. Ein besonderer Anreiz ist hierbei die Kostenübernahme bei regelmäßiger Teilnahme. Zur Förderung des Selbstmanagements werden die Teilnehmer über die Entstehung und den Verlauf von Schmerzen geschult und erhalten schriftliche Materialien, wie z. B. Schulungsunterlagen, Protokolle und Trainingsvorlagen. Ergebnisse. Seit Programmstart konnten186 Versicherte in das laufende telemedizinische Coachingprogramm Rückenschmerz eingeschlossen werden. Davon haben 33 Teilnehmer das Programm vorzeitig beendet. Der Altersdurchschnitt der Teilnehmer liegt bei 49,4±9,0 (30,0–69,0) Jahren, 66,7% der Teilnehmer sind männlich. Der mittlere Erhebungszeitraum lag bei 343 Tagen (Min: 130/Max: 476 Tage). Die Schmerzstärke reduzierte sich von 5,1 VAS auf 2,7 VAS [Wert (t0), Wert (t1), p≤0,0019. Das Stressempfinden wurde um 11,6% gesenkt [Wert (t0), Wert (t1), p≤0,05] und die körperliche Aktivität wurde um 18% gesteigert [Wert (t0), Wert (t1), p≤0,05]. Bei den Leistungsausgaben der Interventionsgruppe konnte gegenüber der Kontrollgruppe eine Ersparnis von 525 € innerhalb eines Jahres erzielt werden. Schlussfolgerungen. Gezieltes, individuelles Telecoaching führt bei Patienten mit Rückenschmerzen zu anhaltenden Lebensstiländerungen und Schmerzreduktion. Das beschriebene Coachingprogramm Rückenschmerz ist ein auf Nachhaltigkeit ausgelegtes Programm. Aufgrund des Erfolges wurde mittlerweile auch für die Indikationen Migräne und Kopfschmerz ein entsprechendes Coachingprogramm entwickelt und umgesetzt.
P16.2 4-Jahres-Langzeitergebnisse einer stationären, naturheilkund lich orientierten, multimodalen Behandlung von Patienten mit hochgradig chronifizierter, multilokulärer Schmerzerkrankung B. Klein1, D. Brück1, T. Schmitt1, M. Stimpel1 1Klinik für Innere Medizin 2, Knappschaftskrankenhaus Püttlingen, Akademisches Lehrkrankenhaus der Universität des Saarlandes, Püttlingen/Saar, Deutschland Fragestellung. Chronifizierte Schmerzzustände sind gekennzeichnet durch eine komplexe Verflechtung somatischer, psychischer und sozialer Krankheitskomponenten, deren Behandlung unter ambulanten Bedingungen in vielen Fällen nicht dauerhaft erfolgreich ist. Ziel der vorliegenden Studie war es, den Langzeiteffekt einer einmaligen, 2- bis 3-wöchigen stationären Behandlung in einer naturheilkundlich orientierten, multimodal arbeitenden Klinik bei Patienten mit hochgradig chronifizierter, multilokulärer Schmerzerkrankung zu untersuchen. Patienten und Methode. In der prospektiven Beobachtungsstudie wurden 186 hochgradig chronifizierte Patienten (m/w=49/137, Alter 24–84 J., MW=57,3 J.), MPSS Gerbershagen III, CGP von Korff 3–4, Krankheitsdauer 0,5–24 J., MW=7,2 J.) mit multilokulären Schmerzen untersucht. Die Evaluation der therapeutischen Langzeiteffekte (48 Monate) erfolgte anhand validierter Patientenfragebögen (SF 36, SES, HADS, PDI). Endpunkte waren primär die Verbesserung der Lebensqualität, sekundär die Verbesserung des Schmerzerlebens, psychische Stabilisierung und Reduzierung der krankheitsbezogenen Beeinträchtigung des alltäglichen Lebens. Die statistische Auswertung erfolgte mit PASW Statistics 17. Ergebnisse. Vier Jahre nach dem stationären Aufenthalt fühlten sich 69,8% der Patienten weniger durch ihre Schmerzen im alltäglichen Leben beeinträchtigt als zum Aufnahmezeitpunkt (Rücklauf 36%; PDI Median MD Aufn=32,50; 48 M=19,00; p=0,000, Effektstärke der Behandlung nach Cohen d=0,9±0,09). Hinsichtlich der körperlichen Aspekte verbesserte sich die Lebensqualität signifikant (MD SF36 körperliche Summenskala Aufn=31,19; 48M=37,70; besser 75,6%; p=0,000; d=0,7±0,10). Die durchweg positive Entwicklung der psychischen Aspekte der Lebensqualität konnte jedoch signifikant nur bis zu 12 M poststationär nachgewiesen werden (SF36 psychische Summenskala: MD Aufn=39,14; 12 M=51,55; besser 61,4%; p=0,026; d=0,57±0,07). Ihre Schmerzen erlebten die Patienten langfristig als weniger quälend (SES affektiv MD Aufn=36,50; 48 M=25,00; p=0000; d=0,88±0,09). Sie gaben an, dass sich die Schmerzen weniger auf die normale Arbeit auswirkten (SF36 Subskala Schmerz MD Aufn=22,0; 48 M=41,0; p=0,000; d=1,04±0,11). Auch fühlten sie sich vitaler als vor dem therapeutischen Aufenthalt (SF36 Vitalität MD Aufn=35,0; 48 M=45,0; p=0,000; d=0,79±0,08). Das Ausmaß ihrer psychischen Beeinträchtigung (Angst, Depressivität) beurteilten die Patienten ebenfalls auch nach 48 Monaten als geringer als zum Aufnahmezeitpunkt (HADS: Angst MD Aufn=9,0; 48 M=7,0; p=0,007; d=0,45±0,06; Depression MD Aufn=7,0; 48 M=5,0; p=0,031; d=0,44±0,07). Schlussfolgerungen. Unsere Ergebnisse zeigen, dass ein einmaliger, intensivtherapeutischer stationärer Aufenthalt in einer naturheilkundlich orientierten, multimodal arbeitenden Klinik mit hoher, interdisziplinärer Personaldichte zu nachhaltigen, über mindestens 4 Jahre anhaltenden Therapieerfolgen bei Patienten mit hochgradig chronifizierter, multilokulärer Schmerzerkrankung führt.
P16. 3 Reflexzonentherapie am Fuß in der stationär multimodalen Schmerzbehandlung E. Hertl1, T. Schramm2 1Schmerzzentrum an der Sana Klinik Nürnberg, Naturheilkundliche Praxis, Nürnberg, Deutschland, 2Schmerzzentrum an der Sana Klinik Nürnberg, Praxis für Anaesthesie und Schmerztherapie, Nürnberg, Deutschland Einleitung. Die Reflexzonentherapie am Fuß (RZF) wird noch selten zur Beeinflussung chronischer Schmerzzustände eingesetzt. Mögliche Ursachen sind Berührungsängste mit Regulationsverfahren oder gar eine Ablehnung aus Gründen der Anwendung sog. Fußreflexzonenmassage im Wellnessbereich. Entsprechend ist die Studienlage des Einsatzes einer Reflexzonentherapie am Fuß zur Behandlung chronischer Schmerzen mangelhaft oder deren Wirkung nur in Einzelfallbeschreibungen dokumentiert. Fragestellung. Ist die RZF nach Hanne Marquard ein wirkungsvoller Therapiebaustein in der multimodalen Schmerzbehandlung? Werden auch psychovegetative Beschwerden beeinflusst? Material und Methode. Die RZF unseres stationär multimodalen Schmerzprogramms wurde mittels standardisiertem Patientenfragebogen überprüft. Die Patienten wurden zur Stärke ihres Hauptschmerzes, weiterer Schmerzen und psychovegetativer Begleitsymptome auf einer numerischen Rating-Skala von 0–10 unmittelbar vor und 48 h nach jeder Einzelbehandlung befragt. Erhebung von 91 Behandlungen an 42 Patienten im Chronifizierungsgrad III (n. Gerbershagen) im Zeitraum 2/2010 bis 6/2011. Lokalisation der Hauptschmerzen (nozizeptiv, neuropath., mixed Pain): Kopf, Schulter, Wirbelsäule, Abdomen, Extremitäten. Altersverteilung: 25 bis 83 Jahre, im Mittel 54,2 Jahre. Geschlechtsverteilung: m-12, w-32. Ergebnisse. Veränderungen vor und nach Behandlung (NRS 0–10): Hauptschmerzstärke von 5,9 auf 4,7 (−1,2); Begleitschmerzen: Wirbelsäule, Gelenke von 5,4 auf 3,8 (−1,6); musk. Verspannung, Krämpfe von 5,2 auf 3,7 (−1,5); Kopfschmerz von 4,6 auf 3,6 (−1,0) ; Gemütslage: Unruhe 5,0 auf 3,3 (−1,7), Depression 4,9 auf 3,2 (−1,7), Lustlosigkeit 4,8 auf 3,0 (−1,8), inneres Gleichgewicht 4,8 auf 2,7 (−2,1), Aussichtslosigkeit 4,8 auf 3,1 (−1,7); Essen, Verdauung 4,7 auf 3,6 (−1,1); Herz-Kreislauf 4,0 auf 2,9 (−1,1); Haut: Schwitzen 4,0 auf 3,1 (−0,9), Pickel 4,0 auf 4,5 (+0,5), Juckreiz 4,7 auf 3,8 (−0,9); Temperaturempfindung: Frieren, Hitze 5,1 auf 3,4 (−1,7); gestörter Nachtschlaf 4,7 auf 5,1 (+0,2). Erstverschlimmerung bei 9 Behandlungen. Diskussion. Es zeigte sich eine deutliche Wirkung der RZF auf Schmerzen, stärker auf Begleitschmerzen als auf den angegebenen Hauptschmerz. Alle psychovegetativen Symptome außer die schmerzbedingte Störung des Nachtschlafs wurden positiv beeinflusst. Diese Wirkung wurde mit nur 1-mal wöchentlicher Behandlung erzielt. Der Einfluss anderer Therapiebausteine im Setup wurde durch Anwendung der RZF vor dem behandlungsfreien Wochenende ausgeschlossen. Der geringe bzw. negative Einfluss auf den gestörten Nachtschlaf bleibt zu diskutieren (ungewohnte Umgebung/Tagesablauf und Zimmergenossen?). Die langfristige Wirkung der RZF bleibt zu überprüfen. Schlussfolgerung. Die RZF ist ein wirkungsvoller Therapiebaustein der multimodalen Schmerztherapie. Die psychovegetativen Begleitsymptome des chronischen Schmerzsyndroms mit Ausnahme des Nachtschlafs werden positiv beeinflusst.
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Abstracts P16.4 Zunahme des Lernerfolgs bei der ultraschallgezielten Stella tumblockade und Intercostalblockade durch den Einsatz von Phantom-Modell K. Bauer1, J. Blunk1, J. Benrath1 1Klinik für Anästhesiologie, Universitätsmedizin Mannheim, Mannheim, Deutschland Ziel. Die ultraschallgestützte Blockade von peripheren Nerven wird innerhalb der Anästhesie und der interventionellen Schmerztherapie zusehends wichtiger. Dahingehend ist es aber für den Arzt oft schwierig die geforderten anatomischen Kenntnisse mit der praktischen Handhabung der Geräte zu verknüpfen. Entsprechend gibt es nur wenige Modelle an denen diese, vor allem interventionellen Techniken, geübt werden können, ohne den Patienten zu schädigen. Die Verbesserung des Trainings ist deswegen umso wichtiger hinsichtlich der Patientensicherheit und der verbesserten Erfolgsrate der Blockade. Bereits vor zwei Jahren wurden zwei Phantome beim deutschen Schmerzkongress vorgestellt, ein Trainingsphantom zur ultraschallgezielten Stellatumblockade und ein Modell zur Blockade der Intercostalnerven. Diese Modelle wurden jetzt in ein Trainingscurriculum eingebaut, das an 3 Gruppen von Studenten und Ärzten getestet wurde. Methoden. Intensiviertes Trainingsprogramm bestehend aus theoretischem Teil, praktischem Teil zur Erlernung der Hand-Augen-Koordination am Gel-Kissen, und einem weiteren praktischen Teil mit jeweils 5 Trainingsdurchgängen an den zwei Phantomen (Stellatum, Intercostal). Zur Dokumentation des Trainingserfolges wurde die Zeit gestoppt, die der Teilnehmer benötigte um die Blockade durchzuführen. Weiterhin wurden die Anzahl der Punktionsversuche, sowie die Nadelkorrekturen verzeichnet. Die Teilnehmer wurden in 3 Gruppen eingeteilt: Gruppe A: keine Ultraschallerfahrung; Gruppe B: diagnostische Ultraschallerfahrung; Gruppe 3: „Experten“ mit Erfahrung in ultraschallgezielten Blockaden. Ergebnisse. Die Lernkurven zeigten einen Startwert, der abhängig von der Ultraschall-Expertise des Teilnehmers abhängig war. Die Ultraschallnaiven, meist Studenten, waren zu Beginn signifikant langsamer, erreichten aber am Ende des fünften Trainingdurchgangs vergleichbare Zeiten wie die „Expertengruppe“. Der gleiche Verlauf der Lernkurve konnte auch bei der Anzahl der durchgeführten Punktionen, mit Korrekturen, festgestellt werden. Zusammenfassung. Die Lernkurven von ultraschallnaiven Probanden, die die Intervention an unseren Phantommodellen erlernen, passen sich innerhalb von 5 Trainingsdurchgängen denen von erfahrenen Ärzten an. Dies untermauert die große Wichtigkeit von Trainingsprogrammen an Phantomen um eine realistische Situation für den Lernenden zu schaffen um dessen Handfertigkeiten und dadurch die Patientensicherheit zu verbessern. Wenn möglich soll diese Modelle und das Curriculum in den Studentenunterricht, aber auch bei der Weiterbildung der ärztlichen Kollegen eingesetzt werden.
P16.5 Langzeiteffekt der Ohrakupunktur auf Mobilität und Schmerz erleben bei chronischen Rückenschmerzen: „Pilotstudie“ G. Scharbert1, M. Zadrazil1, M. Wittrich1, S. Kozek-Langenecker1 1Medizinische Universität Wien, Spezielle Anästhesie und Schmerztherapie, Wien, Österreich Fragestellung. Chronische Rückenschmerzen stellen ein großes individuelles und sozioökonomisches Problem dar [1]. Ohrakupunktur ist eine Therapiemöglichkeit, die erst in wenigen Studien auf ihre Effektivität hin untersucht wurde [2]. Diese Studie sollte testen, ob ein positiver Langzeiteffekt auf Mobilität und Schmerzempfinden bei PatientInnen mit chronisch nicht-malignen, pseudoradikulären Rückenschmerzen nach Ohrakupunkturbehandlung nachzuweisen ist.
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Studiendesign/Methodik. Diese Studie wurde monozentrisch, nicht verblindet, prospektiv und kontrolliert durchgeführt. 30 PatientInnen (ASA I–III, Alter zwischen 19 und 80 Jahren, VAS ≥4, zeitlicher Abstand zur letzten Akupunkturbehandlung >6Monate) unterzogen sich direkt nach Beendigung einer Ohrakupunkturbehandlung [Punkt Jerome (20b), Shen Men (55), LWS-Zone (40), 1-mal pro Woche für 10 Wochen] und 6 Monate später einem Testpanel, das Funktionalität der Wirbelsäule, Mobilität und Schmerzerleben untersuchte (FingerBoden-Abstand, Functional Reach, Schober-Test, 6-Minuten-Gehtest, Timed-up and Go-Test, McGill-Questionnaire und VAS). Ergebnisse. Ohrakupunktur zeigte einen signifikant positiven Langzeiteffekt (p<0,05) auf Mobilität und Koordination (Timed-up and Go-Test) und auf die subjektive Schmerzwahrnehmung (Pain-RatingIndex, PRI, im McGill-Questionnaire) durch die PatientInnen. Diskussion. Zusätzlich zur der üblichen Evaluierung von Funktionalität mittels Fragebögen, könnte die Messung von Funktionsparametern den Datenvergleich bei der Evalution von Schmerzkontrolle erleichtern. Limitationen dieser Pilotstudie sind die geringe PatientInnenzahl und eine unausgewogene Geschlechterverteilung. Schlussfolgerung. Diese Pilotstudie zeigt positive Langzeiteffekte der Ohrakupunktur in einem Testpanel (Funktionalität der Wirbelsäule, Mobilität und Schmerzerleben). Aufgrund der geringen PatientInnenzahl soll eine weiterführende Studie mit einem größeren Kollektiv durchgeführt werden. 1. Harald Breivika et al. European Journal of Pain 2006 2. Sator-Katzenschlager et al. Anesth Analg. 2004
P16.6 Einfluss eines implantierten Neurostimulators auf die quan titativ-sensorische Testung bei einer Patientin mit primärem Raynaud-Syndrom T. Münster1, N. Tiebel1, H. Seyer2, C. Maihöfner3 1Klinik für Anästhesie, Universitätsklinikum Erlangen, Erlangen, Deutschland, 2Neurochirurgische Praxis, Erlangen, Deutschland, 3Klinik für Neurologie und Schmerzzentrum, Universität Erlangen, Erlangen, Deutschland Fragestellung. Neurostimulation (NS) ist eine effektive Therapie bei der Behandlung von neuropathischen Schmerzsyndromen. Darüber hinaus scheint eine Beeinflussung der somatosensorischen Wahrnehmung zu bestehen. Diese Fallbeschreibung stellt die Frage, ob die quantitativ-sensorische Testung (QST) bei einer Patientin mit primärem Raynaud-Syndrom durch NS moduliert wird. Material und Methoden. Wir berichten von einer 44-jährigen Raynaud-Patientin mit einem implantierten Neurostimulator (zervikale und lumbale Elektrode). Die QST wurde nach einem standardisierten Protokoll durchgeführt. Folgende Schwellen wurden bestimmt: Kalt(CDT) und Warmempfinden (WDT), Kälte- (CPT) und Hitzeschmerz (HPT), taktile Empfindung (MDT), mechanischer Schmerz (MPT), Vibrationsempfindung (VDT) und Druckschmerz (PPT). Wir testeten beide Handrücken der Patientin bei ein- und ausgeschalteter NS. Die Messwerte wurden mittels Z-Transformation basierend auf Daten einer Kontrollgruppe (n=80) normiert. Ergebnisse. Die Patientin zeigt gegenüber den Kontrollen eine schlechtere Wahrnehmung für Kälte und Vibrationsstimuli sowie eine bessere Wahrnehmung für taktile Stimuli und mechanische Schmerzreize. Die NS verstärkt dabei die Unterschiede im Temperaturempfinden und verringert den Unterschied bei der mechanischen Detektionsschwelle. Diskussion und Schlussfolgerung. Die NS moduliert die QST bei unserer Raynaud-Patientin, wobei vor allem Aβ- und Aδ-Fasern beeinflusst werden.
P16.7 Analyse des Einflusses einer multimodalen Schmerzbehandlung auf die Hautsensorik, Schmerzempfindung und Schmerztole ranz von chronischen Schmerzpatienten
P16.8 Wirksamkeit einer kopfschmerzspezifischen multidisziplinären Tagesklinik in einem tertiären Kopfschmerzzentrum und Ad härenz bezüglich der Therapieempfehlungen
G. Pavlakovic1, J. Strube1, M. Pfingsten1, A. Willweber-Strumpf1, C. Bachmann2, F. Petzke1 1Universitätsmedizin Göttingen, Schmerztagesklinik – und Ambulanz, Göttingen, Deutschland, 2Universitätsmedizin Göttingen, Klinische Neurophysiologie, Göttingen, Deutschland
C. van Doorn1, Z. Katsarava1, G. Fritsche1, C. Gaul1 1Westdeutsches Kopfschmerzzentrum, Klinik für Neurologie, Essen, Deutschland
Fragestellung. Die moderne Behandlung chronischer Schmerzen des muskuloskeletalen Systems basiert auf einem multimodalem Verständnis und Konzept der Therapie. Langfristige Effekte solcher Therapiekonzepte wurden in vielen Studien belegt, wobei der Fokus auf schmerzbezogenen, funktionellen und psychosozialen Ergebnisparametern lag. Ob diese Verbesserung klinischer und funktioneller Parameter einen Einfluss auf die Schmerzempfindung hat und/oder ob sich die Schmerztoleranz verbessert, wurde bis jetzt kaum untersucht. Material und Methode. In dieser Studie wurde die Sensorik, Schmerzempfindung und Schmerztoleranz mit quantitativ sensorischer Testung vor, am Ende und 8 Wochen nach einer 4-wöchigen multimodalen Behandlung in unserer Schmerztagesklinik analysiert. Dazu wurden elektrische, thermische und mechanische Stimulationen eingesetzt sowie das Vibrationsempfinden der Patienten getestet. Es wurden entsprechende Wahrnehmungsschwellen, Schmerzschwellen und Schmerztoleranzen gemessen. Die Patienten hatten als Hauptdiagnose überwiegend chronischen, unspezifischen Rückenschmerz und/oder Fibromyalgie (90%). Für die meisten Parameter fand eine Messung an Arm und Fuß statt. Alle gemessenen Patienten hatten das gesamte 4-wöchige Behandlungsprogramm absolviert. Vor und nach der Behandlung wurden schmerzbezogene, funktionelle und psychosoziale Parameter mittels Fragebögen und standardisierter Funktionstest erfasst. Ergebnisse. Insgesamt 30 Patienten wurden untersucht. Eine erste, vorläufige Analyse zeigte bei allen Tests für sensorischen Wahrnehmungsschwellen keine Änderung in der Empfindlichkeit nach dem tagesklinischen Programm. Schmerzschwellen für thermische Kälte und Hitzereize zeigten auch keine signifikante Änderung. Die Ergebnisse der Messung der Schmerzschwelle für mechanische Stimulation (Druckalgometer) zeigte für die gesamte Gruppe eine signifikante Zunahme im Behandlungsverlauf und auch weiterhin nach 8 Wochen. Vergleichbar nahmen auch die Schmerzschwelle und die Schmerztoleranz für elektrische Reizung über den Behandlungsverlauf zu. Für die gesamte Gruppe ergab sich im Cold-Pressor-Test kein signifikanter Effekt, allerdings hatte eine (kleinere) Subgruppe der Patienten keine oder nur geringe Erhöhung der Schmerztoleranz am Ende der Studie, die aber 8 Wochen nach der Studie nicht mehr präsent war. Bei der anderen, größeren Subgruppe der Patienten war die Kälteschmerztoleranz erhöht und blieb auch nach 8 Wochen noch bestehen. Diskussion. Eine vorläufige Analyse zeigt Veränderungen der experimentellen Schmerzwahrnehmung, insbesondere in Bezug auf Schmerzschwellen und Schmerztoleranz. Die Wahrnehmungsschwellen zeigten sich unverändert. Schlussfolgerung. Die potenzielle klinische Bedeutung dieser Ergebnisse und mögliche Relevanz dieser Tests in klinischer Praxis werden in der Präsentation analysiert und diskutiert.
Fragestellung. Ziel dieser Studie ist es, die klinische Wirksamkeit eines kopfschmerzspezifischen multidisziplinären Behandlungsprogramms in einem tertiären Kopfschmerzzentrum und die Adhärenz bezüglich der Therapieempfehlungen bei Patienten mit Migräne, Kopfschmerz vom Spannungstyp und Medikamentenübergebrauchskopfschmerz zu untersuchen. Das Therapiekonzept umfasst pharmakologische Therapie, ärztliche und psychologische Edukation, Progressive Muskelrelaxation, Physiotherapie und aeroben Ausdauersport. Material und Methoden. 295 konsekutiv eingeschlossene Patienten (Migräne n=210, Kopfschmerz vom Spannungstyp n=17, Kombination aus diesen beiden Kopfschmerzarten n=68; 56 Patienten mit zusätzlichem Medikamentenübergebrauchskopfschmerz), die im Jahr 2008 im Westdeutschen Kopfschmerzzentrum des Universitätsklinikums Essen die 36-stündige Tagesklinik besuchten, wurden im Rahmen der Anamnese zum Beginn der Tagesklinik und mittels eines telefonischen Interviews 12 bis 18 Monate später befragt. Ergebnisse. 43% der Teilnehmer erreichten den primären Zielpunkt (Reduktion der Kopfschmerztage pro Monat um mindestens 50%). Patienten mit einer Kombination aus Migräne und Kopfschmerz vom Spannungstyp zeigten eine geringere Wahrscheinlichkeit für das Erreichen dieses Zielpunktes im Vergleich zu Patienten mit alleiniger Migräne (OR=3,136, p=0,002) und alleinigem Kopfschmerz vom Spannungstyp (OR=1,029, n.s.). Weitere günstige Prädiktoren waren eine initial hohe Kopfschmerzfrequenz (OR=1,092, p≤0,0001) und die Umsetzung von mindestens sechs der acht Empfehlungen zur Veränderung der Alltagsgewohnheiten (OR=1,269, p=0,004). 51 von 56 Patienten (91%) mit Medikamentenübergebrauchskopfschmerz wurden erfolgreich behandelt. 35% der Patienten setzten die pharmakologische Therapie um, 61% zeigten Adhärenz bezüglich der Progressiven Muskelentspannung und 72% betrieben aeroben Ausdauersport. Im Durchschnitt setzten die Patienten sechs der acht Empfehlungen zur Veränderung der Alltagsgewohnheiten um. Diskussion und Schlussfolgerung. Die multimodale tagesklinische Behandlung ist ein effektiver Ansatz in der Therapie von häufiger Migräne und Kopfschmerz vom Spannungstyp sowie von Medikamentenübergebrauchskopfschmerz. Höhere Adhärenz war mit einer höheren Wahrscheinlichkeit für das Erreichen des primären Zielpunktes assoziiert. Aus diesem Grund sollte in der Langzeittherapie von Kopfschmerzen ein großes Augenmerk auf die Motivation zur Umsetzung der Therapieempfehlungen gelegt werden.
P16.9 Multimodales Schmerzprogramm für Kinder und Jugendliche mit chronischen Kopfschmerzen C. Gravou-Apostolatou1, Y. Böswald1, P. Mattenklodt1, N. Grießinger2, R. Sittl1 1Schmerzzentrum, Universitätsklinikum, Erlangen, Deutschland, 2Universitätsklinikum Erlangen, Anästhesiologische Klinik, Erlangen, Deutschland Einleitung. Kopfschmerzen sind eines der häufigsten Symptome in der Kinderheilkunde. In der Literatur ist eine deutliche Zunahme der Kinder und Jugendliche mit behandlungsbedürftigen Kopfschmerzen zu erkennen. Dennoch werden speziell für Kinder, außer einer rein medikamentösen Therapie, wenige Behandlungsmöglichkeiten angeboten. Dabei wäre eine frühzeitige Intervention zur Vermeidung einer Chronifizierung notwendig.
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Abstracts Methodik. Seit März 2009 bietet die Kinder- und Jugendklinik Erlangen in Zusammenarbeit mit der Anästhesiologischen Klinik und dem Schmerzzentrum ein multimodales Schmerzprogramm für Kinder und Jugendliche mit chronischen Kopfschmerzen. Wesentliches Ziel des Programms war das Erlernen von Selbsthilfestrategien zur Kopfschmerzprophylaxe und -bewältigung. Die Gruppe setzte sich aus 6 bis 8 Jugendliche im Alter von 10 bis 16 Jahren zusammen. Es erstreckt sich über 11 Wochen (9 Gruppensitzungen die jeweils vier Stunden dauern an einem Tag/Woche sowie 2 Einzelsitzungen mit den Eltern). Die Patienten lernten im Kopfschmerztraining die Pathophysiologie der Kopfschmerzen, Kopfschmerz-ursachen, Stressbewältigungskonzepte, Problemlösestrategien, Entspannungsverfahren und Selbstsicherheitsübungen kennen. Als nichtmedikamentöse Therapieverfahren werden TENS und Akupressur angewendet. Weiterhin erhalten die Patienten Informationen über Medikamente, Schlafhygiene und Ernährung. Die Körperwahrnehmung wird mit Feldenkrais-Übungen und Bewegungstherapie gestärkt. Eine Gruppensitzung beinhaltet eine intensive Schulung und Beratung der Eltern. Bei dieser und im Abschlussgespräch erhalten die Eltern Informationen über die Art, Entstehung und Entwicklung der Schmerzen ihres Kindes, über Therapiemöglichkeiten und über schmerzauslösende bzw. aufrechterhaltende Bedingungen (emotionale, familiäre und operante Faktoren) und Erarbeitung von Verhaltensweisen für den elterlichen Umgang mit Schmerzen. In einem individuellen Abschlussgespräch werden u. a. die Ziele für die nächsten Monate festgelegt. Eine Wiedervorstellung erfolgt nach sechs Monaten und nach zwölf Monaten. Das Team besteht aus Kinderärztin, Schmerztherapeuten, Psychologen und Physiotherapeuten. Schlussfolgerung. Die Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit chronischen Schmerzen ist komplex und sollte aus mehreren Bausteinen bestehen, die über die reine medikamentöse Schmerztherapie weit hinausgehen und auch nichtmedikamentöse Verfahren berücksichtigen (multimodales Therapiekonzept). Die enge Kooperation zwischen Kinderarzt, Schmerztherapeuten, Psychologen und Physiotherapeuten ist Voraussetzung für eine optimale Therapie. Um der Komplexität der Erkrankung gerecht zu werden sollten Kinder- und Jugendliche mit chronischen Schmerzen interdisziplinär behandelt werden.
P16.10 Managementansätze in der multimodalen Schmerztherapie Berücksichtigung geriatrischer Aspekte M. Dunkel1 1Adolores, Praxis für Schmerz- und Stressbewältigung, Erlangen, Deutschland Hintergrund und Fragestellung. Aus den Ansätzen von Prozess- und Changemanagement können zahlreiche Impulse für den therapeutischen Kontext hervorgehen. Durch Verknüpfung dieser ökonomischen Sichtweisen mit Konzepten für die Therapie chronischer Schmerzen entstehen neue Perspektiven, insbesondere für den multimodalen Behandlungsansatz. Diese beinhalten Aussagen zu Therapieabläufen (1), Behandlungszielen (2) als auch Hypothesen zu Wirkungen (3) in der multimodalen Schmerztherapie. Es wird untersucht, inwiefern diese, unter Berücksichtigung geriatrischer Aspekte, die Vorgehensweise in der multimodalen Schmerztherapie sinnvoll ergänzen können. Methodik. Ansätze aus Prozess- und Changemanagement werden hergeleitet, in der multimodalen Schmerztherapie angewendet und geriatrische Besonderheiten miteinbezogen. Es wird untersucht, inwiefern diese Ansätze in multimodalen Therapieprogrammen anwendbar und nutzbringend sein können. Ergebnisse. Es lassen sich Parallelen zwischen ausgewählten Ansätzen aus Prozess- bzw. Changemanagement und Sichtweisen der multimodalen Schmerztherapie finden. Darüber hinaus erscheint es möglich, bestimmte Vorgehensweisen in der multimodalen Schmerztherapie mithilfe von Managementansätzen zu erfassen und darzustellen. Dies kann über die Beschreibung von Prozesslandschaften (1), Zielsyste-
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men (2) und der Hypothese der dynamischen Kernkompetenzen (3) geschehen. Über die Anwendung einer Prozesslandschaft (1) lassen sich Struktur und Methodik eines multimodalen Therapieprogramms erfassen. Dabei zeichnet sich die multimodale Schmerztherapie durch eine enge konzeptuelle Verknüpfung der Therapieeinheiten (Kernprozesse) aus sowie durch eine intensive interdisziplinäre Zusammenarbeit (Managementprozesse). Die Darstellung einer Prozesslandschaft ermöglicht daher eine Differenzierung multimodaler Therapieprinzipien von multidisziplinären Behandlungsformen ohne enge interdisziplinäre Zusammenarbeit. Behandlungsziele können dabei in einem Zielsystem (2) aufgetragen werden. Ein übergeordnetes Therapieziel, insbesondere für den geriatrischen Patienten, stellt hierbei „Wohlbefinden und Aktivität mit Schmerzen“ dar. Mithilfe des Konzepts der dynamischen Kernkompetenzen (3) ließen sich das Prinzip der Selbstwirksamkeit sowie weitere Verbesserungen der Behandlungsergebnisse nach Beendigung von Therapieprogrammen erklären. Diskussion. Die Verknüpfung von Managementansätzen mit Behandlungsprinzipien in der multimodalen Schmerztherapie ist neu und daher weder klinisch validiert noch in der Literatur bisher untersucht. In diesem Zusammenhang können die Ansätze dazu beitragen, die Vorgehensweisen in multimodalen Behandlungsformen sinnvoll zu ergänzen und darzustellen. Die ausgewählten Managementansätze tragen somit zu einer Systematik wie auch Standardisierung von multimodalen Therapieprinzipien bei. Diese lassen einen therapeutischen Handlungsspielraum zu und berücksichtigen individuelle Besonderheiten wie z. B. geriatrische Therapieaspekte. Somit können die Ansätze der Prozesslandschaft, des Zielsystems sowie der Definition der dynamischen Kernkompetenzen auf unterschiedliche Patienten- und Zielgruppen abgestimmt werden. Inwieweit jedoch über die Standardisierung ein Beitrag zu Qualität in der multimodalen Schmerztherapie geleistet wird, kann derzeit nicht bewertet werden.
P16.11 Stationäre multimodale Behandlung chronischer Schmerzen – soziodemographische Merkmale zweier Zentren in München A. Schneider1, D. Schroll2, B. Klasen1, R. Thoma1 1Diakoniewerk München-Maxvorstadt, Interdisziplinäres Zentrum für Schmerztherapie, München, Deutschland, 2Algesiologikum/Schmerzzentrum München Maxvorstadt, stationäre Schmerztherapie, München, Deutschland Einleitung. Seit 10/2008 werden im Diakoniewerk München Maxvorstadt und seit 07/2009 im Krankenhaus für Naturheilweisen in München Harlaching Patienten mit chronischen Schmerzen vollstationär behandelt. Im Diakoniewerk München Maxvorstadt liegen die Behandlungsschwerpunkte auf der multimodalen Schmerztherapie (MMP), invasiver (z. B. Injektionen, SCS etc.) Behandlungen und einem Schwerpunkt „Schmerzen im höheren Lebensalter“. Im Krankenhaus für Naturheilweisen werden die Schmerzpatienten konservativ multimodal behandelt; nicht zuletzt deswegen ist der Anteil an psychisch belasteteren Schmerzpatienten an diesem Standort höher. Ziel der vorliegenden Untersuchung war eine erste soziodemographische Beschreibung der Patientenpopulation in beiden Standorten. Fragestellung. Finden sich soziodemographische Unterschiede zwischen den Patientenpopulationen der beiden schmerztherapeutischen Einrichtungen und lassen sich diese möglicherweise auf unterschiedliche Schwerpunkte des Therapieangebotes zurückführen? Methode. Untersucht wurden 1067 im Diakoniewerk München Maxvorstadt und 575 vollstationär behandelte PatientInnen im Krankenhaus für Naturheilweisen hinsichtlich verschiedener soziodemographischer Daten sowie der Schmerzdauer vor Behandlungsbeginn und des Chronifizierungsgrades (Stadien n. Gerbershagen) ihrer Schmerzen. Ausgewertet wurden Daten aus dem Deutschen Schmerzfragebogen 2007 [1].
Ergebnisse. Beide Standorte wiesen einen wesentlich höheren Frauenanteil auf (DMM: 64,7%w und 35,3%m, KfN: 70,8% w und 29,2% m). In Bezug auf die Altersverteilung wurden Unterschiede zwischen DMM und KfN erkennbar. Während sich die Altersstruktur im DMM recht gleichmäßig auf die 51- bis 80-Jährigen (60,3%) verteilt, liegt der Schwerpunkt im KfN klar bei den 41- bis 60-Jährigen (52%). Die Schmerzdauer vor Behandlungsbeginn ist bei beiden Standorten ähnlich verteilt, wobei ca. 35% beider Patientengruppen angeben, bereits seit mehr als 5 Jahren unter Schmerzen zu leiden. Die Verteilung des Chronifizierungsgrades der jeweiligen Patienten unterscheidet sich insofern, dass im KfN anteilig mehr Patienten mit einem höheren Chronifizierungsgrad vollstationär behandelt wurden (DMM: Chronifizierungsgrad I: 3,8%, II: 53,9&&; III: 42,3%; KfN: Chronifizierungsgrad I: 2,4%; II: 50,0%; III: 47,6%). Diskussion. Ähnliche soziodemographische Ergebnisse fanden auch Frettlöh et al. [2], weshalb es lohnenswert erscheint, Zusammenhänge dieser Art weiter nachzugehen. Die ersten Daten dieser Erhebung lassen erkennen, dass sich die Behandlungsschwerpunkte der beiden Schmerzzentren in den soziodemographischen Variablen wiederfinden (Altersverteilung, Unterschiede in den Schwergraden). In der noch laufenden Untersuchung bleiben die Follow-up-Erhebungen abzuwarten, die ggf. eine Vorhersage des Erfolges der Behandlungen in den verschiedenen Standorten erlauben. 1. http://www.dgss.org/fileadmin/pdf/DSFEndversion.pdf 2. J. Frettlöh, C. Maier, H. Gockel, M. .Zenz, M. Hüppe (2009): Patientenkollektiv deutscher schmerztherapeutischer Einrichtungen. In: Der Schmerz 6 (2009)
P18 – Psychologie und Psychotherapie des Schmerzes P18.1 Die Bedeutung der posttraumatischen Belastungsstörung bei Patienten mit chronischen Rückenschmerzen D. Muth-Seidel1, U. Peschel2 1Asklepios Klinik St. Georg Hamburg, Frührehabilitation, Hamburg, Deutschland, 2Asklepios Krankenhaus St. Georg, Interdisziplinäres Wirbelsäulenzentrum, Hamburg, Deutschland In der stationären und teilstationären Schmerztherapie zeigen Patienten mit chronischen Rückenschmerzen als Begleitsymptomatik häufig multiple psychosomatische und psychiatrische Störungsformen. Effiziente Selbstbeurteilungs- und Fremdbeurteilungsverfahren, deren diagnostische Aussagefähigkeit und Kombinationsmöglichkeiten der diagnostischen Mittel werden vorgestellt (AKV, PDS-d2, FESV, QUISS, BDI-II, narratives Interview in Kurzform). Untersucht wurde in einem Zeitraum von zwei Jahren bei 50 Patienten das Vorkommen von PTBS bei chronischen Rückenschmerzpatienten in der stationären und teilstationären orthopädischen Frührehabilitation. Die Diagnose der PTBS war zum Zeitpunkt der Diagnostik nicht bekannt. Patienten mit sonstigen chronischen Schmerzsyndromen wurden vergleichend untersucht. Chronische Rückenschmerzen sind eine mögliche Folgeerscheinung der posttraumatischen Belastungsstörung, die mit den Symptomgruppen Angst und Depression einhergeht. Die biografischen Erlebensfaktoren aus einem narrativen Interview lassen einen Schluss auf emotionale, motivationale und den Schmerz verarbeitende kognitive Strukturen des Schmerzpatienten zu. Diese erleichtern den Umgang mit dem Patienten und geben einen Ausblick auf den Therapieerfolg. Die Untersuchungsergebnisse zeigen, dass in unserer Studie eine signifikante Häufung des Vorkommens der PTBS bei chronischen Rückenschmerzpatienten besteht. In der Kontrollgruppe konnte eine Häufung der PTBS nicht über eine spezifische weitere Schmerzerkrankung nachgewiesen werden.
Es ist daher von entscheidender Bedeutung, eine effektive psychotherapeutische Behandlung multimodal zu begründen: als psychisch relevante Bereiche für einen entstandenen chronischen Rückenschmerz können Trauma, Ängste und depressive Störungen sowie auch die Gesundungsmotivation, kognitive Leistungsfähigkeit, emotionales Erleben und soziales Umfeld gleichermaßen oder anteilig bedeutsam sein und einen Einfluss auf die Erkrankung darstellen. Die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) ist ein Störungsbild, welches die Behandlung stark beeinflussen kann. Die diagnostische Berücksichtigung der PTBS in der Orthopädie ist daher für eine erfolgreiche Behandlung oft entscheidend.
P18.2 Lebensstile chronischer SchmerzpatientInnen G. Kloimstein Saumer1 1erstellt am Institut für Gesellschafts- und Sozialpolitik, Johannes Kepler Universität, Linz, Österreich Fragestellung. Der Anteil chronischer SchmerzpatientInnen an der europäischen Bevölkerung beträgt 19% [1], und wird sich mit Anstieg des Durchschnittsalters und der Lebenserwartung weiter erhöhen. Zahlreiche Publikationen beschreiben den „klassischen“ chronischen Schmerzpatienten im Hinblick auf Alter, Geschlecht, Soziale Klasse und Berufsstatus oder Religiosität. Gibt es unter chronischen SchmerzpatientInnen auch signifikante Lebensstile, die bereits vor Chronifizierung erhoben und als Frühwarnsystem eingesetzt werden könnten? Material und Methode. Die theoretische Basis der Untersuchung bilden das biopsychosoziale Schmerzmodell von Nilges [2] sowie die Lebensstiltheorie von Spellerberg [3], die expressives und interaktives Verhalten, sowie evaluatives Verhalten der Lebensführung zur Operationalisierung von Lebensstilen heranzieht, und 9 Lebensstile definiert. Die darauf aufbauende quantitative Sozialforschung wird anhand einer randomisierten Stichprobe von 150 chronischen Nicht-Tumorschmerzpatienten (CNCP; nCNCP=150; Alter >18 Jahre; Schmerzen seit >6 Monaten; VAS ≥3) als zu untersuchende Gruppe und 150 akuten Schmerzpatienten (AP; nAP=150; Alter >18 Jahre; Schmerzen seit <6 Monaten; VAS 0–10) als Vergleichsgruppe durchgeführt. Als Instrument kommt ein standardisierter Lebensstilfragebogen mit Antwortalternativen nach Spellerberg zum Einsatz. Bei den CNCP zusätzlich der MPSS (Mainz Pain Staging System)-Fragebogen. Die Auswertung der erhobenen Daten erfolgt anhand eines in C++ geschriebenen und mit der Entwicklungsumgebung Visual Studio 2008 programmierten Tools. Ergebnisse. Bei 4 von 9 definierten Lebensstiltypen unterscheiden sich CNCP signifikant (α=0,01) von AP. Dies betrifft die Lebensstiltypen 8 („Traditionelle, zurückgezogen Lebende“, hCNCP=27%, hAP=7%) und 9 („Traditionelle, freizeitaktive Ortsgebundene“, hCNCP=36%, hAP=20%), sowie die Lebensstiltypen 3 („postmaterielle, aktive Vielseitige“, hCNCP=1%, hAP=10%) und 7 („freizeitorientierte Gesellige“, hCNCP=4%, hAP=16%). Diskussion. Die unter den CNCP dominierenden Lebensstiltypen „traditionelle, zurückgezogen Lebende“ und „traditionelle, freizeitaktive Ortsgebundene“ zeichnen sich durch einen eingeschränkten Aktionsradius sowie ein traditionelles kulturelles Geschmacksmuster aus. Lebensstile, für die außerhäusliche, öffentliche Beschäftigung und moderne Kulturmuster charakteristisch sind, sind unter den CNCP kaum zu finden. Schlussfolgerung. Es bestehen Unterschiede in den Lebensstilen zwischen CNCP und AP, die in einzelnen definierten Lebensstiltypen signifikant sind. Eine Klärung des Ursache-Wirkungs-Zusammenhangs (Chronifizierung verursacht Lebensstil vs. Lebensstil verursacht Chronifizierung) ist anzustreben. 1. Breivik H et al. Survey of chronic pain in Europe: prevalence, impact on daily
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Abstracts life, and treatment. Eur J Pain. 2006; 10(4):287–333. 2. Nilges P, Nagel B. Was ist chronischer Schmerz? Deutsche med Wochenschrift. 2007; 132:2133–2138. 3. Spellerberg A. Soziale Differenzierung durch Lebensstile: eine empirische Untersuchung zur Lebensqualität in West- und Ostdeutschland. Berlin: Ed. Sigma. 1996; (2):57 ff.
P18.3 Diagnostik im biopsychosozialen Schmerzmodell – der Stellen wert der Sozialanamnese bei chronischen SchmerzpatientInnen G. Kloimstein Saumer1 1erstellt am Institut für Gesellschafts- und Sozialpolitik, Johannes Kepler Universität, Linz, Österreich Fragestellung. Das Ideal einer biopsychosozialen Anamnese kommt im medizinischen Alltag nur selten vor, das Anamnesegespräch wird inhaltlich und zeitlich in der Regel unterbewertet [1]. Neben biologischen und psychologischen Inhalten spielen auch soziale Faktoren eine wichtige Rolle bei der Schmerzchronifizierung. Ein geeignetes Instrument zur Erhebung der sozialen Items stellt die Sozialanamnese dar. Welche Daten werden im Rahmen der biopsychosozialen Anamnese mit besonderem Fokus auf die Sozialanamnese erhoben? Welche sozialanamnestischen Inhalte finden Eingang in das Gespräch und die darauf aufbauende Dokumentation? Material und Methode. Es wurde eine retrospektive Datenanalyse der Krankengeschichten (handschriftliche Dokumentation, digitale Krankenakte) von 100 chronischen Nicht-Tumorschmerzpatienten (CNCP; nCNCP=100; Alter >18 Jahre; Schmerzen seit >6 Monaten; VAS ≥3) an einem österreichischen Schmerzzentrum durchgeführt. Neben der Erhebung demographischer Daten wurde geprüft, ob eine dokumentierte Sozialanamnese durchgeführt wurde und welche Informationen im Rahmen der Sozialanamnese erhoben worden sind. Die Krankengeschichten wurden randomisiert gezogen, nach Prüfung der Einschlusskriterien wurden sie analysiert bzw. bei Nichterfüllung der Einschlusskriterien zurückgestellt. Insgesamt wurden 136 Krankengeschichten gezogen. Ergebnisse. Im Rahmen des Anamnesegespräches wurde bei keinem der 100 CNCP eine vollständige Sozialanamnese durchgeführt. Bei Analyse der digitalen Krankenakte konnten sozialbezogene Informationen erhoben werden. Diese Informationen erhielten Teile der Sozialanamnese und waren bei 32 CNCP dokumentiert. Die sozialbezogenen Informationen umfassten vor allem die familiäre Situation, sowie die Wohnsituation (allein lebend, mit Kindern lebend) der PatientInnen. In einigen Fällen wurde ein sozialer Rückzug dokumentiert, in einem Fall wurden die Freizeitaktivitäten erhoben. Diskussion. Obwohl das biopsychosoziale Modell in der Genese chronischer Schmerzen unumstritten ist, werden im Rahmen der Diagnostik soziale Faktoren vernachlässigt. Eine standardisierte Sozialanamnese wird bei chronischen SchmerzpatientInnen nicht durchgeführt, sozialanamnestische Daten werden ausschließlich fakultativ und nach eigenem Ermessen erhoben. Um den Fokus auf sozialanamnestische Informationen zu lenken, müssten diese definierter Bestandteil der Anamneseerhebung werden. Schlussfolgerung. Die Sozialanamnese hat im klinischen Alltag einen untergeordneten Stellenwert, und wird nur in Ausnahmefällen fragmentarisch erhoben. Eine Berücksichtigung und standardisierte Erhebung sowie darauf aufbauende Veränderung des sozialen Milieus könnte sich positiv auf die therapeutischen Möglichkeiten im Rahmen des biopsychosozialen Schmerzmodells bei chronischen SchmerzpatientInnen auswirken. T rojan A. Sozialanamnese. In: Berth H, Balck F, Brähler E (Hrsg): Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie von A-Z. Göttingen: Hogrefe. 2007; 408–412.
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P18.4 Beeinflusst der Migrationshintergrund den Therapie-Outcome von schmerzkranken Kindern nach einer ambulanten multimo dalen Schmerztherapie? – Eine Pilotstudie T. Hechler1, M. Baginski2, J. Wager2, A. Tietze2, S. Vocks3, B. Zernikow2 1Vodafone Stiftungsinstitut und Lehrstuhl für Kinderschmerztherapie/Pädiatrische Palliativ, Vestische Kinder- und Jugendklinik Datteln, Universität Witten/Herdecke, Datteln, Deutschland, 2Vestische Kinder- und Jugendklinik Datteln, Universität Witten/Herdecke, Vodafone Stiftungsinstitut und Lehrstuhl für Kinderschmerztherapie und Pädiatrische Palliativmedizin, Datteln, Deutschland, 3Ruhr-Universität-Bochum, AE Klinische Psychologie und Psychotherapie, Bochum, Deutschland Fragestellungen. Der Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund beträgt in Deutschland ca. 40%. Neueste Studien zeigen, dass diese Gruppe in epidemiologischen Studien höhere Schmerzwerte berichtet und stärker emotional beeinträchtigt ist. Klinische Studien an Erwachsenen deuten zudem darauf hin, dass Menschen mit Migrationshintergrund weniger von therapeutischen Interventionen (i. R. von Rehabilitationen) profitieren. Die vorliegende Studie geht der Frage nach, ob sich der Therapie-Outcome nach einer ambulanten multimodalen Schmerztherapie zwischen chronisch schmerzkranken Kindern mit und ohne Migrationshintergrund unterscheidet. Material und Methode. In die Studie wurden 26 Kinder mit Migrationshintergrund und 26 Kinder ohne Migrationshintergrund eingeschlossen, die bezüglich Alter, Geschlecht, Schmerzort, Diagnose und Behandlungssetting (ambulant, stationär) homogen gematcht wurden. Primäre und sekundäre Schmerzparameter wurden zu Therapiebeginn und drei Monate nach erfolgter Schmerztherapie mittels standardisierter Fragebögen erhoben. Ergebnisse. Es zeigten sich drei Kernergebnisse. Erstens war der Anteil der Migranten, die die Therapie in Anspruch nahmen geringer, als deren Anteil an der Gesamtbevölkerung. Zweitens ergaben sich signifikante Unterschiede zwischen beiden Gruppen zu Therapiebeginn. Kinder mit Migrationshintergrund berichteten von stärkeren Schmerzen, waren stärker emotional beeinträchtigt und neigten bezüglich des Schmerzcopings mehr zur Suche nach sozialer Unterstützung als Kinder ohne Migrationshintergrund. Drittens unterschieden sich die Gruppen nicht signifikant im Therapie-Outcome; in beiden Gruppen zeigte sich eine signifikante Reduktion der Schmerzintensität, der Beeinträchtigung und der Schulfehltage. Diskussion und Schlussfolgerung. Die Unterschiede zwischen den Gruppen zu Therapiebeginn in Form von stärkeren Schmerzen und Belastung der Kinder mit Migrationshintergrund sind konform mit den bisher publizierten Studien. Möglicherweise ist die Schmerzproblematik bei Kindern mit Migrationshintergrund stärker ausgeprägt; vielleicht durch Faktoren, die mit dem Migrationsstatus assoziiert sind (z. B. geringerer Akkulturationsgrad). Trotz der höheren Schmerzen und emotionalen Beeinträchtigung profitieren beide Gruppen von der ambulanten multimodalen Schmerztherapie. Dieses Ergebnis deutet auf die Wirksamkeit der Therapie auch für Kinder mit Migrationshintergrund hin. Einschränkend ist die Selektion der Stichprobe (Vorstellung in einer spezialisierten Schmerzambulanz) anzumerken. Zukünftige Studien sollten die Ergebnisse an größeren Stichproben replizieren, neben dem Migrationsstatus den Akkulturationsgrad der Kinder und Eltern erfassen, sowie hiermit korrelierende Faktoren wie beispielsweise den sozioökonomischen Status.
Abb. 4 8
P18.5 Können wir wirklich errechnen, was schwache, mittlere und starke Schmerzen bei Kindern sind? Analyse der Varianz „opti maler Cutpoints“ bei chronischen Schmerzstörungen G. Hirschfeld1, M. Blankenburg1, T. Hechler2, B. Zernikow1 1Vestische Kinder- und Jugendklinik Datteln, Vodafone Stiftungsinstitut für Kinderschmerztherapie und Pädiatrische Palliativmedizin, Datteln, Deutschland, 2Vodafone Stiftungsinstitut und Lehrstuhl für Kinderschmerztherapie/Pädiatrische Palliativ, Vestische Kinder- und Jugendklinik Datteln, Universität Witten/Herdecke, Datteln, Deutschland Fragestellung. Eine Einteilung in schwache, starke Schmerzen wird üblicherweise mit der Methode der „optimalen Cutpoints“ gemacht (Serlin, et al. 1995). Dabei werden alle möglichen Kombinationen von Schwellenwerten verwendet um mit einer ANOVA schmerzbezogene Beeinträchtigung durch Schmerzintensität vorherzusagen. Dabei gibt es viele Studien, die untersuchen, ob diese Cutpoints ähnlich sind, oder nicht (Hoffman, et al. 2010). Gleichzeitig gibt es prinzipielle Einwände gegen die Verwendung optimaler Cutpoints (Altman, et al. 1994). In der vorliegenden Studie wird anhand der bisher größten Stichprobe mittels Bootstrapping untersucht, wie stabil optimale Cutpoints sind. Material und Methode. 2130 Kinder mit chronischen Schmerzen im Alter von 6 bis 20 Jahren (60% weiblich) machten Angaben zur Schmerzintensität sowie der schmerzbezogenen Beeinträchtigung. Erstens wurden optimale Cutpoints für die Gesamtstichprobe ermittelt. Dazu wurden alle möglichen Kombinationen von Cutpoints (Low Cutpoint: 2–6; High Cutpoint: 3–8) in einer ANOVA verwendet um Varianz in der schmerzbezogenen Beeinträchtigungen aufzuklären. Zweitens wurde Bootstrapping (1000 Ziehungen mit Zurücklegen) verwendet, um die Variabilität der Ergebnisse im Gesamtsample zu quantifizieren. Drittens wurde die Bootstrappinganalyse für ein homogenes Sample von n=639 Kindern mit Dauerschmerzen wiederholt. Ergebnisse. Die Studie hat drei Hauptergebnisse. (1) In der Gesamtstichprobe waren die optimalen Cutpoints 5 und 8. Andere Kombinationen von Cutpoints resultierten auch in einer großen aufgeklärten Varianz. (2) Die Boostrappinganalyse ergab, dass nur in 40% der Stichproben die „optimalen“ Cutpoints der Gesamtstichprobe resultieren (s. Abb. 4; [3]). Dies trifft in noch größerem Umfang auf die homogene Stichprobe zu, in der in nur ca. 20% der Fälle die optimalen Cutpoints der Gesamtstichprobe resultieren.
Diskussion. Bestehende Unterschiede zwischen optimalen Cutpoints in unterschiedlichen Schmerzpopulationen lassen sich vollständig durch Zufallsfluktuationen erklären. Die Berechnung optimaler Cutpoints muss durch Maße der Variabilität ergänzt werden. Ansonsten spiegeln diese Werte eine Genauigkeit vor, die es nicht gibt. Die Berechnung „optimaler Cutpoints“ kann nicht verwendet werden um Unterschiede zwischen Populationen zu beschreiben. Anstelle weiterer Studien, die dieses Verfahren in unterschiedlichen Populationen anwenden, sollten alternative multivariate Verfahren z. B. Clusteranalysen verwendet werden um Schweregradeinteilungen vorzunehmen.
P18.6 Akzeptanz und Katastrophisierung bei Patienten mit chro nischen Schmerzen in einem multimodalen Therapiesetting und deren Einfluss auf den Therapieausgang – eine vorläufige Analyse U. Kaiser1, F. Balck2, R. Sabatowski3 1Universitätsklinikum Dresden, UniversitätsSchmerzCentrum, Dresden, Deutschland, 2Universitätsklinikum Dresden, Abteilung für medizinische Psychologie und Soziologie, Dresden, Deutschland, 3UniversitätsSchmerzCentrum, Universität Dresden, Dresden, Deutschland Einleitung. Die Chronifizierung von Schmerz findet sowohl auf verschiedenen neurophysiologischen als auch psychosozialen Ebenen statt. Unter den psychosozial fokussierten Konzepten zur Schmerzchronifizierung versprechen Modelle wie das Angst-Vermeidungsmodell, das Modell zur Schmerzakzeptanz und das Modell der Katastrophisierung erhebliche Aufklärung dieses Phänomens. Ziel dieser Studie ist die Untersuchung der Rolle der beschriebenen Modelle am Prozess der Therapie in einem multimodalen Setting und deren Anteil an der Veränderung der Outcome-Variablen. Methode. Insgesamt 60 Patienten einer multimodalen Tagesklinik wurden anhand folgender Variablen untersucht. Unabhängige Variablen: Angst-Vermeidung (FABQ), Akzeptanz und Aktivitätsbereitschaft (CPAQ), Schmerzbezogene Katastrophisierung (PCS). Abhängige Variablen/Outcome: Schmerzintensität (NRS), Lebensqualität (SF 36), Schmerzbezogene Beeinträchtigung (PDI). Moderator/Mediator Variablen: Depression (BSI), Allgemeine Angst (BSI), Psychologische Gesamtbelastung (BSI), Angehörigenreaktionen auf Schmerz- und Der Schmerz · Supplement 1 · 2011
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Abstracts Aktivitätsverhalten (SRI). Die Daten wurden zu Baseline (T1), am Ende der Therapie (T2), nach einer Wiederholungswoche 3 Monate nach T2 (T3) erhoben. Auswertung: Korrelationen, Pfadanalysen und parametrische Tests (Hierarchische Regression, Mediator/Moderatoranalysen, Varianzanalysen); Berechnungen erfolgen anhand SPSS 16.0. Ergebnisse. Die Beziehungen zwischen den Variablen werden in Pfadmodellen vorgestellt. Insgesamt zeigen sich Einflüsse emotionaler und partnerschaftlicher Variablen auf den Therapieverlauf bis T3. Die Variable Katastrophisierung klärt 21% Varianz des Kriteriums Vitalität (Lebensqualitätssubskala des SF-36) sowie schmerzbedingte Beeinträchtigung auf, signifikant mehr als die zu T1 bestehende Depression (R2=0,20, p=0,001) und allgemeine Angst (R2=0,24, p=0,001). Die psychische Gesamtbelastung erscheint ebenfalls bedeutsam in ihrem Einfluss auf die Lebensqualität zu T3 sowie auf die Schmerzbezogene Beeinträchtigung (R2=0,042, p=0,05; R2=0,039, p=0,05). Ein mediierender oder moderierender Einfluss der Partnerschaftsqualität auf Schmerzintensität konnte entgegen früherer Studien nicht nachgewiesen werden. Die Kriterien Lebensqualität und körperliche Einschränkung im Alltag werden durch das SRI ebenfalls nicht signifikant vorhergesagt. Bei hoher Aktivitätsbereitschaft und Akzeptanz spielte die Depressivität in der Vorhersage der Therapieergebnisse bis T3 keine Rolle, allerdings im Zusammenhang mit niedrigeren Werten des CPAQ verhinderte sie in höherer Ausprägung eine Verbesserung der Therapieergebnisse im Gegensatz zu einer niedrigeren Ausprägung. Ähnliche Ergebnisse zeigen sich bei der Betrachtung der allgemeinen Angst und psychischen Gesamtbelastung im Hinblick auf die Katastrophisierung: je höher die Katastrophisierungstendenz der Patienten, desto stärker fühlten sie sich bei hoch ausgeprägter Angst bzw. psychischen Gesamtbelastung sowohl körperlich beeinträchtigt als auch gaben sie stärkere Schmerzen an. Bei niedrigerer Katastrophisierung wirkte sich die allgemeine Ängstlichkeit kaum auf die Angaben zu den Variablen Schmerzintensität, schmerzbedingte Beeinträchtigung aus, allerdings die psychische Gesamtbelastung moderierte auch hier die Ergebnisse zu T3. Schlussfolgerung. Es erscheint eine wichtige Überlegung zu sein, Angst und Depression als Mediatoren am Therapieverlauf zu berücksichtigen. Insgesamt haben sich alle drei Modelle als aussagekräftig für die Vorhersage des Therapieerfolges erwiesen, allerdings in erster Linie in Abhängigkeit zu den Mediatorvariablen. Die Autoren dieser Studie sind keinen Interessenkonflikten unterworfen, weil diese Studie nicht gefördert wurde, sondern im Rahmen einer Promotion entstand.
P18.7 Resigniertes „Underreporting of pain“ oder effektives Selbst management bei Rückenschmerz im Alter? Ergebnisse einer Kohortenstudie in Hausarztpraxen M. Geyer1, J. Best1, A. Becker1, C. Leonhardt1 1Philipps-Universität Marburg, Allgemeinmedizin, präventive und rehabilitative Medizin, Marburg, Deutschland Fragestellung. Chronischer Rückenschmerz kann aus neueren europäischen Studien bei ca. 30% der über 65-Jährigen angenommen werden (Cecchi et al., 2006), Frauen scheinen häufiger betroffen zu sein. Gerade Rückenschmerzen werden jedoch von vielen betroffenen älteren Menschen als normales „Übel des Alterns“ wahrgenommen und daher nicht beim Arzt thematisiert. Genaue Schätzungen über Häufigkeit des chronischen Rückenschmerzes bei älteren Menschen in deutschen Hausarztpraxen gibt es daher bis jetzt kaum. Kenntnisse über schmerzbezogene Selbstwirksamkeit und Erwartungen an den Hausarzt würden helfen, ein effektives Selbstmanagement älterer Rückenschmerzpatienten zu unterstützen. Material und Methode. Für eine Kohortenstudie wurden hausärztliche Patienten in drei Regionen Deutschlands rekrutiert. Es wurden Patienten >65 Jahre mit Rückenschmerzen in den letzten drei Mona-
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ten eingeschlossen. Daten zu Schmerzcharakteristika (von Korff), Komorbiditäten, Konsultationsverhalten, Medikamenteneinnahme, schmerzbezogene Selbstwirksamkeit (dt. Version des Pain Self-Efficacy Questionnaire, Mangels et al., 2009) und Erwartungen wurde anhand von Fragebögen, ggf. unterstützt durch Interview, erhoben. Ein Follow-up nach 6 Monaten hinsichtlich der Veränderung der Schmerzen und der Erfüllung von Erwartungen läuft derzeit. Ergebnisse. 114 Rückenschmerzpatienten aus 12 hausärztlichen Praxen (Alter: durchschnittlich 73 Jahre, Range von 65–89; 67% Frauen) wurden eingeschlossen. 37% der Patienten wurden als „Non-Reporter“ eingestuft (keine rückenschmerzbezogene Konsultation in drei Monaten). Diese Patienten hatten eine bessere schmerzbezogene Selbstwirksamkeit und empfanden die Beschwerden als weniger stark und weniger in Alltag und Freizeit einschränkend als die konsultierende Vergleichsgruppe. Für beide Patiententypen stehen die Verschreibung von Medikamenten, Tipps für Selbstmanagement und das Gespräch im Vordergrund ihrer Erwartungen an den Hausarzt. Diskussion und Schlussfolgerung. Die Ergebnisse lassen vermuten, dass ältere Menschen mit Rückenschmerzen ihren Hausarzt nur dann konsultieren, wenn sie den Schmerz als stark einschränkend erleben und geringe Selbstwirksamkeit bezüglich des Schmerzmanagements erleben. Ergebnisse des Follow-up (Erfüllung der Erwartungen, Auswirkungen von Selbstwirksamkeit und Berichtsverhalten auf die Schmerzentwicklung) können auf dem Kongress vorgestellt werden. 1. Cecchi F, Debolini P, Lova RM et al. (2006) Epidemiology of back pain in a representative cohort of Italian persons 65 years of age and older. Spine 31(10): 1149–1155. 2. Mangels M, Schwarz S, Sohr G et al. (2009) Der Fragebogen zur Erfassung der schmerzbezogenen Selbstwirksamkeit (FESS): Eine Adaptation des Pain Self-Efficacy Questionnaire für den deutschen Sprachraum. Diagnostica 55: 84–93.
P18.8 Schädlichkeit, Schmerzangst, Beeinträchtigung oder Schmerz – wie verstehen Senioren Fragen zu Fear-Avoidance-Beliefs? P. Mattenklodt1, C. Leonhardt2, S. Quint3, A. Ingenhorst4, B. Flatau5, N. Grießinger6 1Universitätsklinikum Erlangen, Schmerzzentrum, Erlangen, Deutschland, 2Philipps-Universität Marburg, Institut für Medizinische Psychologie, Marburg, Deutschland, 3Fachbereich Humanmedizin Philipps-Universität Marburg, Institut für Medizinische Psychologie, Marburg, Deutschland, 4Orthopädische Universitätsklinik im Waldkrankenhaus, Erlangen, Deutschland, 5Medi train – Zentrum für Gesundheitssport, Erlangen, Deutschland, 6Universitätsklinikum Erlangen, Anästhesiologische Klinik, Erlangen, Deutschland Fragestellung. Auch bei älteren Schmerzpatienten sind Fear-Avoidance-Beliefs (FAB; Angst-Vermeidungs-Überzeugungen) ein bedeutsamer Chronifizierungsfaktor. AMIKA („Ältere Menschen in körperlicher Aktion“) ist ein Instrument, das die Erfassung und Bearbeitung von FAB speziell bei Älteren ermöglicht [1]. Dabei wird anhand von 50 Fotos, die ältere Menschen bei Alltagsaktivitäten zeigen, eine individuelle Hierarchie bedrohlich eingeschätzter Aktivitäten erstellt. Anschließend werden die Aktivitäten der FAB-Hierarchie im Sinne einer Konfrontationstherapie sukzessive durchgeführt und die Bedrohlichkeit anhand der Realität überprüft. Im Schmerzzentrum des Universitätsklinikum Erlangen wird derzeit die Integration der AMIKA in ein multimodales Schmerztherapieprogramm für Senioren [2] erprobt. Dabei stellt sich die Frage, ob Senioren mit chronischen Schmerzen beim Einstufen der AMIKA-Fotos die Bewertung der Schädlichkeit der dargestellten Aktivität von Schmerzangst, Funktionseinschränkung und Schmerz unterscheiden. Diese Frage wollen wir mit einer Studie anhand einer Kurzversion der AMIKA (AMIKA-K) überprüfen.
Methode. Insgesamt 70 Senioren (>64 J.) mit Rückenschmerzen, die im Zentrum für Gesundheitssport „meditrain“ in Behandlung sind, nehmen an einer Fragebogenuntersuchung teil. Einschlusskriterien für die Studie sind: Rückenschmerzen seit mindestens 6 Monaten, die mindestens zweimal in der Woche auftreten und in den letzten 4 Wochen mindestens einmal eine Stärke von NRS 5 (NRS 0–10) erreicht hatten. Der Fragebogen enthält die 8 Bilder der AMIKA-K, die viermal entsprechend der folgenden 4 Fragen auf einer NRS (0–10) eingestuft werden: – „Für wie schädlich halten Sie die dargestellte Aktivität für Ihren Rücken?“ (Kognition zur Gefährlichkeit) – „Wenn Sie die abgebildete Bewegung ausführen würden, wie groß wäre Ihre Befürchtung, damit Schmerzen auszulösen?“ (Schmerzangst) – „Wie eingeschränkt sind Sie in der abgebildeten Bewegung?“ (Funktionseinschränkung) – „Wie schmerzhaft wäre eine solche Bewegung für Sie?“ (Schmerz) Zusätzlich bearbeiten alle Teilnehmer auch die KVS-D-65+ (Katasthrophisierungs-Vermeidungs-Skala), die die Messung von FearAvoidance-Beliefs bei älteren Menschen erlaubt. Zur statistischen Auswertung wird für jede der 4 Fragen ein Gesamt-Mittelwert über alle 8 Bilder berechnet. Anhand einer Varianzanalyse mit Messwiederholung und anschließender Post-hoc-Tests wird überprüft, ob sich die Bewertungen der AMIKA-K-Bilder bei unterschiedlichen Testinstruktionen signifikant unterscheiden. Dies wäre ein Hinweis darauf, dass AMIKA-K Fear-Avoidance-Beliefs reliabel erfasst und die Ergebnisse nicht durch Schmerzangst, Funktionseinschränkung oder Schmerz konfundiert sind. Ergebnisse. Die Datenerhebung läuft zurzeit. Ergebnisse werden im Poster dargestellt und diskutiert. Die Ergebnisse wären sowohl theoretisch im Rahmen der Fear-Avoidance-Modelle als auch praktisch für die diagnostische und therapeutische Arbeit relevant.
tage) sowie sekundäre Schmerzparameter (emotionale Belastung, Coping) erfasst. HRQOL-Werte zu Therapiebeginn wurden anhand der Normstichprobe interpretiert. Veränderungen der HRQOL nach der Therapie wurden mit einer MANCOVA mit Messwiederholung und dem Faktor Geschlecht sowie Alter als Kovariate geprüft. Zusammenhänge zwischen Veränderungen der HRQOL und den Schmerzparametern wurden mittels Pearson-Korrelationen berechnet. Klinisch signifikante Veränderungen der HRQOL wurden nach der Methode von Jacobson und Truax (1991) bestimmt. Ergebnisse. Chronisch schmerzkranke Kinder sind in ihrer HRQOL beeinträchtigt insbesondere bezüglich „körperliches“ und „psychologisches Wohlbefinden“. Schulfehltage, schmerzbezogene Beeinträchtigung, emotionale Belastung und die Katastrophisierungsneigung hingen systematisch mit der HRQOL zusammen. Es zeigten sich signifikante Verbesserungen in den Dimensionen „Gleichaltrige und soziale Unterstützung“ und „schulisches Umfeld“ nach der Therapie. Die Veränderungen der HRQOL hingen nur gering mit Veränderungen der primären Schmerzparameter zusammen. Nur eine Verbesserung auf der Dimension „schulisches Umfeld“ war statistisch mit einer Verringerung der emotionalen Belastung und der Katastrophisierungsneigung verbunden. Klinisch signifikante Veränderungen der HRQL zeigten sich kaum; lediglich ein geringer Anteil der Stichprobe zeigte klinisch signifikante Veränderung in den Kidscreen Dimensionen. Verschlechterungen zeigten sich insbesondere im „psychologischen Wohlbefinden“. Schlussfolgerung. Obwohl HRQOL mit den Schmerzmaßen korreliert, zeigten sich inkonsistente Befunde zum Therapie-Outcome. Trotz einer deutlichen Verbesserung der primären Schmerzparameter, zeigte sich nur in geringem Maße eine Verbesserung der HRQOL. Möglicherweise ist ein generisches Messinstrument wie der Kidscreen nicht geeignet, um Veränderungen in der HRQOL bei chronisch schmerzkranken Kindern zu erheben.
1. Quint et al. (2007a): AMIKA: Ältere Menschen in körperlicher Aktion. Der Schmerz 21:453–461. 2. Mattenklodt et al. (2008): Multimodale Gruppentherapie bei Senioren mit chronischen Schmerzen. Konzept und Ergebnisse im Prä-Post-Vergleich. Der Schmerz 22:551–561.
P18.9 Glücklich trotz Schmerzen? Die gesundheitsbezogene Le bensqualität von Kindern und Jugendlichen mit chronischen Schmerzen und deren Veränderung durch die Therapie F. Flack1 1Vestische Kinder- und Jugendklinik Datteln, Universität Witten/Herdecke, Vodafone Stiftungsinstitut und Lehrstuhl für Kinderschmerztherapie und Pädiatrische Palliativmedizin, Datteln, Deutschland Hintergrund. Bis dato gibt es nur wenige Studien zur gesundheitsbezogenen Lebensqualität („health-related quality of life“, HRQOL) bei Kindern mit chronischen Schmerzen insbesondere im klinischen Setting. Daher hat die vorliegende Studie folgende Ziele: (1) Vergleich der HRQOL von chronisch schmerzkranken Kindern einer Schmerzambulanz zu einer Normstichprobe; (2) Erfassung der Zusammenhänge zwischen Schmerzparametern und der HRQOL; (3) Erfassung der Zusammenhänge der Veränderungen der Schmerzparameter und der HRQOL nach erfolgter multimodaler Schmerztherapie. Methode. Jeweils vor und 3 Monate nach Erstvorstellung beantworteten 146 Kinder (8 bis 18 Jahre), die sich in einer Kinderschmerzambulanz aufgrund chronischer Schmerzen vorstellten, das HRQOL-Instrument KidScreen (Dimensionen: körperliches Wohlbefinden, psychologisches Wohlbefinden, Autonomie und Elternbeziehung, Gleichaltrige und soziale Unterstützung, schulisches Umfeld). Zusätzlich wurden mittels einer Fragebogenbatterie primäre Schmerzparameter (Schmerzintensität, schmerzbezogene Beeinträchtigung, SchulfehlDer Schmerz · Supplement 1 · 2011
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Autorenregister
Autorenregister A Ahrens, Jörg P01.8 Aichholzer, Sabina P11.4 Albers, Christoph P02.5 Albert, Patricia P02.1, P17.5, P15.7 Amasheh, Salah P01.3 Amelung, Volker SY 50 Anders, Christoph P09.2 Andresen, Viola SY 18 Andriske, Michael P06.1, P06.2, P06.3 Arnold, Bernhard SY 2, SY 15, P10.2 Arnold, Julia P07.3, P07.4 Axmann, Roland P01.11
B Bach, Felix P08.7 Bachmann, Cornelius P16.7 Bäcker, Ingo P06.1 Baginski, Melanie P18.4 Baier, Bernhard SY 07 Bains, Gurinder P10.7 Baird, Lisa P10.7 Balck, Friedrich P18.6 Barcena de Arellano, Maria Luisa P07.3, P07.4 Baron, Ralf SY 01, P01.12, P02.2, P08.4, P09.4, P10.8 Bartsch, Thorsten SY 41 Bauer, Katrin P16.4 Bauermann, Thomas P05.5 Baumgärtner, Ulf SY 07, P02.7 Becke, Karin SY 33 Becker, Annette SY 16, P18.7 Behlert, Jürgen P15.6 Bekrater-Bodmann, Robin P08.7, P08.8, P08.9, P08.10, P08.11, P08.12, P09.6 Benrath, Justus P02.7, P16.4 Berk, Lee P10.7 Bernardy, Kathrin SY 20 Best, Christoph P05.5 Best, Jens P18.7 Bialas, Patrick P07.11 Biermann, Janine P05.10 Bierner, Johannes P08.6, P12.6 Binder, Andreas SY 31,PS33, P08.4 Bingel, Ulrike P02.9 Binzen, Uta P01.10 Birklein, Frank SY 06, SY 31, SY 56, P07.5 Birtel, Stefan PS08 Bischoff, Claus SY 55 Bittner, Malte P07.2
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Blankenburg, Markus SY 40, P05.11 ,P07.14, P18.5 Bloch, Wilhelm P09.1 Blunk, James P16.4 Böcker, Alexander P01.3 Body, JJ P12.2 Böhme, Jacqueline P16.1 Bolwerk, Anne P08.2 Bornemann, Rahel P10.1 Borys, Constanze P09.2 Böswald, Yvonne P16.9 Botman, Kees-Joost P08.14 Böttiger, Bernd W P04.14 Boudreau, Shellie P09.11 Boujong, Dirk P09.8 Brack, Alexander P01.3 Bräscher, Anne-Kathrin P02.13 Brinkschmidt P15.11 Brömme, Jan P15.9 Bross, Ina PS04 Brosz, Mathias P09.4 Brück, D. P16.2 Brune, Kay P01.9, P01.11 Bryant, Margaret P17.9 Budnick, Andrea P17.10 Bugert, Peter P01.10
C Çakmak, Hüseyin Kemâl P08.7 Cascorbi, Ingolf SY 31 Casser,Hans-Raimund SY 18, SY 54, PS19 Chacur, Marucia P01.2 Chang, DeLi Tilly P12.5 Chen, SL P10.7 Chenot, Jean-Francois SY 15 Chiantera, Vito P07.4 Christensen, Niels J. P08.4 Christoph, Thomas P01.1 Ciupe, A. P05.2 Covasala, Oana P06.7 Cremer-Schaeffer, Peter SY 47
D Da Silva, Luis Carlos P02.12 Dagtekin, Oguzhan P04.14 Darabaneanu, Stephanie SY 53, P05.4 Daubländer, Monika P07.2 de Col, Roberto SY 41, P06.4, P06.5, P06.7 De Vry, Jean P01.1, P14.12 Desjardins, Paul P10.7 Diel, Ingo J. P12.2 Diener, Hans-Christoph P05.10 Diers, Martin P08.7, P08.8, P08.9, P08.10, P08.11, P08.12, P09.6
Dieterich, Marianne P05.5 Dietrich, Caroline P01.13, P07.12, P08.13 Diezemann, Anke PS21, PS23 Dobe, Michael P15.6 Dohrenbusch, Ralf PS28 Dornoff, W. P12.2 Dorscht, Lisa P09.10, P15.7, P17.5 Doyle, Geraldine P10.7 Dräger, Dagmar P17.10 Dresler, Thomas P05.9 Drevensek, Annika Mira. P09.6 Dries, Joachim SY 24, SY 25, PS08 Dunkel, Marion P16.10 Dusch, Martin P02.7
E Eberhardt, Christian P12.3 Eberhart, Leopold P14.1 Ebert, Andreas P07.4 Ebinger, Friedrich P04.1 Eichner, Eckhard PS15 Enck, Paul SY 08 Engeser, Peter SY 17 Englberger, Werner P01.1 Erbslöh-Möller, Jutta P10.3 Erhardt-Raum, Gertrud P09.6 Erlenwein, Joachim SY 28, P04.6, P04.11, P04.12, P11.8 Eslauer, O P09.8 Esser, Karl-Heinz P01.5 Ettlin, Dominik PS03 Ettrich, Uwe P05.8 Evers, Andrea SY 55 Evers, Stefan SY 45
F Falla, Deborah SY 54, P09.11, P10.11 Fangmann, Dagmar P07.11 Feiler, Johanna P08.13 Ferlemann, Kerstin PS29, P04.12 Feyen, Daniela PFLEGE Fiebich, Bernd P01.4 Filzwieser, Gottfried P11.4 Finken, Julia P05.10 Flack, Florentina P18.9 Flatau, Brigitta P09.10, P18.8 Flor, Herta. SY 06, SY 20, P01.14, P08.7, P08.8, P08.9, P08.10, P08.11 P08.12, P09.6 Foadi, Nilufar P01.8 Foell, Jens P08.7, P08.8, P08.9, P08.10, P08.11, P08.12, P09.6 Förderreuther, Stefanie SY 05, SY 45 Förster, Matti, P09.4 Fragemann, Kirstin P11.3, P17.3, P17.6 Franz, Marcel P01.13, P07.7
Frauenberger, Britta P09.10, P15.7 Frettlöh, Jule SY 51, PS17, P08.3, P08.5 Freynhagen, Rainer SY 48, P09.4 Fritsche, Günther P16.8 Fromm, Michael P01.3 Fuchs, Hermine P11.4 Fuchs,Xaver P08.11 Funk, Stefan P09.7 Funke, Carsten P15.3
G Gabriel, Brunhild P09.2, P09.5, P09.7 Gabriel, Holger P09.2, P09.5, P09.7 Galli, Ursula PS03 Gastmeier, Knud P11.7, P11.6 Gaudnek, Manuel Andre P01.9 Gaul, Charly SY 09, SY 29, SY 53, PS03, P05.9, P05.10, P16.8 Geber, Christian SY 01 Geörg, Kristina P01.10 Gerber, Wolf-Dieter P05.4 Gerdes, Antje P02.8 Gerner, Stefan P06.5 Gesmann, Mechthild P10.3 Gessner, Uwe P01.4, P14.2, P14.3 Geyer, Almut P11.8 Geyer, Maria P18.7 Gierthmühlen, Janne P01.12, P08.4 Giesecke, Thorsten P14.6, P14.7 Glaeske, Gerd SY 47 Gleim, Martin PS02, PS30 Gockel, Ulrich P10.8 Gockel, Ulrich P09.4 Goettermann, Antje P04.10, P17.8 Gosch, Christa P11.4 Gossrau, Gudrun PS32, P05.8 Graf, Bernhard M P08.6, P11.3, P12.6, P17.3 Graf, M P05.4 Gralow, Ingrid PS31 Grashorn, Wiebke P02.9 Grau, Thomas PS16 Gravou-Apostolatou, Chara P14.15, P16.9 Greffrath, Wolfgang P01.10 Greher Manfred PS16 Grenzer, Olaf P04.4 Grießinger, Norbert P16.9, P18.8 Große, Katrin P15.4, P05.8, P15.5
H Haas, Christian T SY 54 Hackel, Dagmar P01.3 Haeseler, Gertrud P01.8 Hafner, Claudia P17.5 Hanekop,G. Gunnar P11.3 Hansen, Ernil SY 08 Hansen, Jens P04.14 Hartmann, Rebecca P15.6 Hau, B P10.7 Häuser, Winfried SY 08, SY 35,P10.2, P10.3, P10.10 Hechler, Tanja SY 16, P05.11, P07.14, P15.6, P17.7, P18.4, P18.5 Hecker, Ruth P15.2 Heindl-Erdmann, Cornelia P01.11 Heine, Jana P11.1 Hemmer, Kathrin P06.1, P06.3 Henkel, Karsten P05.9 Henrich, Florian P02.6 Herbert, Beate M P01.14 Hertl, Elke P16.3 Herzog, Susanne P17.7 Hess, Andreas P01.5, P01.7, P01.9, P01.11 Hildebrandt, Jan SY 27, PS01 Hilleck, Thomas P05.1 Himpler, Katja SY 24, SY 25 Hirschfeld, Gerrit P05.11, P07.14, P18.5 Hofacker, Wolfgang P14.5 Hofmann, Gunther O. P07.12, P08.13 Hofmann, Winfried P10.4 Höfner, Georg P06.6 Hoheisel, Ulrich P01.2 Hohlfeld, Thomas P14.13 Holtermann, Jörg P09.8 Hölzer, Henrike PS22 Höra, Annedore P15.3 Hornyak, Magdolna SY 42, PS35 Hübschen, Michael P14.5 Hufnagel, Marco SY 24, SY 25 Huge, Volker SY 44 Hügen, K. PS34 Hüllemann, Philipp SY 48, P02.2 Hunfeld, Anika P06.2 Hungerland, Patricia P15.3 Hüppe, Michael SY 04 ,SY 51
I Ihle, Peter P14.4 Ingenhorst, Anne P18.8
J Jaklin, Richard P09.8 Jansen, Olav P01.12 Jantos, Ricarda P14.10, P14.11 Jensen, Troels S. P08.4 Jopke, Hannelore P11.7
Jull, Gwendolen P10.11 Jung, Eva Barbara P10.3 Jürgens, Tim SY 29, PS11, P05.9
K Kaess, Michael P05.1 Kahn, Ann-Kathrin P07.6 Kaiser, Marion P14.11 Kaiser, Myriam P04.9 Kaiser, Ulrike P02.3, P05.8, P18.6 Kampel, Bea PS22 Kamping, Sandra SY 20, P08.7, P08.8, P08.9, P08.10, P08.11, P08.12, P09.6 Kappauf, Uta P01.13 Karst, Matthias P01.8 Katsarava, Zaza SY 05, P07.6, P16.8 Kaum, Ursula P11.4 Kehr, Jan P08.4 Keil, Anne P05.11 Kern, Uwe P07.8, P07.9, P07.10, P07.11 Kessler, Jens PS16 Kienbaum, Peter P14.13 Kipping, Katherina P14.9 Klapp, Christine PS22 Klarhöfer, Manja P04.9 Klasen, Bernhard PS35, P15.11,P16.11 Klein, Barbara P16.2 Klein, Markus P09.9 Klein, Thomas P02.6 Klenske, Julia P12.4 Klier, Tobias P08.6, P12.6 Kloimstein-Saumer, Gertraud P18.2, P18.3 Klosterhalfen, Sibylle SY 08 Klüter, Harald P01.10 Knoche, Anja P14.10, P14.11 Knudsen, Lone P08.4 Koch, Ernst M.W P10.1 Koch, Tilo P14.1 Ködel, Uwe P06.6 Koenig, Julian P05.1 Kögel, Babette P01.1 Kohl-Bareis, Matthias P09.1 Kölzsch, Marita P17.10 Komann, Marcus P04.7, P04.10 Köneke, Doreen P12.9, P14.14 Könner, Franziska P17.10 Konnerth, Laura C. P01.9 Kopf, Andreas SY10, SY 32, PS06, PS22, P01.15, P04.4, P04.8, P04.9, P05.3, P10.11 Korb, Joachim SY 34, PS12 Koroschetz, Jana PS33 Kottmair, Stefan P16.1 Kozek-Langenecker, Sibylle P16.5 Krainer, Monika P11.4 Krämer, Heidrun P05.5 Kranke, Peter P14.1 Kratzer, Gabriele PS35, P15.11
Krause, Maike PS36 Kreiser, Tanja P16.1 Kreitz, Silke P01.11 Kremser, Miriam P06.3 Kreusch, Annette P02.5 Kreuser, E.D. P12.2 Kreutz, Reinhold P17.10 Kropp, Peter PS05 Krueger, Ronald P14.8 Krüger, Cornelia SY 24, SY 25 Krumbholz, Markus P06.6 Krummenauer, Frank P15.6 Krumova, Elena SY 01, SY 40, SY 44, PS10, P08.3, P08.5 Kubel, Esther SY 38, P06.6 Kühn-Becker, Hedi P10.3 Kurth, Andreas P12.3 Kurz, Martin P04.2, P04.3
L Lacours, Michael SY 20 Lahmann, Claas PS11 Lahr, Thomas P14.5 Lammers, Jeroen P08.14 Landwehrt, Julia P08.5 Langer, Jana P15.10 Langer, Sigrid P06.6 Langhorst Jost P10.3 Lassen, Christoph L. P08.6, P11.3, P12.6, P17.3 Laufenberg-Feldmann, Rita PS24 Lautenbacher, Stefan SY 30, SY 39 Lehmann, Katja P17.4 Leinisch, Elke P05.9 Leipold, Tobias P11.6 Lenzen, Christoph P05.1 Leonhardt, Corinna SY 30, SY 55, P18.7, P18.8 Leuwer, Martin P01.8 Lichinitser, M.R. P12.2 Liebetrau, Anne P09.3 Lindena, Gabriele PS07 Lindner, Volker PS26 Lindwurm, Andrea P05.9 Link, Andrea P06.6 Loosli, Pamela SY 19 Lorenz, Stephan P16.1 Löser, Johannes P04.13 Lotfi, Sina P12.5 Löwenstein, Oliver P10.6 Lübbert, Hermann P06.1, P06.2, P06.3 Lucius, Harald PS20 Lüdtke, Kerstin SY 12, SY 34 Lürding, Ralf P05.9 Lutz, Johannes F P15.4, P15.5, P17.4 Lux, Eberhard Albert PS04, P11.1
M Maaß, Heiko P08.7 Machelska, Halina SY 22 Madsen, Caspar S. P08.4 Magerl, Walter SY 30, P02.6, P09.5 Mahama, Jaber P10.10 Mahn, Friederike PS33, P02.2, P09.4 Maier, Christoph SY 01, SY 14, SY 28, SY 40, SY 56, P08.3, P08.5, P14.9 Maihöfner, Christian SY 06, P02.1, P05.6, P08.1, P08.2, P16.6 Makarova, Tanya P01.7 Marnitz, Ulf P15.9 Marschall, Ursula P10.2 Marziniak, Martin P02.5, P02.11 Mathers, Frank G. P12.5 Mattenklodt, Peter P15.7, P16.9, P18.8 May, Arne SY 12, P05.2 Mechsner, Sylvia SY 10, P07.3, P07.4 Meißner, Winfried SY 04, SY 33, P04.5, P04.7, P04.10, P14.8, P17.8 Melle, Simone P04.5 Menke, Andrea P17.7 Mense, Siegfried P01.2 Merker, Michael P14.1 Merten, Christian P04.3 Mertzlufft, Fritz P09.9 Messerer, Brigitte SY 11 Messlinger, Karl SY 41, P06.4, P06.5, P06.7 Meyer, Nicole P11.3, P17.3 Miestiner, G. P04.2 Miltner, W.H.R. P01.13, P07.7, P07.12, P08.13 Möller, Katharina P01.15 Möller, Kati P17.4 Morin, Astrid SY 04, P14.1 Mostardt, Sarah P05.10 Müller, Anja P12.3 Müller, Gerd SY 12 Müller, Maike P08.7 Müller, Oliver P05.10 Müller, Thomas PS08 Müller-Becsangéle, Juliane SY 20 Müller-Busch, H. Christof SY 13, SY 17 Müller-Schwefe, Gerhard H. H. P10.9, P12.9, P14.6, P14.7, P14.14 Münster, Tino P16.6 Mußhoff, Frank SY 14 Muth-Seidel, Despina P18.1
N Nadstawek, Joachim SY 50 Nagel, Bernd SY 34, PS07 Nakajima, Julika P06.5 Der Schmerz · Supplement 1 · 2011
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Abstracts Naleschinski, Dennis PS30 Nauck, Friedemann SY 13, P11.8, PS06 Neeb, Lars SY 38 Nestler, Nadja SY 24, SY 25 Neumann, Anja P05.10 Neumeier, Susanne P15.11 Neuschulz, Esther P15.1 Nickel, Florian P05.6, P08.1 Niederberger, Uwe PS05, P05.4 Nilges, Paul SY 02, SY 51, PS14 Noack, Natalie P05.6 Nobis, Hans-Günter PS18 Noll, Narkus P11.5 Nolte, Thomas P12.7, P12.8 Nötzel, Dirk P09.2, P09.7 Nowack, Walburga P07.8, P07.9
O Oelkers-Ax, Rieke P05.1 Oeltjenbruns, Jochen P05.3 Ohnesorge, Henning PS02 O'Leary, Shaun P10.11 Osterbrink, Jürgen SY 28 Ostgathe, Christoph SY 13 Otten, Lucia Anna P10.1 Otto, Bettina P15.4, P15.5 Overath, Claudia Helene P05.4
P Paelecke-Habermann, Yvonne P05.9 Palko, Annemarie P11.4 Paris, Frank P06.1, P06.2, P06.3 Parzer, Peter P05.1 Paul, Petra SY 24, SY 25, PS04, P11.1 Pauli, Paul P02.8 Pavlakovic, Goran P15.1, P16.7 Peikert, Andreas SY 05, PS13 Peltz, Elena P02.1, P08.1 Pennekamp, Werner PS01 Penner, Andreas PS25 Perrar, Klaus Maria SY 17 Perry, Diana P04.1 Peschel, Ulrich P18.1 Petersen, Lars J. P08.4 Petersohn, Uwe P11.7 Petrofsky, Jerrold P10.7 Petzke, Frank PS01, P02.12, P04.6, P14.10, P04.11, P04.12, P11.8, P14.11, P15.1, P16.7 Pfau, Doreen PS10 Pfingsten, Michael SY 15, SY 27, SY 42, PS01, P15.1, P16.7 Pflücke, Diana P01.6 Pflugmacher, Robert P10.1 Philipp, Ruth P16.1 Pioch, Erdmute P15.10 Pjevic, Miroslava SY 32 Pleuger, Melanie SY 15, SY 50
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Der Schmerz · Supplement 1 · 2011
Ploner, Markus SY 39 Pogatzki-Zahn, Esther SY 11 Pollheimer, Gerold P04.3 Pöllmann, Walter SY 05 Preißler, Sandra P07.12, P08.13 Przemeck, Michael SY 28, P04.6, P04.11 Puta, Christian P09.2, P09.3, P09.5, P09.7
Q Quint, Sabine P18.8
R Raghunath, Martin P07.13 Ramaekers, Jan P14.10 Rambau, Anett P05.8 Rance, Mariela P08.7, P08.8, P08.9, P08.10, P08.11, P08.12, P09.6 Rasche,Dirk SY 52, P07.1 Rech, Jürgen P01.11 Reeh, Peter PS34 Rehm, Stefanie PS33 Reichart, Rupert SY 52 Reicherts, Philipp P02.8 Reinecke, Henriette SY 35 Reinersmann, Annika P08.3, P08.5 Remi, Constanze SY 17 Rempe, Torge P01.12 Resch, Franz P05.1 Richter, Diana P12.4 Richter, Hans-Christian P04.4 Riedel, Christian P01.12 Ringkamp, Matthias P02.7 Ritter, Alexander P01.13 Rittner, Heike SY 22, PS34, P01.3, P01.6 Rochell, Bernhard SY 15 Rohr, Uta P15.6 Rolke, Roman P07.2 Rose, Irmgard P16.1 Rothaug, Judith P04.10 Rother, Ilka P02.4, P02.10 Rother, Matthias P02.4, P02.10 Ruberg, Klaus PS25 Ruhe, Ann-Kristin P15.6 Rukwied, Roman P02.7 Ruscheweyh, Ruth P02.5, P02.11 Rüster, Carola P07.3, P07.4 Ruttorf, Michaela P08.12 Rychlik, Reinhard P10.4
S Sabatowski, Rainer P02.3, P05.8, P14.4, P14.11, P18.6 Sablotzki, Armin P15.3 Sander, Peter P12.7, P12.8 Saxena, Aaruni P14.13 Schacht, Alexander P07.5 Schak, M. P09.1 Schäl, H. P05.4
Schankin, Christoph PS27, P06.6 Schantl, Regina P11.4 Scharbert, Gisela P16.5 Scharnagel, Rüdiger P05.8 Schedel, Angelika P01.10 Schett, Georg P01.11 Schettler, Thomas P10.7 Schiene, Klaus P01.1, P14.12 Schiffer, Manuela P02.11 Schiffer, T. P09.1 Schiller, Margareta P05.8 Schinowski, David P09.3 Schlegel, Nathalie P17.1 Schlink, Julia P04.12, P11.8 Schlisio, Barbara P11.5 Schmelz, Martin P02.7 Schmidt, Carsten Oliver SY 16 Schmitt, T. P16.2 Schmitz, Andrea P14.13 Schnabel, Alexander SY 11 Schneider, Achim P07.3, P07.4 Schneider, Anna-Maria P15.11, P16.11 Schneider, Edith P07.5 Schoenen, Jean SY 27 Schöffel, Dieter SY 18 Schöler, Saskia P09.5 Scholtz, Sibylle P07.1 Schomacher, Jochen P09.11 Schramm, Thomas P16.3 Schröder, Jutta P15.2 Schröder, Wolfgang P01.1 Schroll, Daniel P15.11, P16.11 Schrott, Marc P11.9 Schubert, Ingrid P14.4 Schuckall, Helga Maria P04.2, P04.3 Schuh-Hofer, Sigrid P06.7 Schuler, Matthias SY 42 Schüler, Markus SY 38, P06.4, P06.5 Schulz, Birgit P09.5, P09.7 Schulzeck, Sabine PS02, PS36 Schulz-Gibbins, Claudia P04.8 Schumacher, Markus P14.10, P14.11 Schutter, Ulf P10.5 Schütze, Anja PS32, P02.3, P05.8 Schwab, Rainer PS24 Schwarzer, Andreas SY 47, P14.9 Seddigh, Susann PS28 Seeberger, Robin P07.2 Seeger, Dagmar SY 02, PS01, PS09 Segelcke, Daniel P06.1, P06.2, P06.3 Seidel, Egbert P02.4 Seidel, Wolfram SY 34, P15.10 Seifert, Frank P05.6, P08.1, P08.2 Semler, Jörg Oliver SY 43 Semmernegg, Kurt P11.4 Seyer, Hendrikus P16.6 Shanib, Hind P05.7
Shao, Yu-Quan P02.2 Simon, Alfred SY 13 Sirsch, Erika SY 17 Sitte, Thomas PS15, P11.02 Sittig, Hans-Bernd P12.1 Sittl, Reinhard SY 32, P09.10, P15.7, P16.9, P17.5 Sölken, Sabine P04.8 Söllner, Wolfgang SY 19 Sommer, Christoph P09.8 Sommer, Claudia P07.6 Sommer, Jens P02.5, P02.11 Sommerfeld, Thomas PS32 Sommersguter, Sylvia P11.4 Sorgatz, Hardo SY 35 Späth, Michael PS30 Sprenger, Christian P02.9 Staar, Virpi P09.9 Stamer, Ulrike SY 14 Stankewitz, Anne P05.2 Stark, Jill P10.7 Steidle, Oliver P15.2 Steigerwald, Ilona P10.8 Stelzl, Ingeborg P11.4 Stickelbruck, Larissa P14.13 Stimpel, M. P16.2 Stirn, Sören P06.7 Stocker, Anna Margarete P05.6 Stoeter, P. P05.5 Straube, Andreas SY 09, SY 53, P06.6, P16.1 Strijbosch-Wilderbeek, Lizzy P08.14 Stroman, Patrick W. P01.12 Strube, Joachim PS01, P16.7 Stüder, Doris P04.6, P04.11 Stumpf, Ulla P12.3 Summ, Oliver SY 07, SY 45
T Teepker, Michael SY 29 Tegenthoff, Martin P08.3 Terhaag, Bernd P10.9 Terkelsen, Astrid J. P08.4 Terlinden, Rolf P01.1 Theres, Heinz SY 18 Theurer, Christoph P14.2, P14.3 Theurich, Jörn P14.5 Thieme, Kati SY 39 Thoma, Reinhard SY 50, P10.3, P16.11 Thomm, Monika SY 24, SY 25, P17.1, P17.2 Thöns, Matthias PS15, PS25, P11.2, P15.8 Thümmler, Daniela P12.9, P14.14 Tiebel, Nils P16.6 Tielen-Laarhoven, Thérèse P08.14 Tietze, Anna-Lena P15.6, 18.4 Tölle, Thomas R. P09.4, P10.8, P10.10
Treede, Rolf-Detlef P01.2, P01.10, P02.6, P02.7 Trojan, Jörg P08.7, P08.8, P08.9, P08.10, P08.11, P08.12, P09.6 Tronnier, Volker SY 52, P07.1 Tuffner, Daniela P15.7 Tzschentke, Thomas P01.1, P14.12
Überall, Michael P10.9, P12.7, P12.8, P12.9, P14.14 Üçeyler, Nurcan SY 22, SY 48, P07.6
Willweber‑Strumpf, Anne P16.7 Wimmer, Antonie P14.6, P14.7 Windeck, Susanne P05.2 Winfried, Neuhuber P06.4, P06.5 Winkelmann, Andreas P10.3 Wirz, Stefan P11.3 Wischmann, Tewes SY 10 Wischmeyer, Erhard P01.6 Wittrich, Michael P16.5 Wolff, Stephan P01.12 Wolz, Susanne P01.5 Wronkowitz, Nina P06.1, P06.3 Wulff, Ines P17.10
V
Y
Valet, Günter P09.2 van der Ham, Jasper P02.7 van Doorn, Christina P16.8 van Suijlekom, Hans A. P08.14 Venkat, Sandra SY 19 Vercellino, Filiberto P07.4 Viebahn, Johannes P01.6 Vocks, Silja P18.4 Volkova, Julia P10.2 Vollrath, Mark P14.10 von Hartrott, Hans-Joachim P04.4 von Lützau, Pia P15.6, P17.7 Vormelker, Jenny P11.3 Vuurman, Eric P14.10
Yilmaz, Pinar P08.7, P08.8, P08.9, P08.10, P08.11, P08.12, P09.6 Yoshitake, Takashi P08.4
U
W Wager, Julia SY 51, P18.4 Wagner, Heiko P09.2, P09.3 Wallasch, Thomas-Martin SY 09, SY 27 Wamsler, Christine P15.6 Warnecke, J.M. P09.1 Warnholz, H. P11.7 Wasem, Jürgen P05.10 Wasner, Gunnar SY 44, P02.2, P08.4 Watfeh, Rami P02.2 Weh, Ludwig P15.9 Weinges, Fabian P02.11 Weinkauf, Benjamin P02.7 Weiser, Thomas P01.13, P07.7, P07.12, P08.13, P09.1, P09.5, P09.7, P10.3 Weisser, Burkhard P05.4 Welte, Lorenz P12.4 Welter, Tanja SY 20 Wendt, T. P09.1 Wenger, Anna P04.3 Werdehausen, Robert P14.13 Westermann, Andrea SY 40, PS10, P08.3, P08.5 Wiese, Christoph H.R SY 42, P08.6, P11.3, P12.6, P17.3, P17.6 Wieser, Matthias J. P02.8 Wilhelm, Stefan P07.5
Z Zacharowski, Kai P11.9 Zadrazil, Markus P16.5 Zarth, Ralf P12.4 Zaslansky, Ruth P04.7, P04.10 Zeller, Daniel P07.6 Zenz, Michael SY 44, P15.8 Zernikow, Boris SY 33, SY 43, SY 56, P05.11, P07.14, P15.6, P17.7, P18.4, P18.5 Zhu, Xinran P06.1, P06.2, P06.3 Ziegler, Dan P07.5 Zieglgänsberger, Walter P09.6 Zimmer, Annette P04.5, P14.8 Zimmermann, Michael P11.9 zu Eulenburg, Peter P0
Der Schmerz · Supplement 1 · 2011
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