Schmerz Suppl 1 · 2010 · 24:1–152 DOI 10.1007/s00482-010-0980-5 © Deutsche Gesellschaft zum Studium des Schmerzes. Published by Springer Medizin Verlag – all rights reserved 2010
Deutscher Schmerzkongress 2010
Visionen und Irrtümer Mannheim, 06.–09. Oktober 2010 Grußwort Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Veranstalter Deutsche Gesellschaft zum Studium des Schmerzes e.V. (DGSS) Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) In Zusammenarbeit mit Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Schmerztherapie (DIVS) Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin e.V. (DGP) Deutsche Schmerzgesellschaft e.V. (DSG) Tagungsort m:con Congress Center Rosengarten Rosengartenplatz 2 68161 Mannheim Kongresspräsidenten Prof. Dr. Christoph Maier Abteilung für Schmerztherapie Berufsgenossenschaftliches Universitätsklinikum Bergmannsheil GmbH Bürkle-de-la-Camp-Platz 1 44789 Bochum
Titelbild: © Edition Panorama GmbH. Fotograf: Horst Hamann Motiv: Congress Center Rosengarten, Mannheim
Prof. Dr. Peter Kropp Universität Rostock „ Medizinische Fakultät Zentrum für Nervenheilkunde Institut für Medizinische Psychologie Gehlsheimer Str. 20 18147 Rostock Zusammensetzung des Wissenschaftlichen Komitees Ralf Baron, Kiel Stefan Evers, Münster Julia Frettlöh, Bochum Gerd Geisslinger, Frankfurt Winfried Häuser, Saarbrücken Monika Hasenbring, Bochum Tim Jürgens, Hamburg Regine Klinger, Hamburg Thomas R. Kohlmann, Greifswald Andreas Kopf, Berlin Peter Kropp, Rostock Walter Magerl, Mannheim Volker Malzacher, Reutlingen Arne May, Hamburg Karl Messlinger, Erlangen Nadja Nestler, Bochum Esther Pogatzki-Zahn, Münster Christoph Schankin, München Andreas Straube, München Martin Tegenthoff, Bochum Harald Traue, Ulm Stefan Wirz, Bad Honnef Boris Zernikow, Datteln
2010 endet eine Dekade und ist somit ein guter Anlass, kritisch innezuhalten und Irrwege zu identifizieren, aber auch neue Visionen anzustoßen und umzusetzen. Schmerzforschung ist heute kein Stiefkind der Medizin mehr. Niemand hätte vor 30 Jahren erwarten können, dass Schmerztherapie heute selbstverständlicher Bestandteil der Primärversorgung der Bevölkerung geworden ist, dass trotz mancher Mängel Psychologen, Onkologen, Rheumatologen, Neurologen und Chirurgen viele Erkenntnisse der Schmerztherapie umsetzten. Schmerzmediziner und -psychologen sind aber auch Irrwege gegangen. Solche Irrtümer haben ihren Wert, denn nicht selten sind es fehlerhafte Theorien und Ansätze, die den Impuls zu Weg weisenden Fortschritten geben können. So hat zum Beispiel die eigentlich falsche „Gate-control“-Theorie den Weg zu der Erkenntnis eröffnet, dass Schmerzen nicht nur durch zu starke Reize, sondern auch durch Störungen der körpereigenen Schmerzhemmung erzeugt werden können. Es gab sicher aber auch weitere Irrtümer, wie möglicherweise die Fehlbewertung der psychischen Komorbidität, die in der Vergangenheit viel zu schlicht als algogenes Psychosyndrom missgedeutet wurde, oder die Bagatellisierung sozialmedizinischer Fragen oder auch die Überschätzung der Möglichkeiten der medikamentösen Therapie verbunden mit einer Unterschätzung ihrer Gefahren. Umgekehrt gibt es heute neue Visionen in Folge der großen Fortschritte z.B. in der Genetik, in der Bildgebung, in der Diagnostik speziell von Neuropathien sowie in der Präventionsmedizin und nicht zuletzt in der Schmerz-Psychotherapie. Sie haben uns die Vision einer individualisierbaren und Mechanismen-basierten Schmerzforschung und -therapie ein Stück nähergebracht. Welche dieser Visionen später als Irrweg erkannt werden, wissen wir nicht. Aber die Diskussion alter Irrwege wird auch hierbei nützlich sein. Auf dem Kongress 2010, der in Mannheim stattfinden wird, sollen konkrete Visionen für Entwicklungslinien in naher Zukunft aus der kritischen Analyse von Irrtümern aus den vergangenen Jahren hergeleitet werden. Es wird hierzu eine Vortragsreihe geben, in denen erfahrene namhafte Kliniker und Forscher basierend auf ihrer langjährigen Erfahrung, den Nutzen auch ihres eigenen Irrtums beleuchten und ihre persönlichen Visionen für das Fachgebiet der Schmerzmedizin schildern werden, welches sie maßgeblich mitgeprägt haben. Daneben spiegeln eine Vielzahl von Workshops und mehr als 50 Symposien die Vielfalt der Mitgliederinteressen wider und zeigen neue Entwicklungslinien auf. Wie jedes Jahr werden 36 Praktiker-Seminare stattfinden, in denen die Umsetzung von Neuem für die tägliche Praxis vermittelt wird. Ein Schwerpunkt wird auch in diesem Jahr wieder die Nachwuchsförderung sein, die von beiden Fachgesellschaften seit Jahren intensiv betrieben wird. Mögen bei all den vorgestellten Irrtümern die Visionen überwiegen und der Kongress zu fruchtbaren und nachhaltigen Impulsen in Schmerzforschung und -therapie verhelfen!
Christoph Maier (DGSS)
Peter Kropp (DMKG) Der Schmerz Supplement 1 · 2010
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Herausgeber
Der Schmerz
Organ der Deutschen Gesellschaft zum Studium des Schmerzes der Österreichischen Schmerzgesellschaft der Schweizerischen Gesellschaft zum Studium des Schmerzes der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Schmerztherapie In Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie e.V., der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft und der Sertürner Gesellschaft Federführende Herausgeber / Editors-in-Chief Prof. Dr. L. Radbruch, Klinik für Palliativmedizin, Universitätsklinikum Bonn und Zentrum für Palliativmedizin, Malteser Krankenhaus Bonn Assistenz: Prof. Dr. F. Elsner, Universitätsklinikum Aachen, Klinik für Palliativmedizin, Aachen Prof. Dr. H.-G. Schaible, Universitätsklinikum Jena, Institut für Physiologie, Jena
Foto: p!xel 66, fotolia.com
Herausgeber / Editors Prof. Dr. E. Alon, Praxis für Schmerztherapie, Facharzt FMH für Anästhesiologie, Zürich (Schweizerische Gesellschaft zum Studium des Schmerzes) Prof. Dr. A. Becker, Philipps-Universität Marburg, Abteilung für Allgemein medizin, Präventive und Rehabilitative Medizin, Marburg Prof. Dr. E. Beubler, Institut für experimentelle und klinische Pharmakologie, Graz Prof. Dr. G. Geißlinger, Klinikum der Joh. Wolfgang Goethe-Universität, Institut für klinische Pharmakologie, Frankfurt am Main Prof. Dr. H. Göbel, Schmerzklinik Kiel GmbH & Co., Kiel Prof. Dr. M. Hasenbring, Ruhr-Universität Bochum, Institut für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie, Bochum Dr. W. Häuser, Klinikum Saarbrücken gGmbH, Psychosomatik, Saarbrücken Prof. Dr. W. Ilias, Abt. für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerz therapie, Krankenhaus der Barmherzigen Brüder, Wien Prof. Dr. J. H. Laubenthal, Ruhr-Universität Bochum, Universitätsklinik für Anaesthesiologie am St. Josef Hospital, Bochum (Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Schmerztherapie) Prof. Dr. R. Likar, Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin, Palliativmedizin und Schmerztherapie, LKH Klagenfurt Prof. Dr. C. H. Maier, Klinik für Anästhesiologie, Intensiv- und Schmerztherapie, Bochum Prof. Dr. A. May, Universitäts-Krankenhaus Eppendorf (UKE), Neurologische Klinik, Hamburg Prof. Dr. W. Nix, Klinik und Poliklinik für Neurologie, Johannes Gutenberg Universität Mainz Prof. Dr. R. Sabatowski, UniversitätsSchmerzCentrum & Klinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie, Universitätsklinikum „Carl Gustav Carus“, Dresden Prof. Dr. M. Schäfer, Klinik für Anästhesiologie mit Schwerpunkt Intensiv medizin, Campus Virchow Klinikum, Berlin
PD Dr. M. Schuler, Diakoniekrankenhaus Mannheim GmbH, Akutgeriatrie, Mannheim Prof. Dr. R.-D. Treede, Lehrstuhl für Neurophysiologie, Medizinische Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg (Deutsche Gesellschaft zum Studium des Schmerzes) Prof. Dr. V. Tronnier, Universitätsklinikum Schleswig Holstein, Klinik für Neurochirurgie, Lübeck Prof. Dr. M. Tryba, Städtische Kliniken, Kassel Prof. Dr. R. Wittenberg, St. Elisabeth Hospital, Herten Prof. Dr. M. Zenz, BG-Kliniken Bergmannsheil-Universitätsklinik, Klinik für Anästhesiologie, Intensiv- und Schmerztherapie, Bochum Prof. Dr. B. Zernikow, Universität Witten/Herdecke, Institut für Kinderschmerztherapie und Pädiatrische Palliativmedizin, Vestische Kinder- und Jugendklinik, Datteln Prof. Dr. Dr. M. Zimmermann, Neuroscience & Pain Research Institute, Heidelberg Rubrikherausgeber / Section Editors Neues aus der Forschung C. Maier, Bochum Weiterbildung • Zertifizierte Fortbildung / Continuing Medical Education Prof. Dr. H. Göbel, Kiel • Prof. Dr. R. Sabatowski, Dresden Mitteilungen der DGSS / Notifications from the DGSS Prof. Dr. R.-D. Treede, Mannheim International Advisory Board: PhD S. M. Colleau, Madison, USA • MD R. K. Portenoy, New York, USA MD PhD N. Rawal, Örebro, Schweden • S. A. Schug, Perth, Australia MD M. Stanton-Hicks, Cleveland, USA • Dr. R. G. Twycross, Oxford, UK PhD D. Turk, Pittsburgh, USA Ehrenherausgeber Prof. Dr. A. Doenicke, München
Der Schmerz
Der Schmerz Supplement 1 • 2010
Abstracts – Themenschwerpunkte Donnerstag, 07.10.2010 Nationale Versorgungsleitlinie: Diabetische Neuropathie – Bedeutung für die Schmerztherapeuten
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Placebo-Analgesie
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Bilaterale kortikale Veränderungen – eine Besonderheit des komplexen regionalen Schmerzsyndroms (CRPS)?
9
Neue Targets in der Schmerztherapie – Visionen aus Grundlagenforschung
9
Hat die invasive Schmerztherapie einen Platz in der multimodalen Schmerztherapie?
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CGRP in der Pathophysiologie der Migräne – Vom Molekül zum Medikament
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Schmerzbewältigung, Aktzeptanz oder Provokation? Prozessvariablen in der Behandlung chronischer Schmerzen
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Sympathisch unterhaltener Schmerz (SMP) – Phantom, Irrweg oder klinisch-therapeutische Realität?
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Schmerzhafte Polyneuropathie oder Polyneuropathie und Schmerzen. Die unterschiedliche Pathophysiologie von Schmerzen bei Neuropathien
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Palliative Diagnostik und Therapie neuropathischer Schmerzen bei Tumorerkrankungen
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Sport und Schmerz
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Visionen und Irrtümer in der Behandlung von Kopfschmerzen
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Die Interferenz von Schmerz, Kognition und Emotion: Psychologische und neurophysiologische Korrelate
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Freitag, 08.10.2010
Ist die Migräne eine progressive Erkrankung?
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Psychologische Verfahren beim Kopfschmerz – Visionen und Irrtümer
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Samstag, 09.10.2010 Integration der S3-Leitlinie LONTS in die Versorgungsrealität
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Neues aus der Kopfschmerzforschung: Das DMKG-Netzwerk Nachwuchssymposium DMKG
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Spezifische Probleme der Diagnostik und Therapie bei chronischem Schmerz nach Arbeitsunfällen
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KEDOQS Schmerz zur unabhängigen Versorgungsforschung, Qualitätssicherung und Entwicklung der Schmerztherapie
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Aspekte der Schmerztherapie bei Patienten mit Migrationshintergrund
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Postoperativer Schmerz und Hyperalgesie – Interaktion von Schmerzgedächtnis von Geschlechtshormonen
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Die Bedeutung der Partner-Patienteninteraktion bei chronischen Schmerzen
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Leistungseigenschaften von Nervenfasern – Bedeutung für Schmerz und Schmerztherapie
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Schmerz(psycho)therapie – Quo vadis?
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Nachwuchssymposium DGSS
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Funktionelle abdominelle Schmerzsyndrome: Störungen der Darm-Gehirn-Achse als pathophysiologisches und therapeutisches Konzept
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Soziale Ungleichheit und Schmerzstörungen in Deutschland
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DMKG meets Augenheilkunde – Auge und Kopfschmerz
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Kopfschmerzen bei Kindern und Jugendlichen: Neues zu Epidemiologie, Diagnostik und Therapie
51
Präoperative psychologische Risikofaktoren für postoperativen Schmerz
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Irrtümer und Visionen: Der Beitrag der Leitlinien
18
Nationale Versorgungs-Leitlinie Kreuzschmerz Symposium A: Bewährtes und Neues in der Erstversorgung
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Was Analgetika sonst noch machen . . .
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Extrasegmentale endogene Hemmung (DNIC, CPM): ihre Bedeutung für den akuten und chronischen Schmerz
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Europäische Netzwerke in der Schmerzforschung
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Psychische Traumatisierung und chronische Schmerzen
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Small fiber Neuropathie (SFN) – Wege aus einem Labyrinth
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DFNS – Visionen und Irrtümer
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Update Kopfschmerzen: Das wichtigste aus den letzten 2 Jahren zu den Themen
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Empathie und Schmerz
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Palliativmedizin – Vision oder Irrtum?
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„What comes up, must come down“ Der historische Fehlschlag des Wind-up als universellem Mechanismus der Schmerzchronifizierung (und was wir daraus lernen können)
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Pflegesymposium Teil 1: Krankenhaus mal anders
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Konservative Schmerztherapie am Krankenhaus: Klasse oder Masse?
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Pflegesymposium Teil 2: Krankenhaus mal anders
26
Alltag in deutschen Schmerzzentren: Erkenntnisgewinn aus einer multizentrischen Datenanalyse
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Der Beitrag der pharmazeutischen Industrie auf die klinische Forschung und Meinungsbildung – Verwerflich, Nützlich oder Notwendig?
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Nationale Versorgungs-Leitlinie Kreuzschmerz Symposium B: Abgestufte, Intensitäts-gesteuerte Versorgung
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Ärztliche Entscheidungsfindung bei akutem und chronischem Rückenschmerz – Irrtümer und Visionen
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„10 Years later“ – Was hat sich im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts in der Tumorschmerztherapie wirklich verändert?
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Risiken der Pharmakotherapie in der Schmerztherapie (Konflikt Zulassungsrecht, Aufklärungspflicht und Routinevorgehensweisen)
31
Was hat die Cortical Spreading Depression (CSD) mit Migräne zu tun? 60 Das Fear Avoidance Modell im Lichte neuer Erkenntnisse
61
Modellierung von peripheren Schmerzschaltern (MoPS)
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Praktikerseminare
62
Poster Donnerstag, 07.10.2010 P01 – Experimentelle Schmerzmodelle I
72
P02 – Experimentelle Schmerzmodelle II
76
Der Schmerz Supplement 1 · 2010
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Abstracts P05 – Kopfschmerz I
80
P07 – Neuropathischer Schmerz I
83
P09 – Rückenschmerz und Bewegungsapparat I
87
P11 – Tumorschmerz und Palliativmedizin I
93
P13 – Pharmakologische Therapie des Schmerzes I
96
P15 – Multimodale und andere Therapieverfahren I
99
P17 – Pflege
105
Freitag, 08.10.10 P03 – Experimentelle Schmerzmodelle III
107
P04 – Aktutschmerz I
112
P06 – Kopfschmerz II
116
P08 – Neuropathischer Schmerz II
119
P10 – Rückenschmerz und Bewegungsapparat II
124
P12 – Schmerz im Alter
129
P14 – Pharmakologische Therapie des Schmerzes II
133
P16 – Multimodale und andere Therapieverfahren II
136
P18 – Psychologie und Psychotherapie des Schmerz
142
Autorenverzeichnis
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Abstracts
Visionen und Irrtümer Mannheim, 06.–09.10.2010
Abstracts – Themenschwerpunkte Donnerstag, 7. Oktober 2010 NEUROPATHISCHER SCHMERZ Nationale Versorgungsleitlinie: Diabetische Neuropathie – Bedeutung für die Schmerztherapeuten SY-1 Eine neue Nationale VersorgungsLeitlinie: Neuropathie bei Diabetes – Relevante Aspekte für die Schmerztherapie und die Therapie von gastrointestinalen Störungen S. Weinbrenner1, B. Weikert1, J. Keller2, C. Maier3 1 Ärztliches Zentrum für Qualität in der Medizin (ÄZQ), Berlin, 2Medizinische Klinik, Israelisches Krankenhaus, Hamburg, 3Abteilung für Schmerztherapie, BG Universitätsklinikum Bergmannsheil GmbH Bochum; Ruhr Universität, Bochum Einleitung: 20 % bis 30 % der Menschen mit Diabetes leiden als Folgekomplikation an einer Neuropathie (10;16;24;29;30). Sie sind zudem als Hochrisikopatienten für Fußkomplikationen und kardiovaskuläre Mortalität anzusehen [7;11]. Daher bedürfen sie einer sorgfältigen und sektorübergreifenden Langzeitbetreuung. Eine schmerzhafte Neuropathie kann darüber hinaus nachweislich zu einer bedeutenden Einschränkung der Lebensqualität der Betroffenen führen [5; 12]. Das Programm für Nationalen VersorgungsLeitlinien hat zum Ziel, versorgungsbereichsübergreifende Leitlinien zu ausgesuchten Erkrankungen evidenz- und konsensbasiert zu entwickeln und zu implementieren [4]. Aufgrund der hohen Prävalenz des Diabetes und seiner Folgekomplikationen und der gesundheitlichen Bedeutung für die Gesellschaft wurde entschieden, eine Nationale VersorgungsLeitlinie zum diesem Thema zu entwickeln. Auf diesem Symposium soll ein inhaltlicher Auszug aus der umfangreichen Leitlinienarbeit gegeben werden. Ein Vortrag wird sich mit der methodischen Entstehungsgeschichte der NVL „Neuropathie bei Diabetes“ beschäftigen. In zwei weiteren Vorträgen werden exemplarisch relevante Aspekte zu Diagnostik und Therapie von Schmerzen und gastrointestinalen Beschwerden bei Menschen mit diabetischer Neuropathie erörtert. Methodische Entstehung der NVL „Diabetische Neuropathie“: Die erste Auflage der NVL Diabetes wurde 2002 veröffentlicht [3]. Seit 2004 wird sie modular überarbeitet. 2006 konnten die ersten Module „Netzhautkomplikationen“ und „Fußkomplikationen“ bei Typ-2-Diabetes abgeschlossen werden. Ein weiteres Modul „Nierenerkrankungen
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bei Diabetes im Erwachsenenalter“ steht kurz vor der Veröffentlichung (siehe www. versorgungsleitlinien. de). Von 2007 bis 2010 wurde inhaltlich am NVL-Modul „Diabetische Neuropathie“ gearbeitet. Der Methodik des NVL-Programms [4] entsprechend wurde das Modul als Leitlinienadaptation der Leitlinien der Deutschen Diabetes Gesellschaft [9] sowie der American Diabetes Association (ADA) [1; 2] konzipiert. Die Schlüsselempfehlungen dieser evidenz- und konsensbasierten Leitlinien wurden zusammengeführt und durch systematisch recherchierte Evidenz aus Meta-Analysen, systematischen Reviews und Originalliteratur aktualisiert und ergänzt. Ein Expertenkreis aus Vertretern von zehn medizinischen sowie nichtmedizinischen Fachgesellschaften und der Patientenselbsthilfe diskutierte in insgesamt 17 gemeinsamen Sitzungen die bestverfügbare Evidenz und entwickelte praxisrelevante Handlungsempfehlungen. Systematisch wurden die sensomotorische diabetische Polyneuropathie, die kardiale autonome diabetische Neuropathie sowie die autonome diabetische Neuropathie am Gastrointestinal- und Urogenitaltrakt abgehandelt. Neben der Diagnostik und der Therapie einer manifesten Neuropathie ging man ausführlich auf angemessene Früherkennungs- und Präventionsmaßnahmen ein, um eine Neuropathie bei Menschen mit Diabetes zu verhindern oder zumindest hinauszuzögern. Darüber hinaus wurden die Nahtstellen zwischen den hausärztlichen und fachärztlichen Versorgungsbereichen explizit herausgearbeitet und in klinischen Algorithmen dargestellt. Anfang 2010 fand ein zweitägiges Konsensustreffen statt, in dem in einem nominalen Gruppenprozess, moderiert durch die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), alle Empfehlungen abgestimmt wurden. In den nächsten Monaten ist die Konsultationsphase geplant, in der die interessierte Öffentlichkeit erstmals die Möglichkeit hat, die Langfassung des NVLModuls zu kommentieren. Themenschwerpunkt: Gastrointestinale Beschwerden bei Menschen mit diabetischer Neuropathie Gastrointestinale Beschwerden treten bei Menschen mit Diabetes gehäuft auf und sind mit einer signifikanten Beeinträchtigung der Lebensqualität assoziiert [23]. Die in Studien angegebene Häufigkeit gastroenterologischer Störungen schwankt allerdings stark und hängt vor allem vom untersuchten Patientenkollektiv ab. In einem selektionierten Krankengut litten 76 % der befragten Menschen mit Diabetes unter mindestens einem gastrointestinalen Symptom [7]. Größere, teils bevölkerungsbasierte Studien [27] zeigen demgegenüber mehrheitlich deutlich niedrigere Prävalenzen (z. B. Obstipation bei 11,4 % der Diabetiker), allerdings immer noch eine Häufung gegenüber Menschen ohne Diabetes [27;21]. Die diabetische autonome Neuropathie, hier insbesondere Affektionen der vagalen Regulation gilt dementsprechend als wichtigster Pathomechanismus für eine Alteration der gastrointestinalen Funktionen und das Auftreten entsprechender abdomineller Beschwerden bei Menschen mit Diabetes [21;15;22]. Fast alle gastrointestinalen Funktionen werden auch durch Hyperglykämie beeinflusst [7;1]. Außerdem können Menschen mit Diabetes auch eine enterale Neuropathie sowie eine veränderte Freisetzung diverser gastrointestinaler Peptidhormone ent-
wickeln. Es ist immer eine differentialdiagnostische Abklärung erforderlich [21;4]. Gastroenterologische Störungen als Folge einer autonomen Neuropathie können sich an allen Abschnitten des Gastrointestinaltrakts manifestieren, deshalb entsprechende Symptome aktiv erfragt werden (z. B. Dysphagie, Refluxbeschwerden, abdominelle Schmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Völlegefühl, Blähungen, Diarrhoe, Obstipation, Stuhlinkontinenz). Andere relevante organische Erkrankungen sollten ausgeschlossen werden. Hierzu sind in aller Regel bildgebende Verfahren und Laboruntersuchungen notwendig. Auf eine autonome Neuropathie zurückzuführende Störungen können mit Hilfe funktionsdiagnostischer Methoden nachgewiesen werden. Bei allen Manifestationen der autonomen Neuropathie am MagenDarm-Trakt ist die Verbesserung der Diabeteseinstellung sinnvoll. Sie ist oft aber besonders schwer zu erreichen, weil gastrointestinale Störungen selbst die Nährstoffresorption und damit die Blutzuckerregulation beeinflussen. Die gastrointestinalen Manifestationen der autonomen diabetischen Neuropathie werden symptomorientiert behandelt. Die Therapie unterscheidet sich dabei nicht grundsätzlich von der bei Patienten ohne Diabetes mellitus. Themenschwerpunkt: Schmerztherapie bei Menschen mit diabetischer Neuropathie In der NVL wird erstmalig im Rahmen der weiterführenden Diagnostik auch die Quantitative Sensorische Testung (QST) vorgestellt und in bestimmten Fällen empfohlen. Für Schmerztherapeuten ist dies hoch relevant, da bei der sensomotorischen diabetischen Polyneuropathie sowohl die myelinisierten, als auch die nicht-myelinisierten Nervenfasern in unterschiedlichem Ausmaße betroffen sind (17;11). Weiterhin werden verschiedene konsensbasierte Empfehlungen gegeben, wie Schmerzen im Praxisalltag zu dokumentieren sind. Ziel ist es, die speziell für die Schmerztherapie entwickelten Diagnose- und Assessement-Verfahren auch außerhalb schmerztherapeutischer Spezialeinrichtungen zum Standard zu machen. Dies ist ein wichtiger Schritt in Richtung einer optimierten Versorgung von Menschen mit diabetischer Neuropathie. Im Vergleich zu den Quellleitlinien wurden die spezifischen Therapiemaßnahmen bei schmerzhafter (sensomotorischer) diabetischer Polyneuropathie und autonomer diabetischer Neuropathie detaillierter beschrieben. Die Experten gingen in diesem Bereich von einem besonders großen Informationsdefizit in der klinischen Praxis aus. Sowohl systematische Übersichtsarbeiten (z. B. die Metaanalyse von Wong und Kollegen) als auch die eigens durchgeführte systematische Evidenzsuche offenbarte, dass es im Bereich der Schmerztherapie bemerkenswerte Evidenzlücken gibt (9;28). Hier besteht ein gravierendes Problem, weil viele der in Deutschland häufig bei schmerzhafter Neuropathie verschriebenen Schmerzmittel in Studien bislang nicht oder nur unzureichend überprüft worden sind. Angesichts der Versorgungsrealität erschien es den Experten jedoch unverzichtbar, klare Positionen auch zu Schmerzmitteln zu beziehen, die bisher nicht ausreichend in Studien untersucht sind, dennoch aber große Bedeutung in der Versorgung von Patienten mit diabetischer Neuropathie haben (z. B. Tilidin + Naloxon). Es wurden evidenz- und konsensbasierte Empfehlungen erarbeitet, mit dem Ergebnis, dass einige in der Praxis angewandte medikamentöse Therapieoptionen als vermutlich nicht-wirksam oder sogar potentiell gefährlich eingestuft werden mussten. Des Weiteren wird erstmals in einer Nationalen VersorgungsLeitlinie zum „Off-Label-Use“ sowie zum „Publication Bias“ (z. B. (26)) Stellung genommen. Kriterien für einen „Off-Label-Use“ werden ausführlich beschrieben. Darüber hinaus werden verschiedene nicht-pharmakologische Therapiemaßnahmen ebenfalls evidenzbasiert dargestellt und ggf. als Therapieoption gewürdigt. Fazit: Evidenzbasierte Leitlinien sind ein wesentliches Instrument der Qualitätsförderung und Transparenz und werden in Zukunft das diagnostische und/oder therapeutische Handeln zunehmend beeinflussen [13].
Neben den zwei bereits veröffentlichten NVL-Modulen steht nun nach 3-jähriger intensiver und erfolgreicher Arbeit ein weiteres wichtiges Modul zum Thema „Diabetische Neuropathie“ zur Verfügung. Es handelt sich somit zusammenfassend um den Versuch, die Forderungen nach evidenzbasierter Medizin so umzusetzen, dass die NVL relevante Entscheidungshilfen zur Behandlung von Menschen mit diabetischer Neuropathie liefern kann. Das beinhaltet, neben der Darstellung aller nachgewiesen wirksamen Therapieoptionen, ebenso die transparente Darstellung der nicht-wirksamen oder gar gefährlichen Verfahren und Substanzen. Damit ist das Ziel erreicht, die Vielzahl von existierenden Leitlinien und Empfehlungen zu Diabetes und Neuropathie durch ein evidenzund konsensbasiertes NVL-Modul zu ersetzen. Literatur: 1. Abid S, Rizvi A, Jahan F, et al. Poor glycaemic control is the major factor associated with increased frequency of gastrointestinal symptoms in patients with diabetes mellitus. Jpma 2007;57: 345-349 2. American Diabetes Association (ADA). Standards of medical care in diabetes--2010. Diabetes Care 2010;33(Suppl 1): S11-S61. 3. Boulton AJ, et al.. Diabetic neuropathies: a statement by the American Diabetes Association. Diabetes Care 2005;28(4): 956-62. 4. Boulton AJ, Vinik AI, Arezzo JC, et al. Diabetic neuropathies: a statement by the American Diabetes Association. Diabetes Care 2005;28: 956-962 5. Bundesärztekammer (BÄK), Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ), Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG), Fachkommission Diabetes Sachsen (FDS), Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM), Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). Nationale Versorgungs-Leitlinie Diabetes mellitus Typ 2. Köln: BÄK; 2002. 6. Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). Nationales Programm für Versorgungs-Leitlinien. Methoden-Report 4. Auflage. 2010 [cited: 2010 Mai 06]. Available from: http: //www.versorgungsleitlinien. de/methodik/ reports 7. Bytzer P,, et al. Prevalence of gastrointestinal symptoms associated with diabetes mellitus: a population-based survey of 15,000 adults. Arch Intern Med 2001;161: 1989-1996 8. Currie CJ et al. The health-related utility and health-related quality of life of hospital-treated subjects with type 1 or type 2 diabetes with particular reference to differing severity of peripheral neuropathy. Diabetologia 2006;49(10): 2272-80. 9. Dworkin RH et al.. Pharmacologic management of neuropathic pain: evidence-based recommendations. Pain. 2007 ;132: 237-51. 10. Dyck PJ et al. The prevalence by staged severity of various types of diabetic neuropathy, retinopathy, and nephropathy in a population-based cohort: the Rochester Diabetic Neuropathy Study. Neurology 1993;43(4): 817-24. 11. England JD, et al. Practice Parameter: evaluation of distal symmetric polyneuropathy: role of autonomic testing, nerve biopsy, and skin biopsy (an evidence-based review). Neurology. 2009 Jan 13;72: 177-84. 12. Gerritsen J et al. Impaired autonomic function is associated with increased mortality, especially in subjects with diabetes, hypertension, or a history of cardiovascular disease: the Hoorn Study. Diabetes Care 2001;24(10): 1793-8. 13. Grimshaw JM et al., Effectiveness and efficiency of guideline dissemination and implementation strategies. Health Technol Assess 2004;8(6): iii-72. 14. Haslbeck M et al. Diagnostik, Therapie und Verlaufskontrolle der Neuropathie bei Diabetes mellitus Typ 1 und Typ 2. Evidenzbasierte Leitlinie DDG. Dt. Diabetes-Ges.; 2004. 15. Keller J. Gastroenterologische Probleme bei diabetischer Neuropathie. Der Diabetologe 2008;8: 10 16. Lluch I et al., H. Cardiovascular autonomic neuropathy in type 1 diabetic patients with and without peripheral neuropathy. Diabetes Res Clin Pract 1998;42(1): 35-40. Der Schmerz Supplement 1 · 2010
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EXPERIMENTELLE MODELLE UND PATHOPHYSIOLOGIE Placebo-Analgesie SY-2 Placebo-Analgesie E. Pogatzki-Zahn1, U. Bingel2, R. Baron3 1 Uniklinikum Münster, 2Universitätsklinikum Hamburg, UKE, Hamburg, 3 Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Kiel Die Forschung der letzten 30 Jahre hat eindrücklich gezeigt, dass es sich bei der Plazeboanalgesie nicht um einen rein psychologischen sondern um einen komplexen neurobiologischen Vorgang handelt. Neben der Identifizierung wichtiger kortikaler, subkortikaler und neuerdings auch spinaler Strukturen, die an der Plazeboanalgesie beteiligt sind, ist eine kognitiv getriggerte Freisetzung endogener Opioide als Wirkmechanismus eindeutig identifiziert. Auch wenn diese Untersuchungen zur
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Neurobiologie des Plazeboeffektes mit klassischen Plazebos (also Leerpräparaten) durchgeführt wurden ist es entscheidend zu realisieren, dass jede schmerztherapeutische Behandlung sich aus einer Verum(aktive pharmakologische Substanz) und einer „Plazebo“- Komponente durch kognitiv getriggerte endogene Prozesse zusammen setzt. Für letztere spielen mit der Behandlung assoziierte kontextuelle Faktoren wie Erwartung, Ängste und Vorerfahrungen mit Behandler und Behandlung eine wichtige Rolle. In diesem Symposium werden wir aktuelle neurowissenschaftliche und klinische Studienergebnisse zur Plazeboanalgesie darstellen und die Implikationen dieser Befunde für die Schmerztherapie sowie das Design klinischer Studien diskutieren. Akutschmerz: Forschungsansätze zur Plazeboanalagesie in der Akutschmerztherapie sind bisher mangelhaft; dennoch finden sich einige Daten z. T. methodisch recht gut durchgeführter Studien, die relativ eindeutig und übereinstimmend darauf hinweisen, dass der „Plazeboeffekt“ auch in der Therapie akuter postoperativer Schmerzen eine Rolle spielen könnte. Dies spiegelt sich in den AWMF-S3-Leitlinie zur Behandlung perioperativer und posttraumatischer Schmerzen wieder, in denen empfohlen wird, im Rahmen einer aktiven Schmerztherapie ein möglicher Plazeboeffekt so weit wie möglich auszuschöpfen. Dementsprechend wird empfohlen, einen möglichen Nozeboeffekt so weit wie möglich zu reduzieren. Die Ausschöpfung des Plazeboeffektes hat dabei nichts mit einer „Täuschung“ des Patienten zu tun. Es geht vielmehr darum, den Maximaleffekt einer Therapieform einschließlich einer pharmakologischen Analgesie zu verstärken. Da Erwartungsmechanismen den Plazeboeffekt beeinflussen, können schon eine adäquate präoperative Aufklärung (mittels geeigneter Instruktionen und der Darlegung eines erwarteten Effektes) und unterstützende instruktive Maßnahmen einschließlich des „Aufmerksam Machens“ auf die Gabe selber kurz vor Gabe eines Präparates positive Effekte ausüben. Auch Angstreduktion kann den Plazeboeffekt unterstützen. Nicht zuletzt kann mit Hilfe der bekannten klassischen Konditionierung der Plazeboeffekt getriggert werden; dies spielt aber möglicherweise in der Akutschmerztherapie eine weniger ausgeprägte Rolle sondern ist wichtig für die Aufrechterhaltung eines Plazeboeffektes über längere Zeit. Bei allen Maßnahmen ist von großer Bedeutung, realistisch zu bleiben, um nicht durch unerreichbare Ziele den Patienten zu enttäuschen und damit möglicherweise das Gegenteil zu erreichen. Chronischer Schmerz: Auch zum chronischen Schmerz fehlen systematische Untersuchungen der Plazebokomponente im klinischen Alltag. Die Ergebnisse aus klinischen Studien weisen aber darauf hin, dass Plazeboeffekte über Monate anhalten können und so zum therapeutischen Outcome beitragen können. Ein schwerwiegendes bislang vermutlich unterschätztes Problem sind aber die negativen Einflüsse von negativen Erwartungen und frustranen Vorerfahrungen mit Behandlung und Behandlern, welche im Sinne eines Nozeboeffektes die Wirksamkeit von ‚eigentlich’ wirksamen Substanzen einschränken, oder das Auftreten von unerwünschten Wirkungen und nachfolgendem Therapieabbruch begünstigen. Hier ist es dringend erforderlich zu untersuchen, wie mit kognitiv-behaviouralen Ansätzen der Einfluss negativer Vorerfahrungen überwunden und eine realistisch-optimistische Erwartung an neue Therapiemaßnahmen gewonnen werden kann. Auch vor diesem Hintergrund ist eine Berücksichtigung und Mitbehandlung der mit chronischem Schmerz häufig assoziierten Komorbidität von Angst und Depression von großer Bedeutung. Insgesamt wird es in Zukunft wichtig sein, herauszufinden, bei welchen Patienten durch welche Verfahren Plazeboeffekte auszulösen sind und wie sich diese mit der medikamentösen oder nicht-medikamentösen Schmerztherapie kombinieren. Hierbei stellen Wechselwirkungen aus aktiven pharmakologischen Substanzen und kognitiv getriggerten Substraten möglicherweise ein ganz neues Forschungsfeld dar. Hierbei scheint nicht nur das Alter der Patienten eine Rolle zu spielen; sondern auch Grunderkrankungen, wie z. B. die Alzheimer Demenz, welche die Fähigkeit zur Generierung der Plazeboanalgesie zu generieren beeinflussen kann. Nicht zuletzt sind auch Therapeuteneigenschaf-
ten von Bedeutung für die Effektivität von Maßnahmen zur Auslösung bzw. Steigerung von Plazeboeffekten. Klinische Studien: In den vergangenen Jahren konnte eine Reihe von neuen Pharmaka in großen klinischen Studien keine Überlegenheit gegenüber Plazebo zeigen, obwohl die Substanzen sehr Erfolg versprechende Ergebnisse in vorklinischen Studien erzielt hatten. Spiegeln diese Erkenntnisse tatsächlich die Wirkungslosigkeit der Medikamente wider, oder sind andere studienspezifische Gründe für die negativen Ergebnisse verantwortlich? In verschiedenen Schmerzstudien konnte gezeigt werden, dass die Wahrscheinlichkeit einer positiven Studie größer ist, je kleiner die Plazebo-Antwort in der Kontrollgruppe ist. Verschiedene Faktoren im Studiendesign (Randomisierungsverhältnis, head-to-head Vergleich etc.), die Erwartungshaltung der Patienten, aber auch die Ätiologie der Erkrankung haben einen direkten Einfluss auf die Höhe der PlazeboAntwort. Die konsequente Kontrolle dieser Faktoren könnte in Zukunft die Häufigkeit falsch negativer Studienergebnisse reduzieren und damit sog. „study failures“ von wirklichen „drug failures“ unterscheiden. Gleichzeitig könnten und sollten nach der eigentlichen Wirksamkeitsprüfung von Medikamenten neue Studiendesigns entwickelt werden, die versuchen durch eine systematische Variation der kontextuellen Behandlungsbedingungen einen maximalen synergistischen Effekt aus pharmakologischen und psychologischen Faktoren zu erreichen, um so den stärksten Behandlungseffekt zu erreichen.
NEUROPATHISCHER SCHMERZ Bilaterale kortikale Veränderungen – eine Besonderheit des komplexen regionalen Schmerzsyndroms (CRPS)? SY-3 Bilaterale kortikale Veränderungen – eine Besonderheit des komplexen regionalen Schmerzsyndroms (CRPS)? P. Schwenkreis1, C. Maihöfner2, A. Reinersmann3 1 Neurologische Klinik, BG-Universitätsklinikum Bergmannsheil Bochum, 2 Neurologische Universitätsklinik Erlangen, 3Abteilung für Schmerztherapie, BG-Universitätsklinikum Bergmannsheil Bochum Im Rahmen des Symposiums sollen verschiedene Aspekte zentraler Reorganisationsvorgänge im sensomotorischen Netzwerk bei CRPSPatienten dargestellt werden. Dabei soll ein besonderes Augenmerk der Frage gelten, ob beim CRPS im Gegensatz zu anderen chronischen Schmerzsyndromen möglicherweise in besonderem Maße bilaterale kortikale Veränderungen trotz unilateraler klinischer Symptomatik beobachtet werden können. Thema des ersten Vortrags sind bilaterale Veränderungen der Exzitabilität im sensomotorischen Netzwerk. Es werden Ergebnisse von Untersuchungen mittels Doppelpuls-TMS bzw. –SEP-Techniken vorgestellt, welche eine bilaterale Störung inhibitorischer Mechanismen im primären motorischen und somatosensorischen Kortex belegen. Diese werden mit Untersuchungsergebnissen bei anderen neuropathischen Schmerzsyndromen und chronischen Schmerzen nicht-neuropathischen Ursprungs verglichen. In Doppelpuls-TMS-Untersuchungen lassen sich bei Patienten mit posttraumatischen Neuralgien interessanterweise kortikale Disinhibitionsphänomene wie beim CRPS nur im kontralateral zur Läsion gelegenen motorischen Kortex nachweisen, während Patienten mit schmerzhafter Osteoarthrose als Beispiel eines nicht-neuropathischen Schmerzes keine Veränderungen der Exzitabilität im motorischen und somatosensorischen Kortex aufweisen. Die Parallelität der Veränderungen bei CRPS-Patienten zu Patienten mit fokalen Dystonien, welche ebenfalls eine bilaterale Disinhibition des motorischen Kortex zeigen, erklärt möglicherweise das Auftreten dieses Symptoms bei einem Teil der Patienten mit CRPS. Darüber
hinaus ist auch eine präexistente Störung der intrakortikalen Inhibition bei CRPS-Patienten denkbar, im Sinne einer möglichen Krankheitsprädisposition. Die Unterschiede zwischen CRPS-Patienten und Patienten mit anderen chronischen neuropathischen und nicht-neuropathischen Schmerzsyndromen sprechen für grundlegende pathophysiologische Unterschiede zwischen den einzelnen Schmerzsyndromen in Bezug auf zentrale Reorganisationsprozesse im sensomotorischen Netzwerk. Der zweite Vortrag beschäftigt sich mit Plastizität beim CRPS in Imaging-Studien. Es soll die maladaptive sensomotorische Plastizität beim CRPS dargestellt werden. In früheren Studien wurde die Ausdehnung der Handrepräsentation im primären somatosensorischen Kortex auf der gesunden und CRPS- betroffenen Seite mittels MEG untersucht. Es zeigte sich im Akutstadium eine drastische Verkleinerung der kortikalen Handrepräsentation im zum CRPS kontralateralen S1-Cortex. Das Ausmaß der Reorganisation korrelierte positiv mit der Ausdehnung der mechanischen Hyperalgesie und der Schmerzintensität. In Folgestudien gelang es darzustellen, dass die kortikale Reorganisation prinzipiell reversibel und unter Therapie rückgängig sein kann. Das Vorhandensein von plastischen ZNS- Veränderungen könnte damit die komplexen sensorischen Symptome (z. B. handschuhförmige Sensibilitätsstörungen, Gefühl einer „fremden“ Hand) bei CRPS erklären. Es werden daneben neue Studien vorgestellt, die Mechanismen- basiert versuchen mit den maladaptiven Vorgängen in der Somatosensorik auf der Basis von perzeptiven Lernstrategien zu interferieren. Schließlich werden Körperschemastörungen beim neuropathischen Schmerz als Folge von Fehlaktivierungen im intraparietalen Kortex besprochen. Auch aus diesen Befunden könnten sich neue Ansatzpunkte für die Therapie ergeben. Der dritte Vortrag behandelt dann explizit Störungen des Körperschemas beim CRPS. Sowohl bei Phantomschmerz als auch beim CRPS ist die kortikale Repräsentation des Körpers (Körperschema) im somatosensorischen Kortex gestört. Korrelate einer solchen Körperschemastörung zeigen sich im klinischen Alltag sowohl in der bilateral verzögerten Erkennung der Seitigkeit von auf Bildern gezeigten Händen wie auch in einer Verschiebung der subjektiven visuellen Körpermittellinie. Zugleich finden sich bei CRPS Patienten auch Symptome eines gestörten Körperbildes sowohl auf perzeptiver als auch kognitiver und behavioraler Ebene. Im klinischen Alltag erleben Patienten ihre Hand häufig nicht zum Köper dazugehörig, wie leblos neben dem Körper liegend oder abgestorben und nur unter gezielter Aufmerksamkeitshinwendung zu bewegen. Auch berichten Patienten die Hand als geschwollen wahrzunehmen obwohl diese nicht geschwollen ist und zeigen auch verzerrte mentale Repräsentationen der betroffenen Hand. Der Vortrag erläutert die Zusammenhänge zwischen kortikaler Reorganisation und neuronaler Repräsentation des Körpers und zeigt Belege für eine damit einhergehende Körperbildstörung bei CRPS Patienten auf. Darüber hinaus wirft der Vortrag die Frage nach der Sinnhaftigkeit der isolierten Betrachtung der Körperschema-und Körperbildstörungen auf und stellt ein Forschungsprojekt zur Untersuchung beider Störungen beim CRPS vor.
VISIONEN UND IRRTÜMER Neue Targets in der Schmerztherapie – Visionen aus der Grundlagenforschung SY-4 Falsche Erwartungen an die Grundlagenforschung – oder erforschen wir das falsche? H. Handwerker Institut für Physiologie und Pathophysiologie, Erlangen Die neuzeitliche experimentelle Forschung erzielte ihre größten Erfolge wenn Wissenschaftler reine Grundlagenforschung betrieben, ohne Der Schmerz Supplement 1 · 2010
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Abstracts Rücksicht auf praktische Anwendbarkeit. Die enormen technischen und wirtschaftlichen Konsequenzen großer Entdeckungen stellten sich meist erst viel später heraus. In den letzten Jahrzehnten hat sich mit der unübersehbaren Auffächerung der Forschung die Stoßrichtung in vielen Forschungszweigen gewandelt. Geldgeber und Publikum sind ungeduldiger geworden. Grundlagenforschung zur Schmerzentstehung scheint ein Sonderfall zu sein. Das Ziel ist selten ausschließlich Erkenntnisfortschritt. Immer drängt sich die Frage der Anwendbarkeit für die Schmerzbehandlung auf. Das verführt Grundlagenforscher häufig zu allzu optimistischen Extrapolationen ihrer begrenzten Fragestellungen auf die Schmerzbehandlung. – Darin liegt die Grundproblematik der translationalen Forschung. Trotzdem gilt für die Schmerzforschung, wie für jede gute Grundlagenforschung, dass sie von einem Fundament verfügbarer Daten, Vorstellungen (Hypothesen), und Methoden ausgehen muss. Nur in diesem Rahmen kann sie ihre Wirksamkeit über Versuch und Irrtum erweisen. „ Science is the art of soluble“ (Medawar). Eine noch so profunde Formulierung eines drängenden Problems wird zu keinem Forschungsfortschritt führen, wenn keine Methoden für die Lösung zur Verfügung stehen, oder keine nachprüfbaren Hypothesen verfolgt werden. In den letzten Jahrzehnten hat die Aufklärung der Mechanismen der Nociception im peripheren und zentralen Nervensystem riesige Fortschritte gemacht. Die Entdeckung der TRP-Kanäle, der Rolle von Nervenwachstumsfaktoren und der Neuropeptide Substanz P und CGRP schienen unmittelbare Ansatzpunkte für die Entwicklung neuartiger Analgetika zu bieten. Aber auch für lange bekannte analgetische Prinzipien boten sich neue Felder an durch die Entdeckung der peripheren Opioidrezeptoren und der Subtypen der COX-Hemmer. Für die zentralnervöse Schmerzverarbeitung ergaben sich in Tiermodellen vielversprechende Ansätze mit NMDA-Antagonisten. Warum haben diese neuen Erkenntnisse bisher noch nicht zu einer Fülle von neuartigen Analgetika geführt, die die alten Wirkprinzipien Opiate und COX-Hemmer grundsätzlich ablösten? In diesem kurzen Beitrag soll an Beispielen gezeigt werden, dass unser Erwartungshorizont angesichts der enormen Komplexität des Organismus und des nociceptiven Systems viel zu kurz gespannt ist. Der Prozess der Translation von Grundlagenforschung in angewandte klinische Forschung und schließlich in klinische Praxis ist viel länger, als wir glaubten.
STELLENWERT INVASIVER VERFAHREN Hat die invasive Schmerztherapie einen Platz in der multimodalen Schmerztherapie? SY-5 Hat die invasive Schmerztherapie einen Platz in der multimodalen Schmerztherapie?“ B. Kniesel1, M. Zenz2, R. Thoma3 1 Schmerztherapiezentrum am Rothenbaum, Hamburg, 2Klinik für Anästhesiologie, Intensiv- und Schmerztherapie, Universitätsklinik der Ruhr- Universität, Bochum, 3Diakoniewerk München-Maxvorstadt, Interdisziplinäres Zentrum für Schmerztherapie Pro: Die invasive Schmerztherapie (IST) hat bisher keinen allgemein akzeptierten Platz in der multimodalen, interdisziplinären Schmerztherapie gefunden. In den verschiedenen Behandlungsalgorithmen erscheint die IST meist auf der letzten Behandlungsstufe als Ultima ratio. Entsprechend gering erscheint ihre Präsenz auf beiden großen deutschen Schmerzkongressen der DGSS und der DGS. bei Patienten mit FBSS ist die epidurale Rückenmarksstimulation (SCS) einer konservativ Behandlung oft überlegen (1). Die kürzlich veröffentliche S3-
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Leitlinie zur SCS (2) empfielt die epidurale Stimulation bei FBSS mit radikulären Schmerzanteilen und CRPS I (Empfehlung B) sowie bei der therapierefraktären PAVK und Angina pectoris (Empfehlung A). Die vielfache, positive klinische Erfahrung von Therapeuten in der Praxis zeigt, dass durch präzise, durchleuchtungsgestützte Injektionen bei Wirbelsäulenschmerz eine deutliche Schmerzreduktion zu erzielen auch in den Fällen ist, in denen konservative Methoden versagen. Hierzu existiert eine ansehnliche Zahl hochwertiger, kontrollierter Studien (3,4), die den Nutzen diagnostischer und therapeutischer interventioneller Verfahren an der Wirbelsäule hervorheben. Bei den zervikogenen Kopfschmerzen beispielsweise, haben diese präzisen Nervenblockaden Eingang in die IHS Klassifikation zur Diagnose des zervikogenen Kopfschmerzes gefunden (5). Dass invasive Maßnahmen in der multimodalen Schmerztherapie keinen Platz haben sollen , ist eng verknüpft mit dem immer wieder geäußerten Vorurteil, dass diese generell bei chronischen Schmerzpatienten eher Schaden als Nutzen zufügten. Beide Thesen sind falsch und wissenschaftich nicht belegt. Richtig ist, dass beim chronischen Schmerzpatienten die invasive Therapie in ein multimodales Konzept eingebettet sein muss. Eine felhlende Integration der sehr wirksamen invasiven Schmerztherapie in multimodale Behandlungskonzepte führt zu einer nicht adäquaten Patientenversorgung und zu schlecht ausgebildeten Schmerztherapeuten. Nur durch einen Wandel hin zur IST in Wissenschaft, Lehre und Ausbildung, wird die „umfassende multimodale Behandlung“ vervollständigt und können die oben aufgeworfenen konträren Meinungen und Fragen geklärt werden. Contra: Invasive Schmerztherapie per se ist ein monomodales Therapieverfahren. Die Zahlen der Krankenkassen zeigen, dass allein im stationären Bereich die invasiven Schmerztherapieverfahren in den letzten Jahren um fast 100 % zugenommen haben. Für invasive Verfahren existieren keine aussagefähigen Studien. Bei chronifizierten Rückenschmerzen ist die multimodale, rein konservative Schmerztherapie die effektivste Form der Therapie und einer unimodalen Therapie deutlich überlegen (6). Die S3-Leitlinien zum Rückenschmerz (7) und die Nationale Versorgungsleitline (8) benennen invasive Therapieverfahren beim unspezifischen Rückenschmerz als unwirksam und raten von ihrem Einsatz ab. Invasive Verfahren werden zu häufig angewandt, gefährden den Patienten und führen zur weiteren Chronifizierung des Patienten. (1) Kumar K et al. Pain 2007; 132(1-2): 179-188 (2) Tronnier et al. AWMF online 2010; S3–Leitlinien Epidurale Rückenmarkstimulation http: //leitlinien. net/ (3) Bogduk et al. Elsevier 2002; Medical management of acute and chronic low back pain (4) Bogduk et al. Elsevier 2006; Management of acute and chronic neck pain (5) International Headache Society 2nd edn. Cephalalgia 2004; 24 (Suppl. 1): 115-116. (6) Guzman J, Esmail R, Karjalainen K et al. (2002) Multidisciplinary bio-psycho-social rehabilitation for chronic low back pain (cochrane review). The Cochrane Library, Issue 4, Oxford (7) Becker A et al: DEGAM-Leitlinie Nr. 3: Kreuzschmerzen, www. omicronverlag. de/leitlinien, Düsseldorf 2003 (8) http: //www. kreuzschmerz. versorgungsleitlinien. de
KOPFSCHMERZ CGRP in der Pathophysiologie der Migräne – Vom Molekül zum Medikament SY-6 CGRP in der Pathophysiologie der Migräne – Vom Molekül zum Medikament K. Messlinger1, A. Frese2, S. Evers2 1 Institut für Physiologie und Experimentelle Pathophysiologie, Erlangen, 2 Universitätsklinikum Münster Calcitonin gene-related peptide (CGRP) und Stickstoffmonoxid (NO) sind bedeutende Mediatoren bei der Entstehung von idiopathischen Kopfschmerzen wie Migräne und Clusterkopfschmerz. So ist bekannt, dass die Infusion von CGRP oder NO-bildenden Nitrovasodilatoren bei Patienten mit Migräne, Clusterkopfschmerz oder Spannungskopfschmerz verzögerte Kopfschmerzen auslösen, die den spontan auftretenden Kopfschmerzen dieser Patienten ähneln. In diesem Beitrag sollen die jüngsten tierexperimentellen Studien zur Funktion von CGRP und NO im trigeminalen Schmerzmodell der Ratte vorgestellt werden. Unter der Annahme, dass die endogene NO-Synthese eine wichtige Rolle in der Entstehung von idiopathischen Kopfschmerzen spielt, haben wir dieses Tiermodell der meningealen Nozizeption herangezogen, um die Auswirkungen einer lang anhaltenden Infusion von NO-Donatoren zu beobachten. Hier zeigte sich, dass die NO-Donatoren Natriumnitroprussid (25 µg/kg/h) und Glyceroltrinitrat (250 µg/ kg/h) eine langsam entstehende und anhaltende Erhöhung der Aktivität von Neuronen im spinalen trigeminalen Nucleus mit afferentem Einstrom aus den Meningen verursachen. Der CGRP-Rezeptor-Antagonist BIBN4096BS (900 µg/kg) konnte diese Aktivität innerhalb von Minuten massiv reduzieren. In einem weiteren Experiment wurde eine in-vitro Präparation des hemisektionierten Rattenschädels durchgeführt, um die Freisetzung von CGRP und Histamin aus der kranialen Dura mater zu messen. Während der NO-Donator NONOate (10-4 M) ohne Effekt blieb, war CGRP (10-5 M) in der Lage, Histamin aus der Dura mater der Ratte freizusetzen, was wiederum von dem CGRP-Rezeptor-Antagonisten CGRP8-37 (10-5 M) blockiert werden konnte. In-vitro Ableitungen von einzelnen meningealen Afferenzen der Ratte zeigten, dass bestimmte afferente Nervenfasern durch Histamin (bis 10-5 M) erregt werden können. Der Anstieg des meningealen Blutflusses nach Gabe von Histamin (10-4 M) wurde durch die Gabe des CGRP-Rezeptor-Antagonisten CGRP8-37 dagegen nicht beeinflusst. Diese und andere Experimente weisen auf die fundamentale Rolle von CGRP in der trigeminalen Nozizeption und die weitgehende Unabhängigkeit der nozizeptiven von den vaskulären Vorgängen in den Meningen hin. Die hier vorgestellten Tiermodelle können als aussagekräftig für die pathophysiologischen Vorgänge bei der Entstehung idiopathischer Kopfschmerzen angesehen werden. Auch im humanen Modell sind die Mechanismen von CGRP untersucht worden. So spielt die trigeminovaskuläre Aktivierung in der Pathophysiologie der Migräne und des Clusterkopfschmerzes eine entscheidende Rolle. Neben anderen Neuropeptiden wie Substanz P und Vasointestinales Peptid (VIP) ist CGRP einer der am besten untersuchten Marker für diese trigeminovaskuläre Aktivierung. Daher sollen Studien am humanen Modell vorgestellt werden, die sich mit der Rolle von CGRP bei verschiedenen Kopfschmerzen beschäftigt haben. In frühen Arbeiten konnte bereits im ipsilateralen Blut der V. jugularis ein Anstieg von CGRP sowohl bei der Migräne als auch beim Clusterkopfschmerz beobachtet werden. Durch Substanzen wir Triptane oder bestimmte NSAR konnte dieser Anstieg blockiert werden. Wir haben weitere Untersuchungen beim experimentellen trigeminalen Schmerz (induziert durch eine intrakutane Injektion von Capsaicin) und bei anderen Kopfschmerzformen durchgeführt. So wurde der Plasmaspiegel von CGRP bei Patienten mit cervikogenem Kopfschmerz während der Schmerzphase untersucht. Sowohl im Vergleich der Spiegel im Blut
Abstracts der V. jugularis und der V. cubitalis als auch im Vergleich der Spiegel zwischen den beiden Vv. jugulares konnte kein signifikanter Unterschied gefunden werden. Weiterhin wurde auch kein Unterschied in der Ausschüttung von CGRP zwischen Phasen mit Kopfschmerzen und Phasen ohne Kopfschmerzen gefunden. Dies weist darauf hin, dass bei einem symptomatischen Kopfschmerz wie dem cervikogenen Kopfschmerz eine Aktivierung von CGRP keine pathophysiologische Rolle spielt. Auch beim experimentell erzeugten Schmerz durch Injektion von Capsaicin in das Gebiet des ersten Astes des N. trigeminus konnte im Seitenvergleich keine signifikante Aktivierung des trigeminovaskulären Reflexes über CGRP beobachtet werden, obwohl sich ein autonome Aktivierung zeigte, die semiologisch der bei den trigeminoautonomen Kopfschmerzen beobachteten sehr ähnlich war. Weiterhin wurde CGRP auch beim Sexualkopfschmerz untersucht. Hier wiederum zeigte sich eine Aktivierung von CGRP, was möglicherweise durch pathophysiologische Gemeinsamkeiten dieser Kopfschmerzart mit der Migräne zu erklären ist. Zusammenfassend zeigen die Befunde am humanen Schmerzmodell, dass CGRP eine wichtige und frühzeitige Rolle in der Entstehung von idiopathischen Kopfschmerzen spielt, während es bei symptomatischen Kopfschmerzen wahrscheinlich keine oder nur eine untergeordnete Rolle spielt. Aufgrund der Beobachtungen in Tiermodellen trigeminaler Schmerzen und im humanen Schmerzmodell konnte CGRP somit als eine der wichtigsten Substanzen in der frühen Pathogenese von idiopathischen Kopfschmerzen identifiziert werden. Dementsprechend sind seit Mitte der 90er Jahre Antagonisten von CGRP entwickelt worden, von denen drei inzwischen in klinischen Studien so weit untersucht worden sind, dass sie als effektive Migränemedikamente klassifiziert werden können. Die erste Substanz dieser Art war BIBN4096BS, das in einer randomisierten placebokontrollierten Studie nach intravenöser Applikation zu einem signifikanten Rückgang von Kopfschmerzen geführt hat. Diese Substanz ist durch chemische Modifikationen für eine enterale Gabe weiterentwickelt worden und befindet sich derzeit in Studien der Phase 2. Ein weiterer CGRP-Antagonist ist die Substanz Olcegepant, die in mehreren placebokontrollierten Phase-2 Studien ebenfalls eine Wirksamkeit in der Behandlung akuter Migräneattacken gezeigt hat. In zwei Studien wurde auch ein direkter Vergleich mit einem Triptan eingeschlossen. Dabei zeigten sich die CGRP-Antagonisten in ihrer Wirksamkeit einem Triptan in mittlerer Dosierung gleichwertig. Die Nebenwirkungsrate lag bei den CGRP-Antagonisten jedoch auf Placeboniveau, während bei den Triptanen mehr ZNS-bezogene und mehr spezifische Nebenwirkungen beobachtet werden konnten. In diesem Beitrag sollen die aktuellen Daten der klinischen Studien zu CGRPAntagonisten bei Migräne einer Metaanalyse unterzogen werden. Dabei werden auch bislang nicht als Paper publizierte Daten von klinischen Studien berücksichtigt. Zusammenfassend zeigt sich, dass mit CGRP-Antagonisten eine neue Substanzgruppe zur akuten Therapie von Migräneattacken zur Verfügung steht, die in ihrer durchschnittlichen Wirksamkeit etwa der von Triptanen entspricht, jedoch weniger Nebenwirkungen hat. Es muss noch analysiert werden, welche Subgruppe vom Migränepatienten in besonderer Weise von dieser neuen Substanzgruppe profitiert.
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PSYCHOLOGISCHE VERFAHREN Schmerzbewältigung, Akzeptanz oder Provo kation? Prozessvariablen in der Behandlung chronischer Schmerzen SY-7 Schmerzbewältigung, Akzeptanz oder Provokation? Prozessvariablen in der Behandlung von chronischen Schmerzen M. Dobe1, T. Hechler1, C. Hermann2, P. Nilges3 1 Vestische Kinder- und Jugendklinik Datteln, 2Justus-Liebig-Universität Gießen, 3DRK Schmerz-Zentrum Mainz Vorsitz: Boris Zernikow Vier Präsentationen: Schmerzbewältigung, Akzeptanz oder Provokation? Prozessvariablen in der Behandlung von chronischen Schmerzen – Ein Überblick – Tanja Hechler. Schmerzbewältigung ist alles! Überblick über den aktuellen Forschungsstand und klinische Implikationen – Christiane Hermann. Kämpfe nicht dagegen! Akzeptiere den Schmerz! Der moderierende Effekt von Akzeptanz in der Schmerztherapie von chronischen Schmerzen – Paul Nilges. Wenn Du es nicht besser machen kannst, mach es schlimmer! Die Schmerzprovokationstechnik: Erste Hinweise für die Wirksamkeit bei Jugendlichen mit chronischen Schmerzen – Michael Dobe. 2.) Zuordnung des Symposiums zu den Themenschwerpunkten Psychologische Verfahren 3.) Organisator Boris Zernikow & Tanja Hechler 4.) Redner Michael Dobe Tanja Hechler Christiane Hermann Paul Nilges 5.) Themen der 4 Vorträge Übereinstimmend belegen aktuelle Meta-Analysen und Übersichtsarbeiten die Wirksamkeit von psychologisch basierten Therapieprogrammen für Patienten mit chronischen und schwer beeinträchtigenden Schmerzen. Prozessvariablen, die die therapiebedingte Veränderung modulieren, sind bis dato selten untersucht worden. Vor dem Hintergrund, dass Prozessvariablen die Grundlage der psychologischen Interventionen bilden, ist dies erstaunlich (Überblick: Tanja Hechler). Eine Ausnahme bildet die Forschung zu Schmerzbewältigungsstrategien, die signifikante Beziehungen zwischen Veränderungen in schmerzbezogenen Bewältigungsstrategien und Veränderungen in Schmerzcharakteristika und Beeinträchtigung nachweisen konnte (Christiane Hermann). Kognitive-verhaltenstherapeutische Interventionen betonen auf der Grundlage dieser Befunde die Bedeutung der Veränderung von schmerzbezogenen Bewältigungsstrategien. Einige Studien an Erwachsenen konnten den signifikanten Einfluss von Schmerzbewältigungsstrategien auf den Behandlungserfolg nicht replizieren. Daher steigt das Interesse an weiteren Einflussfaktoren auf das Behandlungsergebnis. Akzeptanz der Schmerzen und der damit verbundenen Einschränkungen stellt eine dieser Einflussfaktoren dar und führt zu neuen schmerztherapeutischen Interventionen, die die Modifikation von Erwartungen, Zielen und Bewertungen zum Ziel haben (Paul Nilges). Die (Über-)Betonung von Aktivität und Eigenverantwortung führt zur Eskalation des Kampfes gegen den Schmerz und wird selbst zum Teil des Problems. Dagegen zeigt sich wiederholt, dass Akzeptanz eine sinnvolle Möglichkeit im Umgang mit Schmerzen darstellt. Ausgehend von einem entwicklungspsychologischen Modell werden die unterschiedliche Aspekte der aktuellen Akzeptanzforschung (Aktivitäts- und Schmerzbereitschaft), die Abgrenzung gegenüber Passivität und Resignation, die therapeutische Umsetzung sowie die Ergebnisse moderierender und direkter Effekte dargestellt.
Vlaeyen und Linton (2000) schlagen in ihrem Fear-Avoidance-Modell eine frühe Intervention vor bestehend aus einer Expositionstherapie, während derer die Patienten mit ihren Ängsten vor Schmerzen konfrontiert werden (Tanja Hechler). Ziel der Exposition (Konfrontation mit dem Schmerzerleben in vivo oder in sensu) ist es, die schmerzbezogene Vermeidung und Beeinträchtigung zu reduzieren. Studien zur Wirksamkeit von Expositionstherapien bei Patienten mit chronischen Schmerzen existieren vorwiegend für Rückenschmerzpatienten und fehlen bisher für Kinder und Jugendliche. Im vorliegenden Symposium wird daher eine neue Expositionstherapie in sensu (Schmerzprovokationstechnik) für schwer beeinträchtigte Kinder und Jugendliche mit chronischen Schmerzen vorgestellt und erste Ergebnisse zur Wirksamkeit präsentiert. Zusammengefasst ist es Ziel des Symposiums, einen Überblick über drei Therapieschwerpunkte– Schmerzbewältigung, Akzeptanz, Exposition – zu liefern. Überschneidungen und Unterschiede zwischen diesen Bereichen werden diskutiert, insbesondere vor dem Hintergrund der Wirksamkeit entsprechender Interventionen.
NEUROPATHISCHER SCHMERZ Sympathisch unterhaltener Schmerz (SMP) – Phantom, Irrweg oder klinisch-therapeutische Realität? SY-9 Sympathisch unterhaltener Schmerz (SMP) – Phantom, Irrweg oder klinisch-therapeutische Realität? I. Decosterd1, E. Krumova2, G. Wasner3 1 Pain Research Unit, Lausanne, 2BG Universitätsklinikum Bergmannsheil, Bochum, 3Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Kiel Vorsitz: G. Wasner Trotz der verbreiteten Anwendung von Blockaden des sympathischen Nervensystems zur Linderung neuropathischer Schmerzen ist der sympathisch unterhaltene Schmerz (SMP) sowohl aus wissenschaftlicher als auch aus klinischer Sicht umstritten. Gründe dafür sind, dass die Blockaden nur bei einem Teil der Patienten wirksam sind, der Therapieerfolg nicht vorhersehbar ist und dass die pathophysiologischen Grundlagen der Interaktion zwischen sympathischem und nozizeptivem System noch unzureichend verstanden sind. In den folgenden drei Beiträgen findet eine kritische Auseinandersetzung mit dem SMP statt, indem Übersichten und neueste Daten zur Gurndlagenforschung, zu human-experimentellen Ansätzen und zur Klinik präsentiert werden. Tierexperimentelle Befunde zur Interaktion des sympathischen und des sensiblen Nervensystems Isabelle Decosterd The sympathetic nervous system (SNS) is part of the autonomic nervous system. It is responsible for many homeostatic mechanisms in living organisms, including playing a role in the physiopathology of pain. Numerous clinical reports classified people suffering from pain syndromes in either sympathetically maintained pain (SMP) or sympathetically independent pain (SIP) groups according upon the fact that pain rely on the integrity of the sympathetic nervous system (or not). Indeed in a subpopulation of patients (SMP group), temporary or permanent interruption of the sympathetic nervous system is associated with pain relief whereas in SIP patients, this treatment is quite ineffective. The precise role of SNS with chronic or neuropathic pain is still not well understood, but the more recent experimental studies of neuropathic pain support the hypothesis that a functional coupling exists between postganglionic sympathetic efferent and sensory afferent fibers. A large part of such discoveries were obtained using experimental animal models.
Several models that mimic chronic pain were tested using a variety of strategies such as spinal nerve ligation (SNL), chronic constriction injury (CCI), partial sciatic nerve ligation (PSL), as well as the spared nerve injury (SNI) model. Using these models, acute and reversible pharmacological sympathectomy (guanethidine monosulfate or phentolamine mesylate injections) or surgical sympathectomy revealed either substantial or minimal involvement. These results mirror the clinical observations, still providing no clear explanation for the discrepancy. Our group investigated whether persistent chemical sympathectomy (guanethidine injections) performed during the neonatal period of the rat affects mechanical or cold sensitivity. We performed immunohistochemistry, investigating the temporal evolution of sympathetic sprouting in the dorsal root ganglion (DRG) after SNI. The results suggest that the early establishment of neuropathic pain-related behavior after distal nerve injury such as in the SNI model is mechanistically independent of the sympathetic system, whereas SNS contributes to the maintenance of response to cold-related stimuli. Evidences from the literature using experimental animal models suggest the coupling between sensory afferent neurons and sympathetic fibers via the release of noradrenaline by sympathetic fibers, thus exciting primary afferent neurons. Pericellular terminal arborisations, forming a “basket”, of sympathetic fibers around DRG neurons are found in the DRG but the number of these structures is very low in intact DRG of control animals. Following SNI there is formation of a large number of these pericellular baskets made of sympathetic fibers surrounding DRG neurons. Interestingly, the increase of pericellular basket is timely correlated with functional assessment of cold allodynialike behavior. These unusual novel contacts are considered as a possible contributor to abnormal discharges following peripheral nerve damage, and may therefore be involved in the maintenance of neuropathic pain symptoms. Humanexperimentelle Befunde bei Patienten mit SMP Gunnar Wasner Aufbauend auf tierexperimentelle und in vitro Ansätze, bieten Untersuchungen am Menschen den Vorteil, dass sich Veränderungen von Schmerzen bei Patienten und Probanden direkt erfassen lassen. Bei Untersuchungen zum sympathisch unterhaltenen Schmerz am Menschen ist es wesentlich, die Spontanaktivität des sympathischen Nervensystems zu kontrollieren. Dabei ist zu bedenken, dass das sympathische Nervensystem unterschiedliche Efferenzen enthält, die sich entsprechend ihrer Funktion durch verschiedene Reflexe modulieren lassen. In einem ersten Versuchsansatz wurden Patienten mit einem Komplexen Regionalen Schmerzsyndrom (CRPS) untersucht, die positiv auf Sympathikusblockaden angesprochen haben also durch das Symptom des SMP charakterisiert waren. Es ließ sich zeigen, dass Spontanschmerz und mechanische Allodynie dieser Patienten durch kontrollierte Aktivierung der sympathischen Vasokonstriktorneurone zur Haut mittels eines Thermoanzuges verstärkt wurden. Das spricht für eine sympathisch-nozizeptive Kopplung bei den Patienten als Ursache für den SMP. Interessanterweise war der schmerzlindernde Effekt der Sympathikusblockaden größer als der Einfluß der physiologischen Sympathikushemmung. Somit findet die Interaktion zwischen Sympathikus und Nozizeption nicht nur in der Haut statt, sondern möglicherweise auch in tiefer gelegenen Strukturen wie beispielsweise der Muskulatur. Weitere Untersuchungen an Patienten mit schmerzhafter Polyneuropathie, neuropathischen Schmerzen nach Querschnittsläsion oder Fibromyalgie ergaben bisher keine Hinweise auf eine sympathisch-afferente Kopplung, was dafür spricht, dass die Ergebnisse spezifisch sind. In weiteren Ansätzen wurde an Probanden untersucht, inwieweit sich in experimentellen Schmerzmodellen eine Kopplung zwischen sensibilisierten Nozizeptoren und physiologischer sympathischer Aktivität zu verschiedenen Zielorganen findet. Die Untersuchungen zeigten, dass sympathische Aktivität keinen Einfluß auf akut sensibilisierte kutane Hitze- oder Kälte-sensible Schmerzfasern oder Nozizeptoren in der Muskulatur hat. Diese Befunde sprechen dafür, dass die sympathischDer Schmerz Supplement 1 · 2010
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Abstracts afferente Kopplung, die bei einigen Patienten nachweisbar, erst unter den pathologischen Bedingungen des neuropathischen Schmerzes entsteht und unter physiologischen Bedingungen nicht nachweisbar ist. Klinische Diagnostik und Therapiekonzepte des sympathisch unterhaltenen Schmerzes (SMP) Elena Krumova Der sympathisch unterhaltene Schmerz (SMP) ist keine eigenständige Diagnose, sondern ein Merkmal verschiedener Erkrankungen, dessen exakte Häufigkeit bislang nicht ausreichend untersucht worden ist. Klinische Zeichen wie eine Allodynie, Kältehyperalgesie oder sympathische Dysfunktion (z. B. verminderte Hauttemperatur oder vermehrte Schweißsekretion) sind weder spezifisch noch sensitiv für die Beteiligung des sympathischen Nervensystems an der Schmerzunterhaltung. Somit ist die Diagnosestellung eines SMP nur durch eine lang anhaltende Analgesie nach diagnostischer Sympathikusblockade möglich. Bei den diagnostischen Sympathikusblockaden sind hohe Standards in der Bewertung der Effektivität zu stellen. Dabei muss eine selektive Ausschaltung des Sympathikus (erfasst durch einen lang anhaltenden Hauttemperatur- und Blutflussanstieg) ohne Beteiligung von sensiblen Nervenfasern (erfasst durch unveränderte oder verbesserte thermische und taktile Wahrnehmungsschwellen) erfolgen. Bei einem SMP sollte die Schmerzlinderung mindestens so lange anhalten, wie die Pharmakokinetik des injizierten Lokalanästhetikums erwarten lässt, um eine falsch positive Aussage durch kurzfristige Placeboeffekte zu vermeiden. Wenn der schmerzlindernde Effekt der Sympathikusblockaden reproduzierbar ist, ist eine therapeutische länger anhaltende Blockade indiziert. An der oberen Extremität können sympathische Nervenfasern, die durch das Ganglion stellatum ziehen, blockiert werden. Wenn es nicht zu einer ausreichenden Sympathikolyse trotz technisch optimaler Durchführung kommt, können die sog. sympathischen Kunz’schen Nerven, die als direkte Verbindung von den Ganglien T2 und T3 zum Plexus brachialis ziehen, mittels einer CT-gesteuerten Blockade des thorakalen Grenzstrangs in Höhe T3 ausgeschaltet werden. Bei schmerzlindernder Wirkung kann dann ein T3-Katheter über 2 Wochen zur Unterstützung der Ergo- und Physiotherapie eingeführt werden oder in Einzelfällen auch eine thorakale Sympathektomie durchgeführt werden. An der unteren Extremität werden CT-gesteuerte lumbale Grenzstrangblockaden zuerst mit Lokalanästhetikum und beim Vorliegen eines SMP mit Alkohol durchgeführt. Bei Abschwächung des schmerzlindernden Effekts der Grenzstrangneurolyse nach wenigen Tagen oder Wochen, muss der Ausmaß der Sympathikolyse erneut geprüft werden und ggf. die intervention wiederholt werden. Trotz der schwachen Evidenz und die nicht ausreichende Studienlage, profitieren einzelne Patienten enorm von den Sympathikusblockaden, die dann zu einer Besserung des Spontanschmerzes, der Hyperalgesie sowie der Funktion führen und eine wichtige Therapieoption darstellen.
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NEUROPATHISCHER SCHMERZ Schmerzhafte Polyneuropathie oder Polyneuropathie und Schmerzen – Die unterschiedliche Pathophysiologie von Schmerzen bei Neuropathien SY-10 Schmerzhafte Polyneuropathie oder Polyneuropathie und Schmerzen – Die Unterschiedliche Pathophysiologie von Schmerzen bei Neuropathien F. Birklein1, C. Sommer2, C. Geber3 1 Klinik und Poliklinik für Neurologie, Johannes Gutenberg Universität Mainz, 2 Universitätsklinikum Würzburg, 3Klinik und Poliklinik für Neurologie, Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg – Universität Mainz (KöR) Pathophysiologie neuropathischer und muskuloskelettaler Schmerzen. F. Birklein, Mainz Schmerzen bei Neuropathien sind häufig. Die eigentlichen neuropathischen Schmerzen treten hauptsächlich in Ruhe auf. Sie entstehen 1) durch Spontanaktivität in afferenten Nervenfasern, was zu brennen den oder blitzartig einschießenden Schmerzen führt. Der wesentliche Mechanismus, der Spontanaktivität, ist die vermehrte Expression von Na+-Kanälen und deren Fehlverteilung auf den Axonen; 2) durch zentrale Sensibilisierung sekundär nozizeptiver Hinterhornneurone im Rückenmark durch Bindung von Glutamat an seine Rezeptoren. Die Hinterhornneurone reagieren auf ankommende Reize mit gesteigerter Entladungsfrequenz. So werden unter physiologischen Bedingungen nicht schmerzhafte Reize als schmerzhaft empfunden. Die rezeptiven Felder der Neurone werden größer, der Schmerz breitet sich aus und mechanische Hyperalgesie ensteht; 3) durch periphere Sensibilisierung intakt gebliebener Nozizeptoren durch Zytokine, Entzündungsmediatoren und Wachstumsfaktoren. Dadurch werden die Erregungsschwellen der Nozizeptoren gesenkt und Neuropeptide ausgeschüttet (Entzündung). Die Sensibilisierung peripherer Nozizeptoren führt zu Hitze- und Druckhyperalgesie, vor allem in der Frühphase neuropathischer Schmerzen; 4) durch insuffiziente segmentale und deszendierende Hemmung. GABAerge und Glyzinerge Neurone hemmen segmental die Impulsweiterleitung im Hinterhorn des Rückenmarks, deszendierend aus dem Hirnstamm hemmen serotonerge, noradrenerge und opioiderge Neurone. Diese Hemmung geht bei chronischen Schmerzen teilweise verloren, was die Schmerzwahrnehmung deutlich verstärkt. Durch Verlust der Tiefensensibilität bei Neuropathien entstehen aber auch Fehlbelastungen, die zu belastungsabhängigen Schmerzen führen. Zum einen kommen solche Schmerzen aus den Gelenken, Sehnen und Bändern, zum Großteil aber aus den Muskeln (myofaszialer Schmerz). Letztlich ist die Pathophysiologie myofaszialer Schmerzen noch nicht vollständig geklärt. In Biopsien fand man in der schmerzhaften Muskulatur Kontraktionsknoten (Triggerpunkte), in welchen Sarkomere maximal kontrahiert sind. Hierbei handelt es sich um Kontrakturen. Im Zentrum des Triggerpunktes soll eine Hypoxie vorherrschen, welche a) die Kontraktur aufrecht erhält (durch das entstandene Energiedefizit) und b) dort vorhandene Nozizeptoren sensibilisiert und erregt, was den Schmerz erklärt. Diese Triggerpunkte dehnen die übrigen Anteile der Muskelfaser konsekutiv und bilden das „taut band“, den Muskelhartspann. Schmerzhafte Polyneuropathien: der „neuropathische“ Schmerz Claudia Sommer, Würzburg Neuropathische Schmerzen sind direkte Folge einer Läsion oder Erkrankung des somatosensorischen Systems. Eine häufige Ursache neuropathischer Schmerzen sind daher Polyneuropathien unterschiedlicher Genese.
Untersuchungen zur Pathophysiologie haben in den letzten Jahren hochspezifische Veränderungen im peripheren und zentralen nozizeptiven System als wahrscheinliche molekulare Korrelate der veränderten Schmerzverarbeitung identifiziert. In diesem Beitrag sollen beispielhaft die Charakteristika neuropathischer polyneuropathie-assoziierter Schmerzen im Zusammenhang mit Pathophysiologie und Therapie dargestellt werden. Etwa 50 % aller Patienten mit Diabetes mellitus leiden an einer Polyneuropathie, und etwa ein Drittel bis die Hälfte davon leiden an neuropathischen Schmerzen. Ursache der distal symmetrischen diabetischen Neuropathie ist nach heutigem Kenntnisstand eine Kombination aus Störung der Mikrozirkulation, vermehrtem Auftreten von freien Radikalen von glykosylierten Molekülen (advanced glycation end-products, AGEs). Die persistierende Hyperglykämie kann über oxidativen Stress Protein-, Lipid- und Nukleinsäurestrukturen peripherer Neurone und Gliazellen sowie die Mikrovaskularisation der Nerven beeinträchtigen. Da die meisten heute zur Behandlung von neuropathischen Schmerzen verwendeten Medikamente in kontrollierten Studien bei Patienten mit schmerzhafter diabetischer Polyneuropathie überprüft wurden, kann die medikamentöse Schmerztherapie nach den allgemeinen Therapierichtlinien für neuropathische Schmerzen erfolgen. Eine seltenere Form der diabetischen Neuropathie ist die lumbosakrale Radikuloplexopathie, die mit heftigen Schmerzen im Rücken, Gesäß- und Oberschenkelbereich beginnt. Hier sind wahrscheinlich entzündliche Veränderungen für den tiefen, brennenden Schmerz verantwortlich und eine anti-entzündliche Therapie kann erforderlich sein. Die Prävalenz von Polyneuropathie bei HIV-Infektion wird auf 52-70 % geschätzt. Die häufigste Form stellt die schmerzhafte, vorwiegend sensible Neuropathie dar. Typischerweise sind die sensiblen Symptome auf die Fußsohlen beschränkt und werden als symmetrischer, brennender oder stechender Schmerz mit Allodynie und Parästhesien angegeben. Autonome Störungen wie Impotenz und Inkontinenz können auftreten. Bei der inflammatorischen, demyelinisierenden peripheren Neuropathie stehen Schmerzen nicht im Vordergrund, es können jedoch Parästhesien bestehen. Die Schmerzintensität bei HIV-assoziierter Neuropathie scheint mit systemischen HIV-1-RNA-Spiegeln zu korrelieren, so dass eine direkte Schädigung des Nervensystems durch das aktive Virus diskutiert wird. In experimentellen Studien bindet das Hüllenprotein des Virus gp120 an sensible Neurone in den Spinalganglien und induziert dort die Expression von Entzündungsmediatoren. Das Hüllenprotein kann auch an Glykolipide und myelinassoziierte Glycoproteine sensibler Nerven binden und sekundär Makrophagen und Astrozyten aktivieren. Zudem können antiretrovirale Medikamente die mitochondriale DNA-Synthese hemmen und somit die Virus-induzierte Nervenschädigung exazerbierten. Diese spezielle Pathophysiologie ist möglicherweise dafür verantwortlich, dass Patienten mit HIVNeuropathie in kontrollierten Studien schlechter auf antineuropathische Medikamente ansprechen als Patienten mit anderen Formen von Polyeuropathien. Amyloidneuropathien mit überwiegendem Befall der kleinen Nervenfasern sind fast immer schmerzhaft. Sie entstehen durch Amyloidablagerungen in den Spinalganglien, autonomen Ganglien und peripheren Nerven. Polyneuropathien treten bei familiärer Amyloidose (familiäre Amyloidneuropathie, FAP) und bei Amyloidose durch Leichkettenvermehrung (monoklonale Gammopathie mit und ohne Myelom, AL-Amyloidose) auf. Typisch für die meisten Formen der Amyloidneuropathie ist eine rasche Progredienz mit frühem Auftreten von autonomen Symptomen und Schmerzen. Tiefe, aber auch einschießende neuropathische Schmerzen treten bei AL-Amyloidose wie auch bei FAP auf. Die genaue Ursache der Schmerzen ist unklar. Der überwiegende und frühzeitige Befall der Nozizeptoren legt nahe, dass die Läsion in schmerzleitenden Fasern selbst durch veränderte elektrische Eigenschaften zu Schmerzen führt. Auch im Spätstadium der Erkrankung, wenn in den sensiblen Nerven kaum noch Fasern nachweisbar sind, sind die Patienten extrem schmerzgeplagt. Die symptomatische Schmerztherapie unterscheidet sich nicht von der anderer Polyneuro-
pathien, wobei sich die Schmerzen, insbesondere in den Spätstadien, jedoch häufig als therapieresistent erweisen. Als Erythromelalgie bezeichnet man ein Syndrom charakterisiert durch episodische brennende Schmerzen der Extremitäten, verstärkt bei Hitze und bei Belastung. Die Füße werden rot und heiß und extrem schmerzhaft. Pathophysiologisch geht man von einer vermehrten Erregbarkeit der kutanen C-Fasern auf Hitze bzw. auf Erregbarkeit schon bei geringeren Temperaturen als normal (Sensibilisierung) aus. Für das Verständnis peripher bedingter neuropathischer Schmerzen hochinteressant ist die Erforschung der seltenen autosomal dominanten hereditären Erythromelalgie. Die Entdeckung der kausalen Mutationen im Natriumkanal-Subtyp Nav 1.7 erlaubte die Charakterisierung von großen Familien mit der Erkrankung sowie die Charakterisierung der mutierten Natriumkanäle. Inwiefern erworbene Erkrankungen mit peripheren Brennschmerzen ebenfalls auf eine Natriumkanal-Pathologie zurückzuführen sind, ist noch unzureichend bekannt. Polyneuropathie und Schmerz – sekundäre Ursachen von Schmerzen bei Polyneuropathien C. Geber, Mainz Neben den o. g. primären Veränderungen der Nozizeption (d. h. im afferenten System) finden sich bei neuropathischen Schmerzen auch sekundäreVeränderungen, die gleichermaßen zu Schmerzen führen, aber bis dato viel weniger erforscht sind: Aus der Nervenschädigung im Rahmen einer Polyneuropathie resultiert eine verminderte Wahrnehmung (Hypästhesie) vor allem der Propriozeption. Zusätzlich behindern die Schmerzen selbst die Wahrnehmung der korrekten Propriozeption. Unsere Hypothese lautet, dass durch beide Komponenten physiologische Bewegungsabläufe verhindert werden, und im Bereich des Kortex zu einem Mismatch sensorischer und motorischer Muster führen. Die resultierenden unphysiologische Bewegungsabläufe führen durch Überlastungsmomente dann zu überwiegend belastungsabhängigen Schmerzen. Durch den Einfluss des Affektes auf die Muskelanspannung werden solche Schmerzen durch Stress (Schmerz ist Stress) noch verstärkt. Das Endergebnis sind myofasziale Schmerzen, die zwar durch die Neuropathie getriggert werden, aber eben nicht direkt aus der Nervenschädigung resultieren. Das Erkennen neuropathischer und myofaszialer Schmerzkomponenten – die häufig auch nebeneinander auftreten – ist von klinischer Bedeutung, da sich die Therapien primär neuropathischer und sekundärer myofaszialer Schmerzen unterscheiden: im Gegensatz zur vorwiegend medikamantösen Therapie neuropathischer Schmerzen, sprechen myofasziale Schmerzen gut auf eine physiotherapeutische Therapie an.
TUMORSCHMERZ Palliative Diagnostik und Therapie neuropathischer Schmerzen bei Tumorerkrankungen SY-11 Palliative Diagnostik und Therapie neuropathischer Schmerzen bei Tumorerkrankungen R. Rolke1, M. Bennett2, D. Naleschinski3, O. Wilder-Smith4 1 Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität, Mainz, 2University of Lancaster, 3Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum SchleswigHolstein, Kiel, 4Department of Anaesthesiology, Nijmegen, Niederlande Bei Tumorerkrankungen sind Dauerschmerzen das häufigste Erstsymptom (20-40 %). Sobald durch das Tumorwachstum oder eine neurotoxische Tumortherapie durch zum Beispiel Platinverbindungen, Paclitaxel oder Vinca-Alkaloide eine zusätzliche Schädigung im somatoDer Schmerz Supplement 1 · 2010
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Abstracts sensorischen System auftritt, kann es zur Entwicklung eines sekundär neuropathischen Schmerzes kommen. Die Behandlung eines gemischt neuropathischen und nozizeptiven Tumorschmerzes entwickelt sich dabei in der Praxis oft als besondere Schwierigkeit. Der diagnostische „Work-up“ zum Nachweis einer neuropathischen Schmerzkomponente bei Tumorerkrankungen kann eine detaillierte neurologische Untersuchung, Schmerzfragebögen, eine quantitative sensorische Testung (QST) und weitere elektrophysiologische oder bildgebende Verfahren umfassen. Therapeutische Strategien beim Nachweis einer neuropathischen Schmerzkomponente basieren auf einer medikamentösen Basisbehandlung mit Opioiden, der Gabe von Trizyklika, Antikonvulsiva oder Antidepressiva vom SNRI-Typ – gerade auch mit Blick auf psychische Komorbiditäten wie Depression und Angst. Weitere interventionelle Verfahren wie eine Plexusblockade können in medikamentös therapierefraktären Situationen hilfreich sein.
MANUELLE MEDIZIN Sport und Schmerz SY-12 Sport und Schmerz H. Prange1, C. Reimers2, M. Dirkwinkel3, M. Küster4, K. Brune5 1 Neurologische Universitätsklinik Göttingen, 2Zentralklinik Bad Berka GmbH, Bad Berka, 3Neurologische Klinik und Poliklinik, BG-Universitätsklinikum Bergmannsheil Bochum, 4Praxis Dr. Küster, Bonn - Bad Godesberg, 5FAU Erlangen-Nuremberg, Department of Experimental and Clinical Pharmacology and Toxicology Prange HW, Reimers CD, Göttingen/Bad Berka Veränderungen der Schmerzschwelle durch körperliche Aktivität Körperliche Aktivität und Sport werden regelmäßig empfohlen als adjuvante Therapie für chronsiche Schmerzzustände wie Migräne oder Fibromyalgie. Dieser Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, inwieweit diese Empfehlungen evidenzbasiert sind. Der Beitrag wird in zwei Teile gegliedert: im ersten Teil werden experimentelle Studien vorgestellt, die sich der Frage widmen, ob die Schmerzschwellen, die Schmerzwahrnehmung und Schmerztoleranz durch körperliche Aktivität beeinflusst werden. Im zweiten Teil wird der mögliche adjuvante Therapieeffekt körperlicher bzw. sportlicher Aktivität bei chronischen Schmerzleiden und typischen Schmerzsituationen diskutiert. Experimentelle Studien zu körperlicher Aktivität und Schmerz In den zurückliegenden 3 Jahrzehnten wurden über 20 experimentelle Studien publiziert, die Veränderungen der Schmerzschwellen unter und nach körperlicher Aktivität untersuchten. Hierbei wurden sowohl aerobe als auch anaerobe, erschöpfende und nicht erschöpfende Belastungen vorgenommen (z. B. Fahrradergometrie, Laufen, Stufenteste, Krafttraining). Die Belastungsdauer reichte von unter 5 bis zu ca. 60 Minuten (im Mittel etwa 20 Minuten), die Nachbeobachtungsphase bis zu 60 Minuten. Als Schmerzreize wurden elektrische Reize (an der Zahnpulpa oder Fingerbeere), thermische, chemische (intramuskuläre Injektion hypertonischer Kochsalzlösung), ischämische (suprasystolischer Tourniquet) sowie pressorische Stimuli (am Finger) eingesetzt. Die ganz überwiegende Mehrzahl der Studien zeigte in irgendeiner Weise einen hypoalgetischen Effekt körperlicher Aktivität: In der Regel stiegen die Schmerzschwellen signifikant an. Vereinzelt wurde auch über eine verminderte Schmerzwahrnehmung berichtet. Der Effekt hielt jedoch nur wenige Minuten, maximal eine Stunde an. Der Versuch, diesen hypoalgetischen Effekt durch die Injektion von Naloxon zu antagonisieren, führte zu uneinheitlichen Ergebnissen, so dass der Mechanismus der aktivitätsbedingten Hypalgesie zumindest nicht sicher über eine vermehrte Bildung von ß-Endorphinen erklärt werden kann.
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Darüber hinaus gibt es vereinzelte Studien, die zeigen, dass regelmäßige körperliche Aktivität längerfristig die Schmerzschwellen hebt. Klinische Relevanz körperlicher Aktivität bei akuten und chronischen Schmerzen Bei Fibromyalgie führt ein dosiertes körperliches Training, meist in Form eines aeroben Ausdauertrainings, nur in der Minderzahl der zahlreichen Studien zu einer signifikanten Schmerzlinderung. Es gibt jedoch klare Hinweise, dass insbesondere ein aerobes Ausdauertraining anderen positive Effekte entfaltet: allgemeines Wohlbefinden und körperliche Leistungsfähigkeit. Für ein Krafttraining sind die Ergebnisse noch zu uneinheitlich. Relativ wenige kontrollierte, randomisierte Studien beschäftigen sich mit der Frage der Wirksamkeit eines Trainings, in der Regel ein Krafttraining, bei Hüft- oder Kniearthrose. Dabei zeigten sich geringe, aber signifikante Verbesserungen der körperlichen Leistungsfähigkeit, des Gehtempo und der Kraft, aber nur eine marginale Schmerzreduktion. Reduziertes Schmerzempfinden bei Kampfkünstlern M. Dirkwinkel, Bochum Zwischen Sport und Schmerz gibt es vielfältige Verbindungen. Sport kann Schmerzen lindern, aber auch auslösen oder verstärken. Forschungsergebnisse der Psychoneuroimmunologie, die im Bereich des Sportes gewonnen wurden, haben das Verständnis endogener Schmerzkontrolle wesentlich bereichert. Sport und Bewegung können bekanntermaßen ein essentieller Bestandteil einer sinnvollen Schmerztherapie sein. So profitieren rund 93 Prozent der Rückenschmerz-Patienten von einer Bewegungstherapie durch bessere Bewältigung der Alltagsaktivitäten und Anstieg der Lebensqualität. Daneben gibt es zahlreiche Berichte über Extremsportler, die trotz stark belastender äußerer Bedingungen Höchstleistungen erzielen und hierbei scheinbar schmerzfrei agieren. In verschiedenen Studien wurde die Veränderung der Schmerzschwelle vor allem durch aerobes körperliches Training nachgewiesen. Es zeigte sich eine Erhöhung der Schwelle im Experiment bereits während des Trainings. Die erzielten Effekte hielten in einer Studie mit Rückenschmerz-Patienten Monate an, wodurch auch die Analgetika-Einnahme deutlich reduziert werden konnte. Im Tiermodell konnte nachgewiesen werden, dass sowohl opioide als auch nicht-opioide Systeme an der sportinduzierten Hypoalgesie beteiligt sind. Der trainierte Kampfkünstler steht dem Patienten mit einer chronischen Schmerzerkrankung insofern diametral gegenüber. Das regelmäßige Training einer asiatischen Kampfkunst führt über Jahre zu einer veränderten Schmerzwahrnehmung. Eine Besonderheit des traditionellen chinesischen Shaolin Kung Fu ist hierbei, dass über das körperliche Training hinaus gezielte repetitiv durchgeführte antinozizeptive Übungen zur verminderten Schmerzreizwahrnehmung durchgeführt werden. Insofern kann diese Kampfsport-Technik ein Modell bilden, um den Einfluß einer repetitiv durchgeführten nozizeptiven Reizung auf die Schmerzreizverarbeitung zu untersuchen. So können weitere Einblicke in die Mechanismen der endogenen Antinozizeption erzielt und evtl. neue Ansätze für den Einsatz von „Sport als Schmerztherapie“ begründet werden. Weiterführende Literatur: Dirkwinkel M, Gralow I, Colak-Ekici R, Wolowski A, Marziniak M, Evers S.: The influence of repetitive painful stimulation on peripheral and trigeminal pain thresholds. J Neurol Sci. 2008 Oct 15;273(1-2): 108-11. Pfingsten M, Hildebrandt J, Leibing E, Franz C, Saur P.: Effectiveness of a multimodal treatment program for chronic low-back pain. Pain. 1997 Oct;73(1): 77-85. Schneider S, Askew CD, Diehl J, Mierau A, Kleinert J, Abel T, Carnahan H, Strüder HK.: EEG activity and mood in health orientated runners after different exercise intensities. Physiol Behav. 2009 Jan 18. Thorwesten L, Melz S, Fromme A, Mooren F, Rudack P, Völker K.: Veränderungen der Gleichgewichts- und sensomotorischen Fertigkeiten von Rückenschmerzpatienten nach Kung-Fu-Training. Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin 2003, 57 (7+8): S46 M. Küster: „Krämpfe, Blutungen Erbrechen: NSAID beim Bonnmarathon 2010“Die Teilnehmer des diesjährigen Bonnmarathons erhielten,
soweit sie eine E-Mailadresse angegeben hatten, einen strukturierten Fragebogen mit der Bitte, zu der Frage Stellung zu nehmen, ob sie, und wenn ja, welche Schmerzmittel vorab eingenommen hatten, ob sie über die Risiken dieser Maßnahme informiert waren und ob sie während oder nach dem Lauf Magen-Darm-Krämpfe und Blutungen, Nierenblutungen und Herz-Kreislaufstörungen an sich beobachten konnten. Es zeigte sich, dass mehr als die Hälfte der Teilnehmer Schmerzmittel eingenommen hatten, dass hinsichtlich der erhobenen Leistungskritierien kein wesentlicher Unterschied im Ergebnis zwischen Läufern mit oder ohne Schmerzmittel bestand. Hingegen traten unerwünschte Arzneimittelwirkungen am Magen-Darm-Trakt und der Niere drei- bis viermal häufiger nach Einnahme von Schmerzmitteln auf als bei Läufern ohne Schmerzmittelkonsum. K. Brune: „NSAID vor dem Marathonlauf: Gefahren, aber kein Nutzen“In letzter Zeit häufen sich Hinweise darauf, dass Ausdauersportarten, wie Marathonläufe, ungesund sind. So berichteten Schwartz JG et al, dass nach einer 25-jährigen Marathonkarriere die Artheriosklerose bei Läufern fast doppelt so weit fortgeschritten war wie bei altersund geschlechtsgleichen Normalpersonen. Wir berichteten bereits im vergangenen Jahr, dass die massive missbräuchliche Verwendung von Zyklooxygenasehemmern bei Ausdauersportlern wie z. B. Marathonläufern wahrscheinlich mit einem erhöhten gastrointestinalen, renalen und kardiovaskulären Risiko einhergeht. Die Ursachen sind vielfältig: Die Hemmung der Prostaglandinsynthese führt u. a. zum Verlust der Barrierefunktion des Magen-Darm-Traktes, zur Störung der Nierenfunktion besonders bei Menschen mit eingeschränkter Nierenfunktion und zu Elektrolytstörungen. Die regelmäßige Einnahme von Schmerzmitteln zur Verminderung von Schmerzen während des Trainings bzw. des Wettkampfs sowie danach kann Risiken provozieren, die bisher nicht in das Bewusstsein der Ärzte und Sportler vorgedrungen sind. Es erscheint geboten, hier Risikobewusstsein zu schaffen und Fehlentwicklungen bis hin zu Darmnekrosen, akutem Nierenversagen und möglicherweise auch Herzinfarkten zu verhindern.
KOPFSCHMERZ Visionen und Irrtümer in der Behandlung von Kopfschmerzen SY-13 Visionen und Irrtümer in der Behandlung von Kopfschmerzen C. Gaul1, A. Straube2, M. Marziniak2 1 Westdeutsches Kopfschmerzzentrum, Essen, 2Klinik für Neurologie, München Corrugatorchriurgie – unsinniges Konzept oder neue Therapieoption? Charly Gaul Die Beobachtung, dass schönheitschirurgische Eingriffe, die eine Resektion des M. corrugators supercilii einschlossen einen positivem Eingriff auf den Verlauf der Migräne haben können führte zu Studien, die diesen Eingriff allein aus der Indikation einer Migräne untersuchten. In diesen Studien wurde bei einem großen Teil der Patienten nicht nur eine Kopfschmerzreduktion sondern eine völlige Heilung von der Migräne berichtet. Die publizierten Daten auch einer neuen randomisierten, kontrollierten Studie müssen methodisch jedoch kritisch diskutiert werden, gerade auch weil diese Methode breite Resonanz in der Laienpresse findet. Pathophysiologisch wird seitens der Autoren angenommen, dass bei Patienten mit Migräne eine erhöhte Anspannung in den periorbitalen Muskeln bestehe, die die austretenden Endäste des N. trigeminus komprimiere und so eine Neurotransmitterausschüttung bedingt, die zum Migräneanfall führt. Die Resektion des Muskels soll hier kausal wirken. Vor dem Hintergrund der sonst diskutierten Pathogenese der Migräne ist es schwierig, die Wirksamkeit solcher Verfahren zu verstehen. Fallserien alleine sind unzureichend um einen Wirksam-
keitsnachweis zu erbringen und dienen der Hypothesengenerierung und der Entwicklung von Studienprotokollen. Zu fordern ist eine systematische Datenerhebung (Kopfschmerztagebuch, psychometrische Fragebögen) und ein ausreichend langes Follow-up. Die Daten zum Kopfschmerzverlauf sollten von unabhängigen Untersuchern erhoben werden. Methodisch ist die Verblindung von chirurgischen Eingriffen schwierig, Placebooperationen sind ethisch kritisch zu prüfen. Der Placeboeffekt invasiver Eingriffe ist aufgrund der hohen Wirksamkeitserwartung der Probanden höher als in pharmakologischen Studien, eine schiefe 2: 1 Randomisierung wie in der aktuell publizierten Studie verstärkt diese noch und erschwert damit die Beurteilung der Studie. Die Probandenrekrutierung sollte auf vordefinierten Ein- und Ausschlusskriterien beruhen, Voruntersuchungen zur Selektion auf ausreichender Validität. Die bislang publizierten Studien lassen eine Beurteilung der Therapieverfahren auf einem ausreichenden Evidenzlevel allerdings nicht zu. Gerade weil es sich um invasive Therapien handelt, ist die kritische Prüfung der Wirksamkeit notwendig. Osteopathie Andreas Straube Der Begriff Osteopathie bezeichnet eigentlich Knochenleiden, wird aber in der Medizin häufig als Behandlung von Störungen des Bewegungsapparates verstanden, wobei bei der cranio-sakralen Osteopathie dieses auf die Wirbelsäule eingeengt wird. Dabei beruht die Osteopathie auf einem philosophisch/weltanschaulichem Konzept, dass die Selbstheilungskräfte des Körpers aktiviert werden sollen und dieses durch eine „sanfte Therapie“ erfolgen kann. In ihren Ursprüngen war sie eine bewusste Abkehr von der klassischen Wissenschaft und eine ganzheitliche Therapie. Praktisch wird in Deutschland häufig chiropraktische Technik, cranio-sakrale Therapie, Osteopathie und manuelle Therapie zusammengenommen. Bezüglich der Therapie von Kopfschmerzen wird davon ausgegangen, dass durch Mobilisation, Lösung von Blockierungen bzw. Rhythmisierung meist im Bereich der Wirbelsäule ein Gleichgewicht wieder hergestellt werden kann. Das eher unscharf definierten Verfahren und auch der unscharf formulierte theoretische Hintergrund passt zu vielen Strömungen der Zeit und erklärt warum diese Verfahren gerade in unserer Zeit eine hohe Akzeptanz hat. Bezüglich der Therapie von Kopfschmerzen nun finden sich nur sehr wenige publizierte Studien, davon nur 2 Studien die als kontrolliert zu bezeichnet werden können. Die Ergebnisse dieser Studien werden mit den Ergebnissen aus anderen Therapieverfahren verglichen und bewertet. Das persistierende offene Foramen ovale und sein Stellenwert in der Therapie der Migräne mit Aura Martin Marziniak Populations-basierte und Fall-Kontroll-Studien sowie Metaanalysen konnten zeigen, dass ein offenes Foramen ovale (PFO) häufiger bei Patienten mit Migräne mit Aura zu finden ist und Patienten mit PFO häufiger eine Migräne mit Aura haben als die Normalbevölkerung. Bezüglich der Kausalität zwischen dem Auftreten einer Migräne mit Aura und einem PFO wird die Rolle von Mikroemboli diskutiert, welche zu kurzen Episoden von zerebralen Hypoxien führen können, die eine kortikale spreading Depression triggern können, ein Mechanismus der als Auslöser der Migräneaura angesehen wird. In nicht randomiserten retro- und prospektiven Studien nach Verschluss eines PFO, in der Mehrzahl zur Verhinderung von paradoxen Embolien, zeigte sich in den letzten Jahren eine Reduktion von Attacken der Migräne mit Aura. Eine daraufhin aufgelegte randomisierte Studie mit Scheinprocedere verfehlte die primären und sekundären Endpunkte bei jedoch erheblichen Mängeln (ASS-Behandlung in der Verum und Placebogruppe, kurze Nachbeobachtungsphase). Weitere Studien untersuchen gerade, welche zusätzlichen Vorraussetzungen erfüllt sein müssen: z. B. atrialer Septumdefekt, Schweregrad der Migräne, Anzahl von Mikroembolien während der transkraniellen Doppleruntersuchung, um vor dem PFO-Verschluss eine Migränepopulation zu selektieren, die einen höchst möglichen Benefit durch diesen Eingriff aufweisen könnte. Zum aktuellen Zeitpunkt ist die Datenlage allerdings noch so wenig aussagekräftig, dass der PFO-Verschluss für Migränepatienten noch Der Schmerz Supplement 1 · 2010
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Abstracts nicht empfohlen werden kann, bevor weitere Placebo-kontrollierte Studien abgeschlossen sind. In Zukunft könnte jedoch, der Nachweis eines Therapieeffektes durch einen PFO-Verschluss vorausgesetzt, diese Behandlung für Patienten mit einer therapie-resistenten Migräne mit Aura eine Therapiealternative werden.
EXPERIMENTELLE MODELLE UND PATHOPHYSIOLOGIE Die Interferenz von Schmerz, Kognition und Emotion: Psychologische und neurophysiologische Korrelate SY-14 „Die Interferenz von Schmerz, Kognition und Emotion: Psychologische und neurophysiologische Korrelate“ A. Rusu1, J. Lorenz2, U. Bingel3 1 Ruhr-Universität Bochum, 2Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg, 3Universitätsklinikum Hamburg, UKE, Hamburg Ziel dieses Symposiums ist es zu einem Verständnis der komplexen Wechselwirkungen zwischen Schmerz und kognitiven Prozessen aus psychologischer, physiologischer und neurokognitiver Perspektive beizutragen. In diesem Symposium sollen die unterschiedlichen methodischen Zugänge aufzeigt werden diese Wechselwirkung bei gesunden Probanden und chronischen Schmerzpatienten zu untersuchen, die neuesten Befunde präsentiert sowie Ansätze für zukünftige Weiterentwicklungen diskutieren werden. Im Rahmen der vorgesehenen Vorträge soll einerseits der Einfluss von Schmerz und Depressivität auf die automatische Informationsverarbeitung (cognitive bias) von chronischen Schmerzpatienten aufgezeigt werden, wobei sich gezeigt hat, dass Depressivität im Kontext von chronischen Schmerzen mit dysfunktionalen Informationsverarbeitungsprozessen einhergeht, die sich in einem spezifisch negativen zukunftsgerichteten und gesundheitsbezogenem Erinnerungsstil ausdrücken. Darüber hinaus soll in den weiteren Vorträgen der Einfluss von experimentellen Schmerzreizen auf kognitive Prozesse aufgezeigt werden. Hirnphysiologische und fMRT Befunde zeigen, dass Schmerzen die perzeptive und kognitive Leistungsfähigkeit verschlechtern, so wird z. B. das Arbeitsgedächtnis schmerzrelevant beeinträchtigt und Schmerz stört die neuronalen Mechanismen der Objektverarbeitung im visuellen Kortex. Zielgruppe: Klinisch-wissenschaftlich tätige und niedergelassene Kollegen, z. B. aus den Bereichen der interdisziplinären Schmerztherapie und –forschung, Anästhesiologie und Neurologie. Referenten: 1.) Titel des Vortrages: „Cognitive-Bias Forschung bei chronischen Schmerzen und deren Therapierelevanz“ Dr. Adina Rusu 2.) Titel des Vortrages: „Wechselwirkung zwischen Schmerz und Gedächtnis – Verhaltensindikatoren und hirnphysiologische Korrelate“ Prof. Dr. Jürgen Lorenz 3.) Titel des Vortrages: „Zentrale Korrelate der Störwirkung von Schmerzen: Neue Befunde aus der Bildgebung“ Dr. med. Ulrike Bingel
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Freitag, 8. Oktober 2010 VISIONEN UND IRRTÜMER Irrtümer und Visionen: Der Beitrag der Leitlinien SY-15 Irrtümer und Visionen: Der Beitrag der Leitlinien S. Weinbrenner1, B. Meyerrose1, I. Kopp2, H. Sorgatz3 1 Ärztliches Zentrum für Qualität in der Medizin (ÄZQ), Berlin, 2AWMF-Institut für Medizinisches Wissensmanagement, Marburg, 3Klinische Psychologie und Psychotherapie, Technische Universität, Darmstadt Hintergrund: Seit Mitte der neunziger Jahre sind zu im In- und Ausland zunehmend medizinische Leitlinien entwickelt worden. Mittlerweile haben sie sich als Instrumente des Wissensmanagements, der Evidenzbasierten Medizin (EbM), der Qualitätsförderung und Steuerung der Gesundheitsversorgung etabliert [1, 2]. Vorrangiges Ziel von Leitlinien ist die Verbesserung der medizinischen Versorgung durch den Transfer aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse (Evidenz) in den Versorgungsalltag [2, 3]. Leitlinien haben die Aufgabe, unter expliziter Abwägung von Nutzen und Schaden möglichst aller verfügbaren Verfahren, unterschiedliche Standpunkte von Fachexperten zu praxisrelevanten Fragen ausgewogen darzustellen und zu klären. Auf diese Weise wird im Konsens der Beteiligten das derzeitige „Vorgehen der Wahl“ definiert [3, 4]. Dadurch soll die Kooperation von Berufs- und Fachgruppen sowie zwischen den Sektoren im Gesundheitswesen im Sinne des Patientenwohls optimiert werden. Durch patientenorientierte Anwendung von Leitlinien sollen insbesondere auch überflüssige, überholte und schädliche Maßnahmen vermieden werden [5, 6]. Das Programm für Nationale VersorgungsLeitlinien (NVL-Programm) wurde 2003 in gemeinsamer Trägerschaft von BÄK, KBV, und AWMF initiiert und wird durch das ÄZQ koordiniert. Das NVL-Programm zielt auf die Entwicklung und Implementierung versorgungsbereichsübergreifender Leitlinien zu ausgesuchten Erkrankungen hoher Prävalenz unter Berücksichtigung der Methoden der evidenzbasierten Medizin. Nationale VersorgungsLeitlinien bieten eine solide inhaltliche Grundlage für die Ausgestaltung von Konzepten der strukturierten und integrierten Versorgung [5, 7]. Die Empfehlungen werden im interdisziplinären Konsens aller an einer Erkrankung beteiligten Fachgesellschaften und ggf. anderer Berufe im Gesundheitswesen auf der Grundlage der besten verfügbaren Evidenz gegeben. Verantwortlich für die Formulierung sind die Mitgliedsgesellschaften der AWMF, die Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft und andere Organisationen, die sich durch die Entwicklung hochwertiger Leitlinien in dem jeweiligen Themenbereich hervorgetan haben oder unmittelbar davon betroffen sind. Diskussion: Wesentliche Aufgabe der nationalen VersorgungsLeitlinien ist es, möglichst konkrete, klare und realistisch umsetzbare Handlungsempfehlungen zu geben [8]. Sie unterscheiden sich von Evidenzaufbereitungen wie z. B. systematischen Reviews oder HTA-Berichten, indem zu bestimmten Fragestellungen nicht nur die vorhandene externe Evidenz bewertet und zusammengefasst, sondern diese darüber hinaus um die interne Evidenz von Fachexperten ergänzt wird. Die so generierten Empfehlungen stellen eine „Synthese der Evidenz“ dar. Insofern können Leitlinien auch als Instrumente der „Evidenzgewinnung“ aufgefasst werden. Bei der Zusammenstellung und Bewertung aller relevanten Studien sowie bei der nachfolgenden Zusammenfassung der Ergebnisse, haben es die Leitliniengruppen mit unterschiedlichen Problemen der Studienlage zu tun. Für viele Fragestellungen, die im Rahmen von Leitlinien bearbeitet werden sollen, liegen keine, nur wenige oder widersprüch-
liche Studienergebnisse vor. In dieser Situation muss die Leitliniengruppe einen Weg finden, mit dieser Unsicherheit umzugehen und sich entscheiden, ob eine Empfehlung gegeben werden soll oder nicht, auf welcher Grundlage und mit welchem Empfehlungsgrad. Selbst wenn die Studienlage relativ eindeutig ist, lässt sie einen gewissen Interpretationsspielraum zu, der zu deutlichen Unterschieden in der Formulierung der Empfehlung führen kann. Besonders schwierig wird die Situation, wenn durch nicht offen gelegte oder unerkannte Interessenkonflikte die Leitlinienentwicklung beeinflusst und somit eine sachliche Diskussion erschwert wird. Fazit: Trotz aller Schwierigkeiten, die in Leitliniengruppen auftreten können, lohnt sich die Mühe einer multidisziplinären Konsensbildung, da die Integration der jeweils internen mit der externen Evidenz einen wesentlichen Aspekt der EbM darstellt und nur so valide Empfehlungen formuliert werden können, die auch eine ausreichende Akzeptanz in den Anwenderzielgruppen erreichen. Bei Unsicherheiten bezüglich der Studienlage können die Methoden der multidisziplinären, evidenzund konsensbasierte Leitlinienentwicklung helfen, Empfehlungen auf einer rationaleren, problemorientierten Basis zu formulieren. Literatur: 1_4. Farquhar, C. M.; Kofa, E. W.; Slutsky, J. R.: Clinicians‘ attitudes to clinical practice guidelines: a systematic review. Med J Aust 177, 9, 502-6 (2002) 2_5. Grimshaw, J. M.; Eccles, M. P.; Walker, A. E.; Thomas, R. E.: Changing physicians‘behavior: what works and thoughts on getting more things to work. J Contin EducHealth Prof 22, 4, 237-43 (2002) 3_6. Sackett DL, Richardson WS, Rosenberg W, Haynes B (1999) Evidenzbasierte Medizin – EBM-Umsetzung und -Vermittlung. Deutsche Ausgabe: Regina Kunz und Lutz Fritsche. München, Zuckschwerdt, S. 89-90 4_7. Field MJ, Lohr KN, Institute of Medicine, Committee to Advise the Public Health Service on Clinical Practice Guidelines (1990) Clinical Practice Guidelines: Directions for a New Program. National Academy Press, Washington DC 5_8. Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), Ärztliche Zentralstelle Qualitätssicherung (ÄZQ). Das Leitlinien-Manual von AWMF und ÄZQ. Z Arztl Fortbild Qualitatssich 2001; 95 Suppl 1: 1-84. Internet: www. leitlinienmanual. de 6_9. Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV). Beurteilungskriterien für Leitlinien in der medizinischen Versorgung – Beschlüsse der Vorstände der Bundesärztekammer und Kassenärztlicher Bundesvereinigung, Juni 1997. Dtsch Arztebl 1997; 94: A-2154-5 7_11. Bundesärztekammer, AWMF, Kassenärztliche Bundesvereinigung (Hrsg). Programm für Nationale Versorgungsleitlinien – Methodenreport, 4. Auflage 2010. Berlin, ÄZQ. Internet: www. methodik. n-v-l. de 8_3. Europarat: Entwicklung einer Methodik für die Ausarbeitung von Leitlinien für optimale medizinische Praxis. Empfehlung Rec(2001)13 des Europarates und Erläuterndes Memorandum. Deutschsprachige Ausgabe. Z Arztl Fortbild Qualitatssich 96 Suppl III, 1-60 (2002) 2) Bedeutung und Grenzen der differenzierten Empfehlungen in Leitlinien, Prof. Dr. Ina Kopp , AWMF-Institut für Medizinisches Wissensmanagement, Marburg 3) Was nützen Leitlinien bei „unleitlichen“ Patienten, Prof. Dr. Hardo Sorgatz, Klinische Psychologie und Psychotherapie, Technische Universität, Darmstadt Empfehlungen medizinischer Leitlinien werden aus Ergebnissen randomisiert kontrollierter Studien (RCTs), Interpretationen unkontrollierter klinischer Studien und konsentierten klinischen Erfahrungen gewonnen. Dieses Verfahren schließt nicht alle denkbaren Patientengruppen ein, selbst wenn von extremen Sonderfällen abgesehen wird. Zur Teilnahme an RCTs und unkontrollierten Studien werden nur „geeignete“ Patienten zugelassen. Studienteilnehmer und damit auch Leitlinienempfehlungen repräsentieren den eher Erfolg versprechenden Teil der klinischen Alltagsklientel. Hinzu kommt eine Selbstselektion durch beträchtliche Raten an Studienabbrechern. Bei ihnen hat sich ein leitlinienrelevanter Therapieversuch bereits als undurchführbar oder als erfolglos erwiesen.
Zu beiden Gruppen sind noch jene als „unleitlich“ hinzuzufügen, deren Ergebniswerte nur scheinbar interpretationsfähige Symptomverläufe aufzeigen. Chronischer Schmerz, z. B., ist ein unsteter Begleiter. Innerhalb weniger Wochen schwankt er intra-subjektiv um über 40 Einheiten auf einer 100er Intensitätsskala (Frettlöh 2009) und damit um fast das Vierfache der therapeutischen Einflussmöglichkeit (LONTS 2009). Die zeitliche Test-Retest Stabilität im Monatsintervall mit r=0,60 wird von Jensen (1999) als „relativ niedrig“ beschrieben; beim drei Monatsintervall mit r = 0,24 ist sie praktisch nicht mehr vorhanden (Daut 1983). Weiter ergaben Zeitreihenanalysen individueller Schmerzdaten signifikante stochastische Aufwärts- und Abwärtstrends aus seriellen stochastischen Abhängigkeiten und Random Shock Verläufe, d. h. beeindruckende, aber auf Zufallsfaktoren zurückzuführende Intensitätsänderungen. Fremd- und Selbstausschluss bei RCTS sowie individuell stochastisch abhängige Symptomverläufe führen zu der Frage des Nutzens von Leitlinien, u. a. weil diese Klientel vielleicht nicht von RCT-Teilnehmern repräsentiert wird oder in Konsensbeschlüssen keine hinreichende Beachtung erfährt. Der Beantwortung ist eine genauere gruppenweise Beschreibung „unleitlicher“ Patienten vorzuschalten. Dabei ist u. a. zu prüfen, welche Behandlungsergebnisse von einem nicht Leitlinien konformen Vorgehen bei diesen Patientengruppen erwartet werden können. Leitlinien sind Denkwerkzeuge ärztlicher Kunst, deren Nutzen sich aus Patienten- und Umsetzungsmerkmalen bestimmt.
RÜCKENSCHMERZ Nationale Versorgungs-Leitlinie Kreuzschmerz Symposium A: Bewährtes und Neues in der Erstversorgung SY-16 Nationale Versorgungsleitlinie Kreuzschmerz: Symposium A: Bewährtes und Neues in der Erstversorgung B. Arnold1, M. Pfingsten2, J. Chenot2, K. Brune3, E. Böhle4 1 Amper-Kliniken, Dachau, 2Universitätsmedizin Göttingen, 3FAU ErlangenNuremberg, Erlangen, 4Deutscher Verband für Physiotherapie (ZVK) e. V., Köln Seit Juni 2006 haben Fachvertreter aus 33 medizinischen und nicht-medizinischen Fachgesellschaften in einer Arbeitsgruppe begonnen, die Nationalen Versorgungsleitlinien Kreuzschmerz zu erarbeiten (S3-Niveau). Die Arbeiten wurden von der Ärztlichen Zentralstelle für Qualitätssicherung in der Medizin (ÄZQ, als Institut der Bundesärztekammer) und der KBV redaktionell unterstützt, die moderierende Funktion hatte die AWMF. In 15 gemeinsamen Treffen in Berlin (2mal davon 2-tägig), zahlreichen Telefonkonferenzen und unzähligen Email-Abstimmungen ist es zu einem inhaltlichen Konsens über die 12 Kapitel, die die Leitlinie umfassen wird, gekommen. Ab Dezember 2009 wurde die ausgearbeitete Langversion (immerhin 180 Seiten) im InterNet drei Monate lang für Kommentierungen bereitgestellt. Daraus ergaben sich über 180 Kommentare, die in zwei weiteren Sitzungen diskutiert wurden und aus denen sich z. T. Änderungen in den Empfehlungen ergaben. Aufgrund der erheblichen Bedeutung des Kreuzschmerzes in der medizinischen Versorgung und seiner dadurch bedingten Kosten- und Ertragsrelevanz hat diese Leitlinie zu sehr viel Aufmerksamkeit und auch z. T. zu erheblichem Widerstand geführt. In diesem ersten Symposium sollen die Auswirkungen der LL-Empfehlungen auf der Ebene der Erstversorger beleuchtet werden. Im zweiten Symposium erfolgt dann die Darstellung der Auswirkungen auf die 2. und 3. Ebene der Versorgungssystems inkl. der Rehabilitation. Im ersten Beitrag werden die diagnostischen Schritte in der Erstversorgung dargestellt: Ein Problem bestand bisher darin, dass Kreuzschmerz Der Schmerz Supplement 1 · 2010
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Abstracts in der medizinischen Versorgung immer noch weit überwiegend als Ausdruck einer somatisch-mechanischen Krankheitsursache verstanden wurde. Entsprechend ist die Diagnostik weit überwiegend von Versuchen des Nachweises von Organpathologien geprägt. Daraus resultiert u. a. eine Fehl- und Überversorgung von bildgebenden Verfahren. In den NVL-Empfehlungen wird zunächst der primär zwingend erforderliche Ausschluss drohender oder manifester gefährlicher Krankheitsverläufe, die bei Verdacht weitere Diagnostik und evtl. fachärztliche Therapie notwendig machen, gefordert. Falls diese klinisch und anamnestisch ausgeschlossen werden können, soll aber zunächst keine weitere apparative Diagnostik erfolgen. Vielmehr rückt nun das potentielle Vorliegen psychosozialer Risikofaktoren der Chronifizierung in den Vordergrund, die nach 4 Wochen Krankheitsverlauf bereits regulär in der Primärversorgung erfasst werden sollen. Diese starken Empfehlungen werden abgesichert durch die weitere Empfehlung, bei progredienten und schweren Verläufen nach 6 Wochen, ansonsten nach 12 Wochen anhaltender Beschwerden trotz leitliniengerechter Therapie bildgebende Diagnostik durchzuführen. Letztere Empfehlung wird jedoch durch das Vorliegen psychosozialer Risikofaktoren eingeschränkt. Zu diesem Zeitpunkt wird zudem (sofern verfügbar) die Durchführung eines multidisziplinären Assessments mit weitergehender somatischer Diagnostik und umfassender Diagnostik psychosozialer Einflussfaktoren empfohlen. Als Konsequenz aus diesen Empfehlungen wird vermutlich eine Aufwertung psychosozialer Risikofaktoren resultieren, die nun – abgesehen von Warnhinweisen (red flags) – eine Gleichstellung zu somatischen Befunden/Beschwerden erhalten. Das Erfassen dieser Faktoren muss in der Routineversorgung implementiert werden. Zudem wird aus der Umsetzung der Leitlinien ein deutlicher Rückgang konventioneller Röntgen- und Schnittbilduntersuchungen resultieren. Erschwert wird diese Neuausrichtung der Diagnostik durch die fehlende Darstellung psychosozialer Diagnostik der Erstversorger in der Vergütungssystematik, z. B. beim Einsatz psychometrischer Instrumente. Zudem bestehen schwerwiegende strukturelle Defizite hinsichtlich speziell ausgebildeter Schmerz-Psychotherapeuten sowie in der Verfügbarkeit und Vergütung multidisziplinärer Assessments. In der hausärztlichen Versorgung (2. Beitrag) war bisher die S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (DEGAM) von 2003 bindend. Auch wenn diese inhaltlich durch einen Konsultationsprozess mit anderen Fachgesellschaften abgestimmt war, fehlte ein übergreifendes Versorgungskonzept. Sie hatte deshalb keinen Einfluss auf die bei der Versorgung von Kreuzschmerzpatienten bestehende Über- und Unterversorgung. Die NVL beschreibt jetzt nicht nur die Evidenzlage zum Nutzen einzelner diagnostischer und therapeutischer Interventionen, sondern schlägt auch einen Algorithmus für das zeitliche Ineinandergreifen der verschiedenen Versorgungsebenen vor. Aus allgemeinärztlicher Sicht positiv ist die Betonung der Notwendigkeit der Koordination der Versorgung, sei es durch den Hausarzt oder einen Spezialisten. Dadurch kann die Versorgung von Patienten mit Kreuzschmerzen vermutlich effizienter und gerechter gestaltet werden. Bei den akuten Kreuzschmerzen sind dadurch Einsparungen möglich, welche Reserven schaffen für eine notwendige, intensivere Betreuung chronischer Schmerzpatienten. Dabei müssen allerdings durch die medizinische Versorgung kaum zu beeinflussende sozioökonomische Faktoren beachtet und auch Widersprüche zwischen Patientenwünschen z. B. nach Massage und der Evidenzlage abgewogen werden. Positiv ist auch die in dieser ersten Ebene bereits berücksichtigte Priorisierung aktivierender vor passiven Maßnahmen. Ein Problem könnte allerdings daraus resultieren, dass das zugrunde liegende Konzept der nicht-spezifischen Genese von vielen Spezialisten nicht akzeptiert wird. Weiterhin liegt ein Problem darin, dass in Deutschland ein ungewöhnliches Nebeneinander von Allgemeinärzten und Organspezialisten in der Primär- und Langzeitversorgung besteht; dies führt im Vergleich mit anderen Industriestaaten zum Teil zu extremen versorgungsepidemiologischen Abweichungen. Die Umsetzung der NVL wird sowohl Veränderungen der Versorgungs- als auch der Vergütungsstrukturen notwendig machen.
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Auf der niedergelassenen fachärztlichen Primärversorgerebene (i. d. R. Orthopädie, 3. Beitrag) sind durch die Umsetzung der nationalen Versorgungsleitlinie folgende Veränderungen zu erwarten: – Akzentuierung der Anamnese und der klinischen Untersuchung – Vermehrte Sensibilisierung gegenüber red flags – Verbesserung der Exploration von psychosozialen Risikofaktoren (yellow flags) früher als bisher, – Rückgang apparativer (bildgebender und laborchemischer) Untersuchungen – Rückgang physikalischer Therapie, ggf. gezielterer Einsatz, – Zunahme von Manipulation, Mobilisation und Massage, – Zunahme und früheres Einsetzen von verhaltenstherapeutischen Maßnahmen, – Abnahme invasiver Maßnahmen. Sehr wünschenswert wäre es, wenn es durch die o. g. Maßnahmen auch zu einer Zunahme der Eigenverantwortung und Eigenaktivität der Patienten kommen würde. Dies sind primäre Zielsetzungen der Therapie und sollten in den Gesprächen und Beratungen im Vordergrund stehen. Insgesamt wird mit der NVL eine notwendige, längst überfällige Entwicklung angestoßen. Nämlich die einer Abkehr vom Versuch das Symptom Kreuzschmerz überwiegend „somatisch“ oder „psychisch“ einzustufen und behandeln zu wollen. Der Prozess, Kreuzschmerzen als komplexes multidimensionales Phänomen zu begreifen, bei dem multiple Faktoren aus dem bio-psycho-sozialen Kontext ineinandergreifen, wird durch die Empfehlungen gefördert und kann über eine dadurch verbesserte Diagnostik und gezieltere Behandlung zu einer Verbesserung der Versorgung führen. Die medikamentöse Behandlung von Kreuzschmerzen (4. Beitrag) ist symptomatisch. Sie soll im akuten Stadium die nichtmedikamentösen Maßnahmen unterstützen, damit die Betroffenen frühzeitig ihre üblichen Aktivitäten wieder aufnehmen können. Zur symptomatischen Therapie bei Kreuzschmerzen können, je nach individueller Befundkonstellation aus der Gruppe der nichtopioiden Analgetika Paracetamol, verschiedene traditionelle nichtsteroidale Antirheumatika/Antiphlogistika (tNSAR) und Cox-2-Hemmer zur Anwendung kommen. Aufgrund geringer Evidenz und möglicher Nebenwirkungen kann keine der genannten Medikamentengruppen als Mittel der ersten Wahl empfohlen werden. Die Kommission der ÄZQ erreichte Konsensus hinsichtlich folgender Themen: · Paracetamol kann versucht werden, obwohl die Wirksamkeit nicht belegt ist. · NSAR sind wirksam, sollten aber nur in begrenztem Umfang und für kurze Zeit eingesetzt werden. · Für Coxibe gibt es Wirkungsbelege, aber es besteht keine Zulassung. · Flupirtin wird nur in begrenztem Umfang empfohlen, da einer geringen Wirksamkeit erhebliche hepatotoxische Nebenwirkungen gegenüberstehen. · Opiate und Opioide sollten nur im Rahmen eines integrierten Behandlungsschemas eingesetzt werden. · Muskelrelaxantien und Naturheilstoffe können temporär als begleitende Therapiemaßnahme zum Einsatz kommen. · Für die topische Anwendung unterschiedlicher Wirkstoffe fehlen überzeugende Wirkungsbelege. Sie kann daher nicht empfohlen werden. Physiotherapeutische Behandlungen sind in der Versorgung von Kreuzschmerzen häufig anzutreffen (5. Beitrag). Maßnahmen der Physiotherapie wie z. B. Bewegungstherapie, Massagetherapie, Elektrotherapie sind nach den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses als „Heilmittel“ zusammengefasst. Der Katalog verordnungsfähiger Heilmittel („Heilmittelkatalog“) regelt die Indikation, bei denen Heilmittel verordnungsfähig sind, die Art und die Menge der verordnungsfähigen Heilmittel je Diagnosegruppe und die Besonderheiten bei Wiederholungsverordnungen. Zur Steuerung der Heilmittelausgaben legen die Spitzenverbände der Krankenkassen und die Kassenärztliche Bundesvereinigung jährlich Vorgaben für den Abschluss regionaler Heilmittel-Vereinbarungen fest. Richtgrößen werden für Facharztgruppen festgelegt. Die Budgetierung der Heilmittelverordnungen über die Einführung der Richtgrö-
ßen stellt ein Problem dar. Aus Sicht der verordnenden Ärzte entsteht damit für die Heilmittelversorgung ein enges Korsett. Liegen die von einem Arzt veranlassten Ausgaben in einem Kalenderjahr um 15 % über diesem Volumen, wird ein Prüfverfahren eingeleitet. Bei einer Überschreitung von mehr als 25 % kann der Arzt in Regress genommen werden. Offensichtlich wird auf Grund der restriktiven Regulationen nicht immer das medizinisch Notwendige, Zweckmäßige und Ausreichende sinnvoll verordnet. Vergleicht man die Heilmittelversorgung von Patienten mit nicht-spezifischen Kreuzschmerzen auf der Grundlage des Heilmittelkatalogs mit den Empfehlungen der NVL, so zeigt sich, dass sowohl bei akuten wie auch chronischen Fällen viele durchgeführte Behandlungen eine unzureichende oder fehlende Evidenz haben. In einer evidenz-basierten Versorgung sollte sich die Behandlung akuter und chronischer Fälle unterscheiden, da der Prozess der Chronifizierung andere Therapieansätze notwendig macht als bei den akuten Fällen. Die Analyse des GEK Heilmittelreports 2006 zeigt jedoch, dass bzgl. der Heilmittelversorgung auf der Grundlage des Heilmittelkatalogs kein Unterschied zwischen der Behandlung des akuten und chronischen Kreuzschmerzes mit physiotherapeutischen Maßnahmen besteht: Therapien, deren Nutzen in der NVL positiv eingestuft sind, werden zu wenig, zweifelhafte Maßnahmen aber zu häufig verordnet. In Deutschland ist dringend eine Veränderung der Rahmenbedingungen notwendig, damit die vorhandene externe Evidenz auch in die Heilmittelversorgung Eingang findet. Die größte Hürde bei der Implementierung liegt in der Entscheidungsbefugnis des Gemeinsamen Bundesausschusses, der zunächst die Heilmittelrichtlinien und den Heilmittelkatalog ändern müsste, und in der Festlegung von Richtgrößen, die eine adäquate Versorgung im Regelfall erschweren. Um zu einer erhöhten Behandlungsqualität zu kommen, ist ein verändertes Versorgungsmanagement auf der Grundlage einer verbesserten interdisziplinären Zusammenarbeit erforderlich. Dies kann nur erreicht werden, wenn die Anforderungen der NVL in den Versorgungsalltag implementiert werden. Zentrale Voraussetzung dafür ist die Anpassung von Vergütungsstrukturen an die Vorgaben der NVL, sei es im Rahmen der Regelversorgung oder über Selektivverträge. Wenn das gelingt, kann davon ausgegangen werden, dass die NVL – insbesondere über zu erwartende Steuerungsprozesse der Kostenträger – zu einer (grundlegenden) Veränderung der Behandlung von Kreuzschmerzen führt, wobei passive und invasive Verfahren (die dann nicht mehr bezahlt werden) zu Gunsten aktivierender, edukativer und verhaltenstheoretischer Methoden in den Hintergrund treten.
TRANSFER VON DER GRUNDLAGENFORSCHUNG IN DIE KLINIK Was Analgetika sonst noch machen ... SY-17 Was Analgetika sonst noch machen ... U. Stamer1, E. Pogatzki-Zahn2, C. Maier3 1 1für Anästhesiologie und Schmerztherapie, Inselspital, Universitätsklinikum Bern, 2Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin, Universitäts-klinikum Münster, 3Abteilung für Schmerztherapie, BG Universitätsklinikum Bergmannsheil GmbH Bochum; Ruhr Universität Neben ihren substanzspezifischen Wirkungen und Nebenwirkungen vermitteln Analgetika auch weitere Langzeiteffekte, die unter Umständen den Krankheitsverlauf entscheidend beeinflussen können. Einige dieser Effekte deuten sich erst durch neueste Untersuchungen und Untersuchungstechniken, die bisher so nicht möglich waren, an. Nebenwirkungen von Analgetika: Wer ist besonders gefährdet? Studien zeigten, dass durch individuell sehr unterschiedliche Metabolisierung von Analgetika bestimmte Patienten besonders gefährdet für
Nebenwirkungen von Opioiden, NSAIDs oder Koanalgetika sein können. Viele traditionelle NSAIDs, aber auch Coxibe werden über CYP2C9 oder auch CYP2C8 metabolisiert. Die Blutspiegel dieser Analgetika werden entscheidend von der Aktivität dieser Cytochrome bestimmt, mit einer bis zu 4,5-fach verlängerter Halbwertszeit (z. B. für Ibuprofen) bei Patienten mit einer genetisch bedingten niedrigen Metabolisierungsrate („Poor Metabolizern“). Dieses kann einerseits durch lang anhaltende hohe Blutspiegel des NSAIDs eine längere / bessere Wirksamkeit bedeuten, andererseits aber auch das Risiko für Nebenwirkungen erhöhen. So werden vermehrt akute gastrointestinale Blutungen unter einer Therapie mit NSAIDs bei CYPC28/9 Poor Metabolizern gefunden. Auch über ein vom CYP2C9 Genotyp abhängiges bis zu 11-fach erhöhtes Risiko für eine Überantikoagulation mit Blutungsneigung bei Kombination von NSAIDs mit Kumarinen wird berichtet. Paracetamol ist ein Substrat mehrerer Cytochrom P450 (CYP)-Enzyme (u. a. CYP2E1, CYP3A4, CYP2A2). Normalerweise wird nur ein Bruchteil des Paracetamols zu lebertoxischen Metaboliten (NAPQI) verstoffwechselt. Ihre Detoxifikation erfolgt rasch durch Konjugation an Glutathion unter Einwirkung der Glutathion-S-Transferase. Eine kritische Anhäufung von NAPQI kann einerseits durch eine vermehrte Produktion, aber auch durch eine reduzierte Entgiftung erfolgen. Für beide Schritte können sowohl exogene (Morbidität, Komedikation) als auch endogene Faktoren, vermutlich meist wohl eine Kombination aus beiden eine Rolle spielen. Patienten mit einer erhöhten CYP2D6 Enzymaktivität sind gefährdet für eine Opioid induzierte Atemdepression unter der Medikation von Tramadol und Codein. In mehreren Case Reports wird u. a. von Todesfällen vor allem bei Säuglingen und kleinen Kindern berichtet, die unter Codein (bei uns in Kombinationspräparaten z. B. zusammen mit Paracetamol enthalten) eine Atemdepression erlitten haben. Auch eine Atemdepression unter Codeinhaltigem Hustensaft bei einem Erwachsenen ist beschrieben. Bei diesen für eine durch Opioide induzierte Atemdepression besonders gefährdeten Patienten handelt es sich um sog. CYP2D6 Ultrarapid Metabolizer, die Codein oder auch Tramadol sehr schnell und intensiv in ihre am µ-Opioidrezeptor aktiven Metabolite Morphin bzw. O-Demethyltramadol umwandeln. Somit ist Vorsicht geboten mit diesen Medikamenten, vor allem auch bei Patienten, die aus bestimmten geographischen Regionen der Erde stammen, da abhängig von der Ethnizität die Häufigkeit von genetischen Varianten erheblich variiert. CYP2D6 Ultrarapid Metabolizer findet man beispielsweise in Mitteleuropa mit einer Häufigkeit von 3-4 %, im Mittelmeerraum mit bis zu 10 %, in Saudi-Arabien und Äthiopien mit einer Häufigkeit von bis zu 30 %. Weitere opioidtypische zentralnervöse Nebenwirkungen wie Übelkeit und Erbrechen oder auch Müdigkeit oder Verwirrtheit wurden assoziiert mit genetischen Varianten des ORMR1 Gens (µ-Opioidrezeptor), des ABCB1 Gens (P-Glykoprotein, Medikamententransporter) und des COMT Gens (Catechol-O-Methyltransferase). Zu NSAIDs, speziell Coxiben, gibt es aber auch positive Nachrichten. So sollen sie neben antiproliferativen Effekten auf Tumorzellen (siehe nachfolgenden Beitrag) auch über eine Hemmung proinflammatorischer Zytokine positive Effekte bei Schizophrenie und Depression aufweisen. Analgetika und Tumorwachstum Immer mehr vor allem retrospektive, klinische Studien legen nahe, dass die Wahl des Anästhesie- und Alagesieverfahrens einen Einfluss auf das Auftreten von Tumorrezidiven und Metastasierungsrate nach Operation des Primärtumors haben könnte. Hierbei zeigt sich u. a., dass eine Regionalanästhesie das Tumoroutcome im Gegensatz zu einer Allgemeinanästhesie und einer postoperativen systemischen Analgesie mit Opioiden positiv beeinflusst. Basiswissenschaftliche Untersuchungen lassen vermuten, dass der Einsatz von Regionalanalgesieverfahren durch eine Dämpfung der neuroendokrinen Stressantwort auf das Gewebetrauma Operation, aber auch durch einen verminderten Anästhetika- und Analgetika-Bedarf einen protektiven Effekt ausübt. Die Einsparung von Opioiden perioperativ ist insofern von Bedeutung, Der Schmerz Supplement 1 · 2010
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Abstracts als dass z. B. für Morphin immunmodulatorische und immunsuppressive Eigenschaften bekannt sind, durch die das Wachstum von Metastasen bei Tumoren gesteigert wird. Besondere Bedeutung scheint hier die zelluläre Immunabwehr zu haben. Darüber hinaus kann Morphin ggf. auch direkt zu einer Endothelproliferation und Stimulation der Angiogenese führen. Es ist allerdings nicht ganz klar, ob alle Opioide ähnliche Effekte ausüben oder substanzspezifische Effekte vorliegen; letzteres ist aber aus den wenigen Daten, die hierzu bisher zur Verfügung stehen, zu vermuten. Positive Effekte auf das Tumoroutcome scheinen dagegen COX-2 Hemmer zu haben; der Effekt ist wahrscheinlich multifaktoriell. Zusammenfassend wird immer deutlicher, dass der Einsatz von bestimmten Anästhesie- und Analgesieverfahren so wie Analgetika langfristige Effekte im Sinne der Beeinflussung des Tumoroutcomes haben kann. Dieser Symposiumsbeitrag soll zusammenfassend darstellen, welche Effekte bisher bekannt sind und welche klinische Relevanz dies in der perioperativen Medizin als auch bei der Langzeit-Schmerztherapie von z. B: Tumorschmerzpatienten haben könnte. Analgetika-Abhängigkeit, ein Problem bei Schmerzpatienten Psychotrope Effekte (euphorisierend, anxiolytisch und antidepressiv je nach Art der Substanz) sind für den Patienten vielleicht unerwartete, in der Regel jedoch erwünschte Nebenwirkungen verschiedener Analgetika, von Opioiden, partiell von Coxiben, von NMDA-Antagonisten (Ketamin), Antikonvulsiva (Pregabalin) und auch von Benzodiazepinen. Auch klassische Anästhetika, wie das zuletzt berühmt gewordene Propofol, aber auch Lachgas und weitere inhalative Substanzen haben ein Abhängigkeitspotential. Dieses ist das Ergebnis der direkten oder indirekten Stimulation von Dopamin-2-Rezeptoren im mesolimbischen Belohnungssystem (Nucleus accumbens, ventrales Tegmentum). Genetische Faktoren spielen eine begün-stigende Rolle. Angesichts der Häufigkeit der Analgetika-Verschreibung und der quantitativ letztlich geringen Anzahl von hieraus entwickelten Suchterkrankungen darf es als sicher unterstellt werden, dass diese pharmakodynamischen Effekte allein die Entstehung einer Suchterkrankung nicht hinreichend erklären. Hinzu kommen Persönlichkeitsaspekte, wobei vorbestehende Angst- und Depressionserkrankungen eine besondere Rolle spielen, aber auch die psychosoziale Situation eines Menschen, der diese psychotropen Effekte bei einer indizierten oder nicht-indizierten medizinischen Anwendung erfährt (biographische Traumatisierung, Überforderungssituationen, aktuelle Stressoren, Vorerfahrungen, persönliche Einstellung zu Medikamenten/Drogen). Dennoch kann sich auch aus einer lege artis Schmerztherapie eine Opiat-Sucht entwickeln. Neuere Zahlen belegen, dass am Beginn vieler Drogenkarrieren legale Verschreibungen stehen. Begünstigt wird diese fatale Entwicklung, wenn nicht Opiat-sensible Schmerzen behandelt werden, vor allem dann, wenn der fehlende analgetische Effekt mit einer Dosis-Erhöhung kompensiert wird und sich zur analgetischen Unwirksamkeit noch als unerwünschte Komplikation eine Opiat-Hyperalgesie entwickelt. Opiat-Abhängigkeit muss heute als die häufigste gravierende Komplikation der Schmerztherapie mit Opiaten eingestuft werden. Die einzig wirksame Therapie ist der kontrollierte Entzug, der in der Regel auch zu einer Schmerzreduktion führt. Bei allen übrigen Analgetika ist die Suchtproblematik gering und bedarf, von Ausnahmen abgesehen, keiner besonderen Behandlung oder Prävention. Extreme Ausnahmen sind im medizinischen Bereich tätige Patienten, bei denen sich eine lebensbedrohliche, oft mit kriminellen Aktivitäten verbundene Analgetika-Abhängigkeit mit i. v.-Applikation entwickeln kann.
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VERSORGUNGSSTRUKTUREN UND GESUNDHEITSÖKONOMIE Europäische Netzwerke in der Schmerzforschung SY-18 Europäische Netzwerke in der Schmerzforschung R. Baron1, R. Treede2, W. Meißner3, R. Hölzl4, D. Kleinböhl4 1 Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Kiel, 2 Medizinische Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg, Mannheim, 3 Klinikum der Friedrich-Schiller-Universität, Jena, 4Otto-Selz-Institut Mannheim für Angewandte Psychologie, Mannheim Auch wenn die EU bisher das Thema Schmerzforschung nicht explizit in den Rahmenprogrammen ausschreibt, gibt es doch in den existierenden Programmen schon einige erfolgreiche europäische Netzwerke mit deutscher Beteiligung, über die in diesem Symposium berichtet werden soll. IMI-Europain ist ein Verbundprojekt aus akademischen Institutionen und Pharmazeutischer Industrie mit dem Ziel, die Übertragung der Medikamentenentwicklung vom Tier auf den Menschen zu verbessern. PAIN-OUT ist ein internationales, sogar weit über Europa hinausgehendes Akutschmerzregister, das auf dem bekannten QUIPS Projekt basiert. SOMAPS beschäftigt sich mit der räumlichen Representation des Körperschemas im Gehirn. Am Rande dieser Veranstaltung besteht auch die Möglichkeit, sich mit den Vortragenden über erfolgreiche Antragstrategien in der EU zu beraten.
NEUROPATHISCHER SCHMERZ Small fiber Neuropathie (SFN) – Wege aus einem Labyrinth SY-19 Small fiber Neuropathie (SFN) – Wege aus einem Labyrinth N. Üceyler1, A. Westermann2, J. Gierthmühlen3 1 Julius-Maximilians Universität, Würzburg, 2Berufsgenossenschaftliches Universitätsklinikum Bergmannsheil GmbH, Bochum, 3Sektion für Neurologische Schmerzforschung und Therapie, Kiel Vorsitz: Prof. Dr. C. Sommer A) Diagnosekriterien, Differenzialdiagnose und Methoden (Dr. N. Üçeyler, Würzburg) B) Diagnostische Validität und Spezifität der QST bei der Small fiber Neuropathie – klinische Relevanz (Dr. A. Westermann, Bochum) C) Mechanismen-basierte therapeutische Konzepte (Gierthmühlen, Kiel) Small-fiber-Neuropathien sind eine Untergruppe sensibler Neuropathien die ausschließlich oder überwiegend die kleinkalibrigen Nervenfasern (A-delta und C-Fasern) betreffen. Die typische Manifestation besteht in Brennschmerzen, Parästhesien, einschießenden Schmerzen und manchmal auch einem Taubheitsgefühl der Füße. Die Hände können später betroffen sein. Häufig wird ein Kältegefühl der Füße geschildert. Bei der Untersuchung muss auf die Temperaturempfindung geachtet werden, die typischerweise reduziert ist. Dies kann mit quantitativ-sensorischer Testung (QST) bestätigt werden. Pathologische Temperaturempfindungsschwellen in der QST weisen auf eine Smallfiber Neuropathie hin, während durch eine normale QST diese nicht ausgeschlossen wird. Definitiv kann die Diagnose einer Small-fiberNeuropathie mittels morphologischer Darstellung der intraepidermalen Nervenfasern in einer Hautbiopsie gestellt werden. In manchen Fällen kann die Hautbiopsie auch Hinweise auf die Ätiologie der Erkrankung erbringen.
Der Verlauf ist meist gutartig, insofern, als sich die Neuropathie selten auf große Fasern (z. B. motorische Fasern) ausbreitet. Allerdings sind viele der Patienten durch die Schmerzen deutlich beeinträchtigt und benötigen eine längerfristige Therapie. Ursächlich kommen u. a. ein Diabetes mellitus oder Prädiabetes in Frage, Hypothyreose, Alkoholabusus, Frühstadien von entzündlichen Neuropathien, der Amyloidneuropathie oder ein Morbus Fabry. Bei letzterem besteht jedoch eine sehr eigene Schmerzcharakteristik mit Schmerzattacken bei Fieber. Auch einige der hereditären sensorischen und autonomen Neuropathien gehen mit Small-fiber-Neuropathie einher. Pathophysiologisch erscheint es zunächst widersprüchlich, dass eine Reduktion der Anzahl von schmerzleitenden Fasern zu Schmerzen führt. Da es auch schmerzlose Verminderungen der Hautinnervation gibt, geht man davon aus, dass neben dem Faserverlust weitere Ursachen für die Schmerzauslösung in Frage kommen. Dazu gehören Natriumkanalmutationen wie bei der seltenen autosomal-dominanten Erythromelalgie, Vaskulitis-ähnliche Infiltrate der Haut oder eine vermehrte Produktion von proinflammatorischen Zytokinen bei der längenabhängigen Small-fiber-Neuropathie. Über aktuelle Erkenntnisse aus der Pathogeneseforschung wird im Symposium berichtet werden. Die Behandlung sollte wo möglich kausal sein. Beim Diabetes mellitus gibt es Konzepte zur Prävention der Small fiber Neuropathie’ , die aktuell in Studien überprüft werden. Symptomatisch wird mit den bei anderen Indikationen erprobten Medikamenten gegen neuropathische Schmerzen behandelt. Nach dem Konzept der „mechanismen-orientierte“ Therapie sollte beispielsweise die topische Gabe von Lokalanästhetika nur sinnvoll sein, wenn noch periphere Nervenendigungen und somit Rezeptoren nachweisbar sind. In einer ersten randomisierten kontrollierten Studie waren Gabapentin und Tramadol wirksam. Weitere Konsequenzen der Diagnose ‚Small fiber Neuropathie’ für die Beratung und Therapie der Patienten werden im Symposium diskutiert werden.
KOPFSCHMERZ Update Kopfschmerzen: Das wichtigste aus den letzten 2 Jahren zu den Themen SY-20 Update Kopfschmerz: Das Wichtigste aus den letzten 2 Jahren zu den Themen Migräne, Kopfschmerzchronifizierung und zu den primären Kopfschmerzen der Gruppe 4 der IHS Klassifikation T. Wallasch1, C. Gaul2, S. Förderreuther3 1 Kopfschmerzzentrum, Sankt-Gertrauden-Krankenhaus Berlin, 2Westdeutsches Kopfschmerzzentrum Universitätsklinikum Essen, 3Neurologische Klinik, LMU, München Die sozioökonomische Bedeutung von Kopfschmerzen wird unterschätzt. Insbesondere die chronische Migräne geht mit hohen indirekten Kosten einher. Mit amerikanischen Daten konnte gezeigt werden, dass es eine Korrelation zwischen der Kopfschmerzfrequenz und den Fehlzeiten am Arbeitsplatz sowie dem Vorhandensein eines Vollzeitbeschäftigungsverhältnis überhaupt gibt. Patienten mit chronischer Migräne bedürfen daher einer besonders intensiven Betreuung. Neue Therapieverfahren sind zu fordern. Das erhöhte Risiko für einen ischämischen Schlaganfall bei Patientinnen mit Migräne mit Aura konnte in Metaanalysen belegt werden, in wie weit dies die künftige Behandlung beeinflusst ist unklar. Ein klinisch lange beobachtetes Phänomen, die Wirksamkeit von Kortison zur Behandlung lange andauernder Migräneattacken konnte nun auch in einer Studie belegt werden: In der Behandlung des Status migraenosus ist die Gabe von Kortikoiden wirksam, nicht hingegen bei einer Migräneattacke unter 48 Stunden Dauer. Bei der Versorgung von Notfallpatienten muss weiterhin bedacht werden, dass mehr als 70 % der
Patienten, die in Notaufnahmen wegen Kopfschmerzen behandelt werden, einen Wiederkehrkopfschmerz erleiden. Gegen diesen konnte eine gleich gute Wirkung von Sumatriptan und von Naproxen gezeigt werden. Zur Akuttherapie wurden mehrere Studien mit CGRP Antagonisten abgeschlossen, die erhoffen lassen, dass künftig eine weitere Therapieoption für Migräneattacken zur Verfügung steht. Kritisch müssen Behandlungsversuche mittels sogenannter Corrugatorchirurgie beurteilt werden, auch hier wurde eine Studie abgeschlossen. Für chronische Migräne stellt die Behandlung mit Botulinumtoxin künftig möglicherweise eine neue Therapieoption dar, nachdem für diese Substanz in der Behandlung der episodischen Migräne keine ausreichende Wirkung gezeigt werden konnte. Insbesondere bei chronischer Migräne und Kopfschmerz bei Medikamentenübergebrauch (MOH) ist die Inzidenz von Depression, Angsterkrankungen und auch Zwangsstörungen gegenüber der gesunden Population erhöht und korreliert negativ mit dem Behandlungserfolg. Gezeigt werden konnte eine Verbindung zwischen dem Auftreten dieser Erkrankungen und der Anzahl von Kopfschmerztagen im Monat. Die Chronifizierung von Kopfschmerzen korreliert neben der psychischen Komorbidität mit weiblichem Geschlecht, niedrigem sozioökonomischen Status, Medikamentenübergebrauch, Übergewicht, Schnarchen und Schlafstörungen, sowie negativ stressvollen bio-psycho-sozialen Belastungsfaktoren. Eine Verkürzung der Schulzeit bis zum Abitur scheint nicht hierzu zu gehören, wie eine Studie aus Bayern belegt. Auch weitere Schmerzdiagnosen, Schädelhirntrauma und Nackenschmerz, Asthma, Allergien und Bluthochdruck sind mit dem Ausmaß der Kopfschmerzen verbunden und sollten deshalb vermehrt ins Blickfeld der Behandler rücken. In wie weit tatsächlich die Behandlung der Komorbiditäten ergebnisrelevant für die Kopfschmerzbehandlung ist, bleibt weiterhin umstritten. Es gibt Hinweise, dass vielmehr Angsterkrankungen als Depression die Chronifizierung und Behandlung von Kopfschmerzen erschweren. Aus populations-basierten epidemiologischen Studien ist zu erfahren, dass die 1-Jahres Prävalenz der Chronifizierung bei 3 % liegt und sich bei 6 % der Bevölkerung aus einem selten auftretenden Kopfschmerz ein hochfrequentes Kopfschmerzleiden in diesem Zeitraum entwickelt. In einer cross-sectionalen epidemiologischen Studie aus Norwegen (Akershus study) konnte beeindruckend gezeigt werden, dass durch eine kurze Edukation bei MOH-Patienten binnen 18 Monaten in 76 % der Fälle ein Medikamentenübergebrauch eingestellt wurde und in 22 % ein chronischer Kopfschmerz remittierte. Im Kapitel 4 der Internationalen Kopfschmerz Klassifikation werden sehr unterschiedliche Kopfschmerzsyndrome zusammengefasst, deren Pathophysiologie weitgehend unbekannt ist. Der primäre Schlaf-gebundene Kopfschmerz betrifft vorwiegend ältere Personen jenseits des 60. Lebensjahrs. Es werden jedoch auch einzelne Fälle bei jungen Patienten und erste symptomatische Fälle beschrieben. Polysomnographische Untersuchungen belegen, dass nicht alle Attacken im REM-Schlaf beginnen. Der neu aufgetretende tägliche Kopfschmerz ist primär chronisch. Entscheidend für die Abgrenzung von der chronischen Migräne oder dem chronischen Spannungskopfschmerz ist das Fehlen von zunehmend häufiger auftretenden Kopfschmerztagen in der Anamnese. Neue Untersuchungen zeigen, dass er bereits im Kinder- uns Adoleszentenalter auftreten kann. Im Erwachsenenalter kann der Verlauf noch mehr als bei den Kindern und Jugendlichen zu einem Medikamentenabusus führen. Die Klassifikation von akut einsetzenden Vernichtungskopfschmerzen erfolgt in Abhängigkeit von den Auslösern und den Ergebnissen der Zusatzdiagnostik als idiopathischer Donnerschlagkopfschmerz (Ausschlussdiagnose), Hustenkopfschmerz, Anstrengungs-kopfschmerz, Kopfschmerz bei sexueller Aktivität oder als eine potentiell lebensbedrohliche oder mit einem hohen Morbiditätsrisiko einher gehenden sekundären Kopfschmerzform. Zahlreiche Fallberichte weisen darauf hin, dass das Syndrom eines akut einsetzenden Kopfschmerzes mit hoher Intensität vaskulär durch Gefäßspasmen oder andere Gefäßpathologien (Aneurysma, Dissektion, Vaskulitis) verursacht wird. Möglicherweise nimmt vor allem der Zeitpunkt, zu dem die Gefäßdiagnostik Der Schmerz Supplement 1 · 2010
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Abstracts erfolgt, entscheidenden Einfluss auf die Sensitivität der Diagnostik und damit auch auf die Therapie. Die Hemicrania continua führt zu anhaltenden seitenkonstanten Kopfschmerzen mittlerer Intensität, die in Attacken exazerbieren und dann auch milde vegetative Symptome aufweisen. Gemäß der aktuellen Klassifikation wird ein vollständiges Ansprechen auf Indomethazin gefordert. Die aktuelle Literatur beschäftigt sich in erster Linie mit therapeutischen Alternativen (evtl. Gabapentin, N. occipitalis Stimulation) und mit den relativ häufig anzutreffenden Fällen, die klinisch die typische Kopfschmerzcharakteristik aufweisen, aber nicht auf Indomethazin ansprechen und dadurch ein diagnostisches und therapeutisches Dilemma darstellen.
EXPERIMENTELLEMODELLE UND PATHOPHYSIOLOGIE Empathie und Schmerz SY-21 Symposium Empathie B. Kröner-Herwig Georg-Elias-Müller-Institut für Psychologie, Göttingen Empathie – die Fähigkeit sich in andere Personen hineinzuversetzen, ihre Gefühle zu verstehen und nachzuempfinden ist eine wesentliche Grundlage sozialen Miteinanders. Das Symposium hat das Ziel einige der modulierenden Faktoren der Empathie aufzuzeigen und ihre Auswirkungen zu verdeutlichen. Der erste Beitrag (Holzer et al) befasst sich mit der Bedeutung der Ähnlichkeit einer Person zum Empathie-Objekt sowie ihrer bisherigen Erfahrungen. Es wird über ein Experiment berichtet, in dem Schmerzempathie über Selbstbericht gemessen wird. Es wird überprüft, ob die Geschlechtsübereinstimmung dabei eine Rolle spielt. Sind also Frauen empathischer bei Frauen und Männer bei Männern? Des Weiteren wird die Schmerzerfahrung der „mitfühlenden“ Pdn variiert. Der zweite Vortrag (Hein) befasst sich mit der Bedeutung von Gruppenzugehörigkeit, also auch einer Determinante von Ähnlichkeit, als einem Moderator der Empathie. Die Motivation einer leidenden Person zu helfen stellt eine der tragenden Säulen ärztlicher und pflegerischer Praxis dar. In diesem Vortrag werden erste Ergebnisse zum Einfluss der individuellen neuronalen Empathie-Reaktion auf die spätere Bereitschaft zu helfen diskutiert. Die Pdn. der Studie zeigten stärkere Empathie-bezogene Hirnaktivierung wenn sie eine Person leiden sahen, die sie zur eigenen Gruppe zählten. Die Stärke der individuellen neuronalen Empathie-Reaktion sagte voraus, ob eine Person bereit war eigenen Schmerz zu erdulden, um das Leiden der anderen Person zu lindern. Der dritte Beitrag (Lamm) diskutiert Befunde, die zeigten dass Menschen keineswegs immer empathisch auf andere reagieren. Es werden neurowissenschaftliche Ergebnisse erörtert, die auf eine starke Modulation und Veränderbarkeit hinweisen. Die Art und Weise wie Schmerz bei PatientInnen wahrgenommen wird kann entweder zu einer selbstzentrierten Distress-Reaktion, oder zu einer „echten empathischen“ Reaktion führen Weitere Ergebnisse legen nahe, dass Empathie nur bei wiederholter Exposition – wie sie etwa im klinischen Alltag vorkommt – gänzlich eliminiert werden kann. Die Implikationen dieser Ergebnisse für helfendes Verhalten werden diskutiert.
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PALLIATIVMEDIZIN Palliativmedizin – Vision oder Irrtum? SY-22 Palliativmedizin – Vision oder Irrtum? F. Nauck1, C. Ostgathe2, C. Müller-Busch3 1 Universität, Berlinsmedizin Göttingen , 2Universität, Berlin Erlangen, 3 Universität, Berlin Die Palliativmedizin hat sich durch die Visionen einiger Weniger vor über 25 Jahren in Deutschland zunehmend entwickelt. Aussagen wie „Palliativmedizin? Das machen wir doch schon immer“, haben sich nicht halten können und so hat sich nach und nach ein „neues“ Fachgebiet, die Palliativmedizin immer mehr entwickeln können. Ein Irrtum wäre es aber zu glauben, dass die Palliativmedizin ein Alleinstellungsmerkmal beanspruchen würde oder gar dafür sorgen könnte, allen schwerkranken und sterbenden Menschen in Deutschland gerecht zu werden. Es ist ebenso ein Irrtum zu glauben, dass allein eine qualitativ hochwertige flächendeckende Palliativmedizin in Deutschland ausreichend wäre, um den zunehmenden Fragen nach aktiver Sterbehilfe und ärztlich assistiertem Suizid zu begegnen. Dennoch müssen wir uns gerade in einer Zeit, in der die Palliativmedizin ein „begehrtes Fach“ wird deutlicher denn je fragen, welche Herausforderungen Aufgaben und Visionen in der Zukunft zu bewältigen sind. Bleiben wir in der Gegenwart, bleiben wir bei der DGSS, so stellen sich Fragen nach Schnittpunkten zwischen Schmerztherapie und Palliativmedizin. Palliativmedizin ist nicht gleichzusetzen mit Schmerztherapie und Schmerztherapie nicht mit der Palliativmedizin. Dennoch gibt es inhaltlich und fachlich Überschneidungen. Die Arbeit im multidisziplinären Team, die Fokussierung nicht ausschließlich auf ein körperliches Symptom sind Herausforderungen, die Schmerztherapeuten ebenso wie Palliativmediziner zu leisten haben. Das Symposium Palliativmedizin – Vision oder Irrtum? Möchte Grenzbereiche und aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen beleuchten. Die drei Vorträge sollen dazu beitragen, Visionen zu verdeutlichen und Irrtümern wenn immer möglich zu begegnen. Framework Sedierung – Schmerz als Sedierungsgrund? In der Palliativmedizin wird seit Jahren über das Thema palliative Sedierung diskutiert. Sedierende Maßnahmen als Instrument der Symptomkontrolle in der Palliativversorgung sind mit dem Risiko des Fehlgebrauchs verbunden. Es geht sowohl um die medizinischen, ethischen, als auch emotionalen Bewertungen, die kontrovers diskutiert werden. Die EAPC hat inzwischen das Framework Sedierung veröffentlicht. Hier werden an Hand der vorhandenen Evidenzen Handlungsprinzipien so dargestellt, dass sie einen Entscheidungskorridor für medizinisch sachgerechte sowie ethisch und juristisch legitime Sedierungen vorgeben, der für die konkrete Entscheidungsfindung „vor Ort“ hilfreich ist. Für die Durchführung einer Sedierung sollte die Zustimmung nach Aufklärung des Patienten eine Grundbedingung darstellen. Es stellt sich die Frage, in wie weit die palliative Sedierung ein adäquates Instrument auch in der Behandlung stärkster, nicht anders behandelbarer Schmerzen darstellt. Waren noch vor ca. 20 Jahren die ersten Studien der Gestalt, dass Schmerz ein häufiger Grund für die Sedierung am Lebensende war, so ist diese Indikation über die Jahre stark zurückgegangen. Andere Symptome wie Dyspnoe, Unruhe oder Angst rücken immer mehr in den Blick. Die Sedierung kann für sich genommen als symptomkontrollierende Maßnahme verstanden werden, deren Nebenwirkungen und Risiken dem Behandler deutlich sein müssen. Wurde noch vor Jahren immer wieder betont, dass durch eine Schmerztherapie mit starken Opioiden der Todeseintritt frühzeitiger eintreten könnte, so wissen wir heute, dass eine adäquate Schmerztherapie eher mit einer Lebensverlängerung einhergeht. Für die wenigen Patienten, bei denen Schmerzen der Grund für die Sedierung sind, sollte das Behandlerteam im Vorfeld einer palliativen Sedierung überlegen, ob nicht ein Schmerztherapeut, konsiliarisch hinzu gebeten wer-
den sollte, um gemeinsam mit den Palliativmedizinern die Therapieoptionen zu überdenken. Das Framework Sedierung weißt zu Recht immer wieder auf die notwendige große klinische Erfahrung, aber auch Lebenserfahrung der Behandelnden hin. Hierzu gehört auch sich im multiprofessionellen Team zu beraten, um die bestmögliche Symptomkontrolle ggf. auch ohne den Patienten zu sedieren, zu erreichen. SAPV – Aufgaben für den Schmerztherapeuten? Mit der Regelung zur spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV) in der Sozialgesetzgebung in Deutschland vom 1.4. 2007 wurde erstmals für Versicherte der Gesetzlichen Krankenversicherungen ein Anspruch auf einen Teil der Palliativ- und Hospizversorgung festgeschrieben. Die SAPV wird als Komplexleistung, bestehend aus medizinischen und pflegerischen sowie Koordinationsleistungen definiert. Grundlage für die Entwicklung von Strukturen für die SAPV ist das Vorhandensein von Angeboten der allgemeinen ambulanten und stationären Palliativversorgung sowie spezialisierte stationäre Hospizund Palliativeinrichtungen. Ergänzend zu diesen vorhandenen Strukturen soll die SAPV Patienten in ihrer häuslichen Umgebung zur Verfügung stehen, die, angesichts einer unheilbaren und weit fortgeschrittenen Erkrankung, einer besonders aufwändigen Versorgung bedürfen. Ziel ist es, wenn gewünscht und möglich, das Sterben daheim ohne unnötige Krankenhauseinweisungen zu ermöglichen. Bis zum heutigen Tag ist die Umsetzung der SAPV-Richtlinie in Deutschland mehr als unzureichend. Weit weniger als 10 % der Patienten, die einen spezialisierten Bedarf hätten, sind laut Kassen bisher in entsprechenden Strukturen versorgt worden. Welche Rolle nimmt nun die Schmerztherapie in der vorgesehenen Versorgungsstruktur der SAPV ein? Hier lohnt ein Blick in die Richtlinien des Gemeinsamen Bundessauschusses. Dabei wird deutlich, dass das Vorhandensein eines komplexen Symptomgeschehens Anhaltpunkt für den genannten spezialisierten Versorgungsbedarf ist. Ein Symptomgeschehen ist komplex, wenn beispielsweise eine ausgeprägte Schmerzsymptomatik vorhanden ist – im Übrigen als erstes in einer Liste mehrerer möglicher körperlicher Symptome. Somit ist eine kompetente Schmerztherapie eine zentrale Aufgabe der spezialisierten, aber selbstverständlich auch der der allgemeinen Palliativversorgung, letztendlich unabhängig davon, ob sie im stationären oder ambulanten Umfeld geleistet wird. Hieraus lassen sich mögliche Aufgaben für den Schmerztherapeuten in der SAPV ableiten, die auf den besonderen Kompetenzen beruhen und das SAPV Angebot sinnvoll ergänzen oder weiterentwickeln können. Zunächst ist festzuhalten, dass der Schmerztherapeut bei Vorliegen der entsprechenden formalen Qualifikation – anerkannte Zusatzweiterbildung „Palliativmedizin“ nach der aktuell gültigen Weiterbildungsordnung der jeweiligen Landesärztekammer – selbst als Arzt in einem SAPV Team arbeiten kann. Daneben sind unter anderem folgende Aufgaben eines Schmerztherapeuten als Teil des Versorgungsnetzes denkbar: Unterstützung bei der Notwendigkeit von invasiver Schmerztherapie, Teilnahme an Qualitätszirkelarbeit, Schnittstellenfunktion zwischen allgemeiner und spezialisierter Palliativversorgung oder gemeinschaftliche Entwicklung von SOPs für die Schmerztherapie bei Patienten mit weit fortgeschrittenen Erkrankungen. Die Möglichkeit zur Einbindung in das Versorgungsnetz hängt hierbei stark von den regionalen Gegebenheiten und der örtlichen Vertragsgestaltung ab. Hier gilt es in Zukunft neben dem notwendigen weiteren Ausbau von SAPV in Deutschland stärker die Kompetenzen der Schmerztherapeuten in das Versorgungsnetz zu integrieren. Charta Palliativmedizin – Vision oder Irrtum? Am Anfang stand die Idee einer „Charta Palliativmedizin“, daraus geworden ist ein Charta-Prozess als Gemeinschaftsprojekt der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP), des Deutschen Hospizund Palliativverbandes (DHPV) und der Bundesärztekammer (BÄK). Angestoßen wurde der Charta-Prozess im Frühjahr 2007 im Rahmen der „Budapest Commitments“, einer internationalen Initiative auf dem 10. Kongress der European Association for Palliative Care (EAPC ), mit der im nationalen Rahmen Defizite in der Betreuung sterbenskranker Menschen benannt und Schritte zu deren Beseitigung aufgezeigt
werden sollten. In 18 Ländern Europas wurde dieser Gedanke aufgenommen. In Deutschland haben sich seit September 2008 ca. 50 Institutionen und Verbände sowie mehr als 150 Expertinnen und Experten in zahlreichen Arbeitsgruppen und in sechs Sitzungen des Runden Tisches an einem breit angelegten Konsensusprozess zur Entwicklung einer „Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen“ engagiert beteiligt. Dabei ging es um die Fragen: – Wo steht Deutschland bezüglich der Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen im Angesicht des Todes? – Welche bundesweiten Ziele sind zu definieren? – Wie könnten diese realisiert werden? Vor dem Hintergrund des aktuellen Stands der Palliativversorgung und auch unter Berücksichtigung der demographischen Entwicklung wurden unter Bezugnahme auf internationale Erfahrungen Anforderungen an die Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen, ihrer Angehörigen und der ihnen Nahestehenden Problemfelder benannt, zu denen Leitsätzen mit Erläuterungen verabschiedet wurden, in denen Empfehlungen zur Realisierung von Zielvorstellungen formuliert wurden. In den Leitsätzen und Erläuterungen werden folgende Problembereiche angesprochen: – Leitsatz 1: Gesellschaftspolitische Herausforderungen – Ethik, Recht und öffentliche Kommunikation – Leitsatz 2: Bedürfnisse der Betroffenen – Anforderungen an die Versorgungsstrukturen – Leitsatz 3: Anforderungen an die Aus-, Weiter- und Fortbildung – Leitsatz 4: Entwicklungsperspektiven und Forschung – Leitsatz 5: Aus Erfahrung lernen – die internationale Dimension Ziel des Chartaprozesses ist es in diesen Problembereichen, das Thema Sterbebegleitung und humanes Miteinander zu einer moralisch verpflichteten Herausforderung zu machen und die gesellschaftliche Aufmerksamkeit für ein Sterben in Verbundenheit zu fördern. Ein wichtiges Anliegen des Chartaprozesses ist es einerseits die Sicht der Betroffenen im Blick zu haben aber andererseits auch die beteiligten Verbände und Institutionen zum „Commitment“ einer fürsorglichen Verpflichtung zu ermutigen. Finanziell wurde der Chartaprozess durch die Träger und beteiligten Verbände und Institutionen, aber auch mithilfe eine projektbezogenen Unterstützung durch die Robert Bosch Stiftung sowie die Deutsche Krebshilfe ermöglicht. Der deutsche Charta-Prozess gilt schon jetzt als herausragendes Beispiel, wie die internationale Initiative der „Budapest Commitments“ im nationalen Kontext erfolgreich umgesetzt werden kann. Nach der Ergebnispräsentation im September 2010 wird es im nächsten Schritt darum gehen, die Ergebnisse der breiteren Öffentlichkeit vorzustellen, einzelne Teilziele weiter zu konkretisieren und die Umsetzung von exemplarischen Projekten bzw. Teilzielen zu begleiten. Hierzu ist sicherlich auch politische Unterstützung notwendig. Der Deutsche Charta-Prozess beinhaltet die Vision, dass es möglich ist, die Begleitung und Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen z. B. durch optimale Symptomkontrolle und psychosoziale Unterstützung so zu gestalten und so zu einem gesellschaftlichen Thema zu machen, dass der Wunsch nach Sterbehilfe zugunsten einer guten Sterbebegleitung zurückgedrängt wird bzw. Bestrebungen und Bemühungen einer Tötung auf Verlangen zu legalisieren in Deutschland keine Unterstützung finden. Die Zukunft wird und muss zeigen, wie aus der Vision kein Irrtum, sondern gelebte Wirklichkeit in der Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen wird.
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Abstracts PFLEGEWISSENSCHAFT Pflegesymposium Teil 1: Krankenhaus mal anders
PFLEGEWISSENSCHAFT Pflegesymposium Teil 2: Krankenhaus mal anders
SY-23 Pflegesymposium Teil 1: Krankenhaus mal anders N. Nestler1, B. Ide2, P. Estner3 1 Paracelsus Medizinische Privatuniversität, Hattingen, 2Krankenhaus Martha Maria Halle-Dölau, Halle, 3BG Klinik Murnau
SY-24 Pflegesymposium Teil 2: Krankenhaus mal anders E. Sirsch1, M. Thomm2 1 Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e.V. (DZNE), Standort Witten, 2Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin, Uniklinik Köln
Viele Menschen in verschiedenen pflegerischen Situationen erleiden Schmerzen, die aufgrund ihrer Erkrankung, der medizinischen, therapeutischen oder auch pflegerischen Versorgung auftreten. Schmerzen stellen ein alltägliches pflegerisches Problem dar, auf welches zu reagieren gilt. Pflegende haben eine Schlüsselrolle im Schmerzmanagement inne, da sie nah am Patienten sind. Allerdings gibt es auch heute noch enorme Unterschiede, wie und in welchem Umfang pflegerische Aufgaben im Schmerzmanagement übernommen werden. Das Symposium wird verschiedene Aufgabenbereiche und –schwerpunkte aufzeigen, die deutlich machen, in welchem Umfang pflegerisches Schmerzmanagement möglich ist. An verschiedenen Beispielen wird dargestellt, welche Bedeutung das umfassende pflegerische Schmerzmanagement für die Schmerzsituation des Patienten hat. An Hand empirischer Beispiele kann gezeigt werden, dass sowohl die interprofessionelle Zusammenarbeit wie auch die selbständige Übernahme der pflegerischen Aufgaben bedeutsam für die Schmerzversorgung sind. Ein Beispiel für eine umfassende Ausfüllung pflegerischer Versorgungsaufgaben ist die in diesem Symposium dargestellte Akutschmerzversorgung auf konservativen Stationen. Diese eher noch unbekannte Form der Akutschmerzversorgung durch Pflegende bietet Möglichkeiten der Optimierung der Versorgung der Patienten. Es kann gezeigt werden, welche Möglichkeiten der Verbesserung der interprofessionellen Schmerzbehandlung durch einen pflegebasierten Akutschmerzdienst für konservative Stationen bestehen. Dabei stehen andere, als in den operativen Fächern, bekannte Aufgaben im Fokus und die Kommunikation mit anderen Berufsgruppen gestaltet sich ebenfalls in häufig noch unbekannter Weise. Ein ebenfalls noch häufiges Problem stellt die Schmerzerfassung auf Intensivstationen dar. Auch hier bedarf es der pflegerischen Intervention, oftmals wird aber nicht mit pflegerischen Handlungskompetenzen reagiert. Es bedarf aber einer guten fachlichen Schmerzeinschätzung von analgosedierten Patienten, um Missverständnisse und Fehleinschätzungen zu vermeiden. Es kann nun die Implementierung eines Fremdeinschätzungsinstruments zur Beurteilung von schmerzbezogenen Verhaltensweisen gezeigt werden. Die Anwendung dieses Instruments zur Fremdeinschätzung verdeutlicht die Möglichkeiten für ein effektives Schmerzmanagement. Im Vortrag werden aber auch die Grenzen in der Anwendung aufgezeigt.
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Ausgehend von dem ersten Teil des Symposiums werden Möglichkeiten eines pflegerischen Schmerzmanagements aufgezeigt, die über das gewöhnliche Maß der Aufgabenerfüllung hinausgehen und damit eine optimierte Form der pflegerischen Handlungskompetenz aufzeigen. Ein dabei wichtiger Aspekt ist die Kompetenz der Selbst- und Fremdeinschätzung von Schmerzen. Immer mehr Menschen werden im Krankenhaus versorgt, die kognitive Einschränkungen haben und Pflegende mit dem Patienten entscheiden müssen, ob eine Selbst- oder Fremdeinschätzung von Schmerzen erfolgen muss. Es stehen mittlerweile eine Reihe von Instrumenten zur Verfügung, die eine Fremdeinschätzung von Schmerzen bei den Patienten ermöglichen, die eine Selbsteinschätzung nicht mehr durchführen können. Ein aber noch häufiges Problem ist die Entscheidung, wann eine Selbst- und wann eine Fremdeinschätzung von Schmerzen erfolgen muss. Mögliche Hilfen in der Entscheidungsfindung werden aufgezeigt und diskutiert. Wenn Pflegende die Notwendigkeit sehen, dass Fremdeinschätzungen von Schmerz in ihrem Handlungsfeld notwendig sind, besteht häufig das Problem der Entscheidung, welches Instrument hilfreich ist und wie dieses eingeführt werden kann. Da ein strukturiertes Assessmentinstrument die sonst rein subjektive Einschätzung unterstützt und die Wahrscheinlichkeit der adäquaten Beurteilung erhöht, gilt es, diese Lücke im Schmerzmanagement zu schließen. Es wird dargestellt, wie die Implementierung am UniversitätsSpital Zürich erfolgte, welche Möglichkeiten und Grenzen dabei erlebt werden. Zur Verifizierung, ob sich durch erworbene pflegerische Fachkompetenz im Schmerzmanagement die Versorgungspraxis deutscher Krankenhäuser verbessert, hat der Arbeitskreis Krankenpflege und med. Assistenzberufe der DGSS einen doppelseitigen Evaluierungsbogen an 619 Pflegende, die seit 2001 ihre Fachwissen durch Absolvierung des zertifizierten Weiterbildungskurses zur „ Algesiologischen Fachassistenz“ der DGSS erweitert haben, verschickt. Diese Erhebung zeigt deutlich, dass nicht nur eine Schmerzersteinschätzung durchgeführt, sondern dass auch eine regelmäßige Verlaufskontrolle erfolgt, die regelrecht dokumentiert wird. Adjuvant zur medikamentösen Therapie werden nichtmedikamentöse Verfahren angewandt. Eine Vielzahl der Einrichtungen verfügt über ein Angebot zur Schulung und Beratung zur Schmerzbehandlung für Patienten und deren Angehörige. Fast alle Teilnehmer wenden ihr erworbenes Wissen erfolgreich in ihrer täglichen Arbeit an und tragen somit zu einer Optimierung des Schmerzmanagements bei.
VISIONEN UND IRRTÜMER Der Beitrag der pharmazeutischen Industrie auf die klinische Forschung und Meinungsbildung – Verwerflich, Nützlich oder Notwendig? SY-25 Gibt es eine industriegelenkte Forschungs- und Meinungsbildung zum Schaden der Patienten G. Glaeske Zentrum für Sozialpolitik (ZeS) der Universität Bremen Schon die Ausgaben für Marketing und Vertrieb gegenüber der Forschung lassen Zweifel daran aufkommen, dass es eine Meinungsbildung durch pharmazeutische Hersteller gibt, die letztlich den Patientennutzen im Vordergrund haben. Eine zentrale Aufgabe für ein Pharmaunternehmen liegt vielmehr darin, Produktinformation bereitzustellen, die die Akzeptanz des Produktes und damit den Absatz und Umsatz fördern. Reinhardt (2004) hat in diesem Zusammenhang für 13 große forschungsbasierte Pharmaunternehmen in den USA Zahlen präsentiert, nach denen 14,0 % des Umsatzes in Forschung und Entwicklung (FuE) und 32,8 % in Verkaufsaktivitäten und allgemeine Verwaltungsausgaben investiert werden (siehe auch Tabelle). Dies deckt sich mit Angaben für die US-Firmen, die die 50 wichtigsten Arzneimittel für ältere Menschen herstellen und durchschnittlich 27 % ihres Umsatzes für Marketing, Werbung und Verwaltungsaufgaben ausgeben (Families USA 2002). Ausgaben in der Pharmabranche für Vertrieb und Verwaltung sowie Forschung und Entwicklung im Jahr 2004 (in % des Umsatzes) Tab. 1 Vertrieb und Verwaltung
FuE
Pfizer
32,2
14,6
GlaxoSmithKline
34,7
13,9
Sanofi-Aventis
29,3
16,4
Merck
32,0
17,5
AstraZeneca
38,6
16,2
Novartis
31,4
14,9
Wyeth
33,4
14,2
Bristol-Myers Squibb
33,2
12,9
Eli Lilly
30,9
19,4
Roche
33,3
16,3
Quelle: Handelsblatt (2005) nach Unternehmensangaben/eigene Berechnungen Ob diese hohen Marketing-Ausgaben der pharmazeutischen Industrie aus gesellschaftlicher Sicht wünschenswert sind, ist fraglich. Zwar ist zu vermuten, dass aus der Sicht des einzelnen Unternehmens über die Mittelverwendung individuell rational entschieden wird, jedoch wird damit nicht zwangsläufig ein gesamtwirtschaftlich effizientes Ergebnis erzielt. Informationssteuerung und Produktmarketing zielen vor oder nach der Markteinführung eines Arzneimittels darauf ab, im Bewusstsein der verordnenden Ärzte und der Verbraucher das zu behandelnde Krankheitsbild sowie den Produktnamen oder den Herstellernamen zu verankern. Im Vorfeld der Markteinführung eines neuen Medikaments wird häufig versucht, den Eindruck eines (objektiven) Bedarfs zu erwecken, auf den Verordnende und potenzielle Endverbraucher mit dem Wunsch nach einer Lösung reagieren sollen. Informationen zu Krankheiten und Medikamenten werden gezielt selektiert und über den Lebenszyklus eines Produkts in unterschiedlichen Strategien vermittelt. Bei der Veröffentlichung der Ergebnisse klinischer Studien besteht generell eine Tendenz zum selektiven Publizieren “günstiger“ Untersu-
chungsergebnisse. Statistisch signifikante Ergebnisse werden eher veröffentlicht als nicht signifikante. Für solche Verzerrungen sind nicht nur die Autoren oder Auftraggeber, sondern oftmals auch Reviewer oder Herausgeber von Fachzeitschriften verantwortlich. Positive Studienergebnisse werden deutlich schneller veröffentlicht als negative. Anhand von Studien zu den neueren Antidepressiva der Gruppe der Selektiven Serotoninantagonisten (SSRI) untersuchten Melander, H. et al. (2003) das Phänomen des ,selektiven Veröffentlichens‘ (selective reporting). Sie vergleichen veröffentlichte Studienergebnisse mit den im Rahmen des schwedischen Zulassungsverfahrens eingereichten Dokumenten. Neben Beispielen für die Mehrfachpublikation von Studien fanden die Autoren Hinweise auf selektives Veröffentlichen positiver Ergebnisse: 21 von 42 Studien fielen zugunsten der Testsubstanz aus. Von diesen wurden 19 als Einzelstudien veröffentlicht; von den aus Sicht der Industrie ungünstig ausgefallenen 21 Untersuchungen waren es nur sechs. Kjaergard, L. und Als-Nielsen, B. (2002) stellen in ihrer Analyse von 159 zwischen Januar 1997 und Juni 2001 im British Medical Journal veröffentlichten randomisierten Studien fest, dass die Angabe der Autoren, über finanzielle Verbindungen zu Herstellerfirmen verfügen (competing financial interests), positiv mit einem für die geprüfte Intervention günstigen Ergebnis korreliert. Djulbegovic, B. et al. (2000) werteten 136 Studien zum Multiplen Myelom aus. Studien, die ganz oder zum Teil von der Industrie gesponsert waren, wiesen danach zwar eine höhere methodische Qualität auf als solche, die allein staatliche oder aus nicht kommerziellen Quellen stammende Fördermittel erhielten. Doch fielen die herstellerfinanzierten Studien in 53 % günstig für das getestete neue Verfahren aus. Die anderen Untersuchungen kamen lediglich in 26 % zu einem solchen Ergebnis. Eine systematische Untersuchung von 30 Studien (Lexchin, J. et al. 2003) kam zu dem Schluss, dass die publizierten herstellerfinanzierten pharmakotherapeutischen Studien mit einer viel höheren Wahrscheinlichkeit zu Gunsten des Produktes des Sponsors ausfielen als anders finanzierte Untersuchungen. Eine aktuell im Deutschen Ärzteblatt publizierte Übersichtsarbeit (Schott et al., 2010, Teil 1 und 2) kommt zu ähnlichen Ergebnissen: Danach führen Studien mit einem pharmazeutischen Sponsor häufig zu einem positiveren Ergebnis als industrieunabhängig durchgeführte Studien. Die Schlussfolgerung: Marketing vor Evidenz und Umsatz vor Sicherheit stellt daher ein ernstzunehmendes Problem für die Patientenversorgung dar. Eine Überbewertung der Wirksamkeit und Sicherheit von Arzneimitteln ist ebenso schädlich für Patienten wie eine Unterbewertung von Risiken in der Anwendung. Zum Beispiel fehlen in den Fachinformationen bei manchen SSRI noch immer bekannte unerwünschte Wirkungen wie Parästhesien und Nervosität. Aus industrieunabhängigen Untersuchungen werden für die cholesterinsenkende Kombination Inegy (Simvastatin und Ezetemib) mehr und mehr unerwünschte Wirkungen bekannt (Kardiovaskuläre UAW, ein noch immer bestehender Verdacht auf Kanzerogenität), die von den Herstellern nivelliert werden, ja sogar geleugnet werden. Das erhöhte Thromboserisiko von neuen Gestagenen in Kontrazeptiva wird von Herstellern immer wieder durch eigene Studien in Zweifel gezogen, obwohl nicht industriegesponserte Studien schon seit vielen Jahren auf diesen Zusammenhang hinweisen. Es muss daher ohne Zweifel ein Zusammenhang zwischen herstellergelenkter Forschungs- und Meinungsbildung einerseits und der ärztlichen Verordnungsentscheidung und damit einer möglichen Gefährdung von Patientinnen und Patienten andererseits vermutet werden. Es muss daher gewährleistet werden, dass ein Zugang der Öffentlichkeit zu Studienprotokollen und Rohdaten ermöglicht wird und dass unabhängig von der Finanzierung durch die pharmazeutischen Hersteller Studien durchgeführt werden (z. B. über eine Finanzierung durch die GKV), die den patientenorientierten Nutzen als Ziel haben. Von denjenigen, die ein vor allem ökonomisches Interesse an einem Produkt haben, kann keine neutrale und objektive Information erwartet werden – dies gilt auch für Arzneimittel.
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Abstracts RÜCKENSCHMERZ Nationale Versorgungs-Leitlinie Kreuzschmerz Symposium B: Abgestufte, Intensitäts-gesteuerte Versorgung SY-26 Nationale Versorgungsleitlinie Kreuzschmerz: Symposium B: Abgestufte, intensitäts-gesteuerte Versorgung B. Arnold1, M. Pfingsten2, B. Kladny3, E. Schulte4, K. Schwerdtfeger5 1 Amper-Kliniken, Dachau, 2Universitätsmedizin Göttingen, 3Fachklinik Herzogenaurach, 4Campus Virchow-Klinikum, Berlin, 5Universitätsklinik, Neurochirurgische Klinik, Homburg Seit Juni 2006 haben Fachvertreter aus 33 medizinischen und nicht-medizinischen Fachgesellschaften in einer Arbeitsgruppe begonnen, die Nationalen Versorgungsleitlinien Kreuzschmerz zu erarbeiten (S3-Niveau). Die Arbeiten wurden von der Ärztlichen Zentralstelle für Qualitätssicherung in der Medizin (ÄZQ, als Institut der Bundesärztekammer) und der KBV redaktionell unterstützt, die moderierende Funktion hatte die AWMF. In 15 gemeinsamen Treffen in Berlin (2mal davon 2-tägig), zahlreichen Telefonkonferenzen und unzähligen Email-Abstimmungen ist es zu einem inhaltlichen Konsens über die 12 Kapitel, die die Leitlinie umfassen wird, gekommen. Ab Dezember 2009 wurde die ausgearbeitete Langversion (immerhin 180 Seiten) im InterNet drei Monate lang für Kommentierungen bereitgestellt. Daraus ergaben sich über 180 Kommentare, die in zwei weiteren Sitzungen diskutiert wurden und aus denen sich z. T. Änderungen in den Empfehlungen ergaben. Aufgrund der erheblichen Bedeutung des Kreuzschmerzes in der medizinischen Versorgung und seiner dadurch bedingten Kosten- und Ertragsrelevanz hat diese Leitlinie zu sehr viel Aufmerksamkeit und auch z. T. zu erheblichem Widerstand geführt. Im ersten Symposium wurden die Veränderungen auf der Ebene der Erstversorger beleuchtet, im zweiten Symposium erfolgt die Darstellung der Auswirkungen auf die 2. und 3. Ebene der Versorgungssystems inkl. der Rehabilitation. Bzgl. der Auswirkungen der NVL auf die schmerztherapeutische Versorgung (1. Beitrag) sind die Abkehr von invasiven Maßnahmen, die frühzeitige kompetente Diagnostik von Yellow Flags, die schmerztherapeutische Kompetenz bei der schwierigen analgetischen Einstellung (Stärkung der ambulanten Schmerztherapie) und die Expertise für die multimodale Therapie hervorzuheben. Schmerztherapeutische Kompetenz ist insbesondere bei chronischen Verläufen gefragt bzw. bei der Diagnostik von potentiell chronischen Verläufen. Bereits bei anhaltenden Schmerzen (> 12 Wochen) soll die weitergehende somatische Diagnostik sowie die Erfassung psychosozialer Einflussfaktoren und die Abschätzung der Notwendigkeit kognitiv verhaltenstherapeutischer Maßnahmen durch entsprechende Fachärztinnen/Fachärzte mit schmerztherapeutischer Weiter- bzw. Fortbildung erfolgen. Schmerztherapeutische Einrichtungen sind aufgrund ihrer Expertise besonders geeignet, das zur Indikation von multimodaler Behandlung erforderliche umfassende interdisziplinäre Assessment durchzuführen. Steht keine derart hoch spezialisierte schmerztherapeutische Einrichtung zur Verfügung, ist es Aufgabe der Primärversorgenden (z. B. in Form eines telefonischen Austauschs), die Befunde zusammen mit den konsultierten Fachleuten zu begutachten und eine Indikationsentscheidung zu treffen. Schmerztherapeutische Fachkenntnisse sind insbesondere auch bei der Verschreibung und Kontrolle höher potenter Analgetika gefragt (s. Symposium A). Die Indikation zur Behandlung mit starken Opioiden soll möglichst im Rahmen eines multimodalen Therapiekonzeptes sowie in Zusammenarbeit mit schmerztherapeutisch erfahrenen Fachleuten erfolgen. Diese sollen auch hinzugezogen werden, wenn Unsicherheit bezüglich der Indikationsstellung besteht oder bei der bisherigen Therapie eine erhebliche funktionelle Beeinträchtigung der Erkrankten fortbesteht oder neu eingetreten ist. Weiterhin sollten sie zur Abgabe einer zweiten Meinung hinzugezogen werden, oder
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wenn durch die Konsultation noch weitere Chancen für eine Therapieoptimierung gesehen werden. Umgekehrt sollen die Schmerztherapeuten mit den koordinierenden Ärzten Kontakt aufnehmen, um mögliche Probleme bei einer Verordnung von starken Opioiden im Vorfeld abzuklären (Suchtanamnese, kognitive Beeinträchtigungen, Multimedikation, Unzuverlässigkeit, auch im Hinblick auf das unmittelbare Umfeld). Bei Erfolglosigkeit der evidenzbasierten nicht-invasiven Therapie des Kreuzschmerzes stellt sich häufig die Frage der Anwendung invasiver Therapiemaßnahmen wie interventionellen oder operativen Verfahren (2. Beitrag). Beim nicht-spezifischen Kreuzschmerz findet sich jedoch für alle zur Verfügung stehenden Verfahren aus diesem Bereich nur eine mangelhafte Evidenz. Konsequenterweise wird in der NVL eine starke Empfehlung ausgesprochen, invasive oder operative Verfahren sowohl bei akutem als auch chronischem, nicht-spezifischem Kreuzschmerz nicht anzuwenden. Während bei aufwändigen operativen Verfahren allgemein akzeptiert ist, dass die Indikation an den Nachweis einer spezifischen Ursache gebunden sein sollte, ist bei einfachen, insbesondere perkutanen Verfahren sicherlich eine Grauzone mit falscher Indikation anzunehmen. Am Beispiel der Facettengelenksinfiltration und – denervation kann man diese Problematik und die lückenhafte Evidenz der vorhandenen Studien besonders gut darstellen. Die Zunahme detailliert auflösender radiologischer Untersuchungen der Lendenwirbelsäule (CT, MRT) bringt eine Flut auffälliger Befunde mit sich. Ob sie als ursächlich für die Beschwerdesymptomatik anzusehen sind, kann nur im Gesamtkontext entschieden werden. Der mögliche Schaden einer nur einseitig auf organische Gründe fixierten Diagnostik muss bedacht werden. Um auf diese wichtige Problematik näher eingehen zu können, wäre es wünschenswert gewesen, wenn ergänzend zu NVL (nicht-spezifischer) Kreuzschmerz eine weitere Leitlinie zum spezifischen Kreuzschmerz angefertigt worden wäre. Bei chronischen Verläufen hat sich die Anwendung multimodaler Schmerztherapie als besonders effektiv erwiesen (3. Beitrag). Multimodale Schmerztherapie bezeichnet die gleichzeitige, inhaltlich, zeitlich und in der Vorgehensweise aufeinander abgestimmte umfassende Behandlung von Patienten, die von einem Therapeutenteam gemeinsam erbracht wird. Somatische, körperlich übende, psychologisch übende und psychotherapeutische Verfahren werden nach vorgegebenem Behandlungsplan angewandt. Das Therapieziel besteht in der Wiederherstellung der objektiven und subjektiven Funktionsfähigkeit. Inzwischen gibt es gute Evidenz, dass diese Behandlungsform bei Patientinnen/Patienten mit chronischen Kreuzschmerzen die Funktionsfähigkeit verbessert, Schmerzen lindert, und die Wiederaufnahme der Arbeit sowie die Arbeitsbereitschaft positiv beeinflusst. Die NVL spricht eine generelle Empfehlung zu multimodaler Therapie bei Versagen weniger intensiver Behandlungen aus. Konkret wird die Prüfung der Indikation bei Nachweis von „Yellow flags“ bereits nach 6 Wochen Krankheitsverlauf, und bei anhaltenden Beschwerden nach 12 Wochen empfohlen. Vor Multimodaler Therapie soll ein strukturiertes Assessment mit anschließender Teambesprechung erfolgen, aus dem sich individuelle Zielsetzungen für die Behandlung ableiten lassen. Bereits während der Behandlung sollen die Patienten auf die Zeit nach der Behandlung vorbereitet bzw. notwendige Nachsorgemaßnahmen eingeleitet werden. Grundsätzlich können multimodale Programme im kurativen wie auch im rehabilitativen Bereich erbracht werden. Während im kurativen Bereich diese Strukturen bereits punktuell, aber noch nicht flächendeckend aufgebaut wurden, finden in der Rehabilitation erste Schritte zur Entwicklung geeigneter Strukturen statt. Hier bedeutet die Multimodale Therapie die Abkehr von der bisherigen organisch-reparierenden Zielsetzung. Multimodale Therapieprogramme sind teuer und werden deshalb, obwohl sie die effektivste Form der Therapie chronischer Kreuzschmerzen mit deutlicher Kosteneffizienz darstellen, seitens der Kostenträger nur zögerlich unterstützt. Zudem besteht ein Mangel an speziell ausgebildeten Therapeuten aller Disziplinen, vor allen jedoch bei den Schmerz-Psychotherapeuten. Die höheren Kosten stellen auch in der
Rehabilitation eine große Hürde dar, zudem werden in der Rehabilitation derzeit die erforderlichen Therapieintensitäten nicht erreicht. Ein weiteres Dilemma der Rehabilitation ist die bisher fehlende Möglichkeit des interdisziplinären Assessments. Es ist eine gängige Erfahrung, dass Patienten mit chronischen nichtspezifischen Kreuzschmerzen bisher zu lange unkoordiniert im System behandelt werden. Die Einleitung einer Reha-Maßnahme erfolgt meist zu spät oder Leistungsträger versagen die Kostenübernahme für eine zeitgerechte evidenzbasierte Behandlung (4. Beitrag). Spätestens nach 6 Wochen Schmerzdauer und dem Vorliegen alltagsrelevanter Aktivitätseinschränkungen (z. B. Arbeitsunfähigkeit oder Beeinträchtigung der Selbsthilfefähigkeit) wird im Rahmen des oben angesprochenen Assessments bereits auch die Indikation zur Rehabilitation geprüft. Die oben beschriebene multimodale Behandlung kann auch in diesem Versorgungssektor zur Anwendung kommen. In den Empfehlungen werden die zur Erreichung der Ziele erforderlichen Inhalte beschrieben. Die Verordnung der vom Patienten sehr oft geschätzten passiv-reaktiven Maßnahmen hat sehr restriktiv zu erfolgen. Struktur-qualitative Merkmale sind ebenfalls determiniert. Vor dem Hintergrund der sozialmedizinischen Beurteilung sollen auch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben überprüft werden. Die Planung von Nachsorgemaßnahmen stellt einen integrativen Bestandteil der Behandlung dar, wobei das Ziel auch eine eigenverantwortlich durchgeführte körperliche Aktivität ist. Aus diesem Grund wurde in den letzten Jahren ein System zur Reha-Nachsorge entwickelt und weitgehend flächendeckend etabliert (z. B. kombinierte Leistungen im Rahmen der „Intensivierten Rehabilitationsnachsorge, IRENA“). In Kuration und Rehabilitation kommen im Prinzip dieselben Methoden und Verfahren zum Einsatz. Beide Bereiche unterscheiden sich allerdings in ihren Voraussetzungen und in ihrer Zielsetzung. Für die Reha wird erwartet, dass die erforderliche Diagnostik bereits abgeschlossen ist; weiterhin muss der Patient rehabilitationsfähig sein. Kuration und Rehabilitation sind weniger konkurrierend zu verstehen und können sich gut vor dem Hintergrund unterschiedlicher Eingangsvoraussetzungen und Zielsetzungen ergänzen. In Übersichtsarbeiten zur Rehabilitation bei chronischen Kreuzschmerzen ließ sich lange keine überzeugende Evidenz für die Wirksamkeit ableiten, während neuere Konzepte wie medizinisch-beruflich orientierte oder die verhaltensmedizinisch-orthopädische Rehabilitation Erfolge zeigen. Dies weist auf die zukünftige Strukturierung erfolgreicher Programme hin. Die vorgegebenen Verfahrensabläufe erfordern von den Akteuren eine entsprechende Disziplin, die nicht ohne weiteres erwartet werden kann. Die Bereitschaft von Leistungsträgern zur rechtzeitig gebotenen Übernahme der adäquaten Kosten für eine Multimodale Behandlung in der Rehabilitation bleibt abzuwarten. Zusammenfassend ist zu hoffen, dass die NVL Kreuzschmerz – insbesondere über zu erwartende Steuerungsprozesse der Kostenträger – zu einer (grundlegenden) Veränderung der Behandlung von Kreuzschmerzen führt, wobei passive und invasive Verfahren (die dann nicht mehr bezahlt werden) zu Gunsten aktivierender, edukativer und verhaltenstheoretischer Methoden in den Hintergrund treten.
VISIONEN UND IRRTÜMER Ärztliche Entscheidungsfindung bei akutem und chronischem Rückenschmerz – Irrtümer und Visionen SY-27 Ärztliche Entscheidungsfindung bei akuten und chronischen Rückenschmerzen – Irrtümer und Visionen M. Schiltenwolf1, V. Tronnier2 1 Orthopädische Universitätsklinik, Heidelberg, 2Neurochirurgische Universitätsklinik, Lübeck Welche diagnostischen Konsequenzen erlaubt die moderne Bildgebung? (PD Dr. Christoph M. Heyer) Die Bildgebung ist heute essenzieller Bestandteil der Diagnostik des akuten und chronischen Rückenschmerzes. Dabei spielen – neben der konventionellen Röntgendiagnostik – die modernen Schnittbildverfahren CT und MRT eine Hauptrolle. Erstere erlebte in den vergangenen Jahren durch Einführung und Weiterentwicklung der Mehrzeilentechnologie eine beeindruckende Renaissance. Moderne CT-Scanner erlauben heute in wenigen Sekunden eine hochauflösende Darstellung des Achsenskeletts in beliebigen Raumebenen. Hauptnachteil der CT ist die mit ihr verbundene Strahlenexposition, die den Einsatz der Methode gerade bei jüngeren Patienten limitiert. Die MRT liefert als strahlenfreies Verfahren detaillierte morphologische Informationen zur Beschaffenheit der Skelettelemente, der Bandscheiben und der angrenzenden neuralen Strukturen. Darüber hinaus erlaubt die MRT Aussagen zur Aktivität entzündlicher Prozesse und zur Einschätzung postoperativer Situationen. Trotz dieser mannigfaltigen Potenziale der modernen Bildgebung existieren bei vielen Patienten keine strengen Korrelationen zwischen Bildbefunden und klinischer Schmerzsymptomatik. Daher ist die ungezielte Anwendung bildgebender Verfahren zur Abklärung von Rückenschmerzen auch aus wirtschaftlicher Perspektive kritisch zu bewerten. Welche operativen Indikationen beim Rückenschmerz sind gesichert? (Marcus Schiltenwolf, Heidelberg) Qualitativ hochwertige Studien konnten in den letzten Jahren belegen, dass die akute und subakute bandscheibenassoziierte Ischialgie durch Nukleotomie zu einer rascheren Schmerzrückbildung und Funktionsverbesserung führt als der konservative Therapieansatz. Einschränkend muss festgehalten werden, dass nach einem Jahr zwischen den beiden Optionen kein messbarer Unterschied mehr besteht und dass Therapieversager beider Gruppen zu Beginn stärker psychische betroffen sind (Anderson et al. 2008, Peul et al. 2008, Weinstein et al. 2008). Auch die operative Behandlung der wirbelsäulenbedingten Schaufenstererkrankung (Claudicatio spinalis durch spinale Stenose) führt zu einer stärkeren Verbesserung der Gehstrecke als konservative Therapie(Weinstein er al. 2010). Diese beiden guten Indikationen erklären aber nicht die explosionsartige Zunahme von Wirbelsäulenoperationen z. B. in Deutschland und in den USA. Es ist davon auszugehen, dass die Entgeltsysteme zu einer Favorisierung operativer Maßnahmen führen. So werden Bandscheibenoperationen und Dekompressionen bei lokalem Rückenschmerz aber fehlender radikulärer Symptomatik und Mehretagenbehandlungen nicht frischer osteoporotischer Wirbeldeformierungen durchgeführt, werden Spondylodesen und Bandscheibenprothese vom Leidensdruck der Patienten und umstritterner Etagendiagnostik abhängig gemacht und nicht von multidimensionaler Einschätzung. Dabei ist die Datenlage zur Vertebro- und Kyphoplastie ist dagegen uneinheitlich: einerseits werden Plazeboeffekte durch kontrolliert geblindete Studien postuliert, andererseits wird für die Kyphoplastie die Beschleunigung der Schmerzlinderung nach osteoporotischer Fraktur belegt. Für die Spondylodesen gilt, dass sie nicht besser, aber teurer und risikobehafteter sind als moderne multimodale Programme; Bandscheibenprothesen wiederum gelten als nicht besser als Spondylodesen. Unzählige weitere operative Interventionen wie ThermokoDer Schmerz Supplement 1 · 2010
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Abstracts agulationen der Wirbelgelenke oder intradiskale Eingriffe werden von der europäische Rückenschmerzleitlinie nicht empfohlen, finden aber einen ausufernden Markt. Die operative Rückenschmerztherapie folgt also dem Irrtum, Rückenschmerz reparieren zu können und wird von den Vision wachsender OP-Märkte getragen. Neurostimulation bei Rückenschmerz (Volker Tronnier, Lübeck) Eine Sonderrolle nimmt die Neurostimulation ein, für die in den letzten Jahren klinische Entscheidungswege und Indikationen bestimmt wurden. Die epidurale Rückenmarkstimulation (SCS = spinal cord stimulation) darf als invasives Verfahren mit möglichen therapiebedingten Nebenwirkungen oder Komplikationen erst nach Ausschluss kurativer oder weniger invasiver Verfahren bei Patienten mit chronischen Schmerzen zum Einsatz kommen. In einer aktuellen S3-Leitlinie wird empfohlen, dass sie bei überwiegend radikulär neuropathischen Schmerzen nach Bandscheibenoperationen unter den oben erwähnten Konditionen zum Einsatz kommen soll und nicht zur Behandlung chronischer Rückenschmerzen (AWMF 2010). Obwohl von vielen Autoren in Fallbeispielen und kleinen Studien Erfolge berichtet werden, zeigt sich nach kritischer Prüfung der Studienlage, dass keine Studien von hoher methodischer Qualität vorliegen und keine Evidenz für den Erfolg dieser Therapie beim „reinen“ Rückenschmerz besteht. Ein immer wieder behaupteter Irrtum oder eine falsche Vision ist, dass es auf Rückenmarksebene einen neuroanatomischen Repräsentationsort für den Rücken gibt, an dem die epidurale Rückenmarksstimulation erfolgreich den Schmerz beseitigen kann. Zu diesem Zweck werden von der Industrie unterschiedliche Mehrelektroden- oder mehrreihige Elektrodensysteme angeboten, deren Effektivität für die Therapie des Rückenschmerzes nicht belegt ist. Bedenkt man die vielfältigen organischen und (nicht-) organischen Ursachen von chronischen Rückenschmerzen, wundert man sich über die simplifizierende Vorstellung einer solchen Hypothese. Literatur: Anderson PA, McCormick PC, Angevine PD. Randomized controlled trials of the treatment of lumbar disk herniation: 1983-2007. J Am Acad Orthop Surg. 2008 Oct;16(10): 566-73. AWMF. Leitlinie 041/002: http: //leitlinien. net/ Peul WC, van den Hout WB, Brand R, Thomeer RT, Koes BW; Leiden-The Hague Spine Intervention Prognostic Study Group. Prolonged conservative care versus early surgery in patients with sciatica caused by lumbar disc herniation: two year results of a randomised controlled trial. BMJ. 2008 Jun 14;336(7657): 1355-8 Weinstein JN, Lurie JD, Tosteson TD, Tosteson AN, Blood EA, Abdu WA, Herkowitz H, Hilibrand A, Albert T, Fischgrund J. Surgical versus nonoperative treatment for lumbar disc herniation: four-year results for the Spine Patient Outcomes Research Trial (SPORT). Spine (Phila Pa 1976). 2008 Dec 1;33(25): 2789-800 Weinstein JN, Tosteson TD, Lurie JD, Tosteson A, Blood E, Herkowitz H, Cammisa F, Albert T, Boden SD, Hilibrand A, Goldberg H, Berven S, An H. Surgical versus nonoperative treatment for lumbar spinal stenosis four-year results of the Spine Patient Outcomes Research Trial. Spine (Phila Pa 1976). 2010 Jun 15;35(14): 1329-38
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TUMORSCHMERZ „10 Years later“ – Was hat sich im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts in der Tumorschmerztherapie wirklich verändert? SY-28 „10 Years later“ – Was hat sich im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts in der Tumorsachmerztherapie wirklich verändert? M. Schenk1, S. Wirz2, M. Zenz3 1 Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe gGmbH, Berlin, 2CURA-Krankenhaus, Bad Honnef, 3Klinik für Anästhesiologie, Intensiv- und Schmerztherapie, Universitätsklinik der Ruhr- Universität, Bochum Moderation Zenz, Wirz, Schenk Hat im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts ein Paradigmenwechsel der Tumorschmerztherapie stattgefunden? Unterscheiden sich die Konzepte des Jahres 2010 von den Visionen des Jahres 2000? Welche Innovationen hatten Bestand? Welche sind potenziell gefährlich? Welchen Ausblick auf die nächsten zehn Jahre haben wir? Was sind die Prädiktoren einer erfolgreichen Tumorschmerztherapie? Wirz / Abteilung für Anästhesie, Intensivmedizin, Schmerztherapie, Palliativmedizin / CURA kath. Krankenhaus im Siebengebirge, Bad Honnef Bis zu 75 Prozent aller Tumorpatienten leiden im Laufe ihrer Erkrankung an Schmerzen. Der Schmerz ist bei den meisten Krebserkrankungen das Erstsymptom, welches überhaupt erst zur Diagnosestellung führt. HNO-, Prostata-, Mamma- und Pancreastumore weisen die höchste Schmerzprävalenz auf. Oft unbeachtet sind kausale Therapieverfahren als ätiologischer Faktor von Schmerzen. Dabei kommt der Chemotherapie, – z. B. mit Vincristin, Cis-Platin, Taxanen -, der Radiotherapie und operativen Therapie eine besondere Rolle zu. 90 % der Schmerzen sollen laut WHO behandelbar. Dem steht allerdings die (geschätzte) Zahl von nur 50 % ausreichend behandelten Tumorschmerzpatienten gegenüber. (World Health Organization. Cancer pain relief and palliative care, 2nd ed. Geneva: World Health Organization; 1996). Vielfältige Gründe führen zu dieser faktischen Minderversorgung. Sie reichen von pharmakologischen, organsisatorisch-logistischen, interaktiven bis zu konzeptionellen und können durchaus als Negativprädiktoren gewertet werden. Was sind Prädiktoren? In der Mathematik bedeutet Prädiktor „Variable, die benutzt wird, um die Werte einer anderen Variablen (= Regressand) vorherzusagen.“ Um zu analysieren, wie effektive Tumorschmerztherapie als „Regressand“ erreichbar ist, muss man sich mit den Ursachen einer nicht erfolgreichen Tumorschmerztherapie beschäftigen. Laut einer Longitudinalstudie treten bei rund 20 % aller mit Opioiden behandelten Patienten im Behandlungsverlauf Komplikationen auf. Danach entwickeln 80 % der mit Opioiden behandelten Patienten Nebenwirkungen, am häufigsten Obstipation mit 41 %, Übelkeit mit 32 % und Sedation mit 29 % (Kalso E et al. Opioids in chronic non-cancer pain: Systematic review of efficacy and safety. Pain 2004;112: 37280). Diese hohe Inzidenz bedingt hohe Abbruchraten: Nur 44 % von 388 offen nachbeobachteten Patienten nahmen nach 7- bis 24-monatigem Follow-up noch Opioide ein. Diese Daten verdeutlichen, dass der Erfolg einer Opioidtherapie nicht allein durch die analgetische Wirkung, sondern ganz entscheidend auch durch die Verträglichkeit und Sicherheit der Behandlung bestimmt wird. In den Leitlinien der American Society of the Interventional Pain Physicians’ (ASIPP) wird zwischen lebensbedrohlichen und nicht lebensbedrohlichen Komplikationen differenziert. Darüber hinaus ist zwischen zentral vermittelten sowie gastrointestinalen und sonstigen Nebenwirkungen der Opioide zu unterscheiden. Die Diagnose kann schwierig sein, da die opioidbedingten Beschwerden von den mit der Grunderkrankung assoziierten Symptomen abgegrenzt werden müssen. Auch stehen für die Erfassung des Schweregrads nicht immer validierte Skalen zur Verfügung. Insbesondere bei subjektiven Beschwerden wie Übelkeit oder Müdigkeit
ist es schwierig, das Ausmaß der Belastung abzuschätzen. Zwei Übersichtsarbeiten weisen auf die Probleme bei der korrekten Erfassung opioidbedingter Nebenwirkungen hin und kritisieren die Qualität vieler klinischer Studien, in denen Prävalenz und Management derartiger Komplikationen untersucht wurde, als unbefriedigend (McNicol E et al. Management of opioid side effects in cancer-related and chronic noncancer pain: a systematic review. J Pain 2003;4: 231-56). Das Auftreten opioidtypischer Nebenwirkungen kann auf pharmakodynamischer, pharmakokinetischer und pharmakogenetischer Ebene erklärt werden. Zum einen sind die Nebenwirkungen der Opioide ebenso wie ihre Wirkungen durch die Bindung an die verschiedenen Opioidrezeptoren bedingt. Während die analgetischen und euphorisierenden Effekte der Opioide auf die Besetzung des µ1-Rezeptors zurückzuführen sind, werden Atemdepression, Pruritus, Erbrechen, Bradykardie und Obstipation über den µ2-Rezeptor vermittelt. Inwieweit der k-Rezeptor für Nebenwirkungen ursächlich ist, ist bislang nicht endgültig geklärt. Über den d-Rezeptor werden neben dem analgetischen Effekt auch Sedation und Dysphorie vermittelt. (Trescott AM et al. Opioid Pharmacology. Pain Physician 2008; Opioids Special Issue: 11: S133-S153; Mancini I et al. Opioid type and other clinical predictors of laxative dose in advanced cancer patients: a retrospective study. J Palliat Med 2003;3: 49-56). Somit ist eine gute Symptomkontrolle als ein Prädiktor für eine erfolgreiche Tumorschmerztherapie anzusehen. Mittlerweile existieren Empfehlungen zur Symptomkontrolle, die allerdings nicht ausreichend umgesetzt werden. Ein Grund dafür ist die Unterschätzung der Rolle von Krankheitskonzepten von Patienten und die Patienten-Arzt Interaktion. So verschweigen Patienten ihre Schmerz, um den Arzt “nicht zu enttäuschen“ oder nicht von der Tumorbehandlung abzulenken. Daneben spielen Verdrängungsmechanismen (Ausdruck der Tumorprogression) oder die Einschätzung von Schmerzen als unvermeidbares Übel eine Rolle (Hodes R. Cancer patients’ needs and concerns when using narcotic analgesics. In: Hill CS, Fields WS, editors. Drug treatment of cancer pain in a drug-oriented society. Advances in Pain Research and Therapy, Vol. 11. New York: Raven Press; 1989: 91–9). Auch Ängste, dass eine frühzeitige Behandlung zum Ausschluss effektiver Therapie zu einem späteren Zeitpunkt, zur Toleranzentwicklung oder Wirkungslosigkeit führe, können die Schmerzerfassung durch den Arzt unmöglich machen und damit die Grundlage einer nicht-erfolgreichen Therapie bilden (Jones Wet al. Cancer patients’ knowledge, beliefs, and behavior regarding pain control regimens: implications for education programs. Patient Educ Couns 1984;5: 159–64). Irrationale Ängste vor Sucht oder Stigmatierung führen ebneso regelhaft zum Abbruchg einer erfolgreichen tumorschmerztherapie (Anderson KO et al. Cancer pain management among underserved minority outpatients: perceived needs and barriers to optimal control. Cancer 2002;94: 2295–304). Arztseitig ist häufig die Schmerzerfassung mangelhaft und es fehlen rationale Therapiekonzepte (Bruera E et al. Pain intensity assessment by bedside nurses and palliative care consultants: a retrospective study. Support Care Cancer 2005;13: 228–31). Besonders erschreckend ist die Unkenntnis deutscher Ärzte (Wiese C et al. Kenntnisse angehender Notfallmediziner über die Tumorschmerztherapie bei Palliativpatienten. Schmerz , 2010, online first). Damit ist der Prädiktor „ärztlicher Ausbildungsstand“ in Schmerztherapie offensichtlich. Leider existiert bisher im Lehrplan Schmerztherapie nicht. Somit ergibt sich der organisatorische Prädiktor der Tumorschmerztherapie: valide epidemiologische Daten zu Tumorschmerzen findet man nicht in der Literatur. Alle Berechnungen beruhen auf Schätzwerten, teilweise unter Einbeziehung von Studien mit unzureichenden Fallzahlen (Foley K. Pain Syndromes in Patients with Cancer. In: Advances in Pain Research and Therapy. (II) Eds. Bonica JJ, Ventafridda V. Raven Press 1979: 59-78). Solange in den neuen Krebsregistern das Wort Schmerz nicht vorkommt, bleibt dieser Zustand in Deutschland erhalten. Fazit: Prädiktoren einer erfolgreichen Tumorschmerztherapie sind eine gute Symptomkontrolle, um eine ausreichende Pharmakotherapie zu ermöglichen, eine gute Patienten-Arzt-Interaktion, ein ausreichen-
der Ausbildungsstand und valide epidemiologische Daten zur Bereitstellung einer ausreichenden Logistik.
AKUTSCHMERZ Risiken der Pharmakotherapie in der Schmerztherapie (Konflikt Zulassungsrecht, Aufklärungspflicht und Routinevorgehens weisen) SY-29 „Risiken der Pharmakotherapie in der Schmerztherapie“ (Konflikt Zulassungsrecht, Aufklärungspflicht und Routinevorgehensweisen) A. Kopf1, A. Gerlach2, R. Bock3, E. Pogatzki-Zahn4 1 Charite Campus Benjamin Franklin – Berlin, 2Universität Hamburg, MIN-Fakultät, Gesundheitswissenschaften, Hamburg, 3Ulsenheimer und Friederich Rechtsanwalts-Kanzlei, Berlin, 4Uniklinikum Münster Die Schmerztherapie ist grundsätzlich ein ärztlicher Heileingriff, der der Einwilligung des Patienten zur Rechtmäßigkeit bedarf. Die Wirksamkeit der Einwilligung hängt von einer umfassenden Aufklärung des Patienten ab (Selbstbestimmungsaufklärung). Merkblätter und Beipackzettel können das Arzt-Patienten-Gespräch nur unterstützen, nicht ersetzen. Die Aufklärung muß echte Behandlungsalternativen umfassen. Bei den haftungsrelevanten invasiven Maßnahmen ist eine umfangreiche Risikoaufklärung unabdingbar. Die Aufklärung hat bei geplanten postoperativen Maßnahmen möglichst präoperativ zu erfolgen, damit die Entscheidungsfreiheit des Patienten nicht durch die Nachwirkungen der Operation beeinträchtigt wird. Zur Aufklärung gehört schon aus prozessualen Beweisgründen die Dokumentation. Die Aufklärung über die Pharmakotherapie wird in der Praxis gegenüber der inzwischen meist ausführlichen und standardisierten Aufklärung über invasive Verfahren oft unvollständig und kurz gehandhabt. Dabei ist eine Pharmakotherapie ebenso wie ein chirurgischer Eingriff hinsichtlich der Aufklärungspflicht durchzuführen. Zur Aufklärung gehört die Darstellung des Behandlungsaussichten (bsp. für neuropathischen Schmerz eine NNT von 2 selbst bei optimaler Therapie), der alternativen Pharmakotherapie (Abwägung von Vor- und Nachteilen der Koanalgetikaklassen) und die Edukation über „typische“ und „gefährliche“ unerwünschte Wirkungen. Insbesondere der Aufklärungsumfang über Letzteres ist unklar und sollte ärztlicherseits vereinbart werden, um möglichen juristischen – und dann ggf. unpraktikablen – Regelungen zuvorzukommen. Bei der medikamentösen Therapie akuter und chronischer Schmerzen werden immer häufiger auch Substanzen eingesetzt, die – zumindest für diese spezielle Indikation – nicht zugelassen sind. Da aus medizinischen Gründen diese Substanzen oft aber anderen überlegen sind oder weniger Risiken oder Nebenwirkungen aufweisen, ist ihr Einsatz aber medizinisch dennoch gerechtfertigt. Dies impliziert trotz dem eine Aufklärung über den Sachverhalt. Gleiches gilt für die Therapie mit Substanzen, bei denen zum Beispiel spezielle Warnhinweise für Ihre Anwendung durch den Hersteller in die Fachinformation eingefügt worden sind. Zur medikamentösen Therapie – insbesondere im ambulanten Bereich und bei chronischen Schmerzpatienten – gehört zudem der Hinweis auf Abhängigkeits- und Suchtgefahren und Beeinträchtigungen der Fahrtauglichkeit. Im ersten Symposiumsbeitrag sollen Beispiele für eine strukturierte Pharmakotherapie am Beispiel einer typischen Medikamentenkombination für neuropathischen Schmerz zur Diskussion gestellt (Kopf) und aus juristischer Sicht (Hasemann-Trutzel) kommentiert werden. Im zweiten Symposiumsbeitrag sollen typische Beispiele pharmakologischer Therapiemaßnahmen (z. B. retardiertes Opioid perioperativ, nicht für den Akutschmerzbereich zugelassenes Nicht-Opioid-Analgetikum etc), bei denen ggf. ein erhöhter Aufklärungsbedarf besteht, zur
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Abstracts Diskussion gestellt (Pogatzki-Zahn) und ebenfalls aus Sicht eines Fachjuristen (Bock) kommentiert werden. Im dritten Beitrag (Neugebauer) soll geklärt werden, inwieweit diese Sachverhalte in den aktuellen Leitlinien implementiert wurden.
KOPFSCHMERZ Ist die Migräne eine progressive Erkrankung? SY-30 Ist Migräne eine progressive Erkrankung? T. Wallasch1, A. Straube2, A. May3, T. Kurth4 1 Sankt Gertrauden-Krankenhaus, Berlin, 2Klinikum Großhadern, München, 3 Universitätsklinikum Hamburg, UKE, Hamburg, 4Inserm, Paris, Frankreich Eines der großen therapeutischen Rätsel in der Therapie der Migräne ist, warum einige Patienten über die Jahre eine Zunahme der Attackenfrequenz erleben und andere Patienten ebenfalls über Jahrzehnte hinweg eine stabilen Verlauf haben. Wenn man die epidemiologischen Zahlen betrachtet, finden sich Hinweise, dass nur etwa 15 % aller Migränepatienten mehr als 6 Kopfschmerztage pro Monat haben. Kopfschmerzfrequenz und Einnahmefrequenz von Schmerzmitteln sind aber als Risikofaktoren für die Chronifizierung erkannt. Unbeantwortet aber ist, ob es primär schon eine Dichotomie der Migräneerkrankungen gibt mit einer schon zu Beginn hohen Attackenfrequenz und einem Subtyp mit einer primär niedrigen, die sich dann sekundär steigert. Faktoren wie persönlich Situation, andere Schmerzerkrankungen, Depressivität und wiederholte SHT könnten weitere Risikofaktoren sein. Darüber hinaus finden sich Hinweise, dass arterielle Hypertonie und auch Adipositas sowie vermehrtes Rauchen gehäuft bei Patienten mit häufigen Attacken zu finden ist. Ob diese Faktoren Ursache oder Folge der frequenten Migräne sind, ist nicht klar. Nachgewiesen ist aber durch prospektive epidemiologische Studien, dass Migräne, insbesondere Migräne mit Aura zu einem erhöhten vaskulären Risiko führt, sowohl für kardiale als auch zerebrale Ereignisse. Daneben wird auch diskutiert, dass wiederholte Migräneattacken zu einer zunehmenden Ablagerung von Eisen in den Basalganglien aber auch Hirnstammarealen des nozizeptiven Systems führen. Morphometrische Studien mittels MRT weisen ebenfalls daraufhin, dass es im Verlauf einer Migräne zu strukturellen Veränderungen in distinkten Hirnarealen, insbesondere auch dem Hirnstamm kommen kann, ohne dass bisher die Bedeutung dieser Veränderungen für den Verlauf der Migräne klar ist. Vor dem Hintergrund dieser Daten wird es aber immer klarer, dass die Migräne aber keine uniforme Erkrankung ist, sondern die Migräneattacke nur eine Reaktionsform des Gehirnes auf verschiedenste Auslöser und Ursachen ist. Vor diesem Hintergrund muss in der Zukunft versucht werden, Patienten noch besser zu klassifizieren, z. B. in Patienten mit einer hochfrequenten Migräne mit Medikamentenübergebrauch oder mit zerebralen Läsionen oder mit begleitender psychiatrischer Komorbidität, um zu spezifischeren Therapien und vielleicht auch zu weiteren genetischen Aufschlüssen zu kommen.
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VISIONEN UND IRRTÜMER Psychologische Verfahren beim Kopfschmerz – Visionen und Irrtümer SY-31 Psychologische Verfahren beim Kopfschmerz – Visionen und Irrtümer P. Kropp1, A. Martin2, R. Pothmann3, K. Christiansen4, Y. Nestoriuc5, R. Klinger4 1 Institut für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie, Medizinische Fakultät, Universität Rostock, 2Psychosomatische und psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen, 3Zentrum Integrative Kinderschmerztherapie und Palliativmedizin am Alsterdorfer Krankenhaus und Kinder-Hospiz Sternenbrücke, Hamburg, 4Psychotherapeutische Hochschulambulanz, Institut und Poliklinik für Medizinische Psychologie, Universität Hamburg, 5Klinische Psychologie und Psychotherapie PhilippsUniversität Marburg Verfahren aus der kognitiven Verhaltenstherapie sind bei der Behandlung von Kopfschmerzen effektiv und gut einsetzbar. Darunter gehört neben Entspannungsverfahren auch die Biofeedbacktherapie. Diese Therapieverfahren stellen zum großen Teil eine Alternative zur medikamentösen Prophylaxe dar. Die Vision bei der Anwendung von Biofeedback könnte darin liegen, weniger das Schmerzsyndrom selbst (z. B. Erregung) als vielmehr eine grundlegende Eigenschaft (Sensibilisierung) zu behandeln. In der Verhaltenstherapie kann die Vision in der Gruppenbehandlung liegen. Zukünftig sollte mehr auf die Desensibilisierung der Triggerfaktoren bei der Auslösung von Kopfschmerzen geachtet werden. Es stellt sich zunehmend als Irrtum heraus, Migräneanfälle durch Vermeiden von Auslösern zu reduzieren – das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Deswegen müssen zukünftig zur Bewältigung von Migräneanfällen vermehrt Desensibilisierungstechiken eingesetzt werden. Einleitung: Nach den neuen Leitlinien der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft gelten psychologische Verfahren, die der Verhaltenstherapie entstammen, als evidenzbasiert und hoch effektiv in der Behandlung der Migräneerkrankung. Auch bei der Behandlung des Kopfschmerzes vom Spannungstyp sind diese Verfahren wirksam und können unter bestimmten Voraussetzungen als Alternative zur medikamentösen Therapie eingesetzt werden (Evers et al. 2008, Straube et al., 2008). Als effektive Verfahren gelten Entspannungsmethoden, Biofeedback und kognitiv-verhaltenstherapeutische Verfahren. Im Laufe der Zeit haben sich bei diesen Verfahren Visionen und aber auch Irrtümer in der Anwendung herauskristallisiert. Auf Beides soll im Symposium näher eingegangen werden. Entspannung: Entspannung wird als reines Verfahren bei der Prophylaxe von Kopfschmerzen eingesetzt, unter der Annahme, dass beispielsweise im Migräneanfall entspannende Strategien eher zu einer Verstärkung der Kopfschmerzen führen würden. Insbesondere bei Kopfschmerzen und Schulkindern ist die progressive Muskelrelaxation nach Jacobson weit verbreitet. Bei vielen Erkrankungen und Störungen wird der bedeutsame Einfluss stressbedingter Spannungs- und Erregungszustände auf die Entstehung und insbesondere Aufrechterhaltung von Krankheitsprozessen zunehmend erkannt. Entspannungsverfahren sind die weitaus am häufigsten verwendeten und wohl auch wichtige und wirksame Techniken der psychologischen Schmerzbehandlung. Sie können in hohem Maße eigenverantwortlich vom Patienten angewandt werden. Entspannungstechniken wie das Autogene Training nach Schultz, die Progressive Muskelrelaxation nach Jacobson, das „relaxation response training“ (Benson) sowie die Hypnose sind wiederholt in ihrer Wirksamkeit bei chronischen Schmerzzuständen belegt worden. Besonders bei Patienten, bei denen ein „Angst-Spannungs-Schmerz-Zyklus“ vorliegt können solche Verfahren indiziert sein. Insbesondere die Wirkung der progressiven Muskelentspannung (PMR) nach Jacobson ist dabei empirisch gut belegt. Die progressive Muskelentspannung nach Jacobson ist insgesamt ein bedeutsames Verfahren der nichtmedikamentö-
sen, selbstverantwortlichen Behandlung und kann somit einen wichtigen Beitrag zur Vermeidung der Chronifizierung von Schmerz- und Stresserkrankungen leisten. Die progressive Muskelentspannung ist inzwischen fester und grundlegender Bestandteil (Basistherapie) vieler ambulanter und stationärer Schmerz- und Stressbewältigungsprogramme (nicht nur) für chronische Schmerzpatienten (Kopfschmerztherapie mit Kindern und Jugendlichen (Denecke & Kröner-Herwig 2000), Marburger Schmerzbewältigungsprogramm (Basler 2001). Durch Entspannungsverfahren soll das allgemeine Aktivierungsniveau reduziert werden. Hintergrund ist dabei, dass neben einer allgemeinen entspannenden Wirkung auch eine zentrale Dämpfung der Informationsverarbeitung erreicht werden soll (Andrasik 2004). Entspannung bewirkt jedoch nicht nur eine Verminderung von Hypervigilanz und Aufmerksamkeit. Es konnte vielmehr in neueren experimentellen Studien mit funktioneller Magnet Resonanz Tomographie (fMRT) nachgewiesen werden, dass entspannende Strategien bei akuter schmerzhafter Stimulation nicht nur zu reduzierten Schmerzangaben führten, sondern auch zu einer signifikanten Zunahme der Aktivierung im periaquaeduktalen Grau, einer Region, die eng mit der kortikalen Schmerzkontrolle in Zusammenhang steht (Tracey et al. 2002). Außerdem werden durch Entspannung Angstzustände reduziert, was wiederum die Schmerztoleranz erhöht und zumindest den subjektiven Schmerzbericht reduziert. Den Entspannungsverfahren wird häufig eine präventive Funktion zur Verhinderung von Schmerzen zugesprochen; Patienten berichten jedoch auch über abortive Eigenschaften der Entspannung im akuten Schmerzzustand. Das Verfahren der progressiven Muskelentspannung wird heute sehr häufig nach einer von Bernstein & Borkovic vorgeschlagenen Form durchgeführt und besteht in einer schrittweisen einfachen An- und Entspannung verschiedener Muskelgruppen. Das größte Anwendungsproblem der PMR kann darin bestehen, dass die Methode über einen längeren Zeitraum (Wochen bis Monate) intensiv möglichst täglich geübt werden muss, um einen guten Erfolg zu erzielen. Es sollte unbedingt darauf geachtet werden, dass regelmäßig und nicht etwa nur schmerzkontingent geübt wird und dass ein Transfer in den Alltag erfolgt. Der Patient sollte erlernen, sich in seinen jeweiligen, mehr oder weniger belastenden Alltagssituationen aktiv zu entspannen. Eng verwandt mit Entspannungsverfahren ist die Anwendung hypnotischer Techniken zur Behandlung von chronischen Schmerzzuständen. Durch die Hypnoseinduktion wird das Bewusstsein mit schmerzinkompatiblen Inhalten beschäftigt, so dass die eigentliche Schmerzverarbeitung in den Hintergrund rückt. Eine gut evaluierte Studie im Rahmen einer verhaltenstherapeutischen Intervention bei chronischen Schmerzen wurde von Jacobs et al. (2001) vorgelegt. In einer sehr ausführlichen Metaanalyse können Jensen & Patterson (2006) die Effektivität hypnotischer Behandlungen bei chronischen Schmerzzuständen eindrucksvoll belegen. An Hand der Patientengruppe „Kinder“ soll der Effektivität dieser Entspannungsmethode nachgegangen werden. 259 Kinder und Jugendliche mit chronisch-rezidivierenden Kopfschmerzen wurden konsekutiv erfasst. Das durchschnittliche Alter zum Zeitpunkt des Erstkontaktes lag bei 11 Jahren. Die durchschnittliche Erkrankungsdauer betrug 3,2 Jahre, die Schmerzstärke: 6,1/10 auf der numerischen Rating-Skala (NRS). Bei 28 % der Kinder bestanden zwei Kopfschmerzdiagnosen. An Komorbiditäten fanden sich Bauchschmerzen, Rückenschmerzen und Gelenkschmerzen. Die Lebensqualität war deutlich eingeschränkt (PedMIDAS: 2,8/4). Der Chronifizierungsgrad lag bei 2/3.2,4 Schultage und 3,8 Freizeitaktivitäten fielen pro Monat aus. An 2,2 Tagen/Monat wurden Analgetika eingenommen. Der therapeutische Aufwand betrug 3,8 Behandlungen innerhalb von 3,9 Monaten. Knapp 50 Kinder machten Gebrauch von dem Angebot, progressive Muskelrelaxation (PMR) zu erlernen. 30 Schulkinder wurden zum selektiven Einfluß von PMR konsekutiv erfasst. 67 % der Patienten nahmen das Angebot an und trainierten durchschnittlich 4,7 Monate mit einem Besserungszuwachs von 42 %. Die durchschnittliche Besserung der Gesamtgruppe betrug am Therapieende 71 %. Die Lebensqualität, ablesbar an der Reduktion der Kopfschmerzfrequenz und Kopfschmerzintensität, sowie der sozialen Ausfallstage und des
Analgetikaverbrauchs nahm signifikant zu. Ein Jahr nach Beendigung der Therapie erfolgte eine erste schriftliche Befragung der Kopfschmerzpatienten. Der Rücklauf der schriftlichen Nachbefragung lag bei 57 %. Die Besserungsrate blieb mit 73 % stabil. Eine weitere Nachbefragung erfolgte nach 5 Jahren. In der Einschätzung der Kinder war die Besserung nachhaltig und unterschied sich im Vergleich zur 1-Jahres-Nacherhebung nur geringfügig bezogen auf die Schmerzkriterien Intensität, Frequenz, soziale Ausfallszeiten und Medikamenteneinnahme. Somit kann schlussgefolgert werden, dass unter Alltagsbedingungen Entspannung (PMR) als Modul ohne überzogene Erwartung sinnvoll einsetzbar und integrierbar ist. Ein solitärer Einsatz ist unter therapeutischen Alltagsbedingungen durch eine relativ hohe Abbruchquote gekennzeichnet und erreicht nicht die Wirksamkeit eines multimodalen Therapiekonzeptes. Biofeedback: Auch die Behandlung mit Biofeedback-Methoden ist hoch effektiv und wirksam, was in neueren Metaanalysen von Biofeedbackanwendungen bei der Behandlung von Kopfschmerzen unter Beweis gestellt werden kann. Durch Biofeedback werden körperliche Prozesse gemessen und dem Patienten kontinuierlich über ein gut wahrnehmbares Signal zurückgemeldet (Martin & Rief 2009). Biofeedback ist somit ein objektives Verfahren zur Messung, Verstärkung und Rückmeldung physiologischer Signale. Der Patient wendet diese Signale an, um Kontrolle über die Zielgröße (z. B. Muskelspannung oder Erregungsniveau) zu erhalten und diese in die gewünschte Richtung zu verändern. Das Biofeedback-„training“ hat sich als ein wesentlicher und sehr wirkungsvoller Baustein verhaltenstherapeutischer Schmerzbehandlung erwiesen. Dabei geht es um eine Form des Lernens mit verbesserter Autoregulation. Ungeklärt ist jedoch, ob es sich dabei um eine apparativ unterstützte Entspannungsmethode oder einem Körperwahrnehmungstraining und einer dadurch induzierten kognitiven Umstrukturierung handelt (Kropp & Niederberger 2009). Bewährt hat sich insbesondere beim Kopfschmerz vom Spannungstyp, aber auch bei der Migräne, die Anwendung von EMG-Biofeedback des musculus frontalis, der muskuli trapezii sowie der Temporalismuskulatur, es erfolgt hierbei eine akustische und/oder optische Rückmeldung mit dem Ziel der Verminderung des aktuellen muskulären Erregungsniveaus unter verschiedenen situativen Bedingungen, auch unter Einbezug von Entspannung sowie von Belastungs- und Stresssituationen. Außerdem soll die Wahrnehmung der Anspannung in der Muskulatur gefördert werden. Auf die Bewältigung des akuten Migräneanfalls zielt das Vasokonstriktionstraining durch willentliche Verengung der Temporalisarterie ab. Dies erfolgt durch eine kontinuierliche Infrarotmessung, die über den Blutvolumenpuls ein Maß für die Gefäßweite liefert. Durch unmittelbare Rückmeldung dieser Gefäßweite können Strategien des Patienten zur Gefäßverengung erfasst und trainiert werden. Dabei wird im schmerzfreien Intervall die Gefäßverengung eingeübt, während bei ersten Anzeichen eines Migräneanfalls diese Strategien zur Gefäßverengung hervorgerufen werden müssen. In einigen Studien, vor allem bei kindlicher Migräne, hat sich das Handerwärmungstraining (thermales Feedback) als wirkungsvoll erwiesen. Das Kind lernt dabei, die Hauttemperatur an den Händen durch Rückmeldung der Temperatur willentlich zu erhöhen, was physiologisch durch eine Blutumverteilung gelingen kann (Hermann & Blanchard 2002). Neuer Ansätze beziehen sich auf die Rückmeldung hirnelektrischer Potentiale, insbesondere die der contingent negative variation (CNV). Bei dieser Rückmeldeform lernen Migränepatienten, die zunächst höheren negativen kortikalen Amplituden zu reduzieren, was ihnen durch Erlernen von Habituationsstrategien gelingt. Das erfolgreiche Erlernen dieser Strategien wirkt sich auch auf die klinische Symptomatik in Form einer Verminderung der Anfallsfrequenz aus (Kropp et al. 2005). Metaanalysen kommen übereinstimmend zu der Einschätzung, dass sowohl Entspannungsverfahren (meist die Progressive Muskelrelaxation nach Jacobson) als auch die verschiedenen Biofeedbackverfahren im Mittel eine Reduktion der Migränehäufigkeit von 35-45 % erreichen (Nestoriuc & Martin 2007). Die Effektstärke dieser Verfahren liegt damit in dem Bereich, der für das Prophylaktikum Propranolol angegeben wird (Penzien et al. 2005). Insgesamt ist die BiofeedbackDer Schmerz Supplement 1 · 2010
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Abstracts therapie als schmerztherapeutische Anwendung unter evidenzbasierten Gesichtspunkten effektiv und wirkungsvoll (Martin & Rief 2009). Kognitive Verhaltenstherapie: Die kognitive Therapie zielt auf die Veränderung ungünstiger Einstellungen, Haltungen und Gedanken sowie dem damit verbundenen Körpererleben. Der Patient soll lernen, die Schmerz – bezogene Belastung und die psychischen Begleiterscheinungen effektiver zu bewältigen (Holroyd & Andrasik 1982). Kognitive Ansätze bieten einen direkten, symptombezogenen Zugang zum Patienten und verhelfen ihm, flexibler und effektiver mit den Schmerzen umzugehen. Dazu gehört insbesondere der Umgang mit negativen Affekten (Fernandez & Boyle 2002). Eine kognitive Verhaltenstherapie ist insbesondere bei Patienten mit überzogener Leistungsorientierung indiziert. In entsprechenden kognitiv-behavioralen Therapieprogrammen werden als Schwerpunkte das Erlernen von Körperwahrnehmungen in Belastungssituationen, das Erkennen des Zusammenhangs zwischen Gedanken und Körperprozessen, das Erlernen von Verhaltensstrategien zur Beeinflussung der Körperprozesse sowie die aktive Änderung ungünstiger Einstellungen und Gewohnheiten angestrebt. Ein weiterer Aspekt der Anwendung kognitiver Verhaltenstherapie stellt die nicht selten zu beobachtende Komorbidität zwischen chronischen Schmerzen einerseits sowie Depressionen andererseits dar. Zur Anwendung kommt hier z. B. die kognitive Verhaltenstherapie der Depression nach A. Beck. Insgesamt wird der Patient bei Anwendung kognitiver Behandlungsformen zu seinem eigenen Experten, der je nach Situation unterschiedliche Bewältigungsstrategien einzusetzen lernt. Eine Erweiterung der kognitiven Therapie beschreiben Hayes et al. (2001) in der „Akzeptanz und Commitment-Therapie (ACT). Dabei werden verhaltenstherapeutische Elemente mit achtsamkeits- und akzeptanzbasierten Elementen kombiniert. Der Patient lernt dabei, dysfunktionale Kontrollversuche abzubauen und damit zunächst die unangenehmen Empfindungen ohne Wertung („achtsam“) zu erleben. Eine Vision der Gruppen-Verhaltenstherapie Die therapeutische Breite erstreckt sich nicht nur in der Einzelbehandlung; viel effektiver und auch ökonomischer kann auch eine Behandlung in Gruppen sein. In einer aktuellen Studie der Universität Hamburg, Psychotherapeutischen Hochschulambulanz Verhaltenstherapie (R. Klinger & S. Christiansen) in Kooperation mit der Kopfschmerzambulanz am UKE (A. May & T. Jürgens) werden Patientinnen und Patienten mit chronischem Kopfschmerz vom Spannungstyp und / oder Migräne in einem Gruppentherapeutischen Programm untersucht. Evaluiert wird ein ambulantes kognitiv-behavioral orientiertes psychologisches Schmerzbewältigungstraining, dessen Ziel es ist, Kopfschmerzen und deren Beeinträchtigung zu reduzieren. In einer vorläufigen Datenanalyse konnte festgestellt werden, dass die teilnehmenden Patienten von dieser Behandlung auch profitieren. Es zeigten sich signifikante Verbesserungen der Kopfschmerzen in der durchschnittlichen Schmerzintensität und zusätzlich sank die Beeinträchtigung in wichtigen Bereichen der Lebensführung und in den dysfunktionalen Schmerzkognitionen. Die funktionalen Schmerzkognitionen konnten hingegen aufgebaut werden. Ebenso zeigten sich signifikante Veränderungen im Graduierungs-Score von von Korff, der das Schmerzerleben sowie Beeinträchtigen durch die Kopfschmerzen zusammenfasst und von daher eines der wichtigsten Maße abbildet. Da es hier eine eindeutige Verbesserung der Patienten, wenn auch mit kleinem bis mittleren Effekt, gab, ist die Aussage gerechtfertigt, dass das Schmerzbewältigungstraining insgesamt als effektiv eingestuft werden kann, insbesondere, weil die Effekte der Wartekontrollgruppe wesentlich geringer waren. Die Verbesserungen zeigten sich überwiegend langfristig nach Abschluss der Gruppentherapie. Ein wesentlicher unterstützender Faktor scheint hierbei zu sein, dass sich die Patienten am Ende der Behandlung verbindliche Ziele und Aufgaben setzten, die in Follow-up Sitzungen 3 und 6 Monate später auch überprüft wurden, So ließ sich ein Transfer des Erlernten in die häusliche Umgebung erreichen. Die Patienten wurden zudem zum weiteren Üben und damit Aufrechterhaltung der Effekte motiviert. Der Irrtum vom Vermeiden der Auslöser
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Früher nahm man an, dass durch das aktive Meiden bestimmter identifizierter Auslöser die Migränehäufigkeit reduziert werden könnte – dies stellt sich in neueren Studien jedoch als Irrtum heraus. Es muss sogar davon ausgegangen werden, dass das intensive Meiden von Migräne-Auslösern die Migränesymptomatik noch verstärkt, und die Auslöser dadurch generalisieren. Die Folge ist eine Zunahme der Migräneanfälle. Stattdessen sollten Patienten lernen, mit diesen Triggerfaktoren umzugehen, damit eine zentrale Sensibilisierung (und möglicherweise Reizgeneralisierung) verhindert wird (Martin et al. 2006). Dies könnte bedeuten, dass Migräneauslöser zukünftig in Form von Desensibilisierungstechniken ähnlich wie bei der Behandlung von Angst- und Panikzuständen abgestuft dargeboten werden, um beim Patienten Habituationseffekte auszulösen. Dies wird in speziellen Therapieprogrammen in Form eines „Reizverarbeitungstrainings“ bereits angewandt (Gerber 2005). Kann Schokolade Migräne auslösen? Schokolade und andere Süßigkeiten, wie zum Beispiel Gummibärchen, werden immer wieder als Auslöser für Migräneattacken genannt. Hintergrund dafür ist, dass es in einer Vorphase der Migräne, der so genannten Prodromalphase, oft zu Stimmungsschwankungen, Gereiztheit, Nervosität, Müdigkeit, Konzentrationsstörungen und Heißhunger-Attacken bei Migränepatienten kommt. Bis zu 70 Prozent der Patienten berichten von einer solchen Prodromalphase, in der beispielsweise Heißhunger nach Schokolade auftritt. Bereits Marcus et al. (1997) konnten in einer Blindstudie zeigen, dass weniger die Schokolade den nachfolgenden Anfall auslöst, sondern letzterer zwangsläufig kommt und die Lust auf Schokolade eher ein Indikator für den kommenden Migräneanfall darstellt. Die Essattacke in der Prodromalphase ist für manche Patienten sogar günstig, da sich der Körper im Vorfeld für die schweren Migränesymptome mit hochkalorischer Nahrung rüstet und vor Einsetzen von Inappetenz, Übelkeit und Erbrechen noch einmal für die Aufnahme von Energie sorgt. Fazit: Verfahren aus der kognitiven Verhaltenstherapie sind bei der Behandlung von Kopfschmerzen effektiv und gut einsetzbar. Sie stellen zum großen Teil eine Alternative zur medikamentösen Prophylaxe dar. Die Vision bei der Anwendung von Biofeedback könnte darin liegen, weniger das Schmerzsyndrom selbst (z. B. Erregung) als vielmehr eine grundlegende Eigenschaft (Sensibilisierung) zu behandeln. In der Verhaltenstherapie kann die Vision in der Gruppenbehandlung liegen. Man hüte sich vor einer zu ausführlichen Analyse der individuellen Auslöser eines Migräneanfalls, weil dadurch Vermeidungstendenzen wie bei der Angsterkrankung entstehen. Gewöhnlich sind die Verhaltensweisen vor einem Migräneanfall durch diesen Anfall selbst bestimmt. Ein Meiden der angenommenen Trigger würde das Auslösespektrum eher erweitern und wäre damit kontraproduktiv. Literatur: Andrasik, F (2004). The essence of biofeedback, relaxation and hypnosis. In RH. Dworkin & WS. Breitbard (eds),, Psychosocial aspects of pain: a Handbook for Healthcare Providers. Progress in Pain Research and Management.., Seattle: IASP Press Vol 27; S. 285-305. Basler, H. D. (2001). Chronische Kopf- und Rückenschmerzen. Psychologisches Trainingsprogramm. Trainerhandbuch und Therapiematerialien. Vandenhoeck & Ruprecht. Denecke, H. & Kröner-Herwig, B. (2000). Kopfschmerztherapie mit Kindern und Jugendlichen. Ein Trainingsprogramm. Göttingen: Hogrefe. Evers S, May A, Fritsche G, Kropp P, Lampl C, Limmroth V, Malzacher V, Sandor P, Straube A, Diener HC (2008) Akuttherapie und Prophylaxe der Migräne – Leitlinie der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft und der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. Nervenheilkunde 27(10): 933-949 Fernandez, E., Boyle, GJ. (2002). Affective and evaluative descriptors of pain in the McGill pain questionnaire: reduction and reorganization. Journal of Pain, 3(1), 70-77. Gerber WD. Das Migräne-Patientenseminar MIPAS. Praxis-Magazin, 2005; 21: 8-12
Hayes, S. C., Barnes-Holmes, D., & Roche, B. (Eds.). (2001). Relational Frame Theory: A Post-Skinnerian account of human language and cognition. New York: Plenum Press. Hermann, C., Blanchard, EB. (2002). Biofeedback in the treatment of headache and other childhood pain. Applied Psychophysiology and Biofeedback, 27, 143-162. Holroyd, KA. & Andrasik, F. (1982). A cognitive-behavioral approach to recurrent tension and migraine headache. In: PC. Kendall (ed.). Advances in Cognitive-Behavioral Research and Therapy. (Volume 1). (S. 275320). New York: Academic Press. Jacobs, S., Strack, M. Bode, G., Kröner-Herwig, B. (2001): Hypnotherapeutische Interventionen im Rahmen eines verhaltenstherapeutischen Kurzprogramms zur Behandlung chronischer Schmerzen. In: Verhaltenstherapie und Verhaltensmedizin. 22. Jg(3),199-217. Jensen, M., Patterson, DR. (2006). Hypnotic treatment of chronic pain. J Behav Med 29(1): 95-124. Kropp, P., Linstedt, U. & Gerber, WD (2005). Die Dauer der Migräneerkrankung beeinflusst Amplitude und Habituation ereigniskorrelierter Potentiale. Der Schmerz, 19(6), 489-496. Kropp P. & Niederberger. U. (2009). Theoretische Konzepte und Wirkmechanismen. In A. Martin & W. Rief (Hrsg.) Wie wirksam ist Bioefeedback? Eine therapeutische Methode. Bern: Huber. Marcus DA, Scharff L, Turk D, Gourley LM. A double-blind provocative study of chocolate as a trigger of headache. Cephalalgia. 1997;17(8): 855-62 Martin PR, Reece, J, Forsyth M. Noise as a trigger for headaches: relationship between exposure and sensitivity. Headache 2006; 46(6): 962972. Martin, A., Rief, W. (2009). Wie wirksam ist Biofeedback? Eine therapeutische Methode. Bern: Huber. Nestoriuc, Y. & Martin, A. (2007) Efficacy of biofeedback for migraine: a meta-analysis. Pain ;128(1-2),111-127. Penzien, DB., Andrasik, F., Freidenberg, BM., Houle, TT., Lake, AE., 3rd, Lipchik, GL., Holroyd, KA., Lipton, RB., McCrory, DC., Nash, JM., Nicholson, RA., Powers, SW., Rains, JC. & Wittrock, DA. (2005) Guidelines for trials of behavioral treatments for recurrent headache, first edition: American Headache Society Behavioral Clinical Trials Workgroup. Headache, 45, Suppl 2, 110-132. Straube A, May A, Kropp P, Katsarava Z, Haag G, Lampl C, Sándor PS, Diener HC, Evers S (2008) Therapy of primary chronic headache: chronic migraine, chronic tension type headache and other forms of chronic daily headache. Der Schmerz 22(5): 531-543. Tracey, I., Ploghaus, A., Gati, JS., Clare, S., Smith, S., Menon, RS. & Matthews, PM. (2002). Imaging attentional modulation of pain in the periaqueductal gray in humans. Journal of Neurosciences, 22(7), 27482752.
Samstag, 9. Oktober 2010 PHARMAKOLOGISCHE VERFAHREN Integration der S3-Leitlinie LONTS in die Versorgungsrealität SY-32 Integration der S3-Leitlinie LONTS in die Versorgungsrealität M. Überall1, H. Sorgatz2, C. Maier3 1 Institut für Neurowissenschaften, Algesiologie und Pädiatrie, Nürnberg, 2 Klinische Psychologie und Psychotherapie, Technische Universität, Darmstadt, 3Abteilung für Schmerztherapie, Berufsgenossenschaftliches Universitätsklinikum, Bochum Die „Federation of State Medical Boards“ der USA bezeichnete 2004 die Unterbehandlung von Schmerzpatienten als ernsthaftes Gesundheitsproblem, das sich auch im „continued use of ineffective treatments“ darstellt. Statistisch ist weitaus mehr als die Hälfte Opioid anwendender Schmerzpatienten von dieser Art des Fehlgebrauchs betroffen. Bei einigen von ihnen werden dadurch Abhängigkeitsentwicklungen von Substanzen initiiert, die eher marktspezifisch als medizinisch begründbar verbraucht werden (Hamunen 2009). Andere ertragen in Unkenntnis langjährig Nebenwirkungen ohne therapeutischen Gewinn. Diesem Fehlgebrauch mit umsetzbaren Empfehlungen zu begegnen, ist Thema der sechs in den letzten beiden Jahren erschienenen Leitlinien zur Anwendung von Opioiden bei nicht tumor-bedingten chronischen Schmerzen. Revisionsbedarf besteht einmal bei verbreiteten Denkmustern, die Wahl eines Therapeutikums solange aufrechtzuerhalten, bis der Patient es ablehnt oder eine neue Behandlungsoption besteht (Dworkin 2009). Auch das nicht zur Kenntnisnehmen von Wirkungsmängeln ist verbreiteter Usus (Mutschler 2010). Revisionsbedarf besteht bei Opioid Leitlinien, die Fehlgebrauch vorbeugenden Empfehlungen durch evidenzbasiertes Aufzeigen non-opioider Behandlungsoptionen zu ergänzen. Dadurch können trotz individuell festgestellter geringer analgetischer Opioid Wirkung befriedigendere Gesamtergebnisse erzielt werden. Auch das Absetzen opiod-haltiger Analgetika kann durch Aufzeigen von zwar wirkungsschwächeren aber nebenwirkungsarmen Alternativen erleichtert werden. Künftige Revisionen der DGSS Leitlinie LONTS werden den evidenzbasierten sowie komparativen Ansatz zunächst auf physiotherapeutische Verfahren erweitern und die Informationen für Schmerzpatienten verbessern. 3) LONTS – Höhepunkt oder Ende der jahrelangen Opioid Kontroverse? Prof. Dr. Christoph Maier Abteilung für Schmerztherapie Berufsgenossenschaftliches Universitätsklinikum Bochum Kontroversen über Nutzen und Schaden der Morphium-Abkömmlinge begleiten die Medizin seit Jahrhunderten. Über die Jahrzehnte, z. B. in der ersten und zweiten Hälfte des 19. wie des 20. Jahrhunderts, verläuft diese Diskussion wellenförmig: An die Phase positiver Empfehlung schließen sich Dekaden mit kritikloser Ausweitung der Indikation für Opioide an, gefolgt von repressiven Episoden, in denen Berichte über Nebenwirkungen, Morphinismus und Abhängigkeitssyndrome im Vordergrund stehen. Der repressive, von Drogenangst geprägte Diskurs der 50er und 60er Jahre hatte zu einer katastrophalen Unterversorgung auch von Krebspatienten geführt. Hier gab es dann entscheidende Fortschritte durch die Entwicklung von Retard-Präparaten. Ihr Einsatz in der Tumorschmerztherapie half, die Schmerztherapie wieder in das Bewusstsein der Ärzteschaft zu bringen. Die Heftigkeit der öffentlich geführten Diskussion sowohl in den 90er Jahren, wie auch jetzt wieder im Kontext mit LONTS, zeigt die anhaltende Aktualität der KontDer Schmerz Supplement 1 · 2010
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Abstracts roverse um eine unumstrittene Substanzgruppe, die zugleich wichtiges Heilmittel und gefährliche Droge ist. Viele Hinweise belegen, dass es in den letzten Jahrzehnten zu einer für Patienten und auch die Belange der Schmerztherapie gefährlichen Fehlversorgung gekommen ist. Damit einher geht eine fast epidemische Zunahme an Folgekomplikationen durch eine oftmals nicht-indizierte Opiat-Therapie. Die Kontroverse lässt sich somit nicht auf einen Widerspruch von Versorgungsrealität und wissenschaftlicher Beweisbarkeit reduzieren, eben weil diese Versorgungsrealität auch Ausdruck ärztlichen Fehlverhaltens sein kann. Eine rationale Diskussion ist aber dringend erforderlich, nicht nur um Schaden von den Patienten abzuwehren, sondern auch um zu verhindern, dass es wie in den vergangenen Jahrhunderten jetzt erneut zu einem erheblichen Rückschlag kommt, mit Verschärfung der Reibungsmöglichkeiten und Stigmatisierung der Betroffenen.
KOPFSCHMERZ Neues aus der Kopfschmerzforschung: Das DMKG-Netzwerk Nachwuchssymposium DMKG SY-33 Neues aus der Kopfschmerzforschung: Das DMKG-Netzwerk Nachwuchssymposium H. Gärtner1, M. Fischer2, N. Christmann3, J. Flessner4, M. Schüler5, M. Troeltzsch6 1 Klinik für Pädiatrische Neurologie der Universität Heidelberg, 2Neurologische Klinik Innsbruck, 3Neurologische Klinik Essen, 4Neurologische Klinik Münster, 5Physiologisches Institut, Universität Erlangen, 6Physiologisches Institut, Universität Erlangen und Zahnarztpraxis Ansbach, Erlangen/Ansbach In dem diesjährigen Symposium stellen Wissenschaftler der Nachwuchsforschergruppe der DMKG eigene Untersuchungen vor zu unterschiedlichsten Kopfschmerz-Themen von Epidemiologie über Grundlagenforschung beim Menschen und im Tierversuch bis hin zu Überschneidungen im Grenzgebiet von Humanmedizin und Zahnmedizin. Das Symposium soll einen Überblick über mögliche zukünftige Schwerpunkte in der Kopfschmerzforschung in Deutschland geben. Helen Gärtner (Klinik für Pädiatrische Neurologie der Universität Heidelberg: Kopfschmerzen bei Vorschulkindern – Ergebnisse einer epidemiologischen Studie) stellt Ergebnisse zur Kopfschmerzprävalenz im Vorschulalter (4. bis 6. Lebensjahr) vor. Anhand einer Fragebogen-basierten Untersuchung an 630 Kindern konnte gezeigt werden, dass die Häufigkeit von Kopfschmerzen vom 4. bis zum 6. Lebensjahr zunimmt (von 25 % auf 42 %). Das Geschlechterverhältnis ist ausgeglichen. Bei der Hälfte der betroffenen Kinder traten Kopfschmerzen auch außerhalb von Infekten auf, was einen möglichen Hinweis auf das Auftreten von primären Kopfschmerzen bereits bei Vorschulkindern gibt. Kinder, die den ganzen Tag in einer Kindertagesstätte verbringen, hatten häufiger Kopfschmerzen als Kinder, die maximal einen halben Tag dort sind (42 % vs. 29 %). Marlene Fischer (Neurologische Klinik Innsbruck, Österreich: Endotheliale Aktivierungsmarker bei primären Kopfschmerzerkrankungen) referiert über den Zusammenhang zwischen primären Kopfschmerzerkrankungen und einer Funktionsstörung des Gefäßendothels. Hintergrund ist das immer wieder diskutierte erhöhte Risiko vaskulärer Ereignisse bei Patienten mit primären Kopfschmerzerkrankungen. Dafür wurden Indikatoren endothelialer Aktivierung (Angiopoietin-1, Angiopoietin-2 und deren Rezeptor Tie-2) prospektiv mittels ELISA in Patienten mit episodischer Migräne mit und ohne Aura, episodischem Clusterkopfschmerz, episodischem Spannungskopfschmerz und gesunden Kontrollen bestimmt (innerhalb einer Migräneattacke bzw. in-bout beim Cluster-Kopfschmerz und außerhalb).
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Daten zur Klinik des Clusterkopfschmerzes stellen Nicole Christmann (Neurologische Klinik Essen) und Jens Flessner (Neurologische Klinik Münster) vor (Aktuelle Ergebnisse einer epidemiologisch-klinischen Studie über Clusterkopfschmerzen. Was sind die Konsequenzen?). Die Daten (demographische Daten, Medikation, klinischer Verlauf u. a.) wurden in Münster aus Krankenakten und über einen internetbasierten Fragebogen erhoben. In Essen erfolgte ein persönliches Interview der Patienten. In Münster wurden 667 Patienten erfasst, davon bestand in 72,9 % ein episodischer Erkrankungsverlauf. Mit dem Interview wurden in Essen 117 episodische und 49 chronische Clusterkopfschmerzpatienten erfasst. Ersterkrankungsalter (32 Jahre), Geschlechtsverhältnis (3,3 bzw. 3,6: 1 Überwiegen der Männer) und epidemiologische Kenndaten waren in beiden Befragungen vergleichbar. 13,5 % (n=61) der Münsteraner Probanden bemerkten einen Seitenwechsel, zusätzlich konnte gezeigt werden, dass Nikotin und Alkohol die häufigsten Trigger darstellen. In Essen wurde fokussiert nach trigeminalen Begleitsymptomen gefragt. Hier zeigten sich bei 78 % der Patienten mehr als drei von 10 erfassten trigemino-autonomen Symptomen. Abschließend werden die Ergebnisse bzgl. der klinischen Konsequenzen diskutiert. Markus Schüler (Physiologisches Institut, Universität Erlangen) berichtet über anatomische und funktionelle Daten zum möglichen Einfluss extrakranieller Strukturen auf die Entstehung primärer und sekundärer Kopfschmerzen (Anatomische und funktionelle Grundlagen zur extraund intra-kraniellen Innervation trigeminaler Afferenzen). Im Halbschädelpräparat der Ratte wurde mit post-mortem neuronalem Tracing sowie extrazellulärer Einzelfaser-Ableitung und Applikation von 1µM Capsaicin nachgewiesen, dass extrakranielle Strukturen (Periost, Sehnenansätze des M. temporalis und der Halsmuskeln) von Nervenfasern innerviert werden, deren Ursprungsneurone im Ganglion trigeminale lokalisiert sind. Da einzelne dieser Nervenfasern gemeinsame extra- und intrakranielle rezeptive Felder haben und durch extrakranielle nozizeptive Stimulation Neuropeptide (calcitonin gene related peptide) freigesetzt werden, ergeben sich neue Hypothesen zur Pathogenese primärer und sekundärer Kofpschmerzen. Mit dem Einfluss extrakranieller Strukturen auf das Auftreten von Kopfschmerzen beschäftigt sich Matthias Troeltzsch (Physiologisches Institut, Universität Erlangen und Zahnarztpraxis Ansbach: Der Zusammenhang zwischen dento-oro-fazialer Pathologie und der Entstehung von Kopfschmerz). Untersucht wurde die Assoziation von Okklusionsstörungen, temporomandibulärer Dysfunktion sowie Parafunktion („Zähneknirschen“) mit Kopfschmerzen. Es fand sich ein signifikanter Zusammenhang (jeweils p < 0.01) zwischen dem Auftreten von Kopfschmerzen und dem Vorliegen von Parafunktion (OR 7.9), temporomandibulärer Dysfunktion (OR 2.6) oder Malokklusion (OR 25.9). Spannungskopfschmerz war die häufigste Kopfschmerzform und Frauen hatten häufiger Kopfschmerzen als Männer (1.7: 1). Ein Zusammenhang zwischen Kopfschmerzdiagnose und spezifischer dento-orofazialer Pathologie konnte nicht gefunden werden.
VERSORGUNGSSTRUKTUREN UND GESUNDHEITSÖKONOMIE Spezifische Probleme der Diagnostik und Therapie bei chronischem Schmerz nach Arbeitsunfällen SY-34 Spezifische Probleme der Diagnostik und Therapie bei chronischem Schmerz nach Arbeitsunfällen S. Förderreuther1, J. Frettlöh2, C. Drechsel-Schlund3 1 Klinikum Großhadern, München, 2Berufsgenossenschaftliches Universitätsklinikum Bergmannsheil GmbH, Bochum, 3Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege, Würzburg Chronischer Kopfschmerz nach Arbeitsunfällen – gibt es Besonderheiten? S. Förderreuther Kopfschmerzen in der Folge eines Arbeitsunfalls sind in der Regel traumatisch bedingt. Sie reichen von der einfachen Schädelprellung über eine Beschleunigungsverletzung der Halswirbelsäule bis hin zum schweren Schädel-Hirntrauma. Die Chronifizierung von Kopfschmerzen in der Folge einer Verletzung gehört zu den sekundären Kopfschmerzdiagnosen, die noch immer sehr kontrovers diskutiert werden. Ursache ist neben den unterschiedlichen pathophysiologischen Schädigungsmechanismen und der Beobachtung, dass Schmerzintensität und Chronifizierung nicht mit der Schwere des Traumas korrelieren, der Umstand, dass viele relevante Einflussgrößen berücksichtigt werden müssen. Zu ihnen zählen vorbestehende primäre Kopfschmerzen, psychiatrische Begleit- oder Vorerkrankungen, vorbestehende oder begleitende andere Schmerzstörungen, Medikamentenmissbrauch und laufende Haftungsansprüche. Die IHS Klassifikation kann die diagnostische Problematik bislang nicht befriedigend lösen. Anders als primäre Kopfschmerzsyndrome sind posttraumatische chronische Kopfschmerzen klinisch kein einheitliches Krankheitsbild mit typischen Charakteristika. Häufig sind sie nur ein Symptom unterschiedlichster posttraumatischer Beschwerden. Studien, die zwischen chronischen Kopfschmerzen nach einem Arbeitsunfall und solchen, die nach einem nicht arbeitsbezogenen Trauma aufgetreten sind, gibt es weder für Deutschland noch für andere Industrieländer. Grundsätzlich kann man sagen, dass Arbeitsunfälle bei Frauen deutlich seltener auftreten; dies ist einerseits Folge ihrer geringeren Erwerbsquote, andererseits auch Konsequenz ihrer Beschäftigung in weniger unfallträchtigen Branchen. Für die Verarbeitung eines Arbeitsunfalls spielen auch unfallunabhängige Faktoren wie die Zufriedenheit am Arbeitsplatz, das Betriebsklima, Einhaltung von Sicherheitsvorschriften durch den Arbeitgeber, etc. eine Rolle. Möglicherweise sind es gerade diese Faktoren, die in einem nicht unerheblichen Maß Einfluss auf einen Chronifizierungsprozess nehmen. Für die Begutachtung von chronischen Kopfschmerzen in der Folge eines Arbeitsunfalls ist zu beachten, dass die gesetzliche Unfallversicherung ausschließlich für die Unfallfolgen entschädigt. Die Einschätzung der MdE beruht dabei immer auf der Funktionsbeurteilung. Schmerzensgeldzahlungen werden hier nicht geleistet. Doch kann der Schmerz als Unfallfolge für die MdE relevant sein. Zielkonflikte und Schuldzuweisung – wie stark beeinflussen sie den Erfolg einer Schmerztherapie? J. Frettlöh, Bochum Die Erfolgsaussichten (Prognose) einer Behandlung von Patienten mit Unfallfolgen wird wesentlich durch psychische, soziale und auch ökonomische Konsequenzen mitbestimmt. Während medizinische und soziodemographische Einflussfaktoren auf den Behandlungserfolg bereits mehrfach untersucht wurden, ist die kognitive Verarbeitung, z. B. in Bezug auf Schuldzuweisung als Einflussfaktor auf die Prognose einer Behandlung von Unfallfolgen noch weitgehend ungeklärt.
Dies gilt insbesondere im Kontext von Arbeitsunfällen. Bislang wurde nur in vereinzelten Studien – und oft nur als Nebenfragestellung – der Frage nachgegangen, inwiefern die vorgenommene Schuldzuweisung das Ansprechen auf eine Therapie, die Compliance des Patienten sowie seine Rückkehr an den Arbeitsplatz beeinflusst. Erstmalig haben DeGood und Kiernan (1996) den Zusammenhang zwischen Schuldzuweisung und Effektivität einer Schmerztherapie bei Patienten mit chronischen Schmerzen nach Arbeitsunfall differenzierter untersucht. Generell zeigte sich bei den Patienten, die eine Schuldzuweisung vornahmen, im Gegensatz zu denen, die niemandem die Verantwortung für ihren Unfall gaben, ein schlechteres Ansprechen auf die Schmerztherapie. Dieser Unterschied zeigte sich vor allem, bei invasiven Maßnahmen und bei solchen, die eine aktive Beteiligung der Patienten erforderten. Die Autoren schlussfolgerten, dass die vorgenommene Schuldzuweisung eines Verunfallten eine signifikante Bedeutung für das Ansprechen auf Therapiemaßnahmen sowie auch auf den zu erwartenden Heilverlauf hat. Zusätzlich erschwert wird die Diagnostik und v. a. die Therapie, wenn die psycho-sozialen Rahmenbedingungen des Patienten so beschaffen sind, dass eine Besserung der Symptomatik negative Konsequenzen nach sich ziehen würde. In diesem Fall gerät der Betroffene in einen Zielkonflikt. So hat ein Patient verständlicherweise wenig intrinsische Motivation eine Genesung mit entsprechender Eigeninitiative und Anstrengung anzustreben, wenn er z. B. befürchten muss, auf dem Arbeitsmarkt keine Chance mehr zu haben. Aber auch private Lebensumstände können so gestaltet sein, dass ein Patient bei deutlicher Symptombesserung innerhalb seines sozialen Umfeldes mit negativen Auswirkungen zu rechnen hat. Interaktionelle Konflikte z. B. mit Kollegen und Vorgesetzten werden Selbstwert stabilisierend der Schmerzerkrankung zugeschrieben, ein Schmerz unabhängig bestehen ggf. sogar eine drohende Trennung durch schmerzbedingte Hilfsbedürftigkeit verhindert. Da bestimmte Schuldzuweisungen sowie vorliegende Zielkonflikte zu schlechtem Therapieoutcome (Michalak u. Schulte 2002) und kostenintensiven Behandlungsverläufen führen, kommt der frühzeitigen Indentifizierung dieser Risikofaktoren ein hoher Stellenwert zu. Der geplante Beitrag wird beide Aspekte sowie die dazu bislang vorliegenden Studienbefunde vorstellen und diskutieren. Beurteilung chronischer Schmerzen als Leistungsgrund in der gesetzlichen Unfallversicherung Claudia Drechsel-Schlund Nach Arbeitsunfällen treten chronische Schmerzen in ganz unterschiedlichen Konstellationen und Erscheinungsformen auf. Typische Fallgestaltungen und besonders häufig sind chronische Schmerzen nach Traumen mit Schädigung peripherer Nerven, nach Verletzungen der Wirbelsäule, nach Frakturen als komplexes regionales Schmerzsyndrom, nach Amputationsverletzungen, als Kopfschmerzen nach HWSDistorsionen sowie nach Schädel-Hirn-Traumen und schließlich auch in Form von somatoformen Schmerzstörungen nach verschiedenen Verletzungsarten. Die Unfallversicherungsträger haben die gesetzliche Aufgabe, den Rehabilitationsprozess zu steuern. Chronische Schmerzen sind eine Komplikationsdiagnose, die ein besonderes Reha-Mangement erfordert. Ziel muss es sein, die Diagnose zu sichern, eine diagnose spezifische Therapie sicherzustellen und die berufliche Wiederein gliederung zu erreichen. Für die erfolgreiche Rehabilitation und berufliche Wiedereingliederung ist die frühzeitige Identifikation einer beginnenden Chronifizierung entscheidend. Dafür benötigen die Unfallverscherungsträger kontinuierliche Informationen zu den ärztlichen Untersuchungen sowie Behandlungen und zum Krankheitsverlauf. Aus den einge henden Befund- und Behandlungsberichten muss nachvollziehbar sein, ob die Schmerzen hinreichend medizinisch objektiviert sind. Notwendig ist eine differentialdiagnostische Abklärung und klassifikati onsgestützte Diagnosestellung nach ICD 10, gleichgültig ob es sich um einen Schmerz als Begleitsymptom einer Schädigung des Nervengewebes, eine Gewebeschädigung mit psychischer Komorbidität oder um Der Schmerz Supplement 1 · 2010
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Abstracts einen Schmerz als Leitsymptom einer psychischen Erkrankung handelt (Einteilung des Schmerzes nach der AWMF Leitlinie zur Begutachtung von Schmerzen). „Schmerzen hat wer Schmerzen klagt“ kann insoweit nicht gelten. In der Praxis finden sich allerdings als „Diagnose“ häufig unbestimmte Schmerzsympto-matiken. Ein komplexes regionales Schmerzsyndrom, bei dem die Klassifikationskriterien im Arztbericht fehlen, muss kritisch gesehen werden. Der Unfallversicherungsträger wird in diesen Fällen eine Diagnosevalidierung veranlassen. Zu hinterfragen ist auch eine Schmerz-Verdachtsdiagnose bzw. eine nicht ausreichend substantiierte Schmerz-Diagnose, insbesondere wenn in erster Linie pharmakologisch, insbesondere mit Opioiden behandelt wird. Eine „Verfah renskontrolle“ ist zudem geboten, wenn sich keine Fortschritte bei der Schmerzbehandlung einstellen. In diesen Fällen kann der Unfallverletzte in einer Schmerz-Sprechstunde bzw. in der Abteilung für Schmerztherapie einer Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik oder in einem anderen Kompetenzzentrum konsekutiv vorgestellt werden, um Diagnosestellung und therapeutische Maßnahmen auf den Prüfstand zu stellen. Nach dem kausalen Leistungssystem der gesetzlichen Unfallversicherung sind Akutversorgung, Rehabilitation und ggf. auch Entschädigungsleistungen zu übernehmen, wenn der Gesundheitsschaden bzw. die weiteren gesundheitlichen Folgen auf das Unfallereignis zurückzuführen sind. Bei chronischen Schmerzen ist aufgrund der medizinischen Definition stets ein versicherungsrechtlicher Folgeschaden zu beurteilen (haftungsausfüllende Kausalität). Zu berücksichtigen ist, dass für die Entwicklung von chronischen Schmerzen häufig Kontextfaktoren sowohl aus dem psychosozialen Bereich als auch aus dem Arbeits-verhältnis, aber auch eine Prä- und Komorbidität bedeutsam sind. Diese unfallfremden (Mit-)Ursachen können sich insbesondere krankheitsunterhaltend auswirken und im weiteren Verlauf das Unfallereignis deutlich in den Hintergrund rücken. Fehlen ausreichende Anhaltspunkte für den (fortbestehenden) Zusammenhang der chronischen Schmerzen mit dem Unfallereignis, wird die Zuständigkeit der gesetzlichen Unfallversicherung durch ein Sachverständi gengutachten zu untersuchen sein. Durch die Leitlinie für die Begutachtung von Schmerzen sind Qualitätsstandards geschaffen, die eine fachgerechte und einheitliche gutachterliche Beurteilung ermöglichen. Bei chronischen Schmerzen ist die Lotsenfunktion des Leistungsträgers unverzichtbar. Die Komplexität des Krankheitsbildes, das für den Versicherten intransparente Versorgungsangebot und die in der medizinischen Praxis teilweise noch unbefriedigende Umsetzung medizinischer Kenntnisse und Verfahren bereiten hier besondere Probleme. Für das Reha-Management sind die Unfallversicherungsträger auf qualifizierte Versorgungsstrukturen angewiesen, die möglichst auch auf eine berufsorientierte Rehabilitation ausgerichtet sein sollten. Auch wenn es wegen des kausalen Leistungssystems der gesetzlichen Unfallversicherung im Rehabilitationsprozess zu einem Wechsel des Leistungsträgers kommt, müssen die Nahtlosigkeit und die Koordinierung der Leistungen für den Versicherten, für den eine Schmerzbehandlung indiziert ist, stets gewährleistet sein.
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VERSORGUNGSSTRUKTUREN UND GESUNDHEITSÖKONOMIE KEDOQS Schmerz zur unabhängigen Versorgungsforschung, Qualitätssicherung und Entwicklung der Schmerztherapie SY-35 KEDOQS Schmerz zur unabhängigen Versorgungsforschung, Qualitätssicherung und Entwicklung der Schmerztherapie G. Lindena1, B. Nagel2, R. Thoma3, M. Hüppe4, T. Kohlmann5 1 CLARA Clinical Analysis, Research and Application, Kleinmachnow, 2DRK Schmerzklinik Mainz, 3Diakoniewerk München-Maxvorstadt, München, 4 UK S-H, Lübeck, 5Institut für Community Medicine, Universitätsklinikum Greifswald KEDOQS Schmerz (Kerndokumentation und Qualitätssicherung in der Schmerztherapie) soll Daten aus schmerztherapeutischen Einrichtungen im deutschsprachigen Raum zusammenführen und ihre gemeinsame Auswertung ermöglichen. Die DGSS hat KEDOQS Schmerz initiiert und einen QS-Beirat einberufen, der die Bedingungen der Teilnahme, die Vereinbarungen mit den am Datenaustausch teilnehmenden Einrichtungen und die Funktion der Datensammlung steuert. Im ersten Beitrag dieses Symposiums (G. Lindena) wird das Konzept und die Arbeitsweise von KEDOQS Schmerz vorgestellt. Mit KEDOQS Schmerz sollen folgende Ziele verfolgt werden: · Patienten in schmerztherapeutischen Einrichtungen sollen mit ihren wesentlichen demographischen und klinischen Daten beschrieben werden – Indikationsqualität · schmerztherapeutische Einrichtungen sollen ihr Leistungsspektrum und ihre Ergebnisse vergleichen und bestimmen können – Prozessund Ergebnisqualität · ein vom jeweils genutzten Computerprogramm (Primärprogramm) unabhängiger Austauschdatensatz soll geschaffen werden – programm-, einrichtungs- und sektorenübergreifendes überregionales externes Qualitätsmanagement · die Teilnehmer und die DGSS sollen diese Daten für die Weiterentwicklung der Schmerztherapie nutzen. Die Datensammlung erfolgt „online“. Die Primärprogramme setzen den Kerndatensatz um, erstellen die Schnittstellen zu KEDOQS und die Pseudonymisierung der Daten. Über die unmittelbare individuelle Patientenversorgung hinaus dienen Daten aus schmerztherapeutischen Einrichtungen dazu, Aufgaben und Aufwand zu beschreiben, Therapieoptionen zu überprüfen und Erfahrungen auszutauschen. Im zweiten Beitrag (B. Nagel) wird der Kerndatensatz vorgestellt, der Ende 2008 vom Präsidium der DGSS beschlossen wurde. Der Kerndatensatz beruht auf dem Deutschen Schmerzfragebogen (DSF). Dieser enthält u. a. Angaben zur Dauer, Art, Charakteristik sowie Intensität der Schmerzen und ermöglicht die Bestimmung der schmerzbedingten Beeinträchtigung und des Schwereindexes nach Von Korff. HADS (Hospital Anxiety and Depression Scale), SF-12 (Gesundheitsbezogene Lebensqualität) und FW7 (Marburger Fragebogen zum habituellen Wohlbefinden) sind als validierte und etablierte psychometrische Tests im DSF implementiert. Zudem erfasst der DSF wesentliche demographische sowie soziale Parameter. Für Versorgungsforschung und Qualitätssicherung sind weitere über den DSF hinausgehende Informationen erforderlich. Der Kerndatensatz zur standardisierten Dokumentation von Diagnostik- und Therapieoptionen und zur Dokumentation von Verläufen mit Verlaufsprotokollen ergänzt deshalb den DSF. Zusätzlich zu den Inhalten des DSF umfasst der Kerndatensatz das Behandlungssetting, die Hauptschmerzlokalisation, medizinische sowie psychologisch/psychiatrischen Diagnosen und das Chronifizierungsstadium. Die Erhebungszeitpunkte (Behandlungsbeginn, Wechsel des Therapiesettings, Behandlungsende, Follow up) und die jeweils zu erhebenden
Parameter sind klar definiert und im Behandlungsverlauf werden auch die durchgeführten diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen sowie ggf. unerwünschte Ereignisse erfragt. Der Kerndatensatz ermöglicht es, vergleichbare Daten aus unterschiedlichen Einrichtungen, auch sektorenübergreifend zu erhalten. Er bildet eine gemeinsame Plattform, die unabhängig vom jeweils genutzten Computerprogramm (Primärprogramm) ist und sich als Austauschdatensatz für alle Primärprogramme eignet. Anfang 2010 wurden mehrere Programmhersteller offiziell von der DGSS zur Umsetzung des Kerndatensatzes in ihren Programmen eingeladen. Die potentiellen Anbieter erhielten die Variablenliste und einen Vertrag, der die Zusammenarbeit mit KEDOQS und die Rechte am Deutschen Schmerzfragebogen regelt. Die Grundlage für die Erhebung valider, multizentrischer Daten in der Schmerztherapie ist damit gelegt. Teilnehmende Einrichtungen können über KEDOQS den deutschen Schmerzfragebogen DSF kostenfrei nutzen und dabei jederzeit über ihre Daten verfügen. Sie erhalten Hilfen zur Auswertung der eigenen Daten und Kenndaten im Vergleich, was eine angemessene Präsentation der eigenen Einrichtung ermöglicht. Nutzen und Voraussetzungen für die Teilnahme einer schmerztherapeutischen Einrichtung werden in einem dritten Beitrag vorgestellt (R. Thoma). So bietet sich DGSS-Mitgliedern unterstützt von ihrer Gesellschaft nun der Zugang zu einer gemeinsamen Qualitätsentwicklung der Schmerztherapie. Weitere Informationen unter www. kedoqs. de
VERSORGUNGSSTRUKTUREN UND GESUNDHEITSÖKONOMIE Aspekte der Schmerztherapie bei Patienten mit Migrationshintergrund SY-36 Die Rolle des Therapeuten / Arztes bei Patienten mit Migrationshintergrund G. Haag Michael-Balint-Klinik, Königsfeld Bei der Diagnose und Therapie von Patienten mit Migrationhintergrund ist die individuelle und kollektive Biographie wie z. B. die Ausgrenzung auf grund ethnischer und/oder religiöser Zugehörigkeit im Herkunftsland, die Migrationgeschichte, Kultur- und Generationenkonflikte etc. zu berücksichtigen. So ist beispielsweise für Patienten aus traditionellen Kulturen die gemeinsame Entwicklung eines Erklärungsmodells für die Entstehung und/oder Aufrechterhaltung chronischer Schmerzen ungewohnt. Sie erwarten vielmehr im allgemeinen, dass ihnen der Therapeut ein komplettes Erklärungsmodell liefert. Besonders bedeutsam ist bei der Behandlung von Migranten ein Beziehungsaufbau, der von Wertschätzung und Akzeptanz der Beschwerden gekennzeichnet ist. Das Erklärungs- und Behandlungsmodell bei chronischen Schmerzen muss nicht nur dem Bildungsniveau des jeweiligen Migranten entsprechen, sondern auch seinen kulturellen Vorstellungen. Nach Möglichkeit sollte bei aus familienorientierten Kulturen stammenden Patienten auch Familienmitglieder in die Therapie einbezogen werden.
AKUTSCHMERZ Postoperativer Schmerz und Hyperalgesie – Interaktion von Schmerzgedächtnis und Geschlechtshormonen SY-37 Postoperativer Schmerz und Hyperalgesie – Interaktion von Schmerzgedächtnis und Geschlechtshormonen E. Pogatzki-Zahn1, T. Klein2, W. Magerl3 1 Universitätsklinikum Münster, Klinik für Anästhesiologie und posteroperative Intensivmedizin, Münster, 2CBTM, Medizinische Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg, Mannheim, 3Medizinische Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg, Mannheim Es ist seit langem bekannt, dass Neuroplastizitätsprozesse eine Rolle für Schmerz und Hyperalgesie spielen. Neuere tier- und humanexperimentelle Daten zeigen, dass Mechanismen der experimentell induzierten Schmerzplastizität sich direkt zu Veränderungen nach operativen Eingriffen parallelisieren lassen. Möglich wird dies durch die Entwicklung und Anwendung von Surrogatmodellen, die Schmerz und Hyperalgesie nach einer Operation modellhaft widerspiegeln. Untersuchungen, die diese Surrogatmodelle einsetzen, zeigen sehr eindrucksvoll, dass ursprüngliche Vorstellungen von zentralen Sensibilisierungsprozessen und deren Bedeutung für den postoperativen Schmerz nicht stimmen oder zumindest sehr differenziert zu betrachten sind. Darüber hinaus zeigen neue Daten ebenfalls überraschende Ergebnisse hinsichtlich der Mechanismen, z. B. geschlechts- und hormonspezifischer Unterschiede. Die drei aufeinander aufbauenden Beiträge dieses Symposium werden einen Überblick über Gedächtnisprozesse in verschiedenen humanen Surrogatmodellen geben, die Gedächtnisprozesse, die für den postoperativen Schmerz relevant sind, herausarbeiten und explizit neue Daten zu diesen Determinanten vorstellen und diskutieren. Die Referenten dieses Symposiums verfolgen dabei eine systematische Linie der Translation experimenteller Befunde der Schmerzplastizität für das Verständnis der intraindividuellen Variabilität des postoperativen Schmerzes und hormoneller Risikofaktoren und werden diese in den klinischen Kontext einbinden. Vortrag 1: Langzeitpotenzierung und implizites Schmerzgedächtnis – grundlegende zentralnervöse Mechanismen der Schmerzplastizität des Menschen Walter Magerl, Mannheim Tierexperimentelle Arbeiten seit 1993 (Randic et al. 1993) haben schlüssig gezeigt, dass die Steigerung der spinalen Empfindlichkeit Eigenschaften einer Form der synaptischen Gedächtnisbildung zeigt. Dieses „Schmerz-Gedächtnisses“ ist eine Form der synaptischen Informationsspeicherung, eine benutzungsabhängige Veränderung der Empfindlichkeit in Pfaden des aufsteigenden Schmerzprojektionssystems (also eine „Gedächtnisspur“), die sich unterhalb der Bewußtseinsebene ereignet („implizites Gedächtnis“). Die Mechanismen dieser Plastizität lassen sich verstehen als eine Variante der im gesamten Nervensystem vorgefundenen Mechanismen der bidirektionalen Modifikation der Übertragungsstärke synaptischer Verbindungen, die wir als benutzungsabhängige Langzeitpotenzierung (LTP) und Langzeitdepression (LTD) bezeichnen (für eine aktuelle Übersicht siehe Sandkühler 2007). Experimentelle Verfahren, die im Tierexperiment zu LTP und LTD führen, rufen auch beim Menschen Veränderungen der bewussten Schmerzwahrnehmung hervor, die sich als LTP und LTD der Schmerzwahrnehmung beschreiben lassen (Klein et al. 2004). Die LTP der menschlichen Schmerzwahrnehmung führt auch zu Veränderungen der Wahrnehmung natürlicher Reize, die denen entsprechen, die bereits früher als „sekundäre Hyperalgesie“ beschrieben wurden mit einer Selektivität der Hyperalgesie für mechanische Reize durch z. B. Nadelstiche oder leichte Berührung (Lang et al. 2007, Klein et al. 2008). Dieser heterosynaptische Anteil der LTP des Schmerzes ist Der Schmerz Supplement 1 · 2010
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Abstracts beim Menschen der quantitativ bedeutsamere Anteil der Schmerzplastizität. Schon kurzdauernde, wenig Sekunden lange starke Stimulation der nozizeptiven Eingänge kann zu deutlichen Veränderungen der Schmerzempfindlichkeit führen, die dann für viele Stunden bis mehrere tage andauern können. Das Muster der sensorischen Plastizität dabei entspricht weitgehend den Veränderungen, die sich in vielen Schmerzerkrankungen findet, nämlich Zeichen der Hyperalgesie gegen Nadelstich-ähnliche Reize und Schmerz bei leichter Berührung, d. h. Allodynie (Magerl und Klein 2006). Die Randbedingungen dieser Plastizität des nozizeptiven Systems sind Gegenstand aktueller Forschung und belegen eine Abhängigkeit von endogenen humoralen Kontrollsystemen. Dazu gehören u. a. Stresshormone, Geschlechtshormone und das endogene Cannabinoidsystem. Neuere Arbeiten legen nahe, dass genetische Polymorphismen wichtige Einflussfaktoren für die Ausprägung der nozizeptiven Plastizität sind. Neuere Arbeiten in unserer Arbeitsgruppe zeigen, dass experimentelle Interventionen, die der Technik der niederfrequenten, leicht schmerzhaften Form der transkutanen elektrischen Nervstimulation entsprechen (TENS) beim Menschen zu einer Aufhebung einer zuvor experimentell induzierten Schmerz-LTP führen („Depotenzierung“, Bürck et al. 2010). Diese ist interessanterweise dann besonders effizient, wenn Sie mit einer nur leicht schmerzhaften Stimulation durchgeführt wird, bei stärker schmerzhafter Stimulation geht dieser Effekt verloren. Die Minderung der Schmerzhaftigkeit durch solche Stimulationen bieten möglicherweise die rationale Grundlagen dieser Therapieverfahren. Das bessere neurobiologische Verständnis dieser Mechanismen bietet eine mögliche Grundlage zur Optimierung von stimulationsbasierten Therapieverfahren schmerzhafter Erkrankungen, deren Grundlage eine gesteigerte Empfindlichkeit der zentralnervösen nozizeptiven Übertragungswege ist. Vortrag 2: Plastizität -der Schmerzwahrnehmung und ihre Bedeutung für postoperativen Schmerz und postoperative Hyperalgesie Thomas Klein, Mannheim Basiswissenschaftliche Untersuchungen haben in den letzten Jahrzehnten detailliert Aufschluss gegeben über Mechanismen der Schmerzverarbeitung unterschiedlicher Genese. Insbesondere tierexperimentelle Modelle mit Bezug zur Klinik, die in den letzten Jahren nicht nur für chronische sondern auch akute Schmerzen wie den postoperativen Schmerz entwickelt worden sind, haben hier einen wesentlichen Schritt zu neuen Erkenntnissen beigetragen. Eine Vielzahl dieser Untersuchungen konnten eindrücklich gezeigt, dass eine operative Schnittinzision zu Plastizitätsprozessen im peripheren und zentralen Nervensystem führt; verschieden Plastizitätsprozesse konnten dabei hervorragend mit Schmerzverhalten und Hyperalgesie in den entsprechenden Tiermodellen in Verbindung gebracht werden (siehe als Überblick Brennan et al 2005, Pogatzki-Zahn et al 2007). Eindeutig wurde aus diesen Untersuchungen auch herausgestellt, dass die den Plastizitätsvorgängen zugrunde liegenden molekularen Veränderungen eine sehr eigene Entität besitzen und sich von Prozessen anderer Genese deutlich unterscheiden und dadurch notwendige Vorraussetzung für die Identifizierung neuroplastischer Veränderungen nach einer Operation darstellen. Eine weitere wichtige integrative Herangehensweise, die basiswissenschaftlichen Erkenntnisse in die Klinik zu bringen (und umgekehrt) ist, standardisierte Untersuchungen an menschlichen Probanden durchzuführen. Die vergangenen Jahre haben dabei gezeigt, dass Surrogatmodelle, die zu einer anhaltenden Sensibilisierung und damit zu ähnlichen Phänomenen wie bei Patienten in der klinischen Praxis führen, besonders geeignet sind, um spezielle Mechanismen der Schmerzentstehung einschließlich Chronifizierung zu erarbeiten. Diese Schmerzmodelle sind besonders dann klinisch von Bedeutung, wenn sie ein der klinischen Situation ähnliches Trauma als Ursache haben und/ oder ähnliche Schmerzcharakteristiken hervorrufen und damit unter standardisierten Bedingungen am Menschen Untersuchungen erlauben, die zumindest „translational“ in die klinische Praxis übertragen werden können (Klein et al. 2005, Magerl und Klein 2006). Verschiedene Untersuchungen an Surrogatmodellen für den postoperativen
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Schmerz (Burgmer et al 2009, Kawamata et al 2002a, b, Pogatzki-Zahn et al 2010) haben hier erste Erkenntnisse für den postoperativen Akutschmerz, Hyperalgesie und ggf auch Chronifizierung von postoperativen Schmerzen erbracht. Weitere Untersuchungen in diesen Surrogatmodellen zeigen spezifische sensorische Veränderungen mit Implikationen für Plastizitätsvorgänge und Zusammenhängen von Plastizitätsvorgängen nach einer operativen Schnittverletzung, die so bisher am Menschen noch nicht untersucht worden sind (Fißmer et al, submitted). Sie zeigen darüber hinaus Parallelitäten zu klinischen Schmerzphänomenen bei Patienten nach einer Operation und können möglicherweise in weiterführenden Untersuchungen Mechanismen detektieren die diesen Veränderungen zugrunde liegen. Insgesamt bilden solche speziellen Surrogatmodelle eine Brücke zu tierexperimentellen Modellen und sind Teil der modernen translationalen Erforschung von Mechanismen der Schmerzplastizität. Vortrag 3: Geschlechtshormone und ihre Bedeutung für postoperativen Schmerz und Hyperalgesie E. Pogatzki-Zahn Seit Anfang der 90iger Jahre gibt es eine stark zunehmende Evidenz für geschlechtsspezifische Unterschiede hinsichtlich Prävalenz und Intensität von Schmerzen. Epidemiologische Studien zeigen bei fast allen Schmerzarten eine deutliche vermehrte Prävalenz bei Frauen (Fillingim et al 2009). Darüber hinaus findet sich in Studien übereinstimmend, dass Frauen über eine größere Anzahl von Schmerzsymptomen berichten, mehr betroffene Körperareale angeben und aufgrund von Schmerzen häufiger professionelle Hilfe in Anspruch nehmen (Fillingim et al 2009). Diese und weitere geschlechterspezifische Unterschiede zeigen sich häufig altersabhängig und sind bei Frauen im gebährfähigen Alter oft am stärksten ausgeprägt. (LeResch 2003, Sherman and LeResche 2006) Ein hormoneller Einfluss auf die Schmerzempfindlichkeit von Frauen, die stärkere Gefährdung zur Chronifizierung von Schmerzen und das gehäufte Auftreten von Schmerzerkrankungen bei Frauen wird deshalb angenommen (Fillingim 2009, Riley 1998). Trotzdem sind experimentelle Arbeiten hierzu nicht eindeutig; ganz im Gegenteil spiegeln experimentelle Daten die klinischen Erfahrungen und aus klinischen Befunden generierten Hypothesen zur Bedeutung gonadaler Hormone für das Schmerzgeschehen nicht oder nur sehr schlecht wieder (Klatzkin et al 2010, Sherman and LeResche 2006). Von Bedeutung hierbei ist, dass die Qualität experimenteller und klinischer Studien zu dieser Thematik, insbesondere der Studien an Probanden und Patienten, sehr schlecht ist und nicht den mittlerweile geforderten Standards entspricht (Greenspan et al 2006). Dies betrifft zum Beispiel die nichtstandardisierte Erhebung der Zyklusphasen bei Patientinnen oder Probandinnen im gebährfähigen Alter oder das Fehlen der Erhebung von Hormonspiegeln so wie eine adäquate Fallzahl. Darüber hinaus muss man in Frage stellen, ob wirklich klinisch relevante Fragestellungen in den meisten bisher vorliegenden experimentellen Studien untersucht worden sind oder es sich eher um artifizielle Schmerztestungen ohne klinische Relevanz handelt. Neuste Untersuchungen an geeigneten humanen Surrogatmodellen und unter Einsatz methodisch aufwendigerer und an neueste Konsensus-Empfehlungen angepasster Zyklus- und Hormonerhebungen weisen darauf hin, dass eine Bedeutung von Hormonen differenziert für bestimmte Schmerzarten zu bestehen scheint. Untersuchungen im humanen Inzisionsmodell weisen z. B. auf einen nur für die frühen Phasen der Schmerz- und Hyperalgesieentwicklung bedeutsamen Effekt von Zyklusphasen bzw. gonadalen Hormonen bei Frauen im gebährfähigen Alter hin. Von Bedeutung für die Ausprägung dieser Unterschiede scheint allerdings nicht, wie aus anderen Studien vermutet, der Östrogenspiegel sondern viel mehr der Progesteronspiegel zu sein. Auch für Chronifizerungsprozesse nach akuten Schmerzereignissen (wie z. B. chronisch-postoperativer Schmerz) könnte eine Bedeutung von Hormonen vorliegen; so wurde kürzlich gezeigt, dass die endogenen Hemmsysteme, die einen Prädiktor für eine Schmerzchronifizierung nach Operation darstellen, abhängig von gonadalen Hormonen (und hier ebenfalls Progesteron) sind. Weitere Untersuchun-
gen an anderen Schmerzmodellen und unter Anwendung von Imaging Techniken bestätigen eine Rolle von gonadalen Hormonen auf das endogene Hemmsystem bei Frauen; dies kann möglicherweise auch zur höheren Prävalenz chronischer Schmerzen anderer Genese und chronischen Schmerzerkrankungen bei Frauen beitragen. Diese Erkenntnisse müssen nun in der Klinik geprüft und idealerweise therapeutisch genutzt werden. Erste Untersuchungen in diesem Bereich mit einem geeigneten Studiendesign und großen Fallzahlen finden zur Zeit statt. Literatur: Brennan, TJ, Zahn, PK, Pogatzki-Zahn, EM: Mechanisms of Incisional Pain, Anesthesiol Clin North America. 2005;23(1): 1-20. Burgmer M, Pogatzki-Zahn E, Gaubitz M, Wessoleck M, Heuft G, Pfleiderer B. Altered Brain Activity during Pain Processing in Fibromyalgia, NeuroImage 2009;44(2): 502-8. Bürck L, Pfau DB, Klein T, Treede RD, Magerl W (2010) High-frequency stimulation-induced long-term potentiation (LTP) and lowfrequency stimulation-induced depotentiation (deLTP) of pain perception in humans. Fillingim RB, King CD, Ribeiro-Dasilva MC, Rahim-Williams B, Riley JL 3rd. Sex, gender, and pain: a review of recent clinical and experimental findings. J Pain. 2009;10(5): 447-85. Greenspan JD, Craft RM, LeResche L, Arendt-Nielsen L, Berkley KJ, Fillingim RB, Gold MS, Holdcroft A, Lautenbacher S, Mayer EA, Mogil JS, Murphy AZ, Traub RJ; Consensus Working Group of the Sex, Gender, and Pain SIG of the IASP. Studying sex and gender differences in pain and analgesia: a consensus report. Pain. 2007;132 Suppl 1: S26-45. LeResche L, Mancl L, Sherman JJ, Gandara B, Dworkin SF. Changes in temporomandibular pain and other symptoms across the menstrual cycle. . Pain 2003;106: 253–61. Kawamata M, Takahashi T, Kozuka Y, Nawa Y, Nishikawa K, Narimatsu E, Watanabe H, Namiki A: Experimental incision-induced pain in human skin; effects of systemic lidocaine on flare formation and hyperalgesia. Pain 2002a; 100: 77-89 Kawamata M, Watanabe H, Nishikawa K, Takahashi T, Kozuka Y, Kawamata T, Omote K, Namiki A: Different mechanisms of development and maintenance of experimental incision-induced hyperalgesia in human skin. Anesthesiology 2002b; 97: 550-559 Klatzkin RR, Mechlin B, Girdler SS. Menstrual cycle phase does not influence gender differences in experimental pain sensitivity. Eur J Pain. 2010;14(1): 77-82. Klein T, Magerl W, Hopf HC, Sandkühler JS, Treede RD (2004) Perceptual correlates of nociceptive long-term potentiation and long-term depression in humans, J Neurosci 24(4): 964-971 Klein T, Magerl W, Rolke R, Treede RD (2005) Human surrogate models of neuropathic pain. Pain. 115(3): 227-233 Klein T, Stahn S, Magerl W, Treede RD (2008) The role of heterosynaptic facilitation in long-term potentiation (LTP) of human pain sensation. Pain. 139(3): 507-519. Lang S, Klein T, Magerl W, Treede RD (2007) Modality-specific sensory changes in humans after the induction of long-term potentiation (LTP) in cutaneous nocicceptive pathways, Pain 128: 254-263Magerl und Klein 2006 Pogatzki-Zahn EM, Wagner C, Meinhardt-Renner A, Burgmer M, Beste C, Zahn PK, Pfleiderer B: Coding of incisional pain in the brain: a functional magnetic resonance imaging study in human volunteers. Anesthesiology 2010; 112: 406-17 Pogatzki-Zahn EM, Zahn P, Brennan TJ: Postoperative pain—clinical implications of basic research. Best Practice & Research Clinical Anaesthesiology. 2007;21: 3-13 Randic M, Jiang MC, Ceme R (1993) Long-term potentiation and longterm depression of primary afferent neurotransmission in the rat spinal cord, J Neurosci 13(12): 5228-5241 Riley JL, Robinson ME, Wise EA, Myers CD, and Fillingim RB. Sex differences in the perception of noxious experimental pain stimuli: a metaanalysis. Pain 74: 181–187, 1998.
Sandkühler J (2007) Understanding LTP in pain pathways. Mol Pain. 3: 9. Sherman JJ, LeResche L. Does experimental pain response vary across the menstrual cycle? A methodological review. Am J Physiol Regul Integr Comp Physiol 2006;291: R245–56. Die Arbeiten wurden unterstützt durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (Tr 236/16-1 und 2 und FOR926 – Ma1251/9-1), das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF – 01EM0107), EFIG –Grünenthal Grant 2004 (Pogatzki-Zahn), die IARS (Clinical scholar research award, Pogatzki-Zahn) und die DGAI (Clinical Research Award 2007, Pogatzki-Zahn
PSYCHOLOGISCHE VERFAHREN Die Bedeutung der Partner-Patienteninteraktion bei chronischen Schmerzen SY-38 Die Bedeutung der Partner-Patienteninteraktion bei chronischen Schmerzen U. Kaiser1, K. Thieme2, M. Diers3, R. Sabatowski4 1 UniversitätsSchmerzCentrum, Dresden, Universitätsklinikum “Carl Gustav Carus”, Technische Universität Dresden,, Dresden, 2Center for Neurosensory Disorders,Thurston Arthritis Research Center,The University of North Carolina, Chapel Hill, USA, 3Institut für Neuropsychologie und Klinische Psychologie, Mannheim, 4UniversitätsSchmerzCentrum, Dresden Den wesentlichen Irrtum, chronischen Schmerz als eindimensionales Reiz-Reaktionsschema aufzufassen, wurde durch das biopsychosoziale Modell bereits abgelöst. Seither werden immer mehr Einflußfaktoren auf die Chronifzierung von Schmerzen in verschiedenen Bereichen ausfindig gemacht. So erscheint es ebenfalls als Irrtum, den Prozess der Chronifizierung ausschließlich im Patienten allein zu suchenvielmehr erscheint das Umfeld des Patienten, im Sinne einer PartnerPatienteninteraktion, ebenso wesentlich. Im Rahmen des Symposiums sollen Prozesse, die an der Chronifzierung beteiligt sind und in der Interaktion des Patienten mit seinem Umfeld liegen, erörtert werden. Dabei soll auf Besonderheiten verschiedener Diagnosegruppen eingegangen werden. Die Vision könnte entstehen, in die Therapie wesentliche Angehörige einzubeziehen und sie entsprechend den Besonderheiten der Diagnose des Betroffenen zu informieren bzw. bei Bedarf zu schulen. U. Kaiser untersuchte in ihrer Studie „Unterschiede in der Wahrnehmung der Partnerreaktionen auf Schmerzverhalten bei Patienten mit Kopf- und Tumorschmerz sowie Chronic Wide Spread Pain- Interimsanalyse einer Validierung des SRI-D“ die Bedeutung eines Fragebogens zur Erfassung von Partnerreaktion auf Schmerzverhalten. Dabei wurden 86 KS-, 37 TS- und 48 CWSP- Patienten mit einer Fragebogenbatterie bestehend aus Fragebögen zu schmerzassoziierten und partnerschaftlichen Variablen untersucht. Die Ergebnisse zur prädiktiven Validität der SRI-Originalstudie konnten bei keiner Diagnosegruppe repliziert werden. Ein mediierender oder moderierender Einfluss der Partnerschaftsqualität auf den Zusammenhang zwischen negativen Partnerreaktionen auf Schmerzverhalten und Depressivität konnte entgegen früherer Studien nicht nachgewiesen werden. Die Kriterien Schmerzstärke und körperliche Einschränkung im Alltag werden durch das SRI bei Kopfschmerzpatienten nicht signifikant vorhergesagt. Ebenso stehen unterstützende Partnerreaktionen auf well-behaviour mit keinem der Kriterien in signifikantem Zusammenhang. Bei den Tumorschmerzpatienten finden sich keine Zusammenhänge zwischen den Kriteriumsvariablen und dem SRI-D, lediglich die Skala unterstützende Reaktionen auf well-behaviour scheint einen leichten Einfluss auf die Schmerzbeeinträchtigung (p=. 07) zu haben. Allerdings
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Abstracts ist dieser schwache Zusammenhang vor dem Hintergrund der geringen Stichprobenzahl vorsichtig zu betrachten. Bei den Patienten mit Chronic Wide Spread Pain zeichnen sich ähnliche Ergebnisse ab. Die Skalen des SRI korrelieren stark (. 47 = r = . 86) mit den entsprechenden Skalen anderer Messinstrumente zur Erfassung von Partnerreaktionen (MPI-2, FPS), sowie niedrig bis mittelstark (. 22 = r = . 39) mit den schmerzunspezifischen Messinstrumenten zur sozialen Unterstützung und emotionalen Familienatmosphäre. Diese Ergebnisse sprechen für eine gute Kriteriums- bzw. inkrementelle Validität. Schlussfolgernd kann festgestellt werden, dass die Konstruktvalidität sowie die inkrementelle Validität des SRI für die Population der Kopfschmerzpatienten, der Patienten mit Chronic Wide Spread Pain sowie mit Tumorschmerz nachgewiesen werden konnten. Dahingegen ließ sich keine einheitliche bzw. ausreichende prädiktive Validität im Bezug auf die Kriterien feststellen. Das deutet an, dass die Konsequenzen des partnerschaftlichen Verhaltens auf Schmerzverhalten bzw. well-behaviour für die jeweiligen Diagnosegruppen unterschiedlich ist und der SRI diesbezüglich unterschiedliche prädiktive Güte ausweist. K. Thieme untersuchte in ihrer Studie „Komorbidität der Bezugspersonen von Patienten mit Fibromyalgie und deren Interaktionsverhalten“ die Prävalenz und den prädiktiven Wert von psychischen Störungen bei Bezugspersonen (BP) von Fibromyalgie-Patienten, Stressoren, Verarbeitungsstrategien der Erkrankung von Seiten des Partners, Interaktionsstilen und der Zufriedenheit mit der Partnerschaft für die Schmerzintensität des Patienten. Methode: 125 Partner wurden mit dem strukturierten klinischen Interview für DSM-IV-R-Diagnosen (SKID) untersucht, um gegenwärtige psychische Störungen und somatische Erkrankungen zu erfassen. Für die Messung der Stressoren wurde die Partnerversion des kurzen Belastungsfragebogens (KFB-BP, Flor, 1991), für die Verarbeitungsstrategien und Interaktionsstile die Partnerversionen des Multidimensionalen Schmerzinventars (MPI-D-BP, Flor 1991) und des Fragebogens zu schmerzbezogenen Selbstinstruktionen (FSS-BP, Flor 1991) genutzt, und für die Zufriedenheit mit der Partnerschaft der Marital-Adjustment-Test (MAT, Locke and Wallace, 1959). Des Weiteren wurden die Verarbeitungsstrategien der Patienten mit dem MPI-D erfasst, die der Subgruppenbildung in dysfunktionale (DYS), interpersonell-beeinträchtigte (IB) und aktive Bewältiger (AB) diente. Ergebnisse: Partner von DYS-Patienten zeigten Anpassungsstörungen verbunden mit erhöhter Aengstlichkeit (82 %), kardio-vaskuläre Erkrankungen (76 %) und Karzinomerkrankungen (49 %) sowie vermehrten Stressoren, die sich signifikant von den Partnern mit AB- und IB-Patienten unterschieden (alle Fs > 5.89, alle Ps < 0.001). Partner mit IB-Patienten zeigten signifikant häufiger affektive Störungen (82 %) verbunden mit chronischem Rückenschmerz (34 %). Im Vergleich zu Partnern von AB-Patienten, wiesen die Partner von DYS- und IB-Patienten Unterschiede zu ihren erkrankten Partnern in der Einschätzung der Schmerzintensität, Beeinträchtigung, affektiven Verstimmung und Aktivität (alle Fs > 4.28, alle Ps < 0.01) auf. Die Komorbiditat und unterschiedliche Einschätzung der Partner korrelierte hoch mit der Schmerzintensität (r=. 71), Beeinträchtigung, affektiven Verstimmung und Aktivität der Patienten (all r > 0.70, p=. 001). Die Zufriedenheit mit der Partnerschaft war bei den Partnern mit ABund DYS-Patienten am höchsten und bei Partnern mit IB-Patienten am geringsten (p>0.001). Schlussfolgerung: Die Unterschiede in der Einschätzung der Schmerzintensität, Beeinträchtigung, affektiven Verstimmung und Aktivität zwischen den DYS- und IB-Patienten und ihren Partnern weist auf die Notwendigkeit hin, Partner in die operante und kognitiv-behaviorale Schmerztherapie einzubeziehen. Patienten von IB-Patienten sollten zusätzlich eine Einzeltherapie zur Behandlung der affektiven Störungen erhalten. In einer Untersuchung zum Thema „Therapieeffekte der Bezugspersonen von Patienten mit Fibromyalgie und chronischem Rückenschmerz nach operanter Schmerztherapie“ von M. Diers und K. Thieme wurden Therapieeffekte der operant behaviouralen (OBT) und kognitive-behaviouralen (KBT) Schmerztherapie für Fibromyalgie (FM) evaluiert. Methode: 125 Partner von Patienten, die die Kriterien des American
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College of Rheumatology für FM erfüllten wurden zufällig der OBT (n = 43), CBT (n = 42) oder einer Aufmerksamkeits-Placebo-Gruppe (AP, n = 40), in der FM-bezogene Probleme diskutiert wurden, zugeordnet. Messungen des Schmerzes, Beeinträchtigung, affektive Verstimmung und kognitive sowie Verhaltensvariablen wurden vor und nach sowie 6 und 12 Monate nach der Therapie erhoben. Ergebnisse: Die Partner vergleichbar mit den Patienten, die eine OBT oder KBT erhielten, berichteten eine signifikante Reduktion der Schmerzintensität und Beeinträchtigung nach Therapie (all Fs > 4.67, alle Ps < 0.01). Des Weiteren berichteten die Partner, die an der KBT-Gruppe teilnahmen statistisch signifikante Verbesserungen in kognitiven (all Fs > 8.43, alle P < 0.01) and affektiven Variablen (alle Fs > 3.71, alle Ps < 0.01). Die Partner, die in der OBT-Gruppe waren, berichteten statistisch signifikante Verbesserungen in Verhaltensvariablen der Patienten (all Fs > 4.33, alle Ps < 0.01) verglichen mit AP. Die Partner, die in der AP-Gruppe waren, konnten keine signifikanten Verbesserungen bei ihren erkrankten Partnern sondern eher Verschlechterungen in deren outcome-Variablen berichten. Diese Therapieeffekte für die OBT- und KBT-Gruppen wurden über 6- und 12 Monate aufrechterhalten. Die vor der Therapie gefundenen Unterschiede zwischen Partner und Patient in der Einschätzung der Outcomevariablen waren bei den Paaren mit Therapieerfolg, nach Therapie nicht mehr gegeben. Die Komorbidität der Partner war nach OBT und KBT signifikant geringer, wobei affektive Störungen nach KBT und Anpassungsstörungen nach OBT behandelbar waren. Schlussfolgerung: Diese Ergebnisse zeigen dass sowohl OBT als auch KBT effektive Behandlungsmethoden sowohl für den FM-Patienten als auch für den Partner sind wobei die Unterschiede in den outcome Messungen spezifische Therapieeffekte aufwiesen verglichen mit der unstrukturierten Diskussionsgruppe. Die AP-Gruppe zeigte dass unstrukturierte Diskussionen von FM-bezogenen Problemen zu vermehrten Störungen bei Patient und Partner führen können.
EXPERIMENTELLEMODELLE UND PATHOPHYSIOLOGIE Leitungseigenschaften von Nervenfasern – Bedeutung für Schmerz und Schmerztherapie SY-39 Leitungseigenschaften von Nervenfasern – Bedeutung für Schmerz und Schmerztherapie A. Lampert1, O. Obreja2, M. Schmelz3, B. Namer1 1 Institut für Physiologie & Pathophysiologie, Universität Erlangen-Nürnberg, Erlangen, 2Universitätsmedizin Mannheim, Klinik für Anaesthesiologie Klinische und Experimentelle Schmerzforschung, Mannheim, 3Universitätsklinikum Mannheim, Institut für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin, Mannheim Für die Schmerzforschung war über Jahrzehnte das primäre nozizeptive Neuron insbesondere an seiner sensorischen Endigung in der Peripherie und an seiner Synapse im Hinterhorn des Rückenmarks von Interesse. Das Axon wurde eher als passives Kabel betrachtet, welches an den Endigungen entstehende Aktionspotenziale weiterleitet. Inzwischen ist allerdings klar geworden, dass auch dem Axon eine wesentliche Rolle bei der Modulation von Aktionspotenzialfrequenzen zukommt. Dabei sind insbesondere die Umformung des Generatorpotenzials in Aktionspotenzialfolgen (Transformation) und die aktivitätsabhängige Änderung der axonalen Erregbarkeit zu nennen. Letztere führt dazu, das sich Aktionspotenzialfrequenzen auf ihrem Weg durch den peripheren Nerven massiv verändern können. So kann sich bei hoher vorangegangener Aktivität die Aktionspotenzialfrequenz von C-Nozizeptoren entlang des Axons von 50 Hz auf über 150 Hz erhöhen. Axonale Ionenkanäle sind in den Mittelpunkt des klinischen Interes-
ses durch die Entdeckung genetisch bedingter chronischer Schmerzerkrankungen bzw. genetisch bedingter Schmerzlosigkeit gelangt. Für die Entstehung und Fortleitung von Aktionspotentialen entlang von erregbaren Membranen sind schnelle spannungsabhängige Ionenkanäle unabdingbar. Bei den gegebenen Ionenverhältnissen im Säugetierorganismus haben sich dafür neun Subtypen hochspezifischer spannungsgesteuerter Natriumkanäle (Nav) mit schneller Aktivierungsund Inaktivierungskinetik entwickelt, von denen die meisten embryonal oder dauerhaft von Neuronen exprimiert werden. Für primär-afferente Neurone mit langsam leitenden, überwiegend unmyelinisierten nozizeptiven Nervenfasern (C-Fasern) sind drei Typen dieser Natriumkanäle (Nav1.7-1.9) charakteristisch, die sich in wesentlichen Details, z. B. der Blockierbarkeit durch Tetrodotoxin, unterscheiden. Schon kleine Änderungen der Kinetik dieser Natriumkanäle können zu massiven Störungen der nozizeptiven Funktion führen. Das zeigt sich eindrucksvoll, wenn Punktmutationen im Natriumkanal hereditäre Schmerzkrankheiten auslösen, wie dies z. B. bei der Erythromelalgie der Fall ist. Im peripheren Nerven läßt sich die axonalen Erregbarkeit von unmyelinisierten Nozizeptoren durch aktivitätsabhängige Änderungen Leitungsgeschwindigkeit untersuchen. Dabei führen vorangegangene Aktionspotenziale zu einer Reduktion der Leitungsgeschwindigkeit. Interessanterweise unterscheiden sich verschiedene Nozizeptorklassen in ihrer axonalen Erregbarkeit, wobei die mechano-insensitiven Nozizeptoren („stumme Nozizeptoren“) sich durch ihre viel stärkere aktivitätsabhängige Verlangsamung der Leitgeschwindigkeit gegenüber den polymodalen Nozizeptoren abgrenzen. Der Nervenwachstumsfaktor (NGF) sensibilisiert Nozizeptoren und bewirkt klinisch eine lang andauernde mechanische und thermische Überempfindlichkeit. Weil NGF die Expression von axonalen Natriumkanälen moduliert, ist es zu vermuten, dass auch die axonalen Eigenschaften von Nozizeptoren durch NGF beeinflusst werden. Mittels elektrophysiologischen Verfahren wurde belegt, dass identische Klassen von Nozizeptoren und NichtNozizeptoren bei Menschen und Schwein existieren. Daher wurden die Effekte des Nervenwachstumsfaktors auf die axonalen Eigenschaften von C-Faser Klassen am Schwein untersucht. Nach intrakutaner Injektion von NGF wurden in vivo extrazelluläre Ableitungen vom N. saphenus beim Schwein nach einer und 3 Wochen durchgeführt. Eine Woche nach NGF Gabe nahm der Anteil von C-Fasern mit viel aktivitätsabhängiger Reduktion der Leitungsgeschwindigkeit drastisch ab. Drei Wochen nach NGF-Behandlung stieg der Anteil von polymodalen Nozizeptoren und deren mechanischen Schwellen sanken. Nach einer und auch nach 3 Wochen reduzierte die Vorbehandlung mit NGF die aktivitätsabhängige Reduktion der Leitungsgeschwindigkeit mechanoinsensitiver Nozizeptoren signifikant. Die Wirkung war dosisabhängig. Da NGF sowohl die sensorischen als auch die axonalen Eigenschaften von C-Fasern verändert, ist ein phänotypischer Wandel von Nozizeptorklassen durch NGF möglich. NGF bewirkt demnach eine differenzielle Sensibilisierung der axonalen Erregbarkeit von mechano-insensitiver Nozizeptoren, die über mindestens 3 Wochen anhält. Die aufgrund klinisch therapeutischer Ergebnisse postulierte zentrale Rolle von NGF für die Aufrechterhaltung chronischer Schmerzen könnte somit zum Teil auch auf einer axonalen Sensibilisierung basieren. Axonale Eigenschaften einzelner C-Fasern inklusive der aktivitätsabhängigen Veränderungen der Leitungsgeschwindigkeit können auch am wachen Menschen mit der Methode der Mikroneurographie untersucht werden. Die Mechanismen Der aktivitätsabhängigen Reduktion der Leitungsgeschwindigkeit sind noch nicht vollständig geklärt, jedoch konnte gezeigt werden, dass die langsamen Inaktivierung von Natriumkanälen eine wesentliche Rolle spielt. Somit bietet die Mikroneurographie einen experimentellen Zugang zu axonalen Veränderungen von C-Fasern direkt am wachen Menschen. Bei Patienten mit chronischen Schmerzen wurden sensibilisierte und spontanaktive C-Nozizeptoren mikroneurographisch beobachtet. Die Anzahl der spontanaktiven Fasern korreliert hierbei mit der Schmerzhaftigkeit der Erkrankung. Bei spontanaktiven und sensibilisierten C-Fasern ist auch die axonale Erregbarkeit gesteigert. Es wur-
den Veränderungen der aktivitätsabhängigen Reduktion der Leitungsgeschwindigkeit und der Normalisierung der Leitungsgeschwindigkeit nach höherfrequenter Aktivität gefunden. In dem besonderen Fall einer Patientin mit familiärer Erythromelalgie zeigen sich in der Mikroneurographie eine gesteigerte axonale Erregbarkeit von Nozizeptoren: im Gegensatz zu normalen Nozizeptoren, deren Erregbarkeit sich bei wiederholter Aktivierung reduziert, werden Nozizeptoren von Patienten mit familiärer Erythromelalgie durch wiederholte Aktivierung erregbarer. Insgesamt beginnt sich somit abzuzeichnen, dass die Ergebnisse aus Einzelkanaluntersuchungen, in-vivo Daten am Versuchtier, Einzelfaserableitungen am Probanden und am chronischen Schmerzpatienten konsistent in Verbindung stehen. Damit besteht Grund für die Hoffnung, die Physiologie und Pathophysiologie der axonalen Regulationsmechanismen für Schmerz durchgängig vom Molekül bis zum erkrankten Patienten nachvollziehbar machen zu können und über die Erforschung der Rolle von axonalen Ionenkanälen und Pumpen Zielstrukturen für die Behandlung chronischer Schmerzen zu validieren.
VISIONEN UND IRRTÜMER Schmerz(psycho)therapie –Quo vadis? SY-41 Schmerz(psycho)therapie – Quo vadis? H. Reinecke1, C. Weber1, K. Lange1, M. Simon1, W. Häuser2 1 Klinische Psychologie und Psychotherapie, Technische Universität, Darmstadt, 2Medizinische Klinik I, Klinikum Saarbrücken 1) Evidenzbasierter Rückblick und neuroplastischer Ausblick auf schmerztherapeutische Verfahren Dr. rer. nat. Henriette Reinecke und Dipl.-Psych. Christoph Weber Klinische Psychologie und Psychotherapie Technische Universität Darmstadt Aus fünf Meta-Analysen zur Verhaltenstherapie (VT) und kognitiven Verhaltenstherapie (KVT) bei chronischen nicht tumorbedingten Schmerzen (Morley 1999, Hoffman 2007, Ostelo 2008, Eccleston 2009, LONTS 2009) ergeben sich je nach Art der Kontrollgruppe vernachlässigbare bis mittlere Effektstärken. Nach Eccleston (2009) bewirken behaviorale Therapieansätze (Biofeedback, behaviorales Treatment, operantes Treatment, Relaxation) Schmerzreduktionen moderater Effektstärke (SMD = -0.55) beim Vergleich mit ’Treatment as usual’ (TAU). Kognitiv-behaviorale Ansätze schneiden mit SMD = -0,19 ungünstiger ab. Wird mit aktiven Kontrollgruppen (AK) verglichen, ist mit SMDs ausnahmslos unter -0,20 zu rechnen; eine nachhaltige Wirkung mehrere Monate nach Therapieende ist nicht belegt. Die Effektstärken zur Beeinflussbarkeit der Stimmung und des Behinderungsgrades sind bei KVT etwas besser als bei der VT (Eccleston, 2009). Zusammenfassend kann die gegenüber TAU inkrementelle Schmerzreduktion für einübende (VT) Verfahren als belegt gelten (Reinecke 2010), nicht aber für die kognitiv behavioralen Verfahren mit geringere Übungsanteilen. Dies entspricht vielfachen Befunden zu neuroplastischen Entwicklungen, die in der Regel wiederholte Stimulationen erordern. Derzeit mangelnder Nachhaltigkeit auch der behavioral erzielten Schmerzreduktionen nach Absetzen der verhaltenstherapeutischen Übungen könnte durch regelmäßige, kontrollierte Wiederauffrischungen entgegengewirkt werden. Kognitiv behaviorale Verfahren müssen sich zuerst gegen stark kulturell geprägte Schmerzvorstellungen und -bewertungen durchsetzen, bevor eine hinreichende Bereitschaft zur Akzeptanz Schmerz reduzierender kognitiver Schemata erreicht ist. Ihr Erfolg ist zudem nicht unabhängig von Vorbildungen auf Seiten des Patienten und der therapeutischen Fähigkeit von Therapeuten, sich auf diese auch in Gruppensettings einzustellen. Der Schmerz Supplement 1 · 2010
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Abstracts Die ebenfalls unbefriedigenden Wirkungsindizes der kognitiv behavioralen Verfahren bei Vergleichen gegenüber aktiven Kontrollgruppen sind Hinweis auf die Notwendigkeit einer stärker schmerzspezifischen als Problem bearbeitenden Ausrichtung. Vergleichswerte behavorialer Verfahren gegenüber aktiven Kontrollgruppennsind mangels Studien, Eccleston nennt nur eine, derzeit nicht möglich. Randbedingungen bzw. Plazebo- oder Kontextfaktoren (Miller 2008) sind in schmerztherapeutischen Settings häufig ebenso bedeutsam wie die eigentlichen Agenzien. Bei den bekannten Analgetika können sie mit bis zu 60 % zur Schmerzlinderung beitragen (LONTS 2009). Anders als bei „leeren“ Plazebos für Vergleiche mit Analgetika sind strukturgleiche Kontextbedingungen in psychotherapeutischen RCTs schwerlich zu realisieren, ohne die Glaubwürdigkeit der Scheinbehandlung gänzlich in Frage zu stellen. Auch reine Wartegruppen, d. s. Patienten mit erheblichen Schmerzen ohne jegliche andere Behandlung, sind im schmerzpsychotherapeutischen Bereich schwer herzustellen, ohne dass auf Patienten mit nicht behandlungsbedürftigen Schmerzen zu rekurrieren wäre. Schmerzpsychotherapie hat den Anspruch, Schmerzen zu reduzieren und damit günstige Voraussetzungen für Stimmungs- und Funktionsverbesserungen und die Bewältigung von Restschmerzen zu schaffen. Die gegenüber enthusiastischen Verlautbarungen der Vergangenheit hinzunehmende Wirkungsbescheidenheit bei kognitiv-behavioralen Verfahren ist Anlass, die Methoden auf diesem Gebiet kontrollierter einzusetzen und zu erweitern. 2) Schmerz und Kognition – ein Irrtum? Dipl.-Psych. Katja Lange und Dipl.-Psych. Madeleine Simon Klinische Psychologie und Psychotherapie Technische Universität Darmstadt Kognition und Kognitionswandel kann als höchste Stufe der Informationsverarbeitung von Lebewesen bezeichnet werden. Nach neueren Metaanalysen haben jedoch kognitiv begleitete verhaltenstherapeutische Verfahren selten zu statistisch signifikanten Schmerzreduktionen geführt. Diese in anderen Störungsbereichen gut eingeführten und dort vermutlich erfolgreicheren Verfahren sind daher auf ihre Anwendbarkeit bei chronischen Schmerzen zu reanalysieren. Dabei ist zunächst die generelle Wirksamkeit ihrer Änderungsprinzipien und deren optimalen Umsetzung bei Schmerzpatienten in RCTs und klinischem Alltag zu prüfen. Soweit es die Datenlage zulässt soll entsprechendes für die therapeutischen Randbedingungen geschehen. Erst dann ist zu klären, in wie weit die kognitiv behavioralen Änderungsprinzipien sowie günstige Randbedingungen in den RCTs realisiert wurden, die Grundlage metaanalytischer Betrachtungen waren. Änderungsprizipien Anders als vielen behavioralen Änderungsprinzipien fehlt kognitiven Therapien die experimentalpsychologische Basis. Wichtige Maßnahmen (Ellis, Beck) wurden im klinischen Alltag entwickelt. Dennoch lassen sich experimentalpsychologische Befunde zuordnen und mit metaanalytischen Methoden auf Wirksamkeit prüfen. Zur Wirksamkeitsprüfung elementarer kognitiver Änderungsprinzipien sind u. a. Ergebnisse zum Einstellungswechsel durch Erzeugung kognitiver Dissonanz und zum durch spezielle Coping Angebote angestrebten Bewertungswechsel experimentell induzierter Schmerzen systematisch zu analysieren. Randbedingungen Wichtige Randbedingungen kognitiver Verfahren lassen sich experimentell nur unvollständig realisieren. Aus Untersuchungen zum Imitationsverhalten und Modellernen ist die förderliche Wirkung einer zwischenmenschlichen Beziehung auf die Übernahmewahrscheinlichkeit von Denk- und Verhaltensmustern bekannt. Die therapeutische Beziehung gilt als wichtiger Wirkfaktor psychologischer Interventionen (Grawe, 2005). Die Interaktion in erfolgreichen Therapien ist durch die vom Patienten wahrgenommene Unterstützung, seine Mitarbeit und Eigeninitiative gekennzeichnet. Bewährt haben sich dabei Änderungsberichte über die Einsicht des Patienten in vermittelte Zusammenhänge (Schindler, 1991; Kaimer, 1989).
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Ausreichend Zeit für Veränderungsprozesse, eine aktive Beteiligung des Patienten und eine Individualisierung der Therapie erscheint in Gruppensettings mit kurzer Dauer und wenig intensiven dyadischen Kontakten schwer zu realisieren. So finden sich bei den in Eccleston (2009) berichteten Studien Behandlungsdauern von 6 Stunden bzw. 6 bis 8 Sitzungen; d. h. ca. ein Drittel der für eine Kurzzeittherapie üblicher Weise angesetzte Dauer von 25 Stunden. Die Interventionen wurden zudem in einigen Studien ausschließlich im Gruppensetting mit Gruppengrößen bis zu 17 Teilnehmern durchgeführt. Das sind eher ungünstige Randbedingungen für die Wirksamkeit der meisten kognitiven Änderungsprinzipien: Kognitive Umstrukturierung: Eine kognitive Umstrukturierung sollte auf individualisierter Basis, z. B. während eines sokratischen Dialoges, erfolgen (Wilken, 2008). Dissonanzreduktion: Veränderungsbemühungen im Rahmen einer Psychotherapie sind mit Widerständen verbunden. Die Diskrepanz zwischen dem bisherigen Denk- und Verhaltensstil und für den Patienten neuartigen und unintuitiven Denkweisen erzeugt kognitive Dissonanz. Diese erschwert oder verhindert eine Integration funktionalerer Kognitionen in das bestehende System (Festinger, 1957). Die Phase der gestörten Konsistenz erfordert eine besondere individuelle Vorbereitung mit dem Ziel, das Konsistenzstreben des Patienten für die gewünschte therapeutische Veränderung zu nutzen. Effort Justification: Dem Patient muss ermöglicht werden, sich auf Basis des mit der Therapie einhergehenden Aufwandes, bewusst für die positiven Aspekte des Zielzustandes zu entscheiden, um eine Integration der neuen Kognitionen zu erleichtern (Aronson & Mills, 1959). Die Änderungsresistenz von Kognitionen ist umso höher, je stärker sie durch Vernetzungen in das kognitive System eingebunden sind (Festinger, 1957). Besitzen Patienten ein stark somatisches Konzept ihrer Schmerzen, besteht ein genereller Widerstand gegenüber Psychotherapie (Wilson, 1996). Eine Motivationsklärung zu Beginn der Therapie verbunden mit der Durchführung motivationssteigernder Techniken kann den Erfolg der Interventionen steigern (Rau, 2008). Selbstwahrnehmung: Die bewusste Einsicht in üblicherweise automatisch ablaufende kognitive Prozesse kann ein entscheidendes Erfolgskriterium für kognitive Interventionsmethoden sein (Segal, 2002). Programme allein zur Steigerung der bewussten Wahrnehmung momentaner mentaler Erfahrungen benötigen mindestens 16 Stunden (Sauer 2009). Schlussfolgerung: Die Einführung kognitiver Verfahren ist trotz derzeit ungünstiger Wirkungsindizes weniger als Irrtum denn als Auftrag zu verstehen, die Randbedingungen dieser Therapieverfahren zu optimieren und bei RCTs auf Applikationsmethoden zu achten, die sich in anderen Anwendungsbereichen als besonders günstig erwiesen haben. Literatur: Aronson, E. & Mills, J. (1959). The effect of severity of initiation on liking for a group. Journal of Abnormal and Social Psychology, 59(2), 177-181. Eccleston, C., Williams, A. C. & Morley, S. (2009). Psychological therapies for the management of chronic pain (excluding headache) in adults. Cochrane Database of Systematic Reviews, Issue 2. Art. No.: CD007407. DOI: 10.1002/14651858. CD007407. pub2. Festinger, L. (1957). A theory of cognitive dissonance. Oxford, England: Row, Peterson. Grawe, K. (2005). Empirisch validierte Wirkfaktoren statt Therapiemethoden. Report Psychologie, 7/8, 311. Kabat-Zinn, J., Lipworth, L. & Burney, R. (1985). The clinical use of mindfulness meditation for the self-regulation of chronic pain. Journal of Behavioral Medicine, 8(2), 163-90. Kaimer, P., Reinecker, H. & Schindler, L. (1989). Interaktionsmuster von Klient und Therapeut bei zwei unterschiedlich erfolgreich behandelten Fällen. Zeitschrift für Klinische Psychologie, 18, 80-92. Schindler, L. (1991). Die empirische Analyse der therapeutischen Beziehung. Beträge zur Prozessforschung in der Verhaltenstherapie. Berlin: Springer.
Rau, J., Ehlebracht-König, I. & Petermann, F. (2008). Einfluss einer Motivationsintervention auf die Bewältigung chronischer Schmerzen. Der Schmerz, 22(5), 575-85. Rödiger, E. (2010). Achtsamkeit und Psychotherapie: Achtsamkeit und innere Dialoge im Veränderungsprozess. Vortrag, Lindauer Psychotherapiewochen 2010. Segal, Z., Williams, J. & Teasdale, J. (2002). Mindfulness-based cognitive therapy for depression. New York: Guilford. Wilken, B. (2008). Methoden der Kognitiven Umstrukturierung (4. Aufl.). Stuttgart: Kohlhammer-Verlag. Wilson, J. J. & Gil, K. M. (1996). The efficacy of psychological and pharmacological interventions for the treatment of chronic disease-related and non-disease-related pain. Clinical Psychological Review, 16(6), 573597. 3) Maßgeschneiderte Schmerzpsychotherapien – eine neue Hoffnung? PD Dr. med. Winfried Häuser Medizinische Klinik I Klinikum Saarbrücken Saarbrücken Die Ergebnisse aktueller systematischer Übersichtsarbeiten zur Wirksamkeit psychotherapeutischer Verfahren bei chronischen Schmerzsyndromen sind ernüchternd. Eine Erklärung für die unzureichende Wirksamkeit ist die fehlende Differenzierung der psychotherapeutischen Methoden in Abhängigkeit von der Art der Schmerzbewältigung, Ausmaß psychosozialer Konflikte und psychischer Komorbidität. In dem Vortrag werden aktuelle Entwicklungen zu einer „maßgeschneiderten“ (tailored) Psychotherapie für Subgruppen von Patienten mit chronischen Schmerzen (Fibromyalgiesyndom, chronische Rückenschmerzen) dargestellt: a. Fear-Avoidance-Modell: Durchhalter und ängstliche Vermeider b. Multidimensional Pain Inventory: Dysfunktionelle und funktionelle Bewältiger, zwischenmenschlich Belastete c. Klassische versus Eriksonianische Hypnose d. Internetbasierte und Life-Psychotherapie
NACHWUCHSSYMPOSIUM DGSS SY-42 Das Nachwuchssymposium der Deutschen Gesellschaft zum Studium des Schmerzes (DGSS) beim Schmerzkongress 2010 W. Magerl1, C. Ahrens2, D. Kohr3, M. Lenz4, K. Jung5, L. Tiemann6 1 Zentrum für Biomedizin und Medizintechnik Mannheim (CBTM), Forschungsbereich Neurophysiologie, Medizinische Fakultät Mannheim, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Mannheim, 2Vulpius Klinik GmbH, Sektion Orthopädie, Bad Rappenau, 3Neurologische Klinik, Justus-Liebig-Universität Giessen, 4Neurologische Klinik, Ruhr-Universität Bochum, BG-Universitätsklinikum Bergmannsheil, Bochum, 5Medical Physiology & Experimental Pharmacology Group, Center for Sensory-Motor Interaction, Department of Health Science and Technology, Aalborg University, Aalborg, Dänemark, 6Neurologische Klinik und Poliklinik, Technische Universität München Die DGSS unterstützt seit 2008 die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchs in der Schmerzforschung gezielt mit der Einführung einer Akademie für junge Wissenschaftler (Juniorakademie der DGSS; seit 2008) und der Vergabe von Promotionsstipendien (seit 2009) für den wissenschaftlichen Nachwuchs, der über schmerzbezogene Themen arbeitet. Aus dem Kreis der Teilnehmer zurückliegender Juniorakademien bzw. der Promotionsstipendiaten wählt die Kommission für Nachwuchsförderung Redner für das Nachwuchssymposium des Schmerzkongresses (seit 2009), die die hohe Qualität und wissenschaftliche Relevanz der bearbeiteten Themen repräsentieren. Der nachfolgende Text gibt eine kurze Einführung in die Präsentationen im Rahmen des diesjährigen Nachwuchssymposiums der DGSS.
Die Depression ist eine häufige Komorbidität chronischer Schmerzerkrankungen, wie chronischen Rückenschmerzen. Das Auftreten einer der beiden Krankheitsentitäten ist Prädiktor der jeweils anderen und begünstigt deren Auftreten. Die Erhöhung proinflammatorischer Zytokine (IL-1, IL-6, TNFa) lösen charakteristischerweise Krankheitsverhalten („sickness behavior“) mit Symptomen erhöhter Schmerzwahrnehmung und Depression aus und korrelieren mit der Prävalenz von Depression und Plus-Phänomenen der Schmerzwahrnehmung, wie peripherer und zentraler Sensibilisierung (Hyperalgesie). Carsten Ahrens stellt Daten vor aus einer Studie an Patienten mit chronischen myofaszialen Rückenschmerzen mit oder ohne gleichzeitige depressive Komorbidität (Ahrens et al. 2010b). Beide Gruppen unterschieden sich nicht bezüglich ihrer Schmerzen, die sich im Verlauf der Therapie durch stationäre multimodale Therapie verringerten. Interessanterweise profitierte die depressiv komorbide Gruppe mehr und dauerhafter von der therapeutischen Intervention. Die Gruppe der depressiv komorbiden Patienten zeigte neben einem signifikant höheren Depressionsniveau (p<0.001) auch signifikant höhere rückenbezogene Beeinträchtigungen (p<0.05). Im Verlauf der Therapie und bei 6 Monate Follow-up verbesserten sich beide Parametern und beide Patientengruppen unterschieden sich nicht mehr. Der Serumspiegel von TNFa war in beiden Gruppen erhöht, fiel aber innerhalb von 10 Tagen auf das Niveau gesunder Vergleichspersonen. Ein paraller Verlauf zeigt sich auch in der gesundheitsbezogen Lebensqualität (Ahrens et al. 2010a). Es war demnach in den untersuchten Gruppen unerheblich, ob initial eine depressive Komorbidität bestand. Außerdem der Erfolg einer stationären multimodalen Therapie in beiden Gruppen verglichen. Die Ätiologie des chronisch regionalen Schmerzsyndroms (CRPS) ist in vielen Aspekten bisher noch unklar. Es gibt jedoch zunehmend Hinwiese auf eine Schädigung der peripheren Innervation, der Beteiligung des Immunsystems, sowie Prozesse zentralnervöser Plastizität in der Pathogenese des CRPS. Danielle Kohr wird in ihrer Präsentation fokussieren auf die Beteiligung immunologischer Prozesse (Kohr et al. 2010). Bei über 40 % der Patienten lassen sich Autoantikörper gegen neuronale Strukturen nachweisen (Kohr et al. 2009). Diese Antikörper richten sich gegen Antigene des autonomen Nervensystems. Sie konnte in vitro den Nachweis funktionell aktiver, oberflächen-bindender Autoantikörper gegen vegetative Neurone bei Patienten mit CRPS erbringen. Diese finden sich bereits gegen undifferenzierte Vorläuferzellen, bevorzugt aber an differenzierten cholinergen Neuroblastomzellen. Diese Auffälligkeiten fanden sich nicht bei gesunden Kontrollpersonen oder anderen Gruppen von Patienten mit neuropathischem Schmerz. Diese Ergebnisse deuten auf die Präsenz einer humoralen Autoimmunreaktion bei der Entstehung des CRPS in einer Subgruppe von Patienten hin. Beim CRPS-Patienten sind jedoch auch Reorganisationsprozesse im motorischen und somatosensorischen Kortex bekannt (Pleger et al. 2006). Melanie Lenz wird in ihrem Beitrag (Lenz et al. 2010) der Frage nachgehen, ob die im motorischen System von Patienten mit CRPS beschriebene Disinhibition (Schwenkkreis et al. 2010) auch im somatosensorischen Kortex zu finden ist und ob diese mit dem akuten oder andauernden Schmerz bzw. mit der sensorischen Tastleistung (Zweipunkt-Diskrimination) korreliert. Patienten mit CRPS Typ I mit einer klinischen Symptomatik an einer oberen Extremität wurden analysiert. Als Kontrollgruppen dienten Patienten mit nicht-neuropathischen Extremitätenschmerzen und gesunde Probanden. Die Exzitabilität im somatosensorischen Kortex wurde mit Hilfe Doppelpuls-evozierter somatosensorischer Potentiale (D-SEP) nach Stimulation des N. Medianus untersucht. Obwohl die klinischen Symptome des CRPS I nur einseitig auftraten, fand sich eine kortikale Disinhibition für den somatosensorischen Kortex in beiden Hemisphären (beidseits erhöhter Amplituden-Quotient). Die kortikale somatosensorische Disinhibition korrelierte jedoch nicht mit der Schmerzintensität und mit der sensorischen Tastleistung allein auf der betroffenen Seite (r=0.54). Die bilaterale Disinhibition des zentralen sensomotorischen Netzwerks scheint für CRPS I-Patienten spezifisch zu sein, da sie bei der hier untersuchten Kontrollgruppe von Schmerzpatienten mit nicht-neuropathischem Der Schmerz Supplement 1 · 2010
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Abstracts Extremitätenschmerz nicht zu finden war. Ihre pathophysiologische Bedeutung bei CRPS-Patienten bleibt aber zunächst noch unklar. Die nozizeptive synaptische Übertragung kann durch hoch bzw. niederfrequente elektrische Stimulation (HFS, LFS) bidirektional modifiziert werden mit der Folge gesteigerter oder verminderter Schmerzempfindlichkeit (Langzeitpotenzierung, Langzeitdeopression; Klein et al. 2004, Rottmann et al. 2009). Der Beitrag von Kerstin Jung zeigt die Modifikation der Schmerzempfindlichkeit und der korrespondierenden kortikalen Aktivierung nach niederfrequenter Stimulation in MultielektrodenEEG-Ableitungen und Quellenrekonstruktion (Jung et al. 2010). Die Schmerzbewertung von Testreizserien im Innervationsgebiet des Nervus radialis superficialis nahm nach LFS signifikant ab (p<0.001) und es fand sich ein signifikanter Unterschied in der Schmerzempfindung zwischen Arealen nach LFS vs. unstimulierter Kontrollareale (p<0.01). Die Topografie der evozierten Potentiale zeigte reproduzierbare negative (N2) und positive (P2) Komponenten. Nach LFS nahm die P2-Dipolstärke signifikant ab und der P2-Dipol verschob sich nach parietal. Elektrophysiologische Aktivierung und subjektiver Wahrnehmung zeigen also synonym den Langzeitdepressionseffekt niederfrequenter Stimulation. Ähnliche Resultate sind auch mittels funktioneller Kernspintomographie nachweisbar (Rottmann et al. 2009). Eine andere Komponente der kortikalen Aktivierung ist der Gegenstand der Präsentation von Laura Tiemann (Tiemann et al. 2010b). Die Aufmerksamkeit auf sensorische Inhalte, also z. B. schmerzhafte Reize, wird mit einer Erhöhung der Aktivität im Gamma-Band des EEGs (Gamma-Oszillationen; 30-100 Hz) über den sensorischen Arealen des menschlichen Gehirns in Verbindung gebracht. Während der Ausführung eines aufmerksamkeitsfordernden visuellen Reaktionszeitparadigmas wurde bei gesunden Probanden ein 64-Kanal EEG abgeleitet. Die mit der visuellen Aufgabe und der schmerzhaften Reizung assoziierte neuronale Aktivität wurde mittels Zeit-Frequenz-Repräsentationen dargestellt und auf Elektroden- und Quellenebene analysiert. Bei der Hälfte der Durchgänge wurden zusätzlich kurze Schmerzreize durch Laserstimulation gegeben. Die visuelle Stimulation führte zu Gamma-Oszillationen um 60Hz im visuellen Kortex, die schmerzhafte Laserstimulation induzierte Gamma-Oszillationen um 80 Hz im primären somatosensorischen Kortex. Bei einem Teil der Probanden führten die schmerzhaften Reize zu einer Verlangsamung der Reaktionszeiten in der visuellen Aufgabe. Bei diesen Probanden zeigte sich 200 – 350 ms nach schmerzhafter Stimulation eine Verminderung der Gamma-Oszillationen im rechten visuellen Kortex (p<0.02), die positiv mit der Verlangsamung der Reaktionszeiten in der visuellen Aufgabe (r=0.68; p<0.0001) und negativ mit der Erhöhung der schmerzinduzierten Gamma-Oszillationen über zentralen Elektroden (r=0.53, p<0.02) korrelierte. Die Ergebnisse zeigen, dass die Auswirkungen schmerzhafter Reize auf die Aufmerksamkeit eng mit der Modulation von Gamma-Oszillationen im menschlichen Gehirn assoziiert sind. Die Variabilität der Effekte von Schmerz zeigt, dass Schmerz bei gesunden Probanden zu flexiblen und adaptiven Modulationen von Aufmerksamkeit und neuronalen Gamma-Oszillationen führt. Die Präsentationen dieses Nachwuchssymposiums werden zeigen, dass Nachwuchsforscher der DGSS sich kompetent und mit einem breiten Spektrum hochaktueller Themen profilieren, die von avancierter neurobiologischer Analyse bis zu patienten- und therapiebezogen Themen reichen. Referenzen: Ahrens C, Schiltenwolf M, Wang H (2010a) Health-related quality of life (SF-36) in chronic low back pain and comorbid depression] Der Schmerz 24(3): 251-256. Ahrens C, Magerl W, Schiltenwolf M, Wang H (2010b) Multimodale Schmerztherapie bei chronischen Rückenschmerzpatienten mit oder ohne depressive Komorbidität. Der Schmerz 24 Supplement 1, P09.7 Jung K, Rottmann S, Ellrich J (2009) Long-term depression of spinal nociception and pain in man: influence of varying stimulation parameters. Eur J Pain 13(2): 161-170. Jung K, Lelic D, Rottmann S, Drewes AM, Petrini L, Ellrich J (2010) Änderung des zerebralen Aktivierungsmusters bei Langzeithemmung von Schmerz und Nozizeption. Der Schmerz 24 Supplement 1, P03.9
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Klein T, Magerl W, Hopf HC, Sandkühler J, Treede RD (2004) Perceptual correlates of nociceptive long-term potentiation and long-term depression in humans. J Neurosci 24: 964-971. Kohr D, Tschernatsch M, Schmitz K, Singh P, Kaps M, Schäfer KH, Diener M, Mathies J, Matz O, Kummer W, Maihöfner C, Fritz T, Birklein F, Blaes F (2009) Autoantibodies in complex regional pain syndrome bind to a differentiation-dependent neuronal surface autoantigen. Pain 143(3): 246-251. Kohr D, Singh P, Tschernatsch M, Kaps M, Diener M, Birklein F, Wallukat G, Blaes F (2010) Komplexes Regionales Schmerzsyndrom: eine Autoimmunerkrankung des autonomen Nervensystems. Der Schmerz 24 Supplement 1, P01.5 Lenz M, Tegenthoff M, P. Schwenkreis P, O. Höffken O, S. Lissek S, Stude P, Reinersmann A, Frettlöh J, Maier C (2010) Spezifische Veränderungen zentralnervöser sensomotorischer Erregbarkeit bei Patienten mit Komplexem Regionalen Schmerzsyndrom (CRPS Typ I). Der Schmerz 24 Supplement 1, P08.12 Pleger B, Ragert P, Schwenkreis P, Förster AF, Wilimzig C, Dinse H, Nicolas V, Maier C, Tegenthoff M (2006) Patterns of cortical reorganization parallel impaired tactile discrimination and pain intensity in complex regional pain syndrome. Neuroimage 32(2): 503-510. Rottmann S, Jung K, Vohn R, Ellrich J (2010) Long-term depression of pain-related cerebral activation in healthy man: an fMRI study. Eur J Pain 14(6): 615-624. Schwenkreis P, Scherens A, Rönnau AK, Höffken O, Tegenthoff M, Maier C (2010) Cortical disinhibition occurs in chronic neuropathic, but not in chronic nociceptive pain. BMC Neurosci. 11: 73. Tiemann L, Schulz E, Gross J, Ploner M. (2010a) Gamma oscillations as a neuronal correlate of the attentional effects of pain. Pain 150(2): 302-308. Tiemann L, Schulz E, Gross J, Ploner M. (2010b) Gamma Oszillationen als neuronales Korrelat schmerzassoziierter Aufmerksamkeit. Der Schmerz 24 Supplement 1, P03.10
EXPERIMENTELLE MODELLE UND PATHOPHYSIOLOGIE Funktionelle abdominelle Schmerzsyndrome: Störungen der Darm-Gehirn-Achse als pathophysiologisches und therapeutisches Konzept SY-43 Funktionelle abdominale Schmerzsyndrome: Störungen der DarmGehirn-Achse als pathophysiologisches und therapeutisches Konzept V. Andresen1, U. Ellert2, P. Enck2, I. Schwille3, O. Wilder-Smith4 1 Medizinische Klinik, Israelitisches Krankenhaus, Hamburg, 2Department of Internal Medicine VI: Psychosomatic Medicine and Psychotherapy, Tübingen, 3Department of Epidemiology, Health Monitoring, Robert KochInstitute, Berlin, 4Radboud University Nijmegen Medical Centre, Nijmegen, Niederlande Viszeraler Schmerz ist ein häufig präsentierendes Symptom, das oft schwierig zu behandeln ist. Wenn die pathophysiologische Ursache der Krankheit bekannt oder evident ist (z. B. chronische Pankreatitis), dann ist der optimale Behandlungszugang in erster Instanz eine kausale Therapie. Leider ist dies oft nicht der Fall bei chronischen viszeralen Schmerzsyndromen. Diese Erkrankungen werden dann der Gruppe derfunktionellen abdominellen Erkrankungen zugeordnet. Noch vor wenigen Jahren war das Wissen über funktionelle abdominelle Erkrankungen recht eingeschränkt und man definierte die Erkrankungen nur darüber, dass Patienten Bauchschmerzen und andere gastrointestinale Symptome hatten, deren Ursachen man nicht richtig erklären
konnte. Intensive Forschungsaktivitäten der letzten Jahre haben dazu geführt, dass man bei vielen betroffenen Patienten inzwischen eine Anzahl von pathophysiologischen Veränderungen sowohl im Bereich des Gastrointestinaltrakts selbst als auch im Bereich der spezifischen und allgemeinen Reiz- und Schmerzverarbeitung nachweisen kann. Bei Patienten mit Reizdarmsyndrom, welches charakterisiert ist durch eine Kombination von Bauchschmerzen und Stuhlgangsveränderungen, wurde inzwischen eine Vielzahl von Veränderungen beschrieben, die direkt oder indirekt die Funktion des darmeigenen enterischen Nervensystems (ENS) sowie die Interaktion zwischen dem enterischen und zentralen Nervensystem (ZNS) beeinflussen können. Ein wichtiger Fokus ist hierbei das Immunsystem der Darmmukosa: Veränderungen der Art, der Anzahl sowie der Aktivität verschiedener Immunzellen (vor allem Lymphozyten, Mastzellen) deuten auf chronische, unterschwellige Entzündungsprozesse hin. Auch Veränderungen der bakteriellen Flora sowie deren Interaktion mit dem mukosalen Immunsystem werden vermutet. Zu diesen Befunden paßt die inzwischen vielfach belegte Erkenntnis, daß zumindest eine Untergruppe des Reizdarmsyndroms durch akute bakterielle Darminfekte ausgelöst wird. Es konnte zudem gezeigt werden, daß bestimmte Mediator-Substanzen, die sich in der Mukosa von RDS-Patienten vermehrt finden (wie z. B. Histamin, Serotonin oder Proteasen) zu einer Aktivierung des ENS sowie von viszeralen Afferenzen führt. Diese Nervenaktivierungen könnten einerseits mitursächlich sein für die Veränderungen der Darm-Motilität, die sich bei vielen Patienten findet. Neben Störungen der Darmpassage (zu langsam oder zu schnell) lassen sich z. B. auch direkte Veränderungen der tonischen (“Spasmen”) und phasischen Motilität nachweisen. Andererseits liegt der Verdacht nahe, daß diese Nervenaktivierungen auch direkt an der Entstehung von viszeralen Schmerzen beteiligt sind. Die Mechanismen des viszeralen Schmerzes sind im letzten Jahrzehnt zunehmend erforscht worden. Dieses Wissen ermöglicht die Entwicklung Mechanismus-orientierter Zugänge zu Störungen in der viszeralen Schmerzverarbeitung. Als Resultat erhoffen wir eine rationellere und erfolgreichere Diagnostik und Therapie im Rahmen des symptomatischen Managements viszeraler Schmerzsyndrome. Die Basis hierzu ist die Entwicklung neuer, klinisch anwendbarer diagnostischer Methoden, die Einsicht ermöglichen in die veränderte Schmerzverarbeitung, welche viszerale Schmerzsyndrome begleitet. Beispiele solcher Methoden sind das bettseitige quantitative sensorische Testen (QST), z. B. für Schmerzempfindlichkeit oder Schmerzmodulation; komplexe viszerale QST, z. B. multimodale endoskopische Stimulationstechniken; oder fortgeschrittene neurodiagnostische Verfahren, z. B. multikanal EEG oder funktionelles MRI. In diesem Kontext stehen die folgenden vier diagnostischen Fragen zentral, um ein Mechanismus-orientiertes symptomatisches Management viszeraler Schmerzsyndrome zu erreichen: 1) Was ist die periphere Quelle des nozizeptiven Inputs? 2) Ist das Nervensystem beschädigt? 3) Hat der nozizeptive Input die zentrale Schmerzverarbeitung verändert? 4) Sind veränderte zentrale Schmerzverarbeitung und Schmerz noch vom peripheren nozizeptiven Input abhängig? Periphere Quelle des nozizeptiven Inputs 1) Es ist wichtig, die Quelle des nozizeptiven Inputs im Sinne einer anatomische Läsion zu entdecken, denn nur auf Basis dieser Information ist der Versuch denkbar, diesen Input zu entfernen (z. B. durch kausale Therapie der gestörten Funktion oder chirurgischen Eingriff) oder zu blocken (z. B. durch lokalanästhetische Blockade, permanente Nervenläsion). Ist dies nicht möglich, muss zumindest über andere Maßnahmen zur Verminderung des peripheren nozizeptiven Inputs nachgedacht werden (z. B. Opioïden, NSAIDs, etc.). Beschädigtes Nervensystem 2) Die Identifikation begleitender Schäden am Nervensystem ist maßgeblich, da das Vorhanden- oder Abwesendsein solcher Schäden ein zentraler prognostischer Faktor bei chronischen Schmerzsyndromen ist. Beschädigte periphere Nerven verstärken nozizeptiven Input, und
können auch spontanen oder nachläutenden nozizeptiven Input verursachen. Insbesondere verursacht die Gegenwart von Nervenschäden tiefgreifende Veränderungen in der supraspinalen Schmerzverarbeitung, wie z. B. zentrale Sensibilisierung, Verlust deszendierender Inhibition sowie Entwicklung deszendierender Fazilitation. Die Diagnose von Nervenschäden wird unterstützt durch spezifische Instrumente wie z. B. screening Fragebögen (z. B. PainDetect), QST (z. B. das DFNSProtokoll), neurophysiologische Tests (z. B. evozierte Potentiale) oder Neuroimaging-Methoden (z. B. MRI). Die Diagnose von Nervenschäden ist eine Indikation für spezifische therapeutische Maßregeln, wie das Verschreiben antineuropathischer Medikamente, z. B. trizyklische Antidepressiva oder Gabapentinoide. Veränderte zentrale Schmerzverarbeitung 3) Die formale Diagnose veränderter zentraler Schmerzverarbeitung hat eine Schlüsselrolle im effektiven Mechanismus-orientierten Management viszeraler Schmerzsyndrome. Solche Veränderungen in der Schmerzverarbeitung können relativ einfach mit bettseitgem QST diagnostiziert werden, wobei gezielt nach segmentaler oder generalisierter mechanischer Hyperalgesie geschaut wird. Die mit der zentralen Sensibilisierung verbundene generalisierende Hyperalgesie trägt maßgeblich zur Morbidität und schlechten Prognose chronischer Schmerzsyndrome bei. So erfordert das Vorhandensein zentraler Sensibilisierung (vor allem supraspinal) eine spezifische Behandlung dieses Phänomens, z. B. durch Gabapentinoide oder NMDA-RezeptorBlocker. Bei Nicht-Behandlung einer zentralen Sensibilisierung drohen auch Probleme mit der Anwendung von Opioïden zur Kontrolle des nozizeptiven Inputs: ein höhere Maß von Hyperalgesie ist verbunden an eine schlechtere Schmerzlinderung durch Opioide. Auch der Verlust deszendierender inhibitorischer Kontrollen ist eine wichtige Quelle generalisierender Hyperalgesie, und wird zunehmend bei chronischen Schmerzsyndromen – auch viszeraler Genese – beschrieben. Eine schlechte inhibitorische Schmerzmodulation scheint eine wichtige Rolle bei der Entwicklung und Progression chronischer Schmerzen zu spielen (Yarnitsky 2008). Die Funktion solcher wichtiger schmerzmodulatorischer Kontrollen kann mittels Paradigmen, welche solche Kontrollen (z. B. DNIC = diffuse noxious inhibitory controls) durch Eiswasser oder Tourniquet auslösen, einfach überprüft werden. Verhältnis zwischen peripherem nozizeptivem Input und veränderter zentraler Schmerzverarbeitung 4) Es wird zunehmend erkannt, dass fortbestehender, aggressiver nozizeptiver Input – vor allem im Kontext zentraler Sensibilisierung oder neuropathischer Schmerzen – durch zentrale kortikale Reorganisation begleitet werden kann, welche dann auch unabhängig werden kann vom peripheren nozizeptiven Input. Die Rolle einer solchen Autonomie kann im klinischen Rahmen getestet werden durch einen Maßnahme (z. B. einen Nervenblock), die den peripheren nozizeptiven Input unterbricht. Wenn die Veränderungen in der zentralen Schmerzverarbeitung unabhängig vom peripheren nozizeptiven Input sind, dann liegt eine Autonomie vor. In diesem Fall ist es unwahrscheinlich, dass weiter Maßnahmen, um den peripheren nozizeptiven Input zu vermindern, erfolgreich sein werden, und muss sich die Therapie vor allem auf das Bestreiten der zentralen Funktionsstörungen richten. Die Maßnahmen um dies zu erreichen sind zur Zeit noch relativ schlecht erforscht, könnten aber sowohl pharmakologische Mittel zur Reduktion der zentralen Sensibilisierung beinhalten (z. B. Ketamine, Gabapentinoide), als auch Techniken zur Bekämpfung der zentralen Reorganisation (z. B. elektrische oder magnetische transkranielle Stimulation, spezifische Physiotherapie mittels virtueller Realität oder Biofeedback). Chronische viszerale Schmerzsyndrome sind nicht nur bei Erwachsenen relevant. Epidemiologie chronischer Abdominalschmerzen bei Kindern und Jugendlichen Chronische Abdominalschmerzen sind ein häufiges klinisches Problem bei Kindern und Jugendlichen. Eine große Gemeinde-basierte epidemiologische Studie (KiGGS) hat nun in Deutschland über mehrere Jahre (2003-2006) genauere Daten über die Prävalenz des Beschwerde-
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Abstracts bildes in verschiedenen Altersgruppen sowie über die Häufigkeit darin begründeter Arzt-Besuche erhoben. Dabei ergaben sich insgesamt sehr hohe Prävalenzraten für abdominelle Schmerzen bei Kindern und Jugendlichen. Die 3-Monats-Prävalenz-Raten sanken mit zunehmendem Alter (69,3 % bei Kindern, 59,6 % bei Jugendlichen) und waren jeweils signifikant höher bei Mädchen. Bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund fanden sich signifikant höhere Prävalenzraten als bei Einheimischen. Mehr als die Hälfte der Kinder (51,6 %) und ein Drittel der Jugendlichen (38,5 %) suchten wegen der Beschwerden einen Arzt auf. Häufig wurden wegen der Beschwerden auch Medikamente eingenommen. Insgesamt unterstreicht diese Studie, dass hohe Prävalenzraten von abdominellen Schmerzen bei Kindern und Jugendlichen sowie die daraus resultierenden Arztkonsultationen ein bedeutendes Gesundheits-Problem darstellen.
EPIDEMIOLOGIE UND GENETIK Soziale Ungleichheit und Schmerzstörungen in Deutschland SY-44 Soziale Ungleichheit und Schmerzstörungen in Deutschland C. Schmidt1, P. Nilges2, T. Kohlmann1, B. Kröner-Herwig3 1 Universität Greifswald, 2DRK Schmerz-Zentrum Mainz, 3Georg-Elias-MüllerInstitut für Psychologie, Göttingen Soziale Ungleichheit in Gesundheit und Krankheit ist ein Fakt in den Industrienationen (Mackenbach et al. 2008). Deutschland bildet hierbei keine Ausnahme. Eine besondere Rolle kommt Merkmalen der horizontalen Ungleichheit zu. Diese umfasst das Bildungsniveau, den beruflichen Status sowie das Einkommen. Zahlreiche Studien belegen, dass diese Faktoren auch für das Auftreten von Schmerzsymptomen relevant sind (z. B. Dionne et al. 2001). So ist das Risiko von Personen der untersten englischen sozialen Schicht für das Entstehen von Chronic Widespread Pain rund 3 Mal höher als für Personen der höchsten sozialen Schicht (Mcfarlane et al. 2009). Für Deutschland gibt es auch einige epidemiologische Daten, die u. a. einen Sozialschichtgradienten für Rückenschmerzen belegen (Latza et al. 2000; Schneider et al. 2005). Das vorliegende Symposium geht über bislang publizierte Resultate hinaus, indem erstens systematische Schichtunterschiede bei Schmerzstörungen jenseits der isolierten Betrachtung einzelner Lokalisationen bei Erwachsenen sowie Kindern und Jugendlichen dargestellt werden. Datengrundlage sind die Rückenschmerzstudie des Deutschen Forschungsverbundes Rückenschmerz (DFRS, N=9263, Schmidt et al. 2007) sowie die Göttinger epidemiologische longitudinale Studie an 8000 Familien mit mindestens einem Kind im Alter von 7-14 Jahren (Kröner-Herwig et al. 2007). Zweitens werden Aspekte der sozialen Ungleichheit in ihrer Relevanz für die therapeutische Praxis erörtert. Die DFRS-Studie erfasste neben Rückenschmerzen auch multilokuläre Schmerzen. Ihre Ergebnisse belegen zunächst, dass Rückenschmerzen in Deutschland einen im internationalen Vergleich außergewöhnlich hohen Sozialschichtgradienten aufweisen. Betroffen sind vor allem Personen aus einem sozial schwachen Umfeld. Selbst klassische Risikofaktoren, beispielsweise Fear-Avoidance, weisen keine engeren Bezüge zur Rückenschmerzproblematik auf. Die weitere Berücksichtigung multilokulärer Schmerzen zeigt auf, dass vor allem ausgebreitete Schmerzprobleme die größte Schichtspezifität aufweisen. Mit anderen Worten, Sozialschicht und damit einhergehende soziale Ungleichheit sind nicht für Schmerzsymptome im Allgemeinen relevant, sondern vor allem für chronische und schwere Schmerzbilder, die gleichzeitig den größten therapeutischen Aufwand erfolgen und in Hinblick auf Arbeitsfehltage für die Gesellschaft am kostspieligsten sind. Allerdings ist der Zusammenhang zwischen Sozialschicht und Schmerzproblematiken komplex
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und bislang eingeschränkt verstanden. Mögliche Wege und Mediatoren werden besprochen. Dass Sozialschichtgradienten nicht bei allen Schmerzproblemen nachweisbar sind, zeigt auch die Göttinger Studie. Sie untersuchte in vier Wellen Schmerzsymptome bei Kindern mit dem Hauptakzent auf Kopfschmerz, dem häufigsten Schmerzsymptom im Kindes- und Jugendalter. Die Ergebnisse zeigen, dass die Statuszusammensetzung der Familien, die überhaupt an der Studie teilnahmen, nicht repräsentativ war. Es nahmen hauptsächlich Familien mit hohem und mittlerem sozioökonomischen Status teil. In einer Querschnittanalyse der ersten Welle zu wiederkehrenden Kopfschmerzen konnte kein bedeutsamer Zusammenhang von Kopfschmerz und Schichtzugehörigkeit festgestellt werden. Im Rahmen des Symposiums wird darauf eingegangen, ob sich in späteren Wellen, also mit höherem Alter der Kinder und abhängig vom Geschlecht, Zusammenhänge feststellen lassen und welcher sozialer Einfluss auf multilokuläre Schmerzen besteht. Wenn soziale Ungleichheit vor allem bei starken Schmerzproblemen eine Rolle spielt, ist bei der Behandlung auch ein besonderes Augenmerk auf Schmerzzentren und –kliniken als tertiäre Einrichtungen für Patienten mit chronischen Schmerzen zu richten. Diese zeichnen sich durch eine hohe Differenzierung der verwendeten Verfahren für eine Vielfalt unterschiedlicher Schmerzsyndrome aus: Therapeutische Programme werden für Patienten mit hinsichtlich Schmerzlokalisation (vorwiegend Rücken- und Kopfschmerzen), Genese (myofaszielle, neuropathische, unklare Schmerzbilder), Chronifizierungsgrad und Komorbiditäten unterschiedlicher Ausprägung angeboten. Zentrale Elemente interdisziplinärer Behandlungsprogramme sind Edukation, Vermittlung von Verfahren zur Modifikation von schmerz- und behinderungsrelevanten Faktoren (z. B. ungünstige Kognitionen, dysfunktionales Verhalten) und Therapie von Risikofaktoren (klinisch relevante somatische und psychische Störungen). Die klinische Erfahrung spricht dafür, dass die erfolgreiche Umsetzung dieser Elemente in der Praxis erneut durch den Sozialgradienten geprägt ist. Einstellungen und Erwartungen, die am ehesten dem biomedizinischen Bild entsprechen, sind bei Patienten mit schwächerem Bildungshintergrund deutlicher ausgeprägt, was die Akzeptanz beispielsweise psychosozialer Interventionsbestandteile senkt. Schon in der Eingangsdiagnostik ist die soziale Schicht bedeutsam: Bei der Auswertung von Schmerzfragebögen zeigen sich Unterschiede hinsichtlich Verständnis und damit Plausibilität und Zuverlässigkeit der Antworten, ebenfalls bei den Schmerzmodellen der Patienten, den bisherigen Informationen, Behandlungsvorschlägen und –erwartungen. Zudem sind weitere Konfliktsituationen zu berücksichtigen, darunter laufende Rentenverfahren, lange Krankschreibungen, Anträge auf GdB. Literatur: Dionne, C. E., Von, K. M., Koepsell, T. D., Deyo, R. A., Barlow, W. E., & Checkoway, H. (2001). Formal education and back pain: a review. Journal of Epidemiolgy and Community Health, 55, 455-468. Kröner-Herwig B., Heinrich M., Morris L (2007). Headache in German children and adolescents: a population-based epidemiological study. Cephalalgia, 27, 519-527. Latza, U., Kohlmann, T., Deck, R., & Raspe, H. (2000). Influence of occupational factors on the relation between socioeconomic status and self-reported back pain in a population-based sample of German adults with back pain. Spine, 25, 1390-1397. Macfarlane GJ, Norrie G, Atherton K, Power C, Jones GT. The influence of socioeconomic status on the reporting of regional and widespread musculoskeletal pain: results from the 1958 British Birth Cohort Study. Ann Rheum Dis 2009;68: 1591-1595. Mackenbach J. P., Stirbu I., Roskam A. J., Schaap M. M., Menvielle G., Leinsalu M., & Kunst, A. E. (2008). European Union Working Group on Socioeconomic Inequalities in Health. Socioeconomic inequalities in health in 22 European countries. New England Journal of Medicine, 358, 2468-2481. Schmidt, C. O., Raspe, H., Pfingsten, M., Hasenbring, M., Basler, H. D., Eich, W., & Kohlmann, T. (2007). Back-pain in the German adult population. Spine, 32, 2005-2011.
Schneider, S., Schmitt, H., Zoller, S., & Schiltenwolf, M. (2005). Workplace stress, lifestyle and social factors as correlates of back pain: a representative study of the German working population. International Archives of Occupational and Environmental Health, 78, 253-269.
KOPFSCHMERZ DMKG meets Augenheilkunde – Auge und Kopfschmerz SY-45 DMKG meets Augenheilkunde – Auge und Kopfschmerz T. Jürgens1, S. Förderreuther2, H. Wilhelm3 1 Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hamburg, 2LMU München, 3 Uniklinikum Tübingen Viele Patienten mit dem Leitsymptom Kopfschmerz und begleitenden neuro-ophthalmologischen Symptomen stellen sich zunächst augenärztlich vor, bevor sie neurologisch gesehen werden. Umgekehrt ist die genaue Differentialdiagnostik einer vermuteten ophthalmologischen Erkrankung für Neurologen oft schwierig. Die Entscheidung zwischen einer primär ophthalmologischen und einer neurologischen Erkrankung stellt die erste Herausforderung dar, im zweiten Schritt muss dann im Fall einer neurologischen Genese zwischen einer primären (z. B. trigeminoautonome Kopfschmerzen) und einer sekundären Kopfschmerzerkrankung (z. B. Tolosa-Hunt-Syndrom) unterschieden werden. Zudem werden einige dieser Erkrankungen in beiden Fächern behandelt, so dass ein interdisziplinäres Vorgehen unverzichtbar ist. Dafür sollen in diesem Symposium die relevanten neurologischen und ophthalmologischen Differentialdiagnosen erörtert werden und Vorschläge für ein pragmatisches Vorgehen im Alltag gegeben werden. 1. Primäre Kopfschmerzen und das Auge: Relevantes jenseits der Migräne Tim Jürgens, Kopfschmerzambulanz der Neurologischen Klinik, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf Patienten mit primären Kopfschmerzen vermuten oft aus verschiedenen Gründen eine ophthalmologische Genese ihrer Beschwerden. Eine orbitale Lokalisation der Schmerzen kann dies nahelegen. Auch Sehstörungen oder Lähmungen von Augenmuskeln sind weitere Gründe, ebenso wie autonome Begleitsymptome. Prominentes Merkmal der trigeminoautonomen Kopfschmerzen (TAK) sind ihre autonomen Begleitsymptome, die eine ipsilaterale Lakrimation, konjunktivale Injektion, nasale Rhinorrhoe und Kongestion sowie Miosis, Ptosis und periorbitale Schwellung umfassen. Zudem sind die Schmerzen meist retro- oder periorbital lokalisiert und treten streng einseitig auf. Die einzelnen TAKs unterscheiden sich durch die Dauer der einzelnen Attacken und stellen so ein zeitliches Kontinuum vom Sekunden- bis in den Stundenbereich dar. Beim SUNCT-Syndrom (short-lasting unilateral neuralgiform headache attacks with conjunctival injection and tearing) dauern Attacken 5-240 sec an und können bis 200x/Tag auftreten. Durch den neuralgiformen Charakter und die Triggerbarkeit z. B. durch Berührung kann es mit einer Trigeminusneuralgie verwechselt werden, wobei autonome Symptome typischerweise nur beim SUNCT auftreten. Die paroxysmale Hemicranie dauert 2 bis 30 min an und kann bis zu 20x/Tag auftreten, der Clusterkopfschmerz 15-180 min und tritt bis zu 8x/Tag auf. Da symptomatische TAKs häufig sind, sollte unbedingt eine Bildgebung (kranielles MRT) erfolgen. Bei einseitigen Dauerkopfschmerzen mit autonomen Begleitsymptomen muss neben symptomatischen Ursachen auch an eine Hemicrania continua gedacht werden, die vollständig auf Indometacin anspricht, welches Diagnostikum und Therapie der Wahl zugleich ist. Nicht zuletzt sollte auch an den primär stechenden Kopfschmerz gedacht werden, wenn einzelne Stiche oder Serien von Stichen für wenige Sekunden im
Augenbereich auftreten, wobei keine autonomen Begleitsymptome auftreten. Auch dieser Kopfschmerz spricht gut auf Indometacin an. Differentialdiagnostisch muss bei neuralgiformen Schmerzen im Augenbereich neben dem SUNCT-Syndrom an eine Trigeminusneuralgie gedacht werden, wobei autonome Begleitsymptome untypisch sind. Bei Affektion des 1. Trigeminusastes muss unbedingt an eine symptomatische Genese gedacht werden und eine kranielle Kernspintomographie (sowie ggf. weitere Zusatzdiagnostik) angestrebt werden. Zu bedenken ist auch, dass symptomatische Trigeminusneuralgien wie bei der Multiplen Sklerose oft atypische Aspekte aufweisen. Sehr selten sind die Supraorbitalisneuralgie oder die Nasoziliarisneuralgie („Charlin’s Neuralgie“), die durch Berührung des ipsilateralen Nasenrückens ausgelöst werden kann und bei der die Schmerzen vom Nasenrücken über den Augeninnenwinkel bis in die Stirn ziehen können. Treten autonome Symptome hinzu, muss differentialdiagnostisch an einen trigeminoautonomen Kopfschmerz gedacht werden. Problematisch kann die Abgrenzung von Migräneattacken mit ausgeprägten autonomen Begleitsymptomen von Clusterkopfschmerzattacken sein. Hier sollte vor allem die zeitliche Dimension beachtet werden: dauern die Kopfschmerzen unbehandelt bis maximal 3 Stunden an, spricht dies für einen Clusterkopfschmerz (der zudem streng einseitig ist), dauern sie für einen oder mehrere Tage an handelt es sich um eine Migräne. Treten Sehstörungen im Zusammenhang mit Kopfschmerzen auf, so sollte an eine visuelle Aura gedacht werden, wenn die Kopfschmerzen migränetypisch sind. Die Kernmerkmale umfassen positive (Lichtblitze, Flimmern, Linien) und negative (Skotome) visuelle Phänomene, die als Hemianopsie auftreten. Sie wandern dynamisch über das Gesichtsfeld, verändern Form und/oder Größe und bis 60 Minuten andauern. Selten kann eine Aura auch vor anderen primären Kopfschmerzen wie dem Clusterkopfschmerz auftreten, sollte dann aber immer eine weitere bildgebende Diagnostik nach sich ziehen. Auch bei älteren Patienten mit isolierten Auren und Dominanz von negativen Phänomenen sollte eine symptomatische Ursache ausgeschlossen werden. Im Rahmen von Migräneattacken kann es zu zahlreichen weiteren seltenen visuellen Phänomenen kommen, die der Migräneaura zugerechnet werden. Diese umfassen u. a. illusionäre Verkennungen des eigenen Körpers (Alice im Wunderland-Syndrom), Palinopsie (Auftreten von Nachbildern kürzlich gesehener Objekte), Mikropsie oder Makropsie (die Umgebung wird kleiner oder größer wahrgenommen). Gibt ein Patient monokuläre Sehstörungen mit typischen Elementen einer visuellen Aura an, so kann es sich um eine sehr seltene retinale Migräne handeln. Allerdings ist es für Patienten oft schwierig, monokuläre Sehstörungen von Hemianopsien zu unterscheiden, so dass eine retinale Migräne nur nach ärztlicher Untersuchung des Gesichtsfeldes während einer Attacke diagnostiziert werden sollte. Unbedingt sollten sekundäre Ursachen wie eine Carotisdissektion oder –stenose sowie eine Optikusschädigung ausgeschlossen werden. Treten Augenmuskelparesen auf, so ist neben einem Tolosa-HuntSyndrom auch an eine ophthalmoplegische „Migräne“ zu denken, die mit migränetypischen Kopfschmerzen und Parese mindestens eines Augenmuskels in den nachfolgenden Tagen auftritt, ohne dass strukturelle Läsionen der Orbita, des Sinus cavernosus oder parasellär gefunden werden. Allerdings wurde eine Gadoliniumaufnahme in den entsprechenden Nerven vorbeschrieben, so dass dieses Krankheitsbild auch einen symptomatischen Kopfschmerz darstellen kann. 2. Sekundäre Kopfschmerzen mit Augenbeteiligung – die Sicht der Neurologin Stefanie Förderreuther, Neurologische Klinik der Universität München Eine Vielzahl von Erkrankungen kann sich mit Schmerzen manifestieren, die ihr Maximum im Bereich der periorbitalen Region aufweisen und mit Sehstörungen (Gesichtsfelddefekten, Visusminderung, Doppelbilder) einhergehen können. Für die Diagnose ist entscheidend die Schmerzcharakteristika genau zu erfragen und den Schwerpunkt der neurologischen Untersuchung auf den ophthalmologischen Befund zu legen. Hierzu gehören die orientierende Visusprüfung, die monokuläre Testung des Gesichtsfeldes, die Der Schmerz Supplement 1 · 2010
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Abstracts Funduskopie und die Untersuchung von Pupillomotorik und äußeren Augenmuskeln. Jede Raumforderung in der Region des Sinus cavernosus, sei es in Form eines Tumors, eines Aneurysmas oder in Form von entzündlichem Gewebe kann zu meist einseitigen periorbitalen Schmerzen mit ipsilateralen Hirnnervenausfällen führen, wobei das Ausmaß und die Zahl der Hirnnervenausfälle in aller Regel von der genauen Lokalisation und Größe der Raumforderung bestimmt wird. Vaskuläre Pathologien können sich auf der arteriellen und der venösen Seite abspielen. An eine Arteriitis temporalis ist stets bei älteren Patienten mit neu aufgetretenen anhaltenden Kopfschmerzen, begleitenden Allgemeinsymptomen und Sehstörungen (Amaurosis fugax) zu denken. Der A. cerebri posterior Infarkt kann zur Schmerzausstrahlung in die Augenpartie führen. Oft können die Patienten die begleitende homonyme Hemianopsie nicht direkt als solche beschreiben. Hier ist die Untersuchung des Gesichtsfeldes diagnostisch entscheidend, zumal das CT im Frühstadium noch keine Infarktdemarkierung aufweisen kann. Eine Thrombose oder Fistel des Sinus cavernosus geht häufig mit einem Exophthalmus, gestauten Fundusvenen und einer Augenrötung einher. Eine Dissektion der A. carotis führt zu einer ipsilateralen, periorbital betonten Hemicranie, häufig mit Horner-Syndrom und rezidivierenden TIAs. Der Hypophysenapoplex verursacht Vernichtungskopfschmerzen meist mit beidseitiger Visusminderung, Doppelbildern und vegetativen Symptomen. Im Nativ CT kommt die lokale Schwellung in der Hypophysenloge oft nicht gut zur Darstellung oder wird übersehen. Bei entzündlichen Erkrankungen wie der Opticusneuritis oder dem Zoster ophthalmicus kann der Schmerz der Visusminderung bzw. dem Exanthem vorausgehen. Das Tolosa-Hunt Syndrom ist eine Steroidempfindliche unspezifische Entzündung in der Region des Sinus cavernosus, die mit sehr heftigen Schmerzen und Augenmuskelparesen einher geht. Die diabetische craniale Neuropathie kann die klinische Erstmanifestation eines Diabetes mellitus sein. Sie führt häufig zu akut bis subakut einsetzenden Schmerzen mit Doppelbildern, die auf einer äußeren N. oculomotorius- oder einer N. abducens-Parese beruhen. Wahrscheinlich kommt es hier durch entzündliche Veränderungen an den Vasa nervorum zu den Schmerzen und den Paresen. Die idiopathische intrakranielle Hypertension tritt besonders häufig bei adipösen Patientinnen im gebärfähigen Alter auf. Neben häufigen oder dauerhaften, oft Migräne-ähnlichen Kopfschmerzen müssen visuelle Obskurationen, Doppelbilder und Gesichtsfeldeinschränkungen an die Diagnose denken lassen. In Abhängigkeit vom klinischen Syndrom ist praktisch immer eine weiterführende Zusatzdiagnostik zur Diagnosesicherung erforderlich. Sie sollte nach Möglichkeit mit einer klaren Fragestellung erfolgen, da Routineuntersuchungen die oft diskreten Pathologien häufig nicht darzustellen vermögen. Neben der Bildgebung (MRT mit Feinschichtung der Sella / Orbita) sind häufig auch Gefäßdarstellungen, eine Lumbalpunktion und Laboruntersuchungen (BKS, CRP, Vaskulitisparameter, Serologie) erforderlich. Die meisten Erkrankungen können so sicher diagnostiziert und gezielt behandelt werden. 3. Schmerzhafte Erkrankungen des Auges – wie sollte der Augenarzt vorgehen? Helmut Wilhelm, Neuro-Opthalmologie, Universitätsaugenklinik Tübingen Der Augenarzt wird ausgesprochen häufig wegen Augen- oder Kopfschmerzen konsultiert. Diese Patienten lassen sich in folgende Gruppen aufteilen: Die zahlenmäßig weitaus größte Gruppe leidet an idiopathischen Kopfschmerzen wie Migräne, Spannungskopfschmerz oder Cluster-Kopfschmerz. Hier sind es nicht selten ophthalmologische Symptome, die zum Augenarzt führen: Schmerzen im Augenbereich, die visuelle Aura der Migräne, das gerötete, tränende Auge des Cluster-Kopfschmerz oder das Horner-Syndrom beim gleichen Krankheitsbild. Asthenopische Kopfschmerzen durch falsche Korrektur oder Heterophorie. Dieser Patientenanteil dürfte weit kleiner sein als vermutet. Patienten mit schmerzhaften Augenerkrankungen, z. B. ein rezidivierendes Winkelblockglaukom oder eine Iritis.
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Patienten mit allgemeinen oder neurologischen Erkrankungen, die mit Kopfschmerzen einhergehen. Asthenopische Kopfschmerz sind selten. Sie müssen im Zusammenhang mit „Augenarbeit“ auftreten. Beim Aufwachen vorhandene Kopfschmerzen können nicht asthenopisch sein. Ein guter Kandidat für asthenopische Beschwerden ist der Patient mit un- oder unterkorrigierter Hyperopie. Es ist deshalb ratsam, bei jüngeren Patienten in Zykloplegie zu untersuchen, um eine solche Situation auszuschließen. Wenn gestörtes Binokularsehen, meistens im Rahmen einer Heterophorie, eine Rolle spielt, sollte die Okklusion eines Auges, z. B. über ein Wochenende, die Beschwerden bessern. Man muss sich bewusst bleiben, dass der Erfolg einer Placebobehandlung beim Kopfschmerz beträchtlich ist, so dass selbst wenn die neue Brille den Kopfschmerz bessert, ein idiopathischer Kopfschmerz nicht ausgeschlossen werden kann. Allerdings wäre die Brille eine recht preiswerte und nebenwirkungsarme Therapie, so dass wir im Zweifel immer dazu raten. Es gibt eine Reihe ophthalmologischer Erkrankungen, die schmerzhaft sind, insbesondere wenn Hornhaut, Iris oder Ziliarkörper betroffen sind, denn diese Bereiche sind nocizeptiv gut versorgt, während die Netzhaut schmerzunempfindlich ist. Auch die Orbita ist schmerzempfindlich, so dass jegliche orbitale Entzündung, sei es Myositis, Dakryoadenitis oder aber auch Optikusneuritis schmerzhaft ist, die Optikusneuritis vor allem bei Augenbewegungen. Der lokale Befund kann recht unbedeutend wirken und dennoch schmerzhaft sein. Auch kann eine schmerzende Veränderung am Auge, z. B. ein Hordeoloum Spannungskopfschmerzen auslösen. Der Augenarzt sollte deshalb nach entzündlichen Veränderungen suchen und diese konsequent behandeln. Wenn eine Erkrankung des äußeren Auges Augenschmerzen verursacht, so kann die probeweise Lokalanaesthesie mit Augentropfen die Schmerzen beseitigen. Dies könnte bei einer chronischen allergischen Konjunktivitis der Fall sein, bei der Bindehautfollikel unter dem Oberlid auf der Hornhaut scheuern. Beseitigt ein Lokalanaesthetikum diese Beschwerden, ist ein Zusammenhang sehr wahrscheinlich. Wenn eine Iritis bzw. Iridozyklitis die Beschwerden verursacht, sollte Zykloplegie bessern. Dies sind leicht durchzuführende Tests. Eine wichtige Rolle hat der Augenarzt beim Ausschluss eines symptomatischen Kopfschmerzes. Eine Staungspapille würde Hirndruckerhöhung anzeigen, sei es durch eine zerebrale Raumforderung oder idiopathisch als Pseudotumor cerebri. Störungen der Augenbewegungen würden auf eine orbitale Entzündung oder ein Tolosa-Hunt-Syndrom hindeuten. Eine Sehverschlechterung mit relativem afferentem Pupillendefekt findet sich bei der Optikusneuritis aber auch bei der Arteriitis temporalis, wobei im letzteren Fall keinesfalls Augenbewegungsschmerzen sondern Kopf- und Nackenschmerzen sowie Schmerzen beim Kauen typisch sind. Beim Verdacht muss bereits der erstuntersuchende Augenarzt die Steroidtherapie einleiten, noch vor Sicherung der Diagnose. Ein Fundusbefund mit engen Gefäßen, Gunnschen Kreuzungszeichen und Exsudaten kann Zeichen einer Hypertonie oder seltener einer Vaskulitis sein. Die Aufgaben des Augenarztes beim Patienten mit Kopfschmerz lassen sich demnach so auflisten: –– Anamneseerhebung, am besten mit Standardfragen, um die häufigen idiopathischen Kopfschmerzen zu erfassen. –– Visus und Refraktionsbestimmung, gerne in Zykloplegie –– Untersuchung des äußeren Auges und der vorderen Augenabschnitte einschließlich Messung des Augeninnendrucks um schmerzhafte Augenerkrankungen zu entdecken, gegebenenfalls Test mit Lokalanaestetikum oder Zykloplegikum. –– Prüfung der Pupillenfunktion, der Okulomotorik und Untersuchung des Augenhintergrundes um Hinweise auf symptomatischen Kopfschmerz zu erfassen, gegebenenfalls BSG-Bestimmung und Blutdruckmessung. Wenn keine ophthalmologische Ursache gefunden wird, was die Regel ist, Versuch den Kopfschmerz einzuordnen und eine weitere neurologische Therapie in die Wege zu leiten, etwa durch Verordnung einer symptomatischen Therapie bei Migräne und Cluster-Kopfschmerz oder
durch Anleitung zum Ausfüllen eines Kopfschmerz-Kalenders, den der Patient zu seinem Neurologen mitbringen kann. Die Augenärzte haben dadurch, dass sie jährlich geschätzte 2 500 000 Patienten ausschließlich oder vorwiegend wegen Kopfschmerzen untersuchen, eine Schlüsselstellung, die wenig ins allgemeine Bewusstsein gedrungen ist. Ihnen kommt eine wichtige Funktion zu, denn sie können zur klinischen Abklärung beitragen und die Patienten an die richtigen Stellen überweisen.
KOPFSCHMERZ Kopfschmerzen bei Kindern und Jugendlichen: Neues zu Epidemiologie, Diagnostik und Therapie SY-46 Kopfschmerzen bei Kindern und Jugendlichen: Neues zu Epidemiologie, Diagnostik und Therapie A. Milde-Busch1, F. Heinen2, B. Ertl-Wagner3, A. Straube4 1 Institut für Soziale Pädiatrie und Jugendmedizin, München, 2Kinderklinik im Haunerschen Kinderspital, München, 3Radiologie der Universität München, 4Klinikum Großhadern, Neurologische Klinik und Poliklinik, München Kopfschmerzen zählen zu den bedeutendsten gesundheitlichen Problemen von Jugendlichen. In Vergleich der Studien aus Skandinavien ergeben sich Hinweise, dass die Kopfschmerzprävalenz über die Jahre zugenommen hat. In einer eigenen Untersuchung von über 1200 Gymnasiasten der 10. und 11. Klassen in München fanden wir, dass 83,1 % aller Schüler angaben, mindestens einmal pro Monat an Kopfschmerzen zu leiden. Als häufigste andere Beschwerden wurden Kreuz- oder Rückenschmerzen (47,7 %), übermäßiges Schlafbedürfnis (45,6 %) sowie Nacken- und Schulterschmerzen (45,0 %) berichtet. 20,4 % der Schüler fühlten sich erheblich durch Stress belastet. Im Einzelnen litten 7,78 % der Jugendlichen unter Migräne, 21,83 % unter wahrscheinlicher Migräne und 0,40 % unter chronischer Migräne. 65,87 % der Jugendlichen mit irgendeiner Form von Migräne berichteten zusätzlich Episoden von Spannungskopfscherzen. Die Prävalenz sporadisch auftretender episodischer Spannungskopfscherzen betrug 3,97 %, 6,19 % für häufig auftretende episodische Spannungskopfscherzen und 15,87 % für chronische Spannungskopfschmerzen. Für weitere 8,89 % der Schüler wurden wahrscheinliche sporadisch auftretende episodische Spannungskopfscherzen, 11,51 % wahrscheinliche häufig auftretende episodische Spannungskopfscherzen und 22,06 % wahrscheinliche chronische Spannungskopfscherzen ermittelt. Mädchen litten sowohl häufiger unter Migräne als auch unter Spannungskopfscherzen. Die Prävalenzen von Migräne und Spannungskopfschmerzen unterschieden sich nicht zwischen den Schülern der 10. bzw. der 11. Klassen. Insgesamt litten 15,19 % der Schüler mit Kopfschmerzen (26,36 % der Schüler mit Migräne und 9,28 % der Schüler mit Spannungskopfschmerzen) hatten innerhalb der vergangenen 12 Monate einen Arzt wegen der Kopfschmerzen kontaktiert. Am häufigsten wurden Internisten (7,07 % aller Schüler mit Kopfschmerzen), Kinderärzte (4,01 %), Homöopathen (3,06 %) oder Neurologen (2,67 %) aufgesucht. Die Hälfte der Schüler mit Kopfschmerzen (49,47 %; 65,60 % der Schüler mit Migräne und 39,17 % der Schüler mit Spannungskopfschmerzen) hatte in den vergangenen 3 Monaten Schmerzmittel wegen der Kopfschmerzen eingenommen. Am häufigsten wurden ASS (26,84 % aller Schüler mit Kopfschmerzen), Paracetamol (26,17 %) und Ibuprofen (11,65 %) eingenommen. Unbekannt ist dabei, ob muskuläre Veränderungen im Bereich der paravertebralen Muskulatur eine wesentliche Rolle spielen. Pilotuntersuchungen zur Therapie von Triggerpunkten innerhalb der paravertebralen Muskulatur scheint es wahrscheinlich zu machen, dass diese für den Verlauf einer Kopfschmerzerkrankung einen wichtigen Faktor dar-
stellen und eine erfolgreiche Therapie durch z. B. spezifische manuelle Therapie wie Stretching dieses verbessern helfen kann. Ein ungelöstes Problem ist aber immer noch die Untersucher-unabhängig valide Identifizierung solcher muskulärer Triggerpunkte. Möglicherweise erlauben neue Bildgebende Verfahren (basierend auf MRT oder Sonographie) eine bessere Identifikation. Daneben wird in verschiedenen Gruppen berichtet, dass sich kernspintomographisch sich Hinweise für eine Veränderung der venösen Abflussdynamik im Rahmen der Migräne ergeben. Diese bewirkt einerseits einen leicht erhöhten intracraniellen Druck und könnte auch zu einer vermehrten Aktivierung des trigemino-vaskulären Systems führen. Insgesamt sollte der Gruppe der Schüler, insbesondere an Gymnasien, eine höhere Aufmerksamkeit in Bezug auf Schmerzerkrankungen Teil werden, um einer späteren Chronifizierung rechtzeitig vorbeugen zu können
AKUTSCHMERZ Präoperative psychologische Risikofaktoren für postoperativen Schmerz SY-47 Präoperative psychologische Risikofaktoren für postoperativen Schmerz R. Klinger1, M. Pietrek2, M. Schiltenwolf3, M. Hüppe4 1 Universität Hamburg, Psychotherapeutische Hochschulambulanz, Verhaltenstherapie, Fachbereich Psychologie, Hamburg, 2Schön Klinik Hamburg Eilbek, Klinik für Spinale Chirurgie, Hamburg, 3Stiftung Orthopädische Universitätsklinik, Sektion Schmerztherapie, Heidelberg, 4Universitätsklinikum Lübeck, Anaesthesiologie, Lübeck In den letzten Jahren wird vermehrt nach möglichen Faktoren gesucht, die das Ergebnis einer Operation vorhersagen bzw. beeinflussen. Dabei geht es sowohl um negative als auch positive Einflüsse (Risikofaktoren). Neben somatischen Faktoren werden hierbei auch psychologische Faktoren identifiziert, die den postoperativen Verlauf sowie das Ergebnis bestimmen. Insbesondere die Entwicklung postoperativer Schmerzen ist hierbei von hoher Relevanz. Akute Schmerzen nach Operationen wurden in diesem klinischen Kontext auch vielfach untersucht. Psychologische Risikofaktoren können sich ungünstig auf den peri- und postoperativen Verlauf, insbesondere der Schmerzen, auswirken und körperliche als auch psychische Beeinträchtigungen nach sich ziehen. Hierzu zählen neben psychischen Auffälligkeiten auch eine vorbestehende Schmerzchronifizierung (vgl. Schiltenwolf & Klinger, 2008). Die Minimierung postoperativer Schmerzen kann, neben operationstechnischen Faktoren, zum einen durch eine effiziente postoperative Schmerztherapie (vgl. AWMF-Leitlinien (DIVS), 2009) angestrebt werden, zum anderen können psychosoziale Risikofaktoren für postoperative Schmerzen im Vorfeld therapeutisch beeinflusst werden (z. B. präoperativ depressive Symptome zu lindern) bzw. bei elektiven Operationen nach Möglichkeit als Ausschlusskriterium für den Eingriff gewertet werden. Die präoperative Identifikation von psychologischen Risikofaktoren ist damit geboten und soll stärker in den klinischen Alltag einbezogen werden. Psychologische Einflüsse auf postoperative Schmerzen Als ein Risikofaktor für postoperative Schmerzchronifizierung sind weiterhin starke postoperative Schmerzen identifiziert worden. Die Ausprägung postoperativer Schmerzen wird dabei sowohl von medizinischen Merkmalen (z. B. Operationsort; chirurgisches Vorgehen) als auch von psychologischen Merkmalen des Patienten bestimmt. Am häufigsten wurden bislang die Beziehung zwischen präoperativer Angst und präoperativer Depressivität mit postoperativen Schmerzen und erhöhtem Schmerzmittelverbrauch in Beziehung gesetzt. Ältere Untersuchungen haben sich vor allem auf psychologische PersönlichDer Schmerz Supplement 1 · 2010
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Abstracts keitseigenschaften (trait) der Patienten konzentriert, insbesondere auf Eigenschaftsangst (trait-anxiety) und emotionale Labilität / Neurotizismus. Merkmale von Persönlichkeitseigenschaften sind Zeit- und Situationsunabhängigkeit. Es lassen sich Bezugswerte (Normen) angeben, die deutlich machen, ob ein Merkmal besonders stark oder schwach ausgeprägt ist. In einer Untersuchung von Taenzer et al. (1986) erwiesen sich „Eigenschaftsangst“ und „Neurotizismus“ als Prädiktoren, durch die 35 % der postoperativen Schmerzstärke aufgeklärt werden konnten. Jüngere Untersuchungen belegen einen höheren Vorhersagewert, wenn neben Persönlichkeitsmerkmalen Zustandsmaße (z. B. präoperative Angstausprägung) des Patienten berücksichtigt werden. Zustandsmerkmale haben gegenüber Persönlichkeitseigenschaften den Vorteil, dass sie grundsätzlich beeinflussbar sind. Zu den Zustandsmerkmalen kann festgehalten werden, dass präoperative „Angst“, „depressive Stimmung“ und „präoperativer Schmerz“ gut belegte Risikofaktoren für das Auftreten ausgeprägterer postoperativer Schmerzen sind (Hüppe, 2007; Hüppe & Klinger, im Druck). Psychologische Prozesse wie psychologische Schmerz- und Stressverarbeitung modifizieren den postoperativen Schmerz erheblich. So zeigen mehrere Untersuchungen, dass eine hohe Beziehung zwischen präoperativer Schmerzkatastrophisierung und der postoperativen Schmerzintensität besteht. Zu den psychologischen Merkmalen der Patienten gehört auch deren Einstellung, auf postoperative Schmerzen selbst Einfluss nehmen zu können (Selbstwirksamkeit). Entsprechend wird in der S3-Leitlinie „Behandlung akuter perioperativer und posttraumatischer Schmerzen“ empfohlen, Patienten über Selbstkontrolltechniken von Schmerzen (kognitiv-behaviorale Techniken wie z. B. Ablenkungs- oder Entspannungstechniken) zu informieren (DIVS, 2008). Gräwe et al. (in Vorbereitung) zeigten, dass in den ersten drei postoperativen Tagen die Schmerzreduktion deutlich ausgeprägter ist, wenn Patienten vor der Operation über Ihre Möglichkeiten der Schmerzbeeinflussung informiert werden. „Failed Back Surgery“ – Psychologische Risikofaktoren für postoperative Schmerzen nach Wirbelsäulenoperationen Speziell im Bereich der Wirbelsäulenchirurgie wurden somatische und auch psychologische Faktoren untersucht, die das Risiko und das Ausmaß peri- und postoperativer Schmerzen und Komplikationen negativ beeinflussen. Der wesentlichsten negativen somatischen Faktor sind die falsche Indikationsstellung, d. h. die fehlende Korrelation zwischen Anamnese, klinischem Befund und Bildgebung, sowie der fehlende Versuch einer ausreichenden konservativen Therapie. Weitere negative somatische Faktoren sind fehlerhafte Operationstechnik und intraoperative Komplikationen. Schließlich können auch postoperative Komplikationen wie sekundäre Instabilitäten, Rezidiv-Bandscheibenvorfälle oder Infektionen auftreten. Desweiteren zeigen mehrere aktuelle Studien, dass die mittlerweile etablierten minimal-invasiven Operationstechniken an der Wirbelsäule dem Patienten Vorteile bieten aufgrund des verminderten perioperativen Schmerzerlebens und des reduzierten Analgetikabedarfs. Der peri- und postoperative Verlauf von Schmerzen und Beeinträchtigungen bei Patienten nach Bandscheibenoperationen wird neben der Indikationsstellung und Operationstechnik entscheidend auch durch psychologische Einflussfaktoren determiniert. Evidenzbasierte Empfehlungen für die Behandlung peri- und postoperativer Schmerzen (DIVS, 2008) haben diesem Aspekt Rechnung getragen und die Berücksichtigung psychischer Risikofaktoren einbezogen. Der gegenwärtige Forschungsstand zeigt drei Gruppen von Risikofaktoren: 1. negative psychologische Faktoren, 2. eine vorbestehende Schmerzchronifizierung und 3. psychische Störungen. Im Falle elektiver Bandscheibenoperationen sollen diese Faktoren präoperativ erfasst, erkannt und bei der Operationsindikation berücksichtigt werden. Ggf. können sich multimodale Behandlungsmaßnahmen als effektiver erweisen oder es kann eine psychologische Schmerzpsychotherapie vor dem chirurgischen Eingriff erwogen werden, um postoperative Komplikationen, z. B. ein Postnukleotomiesyndrom („Failed Back Surgery Syndrome“)
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zu verhindern. Ist bei vorhandenen Risikofaktoren der operative Eingriff aus medizinischer Sicht unumgänglich, sollte die postoperative Behandlung frühzeitig psychologische Schmerztherapie im Rahmen eines multidisziplinären Konzeptes integrieren. Die Erhebung dieser Risikofaktoren kann mithilfe psychologischer Fragebögen vorgenommen werden. In einer aktuellen prospektiven Studie der Universität Hamburg und der Schön Klinik Hamburg Eilbek haben R. Klinger & M. Pietrek präoperativ psychologische Variablen erfasst. Es wird untersucht, ob sie sich als prädiktive Variablen für postoperative Schmerzen und Komplikationen (unmittelbar nach der Operation, 2, 6 und 12 Monate danach) eignen und damit als Risikofaktoren für eine „Failed-Back-Surgery“ erhoben werden können. Risikofaktor „vorbestehende Schmerzchronifizierung und/oder psychischen Auffälligkeiten“ Fast alle elektiven Gelenkoperationen werden wegen Schmerzen durchgeführt. Erstaunlicherweise sind psychologische Wirkfaktoren auf die postoperative Schmerzlinderung und Zufriedenheit bislang nicht gut untersucht. Somit fehlen auch solche Hinweise in der S3-Leitlinie der DIVS zu peri- und postoperative Schmerzen (DIVS 2008). In einer prospektiven Studie wurden Patienten, die sich einer Hüft- bzw. einer Knieendoprothesenoperation, einer arthroskopischen Meniskusoperation sowie einer Hallux-valgus-Korrektur unterzogen, prospektiv erfasst (Koch, Henningsen, Schiltenwolf 2010). Präoperativ wurden die Schmerzstärke und mittels PHQ-D psychologische Auffälligkeiten erfasst. Postoperative Schmerzstärke und Zufriedenheit wurden über zwei Jahre standardisiert erfragt. Mit großer Ergebnisstabilität über den gesamten Beobachtungszeitraum kann festgehalten werden, dass die postoperative Zufriedenheit entsprach dem Ausmaß postoperativer Schmerzen. Gelenkersatzoperationen können Schmerzen besser lindern als der arthroskopische Knie- oder der korrigierende Vorfußeingriff. Patienten mit einer präoperativen Schmerzstärke > 7 hatten eine über fünffach größere Wahrscheinlichkeit für fortbestehende Schmerzen. Die Wahrscheinlichkeit postoperativer Schmerzen steigt über alle Operationen hinweg hoch signifikant bei präoperativer Somatisierung (OR 7,6), Depressivität (OR 4,9) und Angst (OR 12,8), unabhängig von anderen Einflussfaktoren. Das Risiko von fortbestehenden Schmerzen trotz Gelenkoperation kann schon präoperativ durch etablierte Fragebögen erkannt werden. Der Aufwand ist gering und kann Mehraufwand, erneut erfolglose Revisionsoperationen und enttäuschende Arzt-Patient-Beziehungen verhindern. Voraussetzung ist, dass der indizierende und operierende Arzt bereit ist nicht körperliche Faktoren bei der Befundbewertung präoperativ anzuerkennen und dann auf einen operativen Eingriff zu verzichten. Therapiealternativen müssen zudem angeboten werden und zur Verfügung stehen. Gelenkoperationen unterliegen ähnlichen psychologischen Mechanismen wie auch Wirbelsäulenoperationen, wenn auch in anderem Ausmaß. Literatur: DIVS (Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Schmerztherapie) (2008): S3-Leitlinie „Behandlung akuter perioperativer und posttraumatischer Schmerzen“. Deutscher Ärzte-Verlag, Köln und AWMF-Reg.-Nr. 041/001, http: //www. awmf. org. Hüppe M (2007). Zum Einfluss psychologischer Faktoren auf postoperativen Schmerz: ein narratives Review. Verhaltenstherapie & Verhaltensmedizin 28: 386-398. Hüppe, M., & Klinger R. (im Druck). Akuter Schmerz. In B. KrönerHerwig, J. Frettlöh, R. Klinger & P. Nilges (Hrsg.). Schmerzpsychotherapie (7. Aufl.). Berlin: Springer. Klinger, R., Geiger, F., & Schiltenwolf, M. (2008). Läßt sich eine „failed back surgery“ verhindern? Psychologische Risikofaktoren für postoperative Schmerzen nach Wirbelsäulenoperationen. Der Orthopäde 37: 1000-1006 Koch L, Henningsen P, Schiltenwolf M (2010). Prospective study of the relation between predictive psychosocial factors and the success of elective orthopaedic surgery. Br Med J (submitted)
Schiltenwolf, M. & Klinger, R. (2008). Patienten mit vorbestehender Schmerzchronifizierung und/oder psychischen Auffälligkeiten. Der Orthopäde 37: 990-996. Taenzer P, Mellzack R, Jeans M E (1986). Influence of psychological factors on postoperative pain, mood and analgetic requirements. Pain 24: 331-342.
TRANSFER VON DER GRUNDLAGENFORSCHUNG IN DIE KLINIK Extrasegmentale endogene Hemmung (DNIC, CPM): ihre Bedeutung für den akuten und chronischen Schmerz SY-48 Extrasegmentale endogene Hemmung (DNIC, CPM): ihre Bedeutung für den akuten und chronischen Schmerz S. Lautenbacher1, B. Rehberg2, E. Pogatzki-Zahn3 1 Universität Bamberg, 2Charité – Campus Mitte, 3Uniklinikum Münster Physiologische Grundlagen: Die Untersuchung der Schmerzmodulation durch gleichzeitig und heterotop applizierte Schmerzreize ist heute eine in der psychophysikalischen und elektrophysiologischen Schmerzforschung verbreitete Methode1. Die Hemmung der Schmerzempfindung durch einen gleichzeitigen Schmerz an einer anderen Stelle des Körpers ist ein bereits seit Jahrhunderten bekanntes Phänomen, das durch Le Bars und Mitarbeiter an einem Rattenmodell auf einen spinobulbären Mechanismus zurückgeführt werden konnte2. Dabei konnte gezeigt werden, dass im Hinterhorn des Rückenmarks wide-dynamicrange-(WDR)-Neurone, nicht aber andere Zellen durch heterotope Schmerzreize in ihrer Aktivität gehemmt werden. Der zur Hemmung führende Reiz kann dabei an jeder beliebigen Stelle des Körpers außerhalb des zentralen (exzitatorischen) Innervationsgebietes des betreffenden WDR-Neurons lokalisiert sein3. Die extrasegmentale Aktivierung unterscheidet diesen „diffuse noxious inhibitory controls -DNIC“ genannten Mechanismus von anderen Mechanismen der Schmerzmodulation. Untersuchungen an Ratten sowie an Patienten mit neurologischen Syndromen haben die aszendierende Bahn dieser DNIC im anterolateralen Bereich des Rückenmarks identifiziert, die deszendierende Bahn im dorsolateralen Quadranten und die zentrale Verschaltung in der kaudalen Medulla oblongata4. Zu den beteiligten Strukturen gehört dabei insbesondere der „Subnucleus reticularis dorsalis“5. Daneben sind, allerdings nur indirekt, auch das periaquäduktale Grau und die rostrale ventromediale Medulla RVM beteiligt6. Für diese existieren sowohl inhibitorische als auch exzitatorische Einflüsse auf das Rückenmark, die wiederum einer Kontrolle von höher gelegenen Strukturen wie dem Kortex unterliegen. So konnten neuere Studien mit funktionellem MRT zeigen, dass in die Schmerzverarbeitung involvierte Hirnareale wie der orbitofrontale Cortex an diesen Hemmmechanismen beteiligt sind7. Definition In einer Reihe von Studien wurden jedoch Dissoziationen zwischen den Hemmeffekten auf das subjektive Schmerzerleben, die Reizverarbeitung im Gehirn und Rückenmark gefunden, so dass offen bleibt, ob die beim Menschen nachweisbare extrasegmentale Schmerzhemmung tatsächlich immer den DNIC-Mechanismen der Ratte entspricht (8). Neben den DNIC existiert eine Vielzahl weiterer Mechanismen endogener Schmerzmodulation (Übersichten in9-11), die bei alleiniger Berücksichtigung des subjektiven Schmerzerlebens kaum unterscheidbar sind. Des Weiteren wird von Physiologen berechtigterweise reklamiert, dass der Begriff DNIC neuronale Mechanismen beschreibt. Aus diesem Grund wurde im Konsens vorgeschlagen, beim Menschen entweder von „DNIC-like“-Effekten12 oder besser von „conditioned pain modulation – CPM“13 zu sprechen.
Messung Typischerweise wird zur Messung dieser Effekte ein schmerzhafter Test-Stimulus vor und während (oder nach) der Applikation eines meist ebenfalls schmerzhaften konditionierenden Stimulus appliziert und die Schmerzhaftigkeit oder damit korrelierte neurophysiologische Parameter verglichen. Als konditionierende Stimuli werden dabei in vielen Fällen Heiss- oder Kaltwasserbäder, durch Thermoden vermittelte Hitzereize, oder ischämische Muskelarbeit verwendet12. Möglicherweise wird durch manche dieser Stimuli (vor allem Kaltwasserbad) jedoch auch eine Barorezeptor-vermittelte Schmerzhemmung auslöst, was diese Paradigmen wegen ihrer mangelhaften Spezifität ungeeignet erscheinen lässt14. In verschiedenen Arbeiten wurde auch eine Hemmung der Schmerzempfindung durch nicht-schmerzhafte Reize wie Vibration15 und Hitze16 gefunden, wobei in anderen Untersuchungen nur schmerzhafte Stimuli zu einem CPM-Effekt führten17. Die Mechanismen der Hemmung durch nichtschmerzhafte Reize sind weitgehend ungeklärt. Hinsichtlich des Testreizes werden ebenfalls sehr unterschiedliche Techniken verwendet, meist ebenfalls thermische, mechanische oder elektrische Reize. Als Parameter zur Messung des CPM-Effektes werden entweder subjektive (psychophysische) oder objektive (neurophysiologische) Parameter verwendet, wobei auch noch zwischen Schwellen- und überschwelligen Parametern unterschieden werden kann. Unabhängig von der gewählten Methodik scheint der mittlere CPMEffekt bei ca. 25-30 % zu liegen, mit allerdings großen Unterschieden zwischen den verschiedenen Studien12. In letzter Zeit wird heftig darüber diskutiert, ob die Schmerzhemmung bei Serien von Testreizen (zeitliche Summation) größer ist als bei einzelnen (18). Hieraus könnten sich Antworten auf die Frage ergeben, ob die CPM-Schmerzhemmung einer zentralen Sensitivierung entgegenwirken kann. Klinische Anwendung: Beispiel postoperativer Schmerz Bislang gibt es nur wenige Studien zur Bedeutung der extrasegmentalen CPM-Schmerzhemmung für postoperative Schmerzen. Diese Form der Hemmung scheint den Schmerz untermittelbar nach einer Operation nicht wesentlich zu beeinflussen bzw. nicht wesentlich mit ihm in Zusammenhang zu stehen. Dagegen ist die Entwicklung chronischer Schmerzen nach einer Operation möglicherweise abhängig von der Fähigkeit eines Individuums, die endogene Schmerzhemmung zu aktivieren; dies wird insbesondere dann relevant, wenn bei Patienten das endogene extrasegmentale CPM-Hemmsystem defizitär ist (1920 ). In diesem Fall ist die Wahrscheinlichkeit, chronische Schmerzen nach einer Operation zu Entwickeln, deutlich größer als bei Individuen mit gut funktionierender endogener Hemmung. Darüber hinaus gibt es Hinweise darauf, dass Operationen bzw. möglicherweise sogar kleinere, repetitive Eingriffe oder schmerzhafte Reize im frühen Kindesalter zu einer defizitären Hemmung und damit ggf. zur Entstehung von chronischen Schmerzen führen können21. Diese Ergebnisse zeigen somit eine mögliche wechselseitige Beziehung von Operation, (defizitärer) extrasegmentaler CPM-Schmerzhemmung und Schmerzchronifizierung. Neueste experimentelle Daten können möglicherweise erklären, warum diese Prozesse nur zum Teil mit dem postoperativen Akutschmerz in Beziehung stehen. Noch wenig bekannt sind dabei Wechselwirkungen zwischen in der Akutphase häufig gegebenen Analgetika und den endogenen Hemmsystemen. Klinische Anwendung: chronische funktionelle Schmerzen Erstmalig und damals aufsehenerregend wurde eine defizitäre CPMSchmerzhemmung unabhängig in zwei Labors für die Fibromyalgie Mitte der neunziger Jahre beschrieben (22-23). Die Fibromyalgie ist eine besonders geeignete Schmerzerkrankung, um diesen Nachweis zu führen, weil regionale Faktoren eine untergeordnete Rolle zu spielen scheinen, also heterotope Mechanismen wahrscheinlich störungsverursachend sind. Dieser Befund konnte in Folge mehrfach repliziert werden. Dazu kamen jedoch noch Studien, in denen gezeigt werden konnte, dass funktionelle Schmerzerkrankungen mit Ortspezifität wie der chronische Spannungskopfschmerz und das temporomandibulare Schmerzsyndrom ähnliche Störungen der CPM-Schmerzhemmung aufweisen (24-25). Störungen der CPM-Schmerzhemmung scheiDer Schmerz Supplement 1 · 2010
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Abstracts nen jedoch kein allgegenwärtiges Phänomen bei chronischen Schmerzen zu sein, weil sie beispielsweise bei Migräne nicht zuverlässig und beim Parkinson-Schmerz gar nicht beobachtet wurden (26-27). In letzteren Fällen würde dies auch schwer durch die Pathophysiologie erklärbar sein. Jetzt ist es verführerisch anzunehmen, dass die mangelhafte CPMSchmerzhemmung ein Risikofaktor für chronisch funktionelle Schmerzen darstellt. Dafür fehlen jedoch die beweisenden Längsschnittstudien, so dass im Moment nur von einer Assoziation von chronisch funktionellen Schmerzen und defizitärer CPM-Schmerzhemmung ausgegangen werden kann. Eine Normalisierung der CPM-Schmerzhemmung nach erfolgreicher Therapie chronischer Schmerzen scheint nicht ausgeschlossen zu sein28. Literatur: 1. Yarnitsky, D. Curr Opin Anaesthesiol (2010). doi: 10.1097/ ACO. 0b013e32833c348b; 2. Le Bars, D. et al. Pain6, 283-304 (1979).; 3. Le Bars, D. Brain Res. Brain Res. Rev40, 29-44 (2002). 4. Willer, J. C. et al. Neurophysiol Clin29, 379-400 (1999).; 5. Villanueva, L et al. Pain67, 231-240 (1996). ; 6. Bouhassira, D et al. J. Neurophysiol64, 1712-1723 (1990). ; 7. Piché, M. et al. J. Neurosci29, 14236-14246 (2009). ; 8. Goffaux P et al. Pain130, 137-143 (2007). 9. Gebhart, G. F. Neurosci Biobehav Rev27, 729-737 (2004). ; 10. Millan, M. J. Prog. Neurobiol66, 355474 (2002). ; 11. Vanegas, H. & Schaible, H. Brain Research Reviews46, 295-309 (2004). ; 12. Pud, D. et al. Pain (2009). doi: 10.1016/j. pain. 2009.02.015 ; 13. Yarnitsky, D. et al. Eur J Pain14, 339 (2010). ; 14. Streff, A., et al. Eur J Pain (2010). doi: 10.1016/j. ejpain. 2010.05.011 ; 15. Kosek, E. & Hansson, P. Pain70, 41-51 (1997). ; 16. Lautenbacher, S., et al. Eur J Pain6, 365-374 (2002). ; 17. Granot, M. et al. Pain136, 142-149 (2008)., 18. Lautenbacher, S. et al. Pain140, 429-435 (2008),; 19. Wilder-Smith, O. H. et al. J Pain Palliat Care Pharmacother24, 119-128 (2010).; 20. Yarnitsky, D. et al. Pain138, 22-28 (2008).; 21. Goffaux, P. et al. Eur J Pain 12, 945951 (2008).; 22. Lautenbacher, S., & Rollman, G. B. Clin J Pain 13,189196 (1997).; 23. Kosek, E., & Hansson, P. Pain 70, 41-51 (1997).; 24. Pielsticker, A. et al. Pain 118, 215-223 (2005).; 25. King, C. D. et al. Pain 143, 172-178 (2009).; 26. Teepker, M. et al. in prep.;27. Mylius, V. et al. J Neurol Neurosurg Psychiatry80, 24-28 (2009).; 28. Kosek, E., & Ordeberg, G. Pain88, 69-78 (2000)
PSYCHOLOGISCHE VERFAHREN Psychische Traumatisierung und chronische Schmerzen SY-49 Trauma und chronischer Schmerz: Ätiologie und Psychotherapie K. Bernardy1, W. Häuser2, M. Klein3, H. Traue4 1 Universitätsklinikum Saarland, Homburg, 2Klinikum Saarbrücken, 3Ev. Krankenhaus Bielefeld, 4Universität Ulm Psychische und körperliche Traumata bewirken Symptommuster, die mit den Kriterien der traumatischen Belastungsstörungen allein nur unzureichend beschrieben werden. Zusätzlich leiden die Patienten häufig (auch nach der körperlichen Heilung) anhaltend unter Schmerzen aufgrund der neurobiologischen Nähe und Ähnlichkeit der Verarbeitung körperlicher und psychischer Schmerzstimulation und starken negativen Emotionen. Die enge Beziehung und die Ähnlichkeit in ätiologischer und behavioraler Hinsicht der beiden Störungen haben zu der Annahme gemeinsamer Vulnerabilität und gegenseitiger Aufrechterhaltung geführt. Die besondere Belastung von Patienten mit PTBS durch chronische Schmerzen machen schmerztherapeutische Interventionen notwendig und bei chronischen Schmerzpatienten sollte die ursächliche Bedeutung von Traumata bedacht werden. Epidemiologie: Mehr als die Hälfte der Allgemeinbevölkerung erlebt im Laufe ihres Lebens mindestens ein traumatisches Ereignis, in dessen Folge sich psychische und somatische Störungen der Gesundheit aus-
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bilden. Obwohl sich manche der Betroffenen von den traumatischen Erfahrungen in Tagen oder Wochen erholen und keine langfristigen Folgestörungen ausbilden, entwickeln abhängig von der Art des traumatischen Erlebnisses in Kombination mit Risikofaktoren viele Traumatisierte lang andauernde Beeinträchtigungen, die am häufigsten als Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) diagnostiziert werden. PTBS ist durch das mentale Wiedererleben des Trauma, ein ausgeprägtes Vermeidungsverhalten, durch emotionale Taubheit sowie psychophysiologischer Übererregung gekennzeichnet. Die Lebenszeitprävalenz für PTBS liegt in der amerikanischen Bevölkerung bei 6.8 %, in der europäischen Bevölkerung bei 1.9 %. Ob eine PTBS ausgebildet wird, hängt stark von der Art des traumatischen Erlebnisses ab: Während in einer Studie von Maercker und Kollegen (2004) mit 18- bis 45-jährigen deutschen Frauen die PTBS-Lebenszeitprävalenz bei Vergewaltigungsopfern 43.3 % betrug, lag sie bei Opfern von Naturkatastrophen bei 12.5 %. Neben den psychischen Langzeitfolgen eines Traumas leiden viele Betroffene zudem an somatischen Folgeerkrankungen. Untersuchungen zeigen eine hohe Komorbidität mit chronischen Schmerzen, nach der bis zu 80 % der PTBS-Patienten von chronischen Schmerzen berichten (Walter et al., in press). Während die psychische Traumatisierung eine allgemeine Vulnerabilität für Schmerzen bewirkt, führen körperliche Traumatisierungen zu somatischen Störungen und spezifischen Schmerzzuständen (Leißner, 2010). Da die körperliche Traumatisierung gleichzeitig eine psychische Extrembelastung darstellt, kommt es meist zu einem komplexen Symptommuster. Psychobiologische Modelle für chronischen Schmerz und PTBS Unzureichend geklärt ist bislang jedoch die Frage nach den Entstehungs- und Aufrechterhaltungsfaktoren von Schmerz und PTBS, die mit ihren Symptomen eine beträchtliche gemeinsame Schnittmenge bilden: In beiden Erkrankungen spielen Vermeidungsverhalten, Übererregung und Ängste, emotionale Instabilität und ein erhöhter somatischer Fokus eine große Rolle. Ob sich die beiden Störungen in ihrer Entstehung gegenseitig beeinflussen, ob eine Störung die Entwicklung der anderen bedingt, ob sie sich gegenseitig aufrechterhalten oder ob es möglicherweise einen dritten Faktor gibt (möglicherweise Depression), ist bislang ungeklärt. Neben der Art des traumatischen Ereignisses (von Menschenhand verursacht versus akzidentiell) spielt auch die Anzahl erlebter Traumata eine entscheidende Rolle, denn je häufiger und länger Betroffene Traumata ausgesetzt waren, umso mehr leiden in der Folge an PTBS- und Schmerzsymptomen (Walter et al., in press). Traumatisierungen in der Kindheit sind Risikofaktoren für die Entwicklung chronischer Schmerzsyndrome. Körperliche Gewalt, emotionale Vernachlässigung und sexueller Missbrauch in Kindheit und Jugend bedingen eine in systematischen Übersichtsarbeiten mit Metaanalysen von Fall/Kontroll- und Kohortenstudien empirisch nachgewiesene Vulnerabilität für die Entwicklung anhaltender somatoformer Schmerzstörungen bzw. chronischer funktioneller somatischer Schmerzsyndrome wie Fibromyalgiesyndrom oder Reizdarmsyndrom (Paras et al. 2009). Das Konzept der Schmerzpersönlichkeit (Adler, 1989) muss dagegen kritisch gesehen werden, da ihm eine Häufung der genannten Traumatisierungen durch die Selektion von Problempatienten in Einrichtungen der Tertiärversorgung sowie durch selektive negative Erinnerungsprozesse zugrunde liegen könnte. Auf der Basis von Risikofaktoren können biologische Wechselwirkungen der Dysregulation des Noradrenalinsystems erörtert als ursächlich für die Entstehung und gegenseitige Beeinflussung von chronischem Schmerz und PTBS angenommen werden: Eine dauerhafte Belastung durch ein nicht verarbeitetes Trauma führt zu einer Dysregulation des endogenen Opiatsystems mit der Folge der Schmerzüberoder Schmerzunterempfindlichkeit oder zu Schwankungen zwischen diesen Polen. Zudem werden neuronale Erregungsmuster präsentiert. Dabei zeigen erste fMRI-Untersuchungen zur Schmerzwahrnehmung bei Kriegsveteranen mit und ohne PTBS eine stressinduzierte Analgesie, wobei PTBS-Patienten geringere Schmerzratings im Vergleich zu gesunden Kontrollgruppen berichten. Die Autoren fanden einen entscheidenden Unterschied in der Aktivierung der Amygdala, die bei den Teilnehmern mit PTBS signifikant geringer war (Geuze et al., 2007).
Obwohl traumatische Erfahrungen weder kognitiv noch behavioral wie Alltagsstress adaptiv verarbeitet werden können, versucht das Gehirn durch höchste zentralnervöse und psychophysiologische Aktivierung den akuten Extremstress zu vermeiden. Die Gedächtnisspur dieses emotionalen Ereignisses bleibt jedoch abrufbar. Da im Schlaf unter anderem Gedächtniskonsolidierung stattfindet, werden auf unvorhersehbare Weise Gedächtnisinhalte aktiviert, die Alpträume auslösen. Es ist wichtig zu wissen, dass die Beeinträchtigungen des Gedächtnisses und der kognitiven Funktionen therapeutische Interventionen stören, die sich auf soziale Lernprozesse stützen (Nilges & Traue, 2007). Als eine der psychischen Überlebensreaktionen während extremer Traumatisierung spalten die Opfer die unerträglich intensiven Angst- und Panikgefühle von ihrem aktuellen Bewusstsein ab (Dissoziation). Dabei wird das emotionale Erleben der Angst und der körperlichen Schmerzen nur aus dem aktuellen bewussten Erleben durch einen seelischen Kraftakt ferngehalten. Später ist der Überlebende ständig bemüht, weiterhin die Erlebnisse in seinem Inneren in Schach zu halten, eine psychophysische Anstrengung, die zu Erschöpfung führt und in Schmerzen mündet. Die psychologischen Zusammenhangsmodelle gehen deshalb von einer gegenseitigen Beeinflussung der PTBS- und Schmerzsymptomatik aus. Als gemeinsame Grundlage gilt dabei das Fear Avoidance Model chronischer Schmerzen: Übererregung und Vermeidung tragen maßgeblich zur Aufrechterhaltung des Teufelskreises von PTBS und chronischen Schmerzen bei (Liedl & Knaevelsrud, 2008). In einer Längsschnittstudie an 824 Unfallpatienten, die innerhalb einer Woche sowie 3 und 12 Monate nach dem traumatischen Ereignis zur PTBS- und Schmerzsymptomatik befragt wurden, liefern theoriegerechte Strukturgleichungen, die die Theorie einer gegenseitigen Aufrechterhaltung unterstützen: Zum einen mediiert Übererregung nach 3 Monaten die Beziehung zwischen akutem Schmerz und Schmerz nach 12 Monaten. Zudem mediierte Schmerz nach 3 Monaten die Beziehung zwischen akuten und 12 Monats- PTBS Symptomclustern (Liedl et al., 2010). Psychotherapeutische Interventionen bei chronischen Schmerzen und Traumatisierung Aus Fallstudien wissen wir, dass intrusive Symptome auch Schmerz beinhalten können, der dem peritraumatisch erlebten Schmerz entspricht. Ein therapeutisches Vorgehen mit einer Traumakonfrontation kann dann dazu führen, dass sich neben den übrigen Symptomen auch der Schmerz zurückbildet (Meiser & Köllner 2009). Das ist plausibel, wenn sich Schmerz und PTBS-Symptomatik auf unterschiedlichen Wegen wechselseitig verstärken und aufrechterhalten: Wenn Schmerzsymptome Teil des intrusiven Wiedererlebens sind, wenn Schmerzssymptome intrusives Wiedererleben auslösen und wenn Hyperarousal und Vermeidungsverhalten zur Aufrechterhaltung der Schmerzen beitragen. Zu Beginn der Behandlung sollten in der Differentialdiagnostik diese Zusammenhänge identifiziert werden. Dadurch kann entschieden werden, ob eher ein Schmerzbewältigungstraining indiziert ist oder ob die chronischen Schmerzen im Rahmen einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) als intrusives Symptom und/oder Folge von Hyperarousal zu verstehen sind. Viele Schmerzpatienten haben vor allem ein somatisch geprägtes Krankheitsverständnis und kommen auch mit diesem in die psychotherapeutische Behandlung, so dass traumatische Erlebnisse nur selten zu Beginn berichtet werden, da sie schambesetzt sein können oder Patienten fürchten, durch sie in eine „Psychoecke“ geschoben zu werden. Insofern ist der sinnvolle Weg zu einer traumabezogenen Schmerztherapie nicht direkt möglich. Das Problem wird oft schon bei der Vermittlung der Entspannungsverfahren deutlich, wenn die Patienten nicht „loslassen“ können. Erst später kommen durch die Bearbeitung biographischer Belastungen auch traumatische Erlebnisse ans Tageslicht. Dies ist ein geeigneter Zeitpunkt in der Therapie, um die Schmerztherapie um traumaspezifische Verfahren zu ergänzen bzw. die Schmerztherapie zu modifizieren: Die Psychoedukation und Entspannung sollten um traumaspezifische Aspekte (wie z. B. Techniken zur Stabilisierung, Techniken zur Traumabewältigung) erweitert werden.
Als Verfahren zur Traumakonfrontation hat sich bei traumatisierten Schmerzpatienten die von Smucker & Dancu (1999) entwickelte Imagery Rescripting and Reprocessing Therapy (IRRT) bewährt, das die klassische Traumakonfrontation mit dem Erarbeiten von stabilisierenden und Ressourcen aktivierenden imaginativen Bewältigungsbildern verbindet. Neben der Traumakonfrontation im Einzelsetting kann eine Gruppentherapie zur Stabilisierung und Erfolgsförderung genutzt werden (Meiser & Köllner 2009). Durch die Erarbeitung eines biopsychosozialen Störungsmodelles am Einzelfall, welches Traumafolgestörung und Schmerzentstehung integriert, integriert das Gruppenkonzept psychoedukative Elemente über Traumagedächtnis, Schmerzentwicklung und Entstehung extremer Emotionen und kann somit für eine deutliche Entlastung sorgen. In der Gruppe sollte keine Konfrontation im eigentlichen Sinne stattfinden, das Imagery Rescripting wird aber mit seinem stabilisierenden Effekt der Erstellung der Bewältigungsbilder auf imaginativer Ebene sowie mit der Arbeit zur Opferversorgung zur Auseinandersetzung mit den Erlebnissen genutzt. Durch die Kombination ressourcenorientierter Verfahren mit den nicht vermeidenden Gesprächen, welche durch die erlebte Handlungsfähigkeit in der Gruppe nicht retraumatisierend erlebt wird, können die Patienten korrigierende emotionale Erfahrungen machen. Eingebettet in diesen „sicheren Ort“ können weitere Schmerzbewältigungstechniken in die Traumaarbeit integriert werden und zugrunde liegende Emotionen offen disputiert werden. Verhaltensexperimente zur Traumafolgen- und Schmerzbewältigung (mit z. B. Biofeedback) sowie die Motivation zur Achtsamkeit und Selbstfürsorge sind weitere wichtige Bestandteile der Gruppentherapie. Am Ende motivieren die Patientinnen sich gegenseitig zum Alltags-Transfer der in der Gruppe erlebten Selbstsicherheit, was oft zu einer weiteren Auseinandersetzung mit den Erlebnissen und letztendlich zur Integration der Ereignisse in das eigene Selbstbild führen kann. Referenzen: Adler RH, Zlot S, Hürny C, Minder C. (1989) Engel‘s „Psychogenic Pain and the Pain-Prone Patient“: A retrospective, controlled clinical study. Psychosom. Med. 51(1): 87-101 Geuze, E., Westenberg, H. G. M., Jochims, A., de Kloet, C. S., Bohus, M., Vermetten, E. (2007) Altered pain processing in veterans with posttraumatic stress disorder. Archives of General Psychiatry, 64(1), 76-85. Leißner, N. (2010) Zur Versorgungssituation traumatisierter Flüchtlinge am Beispiel des Behandlungszentrums für Folteropfer Ulm: Psychische und körperliche Beschwerden nach Extremtraumatisierung. Dissertation an der Universität Ulm. Liedl, A., Knaevelsrud, C. (2008) PTBS und chronische Schmerzen: Entstehung, Aufrechterhaltung und Zusammenhang – ein Überblick. Schmerz, 8 (e-pub ahead of print). Liedl, A., O’Donnell, M., Creamer, M., Silove, D., McFarlane, A., Knaevelsrud, C. (2010) Support for the mutual maintenance of pain and posttraumatic stress disorder symptoms. Psychological Medicine, 40(7), 1215-1224. Nilges, P. & Traue, H. C. (2007) Psychologische Aspekte des Schmerzes. Verhaltenstherapie & Verhaltensmedizin, 28/3 302-322. Maercker, A., Michael, T., Fehm, L., Becker, E. S., & Margraf, J. (2004) Age of traumatisation as a predictor of posttraumatic stress disorder or major depression in young women. British Journal of Psychiatry, 184, 482-487. Nilges, P. & Traue, H. C. (2007) Psychologische Aspekte des Schmerzes. Verhaltenstherapie & Verhaltensmedizin, 28/3 302-322. Paras ML, Murad MH, Chen LP, Goranson EN, Sattler AL, Colbenson KM, Elamin MB, Seime RJ, Prokop LJ, Zirakzadeh A. (2009) Sexual abuse and lifetime diagnosis of somatic disorders: a systematic review and meta-analysis. JAMA 302: 550-61. Meiser E.-M., Köllner V. (2009) Rehabilitation somatoformer Schmerzen bei komorbider Posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS). Ärztliche Psychotherapie und Psychosomatische Medizin, (4) 3, 164166.
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VISIONEN UND IRRTÜMER DFNS – Visionen und Irrtümer SY-50 DFNS – Visionen und Irrtümer R. Treede1, R. Baron2, A. Binder2, C. Maier3, A. Westermann3, T. Tölle4 1 Lehrstuhl für Neurophysiologie, Medizinische Fakultät Mannheim, Universität Heidelberg, Mannheim, 2Sektion für Neurologische Schmerzforschung und -therapie, Klinik für Neurologie, Christian-Albrechts-Universität Kiel, 3 Klinik für Anaesthesiologie, Intensiv-, Palliativ – und Schmerzmedizin, Berufsgenossenschaftliches Universitätsklinikum Bergmannsheil GmbH, RuhrUniversität Bochum, 4Neurologische Klinik und Poliklinik im Neuro-KopfZentrum, Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München Die Quantitative Sensorische Testung (QST) ist die klinische Umsetzung der Vision, durch eine detaillierte Analyse der erlebten Schmerzen eines Patienten den individuellen neurobiologischen Mechanismen seiner Schmerzen näher zu kommen. Der Leitgedanke einer „mechanismen-basierten Klassifikation“ nimmt als klinisch zugängliches Signal die Phänomenologie der erlebten Schmerzen zur Grundlage und analysiert die Schmerzwahrnehmung des Patienten durch 13 Untersuchungen der mechanischen und thermischen Perzeption. Im klinischen Setting ist daher eher von einer „symptom-basierten Klassifikation“ zu sprechen. Das ultimative Ziel ist die Nutzung dieser Informationen, um eine für den individuellen Patienten mit seinen spezifischen Beschwerden angepasste Therapie zu entwickeln. Diese Vision wird seit 2002 vom BMBF im Rahmen des Deutschen Forschungsverbundes Neuropathischer Schmerz (DFNS) gefördert. Nach der Etablierung eines validen und reliablen Untersuchungsalgorithmus (DFNS Protokoll der QST) und der Untersuchung von Patienten mit unterschiedlichsten Formen neuropathischer Schmerzen zeigt die Analyse der Schmerzprofile von 1236 Patienten, dass Schmerz nicht gleich Schmerz ist. Der Vergleich der Profile ergab, dass prinzipiell jedes Schmerzprofil (Negativ- und Positivsymptome) bei jeder neuropathischen Schmerzerkrankung vorkommen kann. Zwar gibt es Unterscheide in der Häufigkeit einzelner Schmerzsymptome (z. B. zwischen Post-Zoster Schmerz und diabetischer Polyneuropathie), allerdings zeigt keine Erkrankung ein charakteristisches typisches Schmerzprofil. Diese Erkenntnisse untermauern die These, dass mechanismen-basierte bzw. symptom-basierte Klassifikation neuropathischer Schmerzen möglich ist. Eine Verbindung zwischen neurobiologischen Mechanismen und verschiedenen Symptomen neuropathischer Schmerzen wurde durch humane Surrogatmodelle geschaffen, die durch verschiedene experimentelle Interventionen (Capsaicin, Ischämie etc) einige der klinisch auftretenden Schmerzprofile nahezu perfekt nachahmen. Unter den oben genannten Gesichtspunkten ist die Vision des DFNS bereits erkennbare Wirklichkeit geworden. Ob die ambitionierte Umsetzung dieser jetzt vorliegenden Daten in eine rationale Therapie möglich wird, bleibt größeren systematischen Anwendungsbeobachtungen unter Einsatz verschiedener pharmakologischer und auch nicht-pharmakologischer Interventionen vorbehalten. Hierbei werden die Mitglieder von DGSS und DGS einen entscheidenden Anteil haben, da eine Verifizierung des Konzeptes für den klinisch-therapeutischen Gebrauch so lange ein „Irrtum“ (Null-Hypothese) bleibt, bis die Schmerztherapeuten in einer konzertierten Aktion die These belegen oder widerlegen.
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Auf dem Weg dorthin werden von kritischen Betrachtern des DFNS immer wieder wichtige Fragen zum QST gestellt. Einige dieser Fragen sollen im Rahmen des Symposiums aufgegriffen und intensiv diskutiert werden, um das Zutrauen zu den Methoden und die aktive Mitarbeit bei der zukünftigen Entwicklung zu bewahren. 1. Frage: Spiegelt das QST den Schmerz des Patienten wieder? A. Binder, Kiel Nach Standardisierung und Validierung der quantitativen sensorischen Testung (QST) im Rahmen des Deutschen Forschungsverbundes Neuropathischer Schmerz (DFNS) steht eine reliable psychophysikalische Methode zur Verfügung, um die unterschiedlichen Positivund auch Negativsymptome an der Haut und am Muskel von Schmerzpatienten beschreiben zu können. Diese Symptome, z. B. die mechanische und thermische Hyperalgesie, mechanische Allodynie oder auch Oberflächenhypästhesie für mechanische und thermische Reize, sind Befunde, die in der Diagnostik wegweisend sind, da sie auf eine Nervenläsion und damit eine neuropathische Schmerzkomponente hinweisen können. Zusätzlich quantifizieren sie einzelne Schmerzsymptome, wir z. B. die mechanische Allodynie. Allerdings ist unklar, in wieweit die sensorischen QST-Befunde das Schmerzsyndrom in einer für den Patienten erlebten Dimension beschreibt: Spiegelt das QST den Schmerz des Patienten wieder? Mittels aktueller Befunde soll im Rahmen dieses Vortrags die Korrelation von QST-Befunden mit den mittels standardisierter Fragebögen erhobenen Angaben des Patienten zur Intensität einzelner Schmerzsymptome dargestellt werden. Zusätzlich soll erarbeitet werden, welche Bedeutung diese Ergebnisse für die klinische und wissenschaftliche Arbeit mit Schmerzpatienten haben. 2. Frage: Ändert sich das QST im Verlauf? R. Baron, Kiel Bei 14 Patienten mit einer postherpetischen Neuralgie wurde zweimalig ein sensorisches Profil mittels quantitativer sensorischer Testung (QST) erstellt (Verlauf 6 Monate und bis 5 Jahre). Bei insgesamt heterogenen Profilen zeigten sich unterschiedliche Verläufe. Am häufigsten konnte eine Normalisierung der thermischen und mechanischen Detektionsschwellen festgestellt werden bei gleichzeitigem Absinken der mechanischen Schmerzschwelle und Anstieg der Sensitivität gegenüber Nadelreizen. Weniger häufig waren Profile, in denen es zu einer Normalisierung von einem durch Positivsymptome gekennzeichneten Profils kam bzw. zu keiner Änderung im Zeitverlauf. Das sensorische Profil an einer postherpetischen Neuralgie erkrankter Patienten kann sich im Verlauf der Erkrankung verändern. Dies lässt sich wahrscheinlich sowohl auf Regenerations- als auch auf Sensibilisierungsprozesse zurückführen. Ob beispielsweise beim einzelnen Patienten Degenerations- oder Sensibilisierungsprozesse im Vordergrund stehen, hätte Auswirkungen auf die zur Anwendung kommenden medikamentösen Therapieoptionen. Einer quantitativen sensorischen Testung scheint somit auch im Verlauf einer postherpetischen Neuralgie eine diagnostische Bedeutung zuzukommen. 3. Frage: Was bringt das QST dem Schmerztherapeuten? C. Maier, Bochum Die Quantitative sensorische Testung (QST) wurde zunächst überwiegend zur quantitativen Bestimmung von Gruppenunterschiede zwischen verschiedenen Diagnosen eingesetzt. Durch die Einführung von Referenzwerten für die wichtigsten Körperareale ist es nun möglich, QST auch für die individuelle Diagnostik, insbesondere unter der Fragestellung, ob entsprechende neurophysiologische pathologische Korrelate eines Schmerzes vorliegen, zu nutzen. Aus Sicht des Klinikers erlaubt QST eine erweiterte apparative neurologische Diagnostik, die die Anamnese und klinische Untersuchung bei folgenden Fragestellungen und Konstellationen sinnvoll ergänzen kann: 1. Mittels QST ist es möglich, alle jenen Neuropathien zu erkennen, die sich der traditionellen neurographischen Diagnostik entziehen. Hierzu zählen in erster Linie die Small-Fiber-Neuropathien, wie sie z. B. nach Chemotherapie, bei bestimmten Formen der Polyneuropathie, beim
CRPS und seltener auch bei Nervenverletzungen auftreten können. Die QST erlaubt z. B. auch die Registrierung von vormals unentdeckbaren Störungen der sensorischen Perfomance bei der Trigeminus-Neuralgie. 2. Anhand der QST kann für die verschiedenen Nervenfasern festgestellt werden, ob einsensorisches Defizit vorliegt. Hierdurch können nozizeptive Schmerzen von neuropathischen Schmerzen besser differenziert werden. QST gewinnt somit auch eine sozialmedizinische Bedeutung, obgleich die Validität z. B. bei Gutachten noch strittig ist. 3. QST erlaubt auch eine Differenzierung der vom Patienten teils identisch geschilderten Beschwerden und ermöglicht somit gezieltere therapeutische Ansätze. Bei verschiedenen Krankheitsbildern, beispielsweise der Querschnittlähmung, sind bei einem Patienten oft gleichzeitig unterschiedliche Mechanismen an der Schmerzgenerierung beteiligt. Mittels QST können diese differenziert werden, und in bestimmten Fällen kann hieraus eine rationale Therapie hergeleitet werden. Beispielsweise kann zwischen Patienten mit erhaltener Sensorik und Patienten mit komplettem Verlust der thermischen Detektion (C-Faser und Ad-Verlust) unterschieden werden, wobei bei Letzteren die topische Applikation z. B. von Capsaicin oder Lokalanästhetika wenig Sinn machen würde. 4. QST erlaubt auch im Einzelfall eine genauere Beschreibung der verschiedenen Hyperalgesieformen. Mittels QST kann somit ein rationales Dekonditionierungskonzept hergeleitet werden. 5. QST eignet sich gerade bei Hyperalgesie-Patienten sehr gut, um Therapieerfolge oder –misserfolge zu quantifizieren und diese Ergebnisse auch edukatorisch im Patientenkontakt zu nutzen. Zusammengefasst ist also der konkrete Nutzen für den Schmerztherapeuten zunächst insbesondere die Erweiterung der Diagnostik, nicht zuletzt aber auch die Abgrenzung von somatoformen Störungen und ähnlichen Phänomenen gleichartiger Symptomausprägung. Darüber hinaus kann es Therapieentscheidungen erleichtern und ist in Zukunft ein wichtiger Parameter des Therapie-Monitorings.
VISIONEN UND IRRTÜMER „What comes up, must come down“ Der historische Fehlschlag des Wind-up als universellem Mechanismus der Schmerz chronifizierung (und was wir daraus lernen können) SY-51 „What comes up, must come down“ Der historische Fehlschlag des Wind-Up als universellem Mechanismus der Schmerzchronifizierung (und was wir daraus lernen können) W. Magerl1, J. Sandkühler2, V. Huge3 1 Forschungsbereich Neurophysiologie, Zentrum für Biomedizin und Medizintechnik Mannheim (CBTM), Medizinische Fakultät Mannheim, RuprechtKarls-Universität Heidelberg, Mannheim, 2Institut für Neurophysiologie, Zentrum für Hirnforschung, Medizinische Universität Wien, Österreich, 3 Klinik für Anaesthesiologie, Ludwig-Maximilians-Universität München Die Entdeckung des Aufschaukelns von Aktionspotentialentladungen spinaler Neurone als Folge repetitiver Stimulation durch Pat Wall und Lorne Mendell Mitte der Sechziger Jahre bedeutete eine Zäsur für unsere Vorstellungen von der Funktion des zentralen Nervensystems, speziell des Rückenmarks. Sie bildet den Ausgangspunkt für ein Konzept der zentralnervösen Plastizität (zusammengefasst im Begriff der „zentralen Sensibilisierung“ an Neuronen des Zentralnervensystems und historisch konzipiert als Plastizität spinaler Neurone). Diese Auffassung wurde konzipiert als Gegenentwurf zur „peripheren Sensibilisierung“ nozizeptiver Afferenzen. In der Folge entzündete sich eine kurzfristig schmerzliche, aber langfristig sehr fruchtbare Kontroverse,
die wesentlich zur Entwicklung einer modernen Physiologie der Nozizeption und der Schmerzwahrnehmung beigetragen hat. Wind-Up wurde dann in den folgenden Jahrzehnten zum zentralen Mechanismus der Chronifizierung von Schmerz hypostasiert. Diese Ansicht muss heute weitgehend revidiert werden. Wind-up ist ein elektrophysiologisches Phänomen, dass bei einigen nozizeptiven Neuronen im Hinterhorn des Rückenmarks beachtet wird (Mendell and Wall 1965, Mendell 1966; zur Übersicht Mendell 1984, Herrero et al 2000). Werden C-Fasern wiederholt in Abständen von ca. 0.2 bis 2 Sekunden gereizt, dann antworten einige der Hinterhorneurone auf die ersten 10-50 C-Faserreize mit einer jeweils anwachsenden Anzahl von Erregungen („Wind-up“). Danach wird ein Plateau erreicht oder die Antworten können auch wieder geringer werden. Nicht alle nozizeptiven Neurone zeigen das Wind-up-Phänomen, sondern vorwiegend konvergente Neurone der tiefen Schichten des Hinterhorns. Wind-up wird auch unter Kontrollbedingungen beobachtet, also auch dann wenn keine Entzündung oder Nervenverletzung vorliegt. Das bedeutet, dass Wind-up eine ganz normale Eigenschaft einiger Hinterhornneurone ist und per se noch kein Zeichen für eine Sensibilisierung. Im Wesentlichen beruht Wind-up auf der zeitlichen Summation postsynaptischer Potentiale (Sivilotti et al. 1993). Membranphysiologisch beruht die erhöhte Aktionspotentialentladung spinaler Neurone auf einer Kumulation erregender postsynaptischer Potentiale (Sivilotti et al. 1995; siehe Abb. 1). Obwohl Wind-up häufig als Grundlage chronischer Empfindlichkeitssteigerung des nozizeptiven Systems diskutiert wurde, ist die Lebensdauer der erhöhten Empfindlichkeit jedoch auf maximal etwa 1-2 min nach Auslösung eines Wind-ups begrenzt (Liu et al. 1999). Die Summation wird jedoch verstärkt und tritt bereits bei niedrigeren Reizfrequenzen auf, wenn die synaptische Übertragung z. B. durch Langzeitpotenzierung (LTP) gesteigert ist. Verstärktes Wind-up ist dann die Folge, nicht die Ursache einer neuroplastischen Veränderung im Rückenmark z. B. bei Entzündungen oder Neuropathie. Wind-up ist ebenfalls verstärkt, wenn es bei einer berstehenden Entzündung ausgelöst wird (Herrero et al. 2000). Auch beim Menschen konnte gezeigt werden, dass Wind-up mühelos durch wiederholte thermische oder mechanische noxische Reize ausgelöst wird. Auch beim Menschen ist nach experimenteller Auslösung einer zentralnervös bedingten Hyperalgesie (z. B. nach Capsaicininjektion) das Wind-up scheinbar gesteigert, bei genauer Analyse zeigt sich jedoch, dass das Steigerungsfaktor (Wind-up-Ratio) unverändert bleibt (Magerl et al. 1998). Längere Stimulation führt zur Überschreitung eines Schmerzmaximums und nachfolgend langsamer Rückbildung der gesteigerten Schmerzhaftigkeit (Wind-down; Klein et al. 2004). Diese Phase geht nicht in eine gesteigerte Sensibilität über, sondern in eine langdauernde Suppression der Schmerzempfindlichkeit (Langzeitdepression). Im Rahmen des Deutschen Forschungsverbunds Neuropathischer Schmerz wurde eine standardisierte Quantitative Sensorische Testung etabliert. Mit Hilfe dieser Testbatterie wird eine umfassende Untersuchung aller somatosensorischen Qualitäten in einem angemessenen Zeitumfang möglich (Rolke et al. 2006a). Als Korrelat für die zeitliche Schmerzsummation wurde die „Wind-up Ratio“ in die QST-Testung aufgenommen. Hierbei wird die empfundene Schmerzhaftigkeit eines Einzelreizes, mit der Gesamtschmerzhaftigkeit einer Reizserie aus zehn repetitiven Reizen in Beziehung gesetzt. Dabei erfolgt innerhalb eines 1 cm² großen Areal zunächst ein Einzelreiz mit einem 256 mN Pinprick (bei Reizareal im Gesicht 128 mN). Der Proband beurteilt die Schmerzhaftigkeit des Einzelreizes auf einer Skala zwischen 0 und 100. Anschließend erfolgt im gleichen Areal die Reizung mit zehn Pinprickreizen mit jeweils 256mN mit einer Frequenz von 1/sec. Danach beurteilt der beurteilt der Patient die Schmerzhaftigkeit der Reizserie. Die gesamte Prozedur wird insgesamt fünf Mal durchgeführt. Der Quotient aus Schmerzhaftigkeit des Einzelreizes und der Schmerzhaftigkeit der Reizserie bildet dann die so genannte „Wind-up Ratio“. Die Wind-up Ratio (WUR) beschreibt das klinische Korrelat einer frequenzabhängigen vermehrten Exzitationsfähigkeit von Rückenmarks-
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Abstracts neuronen, wobei ein Exzitationsmaximum nach etwa fünf Stimuli erreicht sein soll (Herrero et al. 2000). Bei der Untersuchung von 180 Normprobanden war lediglich in 1.1 % der Untersuchungen (12/1088 Fällen) keine WUR berechenbar, da der Nenner aufgrund eines nicht schmerzhaften ersten Reizes null betrug. Diese Konstellation trat hauptsächlich bei Messungen an der unteren Extremität, sowie bei älteren Männern als Probanden auf. Insgesamt gelang es, von Alter und Geschlecht abhängige Normwerte für die WUR ermittelt werden. Zugleich zeigte sich, dass das nicht Vorhandensein von Wind-up nicht als pathologisch zu werten ist (Rolke et al. 2006b). Mit Hilfe der Normdaten der DFNS-Datenbank gelang es im nächsten Schritt, das Auftreten eines pathologischen Wind-up Phänomens bei insgesamt 1236 Patienten mit verschiedenen neuroapathischen Schmerzerkrankungen zu quantifizieren. Während ein vermindertes Wind-up Phänomen mit 2,2 % der untersuchten Patienten eine Rarität darstellte und dem Erwartungswert (= 2,5 %) e in einer gesunden Population ntsprach, fand sich ein vermehrtes Wind-up Phänomen (Werte oberhalb des 95 % Konfidenzintervalls) bei insgesamt 12.6 % der Patienten. Insbesondere Patienten mit postzosterischer Neuralgie (17.4 %) sowie Patienten mit zentralen Schmerzsyndromen (16.3 %) waren hiervon betroffen. Im Gegensatz hierzu waren Patienten mit Polyneuropathien (6.9 %) deutlich seltener von einem positiven Wind-up Phänomen betroffen. Insgesamt war ein pathologisches Wind-up Phänomen jedoch in deutlich geringerem Ausmaß zu beobachten als andere Zeichen einer mechanischen oder auch thermischen Hyperalgesie. So fand sich beispielsweise eine Hyperalgesie auf stumpfe Druckreize bei insgesamt 36 % der untersuchten Patienten (Maier et al. 2010). Möglicherweise lässt sich jedoch eine pathologische WUR gehäuft bei Patienten mit anderen, neuropathischen Schmerzerkrankungen wie der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit feststellen, oder sie zeigt eine gehäufte Assoziation mit dem gleichzeitigen Vorhandensein einer Depression (Lang et al. 2006, Klauenberg et al 2008). Zusammenfassend lässt sich formulieren, dass das Wind-Up-Phänomen aus heutiger Perspektive sowohl aus grundlagenwissenschaftlicher als auch klinischer Sicht von sehr eingeschränkter Bedeutung ist. Es ist vermutlich ein Mechanismus der kurzfristigen Anpassung an wenige Reizwiederholungen, möglicherweise zur Kompensation gleichzeitiger peripherer Empfindlichkeitsverluste. Die Vorstellung Wind-up sei die Grundlage chronisch gesteigerter Nozizeption oder gar des chronischen Schmerzes ist dagegen nicht haltbar. Die Entdeckung des WindUp-Phänomens und der zentralnervösen Sensibilisierung hat jedoch zu einem fulminanten Anstieg der wissenschaftlichen Leistungen und einem Paradigmenwechsel der experimentellen Schmerzforschung geführt, dessen „Wind-up“-Wirkung bis heute anhält. Literatur: Herrero JF, Laird JM, Lopez-Garcia JA (2000) Wind-up of spinal cord neurones and pain sensation: much ado about something? Prog Neurobiol 61: 169-203. Klauenberg S, Maier C, Assion HJ et al (2008) Depression and changed pain perception: hints for a central disinhibition mechanism. Pain 140: 332-343. Lang PM, Schober GM, Rolke R et al (2006) Sensory neuropathy and signs of central sensitization in patients with peripheral arterial disease. Pain 124: 190-200. Liu J, Simone DA, Larson AA (1999) Windup leads to characteristics of central sensitization. Pain 79: 75-82. Magerl W, Wilk SH, Treede RD (1998) Secondary hyperalgesia and perceptual wind-up following intradermal injection of capsaicin in humans. Pain 74: 257-268. Maier C, Baron R, Tolle TR et al (2010) Quantitative sensory testing in the German Research Network on Neuropathic Pain (DFNS): Somatosensory abnormalities in 1236 patients with different neuropathic pain syndromes. Pain 150¨439-450. Mendell L, Wall PM (1966) Responses of single dorsal cord cells to peripheral cutaneous unmyelinated fibres. Nature 206: 97-99.
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Mendell L (1966) Physiological properties of unmyelinated fiber projection to the spinal cord. Exp Neurol 16: 316-332. Mendell L (1984) Modifiability of spinal synapses. Physiol Rev 64: 260324. Rolke R, Magerl W, Campbell KA et al (2006a) Quantitative sensory testing: a comprehensive protocol for clinical trials. European Journal of Pain 10: 77-88. Rolke R, Baron R, Maier C et al (2006b) Quantitative sensory testing in the German Research Network on Neuropathic Pain (DFNS): Standardized protocol and reference values. Pain 123: 231-243. Sivilotti LG, Thompson SW, Woolf CJ (1993) Rate of rise of the cumulative depolarization evoked by repetitive stimulation of small-caliber afferents is a predictor of action potential windup in rat spinal neurons in vitro.
VERSORGUNGSSTRUKTUREN UND GESUNDHEITSÖKONOMIE Konservative Schmerztherapie am Krankenhaus: Klasse oder Masse? SY-52 Konservative Schmerztherapie am Krankenhaus: Klasse oder Masse? R. Thoma1, S. Herrmann2, M. Schiltenwolf3, B. Nagel4 1 Diakoniewerk München-Maxvorstadt, München, 2BKK Landesverband Bayern, München, 3Orthopädische Universitätsklinik Heidelberg, 4DRKSchmerzzentrum Mainz Schmerztherapeutische Angebote wurden im Zuge der DRG – Entwicklung in Deutschland von einer Vielzahl von Krankenhäusern in das therapeutische Angebot aufgenommen, insbesondere die vergleichsweise gut honorierte multimodale Schmerztherapie. Aber auch interventionelle und operative Verfahren weisen teilweise exorbitante Zuwachsraten auf. Die Kostenträger sehen diese Entwicklung kritisch, so dass der Widerstand gegen aufwändige schmerztherapeutische Verfahren zunimmt. Das bieten spezialisierte Einrichtungen Chronische Schmerzen stellen ein komplexes und multidimensionales Geschehen dar, das stets eine medizinische, psychische und soziale Dimension umfasst. Konservative Schmerztherapie erfordert daher einen multimodalen Ansatz, der ausgehend von dieser biopsychosozialen Orientierung, alle Dimensionen des Schmerzes diagnostisch erfasst und zielgerichtet therapeutisch beeinflusst. Spezialisierte schmerztherapeutische Einrichtungen verfügen über die Prozess- und Strukturqualität, die für eine solche multimodale Schmerztherapie erforderlich ist. Sie bieten: § eine Behandlung, an der stets medizinische Fachdisziplinen, Psychologie oder Psychiatrie und körperlich übende Verfahren beteiligt sind. § ein diagnostisches Assessment, das obligat eine medizinische, funktionell somatische sowie eine psychologische Untersuchung umfasst. Die abschließende gemeinsame Wertung und Zusammenschau der Untersuchungsergebnisse durch alle Beteiligten ist zwingend. § eine Diagnostik und Behandlung, die nach einem übergeordneten integrativen Konzept erfolgt. Dies gilt sowohl in Bezug auf einzelne Schmerzsyndrome, als auch auf den einzelnen Patienten. § eine enge zeitliche und räumliche Vernetzung der einzelnen Therapiebausteine. Abstimmung und Steuerung der Therapie erfolgen in regelmäßigen Teamsitzungen. § eine hohe Behandlungsintensität in einem stationären oder teilstationären Setting Vom Säen und Ernten – therapeutisches Vorgehen und Ergebnisse Die Effekte multimodaler Programme lassen sich durch die Berechnung von Effektstärken gut quantifizieren. Unter Bezugnahme auf
deren Nachhaltigkeit und des damit verbundenen Kosten-Nutzen-Verhältnisses (Effizienz) werden erhebliche Unterschiede der Wirksamkeit deutlich. Die Effektstärken reichen von 0.4 bis hin zu 0.8: Stark sind die Effekte auf schmerzbezogene Beeinträchtigung (0.8), etwas geringer auf Schmerz (0.7), mittelstark auf Funktionskapazität (0.5); Effekte auf die körperlichen Lebensqualitätsparameter (SF-36) waren mittelstark (0.5), stark auf psychischen (0.8). Die Effekte erhalten sich vom Ende der Therapie bis zur Sechsmonate-Katamnese, so dass von Nachhaltigkeit ausgegangen werden kann. Verglichen mit Effektstärken traditioneller Rehabilitationsprogramme sind deutliche Unterschiede zugunsten multimodaler Schmerztherapie gemäß OPS-Vorgaben festzustellen. Die Ergebnisse mancher Programme unterscheiden sich kaum von betreutem Spontanverlauf. Die Effekte sind also abhängig von Ort, Dosis und Frequenz, Inhalt und Zielsetzung sowie Setting der Programme. Die Vorbereitung und Einstimmung der Patienten auf ein multimodales Programm mit einem wesentlichen Anteil Psychotherapie, mit Verzicht auf Patientenversorgung durch passive Module erscheint zur Erklärung der erheblichen Unterschiede ebenso wichtig wie die Fähigkeit des Therapieteams, sich auf die Patienten in kleinen Gruppen sowie in Einzeltherapie einzulassen, gemeinsam verschiedene Problemperspektiven zu erarbeiten, die Patienten zu aktiver Gestaltung und Bewältigung zu gewinnen, aber auch Therapiehindernisse, Abwehr und Entwertungen durch Patienten zu überwinden. Zusammenfassung: Das Symposium gibt einen Überblick über die Evidenzlage zur Wirksamkeit und auch Kosteneffektivität eines multimodalen Vorgehens in der Therapie des chronischen Schmerzes. Insbesondere für die Behandlung des Rückenschmerzes ist die Evidenzlage gegenüber einem unimodalem Vorgehen inzwischen unumstritten. Aber auch für weitere Schmerzsyndrome gibt es inzwischen hinreichen Belege für die Effektivität. Multimodale Programme belegen durch nachhaltige Senkung der Inanspruchnahme medizinischer Leistungen ihre Effizienz und sind eine gute Investition mit volkswirtschaftlichem Nutzen. Hieraus lässt sich ableiten, dass neben der Prozessqualität auch die Ergebnisqualität im Sinne der Patientenökonomik beachtet werden soll. Das Symposium stellt einen weiteren Beitrag zur Kommunikation und Transparenz zwischen Kostenträgern und Leistungserbringern dar. Einerseits werden Sichtweise und Erwartungen der Krankenkasse und andererseits als Angebot der Leistungserbringer Kriterien einer qualitativ hochwertigen multidisziplinären konservativen Schmerztherapie präsentiert. Präsentiert wird zudem eine Befragung schmerztherapeutischer Einrichtungen in Deutschland zu Merkmalen ihrer Struktur- und Prozessqualität. Sie zeigt einen hohen Standard in der Behandlung, aber leider noch keine flächendeckende Versorgung mit (teil-) stationärer multimodaler Behandlung in Deutschland. Literatur: 1. Frettlöh J Körner-Herwig B. Einzel- und Gruppentherapie in der Behandlung chronischer Schmerzen – Gibt es Effektivitätsunterschiede? Z klin Psychol. 1999; 28 (4): 256-266 2. Gunreben-Stempfle B, Grießinger N, Lang E, Muehlhans B, Sittl R, Ulrich K (2009) Effectiveness of an Intensive Multidisciplinary Headache Treatment Programme. Headache 49: 990-1000 3. Guzman J, Esmail R, Karjalainen K et al. (2002) Multidisciplinary bio-psycho-social rehabiliattaion for chronic low back pain (cochrane review). The Cochrane Library, Issue 4, Oxford 4. Hoffman BM, Papas RK, Chatkoff DK, Kerns RD. Meta-analysis of psychological interventions for chronic low back pain. Health Psychol. 2007; 26(1): 1-9 5. Hüppe A Raspe H. Zur Wirksamkeit von stationärer medizinischer Rehabilitation in Deutschland bei chronischen Rückenschmerzen; Aktualisierung und methodenkritische Diskussion einer Literaturübersicht. Rehabil 2005; 44: 24 – 33 6. Jensen IB, Busch H, Bodin L, Hagberg J, Nygren Ä, Bergström G (2009) Cost effectiveness of two rehabilitation programmes for neck and back pain patients: A seven year follow-up. Pain 142: 202-208
7. Klinger R, Nutzinger DO, Geissner E, Hafenbrack K, Hahn B, Apelt M. Follow-up Ergebnisse stationärer verhaltenstherapeutisch orientierter Schmerztherapie. Zeitschrift für Klinische Psychologie. 1999; 28 (4): 267-272. 8. Nagel B , Korb J (2009) Multimodale Therapie des Rückenschmerzes. Orthopäde 38: 907-102 9. Pöhlmann K, Tonhauser T, Joraschky P, Arnold B (2009) Die Multimodale Schmerztherapie Dachau (MSD). Daten zur Wirksamkeit eines diagnose-unabhängigen multimodalen Therapieprogramms bei Rückenschmerzen und anderen Schmerzen. Schmerz 23: 40-46 10. Scascighini L, Toma V, Dober-Spielman S, Sprott H (2008) Multidisciplinary treatment for chronic pain: a systematic review of interventions and outcomes. Rheumatology 47: 670-678 11. Scharff L, Marcus DA (1994) Interdisciplinary Outpatient Group Treatment of Intractable Headache. Headache: 73-78 12. Schütze A, Kaiser U, Ettrich U, Große K, Goßrau G, Schiller M, Pöhlmann K, Brannasch K, Scharnagel R , Sabatowski R (2009) Evaluation einer multimodalen Schmerztherapie am Universitäts-SchmerzCentrum Dresden. Schmerz 23: 609-617 13. van Tulder MW, Ostelo R, Vlaeyen JWS, Linton SJ, Morley SJ, Assendelft WJJ. Behavioral Treatment for Chronic Low Back Pain, A Systematic Review Within the Framework of the Cochrane Back Review Group. Spine 2000; 25 (20): 2688 – 2699
VERSORGUNGSSTRUKTUREN UND GESUNDHEITSÖKONOMIE Alltag in deutschen Schmerzzentren: Erkenntnisgewinn aus einer multizentrischen Datenanalyse SY-53 Alltag in deutschen Schmerzzentren: Erkenntnisgewinn aus einer multizentrischen Datenanalyse J. Frettlöh1, M. Hüppe2, G. Fritsche3 1 Uniklinikum Bergmannsheil Bochum, 2Universität zu Lübeck, Klinik für Anästhesiologie, Lübeck, 3Universitätsklinikum Essen, Neurologische Klinik, Essen Der Vorstand der DGSS initiierte 1998 mit dem Dokumentationssystem QUAST „Qualitätssicherung in der Schmerztherapie“ die Einrichtung einer großen anonymisierten Datenbank. Diese wird aus zahlreichen deutschen Schmerzeinrichtungen (mittlerweile mehr als 125) gespeist. Vor kurzem wurden erste Befunde zu soziodemographischen und schmerzbezogenen Daten sowie zu psychometrischen Kennwerten des Deutschen Schmerzfragebogens einer Analysestichrobe von 10.054 Patienten aus 19 kooperierenden schmerztherapeutischen Einrichtungen publiziert (Frettlöh et al., 2009). In dem ersten Beitrag dieses Symposiums (J. Frettlöh: Schmerzklientel: Wie belastet sind die Patienten?) wird zunächst die Gewinnung der Analysestichprobe sowie eine zusammenfassende Charakterisierung der untersuchten Patientenstichprobe vorgestellt. Im Zentrum des Beitrages steht die Vorstellung eines psychischen Belastungsindex. Seine Bedeutung ergibt sich u. a. aus Befunden von Wasan et al. (2005), die zeigten, dass die analgetische Wirkung einer pharmakologischen Maßnahme deutlich von der psychischen Belastung der Patienten abhängig ist. Der für die QUAST-Analysestichprobe gebildete Belastungsindex ergibt sich aus Messwerten verschiedener psychometrischer Instrumente des Deutschen Schmerzfragebogens (DSF). Unter Hinzuziehung dieses Belastungsindex wird die Analysestichprobe erneut analysiert. Unter anderem soll die Stichprobe hinsichtlich der Fragestellung betrachtet werden, ob und in welchen Diagnosegruppen auffällig hohe und auffällig niedrige Belastungen zu beobachten sind. Ferner wird erwartet, dass der Ausprägungsgrad des psychischen Belastungsindex Der Schmerz Supplement 1 · 2010
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Abstracts mit dem Therapie-outcome und Therapieversagen/-abbruch in Zusammenhang steht. Dabei sind auch Moderatorvariablen, wie laufendes Rentenverfahren, häufige Arztwechsel oder Gefährdung des Arbeitsplatzes mit in die Analyse eingeflossen und werden in Abhängigkeit des psychischen Belastungsindex analysiert und bewertet. Der zweite Beitrag (Hüppe: Behandlungserfolg: Wie viel Veränderung macht Patienten zufrieden?) zielt auf Veränderungen der Patienten im Verlauf der Behandlung ab. Dabei wird zunächst auf die Notwendigkeit der begrifflichen Trennung von Wirksamkeit und Erfolg einer Behandlung eingegangen. Ferner werden die methodischen Ansätze zur Bestimmung von „Erfolg“ vorgestellt und auf die QUAST-Analysestichprobe angewendet. Berücksichtigt werden dafür der Deutsche Schmerzfragebogen und der letzte Verlaufsfragebogen. Es wird aufgezeigt, wie ausgeprägt Veränderungen sein müssen, damit Patienten diese als Behandlungserfolg beurteilen. Ferner wird der Frage nachgegangen, ob der Behandlungserfolg mit dem Schmerzchronifizierungsstadium in Zusammenhang steht (Hüppe et al., eingereicht). Der Erkenntnisgewinn für Einrichtungen, die bei ihrer klinischen Arbeit nicht auf Kontrollgruppen (z. B. Wartegruppen) zurückgreifen können, wird abschließend beleuchtet. Der dritte Beitrag (Fritsche: Kopfschmerz: Wie anders sind diese Patienten?) fokussiert auf Patienten mit Kopfschmerzen (n=1061). Diese Patientengruppe weist im Vergleich zu anderen Schmerzsyndromen die meisten Besonderheiten auf (z. B. längste Erkrankungsdauer; vergleichsweise niedrige Depressionswerte, vgl. Frettlöh et al. 2009). Das Kollektiv der Patienten mit einer Kopfschmerzdiagnose besteht mehrheitlich aus Patienten mit den Diagnosen Kopfschmerz vom Spannungstyp (n=445) oder Migräne (n=372). Die Patienten mit Migräne sind etwas jünger (42 vs. 44 Jahre) und es findet sich bei ihnen ein höherer Anteil an Frauen (87,4 % vs. 65,1 %, p<0,001). Diese Gruppe beschreibt im Erstfragebogen ein besseres psychisches Befinden (signifikant geringere Werte im ADS und eine höhere Lebensqualität in der psychischen Summenskala des SF-36). Gleichzeitig erlebt diese Diagnosegruppe den Schmerz aber in der sensorischen und affektiven Qualität ausgeprägter und gibt signifikant höhere schmerzbedingte Beeinträchtigung (PDI) an. Weitere Unterschiede zwischen diesen zwei Unterdiagnosen werden auf der Grundlage der QUAST-Dokumentationsdaten (Erstfragebogen und Verlaufsfragebogen) präsentiert. Sie verweisen insgesamt auf die große Heterogenität von Patientengruppen mit der Hauptschmerzdiagnose „Kopfschmerzen“. Literatur: · Frettlöh J, Maier C, Gockel H, Zenz M, Hüppe M (2009) Patientenkollektiv deutscher schmerztherapeutischer Einrichtungen. Schmerz 23: 527-591. · Hüppe M, Frettlöh J, Gockel H, Zenz M, Maier C (zur Publikation eingereicht) Therapieerfolg auch bei höherer Schmerzchronifizierung? Eine Auswertung des Mainzer Stadienmodells auf basis der QUASTAnalysestichprobe. Schmerz · Wasan AD, Davar G, Jamison R (2005) The association between negative affect and opioid analgesia in patients with discogenic low back pain. Pain 117: 450-461
KOPFSCHMERZ Was hat die Cortical Spreading Depression (CSD) mit Migräne zu tun? SY-54 Was hat die Cortical Spreading Depression (CSD) mit Migräne zu tun? U. Reuter1, A. Gorji2 1 Charité Universitätsmedizin Berlin, 2Institut für Neurophysiologie, Münster Von der Aura zum Kopfschmerz U. Reuter (Berlin)
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Die sog. Cortical Spreading Depression (CSD) wurde bereits in der 5 Dekade des vergangenen Jahrhunderts erstmals beschrieben. Es handelt sich hierbei um eine Depolariationswelle neuronaler und glialer Zellen, die mit einer Geschwindigkeit von 3-5 mm/min über den Kortex wandert und gefolgt wird von einer länger anhaltenden Phase neuronaler Untererregbarkeit. Im Rahmen der CSD kommt es ebenfalls zu einem kurzen Anstieg des regionalen Blutflusses mit einer nachfolgenden verminderten Perfusion im Kortex. Während über viele Dekaden die CSD nur im Tier beobachtet werde konnte haben wir heute multiple Hinweise, das dieses Phänomen auch im Menschen zu beobachten ist im Zusammenhang mit einer Migräne Aura. Funktionelle MRT Untersuchungen zeigen während der Migräne Aura eine Vielzahl von Ähnlichkeiten zum Phänomen der CSD. Zu nennen ist hierbei z. B. der zeitliche Verlauf, die Ausbreitung entlang des Kortex sowie die veränderten Erregungsbedingungen kortikaler Neurone. Im Tier können die Konsequenzen einer CSD gut beobachtet werden. Es kommt zur Aktivierung trigeminaler Neurone mit einem konsekutiven Anstieg des Blutflusses in der Hirnhaut und einer verzögerten verlängerten Hypoperfusion in der A. meningea media. Eine Öffnung der Blut-Hirn Schranke wird als Folge einer CSD im Tierexperiment beobachtet und ebenso der Austritt von Plasmaprotein in die Hirnhaut. Alle diese Phänomene verbinden die CSD als Korrelat der Migräne Aura mit dem Kopfschmerz. Eine CSD ist in transgenen Tieren, die eine für die hemiplegische Migräne typische Mutation aufweisen, sehr viel leichter auslösbar als in vergleichbaren Wildtypen und kann hier ebenso dramatische Konsequenzen (Hemiplegie) wie eine Aura in Menschen mit derselben Mutation bewirken. Letztlich kann die Auslösbarkeit der CSD in der Maus durch weibliche Geschlechtshormone modifiziert werden. In weiblichen Mäusen, die eine typische Mutation für hemiplegische Migräne aufweisen, ist eine CSD wesentlich einfacher auslösbar als in männlichen Mäusen mit derselben Mutation. Dieser Unterschied kann durch eine Ovarektomie wieder beseitigt werden. Ebenso kann durch eine Orchiektomie in männlichen transgenen Mäusen die Empfindlichkeit für die CSD analog zum weiblichen Geschlecht erhöht werden. Auch die dauerhafte Behandlung mit männlichen Geschlechtshormonen (Testosteron) kann den Effekt der Orchiektomie auf die CSD umkehren. Dieser Einfluss von Hormonen auf die CSD verdient unter Berücksichtigung des Einflusses von Hormonen auf die Migräne (z. B. perimenstruelle Häufung von Migräne Episoden) eine besondere Berücksichtigung. Weitere Hinweise zeigen Untersuchungen auf mit Substanzen, die im Patienten erfolgreich zur Migräneprophylaxe eingesetzt werden. Die repetitive Gabe von ß-Bockern, Amitryptilin, Valproat und Topiramat führt in Abhängigkeit von der Applikationsdauer (Wochen-Monate) und Dosierung zu einer veränderten Empfindlichkeit des Gehirns gegenüber der CSD. Die Auftretenshäufigkeit einer CSD auf einen definierten Stimulus hin wird reduziert und die Schwelle der Stromstärke die zur Induktion der CSD notwendig ist wird deutlich erhöht. Diese Daten zeigen an, dass Substanzen, die das Auftreten von Migräneattacken im Menschen reduzieren, zu einer Änderung der Bereitschaft des Gehirn führen eine CSD zu entwickeln. Zusammengefasst weist das Phänomen der CSD multiple Ähnlichkeiten zur Aura und zur Migräne im Menschen auf und viele dieser beschriebenen Gemeinsamkeiten lassen die CSD als eine der Ursachen des Migräne Kopfschmerzes erscheinen. The role of cortical spreading depression in migraine Ali Gorji, Münster University More than 60 years ago Aristides Leão suggested the term spreading depression (SD) to describe a transient „depression“ of bioelectrical activities that lasts up to several minutes and slowly „spreads“ in all directions in neocortex. SD is characterizedby a propagating wave of neuronaland glial depolarization and is followed by long-lasting suppressionof neuronal activity. The depolarization phase is associatedwith an increase in regional cerebral blood flow, whereasthe phase of reduced neuronal activity is associated with areduction in cerebral blood flow. Several studies suggested a crucial role of SD in aura phase of mig-
raine attacks as well as other signs and symptoms of this neurological disorder including pain. Evidences point to the role of SD in triggering pain during migraine attacks including the role of SD in enhancement of cortical, spinal, and thalamic synaptic activities will be discussed in the lecture.
RÜCKENSCHMERZ Das Fear Avoidance Modell im Lichte neuer Erkenntnisse SY-55 Das Fear Avoidance Modell im Lichte neuer Erkenntnisse C. Leonhardt1, A. Evers2, M. Hasenbring3 1 Philipps-Universität Marburg. Institut für Medizinische Psychologie, Marburg, 2Radboud University Nijmegen, Medical Centre, Medical Psychology 840, HB Nijmegen, Niederlande, 3Ruhr-Universität Bochum Das Fear-Avoidance-Modell (FAM) ist ein weit verbreitetes Erklärungsmodell zur Chronifizierung von Rückenschmerzen. Das FAM postuliert eine vom Patienten in der Akutphase erworbene Angst vor Bewegungen, die zu Schonverhalten mit einer Vermeidung von körperlicher Aktivität so langfristig über eine Dekonditionierung des muskuloskeletalen Systems und allgemeinem Rückzug in einen das Schmerzsyndrom aufrechterhaltenden Teufelskreis führt. Dieses Modell wurde um die sog. Endurance Komponente von Hasenbring erweitert. Hier wird die Dysfunktionalität einer supressiven Schmerzverarbeitung hervorgehoben, wo das „Durchhalten“ statt des „Vermeidens“ bevorzugt wird. Der erste Beitrag (Leonhard) beschäftigt sich mit den Auswirkungen von Angst-Vermeidungsüberzeugungen und Schmerzängsten auf die körperliche (Alltags-) Aktivität von Patienten mit muskuloskeletalen Schmerzen. Wie bereits Leeuw et al. (2007) in ihrem Überblicksartikel zum Fear-Avoidance-Modell (FAM) darlegen, sind hier die Befunde entgegen den Erwartungen insgesamt eher inkonsistent. Anhand der Daten aus einem BMBF-Rückenschmerzprojekt und weiterer aktueller Befunde wird dargelegt, dass wahrscheinlich keine generelle Dekonditionierung bei Rückenschmerzpatienten vorliegt. Die FABQ-Skala zu den Angst-Vermeidungsüberzeugungen bezüglich körperlicher Aktivität misst eher ein kognitives Schema, was sich auf Befürchtungen bei umschriebenen Bewegungen bezieht. Auch eine veränderte Körperwahrnehmung und die Qualität von Bewegungen könnten eine Rolle bei der Chronifizierung spielen. Der zweite Beitrag (Barke et al.) fokussiert auf die postulierte Angst im FAM, die auch als Kinesiophobia charakterisiert worden ist, und deren Reduzierung durch Vermeidungsverhalten als der wesentliche Mechanismus der Chronifizierung verstanden werden kann. Es wird eine Untersuchung vorgestellt, die prüft ob Angst im Sinne einer Phobie bei chronischen Rückenschmerzpatienten angenommen werden kann und ob diese vergleichbar ist mit einer Phobie im klassischen Sinne (z. B. Spinnenphobie) Die Ergebnisse einer fMRI Studie weisen insgesamt daraufhin, dass von einer Phobie nicht ausgegangen werden kann, sondern vermutlich kognitive Prozesse für die Chronifizierung ausschlaggebend sind. Somit wird die Position der Autorin des ersten Beitrags unterstützt Der dritte Beitrag (Evers) beschäftigt sich wesentlich mit einem differenziellen Ansatz zur Therapie der Fibromyalgie. Basierend auf den vorherrschenden Verarbeitungsstrategien der Patienten wird ein speziell auf den Abbau von Avoidance bzw. Pain Persistence Strategien abzielendes Therapiekonzept eingesetzt. Die Befunde zeigten eine hohe Wirksamkeit der Therapie insgesamt. Weiter zeigten sich die Ausprägungen der spezifischen Verarbeitungsweisen als differenzielle Mediatoren des Outcomes. Insgesamt unterstützen die Daten die Sinnhaftigkeit des um die Komponente der Endurance erweiterten Modells der Chronifizierung.
Der vierte Beitrag (Hasenbring) ergänzt die Evidenz zum Avoidance / Endurance Modell um neue Befunde zu spezifischen Messverfahren der Verarbeitungsweisen und zu behavioralen und neurobiologischen Parametern aus prospektiven Längsschnittstudien.
EXPERIMENTELLEMODELLE UND PATHOPHYSIOLOGIE Modellierung von peripheren Schmerzschaltern (MoPS) SY-56 Biochemische und zellbiologische Identifikation von Signalmodulen T. Hucho1, H. Seitz1, F. Herberg2 1 Max Planck Institut für molekulare Genetik, Berlin, 2Uni Kassel Eine Vielzahl von Faktoren führt zu Schmerzsensitivierung. Nutzt jeder dieser Faktoren jedoch einen eigenen zellulären Mechanismus und erfordert daher auch eine eigene Therapie? Oder konvergieren diese Faktoren auf gemeinsamen Signalwegen? Wir führen das Konzept der „Nozizeptiven Module“ ein. Die Untersuchung eines solchen sensitivierenden Moduls führte uns zur Identifikation eines neuen desensitivierenden Moduls, mit Hilfe dessen bereits bestehende Sensitivierung im Tier und in Vorversuchen auch im Menschen ausgelöscht werden kann. Dieser überraschende hoffentlich therapeutisch nutzbare Mechanismus zeigt das Potential einer systematischen Untersuchung Nozizeptiver Signalmodule, wie sie im Rahmen des Konsortiums „Modellierung von peripheren Schmerzschaltern (MoPS)“ durchgeführt wird.
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Abstracts
Praktikerseminare PRAKTIKERSEMINAR PS1 Diagnostik und Therapie von Rückenschmerzen (multimodale Behandlung) PS1 Diagnostik und Therapie von Rückenschmerzen M. Pfingsten1, J. Hildebrandt1, J. Strube1, W. Pennekamp2, D. Seeger3 1 Universitätsmedizin, Göttingen Göttingen, 2Berufsgenossenschaftliches Universitätsklinikum Bergmannsheil, Bochum, 3Universitätsmedizin, Göttingen Rückenschmerzen verursachen in allen industrialisierten Ländern die höchsten Kosten für Gesundheitsausgaben; epidemiologische Untersuchungen zeigen ein sehr hohes Vorkommen in der Allgemeinbevölkerung. Das Ausmaß der Beeinträchtigung ist allerdings sehr unterschiedlich und nur ein Teil der Patienten weist komplizierte Verläufe auf. Diagnostisch ist es wichtig zu unterscheiden, ob eine spezifische Ursache vorliegt oder – was in mehr als 80 % der Fälle gegeben ist – ein sog. nicht-spezifischer Rückenschmerz vorliegt. Damit ist gemeint, dass keine eindeutige klare somatische Ursache für das Ausmaß der Beschwerden identifiziert werden kann. Es handelt sich eher um eine Funktionsstörung,, bei der Erlebens- und Verhaltenanteile ebenfalls eine wichtige Rolle spielen. Bei Rückenschmerzen gibt es mehr Therapieverfahren als in allen anderen medizinischen Bereichen, was für Behandler und Patienten zu einer erheblichen Verunsicherung über den richtigen Weg führen kann. Seit kurzer Zeit gibt es mehrere hochqualifizierte evidenzbasierte nationale und internationale Leitlinien; die Nationale Versorgungsleitlinie Kreuzschmerz steht kurz vor dem Abschluss und wird im Rahmen des diesjährigen DGSS Kongresses vorgestellt. Diese Leitlinie wird im Seminar berücksichtigt bzw. in ihrer praktischen Konsequenz erläutert. Es besteht die Gefahr, dass die bildgebende Diagnostik in ihrer Aussagekraft für die Genese von Rückenschmerzen überschätzt wird. Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule sind häufig und entsprechen nicht zwingend der Ursache der beklagten Beschwerden. Von daher werden Röntgenaufnahmen bei Vorliegen von nicht-spezifischen Rückenschmerzen primär nicht empfohlen. Die Indikation von Röntgenaufnahmen sollte sich an „Red Flags“ orientieren, die Hinweise auf zugrundeliegende Erkrankungen geben können. Neben der Diskussion um die Indikation zu bildgebenden Verfahren, werden in diesem Beitrag die zu erwartenden Befunde an der Wirbelsäule in Schnittbilduntersuchungen (MRT/CT) und konventionelles Röntgen vorgestellt (Pennekamp). Anamnese und körperliche Untersuchung sind der Schlüssel zur weiteren diagnostischen und therapeutischen Planung. Sie spielen bei fast allen Rückenschmerzen eine wesentlich wichtigere Rolle als technische Verfahren (z. B. radiologische Verfahren oder Laboruntersuchungen). Unter Berücksichtigung der nationalen Versorgungsleitlinie „Kreuzschmerz“ wird den Seminarteilnehmer/innen ein rationelles, standardisiertes Anamnese- und Untersuchungskonzept für Patienten mit chronischen Rücken/Bein Schmerzen vermittelt (Differenzierung von radikulären und nicht-radikulären Beschwerden sowie orientierende Differenzierung von nicht-radikulären Beschwerden) (Strube). Die Bedeutung ungezielter Nerven-Blockaden und Infiltrationen spielen bei Rückenschmerzen eine zunehmend geringere Rolle, da sie in ihrer Wirksamkeit unbewiesen sind. Bei einer kleinen Patientengruppe mit chronischen Schmerzen scheinen sie aber wichtig und effektiv zu sein. Dies bezieht sich auf diagnostische Blockaden vor invasiven Eingriffen (Wurzelblockade, Facettenblockade, Diskografie) und therapeutischen Injektionen (peridural, Sakro-Iliacal-Gelenk). Voraussetzung
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ist die Durchführung unter Bildgebung (C-Bogen oder CT) bei strikter Einhaltung von Qualitätskriterien. In diesem Workshop erhält der Zuhörer Hinweise für ein rationelles Vorgehen und technische Essentials (Hildebrandt). Medikamente spielen bei der Behandlung zwar eine wichtige Rolle, sie müssen jedoch zielgerichtet und entsprechend der Krankheitsphase akut, subakut und chronisch eingesetzt werden. Für viele üblicherweise in der Schmerztherapie eingesetzte Medikamente gibt es keinen Wirksamkeitsnachweis und dementsprechend auch keine Indikation. Im Seminar werden die wesentlichen Medikamente benannt und deren Leitliniengerechte und rationelle Verordnung erläutert (Hildebrandt). Rückenschmerzen sind keine genuine psychosomatische Erkrankung, jedoch konnte in zahlreichen experimentellen Studien belegt werden, dass sowohl das Verhalten als auch das Erleben von Patienten mit Rückenschmerzen durch kognitive Faktoren, wie z. B. Katastrophisieren, Schmerzerwartungen, Krankheits- und Bewegungs-bezogene Ängste in erheblicher Weise moduliert wird. Daraus abgeleitete Behandlungsprinzipien sind in alle Behandlungsteile eines sog. „multimodalen“ Vorgehens integriert. Auch in die körperlich orientierten Therapiebausteine wie die Trainingstherapie oder das Arbeitstraining fließen verhaltenstherapeutische Prinzipien ein. Bei diesem Vorgehen kommt dem spezifischen Behandlungssetting und dem Verhalten des gesamten therapeutischen Teams eine besondere Bedeutung zu. In mehreren Meta-Analysen konnte die Effektivität dieser kombinierten und Konzept-gesteuerten Vorgehensweise nachgewiesen werden (Pfingsten). Physiotherapeutische Behandlungen sind in das gemeinsame Vorgehen eingebettet. Neu ist an dieser Vorgehensweise die salutogenetische Orientierung anstelle einer pathogenetisch orientierten Denkweise, sowie die Einbettung in eine interdisziplinäre Abstimmung. Dabei besteht eine besondere Herausforderung darin, auf behandlungsbedürftige Befunde und Symptome therapeutisch angemessen zu reagieren und andererseits Symptome als gegeben therapeutisch zu begleiten und zu beobachten, bzw. sich selbst regulieren zu lassen. Unter Berücksichtigung einer Funktions-orientierten Sichtweise werden mit den Patienten konkrete Zielsetzungen u. a. in Bezug auf das Bewegungsverhalten sowie den Umgang mit Grenzen und dem Erkennen der eigenen Möglichkeiten auch im Umgang mit Schmerz vereinbart und anschließend schrittweise erarbeitet. Freude an Bewegung durch ein freies Sport- und Spieleangebot ist dabei ein wichtiger Begleiter (Seeger). Dieser Praktiker-Kurs soll aus interdisziplinärer Sicht den aktuellen Stand des Wissens darlegen und praxisnah vermitteln, um einen besseren und rationellen Zugang zu den Patienten zu vermitteln, sodass die Teilnehmer danach in der Lage sind, diese in ihrem Berufalltag umzusetzen. Die Vermittlung der Inhalte vollzieht sich explizit an den Ergebnissen der neuen S3-Leitlinie „Kreuzschmerz“. Beiträge: · Überblick über das Problem (J. Hildebrandt, Göttingen) · Körperliche Untersuchung (J. Strube, Göttingen) · Diagnostische Radiologie (W. Pennekamp, Bochum) · Diagnostische und therapeutische Nervenblockaden (J. Hildebrandt, Göttingen) · Medikamentöse Verfahren (J. Hildebrandt, Göttingen) · Physio-, Trainings- und Ergotherapie (D. Seeger, Göttingen) · Psychologische Diagnostik und Therapie, Multimodale Verfahren (M. Pfingsten, Göttingen)
PRAKTIKERSEMINAR PS2 Biofeedbackbehandlung bei Kopfschmerzen PS2 Biofeedbackbehandlung bei Kopfschmerzen U. Niederberger1, P. Kropp2 1 Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel, 2Institut für Medizinische Psychologie, Zentrum für Nervenheilkunde an der Medizinischen Fakultät der Universtät Rostock Neben Entspannungsverfahren, operanten und kognitiv-verhaltenstherapeutischen Behandlungsansätzen im eigentlichen Sinne hat sich in den letzten Jahren zunehmend die Biofeedback-Therapie als verhaltenstherapeutische Maßnahme zur Behandlung von Kopfschmerzen etabliert. Cochrane-Studien und umfangreiche Metaanalysen haben zeigen können, dass diese Therapieverfahren bei der Migräne ähnlich effektiv sind wie eine medikamentöse Prophylaxe. Das Prinzip dieser Behandlung ist einfach: Grundsätzlich können alle autonom oder zentral ablaufenden Körperfunktionen über Biofeedback beeinflusst werden. Sie müssen nur bewusst wahrgenommen werden. Dadurch lassen sich diese Funktionen willentlich in die gewünschte Richtung beeinflussen. Dies gilt in besonderem Maße auch für Kopfschmerzen. Im PRAKTIKERSEMINAR werden die wissenschaftlichen Grundlagen der Biofeedbacktherapie vorgestellt und es folgen einige Fallbeispiele bei der Anwendung, hier speziell bei der Migräne und beim Kopfschmerz vom Spannungstyp. Abgerundet wird das Seminar mit praktischen Übungen der Teilnehmer an verschiedenen Biofeedbackgeräten, einer unabhängigen Gerätekunde, abrechnungstechnischen Hinweisen und einer Darstellung der Fallstricke dieser Behandlung.
PRAKTIKERSEMINAR PS3 Drittmittel in der Schmerzforschung: was gibt es und wie bekomme ich sie? PS3 Drittmittel in der Schmerzforschung: was gibt es und wie bekomme ich sie? H. Rittner1, K. Hügen2, P. Reeh3 1 Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie, Zentrum für Operative Medizin, Würzburg, 2Zentrale für klinische Studien, Würzburg, 3Institut für Physiologie und Experimentelle Pathophysiologie, Erlangen Vorsitz: PD Dr. H. Rittner, Würzburg Förderquellen in der Schmerzforschung – ein Überblick (PD Dr. H. Rittner, Klinik für Anästhesiologie, Würzburg) Tipps und Tricks zur Antragsstellung: klinische Studien (Dipl. Biol. K. Hügen, Zentrale für Klinische Studien, Würzburg) Tipps und Tricks zur Antragsstellung: Grundlagenforschung (Prof. Dr. P. Reeh, Institut für Physiologie, Erlangen) Sowohl die klinische Forschung als auch die Grundlagenforschung sind in zunehmendem Maße auf externe Drittmittelgeber angewiesen. Hierbei gibt es im Bereich Schmerz neben der Deutschen Forschungsgemeinschaft auch Möglichkeiten der Förderung durch Fachgesellschaften oder durch die Industrie. Allerdings ist einerseits das Wissen um solche Geldgeber häufig nicht gebündelt verfügbar und andererseits bestehen oft große inhaltliche und formale Hürden bei der Erstantragsstellung. In diesem Seminar sollen die verschiedenen Drittmittelquellen aufgezeigt werden. Im zweiten Teil werden praktische Vorgehensweisen zur Antragsstellung erarbeitet. Dabei sollen vor allem einerseits Tipps von erfolgreichen Wissenschaftlern als auch mögliche Fallstricke aufgezeigt werden. Ebenso soll insbesondere für die klinischen Studien
aus Sicht einer Koordinationsstelle mögliche Hürden bei dem Design und der Beantragung dargestellt werden. Das PRAKTIKERSEMINAR richtet sich vornehmlich an junge Nachwuchswissenschaftler. Im Vorfeld können an die Vorsitzende bereits spezifische Fragen gerichtet werden, die dann im Seminar bearbeitet werden können.
PRAKTIKERSEMINAR PS4 Entspannungsverfahren bei chronischem Schmerz PS4 Entspannungsverfahren bei chronischem Schmerz A. Diezemann DRK Schmerz-Zentrum Mainz Entspannungsverfahren spielen eine wichtige Rolle in der Schmerztherapie und sind weit verbreitete Basistechniken. In dem Seminar sollen verschiedene Formen der Entspannung (Progressive Muskelentspannung, Imaginationen, Atementspannung) vorgestellt und praktisch durchgeführt werden. Darüber hinaus wird thematisiert, wie dem Patienten die Bedeutung der Entspannung im Rahmen der Schmerztherapie vermitteln werden kann und welche Strategien es im Umgang mit Motivationsproblemen gibt. Schwierigkeiten, wie Unruhe oder Schmerzverstärkung, die beim Training auftreten können und der Transfer in den Alltag sollen anhand von praktischen Beispielen besprochen werden. Das Seminar bietet die Möglichkeit, Fragen und Probleme aus der Praxis zu diskutieren. Literatur: Rehfisch, H. P., Basler, H. D. Entspannung und Imagination. In Kröner-Herwig, B., Frettlöh, J., Klinger, R., Nilges, P. (2007). Schmerzpsychotherapie, Berlin: Springer Verlag, S. 551-564. Petermann, F., Vaitl, D.(2000) Handbuch der Entspannungsverfahren. Weinheim, Beltz, PVU.
PRAKTIKERSEMINAR PS5 Workshop Begutachtung von Kopfschmerzen – Die neue Gutachtenleitlinie der DMKG PS5 Workshop Begutachtung von Kopfschmerzen Die neue Gutachtenleitlinie der DMKG V. Malzacher1, S. Evers2, I. Husstedt2 1 Praxis, Reutlingen, 2Universitätsklinikum Münster Die erstmalig erstellte Leitlinie zur Begutachtung von Kopfschmerzen der DMKG wird ausführlich anhand von Fallbeispielen von erfahrenen Gutachtern vorgestellt.
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Abstracts PRAKTIKERSEMINAR PS6 Klinik und Diagnostik neuropathischer Schmerzen mit Fallbeispielen zur Therapie
PRAKTIKERSEMINAR PS8 Opioidrotation Praktische Anleitung anhand von Fallbeispielen
PS6 Klinik und Diagnostik neuropathischer Schmerzen mit Fallbeispielen zur Therapie A. Binder, J. Koroschetz Klinik für Neurologie, Kiel
PS8 Opioidrotation Praktische Anleitung anhand von Fallbeispielen R. Laufenberg-Feldmann, R. Schwab Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität, Mainz
Neuropathische Schmerzen unterscheiden sich substanziell von chronischen nozizeptiven Schmerzen, bei denen das schmerzverarbeitende Nervensystem intakt ist. Eine Differenzierung zwischen diesen beiden Schmerzformen ist insbesondere auch zur weiteren Planung einer adäquaten Therapie notwendig. In diesem Seminar sollen klinische Manifestationen neuropathischer Schmerzerkrankungen vorgestellt werden und weiterführende apparative Untersuchungstechniken wie neurophysiologische Meßmethoden, Möglichkeiten der Bildgebung in der Diagnostik und die quantitative sensorische Testung besprochen werden. Im zweiten Teil des Seminars sollen exemplarische Therapiepläne für einige häufige neuropathische Schmerzsyndrome aufgezeigt werden, die eine mögliche Vorgehensweise in der Praxis darstellen können. Darüber hinaus werden Fälle präsentiert und in Hinblick auf Differentialdiagnosen und therapeutische Optionen sowie mögliche Komplikationen diskutiert, wobei für die Teilnehmer auch die Möglichkeit besteht eigene Fälle einzubringen.
PRAKTIKERSEMINAR PS7 Schmerztherapie in der Lehre: Entwicklung eines Moduls Schmerztherapie
Opioide sind ein wesentlicher Bestandteil bei der Behandlung chronischer tumorbedingter Schmerzen. Nach dem WHO-Stufenschema zur Schmerzbehandlung werden sie in unterschiedlicher Dosierung und Darreichungsform zur Behandlung des Tumorschmerzes eingesetzt. Ein Großteil der Patienten erreicht dadurch eine suffiziente Schmerzreduktion. Verschiedene opioidbedingte Nebenwirkungen wie Übelkeit oder Verwirrtheit können die Schmerztherapie mit Opioiden erschweren. Darüber hinaus kann es durch Toleranzentwicklung zu einem steigenden Bedarf an Analgetika kommen, das wiederum zum Auftreten unerwünschter Nebenwirkungen führen kann. Können die Symptome nicht ausreichend kontrolliert werden, wird als mögliche Option die Opioidrotation empfohlen. Hierbei wird ein starkwirksames Opioid durch ein anderes aus der Gruppe der reinen oder partiellen µ-Agonisten ausgetauscht. Das Seminar soll die Indikation und praktische Durchführung einer Opioidrotation beinhalten. Darüberhinaus werden Fälle aus der Praxis präsentiert und daran verschiedene therapeutische Optionen und mögliche Komplikationen aufgezeigt. Es besteht auch die Möglichkeit, eigene Fälle vorzustellen und zu diskutieren.
PRAKTIKERSEMINAR PS10 Schmerzdiagnostik mit Skalen und Fragebögen
PS7 Schmerztherapie in der Lehre: Entwicklung eines Moduls Schmerztherapie A. Kopf1, W. Georg2 1 Charite Campus Benjamin Franklin – Berlin, 2Helios-Kliniken, Berlin
PS10 Schmerzdiagnostik mit Skalen und Fragebögen P. Nilges DRK Schmerz-Zentrum Mainz
Schmerzen sind der häufigste Grund, warum Patienten einen Allgemeinarzt aufsuchen. Daher sollte jeder Arzt Schmerzen richtig diagnostizieren und mit einfachen Algorithmen bzw. Interventionen behandeln können. Die neue Approbationsordnung verweist nur in allgemeiner Form auf „Schmerzen“, vorhandene Curricula und Lernzielkataloge sind ungeeignet, für die Lehre herangezogen zu werden. Die Ad-hoc-Kommission „Studienordnungen“ hat daher im Auftrag des Präsidiums der DGSS ein „Kerncurriculum Schmerztherapie für die Lehre“ entwickelt, daß am 1.2. 2008 verabschiedet werden konnte. Dieses Curriculum richtet sich an Studierende im klinischen Studienabschnitt mit dem Ziel, für den zukünftig ambulant oder stationär tätigen „Allgemeinmediziner“ in zusammenfassender und verständlicher Form das Kernwissen und die Kernkompetenzen zur Erkennung und Behandlung von Schmerzen darzustellen. Die Curriulumsinhalte müssen in geeigneter Form durch Unterricht am Krankenbett, Hauptvorlesungen, Blockpraktika und (OSCE-) Prüfungen angeeignet werden. Das PRAKTIKERSEMINAR soll interessierten Dozenten und Lehreverantwortlichen mit inhaltlichen und Strukturvorschlägen helfen, die Schmerztherapie innerhalb von existierenden Querschnittfächern oder im Rahmen von Modell- bzw. Reformstudiengängen in die Lehre zu integrieren. Neben einer hochschuldidaktischen Einführung soll der Erfahrungsaustausch Impulse für die lokale Umsetzung geben.
Zur Anwendung von Fragebögen und Skalen in der Schmerzdiagnostik bemerkt Williams: „Die Verwendung zuverlässiger, valider und sinnvoller Verfahren ist keineswegs schwieriger als die Anwendung uninterpretierbarer oder ungeeigneter Methoden“ (Williams 1995, S. 55). Die Erfassung von Schmerzmerkmalen wie Intensität, Dauer, Maximum, Minimum und Qualität ist inzwischen weitgehend diagnostischer Standard. Die verwendeten Skalenformen, -formate und Instruktionen variieren dagegen noch immer erheblich. Themen des PRAKTIKERSEMINARs sind Grundlagen, Auswahl und Anwendung der Verfahren im klinischen Alltag. Kriterien für „gute“ und „schlechte“ Verfahren werden diskutiert. Besprochen und praxisnah vermittelt werden die derzeit üblicherweise verwendeten – Verfahren zur Schmerzmessung (VAS, NRS, Schmerztagebücher, Fragebögen zur Schmerzqualität) – Verfahren zur Bestimmung der Chronifizierung (MPSS, Graduierung nach von Korrff) sowie – bereichsspezifische Instrumente zur Erfassung psychischer Belastungen (depressive Symptome und Angst). Die Auswertung und Interpretation werden praxisgerecht erarbeitet. Dabei werden häufige Fehlerquellen, Probleme (z. B. Auswertung bei fehlenden Werten) und Entscheidungen für oder gegen bestimmte Formate sowie die Anwendungsmöglichkeiten und -grenzen beim Einsatz von Fragebögen bei Patienten mit körperlichen Beschwerden erläutert. Besonderen Stellenwert hat in diesem PRAKTIKERSEMINAR das Gespräch mit Patienten: Bei der Einführung der Verfahren, der Beant-
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wortung von Fragen und Zweifeln und bei der Vermittlung der Ergebnisse.
PRAKTIKERSEMINAR PS12 Einführung in die Spiegeltherapie
PRAKTIKERSEMINAR PS11 Problematische Interaktionen in der Schmerztherapie – von schwierigen Patienten und schwierigen Behandlern
PS12 Einführung in die Spiegeltherapie A. Schwarzer, S. Glaudo Berufsgenossenschaftliches Universitätsklinikum Bergmannsheil GmbH, Bochum
PS11 Problematische Interaktionen in der Schmerztherapie – von schwierigen Patienten und schwierigen Behandlern T. Müller, J. Dries, T. Wetterling DRK Schmerzklinik Mainz Die Interaktion mit einem Schmerzpatienten wird in der täglichen Praxis von einem interdisziplinär arbeitenden Team dann als schwierig erlebt, wenn Vorstellungen über die Durchführung der Therapie konfligieren. Die Behandlung verläuft in diesem Fall für das Behandlungsteam (und den Patienten) oftmals frustran und führt zu negativen Emotionen – die dann auch dem Patienten gegenüber empfunden und / oder gezeigt werden – da Hilfsangebote nicht so wie erwartet angenommen werden und so einem Behandlungskonzept, das auf einer aktiven Mitarbeit des Patienten ausgerichtet ist, Grenzen aufgezeigt werden. Häufig wird der Patient dementsprechend als nicht motiviert oder widerständig wahrgenommen. Grundlegend hierfür können verschiedene psychische Komorbiditäten oder Mechanismen seien. So kann beispielsweise Inaktivität aufgrund von depressiven Störungen entstehen oder Angststörungen ein massives Vermeidungsverhalten bedingen, das wiederum einen aktiven Umgang mit der Schmerzerkrankung verhindert. Weiterhin relevant erscheinen ‚Zielkonflikte‘, etwa bei einem parallel zur Behandlung laufenden Berentungsverfahren oder ‚Multimorbidität‘, schwierige, teilweise parallel auftretende funktionelle und strukturelle Differenzialdiagnosen. Besonders belastend für die interaktiven Ressourcen des Behandlungsteams können ausgeprägte Persönlichkeitsakzentuierung oder im Extremfall Persönlichkeitsstörungen sein. Aufgrund dieser verschiedenen Faktoren resultiert in der Regel ein gestörter Interaktionsprozess, in dem der Patient in einem bestimmten situativen Kontext (etwa einer Klinik) mit seinen verschiedenen Persönlichkeitsanteilen und Motiven als schwierig wahrgenommene Verhaltensweisen darbietet und auf Behandler trifft, die wiederum selbst verschiedene Persönlichkeitsanteile und Motive aufweisen und verschiedener Handlungen durchführen, die möglicherweise dann vom Patienten als schwierig erlebt werden. Die psychologischen Mechanismen dieses Prozesses sollen anhand von konkreten Beispielen dargestellt und Lösungsmöglichkeiten dieses Dilemmas aufgezeigt werden, die zuerst ein Verstehen der Motive des Patienten und ein Hinterfragen der eigenen Intentionen als Grundlage haben und so ein komplementäres eigenes Interaktionsverhalten zu dem des Patienten realisiert werden kann. Anhand von Fallbeispielen sollen die Faktoren, die die Interaktion mit einem Schmerzpatienten als schwierig erscheinen lassen, dargestellt werden; weiterhin werden Vertreter eines interdisziplinären Teams Lösungsansätze aus dem Klinikalltag darstellen und diskutieren.
Die Spiegeltherapie ist als ein wirksames Therapieverfahren für die Behandlung bei Phantomschmerzen, begrenzt einsetzbar beim CRPS und bei schmerzhaften Hemiplegien sowie bei Plexusneuropathien. Einleitend erfolgt die Einführung in die möglichen Wirkmechanismen der Spiegeltherapie, eine Übersicht über die wissenschaftliche Literatur zur Wirksamkeit die mit Ausblick auch auf neue Konzepte der Körperwahrnehmung (z. B. Rubber hand Illusion, Lateralisationstraining). Bei der Spiegeltherapie handelt es sich um ein senso-motorisches (kognitiv) Trainingsprogramm unter ergotherapeutischer Anleitung. Besonders geeignet sind Patienten, die nicht aktiv ihr Phantom kontrollieren und entspannen können; dafür sind Imaginationsübungen ergänzend einsetzbar. Je nach Art der Schmerzen und der durch die Spiegeltherapie ausgelösten Sensationen findet ein eher sensorisch betontes oder motorisch akzentuiertes Training statt. Dieses Vorgehen kann während der Behandlung wechseln. In diesem PRAKTIKERSEMINAR werden von einer sehr erfahrenen Ergotherapeutin an Hand von Fallbeispielen und Demonstrationen mit den Teilnehmern die praktische Durchführung vermittelt.
PRAKTIKERSEMINAR PS13 Fallstricke in der Beurteilung des SchulterNacken-Schmerzes: Die Bedeutung eines interdisziplinären Assessments PS13 Fallstricke in der Beurteilung des Schulter-Nacken-Schmerzes: Die Bedeutung eines interdisziplinären Assessments H. Casser1, S. Seddigh1, M. Graf2 1 DRK Schmerz-Zentrum, Mainz, 2Praxis Chirotherapie, Trier Die Differenzialdiagnose des Schulter-Nacken-Schmerzes stellt gerade beim chronischen Schmerzpatienten eine große Herausforderung dar, die insbesondere bei Therapieresistenz nur interdisziplinär gelöst werden kann. In dem Seminar sollen aus orthopädischer, manualmedizinischer und neurologischer Sicht unter Berücksichtigung psycho- und physiotherapeutischer Aspekte die Differenzialdiagnostik des chronischen Schulter-Nackenschmerzes aufgezeigt werden. Fallstricke wie eine Fehlinterpretation des häufig angeführten Impingement-Syndroms, das Übersehen einer neuralgischen Schulteramyotrophie und die Fehlinterpretation einer „Frozen Shoulder“ sind zu beachten, aber auch die funktionellen Wechselwirkungen zwischen Halswirbelsäulenerkrankungen und myofasciellen Syndromen, die von radikulärer Symptomatik über neurovaskuläre Kompressionsyndrome der oberen Thoraxapertur (Thoracic-Outlet/Inlet-Syndrom, TOS/TIS) reichen. Wie bei jeder chronischen Schmerzerkrankung darf eine psychotherapeutische Abklärung nicht fehlen. Das Seminar möchte neben der Darstellung der Differenzialdiagnostik des Schulter-Nacken-Schmerzes anhand praktischer Demonstrationen dazu beitragen, allein mit anamnestischen und klinischen Maßnahmen funktionelle Störungen von strukturellen abzugrenzen mit entsprechenden therapeutischen Konsequenzen. Der Schmerz Supplement 1 · 2010
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Abstracts PRAKTIKERSEMINAR PS14 Begutachtung von Schmerzen PS14 Begutachtung von Schmerzen M. Tegenthoff1, B. Widder2, V. Köllner3 1 BG-Universitätsklinikum Bergmannsheil, Bochum, 2Klinik für Neurologie und Neurologische Rehabilitation, Günzburg, 3Fachklinik für Psychosomatische Medizin, Blieskastel Dargestellt wird die aktuelle Leitlinie zur Begutachtung von Schmerzen. Probleme der Schmerzbegutachtung insbesondere bei psychogenen Schmerzen sowie typische Fehler werden erläutert. Einzelvorträge: Interdisziplinäre Leitlinie zur Begutachtung von Schmerzen B. Widder, Günzburg Abgrenzung psychogener Schmerzsyndrome V. Köllner, Blieskastel Irrtümer und Fallstricke bei der Begutachtung von Schmerzen M. Tegenthoff, Bochum
PRAKTIKERSEMINAR PS15 Achtsamkeit und Akzeptanz in der Schmerztherapie PS15 Achtsamkeit und Akzeptanz in der Schmerztherapie J. Korb DRK Schmerzzentrum Mainz Kognitiv-verhaltenstherapeutische Verfahren mit dem Ziel, die Selbstwirksamkeit des Patienten zu erhöhen, haben sich als sehr effizient erwiesen. Andererseits zeigt sich in vielen Studien, dass auch eine Haltung der Schmerzakzeptanz mit verringerter körperlicher und psychischer Beeinträchtigung einhergeht. In diesem Zusammenhang wird oft eingewandt, dass wiederholte Versuche der Schmerzbeeinflussung und Kontrolle die Aufmerksamkeit des Patienten verstärkt auf die Schmerzthematik lenken und damit wesentliche Energie von anderen wichtigen Lebensbereichen abziehen können. Doch wie lässt sich die protektive Wirkung der Schmerzakzeptanz therapeutisch vermitteln, ohne dabei Widerstände beim Patienten auszulösen („Ich will nicht lernen mit den Schmerzen zu leben, ich will ohne Schmerzen leben!“)? Bereits 1985 hat Jon Kabat-Zinn seine Therapie der mindfulness based stress reduction (MBSR) auf chronische Schmerzpatienten angewandt. Ein jüngerer Ansatz kommt aus der Richtung der Akzeptanz- und Commitment Therapie (Hayes et al., 2004), der inzwischen auch für die Behandlung chronischer Schmerzpatienten konkretisiert wurde (McCracken, 2005; Dahl et al., 2005). Vor allem dieser neuere Therapieansatz soll kurz vorgestellt werden. Anhand praktischer Beispiele werden Interventionen zur Förderung einer Haltung der Akzeptanz und Übungen zur Achtsamkeit gezeigt, jedoch auch Schwierigkeiten und Grenzen der Verfahren diskutiert werden. Literatur: Dahl, J., Wilson K. G., Luciano C. (2005). Acceptance and Commitment Therapy for chronic Pain. Context Press. Hayes, S. C., Strohsahl, K. D., Wilson K. G. (2004). Akzeptanz und Commitment Therapie. Cip-Medien. Kabat-Zinn (1985). The Clinical Use of Mindfulness Meditation for the Self-Regulation of Chronic Pain. Journal of Behavioral Medicine 8: 163190. McCracken, L. M. (2005). Contextual-behavioral Therapy for chronic pain. Intl Assn for the Study of Pain.
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PRAKTIKERSEMINAR PS16 Kennen Sie die Situation – vom Umgang mit schwierigen Schmerzpatienten PS16 Kennen Sie die Situation – vom Umgang mit schwierigen Schmerzpatienten J. Frettlöh1, G. Fritsche2 1 BG Universitätsklinikum Bergmannsheit, Bochum, 2Universitätsklinikum Essen Patienten mit chronischen Schmerzen haben, bevor sie einen spezialisierten Schmerztherapeuten aufsuchen, in der Regel bereits zahlreiche erfolglose Behandlungsversuche hinter sich. Diese frustrane Erfahrung geht bei den Betroffenen oftmals mit Gefühlen von Kontrollverlust, Hilflosigkeit und letztlich auch Zweifel gegenüber weiteren Behandlungen und Behandlern einher. Gleichzeitig werden überzogene Erwartungen bzw. unrealistische Zielvorstellungen von den Patienten vorgebracht. Auch Therapeuten gehen meist mit ambivalenten Erwartungen in die Beziehung mit chronifizierten Patienten. Einerseits kennen sie die zu erwartenden Schwierigkeiten in der Behandlung chronisch Schmerzkranker, anderseits ist für das Selbstwertgefühl von Behandlern nichts kränkender, als das Eingeständnis therapeutischer Ohnmacht. In dem Spannungsfeld von „Rettung und Resignation“ bewegen sich Patient wie auch Behandler oft gleichermaßen verunsichert. Daraus resultierende Interaktionsprobleme können zu einer anhaltend belastenden Therapeut-Patient-Beziehung und letztlich sogar zu Therapieabbrüchen führen. Damit Therapeuten nicht zu hilflosen Helfern werden, müssen diese über reflektierte Analysen und entsprechend geschultes Interaktionsverhalten im Umgang mit chronifizierten Schmerzpatienten verfügen. In dem vorgesehenen PRAKTIKERSEMINAR werden schwierige Interaktionsmuster von Patienten, aber auch von Therapeuten analysiert sowie konstruktive Hinweise für eine adäquate Beziehungsgestaltung aufgezeigt.
PRAKTIKERSEMINAR PS17 Innovative Versorgungsformen für die Schmerztherapie – Strukturen und Anreize neu gestalten PS17 Innovative Versorgungsformen für die Schmerztherapie – Strukturen und Anreize neu gestalten R. Thoma1, V. Amelung2, A. Munte3, C. Erbe4 1 Diakoniewerk München-Maxvorstadt, München, 2Medizinische Hochschule Hannover, 3Kassenärztliche Vereinigung Bayerns, München, 4Deutsche Angestellten Krankenkasse, Hamburg Chronische Schmerzen stellen eine bedeutende Herausforderung fu¨r das deutsche Gesundheitssystem dar. Etwa 17 % der deutschen Bevölkerung leidet unter chronischen Schmerzen –aufgrund der demographischen und lebensstilbezogenen Entwicklungen mit stark steigender Tendenz. Daraus resultieren erhebliche körperliche, psychische und soziale Beeinträchtigungen. Aus der Analyse der der Behandlungskette wird offensichtlich, dass ein fragmentiertes Versorgungskonzept hier zum Scheitern verurteilt ist. Entsprechend wird auch davon ausgegangen, dass Schmerzpatienten unter- und/oder fehlversorgt werden. Dabei ist entscheidend, dass es nicht um „mehr“ Versorgung geht, sondern primär um koordinierte und integrierte Behandlungsketten. Aufgrund der unterschiedlichen möglichen Leistungserbringer
(z. B. Hausärzte, Orthopäden, Neurologen, Radiologen, Schmerztherapeuten, Psychotherapeuten) gehören Schmerzpatienten zu den typischen „Doctor hoppern“. Dabei ist die generelle Versorgungsherausforderung, den Patienten so fru¨h wie möglich eine multidisziplinäre und teamorientierte Diagnostik und Behandlung zukommen zu lassen, die nicht an Sektorengrenzen aufhören darf. Somit ist die Behandlung von Schmerzpatienten ein Paradebeispiel fu¨r die Notwendigkeit von berufsfeld- und sektorenu¨bergreifenden Versorgungskonzepten. Um dies umzusetzen bedarf es innovativer Versorgungsstrukturen (z. B. u¨ber MVZ) und adäquate Anreizinstrumente (z. B. Qualitätsorientierte Vergu¨tung). Durch drei Impulsreferate werden Möglichkeiten für neue Strukturen und Anreize skizziert. Dabei stellt V. Amelung neue Versorgungsformen in der Schmerztherapie vor. Aus der Sicht der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns legt A. Munte die Möglichkeiten der qualitätsorientierte Vergu¨tung der ambulanten Versorgung von Schmerzpatienten dar. Die Ziele des Kostenträgers bei der sektoru¨bergreifenden Versorgung stellt C. Erbe aus der Sicht einer großen bundesweiten Krankenkasse dar. Literatur: 1. http: //www. ausgezeichnete-patientenversorgung. de/de/ patienten/qualitaetsmassnahmen/schmerztherapie. html 2. Freytag A et al: Identifikation und Gruppierung von Schmerzpatienten anhand von Routinedaten einer Krankenkasse, Schmerz 24 (2010) 12–22 3. Kassenärztliche Vereiningung Bayerns, Qualitätsmaßnahme Schmerztherapie, http: //www. kvb. de/de/praxis/qualitaet/qualitaetsprogramm/schmerztherapie. html 4. Thoma R, Klasen B. Amelung VE: Multimodale Schmerztherapie aus ambulanten Strukturen – das Algesiologikum. In: Amelung VE et al: Innovative Konzepte im Versorgungsmanagement von ZNS-Patienten, Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Berlin, 2010,
PRAKTIKERSEMINAR PS18 Psychiatrische Untersuchung PS18 Psychiatrische Untersuchung V. Lindner Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel Die Erfahrung einer Komorbidität zwischen seelischen Störungsmustern und Schmerzerkrankungen ist im medizinischen Betreuungsbereich allgemein weit verbreitet und erstreckt sich auf nahezu sämtliche Fachrichtungen. In dem zu oben genannten Thema vorbereiteten Seminar soll daher dieser Themenkomplex sowohl aus schmerztherapeutischer als auch psychiatrischer Sicht beleuchtet werden.
PRAKTIKERSEMINAR PS19 Der schwierige Fall – Ein Videoseminar zum praktischen Umgang mit Schmerzpatienten PS19 Der schwierige Fall – Ein Videoseminar zum praktischen Umgang mit Schmerzpatienten T. Jürgens1, C. Lahmann2 1 Institut für Systemische Neurowissenschaften und Kopfschmerzambulanz der Neurologischen Klinik, UKE Hamburg, 2Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie sowie Zentrum für Interdisziplinäre Schmerztherapie, Klinikum rechts der Isar der TU München Chronische Schmerzpatienten gelten im klinischen Alltag oft als schwierige Patienten. Bei genauer Betrachtung stellt sich meist die Interaktion zwischen Ärzten und Patienten mit chronischen Schmerzen als wesentliches Problem dar. Die grundlegenden Schwierigkeiten gehen im wesentlichen auf drei Aspekte zurück: Das Drängen der Patienten auf weitere somatische Diagnostik und Therapie mit konsekutiv deutlich appellativem Verhalten, die Befürchtung der Ärzte, vielleicht doch eine verborgende Krankheit zu übersehen oder übersehen zu haben sowie drittens die Diskrepanz in den jeweiligen Ursachenüberzeugungen. Patienten mit chronischen Schmerzbeschwerden sprechen gleichsam eine „Sprache der Schmerzen“; die Symptomklagen des Patienten sollten vom Therapeuten aktiv entgegengenommen und durch Nachfragen und Anregungen strukturiert werden. Die teils sehr ausführlichen Schilderungen der Schmerzen sollten dabei nicht als Widerstand sondern unvermeidbares Charakteristikum dieser Patientengruppe verstanden werden. Aus dieser aktiv-stützenden Haltung entspringt insbesondere bei Patienten mit einer psychischen Komorbidiät die Form der ‚tangentialen‘ Gesprächsführung. Dies bedeutet, dass Bereiche des intrapsychischen Erlebens eher beiläufig angesprochen werden und die Patienten nicht vorschnell mit der Aussage konfrontiert werden, die Beschwerden seien teilweise oder gänzlich psychisch oder psychosomatisch zu erklären. Stattdessen kann ein positives Erklärungsmodell angeboten werden, z. B. mit Information über psychophysiologische Zusammenhänge wie veränderten Körperreaktionen bei Aufregung oder Stress. Um eine konfrontative, psychische Aspekte zu sehr fokussierende Gesprächsführung zu vermeiden, bieten sich auch Verweise auf andere Patienten an: „Bei vielen meiner Kopfschmerz-Patienten ist es so, dass …“. Einen ähnlichen Effekt haben sogenannte „Ich Botschaften“, z. B. die Formulierung: „Ich habe den Eindruck, dass die hartnäckigen und lange anhaltenden Schmerzen Ihnen auch seelisch ziemlich zusetzen.“ Hier hat der Patient die Möglichkeit, diesem Eindruck zuzustimmen, aber auch ohne großes konfrontatives Moment zu verneinen. Dies bedingt eine Anpassung der Gesprächsführung – insbesondere in der Frühphase der Arbeit mit dem Patienten – um die fast regelhaft zu erwartenden interaktionellen Schwierigkeiten zu minimieren. Hierzu ist eine zielgerichtete, rationale Kommunikationsstrategie hilfreich, die lehr- und lernbar ist und im Rahmen des Seminars mit Hilfe von Videosequenzen vermittelt wird.
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Abstracts PRAKTIKERSEMINAR PS20 Das Myofasziale Schmerzsyndrom Eine Einführung in die Diagnostik und Therapie – Ein „Hands-on“- Workshop PS20 Das Myofasziale Schmerzsyndrom Eine Einführung in die Diagnostik und Therapie – Ein „Hands-on“- Workshop H. Ehrenberg1, D. Irnich2 1 Orthopädische Praxis, Münster, 2Klinik für Anaesthesiologie, München Nach einer kurzen theoretischen Einführung werden die palpatorischen und apparativen Untersuchungstechniken demonstriert und in kleinen Gruppen praktiziert. Ziel dieses Seminars ist dem Schmerztherapeuten einen hilfreichen Einstieg in die alltäglichen Untersuchungs – und Behandlungstechniken von myofaszialen Triggerpunkten zu ermöglichen.
PRAKTIKERSEMINAR PS21 Aktuelle und bekannte Substanzen zur Therapie neuropathischer Schmerzen – ein kritisches Update PS21 Aktuelle und bekannte Substanzen zur Therapie neuropathischer Schmerzen – ein kritisches Update I. Husstedt1, I. Gralow2, S. Evers1 1 Universitätsklinikum Münster, 2Uniklinikum Münster Die Behandlung von neuropathischen Schmerzen erfolgt primär mit den Medikamenten, die bei auch bei anderen Erkrankungen des Nervensystems eingesetzt werden, wie z. B. Epilepsie oder depressiven Episoden. Die neueren Antiepileptika, Thymoleptika und Opioide besitzen z. T. nicht diese Therapieindikation. Bei relativ hohen kosten weisen sie jedoch deutlich weniger Nebenwirkungen auf. Ziel dieses Workshops ist es, Indikationen, Nebenwirkungsprofile und Therapiekosten der neuen Substanzen darzustellen und eine kritische Analyse für das Vorgehen bei zunehmend begrenzten Ressourcen auf dem Gebiet der Therapie neuropathischer Schmerzen darzustellen. Die Relevanz für den Praxisalltag in der Versorgung von Patienten mit neuropathischen Schmerzen wird anhand von Fallbeispielen analysiert. Antidepressiva und topische Substanzen I. W. Husstedt (Vorsitz; Klinik und Poliklinik für Neurologie, UK Münster) Opioide I. Gralow (Schmerzambulanz, Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie, UK Münster) Antiepileptika S. Evers (Klinik und Poliklinik für Neurologie, UK Münster)
PRAKTIKERSEMINAR PS22 Biofeedback in der Schmerztherapie PS22 Biofeedback in der Schmerztherapie A. Diezemann DRK Schmerz-Zentrum Mainz Biofeedback stellt ein in der Schmerztherapie etabliertes Verfahren dar. Durch die systematische Rückmeldung messbarer körperlicher Signale können Patienten mit chronischen Schmerzen unterschiedlich profitieren: Zusammenhänge zwischen seelischen Prozessen (wie z. B. Gefühlen und Erwartungen) mit körperlichen Prozessen können dargestellt werden, was dem Patienten das Verständnis für ein bio-psycho-soziales Schmerzmodell erleichtert. Darüber hinaus kann der Patient lernen, spezifische physiologische Veränderungen hevorzurufen. Dies fördert die Entwicklung einer Selbstwirksamkeitserwartung, welche einen wesentlichen Aspekt für eine günstige Schmerzbewältigung darstellt. Das Seminar bietet eine Überblick über die Biofeedbackanwendung in der Schmerztherapie, die vermuteten Wirkmechanismen und die Wirksamkeit bei den unterschiedlichen Schmerzbildern. Die unterschiedlichen Methoden der Biofeedbackbehandlung werden mit einem Mehrkanalgerät und tragbaren Ein-Kanalgeräten demonstriert. Hierbei werden Aspekte der Diagnostik und Modellvermittlung, der Einsatz von Biofeedback bei Rücken- und Nacken- und Kopfschmerzen und allgemeine Entspannungstechniken mit Hilfe von Biofeedback (RSATraining, Atementspannung, Hautleitfähigkeit und HauttemperaturBiofeedback) vorgestellt.
PRAKTIKERSEMINAR PS23 Tumorschmerztherapie – Interaktive Fallbesprechungen PS23 Tumorschmerztherapie – interaktive Fallbesprechungen S. Wirz1, M. Schenk2, H. Wartenberg3 1 CURA-Krankenhaus Bad Honnef, 2Klinik Havelhoehe, Berlin, 3VU University Medical Center, Amsterdam, Niederlande Dieser Workshop soll interaktiv mit dem Zuhörer Probleme der praktischen Tumorschmerztherapie erarbeiten. Ziel ist es, die Zuhörer durch Problemfälle der Tumorschmerztherapie zu führen und mehrere Lösungsmöglichkeiten anzubieten. Inhaltlich bereiten Herr Schenk, Herr Wartenberg und Herr Wirz die Themen „Vorgehen bei unzureichender Analgesie“, „Option invasive Verfahren“ und „gastrointestinale Symptome“ auf.
PRAKTIKERSEMINAR PS24 Der problematische Schmerzpatient aus pflegerischer Sicht PS24 Der problematische Schmerzpatient aus pflegerischer Sicht M. Thomm1, E. Löseke2 1 Uniklinik Köln, 2Brüder Krankenhaus St. Josef, Paderborn Schmerzpatienten -ob akut oder chronisch- sind für Pflegende in der täglichen Praxis nach wie vor eine große Herausforderung. Obwohl die
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Pflegenden über die notwendige Fachkompetenz im Schmerzmanagemeant verfügen, können besonders bei schwierigen Schmerzpatienten Verfahrensregelungen und Standards nicht immer Anwendung finden. In diesem Seminar sollen Lösungswege diskutiert und aufgezeigt werden.
PRAKTIKERSEMINAR PS25 Risikofaktorenbasierte Versorgungsmodelle bei Rückenschmerzen PS25 Risikofaktorenbasierte Versorgungsmodelle zur Prävention der Chronifizierung von Rückenschmerzen M. Hasenbring1, D. Hallner1, C. Vauth2, D. Bonnemann3 1 Abt. für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie, Bochum, 2 KKH-Allianz, Hannover, 3Arzt für Orthopädie, Bielefeld Risikofaktorenbasierte Versorgungsmodelle zur Prävention der Chronifizierung von Rückenschmerzen Dirk Hallner & Monika Hasenbring Abt. für Mediz. Psychologie und Mediz. Soziologie, Ruhr-Universität Bochum Yellow Flag Diagnostik und niederschwellige Behandlungsoptionen Prospektive Längsschnittstudien zum Verlauf akuter Rückenschmerzen zeigen, dass bereits nach zwei Monaten absehbar ist, welche Personen sich zu einer Chronifizierung hin entwickeln [2]. Ferner ist bekannt, dass bereits bei einer Arbeitsunfähigkeitsdauer von sechs Monaten die Wahrscheinlichkeit der Rückkehr zum Arbeitsplatz 40 % unterschreitet (1). Eine sinnvolle Prävention chronischer Rückenschmerzen sollte daher innerhalb der ersten 4-12 Wochen erfolgen – da akute Rückenschmerzen in den meisten Fällen nach kurzer Zeit remittieren. Die Aufmerksamkeit der Behandelnden, seien es Ärzte, Psychologische Psychotherapeuten oder auch Physiotherapeuten, sollte sich auf die frühzeitige Erkennung solcher Patienten richten, die ein erhöhtes Risiko für die Chronifizierung von Schmerzen aufweisen, da angenommen werden kann, dass Schmerzverarbeitungsstrategien, die nur kurzzeitig angewendet wurden, leichter beeinflussbar sind, als Schmerzverarbeitungsstrategien, welche sich über viele Monate und Jahre im Verhalten des Patienten stabilisiert haben. Diesem Umstand wird mittlerweile bei der Erstellung nationaler sowie internationaler Leitlinien zur Behandlung akuter Rückenschmerzen durch die Etablierung einer so genannten „Yellow-Flag Diagnostik“ Rechnung getragen. Der derzeitige Forschungsstand zeigt, dass eine Risikodiagnostik gemäß des Avoidance-Endurance-Modells (AEM) [3,4]einen hohen prädiktiven Wert hinsichtlich der Schmerzchronifizierung hat. Die Untersuchung m. H. der „Risikoanalyse der Schmerzchronifizierung – Rücken“ [RISC-R] führt für Patienten mit akuten Schmerzen zu einer Vorhersage der Chronifizierungswahrscheinlichkeit [3]. Für Patienten mit einem erhöhten Risiko der Chronifizierung werden darüber hinaus die jeweilige Schmerzverarbeitungsform (ängstlich-meidend, depressiv suppressiv und heiter suppressiv) entsprechend des AEM bestimmt und daraus abgeleitete therapeutische Empfehlungen formuliert. Diese Empfehlungen können u. a. zur Beratung des Patienten und anderer niederschwellige Angebote genutzt werden. Während für den chronischen Schmerzpatienten häufig umfangreiche therapeutische Interventionen notwendig erscheinen, weisen erste Ergebnisse darauf hin, dass niederschwellige Angebote (z. B. Beratungsangebote) für Patienten mit akuten Rückenschmerzen zu einer deutlichen Verringerung des Chronifizierungsrisiko beitragen können. Besonders berücksichtigt werden sollen in diesem Beitrag die folgenden Aspekte:
a) die Durchführung und die Interpretation von Befunden der Risikoanalyse – Rücken [RISC-R], b) Ergebnisse zur prospektiven Validität, Sensitivität und Spezifität c) und Ergebnisse zu niederschwelligen Angeboten zur Prävention der Schmerzchronifizierung Literatur: 1. Fordyce W. E. (ed.) (1995). Back pain in the work place. Management of disability in nonspecific conditions. Seattle: IASP Press. 2. Klenerman L., Slade P. D., Stanley I. M., Pennie B., Reilly J. P., Atchison L. E., Troup J. D. G. & Rose MJ (1995). The prediction of chronicity in patients with an acute attack of low back pain in a general practice setting, Spine, 20, 478-484. 3. Hallner & Hasenbring (2004). Classification of psychosocial risk factors (yellow flags) for the development of chronic low back and leg pain using artificial neural network. NeuroScience Letters. 4. Hasenbring M., Hallner D. & Klasen B. (2001). Psychologische Mechanismen in Prozess der Schmerzchronifizierung – Unter- oder überbewertet? Der Schmerz, 15, 6, Dec, 442-427.
PRAKTIKERSEMINAR PS26 QST im klinischen Alltag PS26 QST im klinischen Alltag A. Scherens1, S. Klauenberg2 1 Berufsgenossenschaftliches Universitätsklinikum Bergmannsheil GmbH, Bochum, 2LWL-Universitätsklinik Bochum der Ruhr-Universität Bochum Psychiatrie-Psychotherapie-Psychosomatik-Präventivmedizin, Bochum Wie im Vorjahr sollen praktische Anleitungen zur Durchführung von QST gegeben werden mit besonderem Schwerpunkt auf Messungen im Gesicht, Untersuchung bei Patienten mit Allodynie, psychischer KoMorbidität sowie bei sozialmedizinischen Fragestellungen (Plausibilität und Relibiltät). Der zweite Schwerpunkt werden Übungen zur Auswertung von QSt-Befunden sein: Welche Störungen der Detektion belegen bestimmten Erkrankungen ? Wie interpretiert man Hyperalgesien ? Hierfür werden typische Befunde mit richtiger und falscher Befundung vorbereitet und mit den Teilnehmern besprochen.
PRAKTIKERSEMINAR PS27 Warum scheitert Schmerztherapie? PS27 Warum scheitert Schmerztherapie? M. Gehling Klinikum Kassel GmbH, Kassel Eine eindrucksvolle Erfahrung der Schmerztherapie ist das Scheitern und wie Therapeuten damit umgehen. Es gibt Schmerztherapeuten, die immer erfolgreich sind – sogar finanziell; andere fragen sich, ob ihre Bemühungen angesichts der Misserfolge überhaupt noch (wirtschaftlich) vertretbar sind. Objektive Gründe für das Scheitern von Schmerztherapie können analysiert werden. In dem Symposium soll anhand von Fällen diskutierten werden, warum z. B. Analgetika, Nicht-Analgetika, interventionelle Verfahren oder Psychotherapie in der Behandlung chronischer Schmerzen versagen können. Das Symposium richtet sich an die Therapeuten, die in der Diskussion der Misserfolge eine entscheidende Möglichkeit zur Verbesserung ihrer eignen Ergebnisse sehen.
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Abstracts PRAKTIKERSEMINAR PS28 Visionen und Irrtümer im Grenzbereich MedizinZahnmedizin PS28 Visionen und Irrtümer im Grenzbereich Medizin-Zahnmedizin D. Ettlin1, C. Gaul2, U. Galli1 1 Universität Zürich, 2Universitätsklinikum Essen Neuroloische Klinik; Westdeutsches Kopfschmerzzentrum, Essen Zahnschmerzen sind häufig und können in der Regel in der allgemeinen Zahnarztpraxis kompetent behandelt werden. Daneben gibt es aber auch Schmerzen im Zahn-, Kiefer- und Gesichtsbereich, bei denen nur indirekt ein Zahnproblem die Ursache ist oder deren Gründe gänzlich zahnfremd sind. Als Beispiel seien Schmerzen erwähnt, die als Folge einer Nervenverletzung (bei Zahnextraktion oder beim Setzen von Implantaten) auftreten können. Nicht-Spezialisten grenzen häufig lediglich die Trigeminusneuralgie als typischen Gesichtsschmerz von allen übrigen Schmerzbildern im Zahn- und Gesichtsbereich ab, wobei dafür typischerweise der Sammelbegriff „atypischer Zahn- oder Gesichtschmerz“ verwendet wird. Dabei wird verkannt, dass für den anhaltenden idiopathischen Gesichtsschmerz ebenfalls distinkte diagnostische Kriterien definiert sind. Differentialdiagnostische Entitäten sich zudem neuropathisch-neuralgische Gesichtsschmerzen als Folge einer Schädigung des Nervus glossopharyngeus und brennende Mundschmerzen im Rahmen einer sensorischen Neuropathie („Burning Mouth Syndrom“). Weiter bestehen Überschneidungen zu Beschwerden im Kiefergelenk und der Kaumuskulatur (Craniomandibuläre Störungen). Patienten mit unklaren Schmerzen im Zahn-, Kiefer- und Gesichtsbereich suchen oft vergeblich eine kompetente Behandlung, denn die Komplexität der Störung verlangt eine interdisziplinäre Fachkompetenz, die über das Wissen von Zahnärzten resp. Ärzten unterschiedlicher Spezialisierungen hinausgeht. Insbesondere psychosoziale Faktoren und Komorbiditäten müssen Beachtung finden, da sie sonst häufig den Therapieerfolg weiter reduzieren. Irrtümliche Krankheitsmodelle, (zahn)ärztliche Fehlinterpretation von Symptomen und diagnostische Verzögerungen resultieren oft in verzweifeltem Patientenverhalten mit multiplen Arzt- resp. Zahnarztbesuchen und können mit weiteren psychosozialen und finanziellen Schwierigkeiten verbunden sein. Basierend auf neusten wissenschaftlichen Erkenntnissen werden im Seminar die zahnärztliche, neurologische und psychologische Seite von Referentinnen resp. Referenten mit langjähriger Erfahrung in interdisziplinärer Zusammenarbeit beleuchtet. Anhand von Video-Fallbeispielen werden die besonderen Aspekte von Kiefer- und Gesichtsschmerzen besprochen und mit wissenschaftlichen Daten untermauert. Darauf basierend werden Visionen für optimale Diagnose- und Behandlungsstrategien vorgestellt.
PRAKTIKERSEMINAR PS29 Sekundäre Kopfschmerzen: Diagnostisches Vorgehen, Differentialdiagnosen und Therapie PS29 Sekundäre Kopfschmerzen: Diagnostisches Vorgehen, Differentialdiagnosen und Therapie C. Schankin, A. Straube Klinikum Großhadern, München In der täglichen Praxis gibt es immer wieder Fälle, bei denen sich ein Kopfschmerzsyndrom nicht als klassischer primärer Kopfschmerz präsentiert. Handelt es sich bei dem chronischen Kopfschmerz wirklich
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um einen Spannungskopfschmerz, oder liegt ihm nicht doch eine möglicherweise bedrohliche Erkrankung zugrunde? Wann liegt ein Notfall vor? Welche diagnostischen Möglichkeiten gibt es neben der Routinebildgebung und wie setzt man sie sinnvoll ein? Wie geht man konkret bei der Therapie des Analgetika-induzierten Kopfschmerzes vor? Wie bei der idiopathischen intrakraniellen Hypertension? Eingeleitet durch einprägsame, z. T. videounterstützte Fälle soll in dem Seminar eine algorithmische Vorgehensweise für die typischen Probleme und Therapiekonstellationen in der täglichen Praxis vermittelt werden.
PRAKTIKERSEMINAR PS30 Chronischer Schmerz in seiner Auswirkung auf die menschliche Existenzgestaltung oder der „schwierige“ Schmerzpatient PS30 Chronischer Schmerz in seiner Auswirkung auf die menschliche Existenzgestaltung oder der „schwierige“ Schmerzpatient V. Lindner Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel Der Schmerz stellt nicht nur ein unangenehmes Krankheitssymptom dar, sondern trägt den Stellenwert eines grundsätzlichen, ubiquitär erfahrenen Lebensmerkmales mit folgenden Eigenschaften: Die Schmerzerfahrung ist in ihrer Eindeutigkeit und Intensität als unvergleichliche Negativwahrnehmung schlechthin einzustufen und ruft reflexhaft die sofortige Intention hervor, den auslösenden Reiz zu unterbinden, weil sein Erleben eine unmittelbare Nachbarschaft mit dem Tatbestand der akuten oder latenten Gefährdung des eigenen Organismus bis hin zur Möglichkeit seiner Auslöschung bedeutet. Bereits der Schmerzreiz an sich besitzt bei ausreichender Intensität und zeitlicher Einwirkung eine zerstörerische Potenz für das Zentralnervensystem. Aus diesen Grundcharakteristika erwachsen folgende Eigenschaften für den interaktiven Umgang mit Schmerzen: Schmerz regt sehr stark die zwischenmenschliche Kommunikation an, da er Krisensituationen offenbart, deren Bewältigung häufig die Aktivierung bzw. Intensivierung vielfältiger sozialer Kontakte notwendig macht. Auch die hier erlebten Erfolge und Misserfolge, Zuwendung, Ablehnung, erfahrene oder verweigerte Hilfe werden sehr intensiv wahrgenommen und prägen entscheidend das Weltbild des einzelnen Menschen. Somit impliziert der Umgang mit Schmerzerkrankungen eigentlich ausnahmslos eine Konfrontation mit den allgemein entstandenen psychischen und sozialen Bewältigungsressourcen der betroffenen Patienten in ihrer lebensgestalterischen Gesamtentwicklung einschließlich der biographischen und kulturellen Verwurzelung. In dem angebotenen Praktikum sollen an Hand praktischer Beispiele unterschiedliche Formen der Integration von Schmerzerkrankungen in die Belange des planerischen Lebensvollzuges der Betroffenen (z. B. Schmerz als Herausforderung, Schmerz als „Chaoselement“ etc.) erarbeitet werden. Ferner sollen die Möglichkeiten und die Grenzen unseres Versorgungssystems im Umgang mit den so entstandenen Lebenskonzepten vor dem Hintergrund unseres medizinisch-psychologischen Fachverstandes diskutiert werden.
PRAKTIKERSEMINAR PS31 Schmerztherapie in der Schwangerschaft und Stillzeit PS31 Schmerztherapie in der Schwangerschaft und Stillzeit H. Kaube Interdisziplinäres Schmerzzentrum Freiburg In diesem Symposium soll auf die Besonderheiten der medikamentösen und nicht medikamentösen Therapie bei schwangeren Patientinnen eingegangen werden. Spezielle Aufmerksamkeit wird dabei auf die große Gruppe der Kopfschmerzerkrankungen, die gerade jüngere Frauen oft betreffen, sowie Rückenschmerzen, die gerade in der Schwangerschaft neu auftreten können, gelegt.
PRAKTIKERSEMINAR PS32 Tumorschmerztherapie – wie organisieren, wie finanzieren? PS32 Tumorschmerztherapie – wie organisieren, wie finanzieren? S. Wirz1, K. Weckbecker2, M. Schenk3, R. Voltz4 1 CURA-Krankenhaus, Bad Honnef, 2Universität Bonn, 3Klinik Havelhoehe, Berlin, 4Uniklinik Köln Organisationsformen und Finanzierung sind häufig vernachlässigte Themen, gleichwohl sie die Grundlagen der Tumorschmerztherapie darstellen. Dieses Symposium beschäftigt sich mit den Fragen: Wie baut man ein Netzwerk auf, welche Vergütungsgrundsätze gibt es, wo liegen die Fallstricke?
PRAKTIKERSEMINAR PS33 Algorithmen in der postoperativen Schmerztherapie PS33 Algorithmen in der postoperativen Schmerztherapie M. Gehling1, A. Wiebalck2 1 Klinikum Kassel GmbH, Kassel, 2Universitätsklinik für Anaesthesiologie, Intensiv-, Palliativ- und Schmerzmedizin, Bochum Die Organisation der postoperativen Schmerztherapie durch Leitlinien oder Algorithmen ist in den vergangenen Jahren immer wieder empfohlen worden. Was ist daraus geworden? Gibt es bereits Erfahrungen mit einer Schmerztherapie auf der Basis eines Algorithmus? In dem PRAKTIKERSEMINAR sollen die aktuellen Entwicklungen auf dem Boden von Fallbeispielen aus der Praxis diskutiert werden. Am Ende sollen die Teilnehmer auf der Grundlage der angebotenen Informationen für ihre eigene Klinik einen Algorithmus zur postoperativen Schmerztherapie leichter entwerfen können. Die Teilnehmer sind eingeladen, eigene Erfahrungen zu diskutieren.
PRAKTIKERSEMINAR PS34 Neurologische Basisdiagnostik PS34 Neurologische Basisdiagnostik K. Arning Universitätsklinik Schleswig-Holstein, Campus Kiel Als didaktisches Kursziel wird zunächst inhaltlich die Vermittlung des neurologischen Untersuchungsganges in seinen grundsätzlichen Aspekten erläutert. Ferner wird der Bedeutungsgehalt der erhobenen Befunde speziell für die Erstellung einer multiaxialen Schmerzdiagnose spezifiziert. Darstellung der einzelnen neurologischen Untersuchungsschritte in ihrem praktischen Vollzug mit Beschreibung der jeweiligen Beurteilungskriterien bei Durchführung und Befundeinschätzung. Erläuterung des Bedeutungsgehaltes erhobener Befunde für den syndromalen Zuordnungsprozess unter besonderer Berücksichtigung neurologisch-topischer Gesichtspunkte und Beschreibung der Wertigkeit gefundener Störungen schwerpunktmäßig für die diagnostische Einschätzung algesiologischer Erkrankungsbilder. Beantwortung von Fragen aus dem Zuhörerkreis, Vertiefung praktischer Einzelaspekte des Untersuchungsganges.
PRAKTIKERSEMINAR PS35 Therapie der primären Kopfschmerzen: State of the Art PS35 Therapie der primären Kopfschmerzen: State of the Art A. Peikert Neurologische Praxis, Bremen Innerhalb der primären Kopfschmerzerkrankungen kommt der Therapie von Migräne und häufigen/chronischen Spannungskopfschmerzen die größte Bedeutung zu, aber auch Clusterkopfschmerzen, andere trigemino-autonome Kopfschmerzen und die eher seltenen Syndrome der Gruppe 4 IHS spielen eine Rolle. Im Seminar werden nicht nur die Akuttherapie und Prophylaxe dieser Kopfschmerzformen gemäß den aktuellen Empfehlungen vorgestellt, sondern ein Schwerpunkt wird auch auf schwierige klinische Konstellationen (Therapieresistenz, Differentialdiagnosen, Komorbitäten, Schwangerschaft und Stillzeit etc.) gelegt.
PRAKTIKERSEMINAR PS36 Ultraschallunterstützte Punktionstechniken in der Schmerztherapie PS36 Ultraschallunterstützte Punktionstechniken in der Schmerztherapie T. Grau1, T. Maecken1, J. Kessler2 1 Berufsgenossenschaftliche Universitätsklinik Bergmannsheil GmbH, Ruhr University Bochum, 2Universitätsklinikum Heidelberg In diesem PRAKTIKERSEMINAR wird ein Workshop angeboten bei dem Ultraschallunterstützte Techniken in der Regionalanästhesie gezeigt und in der Form eines „hands- on“ Kurses erlent werden sollen. In den Praktischen Kursteil werden die Sonoanatomie an ProbanDer Schmerz Supplement 1 · 2010
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Abstracts den demonstriert, der Punktionsablauf aufgezeigt und die genaue Vorgehensweise bei der Durchführung von gezielten Blockaden aufgezeigt. Als Topics werden im einzelnen die Blockade von peripheren Nerven, die Durchführung von Ganglion Stellatum Blockaden und die Durchführung von Facettenblockaden erarbeitet.
Poster Donnerstag, 7. Oktober 2010 P01 Experimentelle Schmerzmodelle I P01.1 Wirkung von Lacosamid im Tiermodell der Spinalnervenligatur: Reduzierte Wirkung durch Wirkverlust an Natriumkanälen? T. Hagenacker, N. Schäfer, M. Schäfers Universität Duisburg-Essen Lacosamid (LCM) ist ein neues Antiepileptikum mit neuartigem Hemmmechanismus an Natriumkanälen. Im Gegensatz zu den herkömmlichen Antiepileptika wird die langsame Inaktivierung von exzitatorischen Natriumkanälen verstärkt, die durch eine verlängerte Depolarisation oder wiederholte Erregungen ausgelöst wird. Somit kann LCM die pathophysiologische Hyperexzitabilität reduzieren ohne die physiologische Erregung zu beeinflussen. Erste präklinische Daten an Tiermodellen für inflammatorischen, Muskel- und Tumorschmerz und klinische Studien an Patienten mit diabetischer Neuropathie deuten daraufhin, dass LCM neben den bekannten antikonvulsiven Effekten auch analgetische Wirkung zeigt. Diese Studie folgt der Fragestellung, ob LCM auch im Tiermodell für neuropathischen Schmerz analgetische Eigenschaften hat und ob die bislang nur an kortikalen Neuronen nachgewiesene Natriumkanalmodulation auch für nozizeptive Neurone des Spinalganglions (DRG) zutrifft. Hierzu wurde in vivo das analgetische Potential von LCM an Ratten mit Spinalnervenligatur (SNL) untersucht (Verhaltenstests) und parallel in vitro die LCM-induzierte Modulation von spannungsabhängigen Natriumkanälen an naiven und SNL-verletzten DRG Neuronen getestet (Ganzzell-Patch-Clamp Ableitungen). Entgegen der Hypothese zeigte sich in vivo nur eine mäßiggradige analgetische Wirksamkeit von LCM sowohl im Akutversuch (40 mg/kg i. p. und Testung nach 1-6h) als auch bei täglicher Applikation (1-100 mg/kg i. p. täglich über 21 Tage). Im in vitro-Versuch bestätigte sich an naiven DRG Neuronen die für kortikale Neurone beschriebene spannungsunabhängige Natriumkanalhemmung (31,8 % Reduktion des Spitzenstroms bei 100 µM LCM) mit deutlicher Verstärkung der langsamen Inaktivierung (2x Depolarisation auf -10 mV/10s mit Dauerdepolarisation auf -20 mV). In verletzten Neuronen war diese Verstärkung der langsamen Inaktivierung durch LCM deutlich vermindert. Darüberhinaus zeigte sich zwar eine verstärkte Reduktion des Spitzenstromes (42,1 %), im höheren Spannungsbereich führte jedoch LCM zu keiner signifikanten Reduktion des Stromes mehr. In einer Subgruppe von isolierten Natriumkanalströmen kam es sogar zu einem vollständigen Wirkungsverlust. Der in vitro elektrophysiologisch nachgewiesene Verlust des Wirkmechanismus von LCM an verletzten DRG Neuronen könnte die in vivo beobachtete nur mäßiggradige analgetische Potenz von LCM im Tiermodell für neuropathischen Schmerz erklären. Dies könnte durch eine unterschiedliche Sensitivität einzelner Natriumkanalsubtypen nach Nervenläsionen gegenüber LCM begründet sein.
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P01.2 Einfluss von Clonidin auf die mRNA Expression von NMDAR1 und Beta-Arrestin 2 in einem neuen Tiermodell der Opioid-induzierten Hyperalgesie H. Ohnesorge1, Z. Feng2, K. Zitta1, M. Albrecht1, B. Bein1 1 UKSH, Campus Kiel, 2The First Affiliated Hospital, Zhejiang University School of Medicine, Hangzhou Fragestellung: Die Opioid induzierte Hyperalgesie (OIH) beeinflusst die Effektivität der akuten oder längerfristigen Opioidbehandlung [1]. Ziel der Untersuchung war die Etablierung eines Tiermodells der OIH, das den klinischen Gegebenheiten einer längerfristigen Opioidbehandlung entspricht sowie die Untersuchung des Einflusses von Opioiden auf die Expression der mRNA der Untereinheit 1 des NMDA Rezeptors (NMDAR1) und ß-Arrestin 2. Material und Methoden: Nach Zustimmung der Tierschutzkommission erhielten C57/Bl6 Mäuse über 3 Tage (Gruppe Akut-Morphin/AM, n=6) bzw. 14 Tage (Gruppe Chronisch-Morphin/CM, n=6) dreimal täglich Morphin Injektionen in aufsteigender Dosierung (5-20mgxkg1 xkg-1). Die Quantifizierung der Opioid-Wirkungen erfolgte mittels Tail-flick Test und der mechanischen Reizschwelle der Hinterpfote (modifiziert nach Chaplan [2]) 4 Tage über die Opioid-Therapie hinaus. Weiterhin erfolgte die zeitgleiche Gabe von Morphin und Clonidin in einer Dosis von 100µgxkg-1xkg-1 (Gruppe LM, n=6) über 14 Tage. Nach Beendigung der Verhaltenstestung wurden die Tiere euthanasiert, die Hirne entnommen, homogenisiert und die Konzentration der mRNA von NMDAR1und ß-Arrestin 2 mittels PCR bestimmt. Ergebnisse: Die chronische Gabe von Morphin führte zu einer rasch einsetzenden Verlängerung der Tail-Flick Latenz der Mäuse, die unmittelbar nach Beendigung der Opioidbehandlung wieder auf das Ausgangsniveau zurückkehrte. Gleichzeitig entwickelte sich eine verzögert einsetzende mechanische Allodynie, die auch 4 Tage nach Beendigung der Morphin-Gabe fortbestand. In der Gruppe AM war für die Dauer der Morphin-Behandlung eine Verlängerung der Tail-Flick Latenz nachweisbar, eine mechanische Allodynie bestand nicht. Die Morphin-Gabe führte zu einer biphasichen Regulation der NMDAR1 mRNA. Während der akuten Gabe von Morphin erfolgte eine Downregulation der mRNA Expression von NMDAR1 und ß-Arrestin 2, die unter chronischer Morphin-Gabe wieder auf das Ausgangsniveau zurückkehrte. Die gleichzeitige Gabe von Low-Dose Clonidin führte zu einer verstärkten Verzögerung der Tail-flick Latenz, einer Aufhebung der mechanischen Allodynie und einer anhaltenden Downregulation der Expression von NMDAR1 und ß-Arrestin-2 mRNA. Schlussfolgerung: In dem vorgestellten Modell repräsentiert die thermische Analgesie die antinozizeptiven Effekte der Morphin-Gabe, während die Entwicklung der mechanischen Allodynie in der Testung die pronozizeptiven Opioid-Effekte widerspiegelt. Die Regulation der Expression von NMDAR1 und ß-Arrestin-2 mRNA im Hirn sind Faktoren, die mit der Entwicklung einer OIH assoziiert sind. Literatur: [1] Mao et al. Pain 2002; 100: 213-7; [2] Chaplan et al. J Neurosci Methods 1994; 53: 55-63. P01.3 anti-nozizeptive und anti-hyperalgetische Wirkung von Tapentadol in OPRM1 (µ-OPIOID REZEPTOR) knock out Mäusen B. Kögel, J. De Vry, T. Tzschentke, T. Christoph Grünenthal GmbH, Aachen Fragestellung: Aktivierung von µ-Opioid Rezeptoren (MOR) und Hemmung der Noradrenalin (NA) Wiederaufnahme sind bekannte analgetische Wirkmechanismen in akuten und chronischen Schmerzindikationen. Tapentadol ist ein zentral wirksames Analgetikum einer neuen pharmakologischen Substanzklasse, in dem die beiden Wirkmechanismen MOR Agonismus und Noradrenalin–Wiederaufnahmehemmung (NRI) in einem Molekül kombiniert sind. In verschiedenen Schmerzmodellen am Tier konnte eine starke Wirksamkeit bei
akut-nozizeptiven, akut- und chronisch-entzündlichen sowie bei chronisch-neuropathischen Schmerzen gezeigt werden. Um den relativen Beitrag der MOR-vermittelten Analgesie bestimmen zu können, wurde in dieser Studie Tapentadol in OPRM1 (MOR) knockout (KO) Mäusen in einem Akutschmerzmodell und einem chronisch-neuropathischen Schmerzmodell getestet. Material und Methode: Als Akutschmerzmodell (Anti-nozizeption) wurde der hot-plate Test, 48°C durchgeführt. Im chronischen Schmerzmodell wurde in diabetischen (Streptozotozin) und nicht-diabetischen (Citratpuffer) Mäusen zudem die anti-hyperalgetische Wirkung auf der 50°C hot-plate bestimmt. Die Wirkung von Tapentadol (0.316 – 31.6 mg/kg IP) und dem MOR-Agonisten Morphin (3 – 10 mg/kg IP) wurde jeweils in OPRM1 KO and kongenen Wildtyp (WT)-Mäusen gemessen. Ergebnis: OPRM1 KO Mäuse zeigten sowohl im Akut- als auch im chronischen Schmerz einen normalen Phänotyp. In WT Mäusen zeigte Tapentadol eine dosisabhängige Wirkung im Akutschmerz (ED50 10,8 mg/kg) und im chronischen Schmerz (ED50 1,1 mg/kg). Auch die Wirksamkeit von Morphin wurde in beiden Modellen gezeigt. In OPRM1 KO Mäusen dagegen hatte Morphin keine Wirkung mehr, was bestätigt, dass die Wirkung ausschließlich über MOR vermittelt wird. Tapentadol zeigte in einer Dosierung, die in WT Mäusen voll wirksam war, in OPRM1 KO Tieren eine reduzierte, aber dennoch deutliche und signifikante anti-nozizeptive und anti-hyperalgetische Wirkung. Diskussion: Nur ein Teil der Wirkung von Tapentadol wird über die Aktivierung von MOR vermittelt. Dieses Ergebnis bestätigt vorhergehende Studien, in denen mit selektiven MOR und noradrenergen Rezeptor Antagonisten gearbeitet wurde (Schröder et al., Eur J Pain, 2010) und unterstützt die Annahme, dass ein wichtiger Teil der Wirkung von Tapentadol über die NA-Wiederaufnahmehemmung vermittelt wird. Die Studie bestätigt außerdem, dass Tapentadol im chronischen Schmerz eine höhere Wirkstärke besitzt als im Akutschmerz. Dies könnte auf eine höhere Sensitivität des chronischen Schmerzmodells gegenüber der NA-Wiederaufnahmehemmung zurückzuführen sein. Schlussfolgerung: Tapentadol zeichnet sich aufgrund seines kombinierten MOR-NRI Wirkmechanismus als breit wirksames Analgetikum mit besonders guter Wirksamkeit im neuropathischen Schmerz aus. P01.4 Die Rolle spinaler glycinerger Transmission für mechanische Hyperalgesie nach Inzision S. Reichl, P. Zahn, M. Augustin, E. Pogatzki-Zahn Uniklinikum Münster Hintergrund: Glycin zählt zu den wichtigsten inhibitorischen Neurotransmittern des zentralen Nervensystems. Der Verlust der spinalen glycinergen Inhibition stellt einen wichtigen Pathomechanismus bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von inflammatorischen und neuropathischen Schmerzen dar (1-2). Die Glycinkonzentration im synaptischen Spalt und damit auch die Aktivität von Glycin wird durch neuronale und gliale Glycin-Transporter (GlyT1, GlyT2) reguliert. Es ist bisher unklar welche Rolle spinale Glycin-Rezeptoren und Glycin-Transporter bei der Entwicklung mechanischer Hyperalgesie nach Inzision im Tiermodell spielen. Methoden: BeiSprague-Dawley-Ratten (n=63) mit intrathekalem (IT) Katheter wurde am Tag der Inzision die mechanische Reaktionsschwelle (RS; kalibrierte von-Frey Filamente) bestimmt und ein Schnitt (1cm) in Haut, Faszie und Plantarismuskel der rechten Fußsohle durchgeführt. Nach 2h erfolgte die erneute Bestimmung der RS (ZP 0) mit anschliessender IT-Gabe von: Glycin (50µg, 150µg, 400µg, Vehikel; n=6/Gruppe), ALX5407 (selektiver Glycin-Transporter 1 (GlyT1) Inhibitor, 20µg, 100µg, Vehikel; n=4-6/Gruppe), ALX1393 (selektiver Glycin-Transporter 2 (GlyT2) Inhibitor; 20µg, 100µg, Vehikel, n=6/ Gruppe) oder Strychnin (Glycin-Rezeptor Antagonist; 2µg, Vehikel; n=6/Gruppe). Die RS wurde im 10 Minuten Intervall bis 1h nach Injektion bestimmt. Eine weitere Gruppe erhielt Glycin (400µg) und den Der Schmerz Supplement 1 · 2010
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Abstracts Glycin-Antagonisten Strychnin (2µg; n=6). Derzeit erfolgen immunhistochemische Untersuchungen zur spinalen Expression der a3-Untereinheit des Glycin-Rezeptors zu verschiedenen Zeitpunkten nach Inzision sowie elektrophysiologische in-vivo Einzelzellableitungen spinaler Hinterhornneurone. Ergebnis: Nach IT Gabe 400µg Glycin zeigte sich ein Anstieg der 2h nach Inzision reduzierten RS von 51mN (Pre) auf 220mN 15 Min nach Injektion (p<0.05 vs Vehikel). Die IT Injektion des GlyT1 Inhibitors ALX5407 (100µg) und GlyT2 Inhibitors ALX1393 (100µg) führten ebenfalls zu einer Reduktion des mechanischen Hyperalgesie nach Inzision (p<0.05 vs Vehikel). Durch die vorherige Gabe des Glycin-Antagonisten Strychnin konnte die Wirkung des Agonisten aufgehoben werden (p<0.05). Die alleinige Gabe der Antagonisten steigerte nicht das Schmerzverhalten nach Inzision (p<0.05).. Die Tiere zeigten nach Injektion von Glycin oder Strychnin keine motorischen Defizite. Diskussion: Die Gabe von Glycin oder die spezifische Inhibition der Glycintransporter führte zu einer Erhöhung der extrazellulären Glycinkonzentration. Dieser gesteigerte inhibitorische Effekt an den Glycinrezeptoren bewirkte eine Reduktion der mechanischen Hyperalgesie nach Inzision im Tiermodell. Schlussfolgerung: Eine Verstärkung der glycinergen Transmission durch Inhibition von Glycintransportern stellt einen möglichen Angriffspunkt bei der Behandlung postoperativen Schmerzen dar. P01.5 Autoimmunity against the autonomic nervous system in complex regional pain syndrome D. Kohr1, P. Singh1, M. Tschernatsch1, M. Kaps1, M. Diener2, F. Birklein3, G. Wallukat4, F. Blaes1 1 Dept. of Neurology, Justus-Liebig-University, Giessen, 2Dept. of Veterinary Physiology, Justus-Liebig-University, Giessen, 3Dept. of Neurology, University Medical Centre, Mainz, 4Max-Delbrück-Center, Berlin Complex Regional Pain Syndromes (CRPS), which are usually accompanied by disturbances of the sympathetic nervous system, are often difficult to manage since pathophysiology is incompletely understood. Previous report revealed the presence of autoantibodies against nervous system structures in CRPS patients. However it remained unclear how the antibodies act in the development of CRPS. Therefore we tested sera of CRPS patients, neuropathy patients and healthy volunteers for surface-binding autoantibodies to primary cultures of autonomic neurons and differentiated neuroblastoma cell lines using flow cytometry. 13/30 CRPS patients, but none of 30 healthy controls and only one out of 20 neuropathy sera had specific surface-binding to autonomic neurons. The majority of the sera reacted with both sympathetic and myenteric plexus neurons. The differentiation of SHSY5Y into a cholinergic phenotype induced a surface-antigen, which is recognised by 60 % of CRPS sera (18/30), but not by controls. Moreover, using ELISA and a stablished cardiomyocyte assay we identified these autoantibodies as immunoglobulin G directed against peptide sequences from receptors of the autonomic nervous system with functional properties on these receptors. Thus, our findings shall contribute to the understanding of this disease, support the diagnosing as well as encourage new treatment strategies focusing on the immune system.
P01.6 Der Schmerzempfindlichkeitsfragebogen als Alternative zur experimentellen Schmerzmessung beim Menschen: Validierung bei chronischen Schmerzpatienten R. Ruscheweyh, B. Verneuer, M. Marziniak, A. Wolowski, T. Becker, Y. Born, R. Colak-Ekici, T. Schulte, V. Bullmann, S. Grewe, S. Evers, S. Knecht Universitätsklinikum Münster Fragestellung: Individuelle Unterschiede in der Schmerzempfindlichkeit sind von potentieller klinischer Bedeutung für die Vorhersage von postoperativen Schmerzen, Therapieerfolg bei chronischen Schmerzen und möglicherweise auch für die Identifikation von Patienten mit einem hohen Risiko für die Entwicklung eines chronischen Schmerzes. Der klinische und wissenschaftliche Einsatz wird jedoch derzeit durch die zeitlichen, personellen und materiellen Anforderungen der experimentellen Schmerzmessung limitiert. Eine schnelle und kostengünstige Alternative könnte der kürzlich entwickelte Schmerzempfindlichkeitsfragebogen (pain sensitivity questionnaire, PSQ) sein, der bei Gesunden gut mit den Ergebnissen der experimentellen Schmerzmessung korreliert (Pain 2009, 146: 65–74). Diese Arbeit untersucht, ob der PSQ auch für die Erhebung der generalisierten Schmerzempfindlichkeit (d. h., der Schmerzempfindlichkeit außerhalb des primär schmerzhaften Areals) bei chronischen Schmerzpatienten geeignet ist. Material und Methode: Im ersten Teil der Studie wurden Ergebnisse des PSQ und der experimentellen Schmerzmessung bei 24 Patienten mit chronisch schmerzhafter craniomandibulärer Dysfunktion (CMD) verglichen. Im zweiten Teil der Studie wurden die Ergebnisse des PSQ bei 88 chronischen Schmerzpatienten (mit chronischem Spannungskopfschmerz, chronischem Rückenschmerz oder chronisch schmerzhafter CMD) und 51 Patienten mit episodischen Schmerzen (Migräne) mit denen von 185 gesunden Kontrollpersonen verglichen. Ergebnisse: Ähnlich wie bei den Ergebnissen bei gesunden Probanden fand sich bei chronischen Schmerzpatienten eine signifikante Korrelation zwischen PSQ-Scores und experimentellen Schmerzintensitätsbewertungen (r = 0.58, p < 0.001), aber keine Korrelation mit experimentell gemessenen Schmerzschwellen. Im Vergleich zu den Kontrollen war der PSQ sowohl bei chronischen als auch bei episodischen Schmerzpatienten signifikant erhöht (PSQ-minor Scores: Kontrollen: 2.3 ± 1.0; chronische Schmerzpatienten: 2.9 ± 1.5, episodische Schmerzpatienten: 2.8 ± 1.1, p<0.001). Diskussion: Frühere Studien haben gezeigt, dass chronische Schmerzpatienten eine generalisierte Erhöhung der experimentell gemessenen Schmerzempfindlichkeit zeigen. Ein Instrument zur Selbsteinschätzung der Schmerzempfindlichkeit sollte diesen bekannten Effekt widerspiegeln. Die vorliegende Studie zeigt, dass dies für den PSQ zutrifft. Schlussfolgerung: Die vorliegenden Daten zeigen, dass der PSQ ein valides Instrument zur Erhebung der Schmerzempfindlichkeit bei chronischen Schmerzpatienten ist. Die bekannte Erhöhung der generalisierten Schmerzempfindlichkeit bei chronischen Schmerzpatienten wird vom PSQ abgebildet. Damit eignet er sich auch für die Anwendung in Längsschnittstudien zur Untersuchung der Frage, ob erhöhte Schmerzempfindlichkeit ein Risikofaktor für die Entwicklung von chronischen Schmerzen ist. P01.7 Einfluss des Narkoseverfahrens auf Habituation und Hyperalgesie in einem humanen elektrischen Schmerzmodell F. Nickel, S. Ott, S. Möhringer, J. Filitz, S. Rieß, T. Münster, C. Maihöfner Universität Erlangen-Nürnberg, Erlangen Fragestellung: Ob die Wahl des Narkoseverfahrens die postoperative Schmerzverarbeitung beeinflusst, ist nicht abschließend geklärt. Insbesondere die Relevanz einer Opiat-induzierten Hyperalgesie nach Einsatz kurzwirksamer Opiate wird diskutiert. Im Rahmen dieser Studie wurde der Einfluss unterschiedlicher Narkose-Regimen auf Schmerz-
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habituation und sekundäre Hyperalgesie in einem humanen transdermalen elektrischen Schmerzmodell untersucht. Methoden: 48 gesunde, schmerznaive Probanden wurden eingeschlossen. An Tag 1 wurden die elektrische Schmerzschwelle (EPT), die Stromstärke, die einen Schmerz von 5 auf der numerischen Ratingskala (NRS) von 0 bis 10 evozierte (NRS5), und die mechanische Schmerzschwelle (MPT) am rechten volaren Unterarm bestimmt. An Tag 2 wurden alters- und geschlechtsgematcht vier Gruppen gebildet. Die Kontrollgruppe (K) erhielt keine Narkose. Bei den Probanden der drei verbliebenen Gruppen wurde für 2 h eine Narkose mit Propofol (P), Propofol und Remifentanil (PR) oder Propofol, Remifentanil und S-Ketamin (PRK) durchgeführt. Anschließend wurde bei allen Gruppen erneut EPT, MPT und NRS5 bestimmt. Dann wurden für 60 min am Unterarm noxische elektrische Reize hoher Stromdichte appliziert und die Stromstärke mit dem Ziel eines NRS-Ratings von 5 angepasst. Nach Stimulation wurden die MPT sowie die Hyperalgesiefläche planimetrisch bestimmt. Die elektrische Stimulation wurde an den Tagen 3-5 wiederholt. An Tag 5 wurde erneut vor Stimulation EPT, NRS5 und MPT, nach Stimulation MPT und Hyperalgesiefläche gemessen. Ergebnisse: Zwischen den Narkosegruppen ließen sich an keinem Messzeitpunkt signifikante Unterschiede hinsichtlich der erfassten Größen (EPT, NRS5, Habituation an den elektrischen Schmerzreiz, MPT, Hyperalgesiefläche) nachweisen. Insbesondere war die Hyperalgesie der Gruppe PR an den Tagen 2 und 5 nicht stärker als bei P oder PRK. Auch zwischen den einzelnen Narkosegruppen und der Kontrollgruppe K fanden sich keine signifikanten Unterschiede. Im Vergleich zu allen Narkosegruppen (P, PR, PRK) gepoolt zeigte sich bei K eine signifikant erniedrigte MPT an Tag 2 vor und nach Stimulation, sowie an Tag 5 nach Stimulation. Hinsichtlich der elektrischen Parameter bestanden außer einer an Tag 2 in der Gruppe K erniedrigten Stromstärke von EPT und NRS5 keine Unterschiede im Vergleich zur gepoolten Narkosegruppe. Diskussion und Schlussfolgerung: Im hier angewandten transdermalen elektrischen Schmerzmodell ließen sich zwischen den Narkosegruppen P, PR und PRK unter standardisierten Bedingungen keine differentiellen Effekte auf Schmerzhabituation oder sekundäre Hyperalgesie nachweisen. Diese Befunde sprechen gegen eine klinisch relevante postoperative Opiat-induzierte Hyperalgesie. Vielmehr scheint die Narkose in diesem Modell mittelfristig einen eher antihyperalgetischen Effekt zu haben. Unterstützt durch die DFG (KFO 130) und den Deutschen BMBF-Forschungsverbund „Neuropathischer Schmerz“
Software, Institute of Neurology, London, UK) gemessen. Dazu wurden Veränderungen des Muskel-Summenaktionspotential am M. abductor pollicis brevis der Versuchspersonen auf eine standardisierte Reizabfolge über dem N. medianus bestimmt. Bestimmt wurde die Veränderung der relativen Refraktärzeit (RRP) errechnet aus dem Recovery Cycle (Erholungszyklus), die Veränderungen der Strength-duration time constant (Chronaxie), der Rheobasenstromstärke, der Refraktärität nach 2 ms, der Superexzitabilität nach 7 ms sowie die Veränderung des Threshold electrotonus (Elektrotonische Schwellenwertbeziehung). Ergebnisse: Die Gabe von 200 mg Flupirtine führte bei 20 gesunden Probanden (10 weiblich, 10 männlich, Alter 28.3 ± 1.0 Jahre) zu einer Reduktion der RRP gegenüber dem Ausgangswert (Kontrolle 3.42 ± 0.08 ms, Flupirtine 3.23 ± 0.09 ms; paired t-test p < 0.01). Unter Placebo kam es zu keiner Veränderung der RRP (3.45 ± 0.12; p = 0.78). Die Chronaxie (Kontrolle 0.480 ± 0.010 ms, Flupirtine 0.466 ± 0.011 ms; p = 0.18) und die Rheobasenstärke (Kontrolle 2.87 ± 0.14 mA, Flupirtine 3.04 ± 0.18 mA; p = 0.20) verränderten sich leicht, aber nicht signifikant. Die Refraktärität nach 2 ms war verringert (Kontrolle 165.0 ± 14.0, Flupirtine 105.8 ± 10.1; p < 0.001). Die Superexzitabilität nach 7 ms (Kontrolle -27.12 ± 1.42 %) zeigte keine signifikanten Veränderungen (Flupirtine -25.68 ± 1.67 %; p = 0.09). Die elektrotonische Schwellenwertbeziehung bei Depolarisation (-1.26 %) und bei Hyperpolarisation (-1.31 %) zeigte keine signifikanten Veränderungen (p > 0.05). Unter Placebo traten keine Veränderungen der Erregbarkeitsparameter auf. Schlussfolgerung: Orale Dosen von Flupirtine (200 mg) beeinflussen die Erregbarkeit humaner peripherer myelinsierter Axone. Eine Verkürzung der RRP und die Tendenz zu einer kürzeren Chronaxie und stärkeren Rheobasenstromstärke weist auf eine Membranhyperpolarisation und damit eine Reduktion der Erregbarkeit der axonalen Membran, hin. Erregbarkeitsuntersuchungen von peripheren Nerven könnten auch bei anderen medikamentösen Therapien von peripheren Neuropathien geeignet sein, eine Wirkung auf die axonale Membran zu überprüfen. Diese Studie wurde durch das Förderprogramm für Forschung und Lehre (FöFoLe 650) der Ludwig-Maximilians Universität München unterstützt.
P01.8 Die orale Gabe von Flupirtin beeinflusst die Erregbarkeit humaner peripherer myelinisierter Axone in vivo J. Fleckenstein1, R. Sittl2, P. Lang2, R. Carr1, D. Irnich1 1 Klinikum der Universität München – Innenstadt, LMU, 2Physiologisches Institut, , Ludwig-Maximilians Universität München
Fragestellung: Ein klinisches Problem in der Therapie vieler Erkrankungen, insbesondere chronischer Schmerzerkrankungen, stellt das stark unterschiedliche Ansprechen der Patienten auf Medikamente (z. B. Analgetika) dar. Erklärungen für dieses Phänomen reichen von Genpolymorphismen bis hin zur persönlichen Erfahrungsgeschichte. Mit der vorliegenden Studie sollte überprüft werden, ob eine experimentell induzierte Vorerfahrung mit einem Scheinanalgetikum A die Wirksamkeit eines später verabreichten Scheinanalgetikums B beeinflusst. Material und Methoden: Wir untersuchten 10 gesunde Probanden mit einem Plazeboparadigma. An zwei aufeinanderfolgenden Tagen erfolgte eine Konditionierung mit Hitzeschmerzreizen. Dabei wirkte auf dem Unterarm das Schmerzmedikament A (Plazebopflaster) für 20 Min. ein. Anschließend simulierten wir in der Positivgruppe eine guteWirkung, indem wir Schmerzreize mit einer Intensität von 20 auf einer Visuellen Analogskala (VAS, 0-100) applizierten. In einer Negativgruppe simulierten wir eine schlechte Wirkung durch Schmerzreize einer Intensität von 80 VAS. Beide Gruppen erhielten zum Vergleich auf einer unbehandelten Kontrollstelle Schmerzreize von 80 VAS. Die Zielvariable war der Unterschied zwischen Positiv- und Negativgruppe in der empfundenen analgetischen Wirkung (VAS-Rating) eines am dritten Tag aufgetragenen Schmerzmedikamentes B (Plazebosalbe) mit vermeintlich anderem Wirkstoff. Um eine mittelstarke Medikamentenwirkung zu simulieren, applizierten wir in beiden Gruppen
Fragestellung: Erregbarkeitsmessungen an peripheren Nerven spielen eine zunehmend wichtige Rolle um physiologische Mechanismen, die zum Beispiel klinischen Veränderungen wie neuropathischen Schmerzen zugrunde liegen, zu verstehen. Es gibt zur Zeit viele Beobachtungen zu Veränderungen von Erregbarkeitsparametern bei verschiedenen Arten von Neuropathien; nur wenige Untersuchungen betreffen jedoch die Effekte einer medikamentösen Therapie. In der hier vorliegenden randomisiert kontrollierten Phase I Studie haben wir den Effekt des KV7-Kaliumkanalöffners Flupirtin auf die Erregbarkeit humaner peripherer myeliniserter Axone in vivo an Probanden gemessen. Studiendesign und Methoden: Es handelt sich um eine randomisiert placebo-kontrollierte, doppel-verblindete Studie im Cross-over Design zur Messung von Erregbarkeitsveränderungen 2 Stunden nach Gabe von 200 mg Flupirtin per os an gesunden Probanden. Die axonale Erregbarkeit von A-Fasern wurde mittels Threshold-Tracking Technik mit Hilfe eines automatisierten, computer-basierten Protokolls (QTRAC
P01.10 Die Vorerfahrung mit Schmerzmitteln beeinflusst die Wirksamkeit eines neuen Analgetikums – eine experimentelle Näherung S. Keßner, K. Somborski, C. Ritter, U. Bingel University Medical Center Hamburg Eppendorf, Hamburg
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Abstracts auf der behandelten Stelle Schmerzreize mit einer Intensität von 50 VAS und auf der unbehandelten Kontrollstelle 80 VAS. Die Probanden stuften jeden Reiz auf der VAS ein. Die Ratings für die Salben- und die Kontrollstelle verglichen wir in einem T-Test für unabhängige Stichproben zwischen beiden Gruppen. Ergebnisse: Die Positivgruppe bewertete am dritten Tag die mit der Salbe behandelteStelle im Mittel mit 29 VAS (SD ±18), die Negativgruppe mit 46 VAS (SD ±7), p=0.045. Auf der Kontrollstelle zeigten sich keine Unterschiede zwischen beiden Gruppen (Positivgruppe: 71 VAS (SD ±13), Negativgruppe: 70 VAS (SD ±8)). Diskussion: Die beiden Gruppen beurteilten die „analgetische“ Wirkung der Salbe signifikant unterschiedlich, obwohl ihnen diese völlig unbekannt war und die Schmerzreize die gleiche Intensität hatten. Alleiniger Gruppenunterschied war die Vorerfahrung mit dem Pflaster. Dennoch sprechen die vorläufigen Ergebnisse für eine Übertragung der Vorerfahrung mit dem Pflaster auf die Wirkung der Salbe. Künftige Untersuchungen sollten diesen Übertragungseffekt mit aktiven pharmakologischen Interventionen untersuchen. Schlussfolgerung: Unser Experiment deutet darauf hin, dass die Wirksamkeit eines neu verschriebenen Medikamentes maßgeblich davon beeinflusst sein könnte, welche Erfahrungen ein Patient in bisherigen Behandlungen gemacht hat. Die Therapieplanung müsste so in Zukunft stärker die individuelle Erfahrungsgeschichte des Einzelnen berücksichtigen.
PO2 – Experimentelle Schmerzmodelle II P02.1 Der „pain-inhibiting-pain“-Effekt im Humanexperiment: absteigende Schmerzhemmung oder Habituation? S. Becker, D. Kleinböhl, J. Dattge, A. Bräscher, R. Hölzl Universität Mannheim Fragestellung: Der „pain-inhibiting-pain“- Effekt (im Tiermodell: diffuse noxious inhibitory controls, DNIC) wird vermutlich durch Mechanismen der absteigenden Hemmung erzeugt. Die Empfindungsstärke eines Schmerzreizes wird dabei durch die gleichzeitige Applikation eines weiteren Schmerzreizes an einer anderen Körperstelle gehemmt. Trotz vielfacher Untersuchung dieses Phänomens ist aber weitgehend unklar, welche Mechanismen dem „pain-inhibiting-pain“-Effekt im Humanexperiment zugrundeliegen und insbesondere, ob absteigende Schmerzhemmung ursächlich ist. Diese Studie untersucht daher welche Rolle Habituationsprozesse in der Schmerzwahrnehmung beim „pain-inhibiting-pain“-Effekt spielen. Material und Methoden: 30 gesunde Probanden nahmen an je zwei Sitzungen mit zwei unterschiedlichen experimentellen Bedingungen teil. In beiden Sitzungen wurden den Probanden zunächst 15 phasische (1.5 s) Hitze-Schmerzreize am nicht-dominanten Thenar appliziert (Habituationsphase). Danach wurden erneut 15 phasische Hitze-Schmerzreize dargeboten, wobei während Reiz 6-10 in einer Sitzung gleichzeitig ein schmerzhafter (DNIC-Bedingung; DNIC-Phase) und in der anderen Sitzung ein nicht-schmerzhafter (Kontrollbedingung; DNIC-Phase) tonischer Hitzereiz (65 s) am dominanten Unterarm gegeben wurde. Alle phasischen Hitze-Schmerzreize wurden hinsichtlich ihrer subjektiven Schmerzintensität auf einer Visuellen Analogskala (VAS) eingeschätzt. Ergebnisse: In den ersten 5 Reizen der DNIC-Phase ohne simultane tonische Stimulation ist eine deutliche Habituation der subjektiven Schmerzempfindung zu sehen, d. h. die Schmerzintensität wird subjektiv als immer geringer eingeschätzt. Bei simultaner tonischer Stimulation ist dann in der DNIC-Bedingung (tonischer Reiz schmerzhaft) ein weiteres Absinken der subjektiven Schmerzurteile zu sehen, während in der Kontrollbedingung (tonischer Reiz nicht-schmerzhaft) ein leichter Anstieg zu erkennen ist. Beim Vergleich mit der Habituations-
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phase (15 Reize ohne tonische Stimulation), in der vor allem bei den ersten 5 Reizen Habituation zu sehen ist, wird deutlich, dass zusätzlich zu den Habituationsprozessen ein „pain-inhibiting-pain“-Effekt in der der DNIC-Bedingung auftritt. Diskussion und Schlussfolgerungen: Die Ergebnisse zeigen bei gleichzeitiger tonischer und phasischer Hitze-Schmerzstimulation einen „pain-inhibiting-pain“-Effekt, dahingehend dass die subjektiv wahrgenommene Schmerzintensität zurückgeht. Diesem Effekt geht jedoch eine deutliche Habituation in der Wahrnehmung der phasischen Hitze-Schmerzreize ohne simultane tonische Schmerzstimulation voraus. Da diese Habituation vor der simultanen Stimulation weitgehend abgeschlossen war, lassen diese Ergebnisse trotzdem die Beteiligung absteigender Hemmmechanismen beim „pain-inhibiting-pain“-Effekt vermuten. Jedoch zeigen sie auch, dass in vielen Studien der „pain-inhibiting-pain“-Effekt überschätzt wurde, da Habituationsprozesse nicht separat betrachtet und berücksichtigt wurden. P02.2 Schmerzhemmung und elektrodermale Aktivität beim „pain-inhibiting-pain“-Effekt A. Bräscher, S. Becker, P. Bach, D. Kleinböhl, R. Hölzl Otto-Selz-Institut für Angewandte Psychologie, Mannheim Fragestellung: Das „pain-inhibiting-pain“-Phänomen wird mutmaßlich durch Mechanismen der absteigenden Schmerzhemmung erzeugt. Im Tiermodell lässt sich dies durch den sogenannten DNIC-Effekt (diffuse noxious inhibitory controls) zeigen. Beim Menschen erzielt man durch tonische schmerzhafte Reize an einer Körperstelle eine Hemmung phasischer Reize an einer anderen Körperstelle. Obwohl allgemein gut untersucht, existieren bisher nur wenige Untersuchungen zur Psychophysiologie des DNIC-Effekts. Des Weiteren werden in vielen Studien Habituationsprozesse nicht kontrolliert. Demgemäß wird in dieser Studie unter Berücksichtigung von Habituationsprozessen die Auswirkung des “pain-inhibiting-pain“-Effekts auf die elektrodermale Aktivität (EDA) mit einer unimodalen Reizkombination (schmerzhafte Hitzereize) untersucht. Material und Methode: 21 gesunde Versuchsteilnehmer wurden in zwei Sitzungen an unterschiedlichen Tagen untersucht. Es wurden jeweils zunächst 15 phasische Hitzereize (1,5 s Dauer, 2 °C überhalb der individuellen Schmerzschwelle) dargeboten (Habituationsphase). Danach wurden erneut 15 phasische Hitzereize appliziert, wobei während Stimuli 6-10 gleichzeitig ein schmerzhafter (DNIC-Bedingung) oder nicht-schmerzhafter (Kontrollbedingung) tonischer Hitzereiz (55 s Dauer, 26 cm2 Fläche) gegeben wurde. Jeder der phasischen Hitzereize wurde subjektiv hinsichtlich seiner Schmerzhaftigkeit bewertet (visuelle Analogskala), bei gleichzeitiger Aufzeichnung der EDA-Reaktionen. Ergebnisse: Die Ergebnisse zeigten nach anfänglicher Habituation erwartungsgemäß eine Reduktion der eingeschätzten Schmerzintensität während der zusätzlichen tonischen Stimulation in der DNICBedingung. Im Gegensatz dazu stieg die Schmerzhaftigkeit während gleichzeitiger nicht-schmerzhafter Reizung (Kontrollbedingung) überraschenderweise leicht an. Die EDA-Reaktionen folgten in allen Bedingungen einem Habituationsverlauf über 15 Reize. In der DNIC-Bedingung zeigte sich während gleichzeitiger tonischer Stimulation allerdings ein Amplitudenanstieg, verglichen mit den anderen Bedingungen. Bei Einsatz der tonischen Stimulation war in beiden Bedingungen eine Orientierungsreaktion zu sehen. Diskussion und Schlussfolgerung: Die subjektiven Schmerzurteile belegen, dass ein „pain-inhibting-pain“-Effekt erzeugt wurde. In der DNIC-Bedingung zeigte sich eine erhöhte sympathische Aktivität, die möglicherweise durch den einsetzenden schmerzhaften tonischen Reiz erklärbar ist, oder alternativ einen genuinen Einfluss der DNIC-bezogenen Hemmung darstellt. Die verstärkte Schmerzempfindung während gleichzeitiger nicht-schmerzhafter Stimulation könnte auf Aufmerksamkeits- oder Kontrasteffekten beruhen.
P02.3 Modulation der Schmerzempfindung durch emotionale und soziale Stimuli K. Damm, N. Hellberg, E. Köhler, C. Hermann Justus-Liebig-Universität Gießen Fragestellung: Das Modell der Emotional Control of Nozizeption (ECON; Rhudy et al., 2008) postuliert, dass die Schmerzempfindung emotional moduliert wird. Eine erhöhte Schmerzintensität ist während negativer affektiver Zustände (z. B. beim Betrachten von Bildern), eine verminderte Schmerzintensität ist bei positiven emotionalen Zuständen im Vergleich zu neutralen Bedingungen zu beobachten. Zur Affektinduktion wurden bisher häufig Bilder aus dem International Affective Picture System (IAPS; Lang et al., 2005) verwendet. In der vorliegenden Untersuchung wurden IAPS Bilder sowie Gesichter mit unterschiedlichem emotionalen Ausdruck hinsichtlich ihrer modulierenden Wirkung auf einen tonischen Hitzeschmerz untersucht. Material und Methode: An der Studie nahmen 48 weiblichen Probanden teil. Der Hälfte der Probanden wurden positive, negative oder neutrale IAPS Bilder, der anderen Hälfte Gesichter mit glücklichem, ärgerlichem oder neutralem Gesichtsausdruck präsentiert. Die Hitzeschmerzreize wurden für 54 Sekunden während der Präsentation der Bilder über eine Hitzethermode am Thenar appliziert. Die subjektive Schmerzstärke wurde zu drei Zeitpunkten während der tonischen Messung, Valenz und Arousal der Bilder im Anschluss an die Schmerzreize gemessen. Ergebnisse: In beiden Gruppen konnte die Schmerzmodulation durch die emotionale Valenz der Bilder bestätigt werden. Während der Darbietung positiver Bilder war die subjektive Schmerzintensität am geringsten, bei negativen Bildern war die angegebene Intensität am höchsten. Diese Modulation wurde insbesondere am Ende der tonischen Hitzereizung deutlich, wenn eine Sensitivierung eingetreten war. Unabhängig von der Bildvalenz konnte man im Verlauf der tonischen Hitzereizung eine deutliche Sensitivierung beobachteten. Während sich die positiven Bilder nicht in der Valenz unterschieden, wurden die negativen IAPS-Bilder negativer beurteilt als die ärgerlichen Gesichter. Zudem beurteilten die Probanden die emotionalen Gesichter als signifikant weniger aufregend als die emotionalen IAPS-Bilder. Diskussion: Unter Verwendung eines tonischen Hitzeschmerzparadigmas konnte gezeigt werden, dass die Schmerzempfindung bei tonischer Hitzeschmerzstimulation affektiv moduliert wird. Emotionale Gesichter haben eine vergleichbare modulierende Wirkung, obwohl sie subjektiv als weniger intensiv eingeschätzt werden. Schlussfolgerung: Die Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung des Einflusses des sozialen Kontextes auf die Schmerzverarbeitung. P02.4 Differentielle fMRT – Aktivierung im Hirnstamm für Aδ- und CFasern? A. Ritter, M. Franz, U. Kappauf, W. Miltner, T. Weiss Institut für Psychologie, Jena Im Tierexperiment werden aktive und passive Bewältigungsstrategien für Ad- und C-Faser-vermittelten Schmerz berichtet, deren Koordination von verschiedenen Kolumnen des periaquäduktalen Höhlengraus (PAG) ausgeht (z. B. Lumb, B. M. Inescapable and escapable pain is represented in distinct hypothalamic-midbrain circuits: specific roles of Ad – and C-nociceptors. Experimental Physiology,2002, 87, 281-286). Die Studien nutzten eine unterschiedliche Steilheit des Temperaturanstiegs zur präferentiellen Stimulation von Adelta- und C-Fasern. Anliegen der vorliegenden Studie war es zu untersuchen, welche Areale im Hirnstamm bei dieser Form der Stimulation beim Menschen aktiviert werden und welche Empfindungen sie induziert. 16 VPn wurde auf der Handoberfläche in einer baseline-Bedingung die Temperatur von 30 auf 40°C, in der Schmerzbedingung von 39 auf 49°C erhöht, wobei die Temperatursteigerung jeweils mit 2,5°C* s-1 (C)
bzw. mit 7,5°C* s-1 (Ad) vorgenommen wurde. Die fMRI-Messungen wurden mit einer in Hirnstammgebieten hochauflösenden Sequenz durchgeführt. Weitere 15 VPn beurteilten außerhalb des scanners die Stimulation anhand schmerzbeschreibender Adjektive. Differentielle fMRT-Aktivierungen zeigen sich im Kontrast der beiden Anstiegssteilheiten der Temperatur in der Schmerzbedingung für die Ad- Stimulation im PAG, dem Nucl. Raphe dorsalis und der rostralen ventromedialen Medulla. Im Gegensatz zum Tierexperiment konnte für die speziell betrachteten Kolumnen des PAG keine differentiellen Aktivierungen gefunden werden. Die Stimulation in der Schmerzbedingung wird von den VPn als schmerzhaft empfunden. Es gibt Unterschiede bei der Zuordnung der Schmerzdeskriptoren für die beiden Anstiegssteilheiten der Temperatur. Die Untersuchung lässt 4 grundsätzliche Interpretationen zu. 1. Im menschlichen Hirnstamm findet eine differentielle Verarbeitung von Reizen statt, die präferentiell von C bzw. Ad Fasern in das ZNS geleitet werden. 2. Die tierexperimentell gefundene differentielle kolumnäre Aktivierung des PAG existiert human nicht. 3. Der Hitzestress bei unserer maximalen Stimulationstemperatur von 49°C (Lumb, 2002: 55°C) war zu niedrig, um die Vorbereitung von Rückzug oder Flucht/ Angriff für die Versuchspersonen als situative Bewältigung nötig werden zu lassen, weshalb auch die zentralen Mechanismen dafür inaktiv bleiben. Eine Übertragung der Befunde von der differenziellen Stimulation von Ad –und C-Fasern durch Hitzereize und der damit verbundenen zentralen Aktivierungen vom Tiermodell auf den Menschen gelingt bei einer maximalen Stimulationshitze von 49°C nicht. 4. Die Zuordnung der Adjektive zu den Reizen beider Anstiegssteilheiten der Temperatur begünstigt eine Deutung der Stimuli im Sinne eines präferentiellen Ansprechens von Ad- und C- Fasern. Unterstützt durch BMBF Bernstein-Programm 01RQ0703 “Neuromatrix des Schmerzes”. P02.5 Verbesserung des Signals von ultraspäten (C-Faser) laser-evozierten Hirnpotentialen mittels ICA M. Franz1, A. Ritter1, C. Filipa1, J. Terhaar2, W. Miltner1, T. Weiss1 1 Institut für Psychologie, Jena, 2Universitätsklinikum, Jena Fragestellung: Die Ableitung von C-Faser-vermittelten ultraspäten laser-evozierten Potentialen (ULEP) ist durch die Tatsache erschwert, dass die Stimulation von C-Fasern mit starken Latenzunterschieden der ULEP-Komponenten einhergeht. Da Mittelungsverfahren zur Analyse von ULEPs durch fehlende inter-trial Phasensynchronität der ULEP-Komponenten kontaminiert werden können, ist es ratsam, diese Latenzunterschiede systematisch zu korrigieren. Ein hierfür u. E. geeignetes Verfahren stellt die Independent Component Analysis (ICA) dar, deren Leistung als Korrekturmethode hier überprüft wird. Material und Methode: EEG-Daten wurden von 16 gesunden ProbandINNen (20-29 Jahre) erhoben. Die Untersuchung bestand aus 3 Blöcken mit jeweils 50 Laserstimuli, die auf den Handrücken appliziert wurden. Zur selektiven C-Faserstimulation wurde in Block #1 und Block #3 die Methode der Stimulation winziger Hautareale mittels einer Lochblende verwandt. Block #2 diente zur Ableitung später laserevozierter Potentiale (LEP, Ad-vermittelt). Die EEG-Daten wurden mit EEGLAB sowie CORRMAP weiterverarbeitet. Nach Artefaktbereinigung wurden die kontinuierlichen EEG-Daten jeder Versuchsperson mittels ICA in unabhängige Komponenten zerlegt. Eine Komponente wurde als „laser-evoziert“ klassifiziert, wenn sie folgende Kriterien erfüllt hat: [1] zentrale Topographie (CORRMAP) [2] Aktivitätsverlauf der Komponente beinhaltet LEP und ULEP Anteil [3] Aktivitätsverlauf der Komponente ist stimulus-bezogen, bestimmt über Power der Komponente. Auf Trialbasis erfolgte schließlich eine Peakdetektion für den Aktivitätsverlauf der als „laser-evoziert“ klassifizierten Komponente. Ein Peak wurde detektiert, wenn er folgende Kriterien erfüllte: [1] liegt im ULEP-Zeitfenster [2] Peak ist >3Std als Baselineaktivität. Die Pea-
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Abstracts kinformation wurde letztlich für die Mittelung der EEG-Daten im Sensorraum genutzt. Ergebnisse: Für 10 von 16 Versuchspersonen (62.5 %) konnte eine Komponente nach den beschriebenen Kriterien gefunden werden. Für diese Versuchspersonen führte das Korrekturverfahren zu einer deutlichen Verbesserung der gemittelten ULEP. Diskussion: Die Technik der Ableitung von LEP und ULEP erlaubt die Beurteilung des funktionellen Status‘ des nozizeptiven Systems. Mit der beschriebenen Methode ist es uns gelungen, die Reliabilität der gemittelten ULEPs bei 62.5 % der Versuchspersonen wesentlich zu steigern. Insbesondere die Verwendung von objektiven Kriterien zur Auswahl von mit den „ULEP-assoziierten“ Komponenten behebt einen der bisher angeführten Mängel der subjektiven Auswahl von Komponenten im Rahmen der ICA-Anwendung. Die Ergebnisse zeigen aber auch, dass nicht alle Versuchspersonen ULEPs aufweisen und der ICA-Ansatz die hirnelektrische Aktivität nicht aller untersuchten Personen in reliable ULEP-Komponenten zerlegen kann. Schlussfolgerung: Das Signal von ULEPs kann unter Verwendung eines ICA-Ansatzes sowie Latenz-Korrektur-Algorithmus‘ deutlich verbessert werden. P02.6 Alters- und Geschlechtsunterschiede der sensorischen Wahrnehmung M. Blankenburg1, D. Meyer1, N. Krämer1, F. Aksu1, T. Hechler1, W. Magerl2, C. Maier3, B. Zernikow1 1 Vestische Kinder- und Jugendklinik Datteln, 2Medizinische Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg, Mannheim, 3Berufsgenossenschaftliches Universitätsklinikum Bergmannsheil GmbH, Bochum Einleitung und Fragestellung: Seit langem gibt es eine kontroverse Diskussion über Alters- und Geschlechtsunterschiede der sensorischen Wahrnehmung und Schmerzwahrnehmung. Mit der Quantitativen Sensorischen Testung (QST) können alle sensiblen Modalitäten (Detektion und Schmerz für thermische und mechanische Reize) quantitativ erfasst werden. Dabei zeigten sich in der Validierungsstudie für QST bei Kindern und Jugendlichen (Blankenburg et al., 2010) alters- und geschlechtsspezifische Unterschiede zwischen jüngeren (6-8 Jahre) und älteren (9-12 Jahre) Kindern bzw. Jugendlichen (13-16 Jahre). Ziel dieser Studie ist es, die gefundenen Unterschiede in einer größeren Gruppe zu überprüfen. Methoden: Mit dem QST Protokoll des Deutschen Forschungsverbundes Neuropathischer Schmerz wurden alle Modalitäten der sensorischen Wahrnehmung bei 88 gesunden Kindern (44 Mädchen, 44 Jungen) im Alter von 7 Jahren und 88 gesunden Jugendlichen (44 Mädchen und 44 Jungen) im Alter von 14 Jahren untersucht. Die Gruppengröße ergab sich aus einer Poweranalyse der o. g. Studie (Blankenburg et al., 2010). Ergebnisse: Bei nahezu allen Schmerzreizen waren 7-Jährige empfindlicher als 14-Jährige (Hitzeschmerz T=3.10, p=0.002; Druckschmerz T=9.48, p=<0.001; mechanische Schmerzschwelle T=2.58, p=0.01, mechanische Schmerzsensitivität T=5.43, p<0.001). Dagegen war die thermische Wahrnehmung bei 14-Jährigen empfindlicher als bei 7-Jährigen (Kälte T=3.34, p=0.001; Wärme T=2.35, p=0.02). Die taktile Detektion und Vibrationswahrnehmung lag bei 7- und 14-Jährigen gleichermaßen im Bereich der geringsten Reizstärke (bottom effect), so dass Unterschiede mit dieser Methode nicht erfasst werden konnten. Es fanden sich keine Geschlechtsunterschiede bis auf eine höhere Sensibilität für Wärmereize (T=2.63, p=0.009) und Hitzeschmerz (T=2.08, p=0.04) bei Mädchen im Vergleich zu Jungen. Diesbezüglich fand sich kein Zusammenhang mit der Menstruation und der Einnahme von oralen Kontrazeptiva bei Mädchen. Ein Zusammenhang der QST-Testsergebnisse mit der Anwesenheit einer Begleitperson, der Schulform und der Händigkeit fand sich nicht. Schlussfolgerungen: Die Ergebnisse sprechen für relevante Altersunterschiede der sensorischen Wahrnehmung zwischen dem 7. und
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14. Lebensjahr. Die Schmerzempfindlichkeit nimmt in diesem Zeitraum für unterschiedliche Reize ab. Interessanterweise findet sich eine gegenläufige Zunahme der Wahrnehmung für thermische Reize. Leider war die Testung der taktilen Detektion und des Vibrationsempfindens nicht empfindlich genug, um Unterschiede zwischen beiden Gruppen nachzuweisen. Dagegen können Geschlechtsunterschiede vernachlässigt werden. Bislang ist wenig über die zugrunde liegenden Mechanismen bekannt. Ein Einfluss durch die Begleitperson als Hinweis auf vermehrte Sicherheit bzw. Ängstlichkeit und der Schulform als Hinweis auf die Aufmerksamkeitsleistung bzw. Intelligenz war nicht nachweisbar. Vermutlich spielen neben psychologischen auch biologische Faktoren eine wichtige Rolle, evtl. vergleichbar mit der Reifung von Interneuronen im Kortex und im Hinterhorn des Rückenmarkes bei Ratten (Fitzgerald et al., 2005). P02.7 „Effekte transkranieller Gleichstromstimulation auf experimentell induzierten thermalen und elektrischen Schmerz bei Patienten mit chronischen Rückenschmerzen“ K. Lüdtke1, G. Müller2, T. Jürgens1, A. May1 1 Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hamburg, 2Rückenzentrum Am Michel, Hamburg Fragestellung: Transkranielle Gleichstromstimulation (tDCS) beeinflusst die kortikale Erregbarkeit. Für anodale tDCS über dem Motorkortex konnte in klinischen Studien eine Schmerzreduktion bei chronischen Schmerzsyndromen nachgewiesen werden. Auch experimenteller Schmerz nimmt nach Anwendung von tDCS ab, jedoch sind Stimulationsparameter weniger einheitlich. Bei Patienten mit chronischen Schmerzen konnte gezeigt werden, dass sie eine veränderte Schmerzverarbeitung im Vergleich zu Gesunden haben. Ziel dieser Studie ist daher, den Einfluss von anodaler und kathodaler tDCS über dem Motorkortex auf ein thermisches und ein elektrisches Schmerzparadigma bei chronischen Schmerzpatienten zu untersuchen Methode: In dieser plazebokontrollierten einfach verblindeten Crossover Studie wurden 15 Patienten mit chronischen Rückenschmerzen an 3 verschiedenen Tagen mit anodaler, kathodaler und Schein-tDCS behandelt (1 mA, 15 Minuten). Vor und nach der Stimulation erhielten die Patienten ein etabliertes elektrisches und thermisches Schmerzparadigma. Outcome-Parameter waren die subjektiv empfundene Schmerzintensität auf einer visuellen Analogskala (0-100), sowie die Wahrnehmungs- und Schmerzschwellen für beide experimentellen Schmerzarten. Ergebnisse: Es konnte kein statistisch signifikanter Unterschied der Schmerzintensität vor und nach tDCS zwischen den verschiedenen Stimulationsmodalitäten (anodal, kathodal oder Sham) In einer Varianzanalyse mit Meßwiederholungen festgestellt werden. Die Wahrnehmungs- und Schmerzschwellen blieben ebenfalls unverändert. Diskussion: Eine 15-minütige Stimulation scheint bei Patienten mit chronischen Schmerzen nicht ausreichend zu sein, um die Wahrnehmung eines experimentellen Schmerzreizes zu beeinflussen. Schlussfolgerung: Es sind weitere Studien mit wiederholter Anwendung von tDCS über mehrere Tage notwendig, um beurteilen zu können, ob eine Modulation der subjektiven Schmerzintensität eines experimentellen Schmerzes durch tDCS über dem Motorkortex möglich ist. P02.8 Analyse der optimalen Stimulationstemperatur zur Messung der Schmerztoleranz G. Pavlakovic1, S. Wehe1, J. Strube1, C. Bachmann2, M. Pfingsten1 1 Universitätsmedizin Göttingen, 2Klinische Neurophysiologie, Göttingen Die Messung der Schmerztoleranzschwellen ist ein wichtiger Parameter in der Analyse der Nozizeption. Bis dato wurden für solche Analysen zwei unterschiedliche Test-Methoden eingesetzt: a) „cold pres-
sor test“, bei dem die Toleranzschwelle über eine Kälte-Induktion bestimmt wird, und b) der elektrische Stimulationstest. Die Verwendung von Wärmereizen hätte den Vorteil, dass damit eine realistischere und vergleichbarere Situation vorliegt, wie sie bei akuten Schmerzen besteht, nämlich einer Gewebehyperämie, die mit einer Erwärmung des schmerzhaften Gewebes verbunden ist. In den wenigen Studien, in denen diese Reizmethode bei der Schmerztoleranzmessung eingesetzt wurde, sind sehr unterschiedliche Messparameter benutzt worden. Wir haben in der aktuellen Studie die interpersonelle Variabilität der Wärmeschmerztoleranzschwelle bei 3 verschiedenen Stimulationstemperaturen (45°C, 47°C und 49°C) erfasst und mit den „Goldstandards“ der Kälteschmerztoleranzschwelle und der elektrischen Stimulationstoleranzschwelle verglichen. Die aktuelle Studie dient damit der Standardisierung der Testbedingungen bei der Schmerztoleranzmessung. Die Ergebnisse der Untersuchung an 100 gesunden Probanden zeigen, dass es bei der niedrigsten Wärmestimulationstemperatur mehrere Probanden gibt, die die maximale erlaubte Stimulationszeit erreicht haben; damit ist diese Stimulationsoption für wissenschaftliche Studien nicht geeignet. Die interpersonelle Variabilität der Schmerztoleranzschwelle bei der Kältestimulation und der Wärmestimulation mit der höchsten applizierten Temperatur sind vergleichbar. Die niedrigste interpersonelle Variabilität der Schmerztoleranzmessung wurde für die elektrische Stimulation gemessen. Die Vor- und Nachteile der Kältestimulation, sowie der elektrischen und Wärmestimulation werden dargestellt und diskutiert. P02.9 Ist die „Thermal Grill“- Illusion“ Schmerz, der Schmerz hemmt? D. Kleinböhl, P. Bach, A. Bräscher, O. Martin, S. Becker, R. Hölzl Otto-Selz-Institut für Angewandte Psychologie, Mannheim Fragestellung: Der schwedische Physiologe Torsten Thunberg berichtete 1896 von einer illusionären Schmerzempfindung, dem sogenannten „Thermal Grill“-Effekt. Mit einer speziellen Thermode aus zwei ineinander gelegten Messingrohrspiralen, die mit warmem und kaltem Wasser perfundiert werden, wollte Thunberg den Effekt simultaner Warm- und Kalt-Reizung der Haut untersuchen. Thunbergs Reizmodell löst überraschenderweise ein komplexes dynamisches Perzept aus, welches Schmerz, Kälte und Brennen umfasst. Neurophysiologische Modelle erklären dies durch integrative Mechanismen spinaler HPC und COLD Neurone. Nach wie vor ist ungeklärt, ob der Thermal Grill Effekt ein nicht-nozizeptives illusionäres Perzept ist oder tatsächlich auf Aktivierung nozizeptiver Strukturen im ZNS beruht. Der „pain-inhibiting-pain“ Effekt bezeichnet die Schmerzreduktion eines konstanten, wiederholten phasischen Schmerzreizes durch die gleichzeitige Gabe eines tonischen Schmerzreizes an einer anderen Körperstelle (heterotop). Dieser Schmerzreduktion soll die Aktivierung absteigender Hemmung durch Schmerzreize zugrunde liegen („diffuse-noxious inhibitory control“, DNIC). Wir untersuchten in einem Experiment, ob der illusionäre Schmerz des „Thermal Grill“-Effekts insofern nozizeptiv ist, als er Mechanismen absteigender Hemmung in einem DNICs-Design aktivieren kann. Material und Methode: 30 Gesunde wurden mit einem DNIC-Design untersucht. Mit einer Kontaktthermode wurden fünfzehn konstante phasische Hitzeschmerzreize („Testreize“) am Thenar dargeboten und anschließend auf einer visuellen Analogskala (VAS) in der Intensität beurteilt. Am dominanten Unterarm wurde nach 5 Testreizen für die Dauer von 5 weiteren Testreizen tonische („konditionierende“) Reize gegeben. Die folgenden paarweisen Temperatur-Kombinationen wurden mit dem „Thermal-Grill“ realisiert: SCHMERZILLUSION (40°/20° C), SCHMERZHAFT (44°/ 44° C), sowie WARM (40°/32° C). Ergebnisse: SCHMERZILLUSION und SCHMERZHAFTE heterotope tonische Reize bewirkten eine Abnahme der subjektiven Reizstärke der simultan gegebenen phasischen Testreize. Dieser „pain-inhibiting-pain“ Effekt war für SCHMERZHAFTE Reize stärker als für die SCHMERZILLUSION. Reizklasse WARM zeigte keine Modulation der
Intensität, obwohl die physikalischen Reizstärken (40°/32°C) gegenüber dem illusionären Schmerz höher lagen. Weiterhin ist die zeitliche Charakteristik von Habituation und absteigender Hemmung bei wiederholter phasischer Reizung unterschiedlich. Diskussion und Schlussfolgerungen: Die „Thermal-Grill“-Illusion mindert wie ein nozizeptiver Schmerzreiz die subjektive Empfindungsstärke heterotoper phasischer Testreize. Da keine periphere Nozizeption vorlag, muss der Auslöser des „pain-inhibiting-pain“ Effekts im ZNS liegen. Weitere Implikationen für Schmerztherapie und Schmerzdiagnostik werden diskutiert. Gefördert durch Mittel des Otto-Selz-Instituts für Angewandte Psychologie und der Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gaststätten, Mannheim. P02.10 „Single-session tDCS moduliert somatosensorische Modalitäten im Rahmen der quantitativen sensorischen Testung und die Beurteilung der Schmerzhaftigkeit von überschwelligen Hitzereizen nicht“ A. Schulte1, T. Jürgens1, T. Klein2, A. May1 1 Universitätsklinikum Hamburg, UKE, Hamburg, 2Universitätsmedizin Mannheim, Centrum für Biomedizin und Medizintechnik (CBTM), Mannheim Fragestellung: Transkranielle Gleichstromstimulation (tDCS) konnte in zahlreichen Studien eine Modulation der kortikalen Erregbarkeit nachweisen. Für anodale tDCS über dem Motorkortex konnte in klinischen Studien eine Schmerzreduktion bei chronischen Schmerzsyndromen nachgewiesen werden. Auch experimenteller Schmerz nimmt nach Anwendung von tDCS ab, jedoch sind die Ergebnisse hinsichtlich Stimulationsparametern und –polarität weniger einheitlich. Bei Patienten mit chronischen Schmerzen konnte gezeigt werden, dass sie eine veränderte Schmerzverarbeitung im Vergleich zu Gesunden haben. Ziel dieser Studie ist daher, die Auswirkungen anodaler und kathodaler tDCS über dem Motorkortex auf die Parameter der quantitativen sensorischen Testung (QST) und auf ein Paradigma repetitiver Hitzereize an gesunden Probanden zu untersuchen. Methode: In dieser plazebokontrollierten einfach verblindeten Crossover-Studie wurden 17 gesunde Freiwillige an 6 verschiedenen Tagen mit anodaler, kathodaler tDCS (1 mA über 15 Minuten) und Scheinstimulation behandelt. Vor und nach der Stimulation erhielten sie jeweils an 3 Terminen ein etabliertes Hitzeschmerzparadigma und eine standardisierte Prüfung ihres sensorischen Nervensystems (QST). Die Outcome-Parameter der Untersuchungen waren die subjektiv empfundene Schmerzintensität auf einer visuellen Analogskala (0-100), sowie die Wahrnehmungs- und Schmerzschwellen für verschiedene sensorische Qualitäten (Kälte-, Wärme-, Berührungs-, Vibrations-, Druck und mechanische Reizempfindung). Ergebnisse: Es konnte in einer Varianzanalyse mit Meßwiederholungen kein statistisch signifikanter Unterschied der Schmerzintensität zwischen den verschiedenen Stimulationsmodalitäten (nach anodaler, kathodaler oder Sham) vor und nach tDCS festgestellt werden. Die Wahrnehmungs- und Schmerzschwellen blieben ebenfalls unverändert. Diskussion: Eine 15-minütige Stimulation scheint bei gesunden Probanden nicht ausreichend zu sein, um die Wahrnehmung eines experimentellen Schmerzreizes zu beeinflussen. Eine mögliche Erklärung für das Wirkungsdefizit der tDCS-Stimulation im gewählten Paradigma liegt in der Sensitisierung und damit dominanten modulierenden Wirkung des applizierten Schmerzparadigma. Schlussfolgerung: Es sind weitere Studien mit wiederholter Anwendung von tDCS notwendig, sei es repetitiv über mehrere Tage, und / oder mit höheren Stimulationsintensitäten, um die Frage klären zu können, unter welchen Bedingungen tDCS über dem Motorkortex die subjektive Schmerz- und Empfindungsintensität modulieren kann.
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Abstracts PO5 – Kopfschmerz I P05.1 Klinische Symptome und Ansprechen auf die Therapie beim Clusterkopfschmerz N. Christmann, D. Holle, Z. Katsarava, M. Obermann, C. Gaul Westdeutsches Kopfschmerzzentrum, Universitätsklinikum Essen, Neurologische Klinik, Essen Fragestellung: Der Clusterkopfschmerz ist ein seltenertrigeminoautonomer Kopfschmerz und zeichnet sich durch attackenartiges Auftreten einseitiger stärkster Kopfschmerzen aus, die von trigeminoautonomen Symptomen begleitet werden. Material und Methode: Es wurden 170 Patienten mit Clusterkopfschmerz hinsichtlich ihrer Symptomatik befragt (Attackenlänge, trigeminoautonome Begleitsymptome, Zeitverlauf u. a.). Es wurde geprüft, in wie fern die ICHD-II Kriterien des Clusterkopfschmerzes erfüllt wurden bzw. Überlappungen zu anderen Diagnosen bestanden. Darüber hinaus wurde das Ansprechen auf die bisherigen Therapien erfragt. Ergebnisse: Das Verhältnis zwischen Männern und Frauen lag bei 3,6: 1, das mittlere Alter bei 44 Jahren, das mittlere Alter bei Erkrankungsbeginn bei 31 Jahren. 117 Patienten litten unter einem episodischem, 49 unter einem chronischen und vier unter einem wahrscheinlichem Cluster-Kopfschmerz. Eine Komorbidität mit anderen Kopfschmerzerkrankungen bestand bei 21 %, am häufigsten bestand ein Kopfschmerz vom Spannungstyp, gefolgt von einer Migräne. 78 % der Patienten wiesen mehr als drei der zehn befragten Begleitsymptome auf. Bei 32 von 161 Patienten (20 %) fand ein Seitenwechsel des Clusterkopfschmerzes im Verlauf statt. Durchschnittlich litten die Clusterpatienten unter 3-4 Attacken am Tag, die durchschnittliche Attackendauer lag unbehandelt bei 90 Minuten und mit Attackenbehandlung bei 30 Minuten. Episoden beim Cluster wurden mit einer durchschnittlichen Dauer von 8 Wochen angegeben. Auf Sumatriptan s. c. sprachen 85 %, auf Sumatriptan supp. 67 %, auf Sumatriptan per os 39 % und auf Sumatriptan nasal 35 % der Patienten an. Ein Ansprechen auf Sauerstoff zeigten 80 % der Clusterpatienten. Auf Zolmitriptan nasal sprachen 75 %, auf Zolmitriptan p. o. 57 % und auf andere Triptane 64 % der Clusterpatienten an. Auf Xylocain nasal sprachen 13 % an. Auf einen Cortisonstoß sprachen 72 % der Clusterpatienten an. Zum Zeitpunkt der Befragung waren 64 von 101 Patienten Raucher (ca. 63 %), von den Nichtrauchern waren 62 % ehemalige Raucher, insgesamt hatten nur 14 % keine Nikotinanamnese. Zur Prophylaxe sprachen auf Verapamil 74 %, auf Valproat 57 %, auf Lithium 20 % und auf Topamax 14 % der Patienten an. Alle Präparate wurden jedoch unterschiedlich häufig eingesetzt und Verapamil kam als Präparat der ersten Wahl zum Einsatz. Auf eine Occipitalisblockade sprachen 33 % an. Diese wurde jedoch nur bei Versagen der Therapieoptionen der ersten Wahl (Kortikoidstoss, Verapamil) eingesetzt. Diskussion und Schlussfolgerung: Autonome Begleitsymptome sollten differenziert erfragt werden, da diese bei der Diagnosestellung hilfreich sind. Die Diagnosekriterien der IHS lassen die Diagnose eines Clusterkopfschmerzes in aller Regel unproblematisch zu, der Anteil der unklaren/wahrscheinlichen Diagnosen ist gering. Bei vergleichbar gutem Ansprechen auf Triptane nasal können diese in der Initialtherapie der Subcutangabe bevorzugt werden, was den Komfort der Patienten erhöht und die Kosten deutlich reduzieren helfen kann.
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P05.2 Diffusion tensor imaging (DTI) bei Patienten mit episodischem Cluster-Kopfschmerz M. Teepker, K. Menzler, M. Belke, J. Heverhagen, M. Voelker, V. Mylius, W. Oertel, F. Rosenow, S. Knake Philipps-Universität Marburg Hintergrund: Der Cluster-Kopfschmerz (CK) ist eine seltene, idiopathische Kopfschmerzerkrankung mit streng einseitigen Kopfschmerzattacken und autonomen Symptomen. Die Pathophysiologie ist derzeit noch nicht umfassend verstanden. Untersuchungen mit Voxel-basierter Morphometrie (VBM) oder funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT) konnten die Beteiligung des Hypothalamus bzw. der „Pain matrix“ als neuronales, schmerzspezifisches Netzwerk belegen. Mit der „Diffusion tensor imaging“ (DTI)-Methode kann man mikrostrukturelle Läsionen darstellen; derzeit fehlen noch entsprechende Untersuchungen für den CK. Methode: Sieben männliche Patienten, die unter einem episodischen CK litten, wurden in die Studie eingeschlossen und mit gesunden Probanden nach Alter gematched. Die Untersuchungen erfolgten mit einem Routine-MRT-Gerät (1,5 Tesla). DTI-Scans (30 Richtungen) wurden ohne a priori Hypothese mit Hilfe von TBSS (track-based spatial statistics) ausgewertet. Resultate: CK-Patienten zeigten mikrostrukturelle Veränderungen in der weißen Substanz des Hirnstammes, des Frontal-, Temporal- bzw. Okzipitalhirnes, der Capsula interna sowie im Thalamus rechts und Kleinhirn rechts. Teile der Veränderungen im Frontalhirn erfassen das olfaktorische System. Die Veränderungen im Hirnstamm könnten auf Veränderungen im Bereich des Lemniscus medialis bzw. sympathischer Bahnen hinweisen. Schlussfolgerungen: Patienten mit CK weisen mikrostrukturelle Veränderungen in Bereichen der „Pain matrix“ auf. Zudem deuten unsere Ergebnisse auf eine Beteiligung des olfaktorischen, trigeminalen sowie sympathischen Systems hin. P05.3 Fear-Avoidance- und Endurance- Strategien von Migränepatienten im Umgang mit ihrem Schmerz N. Matatko1, M. Ruppert2, S. Zierz2, T. Wieser3, M. Hasenbring1 1 Ruhr-Universität Bochum, 2Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Halle (Saale), 3KH Göttlicher Heiland, Wien Hintergrund und Ziel der Studie: Die Forschung der letzten zehn Jahre hat schmerzbezogene ängstliche Schon- und Vermeidungsstrategien (fear-avoidance responses, FAR) sowie Durchhaltestrategien (endurance responses, ER) als Risikofaktoren für die Entwicklung einer chronischen Schmerzerkrankung bei Rückenschmerz-Patienten identifiziert. Im Bereich der Migräne- Forschung wurden bislang nur FAR untersucht. Das Ziel der vorliegenden Querschnittsstudie war, zu untersuchen, wie häufig ER bei Migränepatienten sind und wie der Zusammenhang mit Schmerz und Disability ist. Methoden: FAR und ER wurden mithilfe des Kieler Schmerzinventars (KSI), des Beck-Depressionsinventars (BDI) sowie dem Fear-Avoindance-Belief Questionnaire (FABQ) erfasst. Zur medizinischen Anamnese wurde zusätzlich ein umfangreicher Fragebogen eingesetzt. Neben dem psychometrischen Vergleich von n=45 Migränepatienten mit n =45 Rückenschmerzpatienten wurden zudem bivariate und hierarchische Regressionsanalysen verwendet, um den Zusammenhang zwischen FAR und ER und verschiedenen Outcome-Parametern (Schmerzintensität und –häufigkeit sowie Beeinträchtigung durch den Schmerz) zu analysieren. Ergebnisse: Kognitive Aspekte von ER (Thought Suppression) als auch behaviorale Aspekte (suppressives Schmerzverhalten)waren sowohl bei den Migräne- als auch bei den Rückenschmerzpatienten am häufigsten. Im Gruppenvergleich erzielten die Migränepatienten signifikant höhere Werte im Bereich FAR (schmerzbezogene Angst/Depression, Hilf-/
Hoffnungslosigkeit, Vermeiden sozialer Aktivitäten) als die Rückenschmerzpatienten. In der Häufigkeit von ER fanden sich dagegen keine Unterschiede. Bei den Migränepatienten wurde die Schmerzhäufigkeit am besten durch schmerzbezogenes Verhalten vorhergesagt: suppressives Schmerzverhalten korrelierte signifikant positiv, Vermeidungsverhalten entgegen unserer Erwartungen negativ mit Schmerzhäufigkeit. Diskussion: Die Ergebnisse der Studie legen eine unabhängige Bedeutung von FAR und ER für den Schmerz bei Migränepatienten nahe. Weitere Forschung ist nötig, um in prospektiven Studien den prädiktiven Wert von FAR und ER zu untersuchen.
therapeutischen Effekte von ASS bei der pharmakologischen Behandlung akuter Attacken von Spannungskopfschmerzen.
P05.4 Acetylsalicylsäure hebt die Bahnung der myofaszialen Nozizeption aus der Nackenmuskulatur auf – Implikation für die akute Behandlung von Spannungskopfschmerzen D. Ristic, J. Ellrich Medical Faculty, Aalborg University, Aalborg, Dänemark
Fragestellung: Neben etablierten medikamentösen Therapien wird die kognitive Verhaltenstherapie zunehmend in der Praxis der Migränetherapie eingesetzt. Verschiedene Publikationen weisen auf die Effizienz einer multidirektionalen Therapie hin. Psychische Erkrankungen sind häufige Komorbiditäten von Migränepatienten und können den Verlauf der Migräne beeinflussen. Wir untersuchten, welchen Effekt eine langfristige medikamentöse Therapieführung gekoppelt mit kognitiver Verhaltenstherapie bei Migränepatienten mit psychischer Erkrankung auf die Häufigkeit der Migränekopfschmerzen hat. Material und Methode: Retrospektive Analyse von 23 in der Kopfschmerzambulanz des USC behandelten Patienten mit der Diagnose Migräne mit/ohne Aura mit gleichzeitig bestehender psychischer Diagnose, die sowohl medikamentöse als auch eine Verhaltenstherapie erhielten. Erfassung der Migräneattackenhäufigkeit und Zahl der Migränetage pro Monat über einen Zeitraum von mindestens 3 bis maximal 13 Jahren zwischen 1997 und 2010. Bei allen Patienten bestand die Migräne vor Behandlungsbeginn seit mindestens 10 Jahren. Ergebnisse: 91,3 % (21/23) der Patienten waren Frauen. Das Durchschnittsalter lag bei 43,48±11,04 Jahren. 81,8 % der Patienten erhielten sowohl eine medikamentöse Kopfschmerzprophylaxe als auch medikamentöse Akuttherapie. 13,6 % der Patienten wurden lediglich akut medikamentös behandelt. Im Durchschnitt wurden jedem Patienten 1,5 psychische Diagnosen zugeordnet, davon waren 28,6 % depressive Störungen (F32, F33, F34.1), 28,6 % Angststörungen und Belastungsreaktionen (F40, F41, F43) sowie 16,8 % Missbrauch von nicht abhängigkeitserzeugenden Substanzen (F55) und 11,4 % Persönlichkeitsveränderungen (F60, F62). Zu Therapiebeginn traten im Mittel 3,3±1,3 Attacken und 7,05±3,75 Migränetage, zum Endpunkt der Datenerfassung im Mittel 3,7±1,66 Attacken und 7,29±3,3 Migränetage auf. Diskussion: Es zeigte sich, dass der Mittelwert der Attackenhäufigkeit und die Zahl der Migränetage über den Behandlungszeitraum stabil blieben. Jedoch weist die Einzelbetrachtung der 23 Patienten darauf hin, dass gravierende Lebensereignisse wie berufliche Neuorientierung oder private Verluste einen direkten verstärkenden Einfluß auf die Häufigkeit der Migräneattacken und Zahl der Migränetage haben. Schlußfolgerung: Die Langzeitkombinationstherapie aus medikamentöser Prophylaxe und kognitiver Verhaltenstherapie für Migränepatienten mit psychischer Komorbidität hat bezüglich der Migränehäufigkeit eine stabilisierende Wirkung. Das weist darauf hin, dass ein multidirektionaler Therapieansatz einer weiteren Chronifizierung und Zunahme der Kopfschmerzhäufigkeit vorbeugen kann.
Fragestellung: Infusion von a,ß-meATP (ATP) in die Nackenmuskulatur (i. m.) induziert eine Bahnung der Nozizeption im Hirnstamm der anästhesierten Maus über mehrere Stunden. Dieses translationale experimentelle Modell dient der Untersuchung möglicher pathophysiologischer Mechanismen des Spannungskopfschmerzes. Folgende Fragestellung wurde überprüft: Intraperitoneale (i. p.) Gabe von D-Lysin Acetylsalicylsäure (ASS) hebt die ATP-induzierte Bahnung der Nozizeption aus der Nackenmuskulatur auf. Material und Methoden: Die Experimente wurden bei anästhesierten C57BL/6-Mäusen durchgeführt (n=42, männlich, 23 bis 33 g). Infusion von 100 nM ATP (20 µl) in beide Mm. semispinales diente als noxischer Stimulus. Der Effekt des myofaszialen noxischen Inputs auf den Hirnstamm wurde durch Ableitung des Kieferöffnungsreflexes bestimmt. Dieser Reflex wurde durch elektrische Stimulation der Zungenmuskulatur ausgelöst. Zwei unterschiedliche Experimente wurden durchgeführt. Bei stabilem Kieferöffnungsreflex erfolgte die i. m. Gabe von ATP. Eine Stunde nach ATP-Infusion und bei gebahntem Kieferöffnungsreflex wurden anschließend unterschiedliche Dosen von ASS (15, 30, 60 mg/kg) oder Kochsalzlösung (Kontrolle) i. p. verabreicht (jeweils n=7). Der Reflex wurde für weitere 90 Minuten aufgezeichnet. Im zweiten Experiment wurde bei stabilem Kieferöffnungsreflex entweder 60 mg/kg ASS oder Kochsalzlösung i. p. verabreicht. Etwa eine Stunde später erfolgte die i. m. Gabe von ATP. Der Kieferöffnungsreflex wurde für weitere 90 Minuten aufgezeichnet (jeweils n=7). Ergebnisse: Die ATP-induzierte Bahnung des Reflexes war mit nachträglicher Gabe von ASS dosisabhängig reduziert (2-Wege RM ANOVA, Interaktion von ASS×Zeit: p<0.001). Mit einer Dosis von 60 mg/kg ASS war der gebahnte Reflex 30 Minuten nach Gabe dauerhaft auf basales Niveau zurückgeführt. Nach 50 Minuten gab es keine Unterschiede mehr zwischen 30 und 60 mg/kg ASS. 90 Minuten nach ASS-Gabe waren sämtliche ASS-Gruppen unterschiedlich zur Kontrolle. Die Reduktion der Reflexbahnung war mit 15 mg/kg am wenigsten stark ausgeprägt. Die vorhergehende Gabe von 60 mg/kg ASS verhinderte die ATP-induzierte Bahnung (2-Wege RM ANOVA, Interaktion von ASS×Zeit: p<0.05). Nach 50 Minuten gab es einen signifikanten Unterschied im Reflexintegral zwischen der Kontrolle und der ASS-Gruppe. DiskussionNachträgliche und vorhergehende Gabe von ASS Gabe führt zu einer Umkehrung und Aufhebung purinerger Bahnung der Nackenmuskelnozizeption bei einer Maximaldosis von 60 mg/kg. Cyclooxygenasen sind an der nozizeptiven Signalverarbeitung beteiligt. Diese Enyzme werden durch ASS inhibiert. Da die unspezifische Inhibition von Cyclooxygenasen via Indometacin keinen modulativen Einfluß auf die Reflexbahnung in diesem Modell hat, kann eine ASS-spezifische Wirkung angenommen werden. Schlussfolgerungen: Nackenmuskelnozizeption spielt in der Pathophysiologie des Spannungskopfschmerzes eine zentrale Rolle. Die in diesem experimentellen Modell erhobenen Befunde unterstreichen die
P05.5 Langzeitverläufe von Migränepatienten mit psychischer Komorbidität: eine retrospektive Darstellung A. Rambau1, A. Clauß-Böttger1, U. Kaiser2, H. Reichmann3, R. Sabatowski2, G. Gossrau2 1 Psychotherapie-Praxis, Dresden, 2UniversitätsSchmerzCentrum, Dresden, 3 Klinik und Poliklinik für Neurologie, Dresden
P05.6 Prävalenz von Kopfschmerzen bei Kindern im Vorschulalter H. Gärtner, F. Ebinger Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin, Heidelberg Fragestellung: In den letzten Jahrzehnten war ein starker Anstieg der Kopfschmerzhäufigkeit von Schulkindern und Jugendlichen zu beobachten. Die wenigen existierenden Studien zur Epidemiologie von Kopfschmerzen bei Vorschulkindern zeigen dieselbe Tendenz. Die Ursachen dieser Zunahme sind unklar. Der Schmerz Supplement 1 · 2010
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Abstracts Wir führten eine Studie zur Prävalenz von Kopfschmerzen im Vorschulalter, zur näheren Charakterisierung dieser Kopfschmerzen und zur Identifikation möglicher Ursachen oder Risikokonstellationen durch. Methoden: In 21 Arztpraxen für Kinder- und Jugendmedizin im Stadtund Landkreis Heidelberg wurden Eltern, die mit ihrem Kind zu den Vorsorgeuntersuchungen U8 oder U9 (43.- 48. Lebensmonat [LM] bzw. 60.- 64. LM) kamen, um das Ausfüllen eines Fragebogens gebeten. Darin wurden Erfahrungen des Kindes mit Kopfschmerzen und deren genaue Charakterisierung erfragt. Zudem wurden Angaben zu Alter und Geschlecht, zur sonstigen Gesundheit und zur Betreuungssituation des Kindes sowie Daten zum Sozial- und Migrationsstatus der Familie erhoben. Ergebnisse: In einem Zeitraum von 12 Monaten wurden 630 Fragebögen ausgefüllt. 32,6 % aller Kinder hatten schon einmal Kopfschmerzen, dabei besteht kein signifikanter Geschlechtsunterschied. Mit dem Alter steigt die Häufigkeit der Kopfschmerzerfahrungen, von 25,4 % aller 3-jährigen Kinder (37.- 48. LM) über 26,7 % aller 4-jährigen Kinder (49.- 60. LM) bis auf 41,1 % aller 5-jährigen Kinder (61.- 72. LM). Ungefähr ein Viertel aller Kinder (24,8 %) hatte innerhalb der letzten 6 Monate Kopfschmerzen. Als vermutete Auslöser wurden bei der Hälfte der Kinder Infekte angeben, bei 50 % wurden jedoch KEINE bzw. NICHT NUR Infekte als Ursache angesehen. Kinder, die nur den halben Tag in Kindergarten oder Kindertagesstätte verbringen, hatten signifikant weniger häufig Kopfschmerzerfahrungen als Kinder, die dort den ganzen Tag verbringen (28,6 % gegen 43,0 %). Dieser Unterschied ist nicht durch eine unterschiedliche Altersstruktur beider Gruppen erklärbar, da sie sich in ihrer Altersverteilung stark ähneln. Diskussion: Die Ergebnisse unserer Studie zeigen im Vergleich zu anderen Untersuchungen im Vorschulalter (Mortimer 1992, Sillanpäa & Urponen 1984, Sillanpää et al. 1984, Ellert et al. 2007) eine höhere Häufigkeit von Kopfschmerzen bei Kindern. Erklärung dafür sind sowohl unterschiedliche Methoden möglicherweise aber auch ein Anstieg der Prävalenz, wie er für Schulkinder gezeigt wurde (Bille 1997, Anttila et al. 2006). Um dies zu beantworten, ist von uns eine Folgestudie mit gleicher Methodik geplant. Schlussfolgerungen: Kopfschmerzen sind auch schon bei Vorschulkindern ein häufiges Problem. Bei vielen Kindern gibt es keinen bzw. nicht ausschließlichen Zusammenhang zwischen Infekten und Kopfschmerzen. Dies gibt Hinweise auf das frühe Auftreten primärer Kopfschmerzen. Die Zuordnung zu Migräne oder Kopfschmerzen vom Spannungstyp ist jedoch häufig nicht möglich. Der Zusammenhang zwischen Betreuungsdauer und Kopfschmerzerfahrungen sollte in weiteren Studien untersucht werden. P05.7 Der Einfluss chronischer im Vergleich zu episodischer Migräne auf Behinderung, Gesundheits-bezogene Lebensqualität (HRQoL) und Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen in Deutschland Z. Katsarava1, A. Blumenfeld2, T. Wilcox3, H. Völkel4, S. Varon5, D. Buse6, R. Lipton6, P. Goadsby7 1 Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Essen, 2Neurology Center, USA, Encinitas, CA, USA, 3United BioSource Corporation, Bethesda, MD, 4PharmAllergan GmbH, Ettlingen, 5Allergan Inc., Irvine, CA, 6Albert Einstein College of Medicine and the Montefiore Headache Center, Bronx, NY, USA, 7UCSF Headache Center, University of California, San Francisco, CA, USA Ziel: Vergleich zwischen chronischer Migräne (CM) und episodischer Migräne (EM) auf die Beeinflussung von Kopfschmerz-bezogene Behinderung, Gesundheitsbezogene Lebensqualität HRQoL und Gesundheitsleistungs-Inanspruchnahme Muster in Deutschland. Methode: Querschnittsdaten wurden über eine Web-basierende Befragung gesammelt. Die Befragten wurden klassifiziert in CM oder EM habend (ICHD-2 Diagnosis der Migräne und =15 Kopfschmerz-
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Tage/Monat beziehungsweise =14 Kopfschmerztage/Monat). Daten die gesammelt wurden schlossen soziodemographische Charakteristika, Kopfschmerz-Daten, medizinische und psychiatrische Komorbiditäten, Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen innerhalb von 3 Monaten, Kopfschmerz-bezogene Behinderung (Migraine Disability Assessment Questionnaire [MIDAS]), und HRQoL (Migränespezifische Lebensqualität Fragebogen v2.1 [MSQ]). Varianzanalyse (ANOVA) Modelle prognostizierten HRQoL/Behinderung und logistische Regressions Modelle untersuchten die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen durch die Migräne Gruppe. Ergebnisse: 1,449 Teilnehmer erbrachten die notwendigen Daten und erfüllten die Kriterien für Migräne: 4 % CM (n=52); 96 % EM (n=1,397). Demographische Charakteristiken waren ähnlich in dieser vorwiegend weiblichen (CM=79 %; EM=82 %) Auswahl mittleren Alters (Altersdurchschnitt 38). CM wies eine höhere Rate an Beschäftigungslosigkeit (15.4 % vs. 6.6 %) und beruflicher Behinderung (23.1 % vs. 4.4 %) auf als EM. Weniger CM als EM berichteten eine Vollzeit- (26.9 % vs. 45.7 %) oder Teilzeit-Beschäftigung (11.5 % vs. 20.0 %). Die CM Gruppe berichtete mehr komorbide Gesundheitszustände als EM über viele Eingruppierungen hinweg (Schmerz, Risikofaktoren für Kreislauferkrankungen, vaskuläres Risiko, Psychiatrische Erkrankungen und andere Konditionen). Psychiatrische Erkrankungen (42.3 % vs. 22.5 %) und andere Schmerzerkrankungen (40.4 % vs. 17.0 %) waren häufiger bei CM als EM sowie eine stärkere Kopfschmerz-bezogene Behinderung (CM: MIDAS Mittelwert±Standardabweichung 99.9±74.2 vs. EM: 19.1±17.8, P<0.0001) und geringerer HRQoL in vielen Messgrößen (MSQ eingeschränkt: 40.8±19.5 vs. 53.2±23.5, P<0.001; präventiv: 56.6±22.4 vs. 70.4±23.0, P<0.0001; gefühlsmäßig: 47.8±26.8 vs. 67.8±25.8, P<0.0001). CM Leidende hatten mit höherer Wahrscheinlichkeit einen Arzt (odds ratio [OR]=2.3; 95 % Konfidenzintervall [CI]=1.3-3.9, P<0.01) oder einen Kopfschmerz-Spezialisten (OR=3.6; 95 % CI=2.0-6.6, P<0.0001) besucht. Schlussfolgerungen: CM war im Vergleich zu EM mit höherer Kopfschmerz-bezogener Behinderung, niedriger HRQoL und größerer Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen verbunden, welches die erhebliche Auswirkungen von CM auf Deutsche Migräne Leidende aufzeigt. P05.8 Trinationale Untersuchung zur Häufigkeit von Schlafapnoe-Syndrom bei ChronischenClusterkopfschmerzen: Ergebnisse einer Fragebogenerhebung A. Kiemen1, M. Hornyak1, I. Fandrey1, S. Walterspacher1, S. Sorichter1, C. Gaul2, A. May3, P. Sandor4, C. Lampl5, H. Kaube1 1 Universitätsklinikum, Freiburg, 2Universitätsklinikum, Freiburg Essen Neuroloische Klinik; Westdeutsches Kopfschmerzzentrum, 3Universitätsklinikum, Freiburg Hamburg Eppendorf, 4University of Zurich and Institute of Pharmaceutical Sciences Swiss Federal Institute of Technology (ETH) Zurich, Schweiz, 5Konventhospital Barmherzige Brüder, Linz, Österreich Einleitung: In der Bevölkerung leiden zwischen 0,1–0,4 % an Cluster-Kopfschmerzen (C-KS) mit zum Teil täglichen Attacken, die vielfach im Schlaf auftreten. Eine der häufigsten Schlaf-bezogenen Erkrankungen mit einer Prävalenz von 3-4 % ist das Schlafapnoe-Syndrom (SAS). Ergebnisse einer Studie an 37 Patienten mit episodischen C-KS zeigte, dass diese Patienten etwa 8mal häufiger von einem SAS betroffen waren als die Kontrollgruppe. Positive Effekte einer CPAP-Therapie zur Behandlung des SAS auf die Häufigkeit und Schwere von C-KS sind in Fallberichten beschrieben, es wurden jedoch keine systematischen prospektiven Studien durchgeführt. Fragestellung: Die aktuelle Studie ermittelt die Häufigkeit eines SAS bei Patienten mit chronischem C-KS mittels Berlin-Fragebogen (B-FB), ein validierter Fragebogen mit Spezifität von . 89 und Sensitivität von . 77 bei Apnoe-/Hypopnoe-Index >5 (Netzer et al. 1999). Darüberhinaus ist in insgesamt 5 Zentren die prospektive Erfassung der CKS-Symptomatik unter CPAP-Therapie vorgesehen.
Methodik: An bisher 30 Patienten mit Diagnose chronischer C-KS >1 Jahr wurde der B-FB erhoben, der die wichtigsten SAS-Symptome befragt: Schnarchverhalten und Atempausen, Tagesschläfrigkeit, Bluthochdruck und Übergewicht. Des Weiteren wurden Kopfschmerztagebücher mit Angaben zur Attackenstärke, -dauer, -zeit und der entsprechenden Maßnahme plus weitere Skalen erhoben: Epworth Sleepiness Scale (ESS), MOS sleep scale, SCL-90, Beck Depressions Inventar (BDI-II) und SF-36. Ergebnisse der 1. Interimanalyse: 73,1 % der Patienten (n=19) zeigten ein positives Ergebnis im B-FB, d. h. haben einen Verdacht auf SAS, 26,9 % waren B-FB negativ (n=11). Die Gruppe der B-FB positiven Patienten unterscheidet sich im Schlafproblemindex der MOS-sleep scale signifikant von den B-FB negativen (p=. 009; 60,9 +/- 17,2 vs. 38,3 +/- 18,6). Beide Gruppen unterscheiden sich signifikant im BMI (p=. 006; 28,6 +/- 3,9 vs. 23,9 +/- 3,1). Auffallend ist der signifikante Unterschied im BDI-II (p=. 027): 24,6 +/- 13,7 (SAS positiv) vs. 12,7 +/- 8,4 (SAS negativ). Ein Vergleich beider Patientengruppen bezüglich Clusterattackenintensität (Stärke * Dauer) und Auftreten der Attacken tags bzw. nachts zeigt keinen Unterschied in Intensität der Attacken oder im Zeitpunkt des Auftretens der Attacken. Kein Unterschied zeigt sich bezogen auf die Tagesmüdigkeit im ESS, bei der psychischen Beeinträchtigung in den SCL-90-Parametern oder in der gesundheitsbezogenen Lebensqualität (SF-36). Zusammenfassung: Die Ergebnisse ergeben den Hinweis, dass Patienten mit chronischen Clusterkopfschmerzen ein deutlich erhöhtes Risiko für ein Schlafapnoe-Syndrom haben. Die Gruppe der SAS-positiven Patienten zeigt signifikant höhere Depressionsscores, obwohl sich die Attackenintensität und der Zeitpunkt des Auftretens der Attacken zwischen den Gruppen mit SAS-Verdacht und ohne nicht unterscheidet.
PO7 – Neuropathischer Schmerz I P07.1 Botulinumtoxin Typ B lindert Stumpfschwitzen und Stumpfschmerzen Chance zur indirekten Phantomschmerz-Reduktion durch verbesserte Prothesennutzung ? U. Kern1, T. Schlereth2 1 Schmerz-und Palliativzentrum Wiesbaden, 2Johannes Gutenberg Universität, Mainz Fragestellung: Eine Hyperhidrose des Amputationsstumpfes gehört zu den häufigsten Ursachen eingeschränkter Prothesen-Nutzung und Lebensqualität und betrifft ca. 30-50 % aller Amputierter, welche zu etwa 25 % auch unter Haut-Irritationen leiden. Da dies wiederum Stumpfschmerzen verursachen kann und Phantom-Schmerzen bei guter und intensiver Prothesennutzung sinken, sollte überprüft werden, ob Botulinumtoxin Typ B (BTX-B) Stumpfschwitzen lindern kann. Methode: 4 Bein-Amputierten mit ausgeprägtem Stumpfschwitzen wurden einmalig 1750 IE BTX-B (NeuroblocR) verteilt auf 20 Orte intracutan in den Amputationsstumpf injeziert (7 ml einer Lösung von 2500 IE ad 10 ml NaCl; Injektions-Abstand 2-4 cm), entsprechend eines Schweißtestes. Dokumentiert wurden vor Therapie, nach 4 Wochen und 3 Monaten (auf einer 11-Punkt NRS-Skala) Durchschnitts-Werte der vergangenen Woche für: Ausmaß des Stumpfschwitzens, die Qualität der Prothesennutzung sowie den durchschnittlichen Stumpfschmerz und Phantomschmerz. Ergebnisse: Die durchschnittliche Belastung durch Stumpfschwitzen und die damit verbundene Beeinträchtigung der Prothesen-Nutzung lag zwischen NRS 7 und 10. Stumpfschwitzen reduzierte sich, teils dramatisch, bei allen 4 Behandelten sowohl nach einem als auch nach drei Monaten (in 3 Fällen um 7 bis 9 NRS-Punkte !). Die Qualität der Prothesennutzung stieg, hierzu vergleichbar, erheblichst an. Keiner der
Patienten erreichte für einen der beiden Parameter nach drei Monaten wieder die NRS-Werte seiner Beeinträchtigung vor Therapie. Phantomschmerzen lagen bei 3 der Behandelten nach drei Monaten zwischen 4 und 6 NRS-Punkten unter den Ausgangswerten, in einem Fall um NRS 1 darüber. Stumpfschmerzen reduzierten sich nach drei Monaten um NRS 6 bzw. NRS 4 (2x) und NRS 1 (bei jenem Patienten, bei dem der Phantomschmerz leicht anstieg). Diskussion: Botulinumtoxin Typ B konnte Stumpfschwitzen und – schmerzen erheblich reduzieren sowie die (Phantomschmerz-senkende) Prothesennutzung verbessern. Eine hohe Affinität zu autonomen Nerven erklärt gut die ausgeprägte, anhidrotische Wirkung. Da nach Botulinumtoxin Veränderungen der Hautdurchblutung bereits nachgewiesen wurden, sind Stumpfschmerz-lindernde Wirkungen auf das Gefäßbett (in häufig unterkühlten Stümpfen) denkbar, ebenso eine Diffusion in Stumpf- bzw. Phantomschmerz-auslösende, muskuläre Triggerpunkte. Angesichts der großen Bedeutung für Amputierte sind systematische, größere Untersuchungen dringend notwendig. P07.2 Neurologische Sicherheit von Qutenza™ (NGX-4010), ein hochdosiertes, kutanes Capsaicinpflaster, bei Patienten mit peripheren neuropathischen Schmerzen: Ergebnisse integrierter Analysen. M. Backonja1, G. Irving2, L. Webster3, G. Moyle4, D. Simpson5, S. Lu6, J. Tobias6, G. Vanhove6 1 University of Wisconsin-Madison, Madison, Wisconsin, USA, 2Swedish Pain Center, Seattle, 3Lifetree Clinical Research and Pain Clinic, Salt Lake City, Utah, USA, 4Chelsea & Westminster Hospital, London, Großbritannien, 5 Department of Neurology, Mount Sinai School of Medicine, New York, USA, 6 NeurogesX, Inc., San Mateo, CA, USA Ziel: Bestimmung der neurologischen Sicherheit von Qutenza™, einem hochdosierten Capsaicinpflaster (8 % w/w) bei peripheren neuropathischen Schmerzen von Erwachsenen. Methoden: Daten stammen von insgesamt 916 Patienten, die mit Qutenza™ im Rahmen von 6 klinischen Studien bei postzosterischer Neuralgie (PZN) und 5 klinischen Studien bei HIV-assoziierter distaler, sensorischer Polyneuropathie (HIV-DSP) behandelt wurden. Darin enthalten sind 185 PZN- und 180 HIV-DSP-Patienten, die mehr als eine Behandlung erhielten. Beim Screening, in Woche 12/ Beendigung und Woche 48/ Beendigung (bei Patienten, die in offene Langzeitstudien mit wiederholter Applikation aufgenommen wurden) wurden Allodynie (nur Woche 12), sowie das Empfinden bei leichter Berührung, beim PinPrick-Test, bei Vibration und Wärmegefühl bei PZN-Patienten sowie tiefe Sehnenreflexe, das Empfinden von Schärfe, Vibration und Wärmegefühl bei HIV-DSP-Patienten bewertet. Bei den Analysen nach Anzahl der erhaltenen Anwendungen wurde der Cochran-Mantel-Haenszel-Test zum Test auf Unterschiede eingesetzt. Außerdem wurden bei 52 PZN-Patienten und 38 HIV-DSP-Patienten, die bis zu 8 Anwendungen erhielten, Analysen mit einer mittleren Nachbeobachtungsdauer von 27 bzw. 30 Monaten durchgeführt. Ergebnisse: Die meisten Patienten zeigten vom Screening bis zu Woche 12 oder 48 keine Veränderungen der neurosensorischen Funktionen. Die meisten Patienten, bei denen Veränderungen auftraten, zeigten eine Verbesserung der neurosensorischen Funktion. Bei PZN-Patienten wurde in Woche 12 eine Reduktion der Allodynie beobachtet. Ebenso ergaben auch die Sicherheitsdaten erfasst über einen längeren Zeitraum (Nachbeobachtungsdauer zwischen 7-43 Monaten) bei 90 Patienten mit wiederholten Applikation keine nachteiligen Wirkungen auf die neurosensorische Funktion. Es gab keine Veränderungstendenzen der neurosensorischen Funktion in Abhängigkeit von der Anzahl der durchgeführten Anwendungen. Schlussfolgerungen: Einzelne und wiederholte Behandlungen mit Qutenza™ scheinen die neurosensorische Funktion bei Patienten mit PZN oder HIV-DSP nicht zu beeinträchtigen.
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Abstracts P07.3 Wirksamkeit von Qutenza™ (NGX-4010), einem hochdosierten, dermalen Capsaicinpflaster, bei Patienten mit peripheren neuropathischen Schmerzen: Ergebnisse der integrierten Analysen. M. Backonja1, G. Irving2, L. Webster3, G. Moyle4, D. Simpson5, S. Lu6, J. Tobias6, G. Vanhove6 1 University of Wisconsin-Madison, Madison, Wisconsin, USA, 2Swedish Pain Center, Seattle, USA, 3Lifetree Clinical Research and Pain Clinic, Salt Lake City, Utah, USA, 4Chelsea & Westminster Hospital, London, Großbritannien, 5 Department of Neurology, Mount Sinai School of Medicine, New York, NY, USA, 6NeurogesX, Inc., San Mateo, CA, USA Ziel: Qutenza™ ist ein hochdosiertes Capsaicinpflaster (8 % w/w) gegen periphere neuropathische Schmerzen. Bei den integrierten Analysen wurde die Wirksamkeit einer 30-minütigen Anwendung bei HIV-assoziierter distaler, sensorischer Polyneuropathie (HIV-DSP) und einer 60-minütigen Anwendung bei postzosterischen Neuralgie (PZN) bewertet. Methoden: Vier randomisierte, doppelblinde, 12-wöchige, kontrollierte PZN-Studien und zwei HIV-DSP-Studien wurden nach Indikation ausgewertet. Die Patienten erhielten entweder ein Qutenza™- oder ein niedrig-dosiertes (0,04 % w/w Capsaicin) Kontroll-Pflaster. Es wurden die prozentuale Veränderung des Scores auf der numerischen Analogskala (NAS), der Prozentsatz der Patienten mit einer =30 %-igen Reduktion des NAS-Scores oder einer Abnahme von =2 Einheiten auf der Skala von Baseline bis zu den Wochen 2 bis 12 sowie die Veränderung des „patient global impression of change“ (PGIC) analysiert. Ergebnisse: Bei PZN reduzierte Qutenza™ (n=597) den NAS-Score um 31,2 % versus 23,9 % bei der Kontrollgruppe (n=482; p=0,0002); 45 % der Qutenza™-Patienten erlebten eine =30 %-ige Reduktion des NASScores (36 % bei der Kontrollgruppe, p=0,0035); 40 % der Qutenza™Patienten hatten eine Abnahme von =2 Einheiten (30 % bei der Kontrollgruppe, p=0,0002); 37 % der Qutenza™-Patienten berichteten, dass sie den PGIC-Score sehr bzw. wesentlich verbesserten (25 % bei der Kontrolle, p<0,0001). Bei HIV-DSP reduzierte Qutenza™ (n=239) den NAS-Score um 27,0 % versus 15,7 % bei der Kontrollgruppe (n=100; p=0,0020); 39 % der Qutenza™-Patienten erlebten eine =30 %-ige Reduktion des NAS-Score (23 % bei der Kontrollgruppe, p=0,0051); 37 % der Qutenza™-Patienten hatten eine Abnahme von =2 Einheiten (24 % bei der Kontrollgruppe, p=0,0284); 36 % der Qutenza™-Patienten berichteten, dass sie den PGIC-Score sehr bzw. wesentlich verbesserten (22 % bei der Kontrolle p<0,0001). Schlussfolgerungen: Eine einzige 30- oder 60-minütige Anwendung von Qutenza™ verringert periphere neuropathische Schmerzen für 12 Wochen. P07.4 Erste Erfahrungen bei der Anwendung von Capsaicin 8 % Pflaster bei fokalen neuropathischen Schmerzen in Österreich W. Jaksch1, H. Kloimstein1, R. Likar2, S. Granich1, S. Mair2, B. Gustorff1 1 Wilhelminenspital, Wien, 2LKH Klagenfurt, Österreich Fragestellung: Seit April 2010 ist ein Capsaicin-Pflaster unter dem Handelsnamen Qutenza® (Astellas Pharma) in Österreich zur Behandlung von peripheren neuropathischen Schmerzen zugelassen. Die Konzentration von 8 % Capsaicin beträgt dabei mehr als das Hundertfache der bisher eingesetzten Präparationen. Deshalb wurde bei der prospektiven Untersuchung der ersten Anwendungen besonderes auf induzierte Schmerzen und Nebenwirkungen geachtet neben den kurzfristigen therapeutischen Erfolgen. Material und Methoden: 9 Patienten wurden jeweils am Tag der Anwendung stationär aufgenommen und bis zum Morgen des nächsten Tages betreut. Das Behandlungsareal wurde mit Pinprick Testung bestimmt. Die einstündige Pflasteranwendung erfolgte nach Vorbehandlung mit 5 % EMLA® Creme (1 h). Alle Patienten erhielten einen venösen Zugang sowie kontinuierliches Puls- und Blutdruckmoni-
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toring. Induzierte Spontanschmerzen wurden mittels VAS-Skala vor Beginn der Behandlung, 1h nach EMLA®, sowie 15 , 30, 45 und 60 Min. nach Qutenza® Applikation, und weitere 30 und 60 Min., 4, 8, 12 und 23 Stunden nach Entfernung des Pflasters erfasst. Opioide wurden ab einem Spontanschmerz > VAS 5 iv. verabreicht und erfasst. Ergebnisse: Bisher wurden 9 Patienten mit Qutenza® behandelt (5 Männer, 4 Frauen zwischen 52 und 84 Jahren). Die Indikationen waren in 8 Fällen eine postherpetische Neuralgie und in einem Fall eine fokale Neuropathie am Unterschenkel nach Nervenläsion. Bereits zwischen 15 und 30 Min. gaben 8 von 9 Patienten starke Schmerzen (ø VAS 5,5) an. Bei einem Patienten kam es verzögert nach 45 Min. zu einer Schmerzzunahme (VAS 5). Unterschiedlich war der Schmerzverlauf nach Abnahme von Qutenza®. 2 Patienten waren innerhalb von 30 Min. schmerzfrei, 4 Patienten schmerzarm (ø VAS 2,5), die anderen 3 Patienten boten einen protrahierten Schmerzverlauf (ø VAS 5,4) innerhalb 8 bzw. 12 Stunden nach Anwendung mit zusätzlichem Analgetikabedarf. Sehr hilfreich war in dieser Phase die Anwendung von Coolpacks . 1 Patient entwickelte während der Therapie eine hypertone Krise, die restlichen 8 Patienten waren kreislaufstabil. Der therapeutische Erfolg eine Woche nach Qutenza® war eine 50 %-ige VAS-Reduktion in 3 Fällen, 30 % in einem Fall. 5 Patienten zeigten keine Verbesserung der neuopathischen Schmerzen. Schlussfolgerung: Bei der Anwendung von Qutenza® traten sehr starke behandlungspflichtige Spontanschmerzen auf , die teilweise über 12 Stunden fortbestanden, bei allen Patienten aber mit Opioiden und oberflächlicher Kühlung zu beherrschen waren und nach 24 h bei allen Patienten sistierten. Eine engmaschige Kreislaufüberwachung während und nach der Behandlung erscheint erforderlich. Nach den Erfahrungen mit 9 Patienten scheint zumindest eine tagesklinische Aufnahme bei der Anwendung von Qutenza® sinnvoll. P07.5 Beeinträchtigte Einschätzung der eigenen Handgröße bei Patienten mit Komplex- regionalen Schmerzsyndromen E. Peltz, F. Seifert, S. Lanz, C. Maihöfner University of Erlangen Fragestellung: Das komplex- regionale Schmerzsyndrom (CRPS) ist charakterisiert durch eine Trias klinischer Symptome, bestehend aus autonomen, motorischen und sensorischen Veränderungen. Zusätzlich treten spontane und Stimulus-evozierbare Schmerzen auf. Bei einigen Patienten kann eine lokale, auf die betroffene Extremität bezogene Störung des Körperschemas gefunden werden. In der aktuellen Studie untersuchten wir CRPS-Patienten auf Veränderungen der Einschätzung der eigenen Handgröße und korrelierten diese mit klinischen Parametern. Methoden: In die Studie wurden 30 Patienten mit einem CRPS der oberen Extremität und 30 gesunde Probanden als Kontrollgruppe eingeschlossen. Erforderlich bei den Patienten war das Vorliegen von Symptomen der aktuellen IASP-Kriterien zur Diagnosestellung eines CRPS. Beiden Gruppen wurden graphisch veränderte, in der transversalen (radio-ulnaren) Achse gestauchte oder gestreckte Hände (90 %, 95 %, 100 %, 105 %, 110 %, 115 %, 120 %) präsentiert. Die Patienten sollten das Bild, welches ihrer CRPS-Hand am ehesten entspricht, auswählen. Die Probanden wählten das Bild, welches ihrer korrespondierenden gesunden Hand entspricht. Gemessen wurden die realen Handvolumina, woraus sich eine relative Handgröße der CRPS Hand im Vergleich zur gesunden Hand bestimmen lies. Berechnet wurde dann der prozentuale Unterschied von geschätzter und gemessener relativer Handgröße, welcher ein Maß für die Körperschemastörung darstellt. Dieser Parameter wurde mit klinischen Daten korreliert. Ergebnisse: Die CRPS-Hand war in der Volumenmessung signifikant größer als die gesunde Hand. Die CRPS-Patienten schätzten die betroffene Hand größer ein als sie tatsächlich gemessen wurde. Der prozentuale Unterschied von geschätzter relativer Handgröße und gemessener relativer Handgröße betrug 8.63 % ± 1.53. Bei den gesunden Probanden
unterschied sich die korrespondierende Hand in der Volumenmessung nicht von der kontralateralen Hand. Die von den gesunden Probanden geschätzte Handgröße differierte nicht von der gemessenen Größe. Bei den CRPS-Patienten korrelierte das Maß der Überschätzung der Handgröße signifikant mit der Dauer der Erkrankung (R=0.88, P<0.01), dem Neglect-Score (R=0.83, P<0.01) und der Reduktion der Zwei-PunktDiskrimination an der betroffenen Hand (R=0.70, P<0.01). Schlussfolgerungen: Die Studie zeigt, dass CRPS-Patienten die betroffene Extremität größer als real schätzen. Die lokale Körperschemastörung korreliert dabei signifikant mit Krankheitsparametern. P07.6 CRPS als Differentialdiagnose einer Acrodermatitis chronica atrophicans – ein Fallbericht D. Mulzet, H. Bornemann-Cimenti, S. Archan, S. Fleck, A. Amegah-Sakotnik, E. Aberer, G. Rumpold-Seitlinger, C. Dorn Medizinische Universität Graz, Österreich Fragestellung: Die Acrodermatitis chronica atrophicans Herxheimer stellt eine Verlaufsform der Lyme-Borreliose dar. Wir präsentieren einen Fall eines fehldiagnostizierten CRPS. Anamnese und Diagnose: Eine Patientin (67 Jahre, 157cm, 64kg) wird der Schmerzambulanz mit der Diagnose CRPS von der Orthopädie vorgestellt. Anamnestisch schildert sie seit 2-3 Jahren bestehende Schmerzen im rechten Knöchel / Fußbereich in Kombination mit einer rötlich-lividen Verfärbung und intermittierender lokaler Schwellung. Die bisherige Abklärung inkludierte angiologische, gefäßchirurgische, rheumatologische und orthopädische Stellungnahmen. Trotz diverser Therapieversuche persistierte die Symptomatik. Die klinische Untersuchung zeigte weder eine Einschränkung der Motorik noch Sensibilitätstörungen bzw. Unterschiede in Haar- bzw. Nagelwachstum, Schweißsekretion oder Hauttemperatur. Die Schmerzen schilderte die Patientin als brennenden Dauerschmerz (VAS 1-2), teilweise auch mit einschießender Komponente (VAS 5). Lokalisiert seien diese hauptsächlich an der Planta pedis rechts, intermittierend ausstrahlend in das Knie mit gleichbleibender Tendenz. Die genauere Anamnese ergab, dass die Patientin einige Zeit vor Beginn der Symptomatik einen Insektenstich am rechten Unterschenkel erlitt. Ein Trauma oder eine Fraktur sind nicht erinnerlich. In Kombination mit dem klinischen Bild wurde die Verdachtsdiagnose einer Borrelieninfektion gestellt und entsprechend eine Titerbestimmung bzw. eine Vorstellung an der Dermatologie vorgenommen. Die klinische Präsentation, der positive AK-Titer und die histologische / bakteriologische Befundung ergaben die Diagnose einer Acrodermatitis chronica atrophicans. Eine Therapie mit Ceftriaxon über 20 Tage wurde empfohlen. Diskussion: Die Acrodermatitis chronica atrophicans ist eine Spätmanifestation der Lyme-Borreliose. Zu den typischen Befunden zählen eine livide Verfärbung, eine Atrophie insbesondere des Unterhautgewebes und der Hautanhangsgebilde sowie in 60 % der Patienten auch Kribbelparästhesien bzw. brennende Schmerzen im Rahmen einer begleitenden Neuropathie. Schlussfolgerung: Die Acrodermatitis chronica atrophicans stellt eine mögliche Differentialdiagnose zum – in manchen Punkten ähnlich imponierenden – CRPS dar. Dieser Fallbericht zeigt, dass eine genaue klinische Untersuchung und insbesondere eine sorgfältige Anamnese der Schlüssel zur richtigen Diagnose und Therapie sind.
P07.7 Wirkung eines somatosensorischen Diskriminationstrainings auf Phantomschmerzen bei Beinamputation S. Preißler1, C. Dietrich1, W. Miltner1, G. Hofmann2, T. Weiss1 1 Institut für Psychologie, Jena, 2Universitätsklinikum Jena Fragestellung: Phantomschmerzen nach Amputationen einer Gliedmaße treten bei schätzungsweise 50-80 % der Amputierten auf und können weitreichende berufliche und soziale Einschränkung bewirken (Sherman 1997). Effektive Therapien stehen weitestgehend noch aus. Ziel neuerer Therapieansätze ist eine Rückorganisation deafferenzierungsbedingter kortikaler Reorganisationsvorgänge der Repräsentationsareale der amputierten Körperregion (Re-Reorganisation). Es konnte gezeigt werden, dass das Erlernen der Diskrimination sensorischer Reize, die in der Nähe der Amputationsstelle appliziert werden, eine gute Möglichkeit darstellt, kortikale Reorganisation und gleichzeitig Phantomschmerz zu reduzieren (Flor et al. 2001). Die vorliegende Studie überprüft die Übertragbarkeit der bisherigen bei Patienten mit Armamputation gezeigten positiven Wirkungen eines solchen somatosensorischen Diskriminationstrainings (SDT) auf einen Patienten mit Amputation der unteren Extremität. Material und Methode: Wir stellen eine Fallstudie eines beinamputierten Patienten vor. Der Patient nahm an einem 14 tägigem SDT teil (10 Werktage, 2 Stunden/Tag). Seine Diskriminationsleistung wurde zu Beginn und am Ende des SDT an jedem Trainingstag erhoben. Zur Erhebung der Stärke seiner Phantomschmerzen wurden verschiedene Schmerzinventare, z. B. McGill Schmerzfragebogen und VAS, verwendet. Der Patient wurde gebeten seine Phantomschmerzen jeden Tag vor dem ersten SDT, in der Mitte und am Ende des SDTs anzugeben. Ergebnisse: Die ersten drei SDT-Tage wurden genutzt, um die Lokalisation und Stimulation für den Patienten zu optimieren. Die Fähigkeit zur Diskrimination sensorischer Stimuli verbesserte sich in den folgenden 6 SDT – Tagen. (Prätest mittlere Diskriminationsleistung am 4. Tag: 19, Prätest mittlere Diskriminationsleistung am 9. Tag: 32.5; Posttest mittlere Diskriminationsleistung am 4. Tag: 24, Posttest mittlere Diskriminationsleistung am 9. Tag: 31). Einhergehend mit der Verbesserung der Reizerkennung im SDT kommt es zu einem Rückgang des Phantomschmerzes (VAS-Mittelwert erster Tag: 3.3, Mittelwert 9. Tag: 1.9). Diskussion: Im Verlauf des Trainings kam es zu einer Verbesserung der Diskriminationsfähigkeit bei dem Patienten. Interessanter Weise fanden wir auch einen Rückgang seines Phantomschmerzes. Schlussfolgerung: Wir konnten damit zeigen, dass auch bei einem Patienten mit Amputation der unteren Extremität SDT zu einer Reduktion von Phantomschmerz führt. Gefördert durch die DGUV FR-145. P07.8 Motorkortexstimulation zur Behandlung von chronisch neuropathischen posttraumatischen Armschmerzen nach zervikaler Plexusverletzung oder Nervenwurzelausriß D. Rasche, V. Tronnier UK S-H, Lübeck Fragestellung: Die epidurale Motorkortexstimulation (MCS) ist ein Verfahren der speziellen Schmerztherapie, welches eine invasive Behandlungsoption für Patienten mit therapierefraktären chronischen Schmerzen darstellt. Weltweit sind Erfahrungsberichte für insgesamt ca. 400 Patienten mit unterschiedlichen Formen von meist schweren zentralen Schmerzsyndromen (z. B. Post-Stroke-Schmerz o. thalamisches Schmerzsyndrom) publiziert. Die klinischen Erfahrungen der Autoren mit der MCS bei Patienten mit chronischen Schmerzen nach Verletzung des Plexus brachialis oder zervikalem Nervenwurzelausriss. Material und Methodik: Insgesamt wurden acht Patienten (männlich, 33-68 Jahre) mit posttraumatischen Armschmerzen nach Läsion des Plexus brachialis oder zervikalem Nervenwurzelausriss mit einer Der Schmerz Supplement 1 · 2010
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Abstracts MCS behandelt. Mit Hilfe einer MRT-basierten Neuronavigation und intraoperativ überschwelliger Stimulation mit Evozierung von fokalen Anfällen im Gesicht und Schulterbereich erfolgte die Implantation von 4-8 Elektrodenkontakten epidural über dem Gyrus präzentralis kontralateral zur Schmerzseite (3 x rechtshirnig, 5 x linkshirnig). Es schloss sich eine postoperative Testphase an, welche nach einem standardisierten Protokoll mit unterschiedlichen Stimulationseinstellungen und auch Placebo-Doppel-Blind-Stimulation durchgeführt wurde. Ergebnisse: Bei allen Pat. konnte intraoperativ in Lokalanästhesie eine korrekte Lage der Stimulationselektroden erreicht und fokale Anfälle ausgelöst werden. Im Rahmen der postoperativen Testphase konnte bei 6/8 Patienten ein positiver Effekt mit Schmerzlinderung und Dosisreduktion der Analgetika dokumentiert werden. Bei zwei Patienten wurde kein positiver Effekt durch die MCS nachgewiesen. Bei zwei der sechs implantierten Patienten wurde im weiteren Verlauf ein nachlassender Effekt beobachtet, so dass insgesamt 4/8 Patienten dauerhaft erfolgreich Schmerzlinderung >50 % durch die MCS erreichen (Follow-Up 3-59 Monate). Schlussfolgerung: Die epidurale MCS ist eine sichere und effektive Behandlungsoption für Patienten mit chronischen Schmerzen, welche durch andere Behandlungen nicht ausreichend behandelt werden können. Patienten mit chronischen neuropathischen Gesichtsschmerzen nach Trigeminus-Verletzung, Plexus-brachialis-Verletzung oder Phantom-Schmerzen scheinen am besten von dieser Methode zu profitieren. Diese invasive Therapieform sollte an einem Zentrum mit Expertise für invasive und neurochirurgische Schmerztherapie mit einem StandardProtokoll und obligater Doppel-Blind-Testung durchgeführt werden. Eine prospektive, kontrolliert-randomisierte Studie mit einem definierten Schmerzsyndrom und Vergleich der MCS mit bester konservativer Therapie sollte dringend durchgeführt werden. P07.9 5 Jahre Restore – Stellenwert der wiederaufladbaren Impulsgeber zur Rückenmarkstimulation D. Rasche, V. Tronnier UK S-H, Lübeck Fragestellung: Die epidurale Rückenmarkstimulation ist ein Evidenz-basiertes Verfahren zur invasiven Schmerztherapie bei definierten Patientengruppen mit chronischen neuropathischen Schmerzen. Das Problem der Batteriekapazität konnte durch die Markteinführung von transkutan wiederaufladbaren Impulsgeneratoren mit Verlängerung der Batterielebensdauer auf bis zu 9 Jahre im Jahre 2005 zumindest teilweise gelöst werden. Der aktuelle Stellenwert der wiederaufladbaren Impulsgeber soll anhand der klinischen Erfahrungen der Autoren dargestellt werden. Material und Methodik: Bei 30 Patienten mit chronisch neuropathischen Schmerzen und epiduraler Rückenmarkstimulation (spinal cord stimulation = SCS) wurde nach erfolgreicher Testphase ein wiederaufladbarer Impulsgeber implantiert. Besonderes Interesse galt neben der effektiven Schmerzlinderung und dem Medikamentenverbrauch auch der Patientenzufriedenheit und der technischen Durchführung der Wiederaufladevorgänge. Ergebnisse: Insgesamt wurden im Verlauf bei den 30 Patienten sechs unterschiedliche wiederaufladebare Impulsgebermodelle verwendet. Die technische Durchführung des Aufladevorganges konnte von allen Patienten erfolgreich durchgeführt werden. Dazu wurden im Schnitt zwei Versuche (1-4) pro Aufladung und durchschnittlich 3.74 h (3.0-5.5) alle 24 Tage (9-44) benötigt. Insgesamt konnte eine sehr hohe Patientenzufriedenheit mit der Steuerung des Impulsgebers und der Wiederaufladefunktion dokumentiert werden. Im Follow-Up von durchschnittlich 27 Monaten (2-65 Mon.) wurde in zwei Fällen eine sogenannte Tiefentladung, in 2 Fällen eine Wundinfektion mit nachfolgender Explantation des Impulsgebers, in einem Fall eine lokale Revision des Impulsgebers bei Rotation in der Impulsgebertasche und vier Revisionen bei Elektrodendislokation beobachtet und behandelt.
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Schlussfolgerungen: Durch die Einführung sogenannter wiederaufladbarer Impulsgeber zur SCS kann bei einer großen Anzahl von Patienten mit hohen Stimulationsintensitäten das Problem der Batteriekapazität und der Impulsgeberwechsel auf bis zu 9 Jahre verlängert werden. Die technische Durchführung der Wiederaufladung ist durch die Patienten sehr gut möglich und die Patientenzufriedenheit ist hoch. Die Indikation für die Implantation eines wiederaufladbaren Impulsgebers erscheint bei hohen Stimulationsintensitäten, Patienten mit sehr guter Compliance und Schmerzlinderung durch die SCS und einem Lebensalter unter 70 Jahren sowohl initial als auch Falle eines Impulsgeberwechsels im Verlauf gerechtfertigt. P07.10 Schmerzreduktion bei CRPS-Patienten durch sensomotorisches Training – Pilotstudie A. Schmid1, S. Gustin2, A. Schwarz1, F. Hummel3, N. Birbaumer1 1 Universitätsklinikum Tübingen, 2University of Sydney, Australien, 3 Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf, Hamburg Fragestellung: Eine Verkleinerung der kortikalen Repräsentation des Handareals wurde beim Komplexen Regionalen Schmerzsyndrom (CRPS) der Hand nachgewiesen (Juotonnen et al. 2002). In Studien an Phantomschmerzpatienten konnte gezeigt werden, dass diese kortikale Reorganisation mit Schmerzen gekoppelt ist (Flor et al. 1995). Wie von Trainingsparadigmen, z. B. dem Braille Schrift Lesen bekannt ist, kommt es durch Training zu einer Vergrößerung der kortikalen Repräsentation des Handareals. Das legt den Schluss nahe, dass durch ein spezielles sensomotorisches Handtraining bei Patienten, die an CRPS leiden, eine Restitution der kortikalen Repräsentation und dadurch konsekutiv ein Rückgang der Schmerzen zu erwarten ist. Kann mittels sensomotorischen Trainings Schmerzen bei Patienten mit CRPS verbessert werden und hat es einen positiven Effekt auf Depressivität? Material & Methode. An dieser Pilotstudie nahme drei Patienten (2 w, 1 m), die am CRPS der Hand erkrankt waren, teil. Der Schmerz wurde täglich mit einer Visuellen Analogskala (VAS) ermittelt; mit der Kurzversion der Allgemeinen Depressionsskala (ADS-K) wurde die Depressivität erfasst. Alle Patienten durchliefen eine zweiwöchige Trainingsphase. Ergebnisse: Vor dieser Intervention lagen die Schmerzbewertungen der Patienten über 4 (4,5,6). Nach der Trainingsphase kam es zu einer deutlichen Abnahme der subjektiven Schmerzen (2,3,3) um ca. 50 %. Die ADS-K Summenwerte (max. 45) sanken um 10-14 Punkte (prä 22,20,14; post 12,6,4) im prä-post Vergleich. Diskussion: Das sensomotorische Training in dieser Pilotgruppe zeigt positive Effekte in Form einer Reduktion der Schmerzsymptomatik und der Depressivität. Diese vielversprechenden Effekte sollen noch an einer größeren Stichprobe reproduziert werden. Schlussfolgerung: Ein spezifisches sensomotorisches Trainingkann bei CRPS-Patienten zu einer Reduktion der Depressivität und der Schmerzen führen. Acknowledgements: Diese Studie wurde von BMBF und DFG unterstützt. P07.11 Pathophysiologie von Schmerzen bei Kindern und Jugendlichen mit infantiler Cerebralparese M. Blankenburg1, J. Junker1, N. Krämer1, B. Dietz1, F. Aksu1, T. Hechler1, W. Magerl2, C. Maier3, B. Zernikow1 1 Vestische Kinder- und Jugendklinik Datteln, 2Medizinische Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg, Mannheim, 3BG Universitätsklinikum Bergmannsheil, Bochum Einleitung und Fragestellung: Die infantile Cerebralparese (ICP) ist eine der häufigsten Ursachen für eine spastische Parese im Kindesalter. Vermutlich leidet mehr als die Hälfte der Patienten an chroni-
schen Schmerzen. Bislang ist unklar, ob es sich primär um neuropathische Schmerzen oder nozizeptive Schmerzen handelt. Für die Schmerztherapie ist eine Unterscheidung zwischen beiden Mechanismen wichtig, um sie differenziert behandeln zu können. Mit der Quantitativen Sensorischen Testung (QST) nach dem Protokoll des Deutschen Forschungsverbundes Neuropathischer Schmerz (DFNS) ist es möglich, die Funktion von zentralen Nervenbahnen (Hinterstränge, spinothalamische Fasern) und anderen zentralen Mechanismen an der Schmerzentstehung zu untersuchen. Dies gelingt durch die Bestimmung von Veränderungen der Schmerzempfindlichkeit und der Sensibilität. Ziel dieser Studie ist es, die Häufigkeit von Schmerzen bei Kindern und Jugendlichen mit CP zu untersuchen und den Pathomechanismus mit Hilfe der QST und SEPs zu beschreiben. Methoden: Von 120 Kindern, die über einen Zeitraum von 3 Monaten in der Vestischen Kinderklinik wegen einer CP behandelt wurden, erhielten alle telefonisch erreichbaren Kinder (n=77) ein standardisiertes Interview mit dem Deutschen Schmerzfragebogen für Kinder und Jugendliche. Kinder ohne geistige Beeinträchtigung (n=31; Alter: 12.20 ±3.12 Jahre) wurden an der stärker betroffenen Extremität (Hemiparese n=15, Tetraparese n=16) beidseits mit dem QST Protokoll des DFNS, einem SEP und neurologisch untersucht. Bei 25 Patienten wurde eine cerebrales MRT durchgeführt, davon hatten 20 periventrikuläre Parenchymdefekte (Leukomalazie n=15; andere Defekte n=5), 6 ein unauffälliges MRT und 5 kein MRT. Die Daten wurden mit einer alters- und geschlechtskorrelierten Kontrollgruppe und den QST Referenzwerten für Kinder (Blankenburg et al., 2010) sowie mit klinischen Parametern verglichen. Ergebnisse: 51 % der befragten Patienten hatten chronische Schmerzen mittlerer Intensität (NRS 5,8). Obwohl nur 43 % der Patienten, die mit der QST untersucht wurden, chronische Schmerzen angaben (NRS 5,6), fand sich bei 78 % eine Hyperalgesie (65 % mechanisch, 13 % mechanisch und thermisch). Bei allen Patienten war die Hyperalgesie mit einer Hypoästhesie (7 % taktil, 3 % thermisch, 67 % beides) kombiniert. Nur 19 % der Patienten hatten ein Hypoästhesie ohne Hyperalgesie. Die Hyperalgesie korrelierte mit der Schmerzintensität auf der NRS (r=0,37). Die SEP waren bei 69 % der Patienten pathologisch und korrelierten mit der taktilen Hypoästhesie (r=0,62) und der Beeinträchtigung beim Karnofsky-Index (68+20; r=0,44). Schlussfolgerung: Obwohl nur etwa die Hälfte der Patienten mit CP unter chronischen Schmerzen litten, findet sich mit der QST bei mehr als drei Vierteln eine Hyperalgesie in Kombination mit einer Hypoästhesie als Hinweis für eine kombinierte Funktionsstörung des lemniskalen und des extralemniskalen Systems. Da die Hyperalgesie mit den Schmerzen korreliert, gehen wir von einer zentralen Ursache der Schmerzen bei den meisten Patienten aus. Die Hypoästhesie in Korrelation mit den SEPs spricht für eine Störung der thalamokortikalen Bahnen infolge der periventrikulären Leukomalazie.
PO9 – Rückenschmerz und Bewegungsapparat I P09.1 Patientenwege von Patienten mit nicht-spezifischen Rückenschmerzen – eine retrospektive Beobachtungsstudie T. Helbing, J. Strube, G. Pavlakovic, M. Pfingsten Universitätsmedizin Göttingen Rückenschmerzen sind ein häufiges Problem in Deutschland und verursachen hohe Kosten. Ihre Verursachung ist i. d. R. multifaktioriell bedingt und schließt neben den somatischen Faktoren (Funktionsstörung), das eigene Verhalten, psychosoziale wie auch iatrogene Faktoren ein. Chronische Schmerzpatienten haben i. d. R. eine umfangreiche Behandlungsvorgeschichte mit vielfältigen Arztkontakten und kostenaufwändigen diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen sowie einer i. d. R. längeren Arbeitsunfähigkeit. Jüngste Studien haben
gezeigt, dass es hier zu erheblichen Defiziten kommt, die die Chronifizierung letztlich weiter voranschreiten lassen. In der Regel werden die „Weichen“ für den späteren chronischen Verlauf bereits am Beginn der Erkrankung gestellt. Insofern kommt dem Verhalten des Erstbehandlers eine entscheidende Bedeutung zu. Es ist das Ziel der Studie, die Behandlungsvorgeschichte von 60 Patienten mit chronischen bewegungs-bezogenen Schmerzen chronologisch zu erfassen und in Bezug auf ihre Leitlinien-Kompatibilität zu prüfen. Dafür werden sämtliche Befundberichte (die i. d. R. bei der Anmeldung der Patienten vorliegen) ausgewertet und mittels einer standardisierten Befragung der Patienten vervollständigt und verifiziert. Dabei werden auch subjektive Einschätzungen der Pat. zum Behandlungsprocedere, deren Erfolg, und ihrer Zufriedenheit damit erfasst werden. Aufgrund entsprechender Vorerfahrungen sowie den Ergebnissen aus der Literatur wurde unter Berücksichtigung des „recall-bias“ ein retrospektiver Befragungszeitraum von 3 Jahren berücksichtigt; dies hat sich auch in der durchgeführten Pilotierung als praktikabel erwiesen. Die Durchführungszeit der zusätzlichen spezifischen Befragung lag im Mittel bei 40 Minuten pro Patient. Ziel der geplanten Studie ist es, die Patientenwege von Patienten mit chronischen Rückenschmerzen bis zur Überweisung in eine schmerztherapeutische Einrichtung zu erforschen, die diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen zu analysieren und schließlich die Kompatibilität der durchgeführten Maßnahmen mit vorhandenen Behandlungsleitlinien zu prüfen. Folgende Fragestellungen sollen u. a. dabei genauer untersucht werden: –– Welche ärztliche Fachgruppe wird von den Patienten als erstes aufgesucht? –– Welche diagnostischen / therapeutischen Maßnahmen werden angewandt? –– Wann und an wen werden die Patienten überwiesen? –– Werden psychosoziale Risikofaktoren frühzeitig nachgefragt? –– Ist die Vorgehensweise in Bezug auf diagnostische und therapeutische Maßnahmen weitgehend Leitlinien-orientiert? –– Wie ist die Zufriedenheit mit den jeweiligen Fachgruppen? Die Datenerhebung ist abgeschlossen. Erste Ergebnisse deuten darauf hin, dass sich insbesondere Probleme zeigen im Hinblick auf eine unnötige Durchführung radiologischer Maßnahmen (85 % der Pat. wurden innerhalb der letzten 3 Jahre im Durchschnitt 4mal geröntgt), eine inadäquate Kommunikation des radiologisches Ergebnisses (Fokussierung auf „Schaden“; 72 % der Befragten bekamen bei der Auswertung ihrer radiologischen Befunde gesagt, dass auf den Bildern ersichtlich sei, dass der Rücken „kaputt“ ist bzw. eine schwere Schädigung vorliegt), eine fehlende Berücksichtigung (greifbarer) psychosozialer Risikofaktoren (nur 37,5 % der Patienten wurden bezüglich ihrer beruflichen Situation befragt, die Frage nach der familiären Situation wurde nur in 12,5 %der Fälle gestellt), sowie Unzulänglichkeiten bei der Aufklärung über Rückenschmerzen (Informationen erfolgten wenn überhaupt fast ausschließlich während der Reha-Aufenthalte) oder die fehlende Aufforderung zur Intensivierung der körperlichen Aktivität. Die am häufigsten verwendeten Behandlungsmaßnahmen neben der Verschreibung von Schmerzmitteln und Physiotherapie waren Reizstrom und Injektionen in den Rücken. Damit zeigt sich eine erhebliche Diskrepanz zu den in den vorliegenden Leitlinien abgegebenen Behandlungsempfehlungen. P09.2 Der Einfluss von AEM- basierten Schmerzverarbeitungspattern auf die Lebensqualität bei chronischen Rückenschmerzpatienten S. Scholich1, D. Hallner1, R. Wittenberg2, A. Rusu1, M. Hasenbring1 1 Ruhr-Universität Bochum, 2St. Elisabeth-Hospital, Herten Fragestellung: Das Avoidance-Endurance-Modell (AEM, Hasenbring, 2000) unterscheidet drei maladaptive (depressiv-vermeidend (FAR), depressiv suppressiv (DER), heiter suppressiv (EER)) und ein adaptives Schmerzverarbeitungs-Pattern (adaptive Schmerzverarbeitung (AR)). Der Schmerz Supplement 1 · 2010
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Abstracts Neben Schmerzintensität (SI) und Beeinträchtigung (Disability) hat sich das Konstrukt Lebensqualität (LQ) als eine weitere zentrale Outcome-Variable im Forschungsbereich chronischer Rückenschmerzen (CLBP) etabliert. In dieser Studie soll überprüft werden, ob sich die Ausprägung der einzelnen Outcome-Variablen in den vier AEM-Pattern bei CLBP Patienten unterscheidet. Material und Methode: Es wurden 52 stationäre CLBP Patienten zweimal, während einer akuten Schmerzexazerbation und nach sechs Monate untersucht. Subgruppenunterschiede wurden anhand von zweifaktoriellen Varianzanalysen mit Messwiederholung analysiert. Bei signifikanten Gruppeneffekten erfolgte der Vergleich der einzelnen AEM-Pattern anhand von post-hoc Tests (Bonferroni). Ergebnisse: Zwischen den einzelnen AEM-Pattern lassen sich hinsichtlich der Schmerzintensität (F(3, 48) = 2.82, p <. 05), der allgemeinen (FLZM-A, F(3, 48)= 6.78, p <. 05) und gesundheitsbezogenen (FLZM-G, F(3, 48) =5.99, p <. 05) LQ deutliche Unterschiede erkennen. Im Gegensatz dazu konnte für die Variable Disability nur ein signifikanter Haupteffekt des Faktors Zeit beobachtet werden. Zeigten zum ersten Beobachtungszeitpunkt alle Patienten eine vergleichbar hohe SI, wiesen sechs Monate später Patienten mit einem AR-Pattern eine niedrigere SI auf als Patienten mit DER und FAR. Bei der FLZM-A zeigte sich ein hoch signifikanter Haupteffekt des Faktors Schmerzverarbeitung. Betrachtet man die FLZM-G ergab sich sowohl für den Faktor Zeit als auch für den Faktor Schmerzverarbeitung ein signifikanter Haupteffekt. Patienten mit AR-und EER Pattern zeigten eine höhere FLZM-A und FLZM-G als Patienten mit einem DER oder FAR-Pattern. Diskussion: Für die Variablen SI und LQ konnte der maladaptive Einfluss von FAR und DER-Pattern, nicht jedoch für EER-Pattern beobachtet werden. Das könnte darauf zurückzuführen sein, dass für CLBP Patienten ein längerer Beobachtungszeitraum gewählt werden müsste. Eine weitere mögliche Erklärung ist, dass behaviorale Durchhaltestrategien bei CLBP Patienten im Rahmen einer akuten Schmerzexazerbation hilfreich für eine höhere Akzeptanz der Schmerzen und einer besseren Anpassung sein könnten. Schlussfolgerung: Weitere Längsschnittstudien an CLBP Patienten werden benötigt, um den Einfluss der AEM-Pattern auf die zentralen Outcome-Variablen genauer zu untersuchen. Diese Pilotstudie unterstützt die Annahme, dass eine Klassifizierung von CLBP Patienten eine entscheidende prognostische Bedeutung für den Therapieerfolg zu haben scheint. 1. Hasenbring M (2000) Attentional control of pain and the process of chronification. In: Sandkühler J, Bromm B, Gebhart GH (Hrsg.) Progress in Brain Research, 129 Elsevier, Amsterdam, S 525–534 P09.3 Veränderungen des Blutflusses in Haut und Muskel bei Patienten mit Fibromyalgiesyndrom unter orthostatischer Belastung E. Burger, J. Koroschetz, S. Jäger, S. Rehm, G. Wasner, R. Baron Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Kiel Fragestellung: Das Fibromyalgiesyndrom (FMS) ist eine Erkrankung die mit chronischen muskuloskeletalen Schmerzen und einer erhöhten Druckschmerzhaftigkeit einhergeht. Daneben können vegetative Störungen, Schlafstörungen und affektive Störungen auftreten. Vor allem die Analyse der Herzfrequenzvariabilität und die orthostatische Belastung im Kipptischversuch werden derzeit als Surrogatmodell für die Untersuchung des autonomen Nervensystems bei FMS-Patienten eingesetzt. Deren Ergebnisse stützen die These einer permanent erhöhten sympathischen Aktivität und konsekutiver Hyporeaktivität auf Veränderungen der Homöostase. Die vorliegende Studie vergleicht die Reaktion des sympathischen Muskel- bzw. kutanen Vasokonstriktorsystems auf einen orthostatischen Reiz zwischen FMS-Patienten und Gesunden. Material und Methode: Mit Hilfe einer Kombination aus Laser-Doppler-Spektroskopie und Gewebespektrometrie (Gerät O2C, LEA Medizintechnik GmbH) wurden 15 Patientinnen mit FMS (ACR-Kriterien
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erfüllt) und 10 gesunde Probanden untersucht. Dabei wurden während einer Kipptischuntersuchung stetig der muskuläre und kutane Blutfluss, die Blutfüllung und die postkapilläre Sauerstoffsättigung in der Mikrozirkulation der Haut und der Muskulatur am Unterschenkel gemessen. Außerdem wurden Herzfrequenz- und Blutdruckveränderungen dokumentiert. Ergebnisse: Die Blutflusskurven in der Haut und Muskulatur bei Fibromyalgiepatienten und im Kontrollkollektiv unterscheiden sich nicht signifikant voneinander. In der frühen Kippphase (ersten 90 s) konnte bei Patienten mit FMS gegenüber den gesunden Probanden ein signifikanter Anstieg des systolischen Blutdrucks und der Herzfrequenz verzeichnet werden. Der Herzfrequenzanstieg bezogen auf die Ruhephase war nach 5 ½ min bei FMS-Patientinnen um 12,5 % höher als bei gesunden Probanden. Diskussion und Schlussfolgerung: Die Reaktion der Haut- bzw. Muskelvasokonstriktorneurone unterscheidet sich nicht zwischen FMS-Patientinnen und dem Kontrollkollektiv. Somit ist auf dieser Ebene nicht von einer Störung des autonomen Nervensystems auszugehen. Der signifikant höhere Anstieg des systolischen Blutdruckes und der Herzfrequenz bei FMS-Patientinnen im Vergleich zu gesunden Probanden unterstützt die Hypothese einer erhöhten Aktivität des sympathisch-efferenten Systems bei FMS-Patienten. P09.4 Entwicklung eines Chronifizierungsscores für Rückenschmerzpatienten S. Schnitzenbaumer, P. Bäumler, M. Simang, D. Irnich Klinikum der Universität München – Innenstadt, LMU Fragestellung: Chronische Rückenschmerzen stellen ein gravierendes sozialmedizinisches und gesundheitsökonomisches Problem dar. Basierend auf dem erfolgreich implementierten multimodalen Münchner Naturheilkundlichen Schmerzprogramm (MNS) wurde speziell für Rückenschmerzpatienten das MNS-R als Integriertes Versorgungsprojekt der Siemens-Betriebskrankenkasse etabliert. Das MNS-R wird in unterschiedlichen Intensitäten angeboten: 30 Std. berufsbegleitend, 60 Std., 120 Std. Die Zuteilung zu einem der Programme erfolgt anhand des Ergebnisses eines interdisziplinären Assessments. Begleitend werden Chronifizierungsfaktoren anhand eines neu entwickelten Scores bewertet. In einem stufenweisen Validierungsprozess soll nun anhand des Outcomes der prädiktive Wert des Scores überprüft werden und nach Faktorenanalyse gegebenenenfalls angepasst werden. Material und Methoden: Der Score wurde basierend auf epidemiologischen Studien zu Risikofaktoren für Chronifizierung sowie Patientenfragebögen zur Risikoquantifizierung entworfen. Er wird im Rahmen des interdisziplinären Assessments erhoben. Er besteht aus körperlichen Faktoren (Grad degenerativer Veränderungen, Übergewicht, Nikotinkonsum, Inaktivität, körperliche Belastung). psychologischen Faktoren (subjektive Gesundheitseinschätzung, Angst, depressive Verstimmung, Stressempfinden Somatisierung) und sozialen Faktoren (Arbeitsplatzunzufriedenheit, familiäre Belastung, Bildung, Isolation, Konflikte). Der Chronifizierungsgrad n. Gerbershagen geht ebenfalls in den Score ein. Die Messung des Ourcomes erfolgt anhand Pain Disability Index (PDI) und der durchschnittlichen Schmerzintensität (NRS) vor (t0) und nach (t1) Therapie. Analysiert wird nun in einem ersten Schritt der Gesamtscore und der Zusammenhang mit Veränderungen von PDI und Schmerzintensität . Bisher liegen Ergebnisse von 100 Patienten zu t0 und von 48 Patienten zu t1 vor. Ergebnisse: Die Risikopunktzahlen sind in den 3 Dimensionen „körperlich“, „psychologisch“ und „sozial“ gleichmäßig verteilt und im Durchschnitt mittelstark ausgeprägt. Alter und Geschlecht haben auf den Gesamtscore keinen Einfluss Die PDI-Veränderung von t0 zu t1 korreliert signifikant, aber schwach mit der Gesamtpunktzahl. Zwischen der Veränderung auf der NRS und Gesamtpunktzahl im Score besteht kein Zusammenhang.. Diskussion: Der Risikoscore inkludiert einen Großteil der bereits evaluierten Risikofaktoren und könnte somit ein differenziertes Instru-
ment zur Bestimmung der notwendigen Therapieintensität darstellen. Die ersten Ergebnisse zeigen, dass der Score einen Hinweis auf das outcome geben könnte. Damit ist die Voraussetzung gegeben nun den Score auf das Outcome in Relation zur Therapieintensität zu setzen. Schlussfolgerung: Die gezeigten Ergebnisse sind ein erster positiver Schritt in der Validierung des Risikoscores. P09.5 Der Einfluss kognitiver Schmerzverarbeitungsmerkmale auf Depressivität bei akuten und subakuten Rückenschmerzpatienten J. Hülsebusch, A. Rusu, M. Hasenbring Ruhr-Universität Bochum Fragestellung: Die von Rudy et al. (1988) postulierte kognitive Mediationshypothese beschreibt den Einfluss psychologischer Faktoren auf die Beziehung von Depressivität und Schmerz. Neben schmerzunabhängigen Merkmalen (Turk et al. (1995), Maxell et al., (1998)), wurden durch Klasen et al. (2006) auch kognitive Schmerzverarbeitungsmerkmale untersucht. Dabei konnte gezeigt werden, dass kognitive Schmerzverarbeitungsformen wie z. B. Katastrophisieren, Hilf-/ Hoffnungslosigkeit sowie Durchhalteappelle die Beziehung zwischen Schmerz und Depressivität bei chronischen Rückenschmerzen mediieren, wobei Schmerz keinen direkten Einfluss hatte und Katastrophisieren und Durchhalteappelle sowohl direkt als auch indirekt über die Variable Hilf-/Hoffnungslosigkeit wirkten. Ziel der vorliegenden Studie ist es, die kognitive Mediationshypothese bei akuten und subakuten Rückenschmerzpatienten zu untersuchen. Material und Methode: An der Studie nahmen 164 Patienten mit akuten oder subakuten nicht-spezifischen Rückenschmerzen teil. Die durchschnittliche Schmerzintensität während der letzten drei Monate wurde mittels einer numerischen Ratingskala erfasst, die Depressivität wurde mit dem Beck-Depressions-Inventar (BDI; Beck et al., 1961) erhoben. Die kognitive Schmerzverarbeitung wurde mit dem Kieler Schmerzinventar (KSI; Hasenbring, 1994) durch die Subskalen Katastrophisieren, Hilf-/Hoffnungslosigkeit und Durchhalteappelle ermittelt. Zur Überprüfung der a priori formulierten Hypothese wurde die Pfadanalyse als Spezialfall der Strukturgleichungsmodelle gewählt. Ergebnisse: Für das a priori formulierte Pfadmodell ergibt sich eine akzeptable Modellanpassung (RMSEA = . 079). Festgestellt wurde, dass kognitive Schmerzverarbeitungsmerkmale auch bei akuten und subakuten Rückenschmerzpatienten die Beziehung von Schmerz und Depressivität mediieren. Hypothesenkonform wurde gefunden, dass Schmerz selbst keinen direkten Einfluss auf Depressivität hat, sondern dass Katastrophisieren indirekt über Hilf-/Hoffnungslosigkeit diese Beziehung mediiert. Die vorliegenden Ergebnisse zeigen ferner, dass die Beziehung zwischen Schmerz und Depressivität durch Durchhalteappelle mediiert wird. Diskussion: Es konnte nachgewiesen werden, dass kognitive Mediatoren wie Hilf/Hoffnungslosigkeit, Katastrophisieren und Durchhalteappelle einen bedeutsamen Einfluss auf die Depressivität bei akuten und subakuten Rückenschmerzen ausüben. Schlussfolgerung: Die Ergebnisse der vorliegenden Studie können dazu beitragen, das Therapieangebot für subakute Rückenschmerzpatienten dahingehend zu optimieren, dass der Bearbeitung dysfunktionaler Schmerzverarbeitungsstrategien wie z. B. den suppressiven Kognitionen (sogenannte Durchhalteappelle) in der klinischen Praxis vermehrt Aufmerksamkeit geschenkt wird.
P09.6 Quantitative sensorische Testung und psychosoziale Faktoren bei muskuloskelettalen Schmerzsyndromen U. Kiessling1, S. Becker1, D. Matte1, D. Baus1, D. Kleinböhl1, H. Flor2, R. Hölzl1 1 Otto-Selz-Institut für Angewandte Psychologie, Mannheim, 2Central Institute of Mental Health, University of Heidelberg, Mannheim Fragestellung: Wie mehrfach in der Literatur beschrieben ist die Schmerzwahrnehmung bei chronischen Schmerzpatienten mit muskuloskelettalen Schmerzen im Vergleich zu Gesunden sowohl hinsichtlich statischer Schwellensensibilität als auch hinsichtlich dynamischer Schmerzsensibilisierung verändert. Die bisherigen Befunde variieren allerdings sowohl bei Patienten mit unterschiedlichen Schmerzdiagnosen als auch innerhalb einer Diagnosegruppe. Die Schmerzwahrnehmung scheint somit noch von anderen Faktoren beeinflusst zu werden. Entsprechend einem biopsychosozialen Modell der Schmerzchronifizierung kann davon ausgegangen werden, dass auch psychosoziale Faktoren einen Einfluss auf die Schmerzwahrnehmung haben. Die vorliegende Studie untersucht mit Hilfe der quantitativen sensorischen Testung (QST) die Schmerzwahrnehmung bei Patienten mit muskuloskelettalen Schmerzsyndromen (unspezifische Rückenschmerzen, URS und Fibromyalgie, FMS) im Vergleich zu Gesunden (GES). Darüber hinaus wird untersucht, ob die beiden Patientengruppen (URS, FMS) Unterschiede in psychosozialen Aspekten des Schmerzleidens und der Schmerzverarbeitung zeigen. Material und Methoden: Bei allen drei Gruppen erfolgte eine ausführliche Diagnostik mittels Fragebögen, Interviews und QST. Den Patienten wurden zusätzlich Bögen zur Erfassung der psychosozialen Aspekte der Schmerzproblematik vorgelegt, wie zum Beispiel die deutsche Version des West Haven-Yale Multidimensionalen Schmerzfragebogens (WHYMPI, dt. Version: MPI-D). Der Fragebogen erfasst neben dem subjektiven Schmerzerleben auch die Schmerzbewältigung und subjektiv wahrgenommene Aktivität in verschiedenen Lebensbereichen. Die Untersuchung der Schmerzverarbeitung mit QST erfolgte mit Hilfe von thermischer Kontaktreizung am nicht-dominanten Thenar sowie dem dominanten Trapezius und erfasste folgende psychophysikalische Kennwerte: Warmschwelle, selbst eingestellte, phasische und tonische Schmerzschwelle. Darüber hinaus wurden mit einem Druckalgometer die Druckschmerzschwellen an den oben genannten Reizorten (sowohl rechts als auch links) bestimmt. Ergebnisse: FMS Patienten unterscheiden sich von Gesunden durch niedrigere phasische und tonische Schmerzschwellen, während URS zwischen FMS Patienten und Gesunden liegen. Schmerzsensibilisierung unterscheidet die Gruppen im Gegensatz zu früheren Befunden zunächst nicht voneinander. Erst eine Klassifizierung der Patientengruppen mit Hilfe einer hierarchischen Clusteranalyse über die MPI-D Skalen identifiziert eine hoch belastete Subgruppe, die durch verstärkte Sensibilisierung auffällt. Weitere Subgruppen mit spezifischen psychosozialen Merkmalen werden anhand von QST und Schmerz-Verarbeitungsaspekten beschrieben. Diskussion und Schlussfolgerungen: Die Studie zeigt wie Faktoren des psychosozialen Umfelds Subgruppen von Patienten identifizieren können, die sich durch besondere Aspekte der Schmerzverarbeitung, wie verstärkte Sensibilisierung, charakterisieren lassen. Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft: Klinische Forschergruppe 107, Projekt Ho 904/11-1,2.
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Abstracts P09.7 Multimodale Schmerztherapie bei chronischen Rückenschmerzen und gleichzeitiger Depression: TNFα und klinische Parameter im Verlauf C. Ahrens1, W. Magerl2, M. Schiltenwolf3, H. Wang3 1 Vulpius Klinik GmbH, Sektion Orthopädie, Bad Rappenau, 2Zentrum für Biomedizin und Medizintechnik (CBTM), Forschungsbereich Neurobiologie, Medizinische Fakultät Mannheim, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Mannheim, 3Universitätsklinikum Heidelberg, Stiftung Orthopädische Universitätsklinik Heidelberg, Sektion Schmerztherapie, Heidelberg Einleitung: Die Komorbidität von chronischen Schmerzen und Depression ist fast die Regel, weniger eine Ausnahme, so auch bei chronischen Rückenschmerzen. Jede der beiden Krankheitsentitäten begünstigt die Entwicklung und ist Prediktor der jeweils anderen. Bezüglich ihrer Pathophysiologie gibt es vielfältige Überschneidungen. Zytokine spielen eine entscheidende Rolle bei der interzellulären Kommunikation innerhalb von sowie zwischen Gehirn und Körper. Proinflammatorische Zytokine (IL-1, IL-6, TNFa) lösen charakteristischerweise das „sickness behavoir“ mit Symptomen erhöhter Schmerzwahrnehmung und denen einer Depression aus. Die Erhöhung proinflammatorischer Zytokine korreliert mit der Prevalenz einer Depression und Phänomenen der Schmerzwahrnehmung wie periphere und zentrale Sensibilisierung sowie Hyperalgesie. Ziel der Studie war die Überprüfung der Hypothese, dass erhöhte TNFa-Werte im Serum nur bzw. um so höher bei chronischen Rückenschmerzen (myofaszialer Rückenschmerz von mindestens 3 Monate Dauer) und gleichzeitiger Depression (klinisch mindestens mittelgradige depressive Episode und ADS = 25) (CR+DE) im Gegensatz zu chronischen Rückenschmerzen allein (CR) zu finden sind. Darüber hinaus wurden klinische Parameter erhoben und der Erfolg einer multimodalen Therapie in beiden Gruppen verglichen. Material / Methoden: In beiden Gruppen (jeweils n=29) wurden die Serumspiegel von TNFa über 6 Monate und zu den Zeitpunkten Tag 0 (t0), Tag 10 (t1), Tag 21 (t2) und Tag 180 (t3) bestimmt und gesunden Kontrollen (n=29) gegenübergestellt. Außerdem wurden folgende klinischen Parameter zu den Zeitpunkten Tag 0 (t0), Tag 21 (t2) und Tag 180 (t3) gemessen: durchschnittliche Schmerzstärke der letzten 24 Stunden (Schmerz 24h) und letzten 7 Tage (Schmerz 7d) (numerische Analogskala, NAS, 0-10), Werte der Allgemeinen Depressionsskala (ADS, 0-60) sowie Werte des Roland and Morris Disability Questionaire (RDQ, 0-24) an den Tagen 0 und 21. Gruppenunterschiede und Veränderungen im Verlauf wurden untersucht. Zwischen t0 und t2 nahmen alle Patienten an einer stationären multimodalen Schmerztherapie teil, zum Zeitpunkt t3 waren alle Patienten ambulant. Ergebnisse: Zum Zeitpunkt t0 liegen die TNFa-Werte beider Gruppen (CR+DE und CR) signifikant über dem der gesunden Kontrollen, nach signifikantem Abfall beider Serumspiegel nach 10 Tagen besteht zu den übrigen Zeitpunkten kein signifikanter Unterschied gegenüber den Kontrollen. Im Gesamtverlauf von 180 Tagen gibt es einen signifikanten Abfall der TNFa-Werte beider Gruppen zu verzeichnen. Signifikante Gruppenunterschiede bezüglich der TNFa-Werte bestehen zu keinem Zeitpunkt. Bezüglich der ADS liegt zu den Zeitpunkten t0 und t2 die komorbide Gruppe CR+DE signifikant über den Werten der Gruppe CR. Nach 6 Monaten besteht kein signifikanter Unterschied mehr zwischen den Gruppen. Beide Gruppen unterscheiden sich zu keinem Zeitpunkt signifikant bezüglich ihrer durchschnittlichen Schmerzen (Schmerz 24h/7d). Zu Beginn (Tag 0) und nach 21 Tagen liegen die Mittelwerte der komorbiden Gruppe CR+DE über denen der Gruppe CR. Nach 180 Tagen liegt der Mittelwert der Gruppe CR+DE unter dem der Gruppe CR. Die Gruppe CR verbessert sich im ersten Teilabschnitt (Tag 0-21) signifikant in beiden Schmerzvariablen, verschlechtert sich aber jeweils im zweiten Teilabschnitt (Tag 21-180) ohne Signifikanz, sodass lediglich nicht signifikante Verbesserungen nach 180 Tagen zu verzeichnen sind. Die Gruppe CR+DE verbessert sich in beiden Teilabschnitten (Tag
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0-21, 21-180) und im Gesamtverlauf (Tag 0-180) in beiden Schmerzvariablen, wobei die Verbesserungen zwischen Tag 0 und 21 sowie die zwischen Tag 0 und 180 signifikant, die zwischen Tag 21 und 180 nicht signifikant sind. Der RDQ als Maßzahl rückenbezogener Beeinträchtigung ist zu beiden Messzeitpunkten in der Gruppe CR+DE höher als in der Gruppe CR, und zwar an Tag 0 signifikant an Tag 21 nicht mehr. Beide Gruppen verbessern sich signifikant zwischen Tag 0 und 21. Diskussion: Für die TNFa-Serumwerte erscheint es unerheblich, ob eine depressive Komorbidität besteht, denn es gibt zu keinem Zeitpunkt signifikante Gruppenunterschiede. Im Gesamtverlauf nach multimodaler Schmerztherapie und zeitgleich mit einer signifikanten klinischen Schmerzreduktion und Besserung rückenbezogener Beeinträchtigung sinken die TNFa-Serumwerte beider Gruppen als Hinweis für eine pathophysiologische Beteiligung von TNFa bei der Schmerzgenese. Im Gruppenvergleich scheint die komorbide Rückenschmerzgruppe – gekennzeichnet durch stärkere rückenbezogene Beeinträchtigung und höhere durchschnittliche Schmerzen – schwerer betroffen, profitiert jedoch nachhaltiger mit Schmerzreduktion auch in der Phase nach der stationären multimodalen Schmerztherapie und somit signifikanter Schmerzreduktion nach 180 Tagen. Der ADS-Wert der komorbiden Gruppe normalisiert sich im Gesamtverlauf auf Werte nicht depressiver Patienten. P09.8 Muskulärer Blutfluss während venöser Stauung und arterieller Ischämie bei Patienten mit Fibromyalgie-Syndrom und gesunden Probanden S. Jäger, S. Rehm, E. Burger, J. Koroschetz, G. Wasner, R. Baron Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Kiel Fragestellung: Das Fibromyalgie-Syndrom (FMS) ist eine chronische Schmerzerkrankung. Es ist durch muskuloskeletale Schmerzen in unterschiedlichen Körperregionen, eine erhöhte Druckschmerzhaftigkeit und mögliche zusätzliche Symptome, wie vegetative Störungen, affektive Störungen und Schlafstörungen gekennzeichnet. Die Entstehungsmechanismen der Erkrankung sind erst in Teilen geklärt. Verschiedene Studien weisen auf eine reduzierte Oxygenierung der Muskulatur und eine Veränderung der Aktivität des sympathischen Nervensystems hin. Das Ziel der vorgestellten Studie war es den muskulären Blutfluss bei Patienten und einem gesunden Kontrollkollektiv während einer experimentellen venösen Stauung und einer arteriellen Ischämie zu analysieren. Von besonderem Interesse war dabei die Frage, ob Patienten mit FMS Regulierungsmuster aufweisen, die sich von denen gesunder Probanden unterscheiden. Zusätzlich wurde überprüft, ob es Unterschiede in der Schmerzentwicklung in Abhängigkeit der Untersuchungsmethoden gibt. Material und Methode: Mit Hilfe einer Kombination aus Laser-Doppler-Spektroskopie und Gewebespektrometrie (Gerät O2C, LEA Medizintechnik GmbH) wurde bei 20 Patienten und 10 gesunden Kontrollen der muskuläre Blutfluss analysiert. Zunächst wurde eine Sonde am Unterarm über dem M. brachioradialis appliziert und der Ruheblutfluss dokumentiert. Danach wurde für 3 Minuten eine venöse Stauung und nach einer 10-minütigen Ruhephase eine arterielle Ischämie durch Aufpumpen eine Blutdruckmanschette am Oberarm erzeugt. Während und nach jeder Untersuchungs-Phase wurden die Schmerzen mit der NRS-Skala erfasst. Ergebnisse: Während der venösen Stauung und der arteriellen Ischämie konnten keine Unterschiede im Blutfluss in der Muskulatur zwischen Patienten und Probanden festgestellt werden. Bei FMS-Patienten, nicht aber bei den gesunden Kontrollen, konnte gezeigt werden, dass der muskuläre Blutfluss nach der arteriellen Ischämie signifikant höher war als in der Phase nach der venösen Stauung. Des Weiteren zeigte sich bei Patienten ein signifikant höherer muskulärer Blutfluss direkt nach Lösen der venösen Stauung im Vergleich zur Endphase der
venösen Stauung als bei Gesunden. Die NRS-Werte der FMS-Patienten waren zu jedem Zeitpunkt signifikant höher als die der Gesunden. Diskussion und Schlussfolgerung: Der muskuläre Blutfluss bei FMSPatienten war nach der arteriellen Ischämie signifikant höher als in der Phase nach der venösen Stauung. Dieser Effekt beruht hauptsächlich darauf, dass der Blutfluss nach der venösen Stauung bei den Patienten im Gegensatz zu den Gesunden nicht das ursprüngliche Niveau des Ruheblutflusses erreichte. FMS-Patienten können zudem sowohl die venöse Stauung als auch die arterielle Ischämie nicht im gleichen Maße tolerieren wie gesunde Probanden und reagieren mit stärkeren Schmerzen. P09.9 Strukturelle Veränderungen der grauen Substanz alsFolge chronischer Schmerzen- ein Beispiel kortikaler Plastizität R. Rodriguez-Raecke1, A. Niemeier2, K. Ihle1, W. Ruether2, A. May1 1 Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf, Hamburg, 2Uniklinik Hamburg Eppendorf, Hamburg Fragestellung: Eine Reduktion der grauen Substanz bei Patienten mit chronischem Schmerz in schmerzverarbeitenden Arealen wurde in mehreren Studien beschrieben 1. Die zugrundeliegenden Prozesse dieser Veränderungen, bei denen mit großer Wahrscheinlichkeit Plastizität und funktionelle Reorganisation in Arealen der Schmerzmatrix eine Rolle spielen, sind weitgehend unklar. Die entscheidende Frage ist hier, ob diese strukturellen Veränderungen Ursache oder Konsequenz der chronischen Schmerzen sind. Material und Methode: Es wurden von 32 Patienten mit unilateraler Coxarthrose und chronischem Hüftschmerz und einer gesunden altersgematchten Kontrollgruppe (n=32) strukturelle MRT-Daten erhoben und mit voxelbasierter Morphometrie (VBM) ausgewertet. Eine Subgruppe der Coxarthrose-Patienten (n=20) wurde nach erfolgreicher endoprothetischer Versorgung und in schmerfreiem Zustand zu drei weiteren Zeitpunkten (6-8 Wochen, 3 Monate sowie 1 Jahr nach OP) mit MRT untersucht. Diese longitudinalen Daten wurden mit VBM2 (SPM2) analysiert. Ergebnisse: Bei dem Gruppenvergleich zeigte sich ein charakteristisches Muster verminderer Dichte der grauen Substanz in schmerzverarbeitenden Arealen in der Patientengruppe; dies betraf vor allem das anteriore Cingulum(ACC), Insula, Operculum, dorsolateraler präfrontaler Cortex, orbitofrontaler Cortex, Amygdala und Hirnstamm (p<0.001 unkorrigiert). Bezüglich der longitudinalen Analyse der Patientengruppe war eine Zunahme der Dichte der grauen Substanz in schmerzverarbeitenden Arealen ( ACC und Insula, p<0.001) über die Zeit zu beobachten. Diese Ergebnisse bestätigen die Daten einer frühen Pilotstudie 2. Diskussion: Es ist plausibel anzunehmen dass die strukturellen Veränderungen der Dichte der grauen Substanz in der Patientengruppe eine Folge der chronischen Schmerzen sind und nicht den Schmerzen vorrausgehen, da sich diese morphometrischen Veränderungen nach erfolgreicher Behandlung der Schmerzen zumindest teilweise zurückbilden. Die Verminderung der Dichte der grauen Substanz scheint hier ein plastischer und kein degenerativer Prozess zu sein. Möglicherweise handelt es sich hier um eine kortikale Reorganisation aufgrund einer Änderung des nozizeptiven Inputs. Literatur: 1. May A. Chronic pain may change the structure of the brain. Pain. Jul 2008;137(1): 7-15. 2. Rodriguez-Raecke R, Niemeier A, Ihle K, Ruether W, May A. Brain gray matter decrease in chronic pain is the consequence and not the cause of pain. J Neurosci. Nov 4 2009;29(44): 13746-13750.
P09.10 Körperliche Aktivität im Alltag nach lumbaler Diskotomie: Zur Rolle der auf das Avoidance-Endurance Modell basierenden Subgruppen H. Plaas1, R. Willburger2, M. Hasenbring1 1 Ruhr-Universität Bochum, 2Orthopädische Universitätsklinik des St. Elisabeth-Hospitals Bochum Fragestellung: Im Gegensatz zur selbstberichteten Disability gibt es wenig Anhaltspunkte für einen Zusammenhang zwischen objektiv erhobener Aktivität und chronischem Rückenschmerz. Die Fragestellung der Studie war die Untersuchung des Zusammenhang zwischen objektiv erhobener körperlicher Aktivität und Rückenschmerzen und ob dieser Zusammenhang eher durch die Schmerzreaktionsmuster des Avoidance-Endurance Modells (AEM) oder durch die selbstberichtete(n) Disability/Schmerzen erklärt wird. Eine weitere Fragestellung untersucht, ob dieser Zusammenhang von der Tageszeit (Arbeitszeit vs Freizeit) abhängt. Methoden: 49 Patienten sechs Monate nach einer ersten lumbalen Diskotomie füllten Fragebögen aus (VonKorff Chronic Pain Grade CPG, Avoidance Endurance Questionnare AEQ, Funktionsfragebogen Hannover FFbH) und unterzogen sich einer zwölfstündigen Accelerometer-Messung (DynaPort®/McRoberts) ihrer Aktivität im Alltag (Physical activity level PAL, number of constant postures CP, standing time %, sitting time %). Die Stichprobe wurde zunächst in Patienten mit fortwährenden Schmerzen (NRS: 3-10) und in Patienten mit geringen/keinen Schmerzen (NRS: 0-2) aufgeteilt. Anschließend wurde die gesamte Stichprobe mithilfe des AEQ in vier Subgruppen unterteilt: 1. Adaptive response pattern to pain (AR), 2. Fear-avoidance response pattern to pain (FAR), 3. Eustress Endurance response pattern to pain (EER; mit heiterer Stimmung) und 4. Distress Endurance response pattern to pain (DER; mit depressiver Stimmung). Ergebnisse: Während die Schmerzgruppen sich nicht in ihrer mit Accelerometer gemessenen physischen Aktivität unterschieden, wohl aber in ihrer selbstberichteten Disability, zeigten die AEQ-Subgruppen Unterschiede hinsichtlich der selbstberichteten, aber auch der objektiv erhobenen Daten. In der Gesamtgruppe (n = 49) zeigten DER einen höheren PAL als FAR und eine höhere Anzahl an CP als AR und FAR. Bei den Veränderungen über den Tag (n = 38) zeigten DER die höchste Anzahl an CP während der Arbeits- und Freizeit. Patienten mit EER zeigen die höchste Schmerzintensität trotz einer den Patienten mit AR ähnlichen geringen Disability und einer mittleren Anzahl an CP. Diskussion: Obwohl Patienten mit fortwährenden Schmerzen eine höhere Disability in ihrem Alltag angaben, zeigten sie kein geringeDer Schmerz Supplement 1 · 2010
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Abstracts res Aktivitätsniveau als die Patienten, die keine bzw. wenige Schmerzen berichteten, im Gegensatz zur Theorie des Disuse-Syndroms. Patienten mit DER zeigten trotz hoher Schmerzen und Fatigue die höchste Anzahl an CP im Vergleich zu den anderen Gruppen. Dies kann für ein Chronifizierungsrisiko durch starke Belastung der Wirbelsäule sprechen. Die unterschiedlichen Ergebnisse zu beiden Endurance-Gruppen sprechen für eine grundsätzliche Unterscheidung von DER und EER. Schlussfolgerungen: Die Untersuchung der auf das AEM basierenden Subgruppen der Schmerzverarbeitung kann zur Erklärung des Zusammenhangs zwischen körperlicher Aktivität und chronischen Rückenschmerzen beitragen. P09.11 Tolerability of Tapentadol Extended Release Versus Oxycodone Controlled Release in Elderly Patients With Chronic Low Back or Osteoarthritis Pain in a 1-Year Safety Study D. Biondi1, J. XIANG2, R. Lange3, M. Etropolski4, G. Vorsanger1, B. Moskovitz1 1 Ortho-McNeill Janssen, Raritan, USA, 2Northwest Indiana Center for Clinical Research, Valparaiso, USA, 3Grünenthal GmbH, Aachen, 4Johnson & Johnson Pharmaceutical Research & Development, New Jersey, USA In a phase 3, randomized, open-label, 1-year safety study in adults with moderate to severe chronic low back pain or osteoarthritis pain, tapentadol extended release (ER; 100-250 mg bid) aprovided similar pain relief to oxycodone HCl controlled release (CR; 20-50 mg bid), with improved gastrointestinal tolerability (ClinicalTrials. gov Identifier: NCT00361504). This posthoc analysis evaluated incidences of and study discontinuations due to overall and gastrointestinal treatmentemergent adverse events (TEAEs) among patients = 65 years of age. Times to onset of and discontinuations due to constipation, nausea, or vomiting were estimated using Kaplan-Meier plots (treatment differences were compared using the log-rank test); the percentage of treatment days with these TEAEs was calculated (treatment differences were compared using the Wilcoxon test). Of 1,117 patients analyzed for safety, 312 patients were = 65 years of age (tapentadol ER, n = 245; oxycodone CR, n = 67). Among patients = 65 years of age in the tapentadol ER and oxycodone CR groups, respectively, 87.8 % and 94.0 % of patients reported at least 1 TEAE and 57.6 % and 76.1 % of patients reported gastrointestinal TEAEs (most were mild or moderate). Patients = 65 years of age who received tapentadol ER compared with oxycodone CR experienced significantly lower percentages of treatment days with nausea (5.4 % vs 14.0 %), vomiting (2.4 % vs 7.2 %), or constipation (14.9 % vs 31.6 %; nominal longer with tapentadol ER than with oxycodone CR (nominal [log-rank test]). In the tapentadol ER and oxycodone CR groups, respectively, any TEAE led to study discontinuation in 33.1 % and 49.3 % of patients = 65 years of age, and gastrointestinal TEAEs led to study discontinuation in 14.3 % and 31.3 % of patients = 65 years of age. Times to withdrawal due to nausea, vomiting, or constipation were significantly longer with tapentadol ER than with oxycodone CR (nominal associated with better gastrointestinal tolerability and a lower rate of study discontinuations due to TEAEs than oxycodone CR in patients = 65 years of age with moderate to severe chronic pain. P09.12 Gesundheitsbezogene Outcomes von Tapentadol Extended Release bei chronischen lumbalen Rückenschmerzen D. Shapiro1, R. Bunyak2, A. Okamoto1, I. Van Hove3, B. Lange4, M. Etropolski1 1 Johnson & Johnson, Beerse Pharmaceutical Research & Development, New Jersey, USA, 2Nortwest Indiana Center for Clinical research, Valparaiso, USA, 3 Johnson & Johnson, Beerse, Belgien, 4Grünenthal GmbH, Aachen Zielsetzung: Evaluierung von Gesundheitssurvey-Ergebnissen in Zusammenhang mit Tapentadol Extended Release (ER) zur Behand-
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lung von mittelstarken bis starken, chronischen lumbalen Rückenschmerzen. Design: Die Patienten wurden randomisiert und erhielten während einer 12-wöchigen Erhaltungsphase zweimal täglich kontrollierte, adjustierbare Dosen Tapentadol ER (100-250mg), Oxycodon-HCl Controlled Release (CR; 20-50mg) oder Placebo. Der Erhaltungsphase ging eine 3-wöchige Titrationsperiode voraus, um eine hinsichtlich Wirksamkeit und Verträglichkeit optimal ausbalancierte stabile Dosis zu bestimmen. Setting: Klinische Forschungseinrichtungen in den Vereinigten Staaten, Australien und Kanada. Studienteilnehmer: Erwachsene mit chronischen lumbalen Rückenschmerzen (durchschnittliche Ausgangsschmerzintensität = 5,0 auf einer numerischen 11-Punkte-Ratingskala; 0 = „kein Schmerz“, 10 = „stärkster vorstellbarer Schmerz“). Zielparameter: Der 5-dimensionale EuroQol (EQ-5D)-Fragebogen, der den Gesundheitszustand anhand der Dimensionen Beweglichkeit/ Mobilität, allgemeine Tätigkeiten, Schmerzen/körperliche Beschwerden, für sich selbst sorgen, Angst/Niedergeschlagenheit misst, und der Short Form 36 (SF-36)-Gesundheit survey (misst das Wohlbefinden anhand von 8 Dimensionen: körperliche Funktionsfähigkeit,körperliche Rollenfunktion, körperliche Schmerzen, allgemeine Gesundheitswahrnehmung, Vitalität, soziale Funktionsfähigkeit, emotionale Rollenfunktion, psychisches Wohlbefinden) wurden zu vorbestimmten Zeitpunkten ausgefüllt und mithilfe eines Kovarianzanalyse-Modells mit Ausgangswert als Kovariate verglichen. Zur Imputation fehlender Messwerte wurde die Last-Observation-Carried-Forward Methode. Ergebnisse: In der Intent-to-Treat-Population (n = 958) wurden gegenüber Placebo statistisch signifikante Verbesserungen im EQ-5D-Gesundheitsstatusindex sowohl unter Tapentadol ER (Änderung des Least-Squares-Mean [LSM; Kleinste-Quadrate-Mittelwert] zwischen Ausgangszeitpunkt und Studienende 0,17; LSM-Differenz vs. Placebo 0,05 [P = 0,020]) als auch unter Oxycodon CR (Änderung der LSM gegenüber dem Ausgangszeitpunkt 0,17; LSM-Differenz vs. Placebo 0,05; P = 0,019) beobachtet. Die mittleren Änderungen der SF-36Scores zwischen Ausgangszeitpunkt und Studienende waren für Tapentadol ER statistisch signifikant in Bezug auf körperliche Funktionsfähigkeit (LSM-Differenz vs. Placebo 4,1; P = 0,013), körperliche Rollenfunktion (9,9; P < 0,001), körperliche Schmerzen (5,5; P < 0,001), Vitalität (3,2; P = 0,025) sowie körperliche Summenskala (2,3; P < 0,001). Signifikante Verbesserungen wurden unter Oxycodon CR versus Placebo bei der körperlichen Rollenfunktion (9,4; P < 0,001), körperlichen Schmerzen (6,3; P <0,001) sowie der körperlichen Summenskala (2,3; P < 0,001) festgestellt. Tapentadol ER wurde besser als Oxycodon CR toleriert und es kam seltener zu TEAEs* (75,5 % respektive 84,8 %) und Studienabbrüchen aufgrund von TEAEs* (16,7 % respektive 31,7 %). Schlussfolgerungen: Die Therapie mit 100-250mg Tapentadol ER 2x täglich bei Patienten mit mittelstarken bis starken, chronischen lumbalen Rückenschmerzen ging im Vergleich zu Placebo mit einer signifikanten Verbesserung der Gesamtgesundheit und des körperlichen Gesundheitszustands einher. P09.13 Reduktion von „attentional load“: Hat suppressive Schmerzverarbeitung einen Einfluss auf Schmerzempfinden und kognitive Leistungsfähigkeit unter experimenteller Doppelbelastung? S. Held, K. Burkhardt, M. Hasenbring Ruhr-Universität Bochum Fragestellung: Prospektiven Studien zufolge trägt eine suppressive Schmerzverarbeitung (SS) mit Thought Suppression (TS) auf kognitiver und Pain Persistence (PP) auf behavioraler Ebene langfristig zur Aufrechterhaltung und damit Chronifizierung von Schmerzen bei. Kurzfristig sind Menschen häufig Schmerzen ausgesetzt, während sie gerade spezifische Ziele/Aufgaben verfolgen. Es kommt zu einem spezifischen attentional load (Legrain, 2009). Hoch ausgeprägte SS könnte dazu führen, dass die kognitive Leistungsfähigkeit erhalten bleibt und
Ablenkung vom Schmerz besser gelingt. In der vorliegenden Studie wurde bei gesunden Probanden die Auswirkung dieser Schmerzreaktionen auf die Schmerzempfindlichkeit und die kognitive Leistungsfähigkeit während nozizeptiver Stimulation untersucht. Material und Methoden: 26 gesunde Probanden wurden einer Schmerzinduktion (Cold Pressor Test CPT) ausgesetzt, während sie eine kognitive Rechenaufgabe zu lösen hatten. Über den Avoidance-Endurance Questionnaire (Hasenbring et al. 2009), adaptiert für schmerzgesunde Personen, wurden die Thought Suppression Scale (TSS) und Behavioral Endurance Scale (BES) vorgegeben. Die Probanden bezogen ihre Antworten dabei auf gelegentliche, früher erfahrene Schmerzen im Alltag. Personen mit hoher versus niedriger SS wurden getrennt für beide Skalen über Medianhalbierung gebildet. Unterschiede in der Schmerzintensität und –toleranz sowie der kognitiven Leistungfähigkeit (Reaktionszeit, Fehlerzahl) wurden nonparametrisch über den Mann-Whitney-U-Test analysiert. Ergebnisse: Probanden mit hohen Ausprägungen in BES gaben für den CPT eine signifikant geringere Schmerzintensität (p<. 05) sowie eine höhere Schmerztoleranz (p<. 10) an als Probanden mit unter dem Median liegenden BES Scores. Weiterhin wiesen sie eine signifikant geringere Reaktionszeit (<. 05) und Fehlerzahl auf (p< . 10). Diese Unterschiede zeigten sich nicht hinsichtlich hoch und niedrig ausgeprägtem TS. Diskussion: Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass eine suppressive Schmerzverarbeitung auf der Verhaltensebene Personen kurzfristig dazu befähigt, sich bei gleichzeitiger Konfrontation mit Schmerzreizen und kognitiven Leistungsanforderungen effektiv vom Schmerz abzulenken und eine gute kognitive Leistung aufrechtzuerhalten. Suppressives Schmerzverhalten, welches langfristig zu einer Schmerzchronifizierung beiträgt, könnte auf diese Weise kurzfristig über operante Verstärkungsmechanismen aufrechterhalten werden. Schlussfolgerung: Diese an gesunden Probanden gewonnen Ergebnisse sollten im nächsten Schritt an Schmerzpatienten untersucht werden. Sollten auch Patienten mit subakuten oder chronischen Schmerzen und hoher Ausprägung in BES ebenfalls kurzfristig von ihrem Schmerzverhalten in dieser Weise profitieren, hat dies bedeutsame Implikationen für kognitiv-verhaltenstherapeutische Interventionen, die zur Prävention der Schmerzchronifizierung eingesetzt werden. Literatur: –– Hasenbring, M. I., Hallner, D. und Rusu, A. C. (2009). Fear-avoidance- and endurance-related responses to pain: development and validation of the Avoidance-Endurance Questionnaire (AEQ). European Journal of Pain, 13, 620-628. –– Legrain, V., Van Damme, S., Eccleston, C., Davis, K. D., Seminowicz, D. A. und Crombez, G. (2009). A neurocognitive model of attention to pain: behavioral and neuroimaging evidence. Pain, 144, 230-232.
P11 – Tumorschmerz und Palliativmedizin P11.1 Minderung von Durchbruchschmerzen bei Tumorpatienten mit nichtretardierten Opioiden – Abstral (200 µg sublingual) vs. Effentora (200 µg buccal) vs. Temgesic (0,2 mg sublingual) vs. Oramorph (10 mg oral) R. Zarth, L. Welte Zollernalb Klinikum, Albstadt Fragestellung: Durchbruchschmerzen (DBS) manifestieren sich als vorübergehende Exazerbationen von Tumorschmerzen, die ansonsten unter medikamentöser Kontrolle sind. Sie sind durch eine hohe, vom Tumor-Basisschmerz unabhängige, Schmerzintensität gekennzeichnet. Therapie der Wahl ist hierbei die Bedarfsmedikation mit rasch wirkenden Analgetika von kurzer Wirkdauer. Vier, als Bedarfsmedikation beim Durchbruchschmerz zur Verfügung stehende nicht-retardierte Opioide, wurden im Laufe der Studie hinsichtlich ihrer Wirkung auf
die Schmerzintensität und –Qualität der zweiten und weiterer DBSEpisoden und des Zeitpunkts des Wirkeintritts der DBS-Therapie verglichen. Material und Methode: Patienten mit Mammakarzinom (n=120; 5 Männer, 115 Frauen) im Alter von 45 bis 65 Jahren und mindestens 3 DBS-Episoden/Tag wurden in die Studie eingeschlossen. Nach einer Randomisierung in 4 Gruppen à 30 Patienten erhielten sie an 2 Tagen je nach Gruppenzugehörigkeit entweder Abstral® 200 µg sublingual oder Effentora® 200 µg sublingual oder Temgesic® 0,2 mg sublingual oder Oramorph® 10 mg oral pro DBS-Episode als Bedarfsmedikation. Die Schmerzintensität wurde zu Beginn jeder DBS-Episode und vor der Verabreichung der jeweiligen Bedarfsmedikation anhand einer VRS (Verbal Rating Scale von 0=kein Schmerz bis 10=nicht stärker vorstellbarer Schmerz) dokumentiert. Alle Patienten waren mit einem retardierten Opioid als Dauermedikation gut eingestellt und erhielten ab VRS 5 als Rescue Medikation die doppelte Dosis ihrer jeweiligen Basismedikation. Ergebnisse: Die zu Beginn der 1. DBS-Episode mit einem medianen VRS-Score von 8,1 (Abstral-Gruppe), 8,0 (Effentora-Gruppe), 7,9 (Temgesic-Gruppe) und 8,1 (Oramorph-Gruppe) gemessene Schmerzintensität ging bei der 2. DBS-Episode unter Abstral auf 7,2, Effentora auf 7,4, Temgesic auf 7,5 und Oramorph auf 7,4 Punkte zurück. Bis zur 4. DBS-Episode nahm die Ausgangs-Schmerzintensität in der AbstralGruppe am deutlichsten ab (VRS 6), gefolgt von der Effentora-Gruppe (VRS 6,5), Oramorph-Gruppe (VRS 7,2) und Temgesic-Gruppe (VRS 7,4). Die Wirkung von Abstral ist bei 11 Patienten, von Effentora bei 7, von Oramorph bei 6 und von Temgesik bei 1 Patient in weniger als 9 Minuten eingetreten. 9-12 Minuten dauerte der Wirkeintritt bei 14 Abstral-, 20 Effentora-, 12 Temgesic- und 13 Oramorph- Patienten. Bei weiteren 5 Abstral-, 3 Effentora-, 17-Temgesic- und 11 Oramorph-Patienten trat die Wirkung erst innerhalb von 13-20 Minuten ein. Schlussfolgerung: Abstralzeigte eine durchschnittlich schneller eintretende und ausgeprägtere Wirkung auf Durchbruchschmerzen bei erwachsenen, mit Retard-Opioiden basiseingestellten Tumorpatienten gegenüber den anderen getesteten nicht-retardierten Opioiden. Die Schmerzintensität und –Qualität der DBS-Episoden wurde unter Abstral bereits nach wenigen Minuten erheblich vermindert. P11.2 Tumorschmerztherapie und Prinzipien der Therapie von Palliativpatienten am Lebensende – Vergleich angehender Palliativ- und Notfallmediziner C. Lassen1, J. Vormelker2, N. Meyer1, E. Loeffler1, R. Meier1, K. Fragemann1, B. Graf1, G. Hanekop2, C. Wiese1 1 Universitätsklinikum Regensburg, 2Georg-August-Universität Göttingen Hintergrund: Die Therapie ambulanter Palliativpatienten erfordert u. a. eine hohe Expertise aller beteiligten Disziplinen (z. B. Symptomkontrolle – Tumorschmerztherapie). Palliativmediziner betreuen regelhaft Patienten am Ende des Lebens, während Notfallmediziner nicht selten situativ mit Bereichen der Palliativmedizin konfrontiert werden. Ziel der vorliegenden Untersuchung war es, spezielle Kenntnisse der Tumorschmerztherapie (Strukturqualitätsfaktor „schmerztherapeutische Kompetenz“) angehender Palliativ- und Notfallmediziner zu vergleichen. Methodik: Mithilfe eines standardisierten Fragebogens wurde die Zielvariable „Wissen“ von Teilnehmern (TN) mehrerer Palliativkurse (Inhalte gemäß Empfehlung BÄK 2007) bezüglich des WHO Stufenschemas zur Schmerztherapie (Therapiestufen, Therapieprinzipien und Substanzgruppen) vor Beginn des Kurses prospektiv fokussiert. Die Ergebnisse wurden retrolektiv mit Daten verglichen, die mittels desselben Fragebogens in einer weiteren Untersuchung bei angehenden Notfallmedizinern erhoben wurden. Es wurden zwei Gruppen (PM: angehende Palliativmediziner; NM: angehende Notfallmediziner) definiert. Ergebnisse: Insgesamt wurden 657 TN befragt. Es konnten 654 retournierte Fragebögen ausgewertet werden [PM: 185 (28,3 %¤); NM: 469 Der Schmerz Supplement 1 · 2010
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Abstracts (71,7 %¤)]. 461 TN (70,5 %¤) war das WHO Stufenschema nach eigenem Bekunden bekannt [PM: 164 (88,6 %); NM: 297 (63,3 %); p<0,0001)]. Die richtige Anzahl der Therapiestufen wurden von 361 TN (55,2 %¤) genannt [PM: 151 (81,6 %); NM: 210 (44,8 %); p<0,0001]. Die Therapieprinzipien (a. Applikation festes Zeitschema, b. Bevorzugung orale Applikation) konnten a. 337 (51,5 %¤) und b. 308 (47,1 %¤) TN richtig benennen. Bezüglich der Substanzgruppen konnten 445 TN (68 %¤) die Nicht-Opioid-Analgetika [PM: 161 (87 %); NM: 284 (60,6 %); p<0,0001), 446 TN (68,2 %¤) die mittelstarken Opioid-Analgetika [PM: 161 (87 %); NM: 285 (60,8 %); p<0,0001) und 454 TN (69,4 %¤) die starken Opioid-Analgetika (PM: 162 (87,6 %); NM: 292 (62,3 %); p<0,0001] richtig zuordnen. Bezüglich der Berufserfahrung (<5 J bzw. >5J) gab es in der Gruppe PM keine statistisch signifikanten Unterschiede (p>0,05); in der Gruppe NM waren TN mit <5J signifikant besser als TN mit >5J (p=0,001). Schlussfolgerungen: Die Studie konnte für die Zielvariable „Wissen“ (operationalisiert durch entsprechende Items des Fragebogens) unter Berücksichtigung bestimmter Stratfizierungskriterien zeigen, dass PM signifikant bessere Kenntnisse zur Tumorschmerztherapie haben als NM. Insgesamt belegte die vergleichende Untersuchung somit eine unzureichende schmerztherapeutische Kompetenz der NM. Eine frühzeitige Integration schmerztherapeutischer Ausbildungsinhalte (z. B. im Studium) erscheint sinnvoll (bessere Kenntnisse von NM, die < 5J Berufserfahrung haben). Ob so eine Verbesserung der Patientenversorgung resultiert, muss in klinischen Studien untersucht werden. Anmerkung: Prozentangaben im Ergebnisteil beziehen sich auf alle Teilnehmer (N=654). P11.3 Fentanyl Buccaltabletten zur Behandlung von Tumordurchbruchschmerzen – Zwischenauswertung einer nicht-interventionellen Studie S. Lotfi1, F. Mathers2, R. Zarth3, H. Mittendorf4, K. Freund4 1 Praxis für Hämatologie und Onkologie, Pforzheim, 2Praxis für Schmerztherapie und Anästhesiologie, Köln, 3Zollernalb Klinikum, Balingen, 4Cephalon GmbH, München Durchbruchschmerzen (DBS) stellen vorübergehende Verschlimmerungen von Schmerzen dar, die trotz anderweitig kontrollierter Dauerschmerzen auftreten. Die Mehrzahl der Krebspatienten (51-95 %) leidet unter DBS und Studien weisen darauf hin, dass diese Schmerzspitzen in Zusammenhang stehen mit körperlicher Einschränkung, schmerzbedingter Verzweiflung und Einschränkung der Lebensqualität. Die Fentanyl Buccaltablette (FBT) ist eine neue Opioidformulierung, die in Deutschland seit Januar 2009 und in Österreich seit Oktober 2009 auf dem Markt ist. Eine nicht-interventionelle Studie (NIS) wird momentan in Deutschland und Österreich durchgeführt, um den Routinegebrauch der FBT über einen Zeitraum von ca. 8 Wochen zu evaluieren. Neben der Erhebung von Daten zu Wirksamkeit, Verträglichkeit und zur Anwendung des Arzneimittels soll im Rahmen der NIS auch das Ausmaß der potentiellen Risiken von FBT in der klinischen Praxis untersucht werden. Eine Zwischenauswertung der Daten von ca. 200 Patienten bestätigte die Ergebnisse klinischer Studien zu FBT im Bezug auf Wirksamkeit und Verträglichkeit. In placebokontrollierten klinischen Studien führte FBT bereits nach 10 min zu einer signifikanten Schmerzlinderung. Im Rahmen der NIS reduzierte FBT die Schmerzintensität während der DBS Episoden deutlich. Die Mehrzahl der auswertbaren Patienten gab an, dass eine ausreichende Schmerzlinderung innerhalb von 10 min erreicht wurde. Dabei wurde die Handhabung des Arzneimittels von der großen Mehrheit der Patienten als einfach oder sehr einfach angegeben. Patienten, die von einer anderen DBS-Medikation auf FBT umgestellt wurden, bevorzugten häufig FBT gegenüber der bisherigen Medikation. Nur bei wenigen Patienten traten Nebenwirkungen der FBT Therapie auf. Die Ereignisse waren nicht-schwerwiegend und entsprachen dem bekannten Nebenwirkungsprofil von FBT. Einige Patienten verstarben während der Behandlung auf Grund einer Pro-
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gression der Grunderkrankung. Die behandelnden Ärzte gaben an, dass im Rahmen der Behandlung keine Hinweise auf missbräuchliche oder falsche Anwendung von FBT, auf versehentliche Einnahme durch Dritte oder die Weitergabe von FBT an Unbefugte erhalten wurden. Da auch nur bei einigen Patienten eine unzureichende Basistherapie mit Opioiden dokumentiert wurde, scheinen die Risikominimierungsmaßnahmen die potentiellen Risiken von FBT effektiv zu reduzieren. Insgesamt bewertete die überwiegende Mehrheit der Patienten die Zufriedenheit mit der Therapie als gut oder sehr gut. Die Ergebnisse dieser Interimsanalyse bestätigen damit die Ergebnisse der klinischen Prüfungen zu FBT und zeigen, dass FBT eine schnelle und sichere Option zur Behandlung von DBS bei Patienten darstellt, die eine Opioid-Basistherapie erhalten. P11.4 Stellt die intrathekale Therapie mit Ziconotid eine Bereicherung in der Tumorschmerztherapie dar? W. Hofacker Kreiskliniken Unterallgäu, Kreisklinik Ottobeuren Ziconotid ist das synthetisch hergestellte Conotoxin SNX111. Als Peptid stellt es unter den intrathekalen Analgetika die einzig wirkliche Neuentwicklung der letzten Jahrzehnte dar. Die Substanz wurde in der Kegelschnecke Conus magus entdeckt und ist seit 2005 in Deutschland zugelassen zur Therapie starker, chronischer Schmerzen, die einer intrathekalen Behandlung bedürfen. Da wir schon schnell nach Zulassung über umfangreiche Erfahrungen mit der Ziconotid-Therapie zur Behandlung nichttumorbedingter chronischer Schmerzen verfügten, führten wir diese Substanz bald in der Tumorschmerztherapie ein. Vorgestellt werden 2 Patienten mit metastasierendem Prostata-Carcinom, 1 Patient mit Pancreas-Carcinom sowie 1 Patient mit lymphatischer Leukämie, der unter massiven Wirbelsäulenschmerzen litt. Anhand von Verlaufsdiagrammen (Ziconotid-Dosierung versus VAS) kann gezeigt werden, dass Ziconotid auch bei Tumorpatienten eine gute bis sehr gute Wirkung zeigt. Bei den Patienten mit Prostata-Carcinom fiel auf, dass bereits bei sehr niedrigen Ziconotid-Dosen eine gute Analgesie erreicht wurde (1,5 µg/ Tag bzw. 2,5 µg/Tag). Nebenwirkungen traten bei diesen Patienten nicht auf, bei einem Patient war die Anfangsdosis die Enddosis, es waren keine Steigerungen notwendig. Fazit: Es kann gezeigt werden, dass bei Patienten mit metastasierendem Prostata-Carcinom, lymphatischer Leukämie und Pankreas-Carcinom mit Ziconotid eine gute bis sehr gute Analgesie bei vergleichsweise niedriger Dosierung erreicht werden kann. Nebenwirkungen traten bei diesen Patienten nicht auf. P11.5 „Der computergestützte „Therapiebegleiter“ zur Therapieverlaufskontrolle im Rahmen der AAPV im Hausarztbasiertem Palliativnetz / IABS-Netz e.V. (HPN) in Brandenburg“ K. Gastmeier Zentrum für ambulante Anästhesie und Schmerztherapie, Potsdam-Babelsberg Die Anwendung der Therapieverlaufskontrolle zielt auf die hausärztlich Versorgung von Krebspatienten zwischen Erstdiagnose (allgemeine ambulante Palliativversorgung in den verschiedenen Stufen (AAPV) und Spezieller ambulanter Palliativversorgung (SAPV). Das ursprüngliche Ziel des „Therapiebegleiters“ war und ist es weiterhin einen therapeutischen Ansatz gegen die Chronifizierung von Tumorschmerzen zu finden. Durch eine einfache Online-Anmeldung auf einer unabhängigen Plattform können spezielle Verlaufssymptome und Begleiteinschätzun-
gen eigenständig durch Patienten oder deren Angehörige durch regelmäßige und strukturierte Fragebögen erfasste werden. Die erhobenen Daten werden ausgewertet und dargestellt. Bei Auffälligkeiten im Trend können Hinweise an den Patienten erfolgen. Die Auswertungen sollen dann beim nächsten Arzttermin vorgelegt werden. Der Patient hat somit eine Basis für ein symptomorientiertes Gespräch mit dem Arzt in der Hand. Der behandelnde Arzt erhält erstmalig Verlaufswerte und Tendenzen über Zeiträume, unabhängig von weiteren Mitbehandlern, zum optimalen Einsatz und Abgleich von Therapiestrategien. Die Patienten – Arzt – Konsultation gestaltet sich wesentlich effektiver und konzentrierter, auch in zeitlicher Hinsicht. Der Einsatz kann unabhängig vom Arzt flächendeckend erfolgen, der schön gestaltete Bogen lädt zum Mitmachen, zur Einbindung der Patienten und zur Erhöhung der Adherence ein. Abweichungen und bisher unbemerkte Symptome im Verlauf, wie beispielsweise für Unterernährung, Schlaflosigkeit, Schmerzen etc. können frühzeitiger entdeckt und beobachtet werden, um ihnen im Rahmen eines hohen Qualitätsstandards und der Prophylaxe entgegen zu wirken. Neben der Dokumentation können die erfassten Daten wissenschaftlich ausgewertet und begutachtet werden. Ebenso dient die breite Datengrundlage in Ausbaustufen für die Entwicklung und Darstellung von qualitativ hochwertigen Behandlungspfaden, sowie für Versorgungs- und Qualitätsstandards.
therapie mit Taxol und Carboplatin 06/10 war die Schmerzsymptomatik im Bereich der Beine rückläufig, so dass der PDK entfernt werden konnte. In der terminalen Phase brachte ein transdermales FentanylPflaster und i. v. Morphin-Gabe weitgehende Schmerzfreiheit. Sie verstarb weniger Tage später im Rahmen eines septischen Krankheitsgeschehens. Schlussfolgerung: Patienten mit deutlich eingeschränkter Prognose und schlechtem Allgemeinzustand können bei vorliegen einer führend durch eine Tumorlokalisation bestimmten ausgeprägten Schmerzsymptomatik von einer einmaligen, hochpalliativen Radiatio mit 6-8 Gy bezüglich ihrer Schmerzen profitieren. Die Langzeitnebenwirkungen sind in diesem Fall nicht von Bedeutung. Bei chemotherapiesensitiven Tumoren kann eine Chemotherapie eine effektive Schmerzkontrolle erreichen. Die adäquaten Dosierungen bei Patienten mit reduziertem Allgemeinzustand sind unklar. Die gewünschten Effekte setzten jeweils innerhalb von wenigen Tagen ein.
P11.6 Therapieoptionen bei Analgetika refraktären Tumorschmerzen-Zwei Fallbeispiele B. Josten1, A. Zimmer1, E. Gaser2, U. Wedding2 1 Universitätsklinik Jena, 2Klinik Innere Medizin II, Jena
Hintergrund: Es soll der Fall einer 68-jährigen Patientin vorgestellt werden die an einem extraovariellen Karzinom erkrankt ist und aufgrund einer nicht beherrschbaren Schmerzsituation in unserer Palliativstation behandelt wurde. Anamnestisch waren analgetische Therapien mit Metamizol, Amitritylin, trandermalem Fentanyl, retardiertem Morphin, Tilidin, Pregabalin und Carbamazepin ohne ausreichenden Effekt geblieben. Wir haben die Patientin analgetisch auf L-Polamidon eingestellt, worunter sich eine deutliche Schmerzbesserung von VAS 10 auf VAS 4 einstellte. Die vorbeschriebene Allodynie verblieb jedoch. Methode: Zur Therapie der Allodynie und weiteren Schmerzreduktion therapierten wir mit lokalem Capsaicin (Qutenza®). Nach Überprüfung der Hautintegrität und nach Aufklärung der Patientin markierten wir das zu behandelnde Areal und brachten eine Lidocain-/ Prilocain-haltigeCreme (Emla®) für 60 Minuten auf mit anschließender Reinigung der Haut. Danach applizierten wir die zurecht- geschnittenen Capsaicin-haltigen Pflaster (Qutenza®) sacral und am linken Fuß. Einwirkzeit am Fuß 30 Minuten, sacral 60 Minuten. Nach Entfernung der Pflaster Reinigung der Haut mit dem vom Hersteller vorgesehenen speziellen Reinigungsgel. Ergebnisse: Nach passagerer Schmerzverstärkung und lokaler Rötung der Haut gab die Patientin sieben Tage nach Anwendung eine weitere Reduktion der Schmerzintensität auf VAS 3an, die Allodynie bestand nicht mehr. Schlussfolgerung: Lokales Capsaicin (Qutenza®) hat sich als eine wertvolle Therapieoption bei neuropathischen Schmerzen auch im Bereich Palliativmedizin erwiesen bei guter Verträglichkeit. Die Anwendung ist wenig belastend und die Wirkung tritt rasch ein.
Hintergrund: Die Inzidenz von mittelstarken bis starken Schmerzen bei Tumorpatienten im fortgeschrittenen Stadium beträgt 60 – 90 %. Es werden 2 Fälle vorgestellt, die schmerztherapeutisch schwer zu beherrschen waren und bei denen tumorspezifische Therapien, Radiatio und Chemotherapie, unter dem Aspekt der Symptomkontrolle trotz weit fortgeschrittener Erkrankung therapeutische Bedeutung erlangten. Kasuistik I: 26jährige Patientin mit metastasiertem Angiosarkom mit vertebralen, pulmonalen und hepatischen Metastasen. Nach Diagnosestellung 08/09 wurde die medikamentöse Schmerztherapie nach WHO Stufe III mit Metamizol, Hydromorphon und Gabapentin frühzeitig initiiert. Bis 10/09 erfolgte eine palliative Chemotherapie mit Doxorubicin und Ifosfamid, die wegen schwerer Toxizität abgebrochen wurde. Eine Zweitlinientherapien mit Taxol mono 11/09 und 12/09 und eine Drittlinientherapie mit Sorafenib (VEGF-TK-Inhibitor) brachten keinen nennenswerten Erfolg. 03/10 konnte durch einen Opioidwechsel von Hydromorphon auf Levomethadon die durchschnittliche NRS kurzzeitig von 8 – 10 auf 4 gesenkt werden. Bei erneuter Zunahme der Schmerzstärke kamen Lidocaininfusion, Ketamin-PCA-Pumpe und intrathekale Morphinapplikation über Schmerzpumpe zum Einsatz. Bei nicht Beherrschbarkeit der Schmerzen (NRS 10) entschied man sich für die einmalige Bestrahlung mit 8 Gy der die Schmerzen bestimmenden präsakralen Metastase unter analgetischer Zielsetzung. Es konnte eine akzeptable Schmerzlinderung erreicht werdender (NSR 3) und die Patienten ambulant geführt werden. Sie verstarb 3 Wochen später am foudroyanten Progress der hepatischen Metastasen und einer respiratorischen Insuffizienz. Kasuistik II: 28jährige Patientin mit CUP-Syndrom mit sarkomatösen Anteilen Nach positivem PAP III-Abstrich während der Schwangerschaft 04/10 wurde frühzeitig eine Sectio in der 35. SSW durchgeführt. Anschließend erfolgte eine radikale Hysterektomie mit LNE und Omenektomie. 05/10 wurde eine Schmerztherapie bei einschießenden Schmerzen besonders im linken Bein mit transdermalem Fentanyl-Pflaster, sowie Gabapentin, Phenytoin und Mirtazapin eingeleitet. Bei zunehmender Schmerzintensität konnte durch eine PDK-Anlage das Schmerzniveau von NRS 9 auf 4 – 5 gesenkt werden. Unter palliativer Chemo-
P11.7 Lokales Capsaicin bei neuropathischen Schmerzen in der Palliativmedizin A. Mund-Keller, P. Trottenberg, T. Wagner Klinik für Schmerztherapie und Palliativmedizin, Medizinisches Zentrum Städteregion Aachen GmbH, Aachen
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Abstracts P13 – Pharmakologische Therapie des Schmerzes I P13.1 Fentanyl Buccal Tablet vs Oxycodone Immediate-Release for the Management of Breakthrough Pain in Opioid-Tolerant Patients with Chronic Pain G. Varrassi University of Aquila, Coppito (AQ), Italien Several data show the effective dose of a rapid-onset, transmucosal opioid for breakthrough pain (BTP) is not related to the around-the-clock dose (ATC) of the drug (ref). No data exist, however, comparing with more traditional treatment, short-acting oral opioids. This is the first head-to-head study, conducted in 46 US centers comparing fentanyl buccal tablet (FBT) with oxycodone immediate-release (OxyIR) for BTP treatment. It included 2 randomized, open-label titration periods and 2 randomized, double-blind, double-dummy treatment periods. Opioid-tolerant adults with 1-4 breakthrough pain (BTP) episodes/ day were titrated with FBT and OxyIR to a successful dose that provided adequate analgesia without unacceptable adverse events (AEs). The doses of FBT were 200, 400, 600, 800 mcg and OxyIR: 15, 30, 45, 60 mg. Efficacy was evaluated by treating 10 BTP episodes with the successful dose for each drug. Patients rated BTP (pain intensity [PI], 0-10 scale) pre dose and 5-60 minutes post dose. The primary outcome was mean PI difference (PID15) 15 minutes post dose. Secondary measures included PID 5-60 minutes, pain relief (PR; 0-4 scale, 5-60 minutes), and medication performance assessment (MPA; 5-level categorical scale) at 30 and 60 minutes. 320 patients received treatment; 203 found a successful dose of both drugs and 183 were evaluable for efficacy. During the titration periods, 60 patients discontinued while receiving FBT and 69 while receiving OxyIR with similar reasons for discontinuation between treatments. There was no linear relationship between the successful dose of FBT or OxyIR and the ATC opioid dose. FBT was shown to be superior to OxyIR in the management of BTP episodes in opioid-tolerant patients with chronic non cancer pain, as evidenced by the primary efficacy criteria mean PID15 statistically significant (0.82 vs 0.59; p<0.0001) and most secondary criteria (PID 5-60 minutes (P<0.01), PR10-60 minutes (P<0.05), MPA (P<0.0001). FBT (200 to 800 mcg) was well tolerated and was shown to have a similar safety profile and tolerability as immediate-release oxycodone (15 to 60 mg). 162/320 (51 %) patients reported AEs, which were similar between treatments. In conclusion, for BTP treatment, onset of efficacy was faster following FBT vs OxyIR; with an analgesic effect of FBT observed as early as 5 minutes and similar tolerability profiles. P13.2 Responseraten in Placebogruppen von randomisierten Studien mit Antidepressiva und Kalzium- α2-δ-Liganden beim Fibromyalgiesyndrom E. Bartram-Wunn, C. Bartram, W. Häuser Klinikum Saarbrücken Fragestellung: Die Analyse der Responseraten in Placebogruppen pharmakologischer randomisierter kontrollierter Studien (RCTs) ist von Interesse für das Verständnis des Placeboeffektes als auch für die Optimierung des Designs von Studien in der Schmerztherapie. Bisher wurden Responseraten in Placebogruppen und ihre Prädiktoren in RCTs zur pharmakologischen Therapie der Arthrose und chronischer neuropathischer Schmerzen analysiert, nicht jedoch beim beim Fibromyalgiesyndrom (FMS).
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Material und Methoden: Wir aktualisierten die Literaturrercherchen unserer systematischen Übersichtsarbeiten zu Antidepressiva und Kalzium a2-d-Liganden (Pregabalin, Gabapentin) in MEDLINE, SCOPUS, Cochrane Central Register of Controlled Trials, Datenbank der Food and Drug Administration und des US National Institutes for Health and Industry bis Ende Mai 2010. Primäre Ergebnisvariable war die prozentuale Schmerzreduktion von Baseline zum Therapieende in der Placebogruppe, sekundäre Ergebnisvariable die Anzahl der Studien, in denen in der Placebogruppe eine klinisch bedeutsame Schmerzreduktion (= 10 %) gefunden wurde. Wir überprüften die Spearman-Rangkorrelation von prozentualer Schmerzreduktion mit folgenden studiencharakteristika- und patientenassoziierte potentiellen Prädiktoren: Zahl der Zentren und Studienvisiten, Gesamtpatienten in Studie, Dauer der Studie; Prozentsatz von Frauen, Weißen und gescreenter/randomisierter Patienten sowie Schmerzintensität zu Beginn der Studie. Ergebnisse: 32 Studien mit 9631 Patienten, davon 3422 unter Placebo, wurden analysiert. Die durchschnittliche prozentuale Schmerzreduktion in der Placebogruppe lag bei 12.2 % (Spannweite -20.2- 27.7 %). In 15 Studien lag die prozentuale Schmerzreduktion bei mindestens 10 %. Die durchschnittliche prozentuale Schmerzreduktion korrelierte mit der Zahl der Zentren (r=0.52, p=0.003), Dauer der Therapie (r=30.0, p=0.05), Anzahl der Studienvisiten (r=0.39, p=0.03) und Zahl der Gesamtzahl der Patienten in der Studie (r=0.46, p=0.004). Diskussion: Große Studien mit langer Therapiedauer und häufigen Studienvisiten sind mit hohen Responseraten in den Placebogruppen pharmakologischer Studien des FMS assoziiert. Schlussfolgerung: Ein Teil der Schmerzreduktion durch Placebo kann durch Aufmerksamkeit bzw. Zuwendung im Rahmen von klinischen Studien erklärt werden. P13.3 Noceboraten in Placebogruppen von randomisierten Studien mit Antidepressiva und Kalzium- α2-δ-Liganden beim Fibromyalgiesyndrom C. Bartram, E. Bartram-Wunn, W. Häuser Klinikum Saarbrücken Fragestellung: Die Analyse von Noceboraten (Studienabbruch wegen Nebenwirkungen) in Placebogruppen pharmakologischer randomisierter kontrollierter Studien (RCTs) ist von Interesse für das Verständnis des Nocebo- und Placeboeffektes. Analysen von Noceboeffekten wurden in placebokontrollierten medikamentösen Studien bei der Migränedurchgeführt, nicht jedoch anderen Krankheitsbildern wie dem Fibromyalgiesyndrom (FMS). Material und Methoden: Wir aktualisierten die Literaturrercherchen unserer systematischen Übersichtsarbeiten zu Antidepressiva und Kalzium a2-d-Liganden (Pregabalin, Gabapentin) in MEDLINE, SCOPUS, Cochrane Central Register of Controlled Trials, Datenbank der Food and Drug Administration und des US National Institutes for Health and Industry bis Ende Mai 2010. Primäre Ergebnisvariable war die Abbruchrate wegen Nebenwirkungen in der Placebogruppe. Wir überprüften die Spearman-Rangkorrelation der prozentualen Abbruchrate wegen Nebenwirkungen in der Placebogruppe mit folgenden studiencharakteristika- und patientenassoziierte potentiellen Prädiktoren: Zahl der Zentren und Studienvisiten, Gesamtpatienten in Studie, Dauer der Studie; Prozentsatz von Frauen, Weißen und gescreenter/randomisierter Patienten. Ergebnisse: 32 Studien mit 9631 Patienten, davon 3422 unter Placebo, wurden analysiert. Die durchschnittliche Abbruchrate wegen Nebenwirkungen in der Placebogruppe lag bei 7.9 % (Spannweite 0- 15.4 %). Die durchschnittliche Abbruchrate wegen Nebenwirkungen in der Placebogruppe korrelierte mit dem Alter (r=0.37, p=0.02), der Zahl der Studienzentren (r=0.36, p=0.02), Anzahl der Studienvisiten (r=0.48, p=0.004) und Zahl der Gesamtzahl der Patienten in der Studie (r=0.43, p=0.009).
Diskussion: Große Studien mit langer Therapiedauer und häufigen Studienvisiten sind mit hohen Noceboraten in den Placebogruppen pharmakologischer Studien des FMS assoziiert. Schlussfolgerung: Ein Teil der Nebenwirkungen von Placebo kann Patientenvariablen (Alter) und durch Studiencharakteristika (Studie mit großen Patientenkollektiven) erklärt werden. P13.4 Schmerzlinderung und Stimmungssteigerung bei chronischen Schmerzpatienten „trotz“ Opioidentzug? M. Hewig, B. Otto, J. Lutz Zentralklinik Bad Berka Fragestellung: Die wesentliche Rolle von Opioiden, die in der akut und postoperativen Schmerztherapie sowie bei tumorbedingten Schmerzen unumstritten ist, wird derzeit bezogen auf ihren Einsatz bei chronischen Nichttumorschmerzen (CNTS) zunehmend kritisch hinterfragt (Lutz, in press). Bei Patienten mit CNTS lässt sich häufig ein Missverhältnis feststellen zwischen hohen Opioiddosen in Langzeitanwendung bei gleichzeitig jedoch unzureichender Schmerzlinderung, starken unangenehmen Nebenwirkungen, Toleranzentwicklung und physischer Abhängigkeit. Aus Angst vor einer möglichen Schmerzverstärkung werden Opioide, die in der Schmerztherapie häufig noch entsprechend dem WHO-Stufenschema als „die stärksten Schmerzmittel“ angesehen werden, allerdings weiter verschrieben und von Patienten weiter eingenommen. Begleiterscheinungen wie psychomotorische Verlangsamung, Inaktivität, kognitive Beeinträchtigung, dysphorische Stimmung und reduzierte Lebensqualität werden dabei oft in Kauf genommen. Ziel der vorliegenden Studie war die Beleuchtung der These der Dysfunktionalität einer Langzeitanwendung von Opioiden bei CNTS und folglich einer Verbesserung des Wohlbefindens der Patienten durch einen Opioidentzug mit begleitender multimodaler Schmerztherapie. Material und Methode: In der vorliegenden naturalistischen Studie wurden Patienten mit CNTS bezüglich Veränderungen in Schmerzstärke und Depressivität nach einer dreiwöchigen multimodalen Schmerztherapiebehandlung untersucht. Dabei werden die Veränderungen bei 121 Patienten, die zu Beginn der stationären Schmerztherapie einen Opioidentzug wünschten mit 121 Patienten, die keine Opioide einnahmen, verglichen. Ergebnisse: Die varianzanalytischen Ergebnisse zeigen, dass sich bei allen Patienten signifikante Veränderungen in der Schmerzstärke und in der Depressivität ergeben, dass sich beide Gruppen allerdings nicht unterscheiden. Tendenziell lässt sich in der Entzugsgruppe sogar ein stärkerer Abfall in der Depressivität im Vergleich zu der Gruppe ohne Entzug erkennen. Diskussion: Erstaunlicherweise sinkt bei den Patienten nach Opioidentzug nicht nur das Schmerzniveau, sondern auch die Depressivität, d. h. die Patienten fühlen sich affektiv aufgehellter und antriebsstärker. Die Depressivität scheint sich bei den Patienten mit Entzug sogar etwas stärker zu reduzieren. Schlußfolgerung: Der Langzeiteinsatz von Opioiden in der Behandlung von Patienten mit CNTS ist kritisch zu hinterfragen. Multimodale Behandlungsprogramme mit indiziertem Opioidentzug führen trotz Entzug zu deutlicher Schmerzlinderung und verbesserter Lebensqualität. Der Einfluss einer Langzeitanwendung von Opioiden auf die Depressivität im Kontext einer chronischen Schmerzerkrankung muss in weiteren Studien untersucht werden. Lutz, J. F. (in press). Probleme der Opioidtherapie bei chronischen Schmerzpatienten. In B. Kröner-Herwig, J. Frettlöh, R. Klinger, P. Nilges (Hrsg.). Schmerzpsychotherapie. Heidelberg: Springer.
P13.5 Perforation eines Katheters zur intrathekalen Medikamentenapplikation – Schwierigkeiten bei der Diagnostik – ein Case Report T. Reck, N. Petrou, E. Chang, B. Meyer, W. Schleinzer Schweizer Paraplegiker Zentrum, Nottwil, Schweiz Einleitung: Die Behandlung mit implantierten Pumpensystemen zur intrathekalen Medikamentenabgabe ist eine sowohl zur Schmerztherapie als auch zur Spastiktherapie anerkannte Therapieoption. Spastik ist ein häufiges Problem bei Patienten mit Rückenmarksschädigungen und konsekutiven Querschnittsyndromen. Eine mögliche Therapie ist die Gabe von Baclofen. Beim Auftreten nicht-akzeptabler Nebenwirkungen ist die intrathekale Gabe mittels implantierbarer Medikamentenpumpe die Therapie der Wahl. Patient/Verlauf Wir berichten über einen 53-jährigen, seit 1978 tetraplegischen Patienten (ASIA A) mit einer konservativ nicht therapierbaren Bein-/Bauchspastik. Nach positiver mehrtägiger Testphase wurde ein internes Pumpensystem zur intraspinalen Medikamentenabgabe implantiert. In den folgenden zehn Tagen liess sich trotz kontinuierlicher Erhöhung der Dosierung die Spastik des Patienten nur mangelhaft kontrollieren. Eine postoperative Flüssigkeitsansammlung in der Pumpentasche wurde sonographisch als Serom beurteilt. Bei einer ersten Pumpensystemkontrolle wurde zunächst die technische Funktionsfähigkeit der Pumpe sichergestellt. Da die initialen Röntgenbilder bei ausgeprägter Bauchspastik nicht eindeutig beurteilbar waren, erfolgte die Kontrolle unter Spinalanästhesie. Nach Applikation von 5 ml Kontrastmittel konnte im Bildwandler der Katheter komplett dargestellt werden ohne eine dort sichtbare Leckage. Allerdings ergab sich in der nachfolgenden CT-Untersuchung der dringende Leckage-Verdacht aufgrund der nun hyperdensen Darstellung (145 HE) der periaggregatischen Flüssigkeitskollektion. Dies konnte intraoperativ bestätigt werden: es fand sich eine Perforation des Katheters direkt hinter der Konnektionsstelle mit der Pumpe. Diskussion: Der klinische Verlauf deutete auf eine mangelnde intrathekale Medikamentenabgabe hin, was durch eine Leckage im Verlauf des Katheters oder -seltener- eine Funktionsstörung der implantierten Pumpe bedingt sein kann. Durch die konventionelle Röntgendiagnostik war die Leckage nicht nachweisbar. Erst das CT (incl. Dichtemessung) konnte den klinischen Verdacht auf eine Leckage erhärten und eindeutige Hinweise auf den Leckageort geben. Es muss davon ausgegangen werden, dass bei dieser kleinen Perforation durch die langsame Fliessgeschwindigkeit (ca. 0.004 ml/h) der intrathekalen Pumpe der überwiegende Teil des Medikamentes durch die Leckage verloren ging. Bei der Kontrastmitteldarstellung andererseits wurde ein verhältnismässig grosses Volumen injiziert, wodurch die gesamte Katheterstrecke dargestellt werden konnte. Bei geringer KMKonzentration im Serom (Verdünnungseffekt!) konnte die Leckage erst in der (im Verhältnis zur Durchleuchtung) sehr sensitiven CT erkannt werden. Schlussfolgerung: Besteht der Verdacht auf ein intrathekales Medikamenten-Unterangebot und ist die technische Funktionsfähigkeit der Schmerzpumpe sichergestellt, muss nach Ausschluss anderer klinischer Ursachen eine operative Revision des Katheters in Betracht gezogen werden. P13.6 Local anaesthetic containing adrenaline does not alleviate, but increases postoperative pain in a dental model E. Vigen, L. Jorkjend, L. Skoglund Faculty of Dentistry University of Oslo, Norwegen Introduction: It is well known that endogenous noradrenaline modulates pain related responses through various pathways. Administration of noradrenaline or adrenaline in inflamed or neuropathic skin aggravates pain and hyperalgesia. Adrenaline which is a nonselective Der Schmerz Supplement 1 · 2010
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Abstracts adrenergic agonist is generally judged to be an optimal adjuvant to local anaesthetics with respect to anaesthesia and hemostasis in minor to moderate surgical interventions including oral surgery. It seems contradictory that adrenaline which may cause pain is added to local anaesthetics to improve their anaesthetic properties. The possible modulating effect of adrenaline added to a local anaesthetic on postoperative pain (PP) in humans was investigated. Methods: In a series of 5 controlled, randomized, clinical trials gingivectomy (surgical removal of diseased oral tissue surrounding teeth) was done with various combinations of different concentrations of adrenaline and local anaesthetic (lidocaine). Patients measured their subjective PP on VAS (0-100 mm). Gingivectomy was used as it allows PP measurements without being obscured by a large analgesic drug intake by the patients. Trial 1 (n=117, double-blind, parallel groups, mean age 48 years, Norwegian Ethical Committe approval no. S-93077) compared lidocaine 1 % with 2 %. Trial 2 (n=44, single-blind, withinpatient crossover, mean age 47 years, S-92079) compared lidocaine 2 % + adrenaline 1: 80 000 with the double volume of the same concentration. Trial 3 (n=45, single-blind, within-patient crossover, mean age 49 years, S-03097) compared lidocaine 2 % + adrenaline 1: 80 000 with the double volume of lidocaine 1 % + adrenaline 1: 160 000. Trial 4 (n=50, double-blind, within-patient crossover, mean age 47 years, S-92080) compared lidocaine 2 % only with lidocaine 2 % + adrenaline 1: 80 000. Trial 5 (n=195, double-blind, parallel groups, mean age 49 years, S-93078) compared lidocaine 2 % with lidocaine 2 % + adrenaline 1: 160 000 or 1: 80 000. Results: Trial 1 did not show any differences in PP between lidocaine 1 % and 2 %. Trial 2 showed increasing PP with increasing volume of local anaesthetic. Trial 3 showed no increase in PP when volume increased and the concentration of local anaesthetic and adrenaline remained constant. Trial 4 showed increased PP after lidocaine 2 % + adrenaline 1: 80 000 compared to lidocaine 2 % only. Trial 5 showed a dose-response relationship between increasing concentration of adrenaline and PP with a constant concentration of lidocaine. Discussion: These findings showed no effect on PP by varying lidocaine concentrations. Increased volume of local anaesthetic did not increase PP as long as the total adrenaline amount remained constant in the tissue. Increasing adrenaline amount in the tissue either by increasing total volume of local anaesthetic or by increasing adrenaline concentration caused an increase in PP. These results show that adrenaline increases PP when injected with a local anaesthetic for peripheral nerve block. One possible explanation may be that adrenaline causes transitory tissue ischemia which by itself may enhance nociception. The clinical observation that tissue ischemia lasts for a very limited time period does not support the findings. Another more likely explanation is that adrenaline may interact with adrenergic mechanisms promoting nociception when injected outside the central nervous system. Conclusion: Adrenaline as an adrenerg agonist outside the central nervous system has a pro-nociceptive role. P13.7 Empfehlung zum Erstellen einer Trinklösung und zur Applikation von Oxygesic® Dispersa via PEG-Sonde P. Ahrens1, M. Krämer2, G. Heun2, C. Leuner2 1 Aller-Weser-Klinik, Verden, 2Mundipharma Research GmbH & Co. KG, Limburg Fragestellung: Eine orale Applikation von Opioiden bei Patienten mit starken Schmerzen ist entsprechend der Leitlinien zu bevorzugen. Doch gibt es immer wieder schwerkranke Patienten, für die eine orale Applikation von Opioiden zur Schmerztherapie aufgrund ihrer Erkrankung nicht mehr in Frage kommt, da sie Beschwerden beim Schlucken haben oder nicht mehr schlucken können. Um diese Patienten schnell und flexibel mit einer suffizienten Schmerztherapie bei akuter Schmerzverstärkung oder Durchbruchschmerzen behandeln zu kön-
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nen, kann aus Oxygesic® Dispersa Schmelztabletten eine Trinklösung hergestellt oder Oxygesic® Dispersa via PEG-Sonde verabreicht werden. Material und Methode: Zur Herstellung einer Trinklösung aus Oxygesic® Dispersa Schmelztabletten wird eine Schmelztablette in ca. 20 ml Trinkwasser in einem Trinkbecher durch leichtes Schwenken aufgelöst, bis die Tablette vollständig zerfallen ist (Dauer: ca. 10 – 20 Sekunden). Nachdem der Patient die Dispersion eingenommen hat, muss der verwendete Trinkbecher mindestens zwei Mal mit ca. 20 ml Trinkwasser gespült und die Lösung dem Patienten verabreicht werden. Zur Applikation von Oxygesic® Dispersa über eine PEG-Sonde werden 10 ml Spritzen und Trinkwasser verwendet. Kleinere Spritzen sind nicht so gut geeignet, da die Schmelztablette eventuell nicht komplett zerfällt. Es sollten keine Spritzen mit Gummilippen benutzt werden, wie sie zur Applikation von Sondennahrung verwendet werden. Zur Vorbereitung der Spritze wird der Stempel entfernt, die Schmelztablette in die Spritze gegeben und mit dem wieder eingesetzten Stempel in die Spitze der Spritze gedrückt. Anschließend wird die Spritze zu ¾ mit Trinkwasser gefüllt, die Spritzenöffnung mit einem Stopfen verschlossen und die Spritze leicht geschüttelt bis die Schmelztablette vollständig zerfallen ist. Für einen schnelleren Zerfall der Tablette sollten 1-2 ml Luft in der Spritze verbleiben. Die Dispersion wird mit einem kräftigen Stempeldruck in die PEG-Sonde appliziert und Spritze und PEG-Sonde mindestens zwei Mal mit Trinkwasser gespült, um eventuell zurückgebliebene Reste mit zu applizieren. Ergebnisse: Der Wirkstoff Oxycodonhydrochlorid ist in der Trinklösung und nach Sondendurchlauf zu 100 % nachweisbar. Diskussion: Die oben dargestellten Methoden eignen sich auch nach Laboruntersuchungen zum Erstellen einer Trinklösung aus Oxygesic® Dispersa sowie zum Auflösen der Schmelztabletten und zur anschließenden Applikation via PEG-Sonde. Schlussfolgerung: Unsere Erfahrungen zur Applikation von Oxygesic® Dispersa Schmelztabletten als Trinklösung oder via PEG-Sonde sind durchweg positiv. Unter der Voraussetzung des oben beschriebenen Vorgehens ist die Verabreichung einfach und wirkungsvoll und für das Personal mit einem akzeptablem Einsatz durchzuführen. P13.8 Häufigkeit von Durchbruchschmerz und Akutmedikation unter der Therapie mit OROS-Hydromorphon in klinischen nicht-interventionellen Studien – ein Review K. Güttler1, A. Wimmer2, T. Giesecke2 1 Institut für Pharmakologie, Köln, 2Janssen-Cilag GmbH, Neuss Hydromorphon ist ein starkes Opioidanalgetikum zur Behandlung von mäßigen bis starken Schmerzen. Mit der OROS®-Galenik ist es in Deutschland in einer 1-mal täglichen Applikationsform für die Therapie starker chronischer Schmerzen zugelassen. Fragestellung: Pharmakokinetische Untersuchungen mit OROS-Hydromorphon zeigen einen relativ gleichmäßigen Verlauf des Hydromorphon-Plasmaspiegels im Steady State (siehe Postereinreichung Moore, KT et al: Steady state pharmacokinetic profile of OROS hydromorphone extended release and hydromorphone immediate release). Mögliche klinische Effekte dieses Plasmaspiegelprofils könnten reduzierte Durchbruchschmerzen sein. Daher wurden die Daten zu Durchbruchschmerz und –medikation aus drei nicht-interventionellen Studien, welche die Ergebnisse der Schmerztherapie im Praxisalltag abbilden, analysiert. Material und Methode: Daten von 617 Patienten aus drei nicht-interventionellen Studien aus den Jahren 2006 bis 2010 wurden analysiert: In zwei Design-gleichen klinischen Studien wurden insgesamt420 Patienten mit starken Osteoprose- und Arthroseschmerzen unter Routinebedingungen über 3 Monate mit OROS®-Hydromorphon behandelt und der Bedarf an Akutmedikation erfasst. In einer weiteren Studie wurden 197 Patienten mit Tumor- und Nicht-Tumorschmerzen über 3 Monate mit OROS-Hydromorphon behandelt und dabei die Häufigkeit der Durchbruchsschmerzepisoden dokumentiert.
Ergebnisse: Bei den 420 Patienten mitstarken Osteoporose- und Arthroseschmerzen zeigte sich im Vergleich zur Vortherapie ein um 10,2 % bzw. 13,4 % reduzierter Bedarf an Akutschmerzmedikation. Bei den Patienten mit Tumor- und Nicht-Tumorschmerzen reduzierte sich im Verlauf der 3-monatigen Behandlung mit OROS®-Hydromorphon das Auftreten von Durchbruchschmerzepisoden. Am Studienbeginn hatten 23 % der Patienten mehr als 3x tägliche Episoden von Durchbruchschmerz; am Studienende waren es 4 %. Diskussion: In nicht-interventionellen Studiender Therapie mit OROSHydromorphon fanden sich konsistent Hinweise, dass sich unter dieser Therapie die Intensität bzw. Häufigkeit der Durchbruchschmerzen verminderte. Dies lässt die Annahme zu, dass durch die gleichmäßigen Plasmaspiegel von OROS®-Hydromorphon seltener bzw. weniger starke Durchbruch- und End-of-Dose-Schmerzen im Steady State auftreten. Die geringeren Fluktuationen im Steady State mit einem PTFWert (Peak-Trough-Fluktuation) von 60,5 ± 41,1 % für OROS-Hydromorphon und die aufgrund der langen Halbwertsdauer (ca. 30 Std.) garantierten ausreichend hohen Plasmakonzentrationen am Ende des Applikationsintervalls verringern das Risiko eines Abfallen des Plasmaspiegels unter die minimal analgetisch wirksame Konzentration. Schlussfolgerung: Auftreten von Durchbruchschmerzen und End-ofDose-Schmerzen erscheinen im klinischen Alltag unter OROS®-Hydromorphon im Steady State verringert. Dies kann durch die mit dieser Galenik verbundenen, gleichmäßigen Plasmaspiegel begründet werden. P13.9 Erhöhtes Suizidrisiko unter intrathekaler Ziconotidtherapie.Eine Warnung C. Maier1, H. Gockel2, K. Gruhn1, E. Krumova1, M. Edel3 1 Berufsgenossenschaftliches Universitätsklinikum Bergmannsheil GmbH, Bochum, 2Algesiologikum GmbH, München, 3LWL-Universitätsklinik Bochum Trotz verschiedener anderer psychiatrischer Nebenwirkungen wird der synthetische Calziumkanalinhibitor Ziconotid als ein wirksames und sicheres Medikament der ersten Wahl für die intrathekale Schmerztherapie empfohlen [1]. Er wurde in Europa und den USA als OrphanArztneimittel bei Patienten mit nicht ausreichender Schmerzlinderung oder starke Nebenwirkungen unter hochdosierte Opiattherapie zugelassen. Obwohl es in verschiedenen Studien Hinweise dafür gibt, wurde eine erhöhte Suizidalität als Risiko der Ziconotidtherapie in den früheren randomisierten und kontrollierten Studien bislang nicht akzeptiert. Wir stellen zwei Kasuistiken vor, die den Verdacht auf eine durch Ziconotide induzierte Suizidalität unterstützen. Ein 66-jähriger Patient mit Polyneuropathie unklarer Genese seit 3 Jahren (mittlere Schmerzintensität 7-9 auf der 11-stufigen numerischen Ratingskala, NRS 0-10) suizidierte sich während einer niedrig-dosierter intrathekaler Ziconotidschmerztherapie (kumulative Dosierung: 779mg) trotz suffizienter Schmerzreduktion (NRS 4-5) 4 Wochen nach Therapiebeginn. Eine andere 39-jährige Patientin entwickelte schwere suizidale Gedanken sowie depressive Symptome (30 Punkte auf der Hamilton Depressionsskala), akustische Halluzinationen, Sprach-, Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen 2 Monate nach Beginn einer Ziconotidtherapie (kumulative Dosierung: 2900mg) wegen starker lumbaler Rückenschmerzen (NRS 8). Nach Ziconotidentzug besserten sich sowohl die suizidale Gedanken als auch die anderen psychiatrischen Symptomen. Durch eine medikamentöse Umstellung und begleitende Physiotherapie konnte auch eine Schmerzlinderung erreicht werden (NRS 5-6) und die intrathekale Pumpe explantiert werden. Beide Patienten haben früher an Depression gelitten, allerdings ohne jegliche aktuelle depressive Symptomatik zum Zeitpunkt des Therapiebeginns. Diese Fälle unterstützen den Verdacht der kausale Zusammenhang zwischen der Ziconotidtherapie und Suizidalität, sogar in symptomfreien Patienten mit Depression in der Anamnese. Die Sprach-, Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen sind ein Hinweis für eine
schwere kortikale prefrontale (d. h. exekutive) Dysfunktion, wodurch wahrscheinlich auch die antisuizidale Top-down-Kontrolle vermindert wurde [2]. Zusätzlich kann die Suizidalitätentwicklung durch die anxiolytische Wirkung von Ziconotid induziert werden. Daher ist eine ausführliche psychiatrische Evaluation mit engmaschigen Kontrollen bevor und während einer Ziconotidtherapie unverzichtbar. Literatur: [1] Schmidko et al. Lancet 2010; 375: 1569–1577 [2] van Heeringen. Can J Psychiatry 2003; 48: 292-300
P15 – Multimodale und andere Therapieverfahren I P15.1 Patientenzentriertes Poster zur Information des Bio-Psycho-Sozialen Modell der Schmerztherapie und der daraus resultierenden Schmerzanalyse M. Heisel Caritasklinik St. Theresia, Saarbücken Das Poster soll als Unterstützung für den chronischen Schmerzpatienten dienen. Der Patient soll sich vertraut machen mit der Philosophie unserer Abteilung und dies weitgehend für den Laien verständlich. 1. Was bedeutet Schmerz: Es wird die Subjektivität des Schmerzes hervorgehoben und das der Patient bei uns mit seinen Schmerzen ernstgenommen wird. Er bekommt die Möglichkeit sich das Thema chronischer Schmerzen nochmals visuell vor Augen zu führen. 2. Struktur Abteilung: Er soll vermittelt bekommen, das in unserer Abteilung in einem multimodalen System gearbeitet wird und dementsprechend das interdisziplinäre Arbeiten im Vordergrund steht. Der Patient soll verstehen was das bio-psycho-soziale Modell der Schmerztherapie bedeutet und welche Konsequenz in der Therapie für ihn haben kann. 2. Was bedeutet Schmerzanalyse: Wir wollen ihm vermitteln das Schmerzen ein vielschichtiges komplexes Symptom bzw. Erkrankung ist, welche aus verschiedenen Dimensionen betrachtet werden müssen. Er wird dargestellt, was die Aufgaben der einzelnen Professionen sind, welche Ansätze (die bildlich dargelegt werden) in der Abteilung möglich sind. 4. Die Ziele: Es sollen dem Patienten die entsprechenden Ziele (bei chronischem und tumorbedingtem chronischen Schmerz), welche in den täglichen Gesprächen besprochen werden, visuell vor Augen geführt werden. Insgesamt soll unser Poster ein Instrument zur Unterstützung, der täglich geführten Gespräche sein und es soll zukünftige Patienten informieren was sie in unserer Schmerzklinik erwartet. P15.2 Ist der Erfolg multimodaler Schmerztherapie von der Schulbildung abhängig? O. Kuhnt1, I. Haase2, S. Babel1, K. Klimczyk1 1 m&i-Fachklinik Enzensberg, Hopfen am See, 2m&i-Klinikgruppe Enzensberg, Hopfen am See 1. Fragestellung: Verschiedene Studien haben gezeigt, dass soziodemographische Faktoren (wie z. B. Erwerbsstatus oder Rentenwunsch) wichtiger für die Vorhersage des Outcomes multimodaler Therapie chronischer Schmerzen sind, als etwa der medizinische Hintergrund des Patienten oder die Diagnosen. Hinsichtlich der Rolle des (formalen) Bildungsniveaus zeigt sich kein einheitliches Bild. Vor diesem Hintergrund war es Ziel der vorliegenden Studie zu untersuchen, wie das Ergebnis stationärer multimodaler Therapie chronischer Schmerzen für Gruppen mit unterschiedlicher Schulbildung ausfällt. Der Schmerz Supplement 1 · 2010
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Abstracts 2. Methodik: Wir führten eine Sekundäranalyse von Daten aus drei Studien aus den Jahren 2000, 2003 und 2007 durch. Bei den genannten Studien handelte es sich jeweils um Verlaufbeobachtungen von Patienten des Interdisziplinären Schmerzzentrums der m&i-Fachklinik Enzensberg, die alle auf dem Schmerzfragebogen der DGSS basierten. Messzeitpunkte waren jeweils: vor Aufnahme, bei Entlassung und sechs Monate nach Entlassung. Eingeschlossen wurden alle Patienten, die mindestens 14 Tage akut-stationär im Schmerzzentrum behandelt wurden (Aufnahmevoraussetzung: Chronifizierungsgrad II oder III nach Gerbershagen) und sich an der Nachbefragung beteiligt hatten. Für die Analyse wurden die Patienten in drei Bildungsgruppen unterteilt: 1. Hauptschule (inkl. kein Abschluss), 2. Realschule/Mittlere Reife, 3. Abitur/Hochschul- oder Fachhochschulabschluss. Zielgrößen waren Schmerzintensität (numerische Ratingskalen), Beeinträchtigung durch Schmerzen (PDI), Depression (ADS) und verschiedene Dimensionen der gesundheitsbezogenen Lebensqualität (SF-36). 3. Ergebnisse: Der Datensatz umfasst 413 Fälle, darunter als größte Gruppe Patienten mit Hauptschulabschluss oder ohne Abschluss (n=266; 64,4 %; Gruppe HS). 90 Patienten (21,8 %) hatten einen mittleren Schulabschluss (Gruppe RS), 57 (13,8 %) mindestens Abitur (Gruppe GYM). 38,6 % waren übergewichtig, 23,2 % adipös. Alle Gruppen verbessern sich signifikant (p < 0,05) in allen Outcome-Dimensionen mit Ausnahme der SF-36-Skalen emotionalen Rollenfunktion (Gruppe HS) und der allgemeinen Gesundheitswahrnehmung (Gruppe GYM). Die Schmerzreduktion gelingt am deutlichsten bei Gruppe GYM, vor Gruppe RS und Gruppe HS. Hinsichtlich einer Verringerung der Beeinträchtigung und der Depressivität und in den beiden Summenskalen des SF-36 profitieren hingegen Patienten mit einem mittleren Bildungsgrad am meisten. Bei Prüfung möglicher Einflussfaktoren (Geschlecht, Alter, Erwerbstätigkeit, Body-Mass-Index, Schmerzdauer) auf eine klinisch relevante Reduktion der Schmerzstärke zeigt nur die Schulbildung ein signifikantes Ergebnis. 4. Schlussfolgerung: Insgesamt betrachtet zeigt sich ein signifikanter Nutzen der multimodalen Schmerztherapie in allen untersuchten Bildungsgruppen. Die geringeren Effekte bei der großen Gruppe der Patienten mit (formal) niedriger Schulbildung werfen die Frage nach speziellen bildungsadjustierten Behandlungsprogrammen auf.
therapie im Sinne eines Management-Konzepts anwendbar und nutzbringend sein können. Ergebnisse: Es lassen sich Parallelen zwischen dem medizinischen Bereich und ausgewählten Ansätzen aus Prozess- und Changemanagement finden. Darüber hinaus erscheint es möglich, bestimmte Behandlungsstrategien und -grundlagen in der Schmerztherapie mithilfe des Management-Konzepts zu erfassen und darzustellen. Dies kann über die Beschreibung von Prozesslandschaften, Zielsystemen und der Hypothese der dynamischen Kernkompetenzen geschehen. Ein übergeordnetes Therapieziel innerhalb des Zielsystems stellt hierbei die Patientenkompetenz zur Überwindung von Schmerz dar. Somit kann das Konzept des multimodalen Managements zu einer strukturellen und methodischen Grundlage in der Behandlung chronischer Schmerzen beitragen. Diskussion: Die Verknüpfung ökonomischer und medizinischer Zusammenhänge für Behandlungsstrategien chronischer Erkrankungen ist neu und daher weder klinisch validiert noch in der Literatur bisher belegt oder untersucht. In diesem Zusammenhang ist das Konzept des multimodalen Managements in der Medizin entstanden, um Struktur, Strategien und Vorgehensweisen in der Behandlung chronischer Erkrankungen abzubilden, zu ergänzen und zu systematisieren. Aufgrund der Verbindung ökonomischer und medizinischer Sichtweisen wäre es möglich, mithilfe des multimodalen Managements in der Schmerztherapie in Verhandlungen mit den Kostenträgern zum weiteren Verständnis der komplexen Therapieabläufe beizutragen. Bezogen auf die Therapie chronischer Schmerzen könnte mithilfe des Management-Konzepts eine Vorarbeit geleistet werden, Qualität in multimodalen Therapieprogrammen zu erfassen.
P15.3 Multimodales Management in der Schmerztherapie Entwicklung eines Management-Konzepts zur Stärkung der Patientenkompetenz in der Therapie chronischer Schmerzen M. Dunkel1, M. Kramp2 1 Praxis für Schmerz- und Stressbewältigung, Erlangen, 2Institut für Technologie und Arbeit, Kaiserslautern
Einführung: Der Einsatz von PDA (Periduralanalgesie) hat sich mehr und mehr in der Geburtshilfe etabliert[1]. Ob als Behandlungsansatz der Geburtshelfer oder Wunsch der werdenden Mütter, die Indikationsstellung ist breit angelegt. Hat der Bildungsgrad der werdenden Mutter einen Einfluss auf einen PDA-Wunsch? Methoden: In interdisziplinärer Zusammenarbeit wurden bisher 621 schwangere Patientinnen zum Thema Schmerz, Schwangerschaft und Geburt befragt. Die Antworten wurden mittels eines standardisierten Fragebogens ausgewertet. Dieser ist untergliedert in vier Teile, die von den Patientinnen zu vier Zeitpunkten ausgefüllt wurden: 36. SSW, peripartal, 2 Tage und 3 – 6 Monate postpartal. Ergebnisse: Für diese Fragestellung konnten 368 Fragebögen berücksichtigt werden. Als niedriger Bildungsgrad wurden kein Schulabschluss oder ein Hauptschulabschluss definiert, als hoher Bildungsgrad alle Abschlüsse über Hauptschulniveau. Es konnten 173 Fragebögen der Frauen mit niedrigem Bildungsgrad ausgewertet werden. 96,53 % (n = 167) der Befragten wünschten eine spontane/vaginale Entbindung. 1,16 % (n = 2) der werdende Mütter wünschten eine geplante Sectio. 2,31 % (n = 4) der Zugeordneten wünschten mit PDA-Unterstützung zu entbinden. 205 Fragebögen konnten der Gruppe mit hohem Bildungsgrad zugeordnet werden. 96,5 % (n = 198) der Befragten wünschten eine spontane/vaginale Entbindung. 1,46 % (n = 3) der werdende Mütter wünschten eine geplante Sectio. 1,95 % (n = 4) der Zugeordneten wünschten mit PDA-Unterstützung zu entbinden.
Hintergrund und Fragestellung: Aus den Ansätzen von Prozess- und Changemanagement können zahlreiche Grundideen und Impulse zur Strukturierung und Prozessgestaltung im medizinischen Bereich hervorgehen. Durch Verknüpfung medizinischer und ökonomischer Zusammenhänge entsteht ein neues Management-Konzept in der Therapie chronischer Erkrankungen, welches auf die Stärkung von Eigenkompetenz des Patienten abzielt. Dieses Konzept fasst ausgewählte Ansätze aus Prozess- und Changemanagement zusammen, welche auf den medizinischen Bereich und insbesondere auf die Therapie chronischer Schmerzen angewendet werden. Bezogen auf die Schmerztherapie wird für die entstehende Kombination von Managementaspekten und Behandlungsstrategien der Ausdruck „multimodales Management in der Schmerztherapie“ gewählt. Das Management-Konzept beinhaltet, mögliche zugrunde liegende Therapieabläufe, Behandlungsziele als auch Wirkprinzipien in der multimodalen Schmerztherapie zu beschreiben. Methodik: Ansätze aus Prozess- und Changemanagement werden in Bezug zum medizinischen bzw. schmerztherapeutischen Bereich hergeleitet und auf diesen angewendet. Es wird untersucht, inwiefern diese Ansätze als strukturelle und methodische Grundlage in der Schmerz-
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P15.4 Hat der Bildungsgrad der werdenden Mutter einen Einfluss auf den PDA-Wunsch G. Pollheimer, H. Schuckall, B. Maier, A. Wenger, M. Kurz Landeskrankenhaus Salzburg Universitätsklinikum der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität, Salzburg, Österreich
Der Bildungsgrad hat keinen wesentlichen Einfluss auf einen PDAWunsch der Schwangeren, wobei insgesamt selten eine PDA präpartal gewünscht wurde. Diskussion: Unabhängig vom Bildungsgrad wünschen sich werdende Mütter hauptsächlich eine „natürliche“ Geburt ohne „technische“ Eingriffe der Mediziner. Den werdenden Müttern stehen eine Vielzahl von Informationsquellen und Informationsstellen zu Verfügung[2]. Die Schwangerschaftsvorbereitungskurse[3], aber sicher auch die einfache Möglichkeit der Informationsbeschaffung aus dem Internet sind einige der Gängigsten. Diese Quellen werden unabhängig von ihrer Qualität zur Meinungsbildung herangezogen. [1] Morr AK et al. Einfluss von Faktoren des sozioökonomischen Status auf die Anwendung der Periduralanästhesie subpartal. Z Geburtsh Neonatal 2007; 211: 23-26 [2]Wolf A, Hörbst V. Medizin und Globalisierung. Universelle Ansprüche – lokale Antworten. Münster, LIT Verlag, 2003 [3]Neff–Seitz AM. PDA – Segen oder Fluch für die Frau. Bern, Berner Fachhochschule Gesundheit – Hebammen, 2007 P15.5 Evaluation des neuen Kerncurriculums für die Lehre der Schmerztherapie in einem Querschnittfach U. Stratemeyer-Bremer, J. Hirschberger, A. Kopf Charite Berlin Campus Benjamin Franklin, Berlin Evaluation des neuen Kerncurriculums für die Lehre der Schmerztherapie in einem Querschnittsfach Schmerzen sind der häufigste Grund für Patienten, sich einem nichtspezialisierten Arzt vorzustellen. Da viele Schmerzsyndrome ausreichend mit allgemeinen Kenntnissen der Schmerztherapie behandelbar wären, hat die Deutsche Gesellschaft zum Studium des Schmerzes e. V. (DGSS) ein „Kerncurriculum Schmerztherapie in der Lehre“ entwickelt (9). Da Schmerztherapie in der neuen AO kein Teil der Pflichtlehre ist, sind in den letzten Jahren nur an einigen Fakultäten schmerztherapeutische Lehrinhalte mithilfe des Kerncurriculums implementiert worden (7). In Studien konnte gezeigt werden, dass Studierende – insbesondere Studentinnen – für die Lehre in Schmerztherapie motiviert sind (8). In der vorliegenden Arbeit sollte gezeigt werden, ob die Implementierung des Kerncurriculums in die Pflichtlehre an der Charité-Universitätsmedizin Berlin in der Lage ist, essentielle Lehrinhalte zu vermitteln. Unsere Hypothese war, dass essentielle Lehrinhalte zu den vier Hauptsyndromen Tumor-, neuropathischer, Akut- und chronischer Schmerz von den Studierenden wiedergegeben werden können und dass es dabei Geschlechtsunterschiede gibt (Studentinnen > Studenten). Anhand eines Fragebogens mit verschiedenen Fragetypen wurde eine Lernzielkontrolle nach Abschluss der OSCE-Prüfung durchgeführt. Es wurden sowohl kognitive Lernziele der vier Hauptsyndrome, als auch Charakteristika der Befragten und die Qualität des Querschnittfaches (QF 13) abgefragt und eine geschlechtsspezifische Korrelation vorgenommen. Zusammenfassend zeigte sich, dass nur unzureichende Kenntnisse erworben werden , die Studenten sich subjektiv nicht genügend vorbereitet fühlen und nur geringe Unterschiede zwischen den Geschlechtern bestanden. Eine kausale Zuordnung der Befragungsergebnisse ist nur begrenzt möglich. Insbesondere scheint aber nur eine zusätzliche Beschäftigung mit der Schmerztherapie durch Teilnahme an dem freiwilligen und inhaltlich kontrollierten Vorbereitungstraining für die OSCE-Prüfung zu guten Befragungsergebnissen geführt zu haben. Weiterhin scheinen noch Lehrresourcen ungenutzt zu bleiben. Man könnte daher schlussfolgern, dass eine auf 7 UaK-Stunden begrenzte multidiziplinäre Lehre der Schmerztherapie ohne kontrollierte Dozentenschulung nicht in der Lage ist, essentielle Lernziele, insbesondere mit komplexeren Inhalten, zu vermitteln.
Zukünftig sollte daher auf motivierte und geschulte Dozenten geachtet werden, die den Wissenskanon des Kerncurriculums vertreten können und eine standardisierte Lehre anbieten. Zudem sollte die Stundenzahl erhöht werden und die Attraktivität des Elearning und der Bekanntheitsgrad des Kerncurriculums als Lernquelle gesteigert werden. Anschließend sollte eine Reevaluation der Lehre in der Schmerztherapie durchgeführt werden. (Literaturverzeichnis ist beim Verfasser einsehbar) P15.6 Autonome Dysregulation bei Spinalkanalstenose Sub-Level : Ein Fallbeispiel E. Chang1, R. Bauer2, W. Schleinzer1 1 Zentrum für Schmerzmedizin, Nottwil, 2Kantonsspital St.Gallen, Schweiz Einleitung: Die autonome Dysreflexie (AD) stellt mit einer Häufigkeit von 48 %-90 % (Erickson 1980; Lindan, Joiner et al. 1980) bei Patienten mit einer Tetraplegie bzw. Paraplegie oberhalb von Th6, eine sehr häufige, potentiell lebensgefährliche Komplikation dar. Ursachen oder Begleitumstände welche mit der Entwicklung einer AD assoziiert werden sind mannigfaltig. Zu den typische Auslösern zählen u. a Distension an Harnblase und Mastdarm (Lindan, Joiner et al. 1980) Fallvorstellung: Wir präsentieren einen Fall eines 39 jährigen Mannes mit einer traumatischen kompletten Paraplegie sub Th4 (ASIA A) nach Polytrauma im Jahre 1995. Im Jahre 2005 wurde eine intrathekale Baclofentherapie über ein implantiertes Pumpensystem mit zunächst sehr gutem Erfolg bei spastikbedingten Schmerzen begonnen. Ca. 1 Jahr später erfolgte die Implantation eines Blasenstimulators. Im zeitlichen Zusammenhang mit einem Wirkverlust der Spastiktherapie sowie der Blasenstimulation, wurde eine Zunahme der hypertonen Blutdruckentgleisungen, Hyperhidrosis und Hautrötung im Gesicht und Nacken festgestellt. Im Rahmen einer Pumpensystenkontrolle (intrathekale Baclofentherapie) mit nachfolgendem MRI wurde als Zufallsbefund eine komplette osteoligamentäre spinale Stenose auf Höhe von L4/5 festgestellt. Nach operativer Sanierung (komplette Laminektomie L4) konnte die ursprüngliche gute antispastische Wirkung wieder hergestellt werden. Es kam zu einer Normalisierung der Blutdruckverhältnisse und zu einem Sistieren der Hyperhidrosis. Mit zeitlicher Verzögerung wurde auch eine fast völlständige Entleerung der Blase durch den Einsatz des Blasenstimulators erreicht. Ergebnis: Bei Pat. mit einer hohen Paraplegie bzw. Tetraplegie sollte bei Exazerbation einer autonomen Dysreflexie und/oder Spastik sowie einem Funktionsverlust einer Blasenstimulation auch an eine Spinalkanalstenose unterhalb der primären Läsion als mögliche Ursache gedacht und die entsprechende Diagnostik unverzüglich eingeleitet werden. In diesem Fall ist eine dringende Operationsindikation gegeben. P15.7 Die kurz- und langfristige Entwicklung der Veränderungsmotivation bei Patienten chronischer Schmerzerkrankungen nach einer multidisziplinären Behandlung A. Küchler1, U. Kaiser1, K. Große1, M. Schiller1, B. Konrad2, P. Gerhardt1, U. Ettrich3, R. Scharnagel1, G. Goßrau1, R. Sabatowski1 1 UniversitätsSchmerzCentrum, Dresden, 2UniversitätsPhysiotherapieZentrum, Dresden, 3Klinik und Poliklinik für Orthopädie, Dresden Hintergrund : Positive Zusammenhänge zwischen der Höhe Veränderungsmotivation nach dem Transtheoretischen Modell (TTM) und Therapieerfolgskriterien werden angenommen und sind zum Teil bereits bestätigt worden. Für einen dauerhaften Therapieerfolg erscheint die Bereitschaft für ein selbstständiges aktives Schmerzmanagement unabdingbar. So stellt neben der Verbesserung der LebensDer Schmerz Supplement 1 · 2010
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Abstracts qualität der Patienten auch eine Steigerung der Motivation ein wichtiges Ziel der Behandlung des UniversitätsSchmerzCentrums (USC) Dresden dar. In dieser Studie wurde untersucht, wie sich die Veränderungsmotivation im Verlauf der schmerztherapeutischen Behandlung und bis zu zwei Jahren danach entwickelt. Zusammenhänge zum Therapieerfolg wurden ebenfalls betrachtet. Methodik: Insgesamt wurden die Daten von 169 Patienten, die an einer vierwöchigen multidisziplinären Schmerztherapie im teilstationären Setting des USC teilnahmen, in die Studie einbezogen. Neben dem Freiburger Fragebogen – Stadien der Bewältigung chronischer Schmerzen (FF-STABS) wurde ein umfassendes schmerzdiagnostisches Inventar mit u. a. dem Pain Disability Index (PDI), dem SF-36 Fragebogen zum Gesundheitszustand (SF-36), der Hospital Anxiety and Depression Scale (HADS) zu sechs Zeitpunkten (Therapiebeginn,Therapieende, Auffrischungswoche nach 10 Wochen, nach sechs ,12 und 24 Monaten) eingesetzt. Die statistische Analyse erfolgte mittels SPSS 16.0. Ergebnisse: Es ließen sich signifikante Unterschiede in der Veränderungsmotivation zwischen Therapiebeginn und allen Folgezeitpunkten feststellen. Dabei war die Veränderungsbereitschaft der Patienten auch nach zwei Jahren im Mittel höher als zu Therapiebeginn. Eine differenzierte Betrachtung ergab allerdings, dass ein kleiner Teil der Patienten keine Änderung oder gar eine Verringerung der Motivation angab. Nach der Auffrischungswoche blieb die vorhandene Motivationslage unabhängig von der Richtung der Veränderung stabil. Bezüglich der Therapieerfolgskriterien zeigten sich signifikante kurz- und langfristige Verbesserungen nach Therapieende. Bei einzelnen Outcomeparametern ließen sich positive Assoziationen zur Motivation nachweisen. Schlussfolgerungen: Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass sich die Therapie der Schmerztagesklinik des USC im Durchschnitt günstig auf die Motivation und auf die allgemeine Lebensqualität der Patienten auswirkt. Dieser Effekt scheint sich auch langfristig zu stabilisieren. Da bei einigen Patienten die Motivation jedoch unverändert bleibt oder sinkt, stellt sich die Frage, worin sich genau jene Patienten unterscheiden und ob motivationsspezifische Interventionen vor der Tagesklinikbehandlung hilfreich wären. Weiterhin sind Untersuchungen zu Zusammenhängen zwischen Veränderungsmotivation und Therapieerfolg nötig. P15.8 Unterschiede zwischen Hauptschmerz bezogenen Subgruppen chronischer Schmerzpatienten A. Küchler1, K. Große1, U. Kaiser1, A. Schütze1, M. Schiller1, B. Konrad2, P. Gerhardt1, U. Ettrich3, R. Scharnagel1, G. Goßrau1, R. Sabatowski1 1 UniversitätsSchmerzCentrum, Dresden, 2UniversitätsPhysiotherapieZentrum, Dresden, 3Klinik und Poliklinik für Orthopädie, Dresden Hintergrund: Chronische Schmerzerkrankungen umfassen eine Vielzahl heterogener Schmerzbilder und Begleitsymptome. Unterschiedliche Pathomechanismen und Verarbeitungsstile bei Subgruppen von Schmerzpatienten sind denkbar. Um gezielt die Effektivität der multidisziplinären Behandlung chronischer Schmerzen zu optimieren, scheint es daher von Interesse relevante Unterschiede zwischen den Subgruppen zu identifizieren. Die Studie untersucht inwieweit sich die Subgruppen „Rückenschmerz“, „Kopfschmerz“ und „sonstige Schmerzen“ in einzelnen Outcomekriterien und in der Veränderungsbereitschaft nach dem Transtheoretischen Modell (TTM) voneinander unterscheiden. Methodik: Insgesamt wurden 169 Patienten, die an einer vierwöchigen multimodalen Schmerztherapie im teilstationären Setting teilnahmen, befragt. Dazu wurde ein umfassendes schmerzdiagnostisches Inventar mit u. a. dem Pain Disability Index (PDI), dem SF-36 Fragebogen zum Gesundheitszustand (SF-36), der Hospital Anxiety and Depression Scale (HADS) sowie der Freiburger Fragebogen – Stadien der Bewältigung chronischer Schmerzen (FF-STABS) eingesetzt. Es wurden Daten von vier Messzeitpunkten (Therapiebeginn, Therapieende, Einjahres-
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und Zweijahreskatamnese) in die Untersuchung einbezogen. Die statistische Auswertung erfolgte mittels SPSS 16.0. Ergebnisse: Es zeigten sich zu allen Messzeitpunkten Unterschiede zwischen den Subgruppen Kopfschmerz und den anderen beiden Gruppen. Signifikante Unterschiede ergaben sich durchgängig in Bezug auf die körperliche Lebensqualität, die von Kopfschmerzpatienten als höher eingeschätzt wurde. Außerdem ließen sich zu einigen Zeitpunkten ein höheres Ausmaß katastrophisierender Gedanken, aber auch der angegebenen Vitalität bei den Kopfschmerzpatienten nachweisen. Der Vergleich von Rückenschmerzpatienten mit Patienten, die anderweitige Hauptschmerzen benannten, ergab keinerlei bedeutsame Differenzen. Im Hinblick auf die Stadien der Veränderungsbereitschaft ließen sich ebenfalls keine signifikanten Unterschiede feststellen. Schlussfolgerungen: Die gefundenen Ergebnisse weisen darauf hin, dass sich vor allem die Subgruppe „Kopfschmerzpatienten“ von anderen Patienten chronischer Schmerzen in der Beurteilung einiger wichtiger Parameter unterscheiden. Ließen sich derartige Ergebnisse replizieren, stellt sich die Frage nach Therapiebausteinen, die je nach Subgruppe unterschiedliche Schwerpunkte setzen. Die Motivationslage der Patienten scheint unabhängig von den angegebenen Hauptschmerzen zu sein. Allerdings sind diesbezüglich weitere differenzierende Untersuchungen nötig. P15.9 Ausbau der Nachsorge im Anschluss an eine multimodale Schmerztherapie. Interesse, Wünsche und Bedürfnisse – Ergebnisse einer Patientenbefragung C. Schön, P. Albert, D. Tuffner, R. Sittl Schmerzzentrum, Erlangen Einleitung: Multimodale teilstationäre Gruppen-Behandlungsprogramme haben sich als wirksame Therapieform bei Patienten mit chronischen Schmerzen etabliert. Nach Abschluss einer teilstationären Therapie steht der Patient vor der Herausforderung, den erzielten Therapieerfolg aufrechtzuerhalten, die neu gewonnenen Erkenntnisse und erlernten Verhaltensmuster in den Alltag zu transferieren und gegebenenfalls situationsspezifisch anzupassen. Fragestellung: Ziel der Untersuchung war es herauszufinden, ob und in welcher Form sich Patienten im Anschluss an eine multimodale Schmerztherapie Unterstützung beim Alltagstransfer wünschen. Außerdem planen wir, basierend auf den Ergebnissen unser Nachsorgekonzept zu optimieren. Methode: Es wurde ein Fragebogen entwickelt und an alle Patienten verschickt, die im Zeitraum vom 07.07.2008 bis zum 12.03.2010 an einer fünfwöchigen teilstationären multimodalen Schmerztherapie im Schmerzzentrum des Universitätsklinikums Erlangen teilgenommen haben. Neben dem allgemeinen Wunsch nach einem Ausbau der Nachsorge wurde das Interesse an konkreten Nachsorgeangeboten abgefragt. Ergebnisse: 139 Fragebögen wurden verschickt. Der Rücklauf betrug n=109 Fragebögen, alle konnten ausgewertet werden. 93 % der Patienten wünschten sich einen Ausbau der Nachsorge. Eine offene Nachsorgegruppe unter Leitung eines Therapeutenteams aus Arzt und Psychologe war mit 73 % das meistgewünschte Nachsorgekonzept. Nur 5 % konnten sich dies unter der alleinigen Leitung eines Psychologen vorstellen und 7 % unter der Leitung eines Arztes. 40 % der Patienten wünschten sich ein Internetforum, 38 % eine eigenständige Selbsthilfegruppe, 35 % monatliche Informationsemails. 32 % wünschten sich die Möglichkeit, bei Bedarf Einzelgespräche bei einem Therapeutenteam (Arzt und Psychologe) in Anspruch nehmen zu können. 13 % wünschten sich rein psychologische Einzelgespräche, 6 % rein medizinische. 19 % der Patienten könnten sich einen regelmäßigen therapeutischen Emailverkehr vorstellen, 14 % einen telefonischen und 8 % einen Kontakt über Chat. Schlussfolgerung: Diese Untersuchung liefert Daten bezüglich Wünschen, Interessen und Bedürfnissen hinsichtlich der Nachsorge im Anschluss an eine multimodale Schmerztherapie. Die vorliegenden
Daten legen ein hohes Interesse von Patienten an einem Ausbau der Nachsorge nahe und zeigen, dass unsere Patienten eine offene Nachsorgegruppe unter Leitung eines Therapeutenteams aus Arzt und Psychologe klar favorisieren, wie es auch der Philosophie und dem Konzept unseres Therapieprogramms entspricht. In Zukunft versuchen wir ein Nachsorgekonzept anzubieten, das diesen Patientenwunsch berücksichtigt. P15.10 Aktionsbündnis Schmerzfreie Stadt Münster J. Osterbrink1, A. Ewers1, E. Pogatzki-Zahn2, S. Hemling1, N. Nestler1, Z. Bauer1, I. Gnass1, E. Sirsch1, C. Krüger1, B. Mitterlehner1, P. Kutschar1, B. Fischer3, U. Marschall3, M. Weichbold4, H. van Aken2 1 Paracelsus Medizinische Privatuniversität Salzburg, 2Uniklinikum Münster, 3 Barmer GEK, Wuppertal, 4Universität Salzburg, Saklzburg Hintergrund: Die schmerztherapeutische Unterversorgung von betroffenen Menschen in Einrichtungen des Gesundheitssystems ist ein anhaltend gravierendes Problem. Die Möglichkeiten der modernen Analgesie werden, trotz bestehender Leitlinien und Standards, u. a. aufgrund struktureller und organisatorischer Mängel des Schmerzmanagements, bei weitem nicht ausgeschöpft. Das Versorgungsforschungsprojekt “Aktionsbündnis Schmerzfreie Stadt Münster“ hat zum Ziel, das multiprofessionelle Schmerzmanagement in den Versorgungseinrichtungen der Modellstadt Münster in einer epidemiologischen Studie zu analysieren und gemäß den gültigen Pflegestandards und ärztlichen Leitlinien zu optimieren. Fragestellung: Die Studie untersucht inwieweit die gesetzlich geforderten ärztlichen Leitlinien und pflegerischen Standards zum Schmerzmanagement in unterschiedlichen Gesundheitseinrichtungen in der Stadt Münster umgesetzt werden. Dabei wird ermittelt welcher Bedarf an medizinischen und/oder pflegerischen Interventionen sich anhand der Analyseergebnisse zur Optimierung des Schmerzmanagements ableiten lässt. Eine gesundheitsökonomische Betrachtung der Ergebnisse soll zeigen inwieweit die umgesetzten Interventionen zu Veränderungen im Verbrauch von Ressourcen (z. B. Arzneimittel, Arzt- und Pflegebesuche, stationäre Therapie) führen und welche Nutzen sich durch die Interventionen a) aus Patientensicht, b) aus Sicht der Kostenträger, c) aus volkswirtschaftlicher Perspektive ergeben. Material und Methode: Die folgende Tabelle zeigt die in die Studie eingeschlossenen Einrichtungen mit jeweiligem Forschungsfokus und entsprechender Gruppe der StudienteilnehmerInnen: Tab. Einrichtung
Fokus
StudienteilnehmerInnen
Krankenhaus
Akutschmerz
Stationsärzte, Anästhesisten, Pflegende, Patienten
Stationäre Altenhilfe
Chronischer / akuter Schmerz
Pflegende, Bewohner
Ambulante Pflegedienste
Krebsschmerz
Pflegende, Patienten, Angehörige
Hospize
Krebsschmerz
Pflegende, Gäste
Schmerzpraxen
Chronischer Rückenschmerz
Ärzte, Patienten
der gültigen Standards und Leitlinien wird aufgedeckt und Möglichkeiten der Optimierung erarbeitet und erprobt. Darüber hinaus wird die Schnittstellenproblematik zwischen den evaluierten Sektoren aufgezeigt. P15.11 Entwicklung eines Interviewleitfadens zur Standardisierung und Strukturierung von Eingangs- und Abschlussgesprächen in der teilstationären multimodalen Schmerzbehandlung D. Tuffner, C. Schön, C. Hafner, P. Mattenklodt, P. Albert, L. Dorscht, R. Sittl Schmerzzentrum, Erlangen Fragestellung: Um die Qualität einer multimodalen Schmerzbehandlung zu gewährleisten, müssen Therapieabläufe kontinuierlich hinterfragt und optimiert werden. Dies gilt u. a. für die Durchführung von Eingangs- und Abschlussgesprächen im Rahmen einer teilstationären multimodalen Schmerzbehandlung. Das Ziel bestand darin, diese Therapieabschnitte zu standardisieren und zu strukturieren. Methoden und Ergebnisse: Es wurde ein Interviewleitfaden zur Durchführung von Eingangs- und Abschlussgesprächen entwickelt. Mit dessen Hilfe können gemeinsam mit dem Patienten Schmerzlokalisationen und -intensitäten sowie das Wohlbefinden im körperlichen, seelischen und sozialen Bereich erhoben werden. Thematisiert werden können außerdem Einflussmöglichkeiten auf die Schmerzen und das subjektive Krankheitsmodell des Patienten. Der Interviewleitfaden sieht zudem vor, Therapieziele zu formulieren. Darüber hinaus können therapiebezogene Ängste und Bedenken besprochen werden. Zur Veranschaulichung der jeweiligen Themenbereiche wurden numerische Ratingskalen und Kuchendiagramme verwendet, auf welchen gegen Ende der Therapie Veränderungen aufgezeigt werden können. Diskussion: Beim Einsatz des Interviewleitfadens in der teilstationären multimodalen Schmerzbehandlung des Universitätsklinikums Erlangen zeigte sich, dass dieser geeignet ist, günstige therapeutische Ausgangsbedingungen, z. B. die Bildung einer therapeutischen Allianz, zu fördern. Das biopsychosoziale Schmerzmodell wird frühzeitig etabliert. Entsprechende Veränderungsbereiche können differenziert aufgezeigt werden, so dass Behandlungsmotivation aufgebaut wird und Therapieziele abgeleitet werden können. Besonders hervorzuheben ist die Möglichkeit, Behandlungsfortschritte zu visualisieren, um daran anschließend das weitere therapeutische Procedere, auch im häuslichen Umfeld, anzupassen. Zudem kann der Interviewleitfaden zur Erhebung von Katamnesedaten eingesetzt werden. Nach Kanfer, Reinecker und Schmelzer handelt es sich hierbei um wichtige Stufen des 7-PhasenModells, das sich in der Selbstmanagementtherapie zur Gestaltung des diagnostisch-therapeutischen Prozesses etabliert hat. Durch das standardisierte Vorgehen ist zudem eine Vergleichbarkeit von Therapieverläufen möglich. Ausblick: Ein standardisiertes und strukturiertes Vorgehen wird in allen Therapieabschnitten einer multimodalen Schmerztherapie für notwendig erachtet. Langfristiges Ziel ist demnach die Entwicklung eines Therapiemanuals zur Festlegung von Therapieinhalten und -abläufen im interdisziplinären diagnostisch-therapeutischen Prozess.
Für jeden Bereich wurden einrichtungs- und personengruppenspezifische Instrumente zur Datenerhebung entwickelt. Nach Analyse des IstZustandes im Pre-Test mittels standardisierten Fragebogen und/oder semi-strukturierten Interviews werden, falls erforderlich, Optimierungsmaßnahmen erarbeitet und umgesetzt. In einem anschließenden Post-Test wird das Schmerzmanagement reevaluiert. Zu erwartende Ergebnisse Im Rahmen des Projekts werden epidemiologische Daten in zum Teil noch unerforschten Versorgungsbereichen generiert. Die Umsetzung Der Schmerz Supplement 1 · 2010
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Abstracts P15.12 Arbeits- und Erwerbsfähigkeit Patienten mit Fibromyalgiesyndrom nacheiner stationären psychosomatischen Rehabilitation A. Schlößer1, V. Köllner2, K. Bernardy3 1 Fachklinik für Psychosomatische Medizin, Mediclin Bliestal Kliniken, Blieskastel, 2Fachklinik für Psychosomatische Medizin, Mediclin Bliestal Kliniken, Blieskastel und Medizinische Fakultät der Universität des Saarlandes, Homburg/Saar, Blieskastel; Homburg/Saar, 3Fachklinik für Psychosomatische Medizin, Mediclin Bliestal Kliniken, Blieskastel und Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie, Universitätskliniken des Saarlandes, Homburg/Saar, Blieskastel; Homburg/Saar Einleitung: Das Fibromyalgiesyndrom (FMS) ist eine chronische muskuloskeletale Schmerzkrankheit, die häufig zu einer Gefährdung der Erwerbsfähigkeit (EF) führt. Aus diesem Grund wird bei diesen Patienten häufig die Indikation zu einer stationären Psychosomatischen Rehabilitation gestellt, gleichzeitig bestehen aber Zweifel daran, ob das Ziel eines Erhalts oder einer Wiederherstellung der EF bei FMS realisierbar ist. Ziel der vorliegenden Studie ist es, zu untersuchen, wie der sozialmedizinische Verlauf nach einer Psychosomatischen Rehabilitation war und wie die FMS-Patienten diese Maßnahme retrospektiv evaluieren. Methodik: 579 FMS-PatientInnen, die an einer psychosomatischen Rehabilitation teilgenommen hatten und die postalisch noch erreichbar waren wurden 1-5 Jahre danach (Mittelwert = 3,19 Jahre) postalisch befragt, wie sich ihre Erwerbsfähigkeit im Verlauf entwickelt hatte und welche Teilbereiche der Rehabilitationsmaßnahme sie als hilfreich empfunden hatten. Ergebnisse: Es antworteten 239 Patienten, von denen 28 Patienten eine Teilnahme offen verweigerten, sodass die Daten von 211 Patienten vorlagen. Das entspricht einer Rücklaufquote von 36,4 %. Im Durchschnitt waren die Patienten bei Befragung 53,57 +-SD = 6,005 Jahre alt, 202 (95, 27 %) waren weiblich, 9 (4,3 %) waren männlich. 19.9 % der Patienten gaben an, dass sie zum heutigen Zeitpunkt vollschichtig arbeiten, weitere, 20.2 % arbeiten in Teilzeit und 6.2 als Minijob. 10,4 % sind arbeitssuchend gemeldet, 42,7 % bezeichnen sich als nicht erwerbstätig. 24,4 % erhielten inzwischen eine Rente wegen vollständiger und 6,2 % wegen teilweiser Erwerbsminderung und 4,3 % Altersrente. Bei 5,7 % läuft aktuell ein Rentenverfahren. Je 68,7 % der Rehabilitanden schilderten in der Rückschau, dass sie durch die stationäre Maßnahme sehr oder etwas hinsichtlich ihrer Lebensqualität und ihres Aktivitätsniveaus profitiert hätten, 61,1 % berichten eine Verbesserung der Schmerzen und 59,7 % eine Verbesserung der Depressivität, jedoch wurden nur in 48,3 % eine Verbesserung der Begleitsymptomatik angegeben. Als hilfreich wurden sowohl die Psychotherapie als auch Ausdauertraining und passive Anwendungen (z. B. Wärmeanwendung) erlebt, nicht aber die ärztlich-medikamentöse Behandlung. Schlussfolgerung: Etwa die Hälfte der FMS-Patienten ist auch im Langzeitverlauf nach Psychosomatischer Rehabilitation noch erwerbstätig, nur 24,4 % beziehen eine volle Erwerbsminderungsrente. Eine pessimistische Einschätzung der Erwerbsprognose bei FMS wird durch diese Daten nicht gestützt. Auch im Rückblick nach ca. 3 Jahren wird die Rehabilitation noch als hilfreich erlebt, wobei vor allem Psychotherapie, Ausdauertraining und passiv-entspannende Maßnahmen hervorgehoben werden. Eingeschränkt wird die Interpretation der Daten jedoch durch die hohe Dropoutquote, so dass eine systematische Erhebung mit Erfassung der Leistungsdaten der Sozialversicherungsträger wünschenswert wäre.
P15.13 Die interdisziplinäre multimodale Schmerztherapie in Bad Berka (Thüringen) – Daten zur Wirksamkeit eines multimodalen Behandlungsprogramms bei hochchronifizierten Schmerzpatienten M. Hewig, B. Otto, I. Lutz, J. Lutz Zentralklinik Bad Berka Fragestellung: Die Überlegenheit multimodaler (teil-)stationärer Schmerztherapien bei hochchronifizierten Schmerzpatienten gegenüber mono- oder multidisziplinären ambulanten Behandlungen ist gut empirisch belegt (vgl. Arnold et al., 2009). In Thüringen wurde im Jahr 2006 ein Zentrum für interdisziplinäre Schmerztherapie in der Zentralklinik in Bad Berka aufgebaut. Behandelt werden dort hochchronifizierte Patienten mit überwiegend multilokulären Schmerzen, bei denen nach einem ausführlichen interdisziplinären Assessment eine entsprechende Indikation bei ausreichender Therapiemotivation gestellt wurde. Die interdisziplinäre Schmerztherapie in Bad Berka umfasst ein intensives stationäres dreiwöchiges Therapieprogramm. Die Therapieinhalte sind diagnoseunabhängig und die Behandlung erfolgt überwiegend im Gruppensetting. Die vorliegende Arbeit präsentiert die empirischen Daten zur Wirksamkeit des Therapieprogramms. Material und Methode: Erfasst wurden Schmerzstärke, schmerzbedingte Beeinträchtigungen, Funktionseinschränkungen, Depressivität und Ängstlichkeit zu Therapiebeginn und –ende. Es erfolgten Katamnesen nach 3 bzw. 6 und 12 Monaten. Es wurden insgesamt 60 vollständige Datensätze ausgewertet. Ergebnisse: Die varianzanalytischen Ergebnisse zeigen signifikante Effekte in fast allen erhobenen Parametern nach dreiwöchiger Behandlung. Nur in der Funktionskapazität zeigt sich keine signifikante Reduktion. Die Schmerzstärke und die subjektive schmerzbezogene Beeinträchtigung dagegen sinken nicht nur über die 3 Wochen, sondern bleiben auch über 12 Monate im Vergleich zum Therapiebeginn deutlich reduziert. Die Ängstlichkeit reduziert sich im Therapieverlauf, steigt aber nach 12 Monaten wieder an. Bei der Depressivität zeigen sich uneinheitliche Befunde. Während sich für einen Depressivitätsparameter stabile Effekte zeigen, steigen die Werte im anderen Depressionsparameter nach 12 Monaten wieder an. Diskussion: Obwohl bereits nach 3 Wochen intensiver Schmerztherapie bei hochchronifizierten Schmerzpatienten in fast allen Therapieerfolgskriterien bedeutsame Effekte festgestellt werden konnten, bleiben die Effekte über das nachfolgende Jahr nicht unbedingt stabil. Schlussfolgerung: Um eine nachhaltigere Veränderung zu erreichen, wären (teil-)stationäre Boosterprogramme sowie verbesserte vernetzte ambulante Versorgungssysteme für diese hochchronifizierten Schmerzpatienten notwendig. Arnold, B., Brinkschmidt, T., Casser, H.-R., Gralow, I., Irnich, D., Klimczyk, K., Müller, G., Nagel, B., Pfingsten, M., Schiltenwolf, M., Sittl, R., Söllner, W. (2009). Multimodale Schmerztherapie. Konzepte und Indikation. Schmerz, 23 (2), 112-120. P15.14 Entspannungstraining in der Behandlung chronischer Schmerzpatienten: Einflussfaktoren auf den Entspannungserfolg L. Dorscht1, P. Mattenklodt1, C. Hafner1, C. Wille1, D. Runkel2, R. Sittl3 1 Schmerzzentrum, Erlangen, 2Friedrich Alexander Universität ErlangenNürnberg, Erlangen, 3Universitätsklinikum Erlangen Fragestellung: Entspannungsverfahren haben sich als effektive Behandlungsmethode chronischer Schmerzen erwiesen und gelten als zentraler Bestandteil multimodaler Schmerztherapieprogramme. Bisher ist jedoch kaum systematisch untersucht worden, welche Faktoren den Erfolg eines Entspannungstrainings beeinflussen. Material und Methode: Es wurden längsschnittlich Daten von 39 Patienten erhoben, die an einer multimodalen Behandlung im interdisziplinären Schmerzzentrum des Universitätsklinikums Erlangen teilnahmen. Als Maße des Entspannungserfolges wurden anhand psycho-
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metrischer Fragebögen (ET-EVA, Krampen, in Druck) folgende Faktoren erfragt: – subjektiv empfundene Entspannungswirkung im Verlauf der Therapie – Meinung der Teilnehmer über Entspannungsverfahren am Ende der Therapie – Fortführung von Entspannungsverfahren 10 Wochen nach der Therapie Als unabhängige Variablen wurden verschiedene Persönlichkeits-, Motivations- und Einstellungsfaktoren psychometrisch erfasst. Alle Faktoren wurden am 1. Therapietag (t1) erfragt, einige zusätzlich am 3. Tag nach einer Einführung in die Entspannung (t2). Die statistische Auswertung erfolgte über hierarchische Regressionsanalysen. Ergebnisse: Eine signifikant bessere subjektive Entspannungswirkung wurde von Patienten beschrieben, die eine geringe Hoffnungslosigkeit bzgl. der Besserung ihrer Beschwerden (PAREMO, Hafen, 2001; t1), eine hohe positive Einstellung gegenüber Entspannungsverfahren (HypnoS, Dohrenbusch & Scholz, 2003; t2), eine niedrige geringste Schmerzstärke (NRS; t1) und eine hohe Selbstwirksamkeit bzgl. der erfolgreichen Anwendung von Entspannungsverfahren (Ströbl, Reusch & Ellgring, 2004; t1) angaben. Die Meinung über Entspannungsverfahren war ebenso bei Patienten mit hoher positiver Einstellung (t2) und geringer Hoffnungslosigkeit (t1) signifikant positiver. Bzgl. der Fortführung von Entspannungsübungen zeigte sich, dass bei Patienten mit hoher Ausprägung auf der Persönlichkeitsvariable Beanspruchung (FPI) der Alltagstransfer signifikant besser gelang. Weiterhin war das Ausmaß der Veränderungsmotivation bedeutsam (FFStabs), wobei eine sehr niedrige (Stadium Sorglosigkeit) und sehr hohe Veränderungsmotivation (Stadium Aufrechterhaltung) negative, eine mittlere Veränderungsmotivation (Stadium Handlung) hingegen positive Auswirkungen auf die weitere Anwendung hatten. Diskussion/ Schlussfolgerung Sowohl die subjektiv empfundene Entspannungswirkung als auch die Meinung über Entspannungsverfahren wurde vor allem durch die Einstellung zu dieser Therapieform nach einer ersten Einführung beeinflusst. Dies unterstreicht die Bedeutung der ersten Therapietage mit verständlicher Vermittlung der Therapieinhalte. Bei sehr hoffnungslosen Patienten wurde die Entspannung hingegen als weniger hilfreich empfunden. Ein guter Alltagstransfer scheint vor allem bei Patienten mit mittlerer Veränderungsmotivation und hoher Beanspruchung zu gelingen, weshalb Entspannungsverfahren vor allem bei dieser Patientengruppe als indiziert angesehen werden können.
P17 – Pflege P17.1 Umsetzung ambulanter palliativmedizinischer Versorgung von Patienten am Lebensende – Erfahrungen eines Palliativteams P. Paul, E. Lux Klinikum St. -Marien-Hospital, Lünen Einleitung: Auf der Grundlage der Vereinbarung über die Umsetzung der ambulanten palliativmedizinischen Versorgung von unheilbar erkrankten Patienten im häuslichen Umfeld zwischen den Krankenkassen sowie der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe vom 30.04.2009 wurde ein ambulantes Palliativnetz gegründet. Dieses arbeitet auf der Grundlage von Erfahrungen einer bereits seit 10 Jahren über unsere Schmerzambulanz organisierte ambulante Patientenversorgung. In unserer Region (ca. 300.000 Einwohner) steht Haus- und Fachärzten rund um die Uhr ein Team aus sieben qualifizierten Palliativmedizinern und zwei Palliativpflegediensten zur Verfügung. Unser Angebot reicht von Beratungsleistungen bis zur kompletten ärztlichen und pflegerischen Versorgungen der Patienten (Spezialisierte ambulante Palliativversorgung, SAPV).
Methodik: Vertraglich sind die Hausärzte angehalten, nach dem Tode der Patienten dem Palliativnetz Angaben zum Sterbeort des Patienten zu machen und die Arbeit des Palliativkonsiliardienstes (PKD) einzuschätzen. An die Adressen der 80 verstorbenen Patienten, welche uns die Hausärzte meldeten, wurde durch das Palliativnetz ein Fragebogen zur Zufriedenheit mit der geleisteten Versorgung zugesandt. Die den Angehörigen gestellten Fragen betrafen unter anderem die Bereiche Schmerztherapie, Symptomkontrolle, psychosoziale und spirituelle Unterstützung, Zeitressourcen und Kompetenz der Behandler. Ergebnisse: 311 Palliativpatienten wurden in unserem Netzwerk im Jahr 2009 eingeschrieben und den Krankenkassen gemeldet. Von 80 Hausärzten erhielten wir eine schriftliche Rückmeldung nach dem Tod eines Patienten. 52 (65 %) Patienten verstarben zu Hause, 2 (2,5 %) im Altenheim, 2 (2,5 %) im Hospiz und 24 (30 %) im Krankenhaus. Die Hausärzte beurteilten Ihre Zufriedenheit mit den Leistungen des PKD mit 42x „sehr gut“ (52,5 %), 10x „gut“ (12,5 %) und 28x „ohne Angaben“ (35 %). Die Rücklaufquote der an alle Angehörigen der verstorbenen Patienten versandten Fragebögen betrug 57,5 % (n=46). Es wurde eine hohe Zufriedenheit mit der ärztlichen und pflegerischen häuslichen Versorgung attestiert. Völlige Zufriedenheit wurde hinsichtlich der Schmerzbehandlung in 96 % (n=45) und der Symptomkontrolle in 92 % (n=44) beschrieben. 78 % (n=37) der Befragten waren mit der psycho-sozialen Unterstützung durch das Palliativnetzes zufrieden.. Schlussfolgerungen: Auf der Grundlage vertraglicher Regelungen konnte die ambulante, palliativmedizinische Versorgung von Patienten und deren Angehörigen mit hoher Zufriedenheit der Angehörigen und der Hausärzte etabliert werden. P17.2 Motivationslage und professionelleEntwicklungsinteressen von Teilnehmern des multiprofessionellen schmerztherapeutischenKurses „Pain Care Manager (Univ.)“ K. Fragemann, N. Meyer, C. Lassen, K. Theis, B. Graf, C. Wiese Universitätsklinikum Regensburg Hintergrund: Als eine wichtige Voraussetzung für die Qualitätssicherung in der Schmerztherapie wird in jüngster Zeit die multiprofessionelle Weiterbildung durch verschiedene Qualifizierungsangebote verstärkt genannt. Das Universitätsklinikum Regensburg bietet seit 2009 ein solches multiprofessionelles Curriculum „Pain Care Manager (Univ.)“ (PCM) an. Ziel der Studie war die Erhebung der Motivationslage und Entwicklungsinteressen der Teilnehmer (TN) im Handlungsfeld Schmerztherapie. Methodik: Prä- und postevaluative Befragung der TN des Kurses PCM 2010 (Zeitintervall 3 Monate) mittels vergleichendem Fragebogen mit Likert-Skalierung. Die inhaltliche Konstruktion der Items war professionsungebunden, sich an den Lernzielen des Curriculums PCM (Anerkennung durch die DGSS) orientierend. Die statistische Auswertung erfolgte deskriptiv mittels SPSS 16. Ergebnisse: Stichprobe N=16 TN (Pflege: 15, Arzt: 1), Zusatzqualifikationen (n= 50 %); Motivation für den Kurs: Schmerztherapeutischer Kenntnisgewinn zur verbesserten Patientenversorgung (88,9 %), hoher Anteil von Schmerzpatienten im Tätigkeitsbereich (61,1 %), angestrebte Eigenverantwortung (83,3 %), Schmerztherapie in der Basisausbildung fehlte (77,8 %). Häufig führten die TN präevaluativ bereits schmerztherapeutische Anordnungen (94,4 %), Kommunikation schmerzrelevanter Patienteninformationen (83,3 %), nichtmedikamentöse Therapien (66,7 %), Beratung (29,4 %), Diagnostizieren/ Einschätzen (16,7 %) aus. Aufgaben (A), die einer schmerztherapeutischen Fachkraft am häufigsten zugeschrieben wurden, dem Wunsch (W) der Teilnehmer nach Verantwortung postevaluativ entsprachen und für die sie sich nach der Weiterbildung als tatsächlich qualifiziert (q) fühlten: Entwicklung/Umsetzung von Betreuungskonzepten (A=93,8 %/W=81,3 %/ q=62,5 %), Implementierung von Schmerzstandards (A=93,8 %/ W=87,5 %/q=81,3 %), Kenntnis/Nutzung schmerztherapeutischer NetzDer Schmerz Supplement 1 · 2010
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Abstracts werke (A=87,5 %/W=81,3 %/q=68,8 %),. Gewünscht wurden additive Qualifikationen wie das Management spezieller Patientengruppen mit zu erwartender Schmerzsymptomatik (z. B. Palliative Care) (68,8 %). Projektmanagement (50 %). Diskussion/Schlussfolgerung: Es zeigte sich ein starkes Interesse, sich mit der Expertenrolle innerhalb der Professionsgrenzen durch die Bereitschaft zur Verantwortung spezifischer Aufgabenbereiche zu definieren. Für Pflegekräfte gibt es bislang eine wenig verbindlich definierte Expertenrolle in der Schmerztherapie. Um spezifische Handlungskompetenzen zu stärken und größere Handlungssicherheit zu erreichen, sind Vertiefungs- und Ergänzungsthemen geplant. Zur Förderung der nichtärztlichen Expertenrolle werden eine innerklinische aufgabengebundene Vernetzung und ein außerklinisches Netzwerk der TN angestrebt. Die Studie zur professionellen Entwicklung der Absolventen (2009-2012) ist im Längsschnitt nach jeweils 1 und 2 Jahren angelegt. P17.3 Kenntnisse im pflegerischen Schmerzmanagement bei Kindern – Übersetzung und Überprüfung des PNKAS-Sr 2002 P. von Lützau, S. Herzog, T. Hechler, B. Zernikow Vestische Kinder- und Jugendklinik Datteln, Universität Witten/Herdecke, Datteln Fragestellung: Die Weiterqualifikation (WQ) „Experte für Schmerzmanagement in der pädiatrischen Pflege“ fand 2010 erstmals statt. Essentiell ist dabei die Evaluation der WQ bzgl. des Kenntnisstands von Pflegenden. Bis dato existiert jedoch kein deutschsprachiges Messinstrument, um den Kenntnisstand von Pflegenden bezogen auf Schmerzen und Schmerzmanagement bei Kindern zu erheben. Die Studie beschäftigt sich daher mit der Validierung des aus den USA stammenden Pediatric Nurses Knowledge and Attitudes Survey Regarding PainShriners revision 2002 (PNKAS-Sr 2002). Material und Methode: Zur Validierung des Fragebogens erfolgte eine cross-cultural validation nach Beaton mit ff. Schritten: 1. Übersetzung und Re-Übersetzung, 2. Kulturelle Anpassung durch multiprofessionelles Expertenpanel, 3. Überprüfung anhand von Inhaltsvalidität, Anwendbarkeit und Schwierigkeitsindex (SI). Die Inhaltsvalidität wurde von 9 Experten mittels des Content Validitiy Indexes (CVI) bestimmt. Anhand einer Stichprobe von 133 Pflegenden der Pädiatrie wurden Anwendbarkeit und SI untersucht. Zudem wurden einfaktorielle Varianzanalysen (ANOVA) zum Gruppenvergleich zwischen Pflegenden (Berufserfahrung, Qualifikation) durchgeführt. Ergebnisse: Die Übersetzung und kulturelle Anpassung des Fragebogens führten zu sprachlichen wie auch inhaltlichen Veränderungen. Für 40 Items wurde die Inhaltsvalidität von den Experten als angemessen beurteilt (CVI =. 79). Die Pflegenden bewerteten den Fragebogen als verständlich. Durch die Analyse des SI wurden 11 Items (insbes. Items zur medikamentösen Analgesie) gestrichen (3 Items >. 80; 9 Items <. 20). Im Mittel erreichten die Pflegenden 19.78 (±3.25) von 29 Punkten. Den höchsten Kenntnisstand zeigten Pflegende mit einer Berufserfahrung von 6-10 Jahren (21.4, ±2.99; F=4.205, df=3, p=. 007) bzw. mit einer 2jährigen Fachweiterbildung (21.2 ±3.24; F=9.731, df=2, p=. 001). Pflegende mit einer Berufserfahrung =15 Jahre hatten im Mittel gleiche Werte (18.9 ±3.49) wie Anfänger (<6 Berufsjahre; 19.0 ±2.80). Diskussion: Die Studie liefert eine validierte deutsche Fassung des PNKAS-Sr 2002. Eine Item-Anpassung erfolgte. Erklärbar ist dies durch unterschiedliche Zuständigkeiten der Pflegenden im Schmerzmanagement in den USA und Deutschland sowie die Zeitspanne von 8 Jahren zwischen der Entwicklung des PNKAS-Sr2002 und der Überarbeitung für den deutschen Sprachraum. Erste Ergebnisse der Stichprobe bestätigen die Anwendbarkeit des Fragebogens. Mit Hilfe der deutschen Version des PNKAS-Sr 2002 ist eine Unterscheidung zwischen Gruppen mit unterschiedlichem Kenntnisstand möglich. Schlussfolgerung: Mit dem übersetzten und kulturell angepassten Fragebogen PNKAS-Sr2002-D ist nun ein valides deutschsprachiges Ins-
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trument zur Überprüfung des Kenntnisstandes im Bereich pflegerischen Schmerzmanagements vorhanden. Es besteht weiterer Forschungsbedarf, um zu prüfen, ob der Fragebogen für spezielle Arbeitsbereiche (z. B. Onkologie, Neonatologie) oder Qualifizierungsstufen modifiziert werden muss. P17.4 Sehr hohe Patientenzufriedenheit mit postoperativer Schmerztherapie über 3 Tage: Ergebnisse einer Befragung an 131 Patienten. F. Blauensteiner1, W. Jaksch2, B. Gustorff2 1 Medizinische Universität Wien, 2Wilhelminenspital Wien, Österreich Fragestellung: Ergebnisse früherer Studien haben gezeigt, dass trotz Verfügbarkeit immer besserer Therapiemöglichkeiten rund 40 % aller Patienten schmerztherapeutisch unterversorgt bleiben(1). In dieser Studie an allen operativ tätigen Abteilungen des Wiener Wilhelminenspitals lag das Hauptaugenmerk auf der Zufriedenheit der Patienten mit der Analgesie bis zum zweiten postoperativen Tag. Weitere Fragestellungen bezogen sich auf die Nachtruhe, die Wirksamkeit der angewandten analgetischen Verfahren und Qualität der Eintragungen in die Krankengeschichten. Material und Methode: Es wurde ein strukturiertes Patienteninterview durchgeführt, sowie mittels Erfassungsbogen die Qualität der Schmerztherapie und ihre Dokumentation erfasst. Alle Daten wurden anonymisiert. Die Diagnose, Art der Operation, sowie die Art der Schmerztherapie wurden ebenfalls dokumentiert. Es wurde geprüft, ob Schmerzen mittels VAS bis zum zweiten postop. Tag dokumentiert wurden. Zusätzlich war der maximale VAS in Ruhe für den jeweiligen Tag festzuhalten. Weiters wurde das Vorhandensein der postoperativen Verordnung der Anästhesie in der Mappe der Krankengeschichte überprüft, ob diese in die Kurve übernommen und auch durchgeführt wurde. Anschließend wurde der Evaluierungsbogen im Gespräch mit dem Patienten vervollständigt. Es wurde festgestellt, ob Schmerzen erfolgreich gelindert wurden und die Nachtruhe gestört war. Die erhobenen Daten wurden deskriptiv ausgewertet. Ergebnisse: Es wurden 131 Patienten im Alter zwischen 25 und 93 Jahren in die Studie eingeschlossen, darunter 77 weibliche (58,8 %) und 54 männliche Patienten (41,2 %). Der Großteil der Patienten (121) war mit der Schmerztherapie sehr zufrieden. (92,4 %). 8 Personen (6,1 %) gaben sich mäßig zufrieden und einer der Befragten gab an, mit der postoperativen Schmerztherapie wenig zufrieden zu sein. Dennoch zeigte sich, dass durchgehend bis zum zweiten postoperativen Tag, gerade einmal 46 Patienten (35,1 %) schmerztherapeutisch ausreichend, (VAS < 3) behandelt wurden. Von allen Patienten in deren Krankengeschichte wie vorgesehen, bis zum zweiten postoperativen Tag Schmerzen dokumentiert wurden, waren 15 Patienten (21,7 %) an zwei Tagen und 8 Patienten (11,6 %) an nur einem Tag ausreichend versorgt. Im Umkehrschluss konnte gezeigt werden, dass es 8 Personen (6,1 %) gab, welche an zwei Tagen schmerztherapeutisch unterversorgt blieben, glücklicherweise gab es keinen Patienten, der an allen drei Tagen unzureichend versorgt wurde. Die Schmerzdokumentation wurde laut Krankengeschichte bei 69 Patienten (52,7 %) wie vorgesehen durchgeführt. Diskussion und Schlussfolgerung: Die Befragung in Form einer Stichprobe ergab eine sehr hohe Patientenzufriedenheit mit der postoperativen Schmerztherapie. Im Detail konnten jedoch noch Schwächen in der Durchgängigkeit der analgetischen Therapie aufgezeigt werden. Gründe hierfür sind auch Mängel in der Routineerfassung und – dokumentation der Schmerzen, insbesondere bezüglich konsequenter Anwendung der VAS. Literaturverzeichnis (1) Apfelbaum JL, Chen C, Mehta SS, Gan TJ. Postoperative pain experience: results from a national survey suggest postoperative pain continues to be undermanaged. Anesth Analg. 2003 Aug;97(2): 534-40, table of contents.
P17.5 Stellenwert des zertifizierten Weiterbildungskurses zur „Algesiologischen Fachassistenz“ der DGSS -Ergebnis einer Erhebung zur Qualitätssicherung M. Thomm1, N. Schlegel1, B. Wolff 2, E. Löseke3, P. Paul4, D. Grünewald5, D. Märkert6 1 Schmerzzentrum der Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin der Uniklinik Köln, 2Sanakliniken Sommerfeld, Helmut-Ulrici-Klinik, Kremmen, 3Brüderkrankenhaus St. Josef, Anästhesie, Paderborn, 4Klinik für Schmerz- und Palliativmedizin St. Marien Hospital, Lünen, 5Schmerzambulanz der Charité Campus Mitte, Berlin, 6Universitätskliniken Erlangen, Anästhesiologische Klinik, Schmerzambulanz, Erlangen Fragestellung: Kann durch erworbene pflegerische Fachkompetenz im Schmerzmanagement die Qualität in der Versorgungspraxis akuter und chronischer Schmerzpatienten verbessert werden? Methode: Im Rahmen einer Erhebung zum Stellenwert des zertifizierten Weiterbildungskurses zur algesiologischen Fachassistenz hat der Ak Krankenpflege und med. Assistenzberufe der DGSS einen doppelseitigen Evaluierungsbogen mit 18 Fragen entwickelt und an 619 ausgebildete zertifizierte algesiologische Fachassistenten verschickt. Das Kollektiv bestand aus deutschen, österreichischen und schweizerischen Teilnehmern, die in den Jahren von 2001-2008 den Weiterbildungskurs erfolgreich absolviert haben. Die Auswertung der Evaluierungsbögen erfolgte mittels des Statistikprogramms SPSS. Ergebnisse: 183 (29,6 %) Kursteilnehmer haben den Evaluierungsbogen auswertbar zurückgeschickt. Davon haben sich 110 (60,1 %) nach Abschluss des Weiterbildungskurses weiterhin mit schmerztherapeutischen Themen auseinandergesetzt und fortgebildet. Der Tätigkeitsbereich der Pflegenden liegt sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich. In 139 (76 %) Einrichtungen wird mittels standardisierten Schmerzerhebungsinstrumenten eine Schmerzersteinschätzung/-anamnese durchgeführt, die zu 51,4 % im Verantwortungsbereich der Pflege liegt und auch dokumentiert (90,2 %) wird. Es erfolgt nicht nur eine regelmäßige Schmerzmessung im Verlauf der Behandlung (157/85,8 %), sondern auch die Erfassung von schmerzbedingten Problemen wie z. B. Angst, Schlafstörungen (143/78,1 %). 139 (76,0 %) Einrichtungen verfügen über Verfahrensregelungen zur medikamentösen Schmerzbehandlung, die zu 70,5 % (129) auch Umsetzung finden. Schmerzmittelbedingte Nebenwirkungen werden in 94 % (172) der Fälle dokumentiert und behandelt (98,4 %/180). Schmerzpatienten erhalten in 160 Einrichtungen (87,4 %) zusätzlich zur Schmerzlinderung nichtmedikamentöse Verfahren wie z. B. Entspannungsverfahren, Lagerungstechniken, TENS und/oder Kälte-Wärmeapplikationen. 111 (60,6 %) Einrichtungen verfügen über ein Angebot zur Schulung und Beratung zur Schmerzbehandlung für Patienten und Angehörige. Die Durchführung obliegt zu 44,2 % (81) den Pflegenden. Schlussfolgerung: Fast alle Teilnehmer (180/98,3 %) wenden ihr erworbenes Wissen in ihrer täglichen Arbeit an und tragen somit zu einer Optimierung des Schmerzmanagements (165/90,1 %) bei. Weiterhin hat sich durch die erweiterte Fachkompetenz nicht nur die Akzeptanz im interdisziplinären Team erhöht, sondern darüber hinaus zeigte sich eine deutliche Verbesserung in der Zusammenarbeit u. a. mit den ärztlichen Kollegen. (156/85,2 %).
Freitag, 8. Oktober 2010 P03 – Experimentelle Schmerzmodelle III P03.1 Interaktion von Schmerz und kognitiver Aufgabenschwierigkeit – eine trial- sensitive Analyse Y. Roa Romero, T. Weiss Institut für Psychologie, Jena Hintergrund: Bisherige experimentelle Studien zur wechselseitigen Beeinflussung von Schmerz und der Bearbeitung kognitiver Aufgaben liefern heterogene Befunde bezüglich der Evidenz für den sog. „distraction effect“ (Reduktion d. Schmerzratings unter kognitiver Belastung) als auch für die sog. „interruptive function of pain“ (Reduktion der Aufgabenperformanz unter schmerzhaften Reizen). Unklar bleibt vor allem, ob beide Effekte gleichzeitig auftreten und ob eine mögliche Interaktion eine Dynamik aufweist. Ziel der aktuellen Studie ist es, die gegenseitige Beeinflussung beider Faktoren in einem parametrischen Design zu untersuchen und mittels eines Regressionsmodells zu prüfen, inwieweit die trial-spezifischen Fluktuationen innerhalb der Aufgabenperformanz als Prädiktor für das nachfolgende Schmerzrating sind und umgekehrt inwiefern das Schmerzrating ein Prädiktor für die nachfolgende Aufgabenperformanz sein kann. Methode: Mittels eines neu entwickelten Paradigmas zur gleichzeitigen parametrischen Manipulation von Schmerzreizen und Aufgabenschwierigkeit (via perceptual load) wurden 20 Probanden mit Laserhitzereizen stimuliert und bezüglich subjektiver Schmerzratings, Reaktionszeiten und Fehlerraten im Verhaltensexperiment untersucht. Die trial- sensitive Analyse der Daten erfolgt über ein regressionsanalytisches Mediatormodell, wobei sowohl Aufgabenperformanz als auch Schmerzrating als potenzielle Mediatoren untersucht werden. Arbeitshypothese 1: Es gibt eine signifikante Interaktion zwischen der Aufgabenschwierigkeit und der Schmerzintensität innerhalb der Verhaltensdaten (Schmerzratings, Fehleranzahl) Arbeitshypothese 2: I. Die Aufgabenperformance des Vorgängertrials ist bei konstantem Hitzelevel ein signifikanter Prädiktor für das Schmerzrating des Nachfolgertrials. II. Das Schmerzrating des Vorgängertrials ist bei konstantem Aufgabenschwierigkeitslevel ein signifikanter Prädiktor für die Aufgabenperformance des Nachfolgertrials. Ergebnisse: Es zeigen sich signifikante Haupteffekte für die Faktoren load (p = . 004) und pain (p = . 001),für Schmerzratings, RT und Fehler. Die Interaktion von load * pain ist signifikant für die Schmerzratings(p = . 001),allerdings nicht signifikant für die Fehleranzahl. Die trial-basierte Auswertung ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen. Diskussion: Die Ergebnisse zeigen sowohl die Existenz des „distraction effects“ innerhalb der Ratingdaten als auch der „interruptive function of pain“ bezüglich der Fehlerdaten. Weiterhin wird die Abhängigkeit des „distraction effects“ von der Intensität des Schmerzreizes bedingt und dies vor dem Hintergrund der gegenseitigen Einflussnahme von bottom up und top down Aufmerksamkeitsmechanismen diskutiert.
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Abstracts P03.2 Die Störfunktion von Schmerz im Vergleich zu auditiven Stimuli – eine fMRT-Studie K. Somborski, M. Rose, U. Bingel Universitätsklinikum Hamburg, UKE, Hamburg Fragestellung: Die Wahrnehmung von Schmerz interferiert mit parallel ablaufenden kognitiven und perzeptuellen Prozessen. Dieser im Fall akuter Schmerzen protektive Mechanismus wurde von Eccleston und Crombez (1999) als Störfunktion von Schmerz bezeichnet. Sowohl akute und chronische Schmerzen und bereits Schmerzcues führen zu Beeinträchtigungen verschiedener Hirnleistungsfunktionen. Dieser Effekt ist auf Verhaltensebene gut charakterisiert; die zugrundeliegenden neuronalen Mechanismen sind aber weitgehend unbekannt. Bingel et al. (2007) beschrieben die neuronalen Grundlagen dieses Phänomens erstmals exemplarisch für die visuelle Wahrnehmung. Moderate Schmerzreize beeinträchtigten dabei die Verarbeitung visueller Stimuli in objektrelevanten Arealen des ventralen visuellen Systems. Diese schmerzassoziierte Modulation war verhaltensrelevant: Mit Schmerzreizen gepaarte Bilder wurden in einer unangekündigten RecognitionAufgabe seltener wiedererkannt. Um die Schmerzspezifität dieses Phänomens zu überprüfen, entwickelten wir ein Paradigma, dass die Modulation der visuellen Verarbeitung durch Hitzereize und aversive auditive Stimuli vergleicht. Methode: Die Studie wurde von der Ethikkommission Hamburg genehmigt. Zu Beginn werden für jeden Probanden individuell angepasste moderate Hitzeschmerzreize bestimmt. Anschließend identifizieren die Probanden in einer direkten Vergleichsprozedur entsprechende aversive Töne. In einer visuellen Kategorisierungsaufgabe sollen dann belebte oder unbelebte Objekte auf Bildern verminderter Sichtbarkeit klassifiziert werden. Diese werden zu gleichen Teilen synchron mit Hitzeschmerzreizen, auditiven Stimuli oder ohne Distraktor dargeboten. Anschließend sollen die Probanden in einer unangekündigten Recognition-Aufgabe für die nun vollständig sichtbaren Bilder eine Bekannt/Unbekannt-Entscheidung treffen. Vorläufige Ergebnisse: Varianzanalysen mit Messwiederholung auf dem Faktor Modalität zeigen für die 12 untersuchten Probanden signifikante Effekte der Störreize auf die Reaktionszeiten (p=. 009) und die Recognition-Rate (p=. 031). Obwohl auditive Stimuli (VAS=56) tendenziell unangenehmer empfunden wurden als Hitzereize (VAS=56; t-Test für abh. Stichproben, p=. 06), zeigen post-hoc Analysen, dass nur bei den mit Schmerzreizen gepaarten Bildern mehr Zeit zur Klassifizierung benötigt wurde (Schmerz: 1274 ms, p=. 004; Ton: 1171 ms; kein Distraktor: 1192 ms). Ebenso wurden nur die mit Schmerzreizen gepaarten Bilder seltener wiedererkannt (42 %) als Bilder ohne Distraktor (51 %; p=. 031). Für Bilder mit synchron dargebotenem Ton ergab sich keine Leistungsminderung (48 %). Diskussion: Hitzeschmerzreize hatten im Vergleich zu aversiven auditiven Stimuli einen größeren negativen Einfluss auf die visuelle Objektverarbeitung. Aufgrund ihrer biologischen Relevanz scheinen Schmerzreize demnach eine stärkere Störfunktion als vergleichbar aversive auditive Stimuli auszuüben. Zurzeit werden die neuronalen Mechanismen dieses Phänomens in einer fMRT-Studie untersucht. P03.3 Steht verändertes operantes Lernens bei Fibromyalgiepatienten mit Merkmalen der Schmerzverarbeitung und psychischer Komorbidität in Zusammenhang? D. Matte, S. Becker, U. Kiessling, D. Kleinböhl, D. Baus, R. Hölzl Otto-Selz-Institut für Angewandte Psychologie – Universität Mannheim Fragestellung: Operante Lernprozesse spielen bei der Akquisition, Aufrechterhaltung und in der Therapie chronischer Schmerzen eine bedeutende Rolle. In früheren Studien konnte bei Gesunden gezeigt werden, dass die Schmerzwahrnehmung durch implizites operantes Lernen veränderbar ist. Bei Fibromyalgiepatienten (FMS) mit und
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ohne Reizdarmsyndrom (engl. irritable bowel syndrome, IBS) konnte beim Vergleich mit Gesunden beispielsweise nachgewiesen werden, dass FMS ohne IBS in einer Prozedur zur Konditionierung von Habituation paradoxerweise Sensibilisierung lernen. Die vorliegende Studie untersuchte, ob diese Veränderungen bei FMS mit und ohne IBS mit Merkmalen der Schmerzverarbeitung und psychischer Komorbidität in Zusammenhang stehen. Material und Methode: An der Studie nahmen 15 FMS mit und 17 FMS ohne komorbides IBS sowie 30 Gesunde teil. Standardisierte Fragebögen erfassten depressive Symptome (CES-D), Ängstlichkeit (STAI-X2), Chronifizierungsdauer und maximale Schmerzintensität. Schmerzschwellen wurden mit thermischer Kontaktreizung am Thenar und am M. Trapezius erhoben. Weiterhin nahmen alle Probanden an einem Verfahren zur operanten Modulation der Schmerzwahrnehmung teil. In zwei getrennten Sitzungen wurden die Lernbedingungen Sensibilisierung und Habituation durchgeführt. Als Indikator für operantes Lernen wurden in den vorherigen Studien die Temperaturverläufe der FMS mit denen der Gesunden verglichen. Zur Überprüfung von Zusammenhängen zwischen operantem Lernerfolg und Merkmalen der Schmerzverarbeitung sowie psychischen Komorbiditätsfaktoren wurden Rangkorrelationen berechnet. Ergebnisse: Kennwerte impliziten operanten Lernens bei FMS standen nicht im Zusammenhang mit depressiven Symptomen, Ängstlichkeit, der Chronifizierungsdauer und der maximalen Schmerzintensität. Beim Sensibilisierungslernen zeigte sich jedoch folgender Zusammenhang: Je mehr Tenderpoints und je niedriger die Schmerzschwellen bei den FMS waren, umso größer waren die Abweichungen der operanten Lernkurven von denen Gesunder. Die separate Analyse der FMS-Untergruppen, die vergleichbare Schmerzschwellen aufwiesen, ergab eine Auffälligkeit im Sensibilisierungslernen: So gab es bei FMS mit IBS ein Zusammenhang zwischen Abweichungen vom Lernverhalten und abgesenkten Schmerzschwellen. Diskussion: Die Hypothese, dass verändertes operantes Lernen bei FMS durch Merkmale der Schmerzverarbeitung und deren psychische Komorbidität begründet ist, wurde nicht bestätigt. Modulationen des operanten Lernens scheinen bei FMS mit erhöhter Schmerzsensitivität einherzugehen, wobei dieses Ergebnis durch einen Deckeneffekt begründet sein könnte. Schlussfolgerung: Die Veränderungen im impliziten operanten Lernen bei FMS scheinen vielmehr einen eigenständigen Faktor im Kontext der Schmerzchronifizierung darzustellen, der mit der generellen Fähigkeit zum Lernen in Zusammenhang stehen könnte. Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft, Klinische Forschergruppe 107, Projekt Ho 904/11-1,2. P03.4 Die zerebrale Verarbeitung der autonomen Subdimension von Schmerz: eine parametrische fMRI-Studie F. Seifert1, R. DeCol2, C. Maihöfner1 1 Universität Erlangen-Nürnberg, Erlangen, 2Institut für Physiologie und Experimentelle Pathophysiologie, Erlangen Fragestellung: Bisher ist nicht bekannt welche Hirnareale in die autonome Verarbeitung bei Schmerz involviert sind. Deshalb korrelierten wir in der vorliegenden Studie die schmerzinduzierte Hirnaktivität mit autonomen Parametern. Methoden: In 12 gesunden Probanden wurden mittels fMRI Änderungen der Hirnaktivität bei schmerzhafter mechanischer Impakt- Stimulation und nichtschmerzhafter taktiler Stimulation gemessen. Gleichzeitig wurden mittels eines MR- tauglichen Laser- Doppler- Flowmeters der sympathische kutane Vasokonstriktorreflex als Marker für die sympathische Aktivität detektiert. In einer parametrischen fMRI- Analyse wurden die individuellen autonomen Parameter mit dem individuellen MR- Signalverläufen korreliert. Ergebnisse: Die mechanischen Schmerzreize und die taktilen Reize aktivierten bereits bekannte dezidierte zerebrale Netzwerke. Bei
schmerzhafter Stimulation fanden sich signifikante Korrelationen zwischen BOLD- Signal und der sympathischen Aktivität in der anterioren Insula, im ventrolateralen präfrontalen Kortex (VLPFC), im anterioren zingulären Kortex (ACC) und im sekundär- somatosensorischen Kortex (S2). Die Aktivität im ventromedialen prefrontalen Kortex (VMPFC), orbitofrontalen Kortex (OFC), posterioren zingulären Kortex (PCC), Cuneus und Precuneus korrelierte invers mit der sympathischen Aktivität. Während der Baseline- Periode hingegen fanden sich signifikante Korrelationen zwischen BOLD- Signal und sympathischer Aktivität in VMPFC, dorsolateralen prefrontalen Kortex (DLPFC), OFC, PCC, Cuneus, Precuneus und dem Hypothalamus. Die Aktivität in der anterioren Insula währen der Baseline- Periode korrelierte invers mit der sympathischen Aktivität. Diese Effekte waren signifikant größer unter schmerzhafter Stimulation verglichen zu nichtschmerzhafter Stimulation. Eine Konjunktionsanalyse ergab signifikant ähnliche BOLD-Effekte bei schmerzhafter Stimulation und sympathischer Aktivität in der anterioren Insula und dem VLPFC (Aktivierung), sowie dem OFC, PCC, Cuneus und Precuneus (Deaktivierung). Schlussfolgerungen: Die anteriore Insula und der VLPFC sind wesentlich in die autonome Verarbeitung bei der Schmerzempfindung involviert. Unterstützt von „Forschungsnetzwerk Neuropatischer Schmerz“, BMBF. P03.5 Experimenteller Schmerz als Stressor? HPA-Achsenaktivität und Schmerzverarbeitung bei Fibromyalgiepatienten und Gesunden J. Dattge1, S. Becker1, D. Baus2, D. Kleinböhl1, R. Hölzl1 1 Otto-Selz-Institut für Angewandte Psychologie, Universität Mannheim, 2 Otto-Selz-Institut für Angewandte Psychologie, Universität Mannheim und Zentrum für Schmerztherapie, Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin, Medizinische Fakultät der Universität Heidelberg, Universitätsklinikum Mannheim Zielsetzung: Schmerz- und Stressverarbeitung interagieren auf vielfältige Weise und tragen damit vermutlich zur Schmerzchronifizierung bei, was vor allem bei Patienten mit Fibromyalgiesyndrom (FMS) angenommen wird. Auf Basis biopsychosozialer Modelle chronischer Schmerzen, die als Erklärungsansätze zur Entstehung und Aufrechterhaltung der Schmerzen dienen, kann das Schmerzerleben selbst als Stressor angesehen werden, durch den unterschiedliche physiologische und psychologische Prozesse angestoßen werden. Daher war das Ziel der Untersuchung zu prüfen, ob experimenteller Schmerz im Rahmen einer psychophysiologischen Untersuchung als Stressor angesehen werden und eine reaktive Cortisolausschüttung auslösen kann und falls ja, welche Zusammenhänge sich zwischen dieser Cortisolreaktion und der Schmerzverarbeitung ergeben. Methoden: 17 FMS Patienten mit und 17 ohne Reizdarmsyndrom (englisch ‚Irritable Bowel Syndrome‘, IBS) und 36 gesunde Probanden nahmen an einer psychophysiologischen Untersuchung zur Stress- und Schmerzverarbeitung teil. In dieser 2-stündigen Untersuchung wurden verschiedene Kennwerte der Schmerzverarbeitung wie Schmerzschwellen und Hitzeschmerzsensibilisierung erhoben. Zudem wurde Speichelcortisol als Indikator für die HPA-Achsenaktivität an 4 Messzeitpunkten vor, während und nach der Untersuchung erfasst. Ergebnisse: Während der Untersuchung zeigte sich bei 9 Probanden (13 %, ‚Reaktive‘) über die 4 Messzeitpunkte ein Anstieg der HPA-Achsenaktivität im Gegensatz zu den übrigen Probanden (‚Nicht-Reaktive‘). Interessanterweise setzte sich die Gruppe der Reaktiven sowohl aus FMS Patienten mit (6) und ohne (1) IBS als auch gesunden Probanden (2) zusammen. Darüber hinaus war in der Gruppe der Reaktiven eine hohe Cortisolreaktion mit stärkerer Sensibilisierung (bereits bei niedrigeren Temperaturen) und mit erhöhten Schmerzschwellen assoziiert. Schlussfolgerungen: Durch eine Untersuchung der Schmerzverarbeitung mit experimentellen Schmerzreizen ergaben sich in der Cortisol-
reaktion zwei Klassen von Reaktionsmustern: Eine ‚Reaktive‘ Gruppe zeigte einen Anstieg der Cortisolwerte, der als stressinduzierte Reaktion des HPA-Systems interpretiert werden kann. In der Gruppe der ‚Nicht-Reaktiven‘ war eine Abnahme der Cortisolkonzentration im Speichel messbar. Eine post hoc Analyse der Subgruppen ergab, dass in der Gruppe der ‚Reaktiven‘ Schmerzschwellen und Sensibilisierung mit der Cortisolreaktion zusammenhängen. Demnach ist Schmerzreizung bei überschwelligen Intensitäten geeignet HPA-Achsenaktivierung im Sinne eines Stressors hervorzurufen. Dies lässt sich vor allem bei Patienten und Probanden beobachten, die sich durch geringe Schwellensensitivität aber erhöhte Sensibilisierung auszeichnen. Diese Befunde werden vor dem Hintergrund psychologischer Schmerz- und Chronifizierungsmechanismen diskutiert. Hierbei ist interessant, dass ein klinisch relevanter Marker, die verstärkte Sensibilisierung, mit der HPA-Achsenaktivität korreliert. Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft, Klinische Forschergruppe 107, Projekt Ho 904/11-1,2 P03.6 Induzierte negative Erwartungen involvieren das Operculum und modulieren langfristig die Schmerzintensität R. Rodriguez-Raecke1, B. Doganci2, M. Breimhorst2, A. Stankewitz1, C. Büchel1, F. Birklein2, A. May1 1 Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf, Hamburg, 2Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität, Mainz Fragestellung: Erwartungen, Aufmerksamkeit, Arousal, Stress und der Gemütszustand modulieren die Schmerzerfahrung. Allerdings gibt es wenig Aussagen über Dauer und Ausmaß dieses Effekts. Wir verwendeten ein bekanntes Schmerz-Paradigma, das in mehreren Studien bei gesunden Probanden über einen Zeitraum von acht Tagen zu einer stabilen Habituation auf thermale Schmerzreize aufzeigte. An Tag 1 und Tag 8 sowie an einer Folgemessung an Tag 90 wurden während des Experiments Daten mit funktioneller Magnet-Resonanz-Tomographie (fMRT) und Hautleitfähigkeitsmaße (SCL) erhoben. Material und Methode: Es wurden 38 gesunde Probanden rekrutiert, die dann randomisiert in zwei Gruppen (jeweils n=19) aufgeteilt wurden. Die eine Gruppe bekam vor Beginn der Studienphase von den Versuchsleitern die Information, dass diese eine Verstärkung der empfundenen Schmerzen über die Zeit erwarten würden, d. h. eine Sensitisierung auf die Schmerzreize von Tag 1 bis Tag 8. Diese Information wurde nur einmal vor Beginn des Experiments an Tag 1 gegeben. Die Kontrollgruppe bekam keine spezifischen Informationen. Alle Probanden bewerteten täglich die Schmerzreize anhand einer visuellen Analogskala (VAS). Ergebnisse: Die Probanden der Kontrollgruppe habituierten über die 8 Tage auf die applizierten Schmerzreize und bestätigten damit das Ergebnis früherer Studien (Bingel et al., 2007; Bingel et al., 2008; Teutsch et al., 2008) Die Probanden der Kontextgruppe zeigten dagegen keine Habituation auf die Schmerzreize. Als Gruppenunterschied in der funktionellen Bildgebung zeigte sich eine vermehrte Aktivierung des parietalen Operculum in der Gruppe, die die Information einer Sensitisierung der Schmerzen über die Zeit bekommen hatte. Passend zu den Verhaltensdaten und den Daten der funktionellen Bildgebung wies diese Gruppe auch einen Trend zu erhöhter Hautleitfähigkeit auf. Diskussion: Unsere Studie zeigt, dass die cortikale Antwort auf einen Schmerzreiz schon nach einmaliger Vorgabe einer verhaltensrelevanten Kontextinformation, wie das Ausmaß der Schmerzintensität, anders verarbeitet wird. Viel wichtiger ist die Tatsache, dass dies mindestens für den Zeitraum einer Woche anhält. Neuronal wird dies über die Insel und angrenzendes Operculum kodiert. Dies ist klinisch relevant, da eine vor der ersten Schmerzerfahrung gegebene Kontextinformation sich auf die zukünftige Entwicklung des Schmerzerlebens und eine möglichen Chronifizierung der Schmerzen auswirken kann.
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Abstracts diese scheinbare Invarianz der Wahrnehmung kritisch von der Wahl der Stimulationsparameter abhängt muss genauer untersucht werden. Cogiamanian F, Vergari M, Pulecchi F, Marceglia S, Priori A. Effect of spinal transcutaneous direct current stimulation on somatosensory evoked potentials in humans. Clin Neurophysiol. 2008 Nov; 119(11): 2636-40 Rolke R, Magerl W, Campbell KA, Schalber C, Caspari S, Birklein F, Treede RD. Quantitative sensory testing: a comprehensive protocol for clinical trials. Eur J Pain. 2006 Jan; 10(1): 77-88 Rolke R, Baron R, Maier C, Tölle TR, Treede RD, Beyer A, Binder A, Birbaumer N, Birklein F, Bötefür IC, Braune S, Flor H, Huge V, Klug R, Landwehrmeyer GB, Magerl W, Maihöfner C, Rolko C, Schaub C, Scherens A, Sprenger T, Valet M, Wasserka B. Quantitative sensory testing in the German Research Network on Neuropathic Pain (DFNS): standardized protocol and reference values. Pain. 2006 Aug; 123(3): 231-43 Winkler T, Hering P, Straube A. Spinal DC stimulation in humans modulates post-activation depression of the H-reflex depending on current polarity. Clin Neurophysiol. 2010 Jun ; 121(6): 957-61 Literatur: Bingel U, Herken W, Teutsch S, May A (2008) Habituation to painful stimulation involves the antinociceptive system--a 1-year follow-up of 10 participants. Pain 140: 393-394. Bingel U, Schoell E, Herken W, Buchel C, May A (2007) Habituation to painful stimulation involves the antinociceptive system. Pain 131: 21-30. Teutsch S, Herken W, Bingel U, Schoell E, May A (2008) Changes in brain gray matter due to repetitive painful stimulation. Neuroimage 42: 845-849.
P03.7 Beeinflusst spinale Gleichstromstimulation die Schmerz-, Tast- oder Temperaturwahrnehmung? P. Hering, B. Blum, A. Straube Klinikum der Universität München ZIEL: Die Veränderbarkeit somatosensibel evozierter Potentiale (SEPs) durch (transkutane) spinale Gleichstromstimulation (tsDCS) lässt vermuten, dass diese die Leitungseigenschaften der spinalen somatosensiblen Bahnen modifiziert [Cogiamanian et al., 2008]. Der Einfluss von tsDCS auf spinale Reflexbögen wurde von Winkler et al. [2010] gezeigt. Unsere Studie untersucht mithilfe der quantitativen sensorischen Testung (QST) [Rolke et al., 2006a], inwieweit tsDCS die Schmerz-, Tastund Temperaturwahrnehmung beeinflusst. METHODEN: Elf gesunde Probanden nahmen an der Studie teil. Die Rückenmarksstimulation (2,5 mA, 0.063 mA/cm²) wurde für 15 Minuten auf Höhe Th11 appliziert. Eine komplette standardisierte QST nach dem Protokoll des Deutschen Forschungsverbunds Neuropathischer Schmerz (DFNS) [Rolke et al., 2006b] wurde jeweils vor und unmittelbar nach anodaler-, kathodaler- und sham-tsDCS durchgeführt. Die dabei erhobenen Kennwerte wurden mithilfe einer ANOVA mit den Messwiederholungsfaktoren „Stimulus“ (prä / post) und „Bedingung“ (anodal / kathodal / sham) bezüglich eventueller Stimulationseffekte untersucht. ERGEBNISSE: Der einzige prä-post Haupteffekt ließ sich für die Druckschmerzschwelle beobachten. Diese lag niedriger vor tsDCS als danach (Mittelwerte 522 bzw. 563 kPa; Haupteffekt des Faktors „Stimulus“: F (1,10) = 9,3688; p <0,02). Allerdings zeigte keine der abhängigen Variablen einen Interaktionseffekt zwischen den Faktoren „Stimulus“ und „Bedingung“, was darauf hinweist, dass die prä-post-Differenzen der QST-Werte für echte und sham Stimulationen jeweils vergleichbar waren. SCHLUSSFOLGERUNG: Mit den verwendeten Stimulationsparametern wurde kein systematischer Einfluss der Gleichstromstimulation auf die Schmerz-, Tast- und Temperaturwahrnehmung beobachtet. Ob
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P03.8 Die Verarbeitung von Schmerzgesichtern und deren modulatorische Wirkung auf das subjektive Schmerzerleben P. Reicherts, A. Gerdes, M. Wieser, K. Likowski, P. Weyers, A. Mühlberger, P. Pauli Psychologisches Institut, Würzburg Einleitung: Schmerzwahrnehmung wird durch Emotionen moduliert. Inwiefern die Betrachtung eines Schmerzgesichtes die Verarbeitung von schmerzhaften Reizen beeinflusst, ist aber noch unbekannt. In zwei experimentellen Studien wurde sowohl die physiologische und subjektive Verarbeitung als auch die Wirkung der Betrachtung eines Schmerzgesichts untersucht. In Studie 1 wurde v. a. die elektro-kortikale Verarbeitung des Schmerzgesichts im Vergleich zu anderen Gesichtsausdrücken betrachtet. In Studie 2 wurde dann der Einfluss von Schmerzgesichtern auf die Wahrnehmung der Intensität von applizierten Hitzeschmerzreizen untersucht. Methoden: In Studie 1 wurden 27 Probanden dynamische Gesichtsausdrücke (Videos) der Emotionen Freude, Angst und Schmerz präsentiert, während EEG und Gesichts-EMG abgeleitet wurden. Die Stimuli wurden hinsichtlich Valenz und Arousal bewertet und eine Emotionserkennungsaufgabe durchgeführt. In Studie 2 wurden 24 Probanden die Videos und eine Kontrollbedingung (Fixationskreuz) präsentiert und gleichzeitig schmerzhafte und nicht schmerzhafte Hitzereize auf den Unterarm appliziert. Dabei wurde ebenfalls Gesichts-EMG abgeleitet. Hierbei lag der Fokus auf der Bewertung der Hitzereize. Ergebnisse: Studie 1 konnte zeigen, dass Schmerzgesichter ähnlich wie andere negative Gesichtsausdrücke verstärkt verarbeitet werden, was sich besonders in einem verstärkten late positive potential (LPP) im EEG über zentro-parietal gelegenen Elektroden zeigt. Außerdem wurden Schmerzgesichter als am unangenehmsten und aufregendsten beurteilt. Studie 2 ergab signifikant erhöhte Gesichtsmuskel-Reaktionen im M. Orbicularis occuli und M. Corrugator supercilii auf schmerzhafte im Vergleich zu nicht schmerzhaften Reizen bei der Betrachtung des Fixationskreuzes. Eine Interaktion von Schmerzwahrnehmung und Emotionsverarbeitung äußerte sich in selektiv erhöhten Arousalratings für das Schmerzgesicht nach schmerzhafter gegenüber nicht schmerzhafter Stimulation. Unterschiede in den Urteilen zur Intensität des Schmerzreizes zeigen eine Verstärkung des Schmerzerlebens bei der Betrachtung von Schmerz-Gesichtsausdrücken. Diskussion: Schmerzgesichter werden als unangenehm und stark bewegend bewertet und neurophysiologisch im Vergleich zu neutralen und positiven Gesichtsausdrücken auch intensiver verarbeitet. Darüber hinaus verstärken sie das Erleben von eigenem Schmerz, was auf eine adaptive Relevanz der Kommunikation von Schmerz hindeutet. Die EMG-Daten weisen auf keine verstärkte Reaktion auf Schmerzge-
sichter hin, zeigen aber, dass Gesichtsmuskelreaktionen, potenziell sensible Indikatoren für das Schmerzerleben darstellen können. Ausblick: Die beiden Studien deuten darauf hin, dass i) Schmerzgesichter ähnlich wie andere unangenehme Gesichtsausdrücke verstärkt verarbeitet werden, und dass ii) die Kongruenz von sensorischer (schmerzhafte Hitzereize) und emotionaler Stimulation (Schmerzgesicht) die Wahrnehmung von Schmerz zu potenzieren und auch umgekehrt die subjektive Bewertung von Schmerzausdrücken zu modulieren scheint. P03.9 Änderung des zerebralen Aktivierungsmusters bei Langzeithemmung von Schmerz und Nozizeption K. Jung1, D. Lelic2, S. Rottmann3, A. Drewes4, L. Petrini1, J. Ellrich3 1 Cortical Plasticity and Human Brain Mapping Laboratory, Center for Sensory-Motor Interaction, Department of Health Science and Technology, Aalborg University, Aalborg, 2Mech-Sense, Department of Gastroenterology, Aalborg Hospital, Aarhus University, Aalborg, 3Medical Physiology & Experimental Pharmacology Group, Center for Sensory-Motor Interaction, Department of Health Science and Technology, Aalborg University, Aalborg, 4 Mech-Sense, Department of Gastroenterology, Aalborg Hospital, Aarhus University, Aalborg, Dänemark Fragestellung: Elektrische Niederfrequenzstimulation (LFS) nozizeptiver Fasern induziert eine Langzeithemmung (LTD) von Nozizeption und Schmerz beim Menschen. Zentrale Mechanismen der Induktion und Aufrechterhaltung von LTD sind bisher unbekannt. Diese Studie befasst sich mit der Hypothese, dass LFS die Aktivierungsmuster von Hirnarealen, die an der sensorischen und affektiven Schmerzverarbeitung beteiligt sind, beeinflusst. Methodik: Zweiunddreißig elektrophysiologische und psychophysische Experimente wurden an 16 gesunden Versuchspersonen durchgeführt. Alle Probanden nahmen an einer LFS- und einer Kontroll-Sitzung teil. Eine konzentrische Elektrode wurde am Handrücken angebracht, über die kutane Afferenzen in der Nähe des Innervationsgebiets des N. radialis superficialis stimuliert wurden. Die Testreize (2 ms) wurden in vier Blöcken von je 15 Reizen gegeben mit einem Reizabstand von acht Sekunden. Die Testreizserien (4fache Schmerzschwelle (Ip)) wurden im Abstand von acht Minuten wiederholt. Nach vier Testreizserien (Pre) erfolgte entweder der konditionierende Reiz, eine 20minütige LFS (1 Hz, 1200 Pulse, 4xIp), oder eine 20minütige Pause (Kontrolle). Anschließend wurden vier weitere Testreizserien (Post) durchgeführt. Nach jedem elektrischen Reiz gaben die Probanden eine Schmerzbeurteilung ab (0=nicht schmerzhaft, 100=maximal schmerzhaft). Die somatosensorisch-evozierten Potentiale (SEP) wurden über ein Multikanal-EEG (64 Kanäle) aufgezeichnet. Mit Hilfe einer Dipolquellenanalyse wurden Parameter wie Dipollage, -stärke und -latenz für jeden Probanden statistisch ausgewertet. Ergebnisse: Die Schmerzbewertung der Testreizserien nahm nach LFS signifikant ab (p<0.001). Ein signifikanter Unterschied in der Schmerzempfindung konnte zwischen Post LFS and Post Kontrolle gezeigt werden (p<0.01). Die Topografie der SEP zeigte reproduzierbare negative (N2) und positive (P2) Komponenten. Eine individuelle P2-Analyse wies eine signifikante Verschiebung von P2 nach posterior unter LTD auf. Dipollage von N2 und P2 blieben während der Kontrolle unverändert. Ein signifikanter Unterschied der P2-Dipolstärke wurde zwischen Post LFS and Post Kontrolle gezeigt. Analyse der N2- und P2-Latenzen zeigte keinen Unterschied während Kontrolle und LFS. Diskussion: Die Ergebnisse zeigen eine Verschiebung der kortikalen Aktivität nach LTD-Induktion. Die Analysen der Schmerzbewertung und Dipolstärke bestätigen eine Reduktion von Schmerz und nozizeptiver Signalverarbeitung nach LFS. Schlussfolgerungen: LTD bewirkt zentrale, neuroplastische Veränderungen der Schmerzverarbeitung. Diese Studie soll dazu beitragen, die Wirksamkeit von LFS als Elektrostimulation für zukünftige Schmerztherapien zu beurteilen.
P03.10 Gamma Oszillationen als neuronales Korrelat schmerzassoziierter Aufmerksamkeit L. Tiemann1, E. Schulz1, J. Gross2, M. Ploner1 1 Neurologische Klinik und Poliklinik, Technische Universität München, 2 Centre for Cognitive Neuroimaging, Department of Psychology, University of Glasgow, Großbritannien Fragestellung: Schmerz ist unverzichtbar für den Erhalt der physischen Unversehrtheit. Schmerzhafte Reize sind daher besonders verhaltensrelevant und beeinflussen die Verteilung der Aufmerksamkeitsressourcen. Schmerzen treten jedoch auch losgelöst von ihrer physiologischen Funktion auf, beeinträchtigen als chronische Schmerzerkrankungen die Lebensqualität und stellen ein erhebliches medizinisches Problem dar. So sind die Symptome der Fibromyalgie durch afferente Einflüsse nicht hinreichend erklärbar. Stattdessen wird eine pathologisch vermehrte Aufmerksamkeit (Hypervigilanz) gegenüber schmerzhaften und aversiven sensorischen Reizen vermutet, die wesentlich zur Entstehung und Chronifizierung der Erkrankung beitragen könnte. Auf neuronaler Ebene wurde die Zuwendung von Aufmerksamkeit auf sensorische, wie z. B. schmerzhafte, Reize mit einer Erhöhung von Gamma-Oszillationen (30-100 Hz) über den sensorischen Arealen des menschlichen Gehirns in Verbindung gebracht. Es ist demnach anzunehmen, dass ein schmerzhafter Stimulus sowohl neuronale GammaOszillationen als auch gleichzeitig ablaufendes Verhalten beeinflusst. Mit der vorliegenden Studie möchten wir den Zusammenhang zwischen schmerzbezogener Aufmerksamkeit und neuronalen GammaOszillationen im gesunden und pathologischen Bereich charakterisieren. Methoden: Während der Ausführung eines aufmerksamkeitsfordernden visuellen Reaktionszeitparadigmas wurde bei 22 gesunden Probanden ein 64-Kanal EEG abgeleitet. Bei der Hälfte der Durchgänge wurden mittels kutaner Laserstimulation kurze Schmerzreize auf den linken Handrücken appliziert. Die mit der visuellen Aufgabe und der schmerzhaften Reizung assoziierte neuronale Aktivität wurde mittels Zeit-Frequenz-Repräsentationen dargestellt und auf Elektroden- und Quellenebene analysiert. Dasselbe Paradigma wird momentan bei Patienten mit Fibromyalgie sowie altersangepassten Kontrollprobanden angewendet. Resultate: Als Verhaltenskorrelat der Aufmerksamkeitseffekte von Schmerz führten die schmerzhaften Reize bei einem Teil der Probanden zu einer Verlangsamung der Reaktionszeiten in der visuellen Aufgabe. Die visuelle Stimulation führte zu Gamma-Oszillationen um 60Hz, die im visuellen Kortex lokalisiert wurden. Die schmerzhafte Stimulation induzierte Gamma-Oszillationen um 80 Hz im primären somatosensorischen Kortex. Bei Probanden, bei denen die schmerzhafte Stimulation zu einer Verlangsamung der Reaktionszeiten in der visuellen Aufgabe führten, zeigte sich nach 200 – 350 ms nach schmerzhafter Stimulation eine Verminderung der Gamma-Oszillationen im rechten visuellen Kortex (t = -. 2,8; p = . 019). Diese Verminderung der visuellen Gamma-Oszillationen korrelierte mit der Verlangsamung der Reaktionszeiten in der visuellen Aufgabe (r = . 68; p = . 000), sowie mit der Erhöhung der schmerzinduzierten Gamma-Oszillationen über zentralen Elektroden (r = -0.53, p = 0.011). Schlussfolgerung: Die Ergebnisse zeigen, dass die Effekte von Schmerz auf Aufmerksamkeit eng mit der Modulation von Gamma-Oszillationen im menschlichen Gehirn assoziiert sind. Die Variabilität der Effekte von Schmerz zeigt, dass Schmerz bei gesunden Probanden zu flexiblen und adaptiven Modulationen von Aufmerksamkeit und neuronalen Gamma-Oszillationen führt. Bei Patienten mit Fibromyalgie wird jedoch eine pathologisch übersteigerte Zuwendung von Aufmerksamkeit auf schmerzhafte Stimuli vermutet. Die Anwendung des vorgestellten Paradigmas an einer Gruppe von Patienten mit Fibromyalgie soll zeigen, ob eine Hypervigilanz auf Verhaltensebene nachgewiesen werden kann und inwieweit diese mit einer schmerzinduzierten Modulation von Gamma-Oszillationen assoziiert ist.
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Abstracts P04 – Akutschmerz I P04.1 Begünstigt Diclofenac als postoperatives Analgetikum die Entstehung einer akuten Niereninsuffizienz? G. Miestinger, H. Schuckall, M. Kurz Landeskrankenhaus Salzburg Universitätsklinikum der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität, Salzburg EINFÜHRUNG: Diclofenac ist ein sehr weit verbreitetes und häufig eingesetztes nichtsteroidales Antirheumatikum (NSAR). Auch in der postoperativen Analgesie hat es aufgrund seiner guten analgetischen Eigenschaften einen Stellenwert als Basis-Schmerzmittel der Stufe 1 im Sinne des WHO-Stufenplans. Eine wichtige Nebenwirkung, die mit der Anwendung von Diclofenac verbunden ist, ist die Entstehung eines akuten Nierenversagens. Ziel der Untersuchung war es, herauszufinden, ob sich auch der kurzfristige Einsatz von Diclofenac in der postoperativen Phase auf die Entstehung renaler Komplikationen auswirkt. MATERIAL UND METHODEN: Es wurden 754 digital archivierte Patientenakten der Universitätskliniken für Chirurgie und Unfallchirurgie des Landeskrankenhauses Salzburg aus dem Jahr 2007 untersucht. Mithilfe eines standardisierten Auswertungsformulars wurden alle relevanten Daten aus den Akten erhoben, anschließend in eine elektronische Datenbank übertragen und statistisch ausgewertet. ERGEBNISSE: 600 der 754 untersuchten Patienten erhielten Diclofenac zur postoperativen Schmerztherapie. Es konnte kein statistisch signifikanter Zusammenhang zwischen der Gabe von Diclofenac und der Entstehung eines akuten Nierenversagens nachgewiesen werden. Auch die Applikationsdauer (= 3 Tage / > 3 Tage) hatte keinen Einfluss auf die Komplikationshäufigkeit. Dasselbe gilt für die Applikationsroute (intravenös / oral). INTERPRETATION: Obwohl die renalen Nebenwirkungen häufige und gefürchtete Komplikationen bei der Anwendung von NSAR im allgemeinen und Diclofenac im Speziellen sind, konnte während des Einsatzes von Diclofenac als Analgetikum in der postoperativen Phase keine Häufung des Auftretens von akutem Nierenversagen nachgewiesen werden. Im Hinblick auf die für den kurzfristigen postoperativen Gebrauch nicht vermehrten Komplikationen ist davon auszugehen, dass Diclofenac für diese Anwendungsindikation ein geeignetes und sicheres Präparat darstellt. P04.2 PersistierendeSchmerzen und Allgemeinbeschwerden: Bedeutung bei der Chronifizierungsprognose N. Meyer, R. Meier, C. Lassen, E. Loeffler, K. Fragemann, B. Graf, C. Wiese Universitätsklinikum Regensburg Hintergrund: Akute Schmerzen haben nicht selten eine Chronifizierung zur Folge [1]. Die Vermeidung einer solchen ist ein bedeutender Bestandteil der schmerztherapeutischen Patientenversorgung [2]. Ein Instrument zur Erfassung des Chronifizierungsrisikos akuter Schmerzen ist die deutsche Version des validierten „Musculoskeletal Pain Screening Questionnaire“ (MPSQ) [3, 4]. Die deutsche Version des MPSQ umfasst vier Skalen: Schmerz, Psyche, ATL und Arbeit. Die Skala „Schmerz“ erfasst die sechs Items: Schmerzlokalisation, Anamnesedauer, Schmerzintensität und –häufigkeit, Schmerzprovokation und –kontrolle [5]. Ziel der vorliegenden Arbeit ist die Überprüfung einer Korrelation der Skala „Schmerz“ des MPSQ-D mit der validierten Beschwerdenliste (BL) [6]. Methodik: Einschluss von 130 Probanden, Untersuchungszeitraum: 2007-2008; Symptomatik: neu aufgetretene Beschwerden des Haltungs- und Bewegungsapparates; Untersuchungsorte: orthopädische und allgemeinmedizinische Praxen. Untersuchung des Chronifizierungsrisikos mittels der Skala „Schmerz“ des
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MPSQ-D und der BL zum Ersttermin (Zeitpunkt t0) und als Reevaluation nach 12 Monaten (Zeitpunkt t1). Ergebnisse: Insgesamt konnten 102 Patientenuntersuchungen (78,5 %) vollständig in die Untersuchung integriert werden [?: 42, ?: 60; Alter: 44,3 Jahre (SD ±10,6)]. Hinsichtlich des Erwerbsstatus waren 80 % abhängig erwerbstätig. Der Gesamtscore des MPSQ-D betrug bei t0: 93 Punkte (SD± 33,4) bzw. bei t1: 86 Punkte (SD± 40,3). Die Skala „Schmerz“ betrug 5,8 Punkte (SD ±1,8) und die BL 24,7 Punkte (SD ±12,5). Die Korrelation beider Untersuchungsinstrumente war statistisch signifikant (r=0,543; Tabelle 1: Korrelationen). Tab. 1 Korrelationen der Skala „Schmerz“ r
P
N
Korrelation Skala „Schmerz“ mit Summenscore MPSQ-D t0 ,865**
,000
102
Korrelation Skala „Schmerz“ mit Summenscore MPSQ-D t1 ,495**
,000
102
Korrelation Skala „Schmerz“ mit BL ,543***
,000
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Schlussfolgerung: Die vorliegende Untersuchung konnte zeigen, dass die Skala „Schmerz“ des MPSQ-D statistisch signifikant mit der validierten BL korreliert. Somit scheint mittels eines weiteren Untersuchungsinstrumentes die Risikoerhebung der Schmerzchronifizierung bei Patienten mit akuten Schmerzen möglich zu sein. Auf Basis weiterer Untersuchungen ist es möglich, durch den MPSQ-D frühzeitig Risikofaktoren zu verifizieren und eine gezielte Schmerztherapie (ggf. multimodaler Ansatz) zeitnah zu beginnen [7, 8]. Literatur: [1] Burke S, Shorten GD 2009; Biochem Soc Trans, [2] Pogatzki EM et al. 2009; Anästhesist, [3] Linton SJ et al. 1998; Clin J Pain, [4] Linton SJ et al. 2003 ; Clin J Pain, [5] Meier RK et al. 2008; DRV Schriften, [6] v Zerssen D 1976; Testmanual, Weinheim, [7] Meier RK et al. 2010; DRV Schriften, [8] Meyer N et al. 2010; DRV Schriften P04.3 Qualität der Akutschmerztherapie vor und nach Einführung eines Schmerztherapiealgorithmus in der Rettungsstelle der Charité – Campus BenjaminFranklin J. Scheer, A. Kopf, J. Krediet Charité Campus Benjamin Franklin, Berlin Einleitung: Bisherige Studien haben gezeigt, dass das Schmerzmanagement in Rettungsstellen meist unzureichend ist (1). Viele Patienten erhalten keine Schmerztherapie oder müssen sehr lange auf eine solche warten. Ursachen für diese insuffiziente Schmerztherapie in Rettungsstellen könnten Bedenken hinsichtlich der Beurteilbarkeit von Patienten nach Analgetikaeinnahme sein, was inzwischen widerlegt wurde (2), mangelndes Problembewusstsein (3)oder fehlende Algorithmen für die Schmerzmessung und Schmerzbehandlung (4). Fragestellung: Unsere Hypothese war, dass es in der Rettungsstelle des Campus Benjamin Franklin der Charité unzumutbar lange Wartezeiten und hohe Schmerzintensitäten gibt und dass die Einführung eines einfachen Therapiealgorithmus diese Parameter positiv beeinflussen kann. Methodik: Nach einer Ausgangsbefragung 2008 durch eine externe Befragerin in der Rettungsstelle des Campus Benjamin Franklin (57.000 Behandlungen pro Jahr mit einem zwei zu eins Verhältnis internistisch zu chirurgisch) wurde nach den Empfehlungen des Expertenstandards „Schmerzmanagement in der Pflege“ des Deutschen Netzwerkes für Qualitätsentwicklung in der Pflege ein Schmerztherapie-Expertenstandard für die Rettungsstelle entwickelt und nach Schulung der ärztlichen und nichtärztlichen Mitarbeiter Mitte 2009 eingeführt. In einer weiteren Untersuchung wurde die Qualität der Schmerztherapie fünf Monate nach Einführung des Expertenstandards – nach
Genehmigung durch den Datenschutzbeauftragten – gemessen und mit den Ergebnissen von 2008 verglichen. Zielparameter waren Schmerzintensität bei Aufnahme, Wartedauer auf eine Schmerztherapie, die Schmerzintensität nach Behandlung und die Zufriedenheit der Patienten mit der Behandlung und der Rettungsstelle. In beiden Untersuchungen wurden nach Einverständniserklärung Patienten mit den Eingangskriterien Volljährigkeit, Schmerzen größer Null, und ohne Einschränkung der kognitiven Fähigkeiten konsekutiv von externen Untersuchern befragt. Ergebnisse: Insgesamt konnten jeweils 100 Patienten vollständig befragt werden. Durch Einführung des Expertenstandards konnten Verbesserungen dokumentiert werden. Nach der Behandlung lag der Modalwert der Schmerzintensität bei 4,0 auf der NRS-Skala. Dies entspricht einer Verbesserung um einen vollen Punkt verglichen mit der ersten Studie. Mehr als die Hälfte der Patienten, die ein Schmerzmittel erhielten, bekamen dieses in weniger als 30 Minuten; nur 20 Prozent der Patienten mussten länger als eine Stunde darauf warten. Nach Einführung des Expertenstandards erhielten 89 Prozent der Patienten ein Schmerzmittel, sofern dies gewünscht war. Bezüglich der Patientenzufriedenheit wurde eine Verbesserung um einen halben Punkt dokumentiert. Darüber hinaus erfolgte in 82 Prozent der Fälle eine Schmerzdokumentation in den Patientenakten. Diskussion und Fazit für die Praxis: Die Einführung des Expertenstandards hat zu messbaren Veränderungen des Schmerzmanagements geführt. Es konnte gezeigt werden, dass es nicht nur auf postoperativen Stationen möglich ist, mit dem Expertenstandard die Qualität der Schmerztherapie zu verbessern (5), sondern auch in der speziellen Situation einer Rettungsstelle. Die einfache und strukturierte Vorgehensweise des Expertenstandards scheint daher geeignet, auch bei posttraumatischen Patienten eine ausreichende schmerztherapeutische Versorgung zu ermöglichen. P04.4 Anwendungsverhalten bei der Behandlung von Schmerzen im Rahmen der Selbstmedikation – eine gepoolte Analyse von fünf apothekenbasierten nicht-interventionellen Studien mit Aspirin. U. Gessner, M. Petersen-Braun Bayer Vital GmbH, Leverkusen Fragestellung: Analyse des Anwendungsverhaltens bei der Therapie von Schmerzen in der Selbstmedikation mit einem häufig verwendeten Analgetikum (Aspirin) unter Berücksichtigung der Compliance mit den Anweisungen in der Packungsbeilage. Methode: Die individuellen Daten von 9444 Patienten aus fünf apothekenbasierten nicht-interventionellen Studien, durchgeführt in Deutschland (3), Schweiz (1) und Spanien (1) wurden gepoolt und ausgewertet. In allen Studien wurde Aspirin für die Behandlung verschiedenster Schmerzformen – überwiegend Kopfschmerzen, Schmerzen im Rahmen von Erkältungskrankheiten, Muskel- und Gelenkschmerzen, Migräne – verwendet. Patienten, die in der Apotheke den Wunsch zum Kauf von Aspirin äußerten, wurde ein Fragebogen ausgehändigt, der während oder nach der Behandlung zu Hause ausgefüllt und anonymisiert zur Auswertung eingeschickt wurde. ErgebnisseÜber 90 % der Patienten beurteilten ihre Schmerzen vor Behandlungsbeginn auf einer 4-stufigen Skala als mäßig stark oder stark. Starke Schmerzen führten zu einem höheren Prozentsatz (50,1 %) zur Einnahme von 2 Tabletten (1000 mg ASS) als erste Dosis, als leichte oder mäßig starke Schmerzen (27,7 %). Pro Tag wurden durchschnittlich 2,2 ± 4,4 Tabletten eingenommen, die Behandlungsdauer lag bei durchschnittlich 2,2 ± 1,8 Tagen. Im gesamten Behandlungsverlauf wurden 4,6 ± 5,7 Tabletten verwendet und damit deutlich weniger als gemäß den Empfehlungen der Packungsbeilage erlaubt (Einzeldosis 500-1000 mg, maximale Tagesdosierung 3 g). Starke Schmerzen bei Behandlungsbeginn führten bei konstanter Behandlungsdauer zu einem Anstieg der Tagesdosis und der Gesamtzahl der eingenommen
Tabletten. Eine Einmaldosierung gaben 38,9 % der Patienten an, der Rest verwendete das Medikament häufiger. Diskussion und SchlussfolgerungObwohl die Indikation von OTC-Analgetika generell leichte bis mäßig starke Schmerzen lautet, empfinden viele Patienten ihre Schmerzen als mäßig stark bis stark und adaptieren demgemäß ihre Selbstmedikation: stärkere Schmerzen werden mit höheren, leichtere Schmerzen mit niedrigeren Dosierungen behandelt. Insgesamt ist die Behandlungsdauer kurz (ca. 2 Tage) und die Gesamtmenge mit ca. 5 eingenommen Tabletten deutlich unter den Empfehlungen in der Packungsbeilage. Bei der Behandlung von Schmerzen in der Selbstmedikation zeigen die Patienten somit ein hohes Maß an Eigenverantwortung und befolgen die Anwendungshinweise im Beipackzettel. Es könnte sinnvoll sein, die bestehende Indikation für OTCAnalgetika von „leichte bis mäßig starke Schmerzen auf „Schmerzen“ zu ändern, um der Eigeneinschätzung durch den Patienten besser zu entsprechen. P04.5 Ist Akutschmerz der beste Prädiktor für die Entwicklung persistierender post-operativer Schmerzen? C. Horn1, V. Dimova1, C. Baum1, A. Parthum2, N. Grießinger2, R. Sittl2, S. Lautenbacher1 1 Universität Bamberg, 2Schmerzzentrum, Erlangen Fragestellung: Ziel der Studie war es, die Bedeutung akuter Schmerzen nach einer Operation für die Entwicklung persistierender post-operativer Schmerzen im Vergleich mit psychologischen Prädiktoren zu klären. Material und Methode: Bei 105 jungen Männern (Alter: M = 19.23; SD = 4.47) mit operativer Korrektur der Brustwand wurden 1 Woche nach dem Eingriff schmerzbezogene Vigilanz, Ängstlichkeit und Katastrophisieren (PVAQ, PASS, PCS) sowie Depression, Zustandsangst und Somatisierung (ADS, STAI, SOMS) gemessen. Außerdem wurden das Ausmaß aktueller Schmerzen (Numerische Ratingskala 0-10) und die Beeinträchtigung durch Schmerzen (PDI) erfasst. Die Patienten wurden aufgrund ihres Selbstberichtes 3 Monate nach Operation in Gruppen mit hoher bzw. niedriger Schmerzintensität und – beeinträchtigung aufgeteilt. Ergebnisse: Eine logistische Regressionsanalyse zeigte, dass aus den zwei Akutschmerzmaßen nur der 1 Woche nach Operation erhobene PDI Score ein signifikanter Prädiktor für hohe Schmerzintensität (NRS Score 3-10) 3 Monate nach Operation war. Jedoch erhöhte der Einschluss der drei Fragebögen zu schmerzbezogenen Kognitionen den Erklärungswert des Modells signifikant. Der PASS Summenscore war der beste Prädiktor des Gesamtmodells. Dagegen konnte hohe Beeinträchtigung durch Schmerzen (PDI Score 9-70) nur durch den PDI Score 1 Woche nach OP signifikant vorhergesagt werden. Schlussfolgerung: Diese Resultate zeigen, dass schmerzbezogene Kognitionen und die wahrgenommene Beeinträchtigung durch Schmerzen bessere Prädiktoren für persistierende post-operative Schmerzen sind als das Ausmaß akuter Schmerzen nach OP. P04.6 Beeinflusst der akute postoperative Schmerz die kognitiv-emotionale Verarbeitung schmerzbezogener Reize? Eine Längsschnittstudie V. Dimova1, C. Horn1, A. Parthum2, M. Kunz1, P. Weber3, N. Grießinger2, R. Sittl2, S. Lautenbacher1 1 Otto-Friedrich-Universität Bamberg, 2Schmerzzentrum, Erlangen, 3 Friedrich-Alexander-Universität Erlangen Fragestellung: Die vorliegende Studie untersucht wie sich ein singuläres starkes Schmerzerlebnis längerfristig auf kognitiv- emotionale Mechanismen der Schmerzverarbeitung auswirkt. Material und Methode: 73 junge männliche Personen mit angeborenen Brustkorbdeformitäten (Trichterbrust) nahmen im Rahmen einer Der Schmerz Supplement 1 · 2010
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Abstracts chirurgischen Korrektur an der Studie teil. Die kosmetische Operation stellte für die Patienten ein erstes starkes Schmerzerlebnis dar. Der akute OP-Schmerz wurde innerhalb einer Woche nach Operation i) mit Schmerzratings und ii) durch die Häufigkeit der Anforderung von Schmerzmitteln mittels Schmerzmittelpumpe (PCEA) erhoben. Als Kriterienvariablen wurden schmerzbezogenes Katastrophisieren (PCS), Schmerzangst (PASS), schmerzbezogene Hypervigilanz (PVAQ) und der Aufmerksamkeitsbias für emotionsrelevante Informationen im Dot-Probe-Test präoperativ und 1 Woche, 3 und 6 Monate postoperativ erfasst. Ergebnisse: Mit dem Rating des akuten OP-Schmerzes ließen sich die Scores der PCS, PASS und PVAQ vorhersagen. Dieser Einfluss war unmittelbar, blieb aber im weiteren postoperativen Verlauf (3 und 6 Monate) konstant nachweisbar. Keines der Schmerzintensitätsmaße konnte signifikant einen Aufmerksamkeitsbias in der Dot-Probe-Aufgabe vorhersagen. Schlussfolgerungen: Ein einmaliges Schmerzerlebnis scheint folglich eine dauerhafte Veränderung der kognitiv-emotionalen Schmerzverarbeitung hervorzurufen, die vor allem die attentiv-emotionale Bewertung von Schmerzen betrifft. Andere Zusammenhänge fanden sich nicht.
stand dadurch, dass viele Patienten die Frage als für sie nicht zutreffend einstuften (z. B. da sie noch nicht aus dem Bett aufgestanden waren). Ältere Patienten benötigen beim Ausfüllen mehr Unterstützung durch die Befragenden. Schlussfolgerung: Die vorliegende Untersuchung ist Teil einer umfassenden internationalen Validierung eines Messinstruments im Bereich der Schmerztherapie. Der APS-POQ-R erwies sich als Instrument mit guter Verständlichkeit und Akzeptanz bei einer europäischen Stichprobe. Mit steigendem Alter der Patienten treten beim Ausfüllen des Fragebogens vermehrt Probleme auf. [1] Gordon DB et al. Revised American Pain Society Patient Outcome Questionnaire (APS-POQ-R) for Quality Improvement of Pain Management in Hospitalized Adults: Preliminary Psychometric Evaluation. J Pain 2010 Apr. 16 (Eepub ahead of print)
P04.7 Patientenfeedback einer europäischen Stichprobe zu einem Instrument der Schmerzmessung im Berich Akutschmerz (APS-POQ-R) J. Rothaug1, D. Gordon2, R. Zaslansky1, M. Komann1, W. Meißner1 1 Universitätsklinik Jena, 2UWHealth University of Wisconsin Hospital and Clinics, Madison, WI, USA
Fragestellung: Die Periduralanästhesie (PDA) stellt ein etabliertes Verfahren in der perioperativen Medizin dar. Sie stellt häufig den Goldstandard in der postoperativen Schmerztherapie dar und mindert bei Risikopatienten das perioperative Risiko. Unklar ist bislang, wovon die Komplikationshäufigkeit und Erfolgsrate bei der Punktion abhängig ist. Bislang ist ein höheres Risiko für Komplikationen bei tief thorakaler und lumbaler Punktion beschrieben [1,2]. Ziel war es Einflussfaktoren für Komplikationen bei der Anlage eines Periduralkatheters (PDK) zu identifizieren. Material und Methoden: Es wurden die elektronischen Anästhesieprotokolle von 7959 erwachsenen Patienten (Alter 60,7 ± 14,6 Jahre (MW±SA)) ausgewertet, in denen die Anlage eines PDK dokumentiert war. Geburtshilfliche PDK-Anlagen wurden nicht berücksichtigt. Die Komplikationen und erfolglosen Punktionen wurden dabei hinsichtlich eines Zusammenhangs mit Größe, Gewicht, BMI, Alter, Geschlecht und punktiertem Segment untersucht. Die statistische Analyse wurde mittels eines logistischen Regressionsmodells mit Vorwärtsanalyse durchgeführt. Dabei wurden als Referenzniveau die am häufigsten punktierten Segmente Th9/10 und Th10/11 gewählt. Ergebnisse: In 243 Fällen (3,1 %) konnte Blut aspiriert werden und in 116 Fällen (1,5 %) war Liquor nachzuweisen. Eine transiente Parästhesie war in 1,5 % der Punktionen dokumentiert. In 68 Fällen (0,94 %) war die Punktion erfolglos. Eine blutige Punktion ist mit zunehmenden Alter häufiger zu beobachten (p = 0,0224). Auch ist sie bei der Punktion der lumbalen Segmente (L1/2 – L2/3 und L3/4 – L5/S1) im Vergleich zum thorakalen Referenzniveau (Th9/10 – Th10/11) um den Faktor 1,6 häufiger (p = 0,002). Für Körpergröße, Geschlecht, Gewicht und BMI ließ sich kein Zusammenhang mit der Wahrscheinlichkeit einer blutigen Punktion nachweisen. Das Risiko der Duraperforation steigt mit zunehmenden Alter (p = 0,0134) ebenso wie das Risiko transiente Parästhesien auszulösen (p = 0,0134), während Größe, Gewicht, BMI und Geschlecht keinen Einfluss hatten. Gegenüber dem Referenzniveau wies eine tieflumbale Punktion das höchste Risiko der Duraperforation auf (p=0,03). Mit zunehmender Körpergröße (p=0,0001) und kranialer Punktion (p=0,002) verringert sich das Risiko einer erfolglosen Punktion. Gegenüber dem Referenzniveau (Th9-11) ist die Wahrscheinlichkeit einer erfolglosen Punktion in den tief lumbalen Segmenten um den Faktor 5,7 erhöht (p<0,0001). Schlussfolgerung: Die Punktion tieferer Segmente ist mit einer höheren Rate an blutigen Punktionen, Duraperforationen und erfolglosen Punktionen vergesellschaftet. BMI, Gewicht und Geschlecht haben keinen Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit einer Komplikation bei der
Fragestellung: Das europaweite Projekt PAIN-OUT (Improvement in Postoperative PAIN OUTcome) verwendet zur Erfassung der Outcome-Qualtiät der postoperativen Schmerztherapie die revidierte Fassung des APS-POQ-R (American Pain Society – Patient Outcome Questionnare – Revised[1]). Im Rahmen einer umfangreichen Validierungsstudie des APS-POQ-R im europäischen Kontext wurde als erster Schritt das Feedback der Patienten zum Fragebogen erfasst. Material und Methode: 1661 Patienten (Durchschnittsalter: 55,2 ± 17,4; Frauenanteil 52 %) in 9 Ländern (Frankreich, Deutschland, Israel, Italien, Rumänien, Spanien, Schweden, Schweiz, England) erhielten den APS-POQ-R am 1. postoperativen Tag. Nach Ausfüllen des Fragebogens wurden sie von den Research Assistants (RAs) zu Problemen beim Ausfüllen befragt. Neben Alter und Geschlecht der Patienten wurden Probleme zu den 12 Items des APS-POQ-R mit sechs detaillierten Fragen erfasst. Zusätzlich wurde erfasst, ob der Patient aus technischen Gründen Hilfe benötigte (z. B. fehlende Brille). Ergebnisse: Der Anteil der Patienten, die beim Ausfüllen keinerlei Probleme hatten, variierte je nach Land zwischen 87 % und 30 % (mean=59 %). Das Alter der Patienten und die Häufigkeit von Problemen mit dem Fragebogen korrelieren signifikant negativ (r= -,393). 11,6 % der Patienten benötigten Hilfe aus technischen Gründen. Die verbleibenden Verständnisschwierigkeiten variieren von 1 und 10 % pro Item. Bei allen 4 problematischen Fragen zeigte sich eine Steigerung des Anteils der Probleme in der Altergruppe über dem Mittelwert von 55 Jahren. Probleme traten bei den beiden Fragen mit einer Prozentskala als Antwortformat auf (F3: ‚Wie oft hatten Sie während der ersten 24 Stunden starke Schmerzen?’ so wie F7: ‚Wie groß war während der ersten 24 Stunden Ihre Schmerzlinderung?’) mit 5 % bei F3 (9 % age >55) und 10 % bei F7 (16 % age >55). Ebenfalls als schwierig empfunden wurde die Frage F8: ‚Wurden Sie in dem von Ihnen gewünschten Maß an Entscheidungen zu Ihrer Schmerztherapie beteiligt?’ (5 % Probleme, 8 % age >55) und F4 Beeinträchtigungen durch Schmerzen mit 10 % (14 % age > 55). Diskussion: Für die Einzelitems zeigten sich im Schnitt bei maximal 10 % der Patienten Probleme mit dem Item. Problematischer sind Items die eine Prozentskala als Antwortformat vorgeben. Der hohe Anteil an Schwierigkeiten bei der Frage nach Funktionseinschränkungen ent-
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P04.8 Einflussfaktoren für die Häufigkeit von Komplikationen bei der Anlage eines Periduralkatheters- eine retrospektive Analyse von 7959 periduralen Punktionen A. Kern, A. Meyer-Bender, B. Pollwein, A. Crispin, P. Lang Klinikum der Universität München, LMU, München
Anlage einer PDA. Mit zunehmender Körpergröße sinkt das Risiko einer erfolglosen Punktion. Mit zunehmendem Lebensalter erhöht sich das Risiko einer blutigen Punktion oder Duraperforation. Literatur: 1) Tanaka et al. Reg Anesth 1993; 18: 34-38 2) Giebler et al. Anesthesiology 1997; 86: 55-63 P04.9 Postoperative Schmerztherapie nach Operation nach Nuss bei Patienten mit Trichterbrust D. Mergner, K. Möller, A. Kopf Charité-Campus Benjamin Franklin, Berlin Die Operationsmethode nach Nuss zur Korrektur der Trichterbrust wurde 1998 zum ersten Mal von Donald Nuss beschrieben. Sie ist eine Operationstechnik, bei der auf minimal invasive Art und Weise ein individuell angepasster Metallbügel endoskopisch unter das Sternum geschoben wird, um dieses aufzurichten. Dieser chirurgische thorakale Eingriff ist im Normalfall mit starken postoperativen Schmerzen verbunden. Eine suffiziente Schmerztherapie ist für die respiratorische Funktion und die Prophylaxe einer Pneumonie wichtig, und auch vor allem für das Wohlbefinden des Patienten. In der vorliegenden Untersuchung sollte die Effektivität und die unerwünschten Wirkungen der postoperativen Schmerztherapie zwischen einer thorakalen Epiduralanästhesie (tPDA) und einer intravenösen patienten-kontrollierten Analgesie (PCIA) nach einer Operation nach Nuss verglichen werden. Dafür wurden 12 Patienten präoperativ vor einer Nuss-Operation mit einer thorakalen Periduralanästhesie versorgt und 16 Patienten erhielten postoperativ eine patientenkontrollierte intravenöse Analgesie. Die Auswahl der Patienten erfolgte zufällig im Prämedikationsgespräch nach Wunsch der Patienten. Postoperativ wurden alle Patienten dann vom Akutschmerzdienst betreut und über mehrere Zeitpunkte zu verschiedenen Parametern, wie Ruheschmerzen, Belastungsschmerzen, Mobilisationsproblemen, Sedierung, Übelkeit und Erbrechen, Atemoder Schlafproblemen befragt. Es zeigte sich kein Unterschied beim Ruheschmerz und bei der Zufriedenheit der Patienten mit der Schmerztherapie bei beiden Verfahren. Die tPDA bot leichte Vorteile bei der Möglichkeit zur schmerzfreien Mobilisation und beim Schlafen. Außerdem waren die Atemtherapie und das Abhusten durch Schmerzen weniger stark beeinträchtigt. Im Gegensatz dazu litten die Patienten, die mit einer PCIA versorgt waren, weniger an Übelkeit und Müdigkeit. Diese Ergebnisse entsprechen ähnlichen Resultaten aus anderen Untersuchungen. Schlussfolgernd kann gesagt werden, dass man den Patienten im Anästhesieaufklärungsgespräch eine Empfehlung für die tPDA aussprechen kann, alternativ könnte aber auch gut die PCIA zur Schmerztherapie angeboten werden. Es sollte dabei aber bedacht werden, dass die tPDA im Vergleich zur PCIA eine etwas höhere Komplikationsrate bietet. Letztendlich obliegt die endgültige Entscheidung nach gründlicher Aufklärung aber dann beim Patienten. P04.10 A single dose trial of ibuprofen, paracetamol and the combination of paracetamol with codeine on acute pain after third molar surgery G. Lyngstad1, P. Skjelbred2, L. Skoglund1 1 Faculty of Dentistry University of Oslo, 2Oslo University Hospital (Ullevaal), Oslo, Norwegen Introduction: All marketed non steroidal anti-inflammatory drugs (NSAIDs) display pain relieving efficacy. Ibuprofen and paracetamol are among the more popular NSAIDs used for acute pain. There is a lack of data available to establish reliable dose response relationships for higher ibuprofen doses. Evidence for a progressing dose-response relationship for moderate (i. e. 400 mg) to higher ibuprofen doses is scarce. The present study aimed at providing relevant data for a possible dose-
relationship between analgesia and higher ibuprofen doses. Two different doses of paracetamol only, and the combination of paracetamol with codeine were used as positive controls, and placebo was used as a negative control. Methods: Young ASA class 1-2 patients of both sexes (n=350, age range 18-30 years) with at least moderate pain intensity (> or = 4) on a 0-10 numerical rating scale (NRS) after surgical removal of impacted third molars under local anesthesia only were used after non-paid volunteering. The study was a randomized, double-blind, parallel groups trial with Norwegian ethical approval no. S-07032. Trial medication was commercially obtained, disintregated and repacked according to dose by a hospital pharmacy according to GCP in gelatine capsules. The patients were randomly allocated to 7 groups (each n=50). The patients received ibuprofen 400 mg, 600 mg, 800 mg, or paracetamol 500 mg, 1000 mg, or the combination of paracetamol 1000 mg and codeine 60 mg. The primary outcome variable was sum pain intensity difference score (SUMPID). The primary outcome variable was analyzed with a one-way ANOVA for a difference between the groups. Differences between treatment groups were analyzed by the Bonferroni posthoc test. Missing data caused by rescue drug intake were replaced by the last valid observation before statistical analysis. A secondary outcome variable was time to onset of drug effect analyzed by the Kruskal-Wallis test and the Mann-Whitney test. Results: All active drugs were significantly different (p>0.05) from placebo 2 hrs after drug intake to the end of the 6 hour observation period. Ibuprofen 400 mg was not significantly different from placebo 1 hour after intake. After 1 hour ibuprofen 400 mg and paracetamol 1000 mg with codeine 60 mg were significantly different, in favor of the combination. All treatment groups were significantly different from placebo with respect to time to onset of drug effect. Paracetamol 1000 mg with codeine 60 mg had significantly shorter median time to onset of drug effect (23 min, 15 min 25 % percentile/31 min 75 % percentile) than all the other trial drugs. Discussion: The trialshowed differences between the treament groups which may be considered minor. It is of interest that ibuprofen 600 mg and 800 mg show similar analgesic efficacy and that the combination of paracetamol 1000 mg and codeine 60 mg had the shortest time to onset of drug effect. Conclusion: The present trial suggests a ceiling effect of ibuprofen starting somewhere between 400 and 600 mg. P04.11 Ist der chronische Schmerzpatient in der postoperativen Schmerztherapie unterversorgt? Gibt es einen Unterschied im postoperativen Verlauf zwischen den Patienten mit chronischen Schmerzen (CS) im Vergleich zu Patienten ohne chronischen Schmerzen (NCS). A. Goettermann, J. Rothaug, M. Komann, W. Meißner Universitätsklinik Jena Material und Methode: Die Qualitätssicherung in der postoperativen Schmerztherapie erfolgt bei uns durch die Teilnahme am QUIPS – Projekt. Im Vordergrund der Befragung am 1. postoperativen Tag stehen die Ergebnisse der Schmerztherapie aus Patientenperspektive. Die Patienten äußern sich unter anderem zu der Schmerzintensität auf der Numerischen Ratingslala (NRS) bei Belastung, dem Maximalschmerz und dem geringsten Schmerz. Auch die Frage nach chronischen Schmerzen wird durch den Patienten selbstständig beantwortet. Ergebnis: Es wurden insgesamt 40813 Datensätze aus der deutschlandweiten QUIPS- Datenbank untersucht, davon sind 17449 von Patienten der Allgemeinchirurgie und 23364 aus der Traumatologie/Orthopädie. Die Auswertung ergab bei den NCS- Patienten (12859) in der Allgemeinchirurgie einen NRS Wert bei Belastung von 3,66 (±2,2), den Maximalschmerz von 4,3 (±2,4) und den geringsten Schmerz von 1,57 (±1,5).
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Abstracts Die Gruppe der CS-Patienten (4590) erreichte einen NRS-Wert bei Belastung 4,33 (±2,2), den Maximalschmerz von 5,05 (±2,5) und den geringsten Schmerz von 2,01 (±1,7). Die Ergebnisse der NCS- Patienten in der Traumatologie (11546) zeigen einen NRS-Wert bei Belastung von 3,74(±2,3), den Maximalschmerz vom 4,67 (±2,6) und den geringsten Schmerz von 1,64 (±1,6). Die Gruppe der CS-Patienten (11818) gab im Vergleich folgende NRSWerte an: bei Belastung 4,47 (±2,2), Maximalschmerz 5,43 (±2,6) und geringsten Schmerz von 2,00 (±1,8). In der Allgemeinchirurgie erhielten im postoperativen Verlauf 50,4 % der NCS- Patienten keine Opioide, in der Gruppe der CS-Patienten 54 %. Das am häufigsten eingesetzte Opioid in beiden Gruppen ist Piritramid. Die NCS- Patienten bekamen eine mittlere Dosierung von 16,2mg (±19,6), die CS-Patienten von 15,5 mg (± 10,9). In der Traumatologie haben 32,7 % der NCS- Patienten keine Opioide erhalten, in der Gruppe der CS- Patienten 36,0 %. Auch hier ist das am häufigsten eingesetzte Opioid Piritramid. Die NCS- Patienten erhielten als mittlere Dosierung 15,1mg (±14,1), die CSPatienten dagegen 15,9mg (±14,0) Piritramid. Diskussion: Die Auswertung zeigt, dass die CS-Patienten im postoperativen Verlauf eine deutlich höhere Schmerzenintensität aufweisen. Die Anzahl der Patienten, die kein Opioid während ihres postoperativen Verlaufes auf der Station erhalten, ist höher und die mittlere Dosierung von Piritramid ist niedriger oder gleich. Die CS-Patienten sind schmerztherapeutisch unterversorgt. Schlussfolgerung: In der Traumatologie wird ein hoher Anteil von chronischen Patienten betreut. Die Patienten mit schon bestehenden chronischen Schmerzen müssen postoperativ besser versorgt werden. Diese Patientengruppe muss schon bei der stationären Aufnahme klar ersichtlich sein, um das postoperative Schmerzmanagement zu optimieren. P04.12 QUIPSInfant – Qualitätssicherung in der postoperativen Schmerztherapie bei Kindern „Wie die Einführung einer Schmerzevaluation die Schmerztherapie verbessert“ S. Mescha, W. Meißner Universitätsklinik Jena Schmerzen sind ein zu erwartender und vorhersagbarer Zustand nach einem operativen Eingriff. In der postoperativen Phase geben 20-70 % aller Patienten mäßige bis starke Schmerzen an, im kinderchirurgischen Kollektiv beträgt dieser Anteil bis zu 75 % (1). Trotz großer Fortschritte im Verständnis der Physiologie und Pathophysiologie der Schmerzentstehung und –verarbeitung und der Entwicklung neuer Therapiekonzepte hat sich dieser Anteil nur wenig reduziert. QUIPS ist ein Projekt zur Verbesserung der postoperativen Schmerztherapie bei Erwachsenen durch Erhebung der Ergebnisqualität, ihrer Analyse und vergleichende Rückmeldung an die beteiligten Kliniken (2). Für operierte Kinder existierte bisher kein vergleichbares Instrument. Ziel: Es soll ein Fragebogen zur validen Erfassung postoperativer Schmerzen sowie relevanter schmerztherapeutische Prozesse bei Kindern entwickelt werden. Erste Daten und Anwendererfahrungen an einem Universitätsklinikum sollen hier vorgestellt werden. Methoden: QUIPSI ist ein Modul, welches aus dem Qualitätssicherungsprojekt bei Erwachsenen – QUIPS (3) entwickelt wurde und sich derzeit in der Pilotphase befindet. Im Mittelpunkt steht die Selbsteinschätzung der Schmerzen durch die Patienten mit Hilfe der Faces Pain Scale – Revised (4) und die vergleichende Rückmeldung. Die Kinder wurden ab dem 4. vollendeten Lebensjahr am 1. postoperativen Tag befragt, ambulant operierte Patienten wurden vor Entlassung noch am OP-Tag befragt. Die Eltern wurden über das Projekt im Rahmen des präoperativen Aufklärungsgespräches informiert und ihr Einverständnis dokumentiert.
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Ergebnisse: Es kamen 255 Datensätze im Erhebungszeitraum von 16 Monaten zur Auswertung. Die Daten wurden zu 86 % am ersten postoperativen Tag erhoben, 14 % waren ambulante Aufnahmen. Die befragten Kinder waren zu 38 % weiblich. Die Kinder waren zwischen 4 und 18 Jahre alt, die Gruppe der 10-12 Jährigen wurde am häufigsten befragt. 45 % der stationär behandelten Kinder konnten die Fragen selbstständig lesen und beantworteten, bei 55 % der Kinder wurde ein Interview durchgeführt . Die maximale Schmerzstärke lag bei ambulant/stationär 4/6 (Median), der Schmerz bei Belastung bei 2/4 (Median). 12/46 % (MW) der Kinder hatten Schmerzen beim Husten und 12/35 % (MW) sind wegen der Schmerzen aufgewacht. 15/18 % der befragten Kinder wünschten sich mehr und rascher Schmerzmittel. Zwischen der ersten und den zweiten 100 befragten Kindern zeigte sich eine signifikante Reduktion des Maximalschmerzes von 6 auf 4 und des Schmerzes unter Alltagsbewegungen von 4 auf 2. Diskussion: Es zeigt sich, dass die befragten Kinder ab dem vollendeten 4. Lebensjahr ihre Schmerzen bereits sehr gut selbst einschätzen können und dass der hierzu verwendete Fragebogen gut anwendbar ist. Bereits die Einführung des Projektes QUIPSI führte zu einer Sensibilisierung des Personals zum Thema Schmerztherapie. Im Rahmen dieses Pilotprojektes kann eine Optimierung der Schmerztherapie auf der Station erfolgen, da nach Umstellung eines Schmerzkonzeptes, eine erneute Befragung durchgeführt und die veränderte Therapie beurteilt werden kann. Die Analyse der OP-spezifischen Auswertung sollte zur Überprüfung bestehender Therapiekonzepte mit herangezogen werden, um besonders schmerzhafte Tracer-Operationen zu detektieren und ggf. spezifische Schmerztherapieverfahren neu zu implementieren.
PO6 – Kopfschmerz II P06.1 Soziale und emotionale Dimensionen episodischer und chronischer Clusterkopfschmerzleiden K. Henkel1, C. Gaul2, E. Leinisch3, A. Lindwurm3, T. Dresler4, Y. Paelcke-Habermann5, R. Lürding3, T. Jürgens6 1 Schmerzklinik Kiel, 2Klinik für Neurologie, Universität Essen, 3Klinik für Neurologie, Universität Regensburg, 4Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universität Würzburg, 5Klinik für Neurologie, Universität Halle, 6 Universitätsklinikum Hamburg, UKE, Hamburg Einleitung: Neben den schwer beeinträchtigenden akuten Kopfschmerzattacken leiden Patienten mit Clusterkopfschmerzen auch unter den sozialen (u. a. wirtschaftlichen) und emotionalen Folgen ihrer Erkrankung. Bislang wurde in systematischen Untersuchungen jedoch wenig Augenmerk auf die Beeinträchtigung dieser Lebensbereiche bei Erkrankten mit unterschiedlichen Verlaufsformen von Clusterkopfschmerzen gerichtet. Material und Methoden: In einer prospektiven multizentrischen Studie 27 Patienten mit chronischem Clusterkopfschmerz (CCK), 26 Patienten mit episodischem Clusterkopfschmerz (ECK) in der aktiven Phase und 22 Patienten mit ECK ausserhalb der aktiven Phase hinsichtlich verschiedener Aspekte von Beeinträchtigung untersucht. Als Kontrollen dienten 24 Patienten mit Migräne und 31 gesunde Kontrollen ohne primäre Kopfschmerzerkrankungen. Es wurden anhand der Erhebung epidemiologischer Parameter, der deutschen Version des Headache Disability Inventoriy (HDI) und Auszügen des Diagnostischen Kurzinterviews bei psychischen Störungen (Mini-DIPS) Daten zum sozioökonomischen Status, zur Beeinträchtigung der Lebensqualität durch den Kopfschmerz und zu psychiatrischer Komorbidität erhoben. Ergebnisse: Signifikant schwerere Beeinträchtigungen fanden sich im HDI (sowohl im Gesamtscore als auch in den Unterscores „Funktion“ und „Emotion“) bei Patienten mit CCK und mit ECK in der aktiven Phase. Patienten mit ECK in der inaktiven Phase und Migränepatien-
ten waren im Vergleich hierzu weniger beeinträchtigt, jedoch signifikant stärker als das gesunde Kontrollkollektiv. 25 % der Patienten mit CCK waren aufgrund ihrer Kopfschmerzen berentet. Depressive Symptome fanden sich mit einer Häufigkeit von 56 % und Symptome einer Agoraphobie mit 33 % ebenfalls vornehmlich bei Patienten mit CCK. Schlussfolgerungen: Besonders Clusterkopfschmerzpatienten mit chronischem Verlauf und mit episodischem Verlauf in der aktiven Phase sind bezüglich ökonomischer und nicht-ökonomischer sozialer sowie emotionaler Dimensionen beeinträchtigt. Hinweise für eine psychiatrische Komorbidität fanden sich vor allem bei Patienten mit CCK. Neben einer Optimierung der medikamentösen Schmerztherapie sollte im Einzelfall insbesondere in dieser Patientengruppe auch die Notwendigkeit einer psychiatrischen Mitbehandlung und soziotherapeutischer Massnahmen geprüft werden. P06.2 Ein unbekannter primärer Kopfschmerz bei der Multiplen Sklerose? J. Möhrke1, P. Kropp1, U. Zettl2 1 IMP Rostock, 2Universität Rostock Untersucht wurde ein möglicher Zusammenhang zwischen der Multiplen Sklerose (MS) und dem Auftreten verschiedener Kopfschmerzarten, darunter Migräne, Kopfschmerz vom Spannungstyp, Cluster und ein von den IHS-Kriterien bis dato nicht erfasster vierter Kopfschmerztyp (unklassifizierte Kopfschmerzen). Die Patienten mit diesem Kopfschmerztyp wurden mit den MS-Patienten ohne Kopfschmerzen in den Punkten Alter, Geschlecht, EDSS, Verlaufsform der MS, Dauer der Erkrankung, Medikation und SF-36 Items verglichen. 180 an Multipler Sklerose erkrankten Patienten wurden untersucht. Mit einem Fragebogen wurde nach der Art, Dauer, Häufigkeit und Lokalisation der Kopfschmerzen, sowie nach dem allgemeinen Gesundheitszustand, der emotionalen Gesundheit (SF 36) und einer eventuell vorhandenen Depression (BDI) gefragt und mit der klinischen MS-Dokumentation in Zusammenhang gebracht. Bei allen untersuchten Patienten war die Diagnosestellung anhand der McDonald Kriterien zur MS klinisch gesichert. Ausgeschlossen wurden Patienten mit sekundären Kopfschmerzerkrankungen (akute Blutung, bakterielle Entzündungen, Tumor, ossäre oder degenerative Veränderungen). Patienten mit unklassifizierbaren Kopfschmerzen waren häufiger weiblich, jünger (40 vs. 47 Jahre), hatten eine geringere EDSS (3,0 vs. 4,2) und tendenziell eine kürzere Erkrankungsdauer (11,2 vs. 13,7 Jahre) und einen höheren BDI-Wert (6,7 vs. 5,5). Außerdem ergaben sich signifikante Auffälligkeiten im SF-36. Es scheint einen bis dato unbekannten primären Kopfschmerztyp bei der MS zu geben, der nicht mit den gängigen IHS-Kriterien abgebildet werden kann. Patienten aus dieser Gruppe sind jünger und haben eine kürzere Erkrankungsdauer. Es bleibt zu diskutieren, inwieweit diese Kopfschmerzart als sekundärer Kopfschmerz in Bezug auf die Grunderkrankung der MS gewertet werden muss. P06.3 Komorbiditäten bei einer Migränediagnose – Ergebnisse aus der DMKG-Befragung A. Angeli1, P. Kropp1, A. Straube2 1 Universitätsklinikum Rostock, 2Klinikum Großhadern, München Aus der klinischen Beobachtung finden sich bei der Migränediagnose häufig weitere zusätzliche Nebendiagnosen. Umgekehrt kann auch bei spezifischen Grunderkrankungen häufig mit einer Nebendiagnose „Migräne“ gerechnet werden. So ist bekannt, dass derartige Assoziationen mit Migräne insbesondere bei der Depression und bei Angsterkrankungen zu beobachten sind. Ziel der vorliegenden Studie ist eine Zusammenstellung neurologischpsychiatrischer Diagnosen innerhalb einer Woche in nerven-ärztlichen oder schmerztherapeutischen Einrichtungen.
Die Daten zur Komorbidität wurden anhand eines Fragebogens erhoben, in welchem für den Zeitraum von einer Woche alle Patientenbesuche mit den ICD-10 – Diagnoseschlüsseln von Mitgliedern der DMKG aufgeführt werden sollten. Zur Auswertung gelangten 2562 Patientenkontakte. 10 % aller Hauptdiagnosen (n = 262) sind Migränediagnosen. Als Nebendiagnosen werden 9 % aus der Gruppe F3 (affektive Störungen), 4 % aus der Gruppe F4 (Angststörungen) angegeben. Ein Kopfschmerz vom Spannungstyp (G44.2) wird zu 14,5 % angegeben. Bei der Hauptdiagnose F3 (affektive Störungen) wird zu 16 % eine Nebendiagnose „Migräne“ angegeben. Bei Angststörungen (F4) als Hauptdiagnose wird zu 9 % eine Migräne angegeben. Aus den Befunden wird ersichtlich, dass 1. die Prävalenz der Migräneerkrankung mit 10 % in der vorliegenden Studie mit der bevölkerungsbasierten Häufigkeit übereinstimmt, 2. Komorbiditäten mit affektiven und Angststörungen vorliegen, 3. nicht jede Migräneerkrankung als Hauptdiagnose mit einer affektiven oder Angststörung als Nebendiagnose verbunden ist, aber affektive und Angststörungen als Hauptdiagnose in deutlich höherem Ausmaß mit Migräne als Nebendiagnose assoziiert sind. Migräne als Nebendiagnose bei affektiven und Angsterkrankungen wird deutlich häufiger diagnostiziert als umgekehrt. Dies muss bei der Betrachtung der jeweiligen Grunderkrankungen aus diagnostischer und therapeutischer Sicht berücksichtigt werden. Teilnehmer der DMKG-Befragung: Ute Bavendamm, Barbara Casser-Nordhues, Hans-Thomas Eder, Stephan Fegers, Rainer Sabatowski, Charly Gaul, Ingrid Gralow, Renate Grüneberg, Christine Hackebeil, Michael Kämpfer, Ilker Kavuk, Reinhard Keimer, Jörg Kessel, Marianne Kessler, Stefan Kopp, Torsten Kraya, Hedi Kühn-Becker, Jens Kuhn, Volker Lindner, Thomas Lange, Harald Lucius, Emil Naumann, Andreas Peikert, Sylke Schlemilch-Paschen, Anke Pielsticker, Christoph Siebold, Peter Scholz, Andreas Straube, Hendrik Straube, Karen Trocha, Peter Troyke, Konrad Taubert, Guntram Ickenstein, Kornelia Witzenhausen, Roland Wörz P06.4 Strukturierte Ausbildung von Medizinischen Fachangestellten für die Arbeit in Kopfschmerzsprechstunden N. Angermann, D. Holle, D. Schröder, R. Weber, C. Gaul, Z. Katsarava, G. Engelmann Universitätsklinikum Essen Neuroloische Klinik; Westdeutsches Kopfschmerzzentrum, Essen Headache Nurse: Strukturierte Ausbildung von Medizinischen Fachangestellten für die Arbeit in Kopfschmerzsprechstunden Einleitung: Kopfschmerzen haben in der Allgemeinbevölkerung eine Einjahresprävalenz von 70 %. Viele Betroffene suchen die ärztliche Behandlung auf, da sie unter schweren, wiederkehrenden oder anhaltenden Kopfschmerzen leiden. In der ärztlichen Versorgung spielt die Migräne die größte Rolle, eine dringliche Versorgung ist notwendig beim Status migränosus, beim Verdacht sekundärer Kopfschmerzen und bei trigeminoautonomen Kopfschmerzen. In Deutschland stehen keine Ressourcen zur Versorgung aller Patienten in Kopfschmerzzentren und Spezialsprechstunden zur Verfügung, so dass Wartezeiten von mehreren Monaten nicht selten sind. Das Management dieser Patienten und die Ersteinschätzung von Diagnose und Dringlichkeit sind beim Erstkontakt mit den Arzthelferinnen für eine suffiziente und erfolgreiche Patientenbetreuung mitentscheidend. Methode: Im Westdeutschen Kopfschmerzzentrum fanden zwei ganztägige Weiterbildungstage für medizinische Fachangestellte (Arzthelferinnen) statt, die Teilnehmer bewerteten die Kursinhalte und die Durchführung. Ergebnisse: Insgesamt nahmen 43 Medizinische Fachangestellten an dem Curriculum teil. Inhalte waren: 1. Übersicht über primäre Kopfschmerzerkrankungen und Diagnosekriterien nach der ICHD-II, 2. Abgrenzung zu sekundären Kopfschmerzen („red flags“), 3. TheraDer Schmerz Supplement 1 · 2010
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Abstracts piestrategien bei Migräne und Clusterkopfschmerz (Attackentherapie und Prophylaxe), 4. Bedeutung psychischer Faktoren bei Schmerz und Schmerzchronifizierung, 5. Kommunikation mit schwierigen Patienten, 6. Praktische Übungen zur Diagnose am Telefon, 7. Kopfschmerz durch Analgetika- und Triptanübergebrauch, 8. Klinische Studien beim Kopfschmerz. Die Evaluation zeigte eine hohe Zufriedenheit der Teilnehmerinnen mit den Kursinhalten und weiteren Bedarf an solchen Fortbildungen für nichtärztliche Mitarbeiter. Schlussfolgerungen: Das Kursangebot stößt auf große Resonanz, ein weiterer Kurs ist bereits ausgebucht. Auf Seiten der Medizinischen Fachangestellten besteht kopfschmerzspezifischer Weiterbildungsbedarf. Medizinische Fachangestellte, die nach einem Training in der Lage sind, Patientenanfragen wegen Kopfschmerzen bezüglich ihrer Dringlichkeit einzuschätzen können den Arzt von Notfallterminanfragen entlasten und zu effizienten Behandlungsabläufen beitragen. Systematisch sollte untersucht werden, ob sich eine Qualitätssteigerung in der Versorgung nach absolvieren einer solchen Weiterbildung nachweisen lässt. Dieses Weiterbildungsangebot kann ein erster Schritt zur Etablierung eines Weiterbildungscurriculum zur „Headache Nurse“ sein, wie es in anderen Ländern bereits etabliert ist. P06.5 Aggression bei Cluster-Kopfschmerz- und Migränepatienten” R. Lürding1, K. Henkel2, C. Gaul3, T. Dresler4, A. Lindwurm1, Y. Paelcke-Habermann5, E. Leinisch1, T. Jürgens6 1 Neurologische Klinik, Universität Regensburg, 2Psychiatrische Klinik, Universitätsklinikum Aachen und Schmerzklinik Kiel, Aachen/Kiel, 3Neurologische Klinik, Universität Halle und Neurologische Klinik, Universität Essen, Halle/Essen, 4Psychiatrische Klinik, Universität Würzburg, 5Schmerzklinik Kiel, 6Neurologische Klinik, Universität Regensburg und Systemische Neurowissenschaften, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Regensburg/ Hamburg Fragestellung: Trotz umfangreichen Kenntnissen zur Komorbidität von psychiatrischen Erkrankungen ist wenig über die Ausprägung verschiedener Dimensionen von Aggressivität bei Kopfschmerzpatienten bekannt. Das Ziel der Studie ist es, chronische Clusterkopfschmerzpatienten, episodische Clusterkopfschmerzpatienten innerhalb einer aktiven Phase, episodische Clusterkopfschmerzpatienten außerhalb einer aktiven Phase und Migränepatienten mit einer gesunden Kontrollgruppe hinsichtlich verschiedener Qualitäten und dem Ausmaß aggressiver Verhaltensweisen zu vergleichen. Methoden: In einer prospektiven multizentrischen Studie befragten wir Kopfschmerzpatienten und gesunde Kontrollen mit dem validierten Fragebogen zur Erfassung von Aggressivitätsfaktoren (FAF), welcher durch zu bewertende Aussagen individuelle Ausprägungen in verschiedenen Aggressionsbereichen erfasst. Zudem wurden Symptome von Depressivität erfragt. Die Stichprobe umfasste 26 Patienten mit chronischem Clusterkopfschmerz, 25 Patienten mit episodischem Clusterkopfschmerz in der aktiven Phase, 22 Patienten mit episodischem Clusterkopfschmerz außerhalb der aktiven Phase, 24 Patienten mit Migräne und 31 gesunde Kontrollen ohne primäre Kopfschmerzerkrankungen. Die Fragebogendaten wurden mit Hilfe von Varianzanalysen, post-hoc t-Tests und linearen Kontrasten ausgewertet. Ergebnisse: Einzig für den Faktor „Selbstaggressivität/Depression“ zeigte sich in der Varianzanalyse ein signifikanter Haupteffekt des Faktors ‚Gruppe’ (F4, 123 = 5.771, p < 0.001), der in den post-hoc Tests vor allem auf die geringeren Werte der Kontrollgruppe im Vergleich zu den Kopfschmerzpatienten zurückzuführen war (p < . 05 bzw. p < . 10). Interessanterweise zeigte sich auch ein signifikanter linearer Trend mit abnehmenden Werten von chronischen Clusterkopfschmerzpatienten über die anderen Kopfschmerzpatienten zu den gesunden Kontrollpersonen hin. Dies zeigt deutlich erhöhte selbstaggressive/depressive Tendenzen mit zunehmender Schwere des Kopfschmerzes. Eine bivariate Korrelationsanalyse nach Pearson ergab eine signifikante Korrelation
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zwischen Symptomen von Depressivität und Werten des FAF-Items „Selbstaggressivität/Depression“ (p < . 001). Diskussion: Erstmals konnte gezeigt werden, dass Aggressivität bei Kopfschmerzpatienten im Vergleich zu Gesunden nur als Selbstaggressivität bei Depressivität nachzuweisen ist. Ein statistisch signifikanter Unterschied zwischen den einzelnen Kopfschmerzgruppen konnte post hoc für diesen FAF-Score nicht gefunden werden. Das Vorhandensein depressiver Symptome korrelierte signifikant mit dem FAF-Score für Selbstaggressivität/Depressivität. P06.6 Epidemiologie und Verlauf von Patienten mit Clusterkopfschmerzen und anderen trigemino-autonomen Kopfschmerzen J. Flessner, S. Evers Klinik und Poliklinik für Neurologie, Universitätsklinikum Münster Der Clusterkopfschmerz (CK) ist eine seltene trigemino-autonome Kopfschmerzerkrankung, die charakterisiert ist durch sehr starke Kopfschmerzattacken und ipsilaterale trigemino-autonome Begleitsymptome. Methode: Daten (demographische Daten, Medikation, klinischer Verlauf u. a.) von Patienten mit den Diagnosen Clusterkopfschmerz, Hemicrania continua, paroxysmale Hemikranie und SUNCT- Syndrom wurden über einen Zeitraum von 2006- 2009 erhoben. Die Rekrutierung erfolgte über Entlassungsbriefe und face-to-face Fragebögen in der Klink und Poliklinik für Neurologie des Universitätsklinikums Münster sowie über einen Fragebogen im Internet. Ausschließlich Patienten, welche die Kriterien der International Headache Society (IHS) für die genannten Erkrankungen erfüllen, wurden in die Studie eingeschlossen. Ergebnisse: Insgesamt 667 Patienten wurden erfasst. Das Verhältnis zwischen Männern und Frauen betrug beim CK 3,3: 1. Die episodische Verlaufsform präsentierte sich mit 72,9 % (n=418) und trat im Mittel mit 31,2 Jahren erstmalig auf. Die chronische Form zeigte sich de-novo im Mittel mit 34 Jahren. Durchschnittlich erfuhren die CK-Patienten 3 Attacken/ die. 13,5 % (n=61) der Probanden bemerkten einen Seitenwechsel. 53,9 % (n=208) Befragte beobachteten Trigger für das Auftreten der Clusterattacken. Alkohol (20,2 %) und Nikotin (12,8 %) stellten die häufigsten Trigger dar. 11 % der Frauen hatten während der Schwangerschaft Clusterattacken und litten ausschließlich an der episodischen Verlaufsform. Am häufigsten wurden Sumatriptan s. c. (71,7 %) und Sauerstoff (66,1 %) in der medikamentösen Therapie eingesetzt. In 10,6 % der Fälle wurde eine familiäre Häufung beobachtet. Bei 23,9 % der Probanden wurde eine Zahnextraktion durchgeführt, obwohl die Genese der Schmerzen im Oberkiefer oder Unterkiefer durch den Clusterkopfschmerz verursacht worden war. Schlussfolgerung: Die Ergebnisse zeigen eine Relativierung des Geschlechtsverhältnisses beim CK, verglichen mit älteren Daten, bei denen Männer deutlich überrepräsentiert waren. Bestätigt werden konnte, dass Nikotin und Alkohol die häufigsten Trigger darstellen. Bezüglich der medikamentösen Therapie konnte gezeigt werden, dass die CK- Patienten leitlinienkonform behandelt werden.
P06.7 Grundlagen zur Anatomie und Funktion trigeminaler Afferenzen: Neue Erkenntnisse zur peripheren Verbindung der intra- und extrakraniellen Innervation M. Schüler1, K. Messlinger1, W. Neuhuber2, R. de Col3 1 Institut für Physiologie und Pathophysiologie, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Erlangen, 2Anatomisches Institut 1, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Erlangen, 3Institut für Physiologie & Pathophysiologie, Universität Erlangen-Nürnberg, Erlangen Fragestellung: Neben nozizeptiven Vorgängen in den Hirnhäuten könnten auch extrakranielle Strukturen eine wichtige Rolle bei der Entstehung primärer und sekundärer Kopfschmerzen spielen. Mögliche periphere Verbindungen zwischen der intra- und extrakraniellen Innervation haben wir mittels anatomischer und funktioneller Methoden untersucht. Methoden: Der Schädel adulter Wistar Ratten wurde entlang der medianen Sutur mittig geteilt, das Hirngewebe entfernt und so ein Halbschädelpräparat mit anhaftender Dura mater für weitere Untersuchungen gewonnen. Der Ramus meningeus des Nervus mandibularis wurde an seiner Abzweigung in die Dura mater über eine kurze Strecke mobilisiert. Anatomische Studien: Die periphere Projektion trigeminaler Afferenzen und die zugehörigen trigeminalen Ursprungsneurone wurden mittels postmortem neuronalem Tracing identifiziert. Der kristalline fluoreszierende Tracer DiI wurde in den proximalen Abschnitt des Ramus meningeus appliziert, das Präparat anschließend mit 4 % PFA fixiert und bei 37 °C inkubiert. Für die elektronenmikroskopische Untersuchung des Ramus meningeus wurde die Dura mater in 2,5 % Glutaraldehyd fixiert und Serienschnitte angefertigt. Elektrophysiologische Studien: Für die extrazelluläre Ableitung wurde der proximale Abschnitt des Ramus meningeus über eine Glaselektrode angesaugt, Einzelfasern mit extrakraniellen rezeptiven Feldern im Periost mechanisch aktiviert und anhand ihrer Latenz identifiziert und klassifiziert. Ergebnisse: Markierte Nervenfasern verlaufen ausgehend von ihren Ursprungsneuronen in der mandibulären und maxillären Region des Ganglion trigeminale in der Dura mater zusammen mit der A. meningea media. Über die Schädelnähte ziehen überwiegend nicht myelinisierte Nervenfasern nach außen und breiten sich im Periost sowie in den sehnigen Muskelansätzen aus. Einzelne dieser trigeminalen Afferenzen besitzen über Axonkollaterale gemeinsame rezeptive Felder in der Dura mater, dem Periost und der Muskulatur. Schlussfolgerung: Nervenfaser, deren Ursprungsneurone im Ganglion trigeminale lokalisiert sind, treten durch die Suturen auf die Schädelaußenseite und innervieren das Periost, die sehnigen Ansätze des M. temporalis und der kranialen Halsmuskeln. Einige dieser Nervenfasern besitzen über Axonkollateralen gemeinsame extra- und intrakranielle rezeptive Felder. Diese direkte morphofunktionelle Verbindung könnte sowohl für die Genese als auch für die Therapie von Kopfschmerzen bedeutsam sein.
P06.8 Stomatognathic etiologies of headache: prevalence and interrelationship of headache, temporomandibular joint disorders and occlusal interferences M. Troeltzsch1, R. Cronin2, A. Brodine3, R. Frankenberger4, K. Messlinger5 1 Private Practice, Ansbach & Friedrich Alexander University ErlangenNuremberg, Erlangen; Director, Graduate Prosthodontics, 2University of Texas Health Science Center at San Antonio, San Antonio, TX, USA, 3Private Practice, Rochester, NY & University of Rochester Eastman Institute for Oral Health, Rochester, NY, USA,4Philipps University Marburg, 5Friedrich Alexander University Erlangen- Nuremberg, Erlangen Statement of problem. The interaction of malocclusion, parafunction and temporomandibular joint disorder (TMD) with headache has not been extensively studied in the medical or dental literature. Purpose. The purpose of this study was to identify the presence or absence of an association of occlusal interferences, parafunction, TMD, physiologic, muscular or prosthodontic factors with the etiology of headache. Study Methodology. In a private practice population of 1031 subjects (436 male and 595 female, mean age 49.6 years) the demographic parameters, headache and general pain history, habits and general personal information were recorded. Clinical examination for dental, muscular, and temporomandibular joint pathology was accomplished. Statistical analysis of the data was rendered using the Mann – Whitney – U, Kruskal – Wallis and Chi – Square tests. A multinomial logistic regression analysis was performed with respect to confounding variables. Results. Headache affliction was found to affect women more frequently than men (1.7: 1). Students and non – academics were more prone to suffer from headache. Parafunction (P = 0.00, OR 7.9), TMD (P = 0.00, OR 2.55) and gross differences between centric occlusion and maximum intercuspation of more than a 3 mm visible track marked with 8 µm articulation foil (P = 0.00, OR 25.9) significantly influenced the presence of headache. Therefore, occlusal interferences proved to contribute substantially to the presence of headache in this study. Headacheintensity and frequency decreased with age. While tension – type headache was most frequently diagnosed, the parameters studied were not significantly associated with one certain headache diagnosis more frequently than others. Conclusion. Stomatognathic factors of TMD, parafunction and gross differences between centric occlusion and maximum intercuspation of more than 3 mm may play a substantial role in the etiology of headache. Clinical implications. The findings of this study infer that treatment of TMD, parafunction, and horizontal differences greater than 3mm between centric occlusion and maximum intercuspation may reduce the occurence of orofacial pain. Therefore, dentists could contribute to the alleviation of headache.
PO8 – Neuropathischer Schmerz II P08.1 Vergleich zwischen Ergebnissen der Quantitativen Sensorischen Testung (QST) und einer selbstbewertung von Symptomen bei Patienten mit chronisch neuropathischen Schmerzen M. Stengel, A. Binder, G. Wasner, R. Baron Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Kiel Fragestellung: Neuropathische Schmerzen sind Folge multipler pathophysiologischer Mechanismen und gekennzeichnet von Positiv- und Negativsymptomen, z. B. Allodynie, Hyperalgesie und Hypästhesie. Die Quantitative Sensorische Testung (QST) ist eine psychophysikalische Methode zur Erfassung dieser Symptome. Unklar ist jedoch, inwieweit die Befunde der QST das subjektiv empfundene Symptombild der Patienten widerspiegeln. Der Schmerz Supplement 1 · 2010
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Abstracts Material und Methode: 96 Patienten (44 Frauen) mit chronisch neuropathischen Schmerzen (18 Patienten mit zentralen neuropathischen Schmerzen) wurden mittels der QST nach dem Protokoll des DFNS und mit dem PainDetectFragebogen untersucht. Der PainDetect Fragebogen erlaubt den Patienten eine gewichtete Bewertung von verschiedenen Positiv- und Negativsymptomen (Brenngefühl, Kribbel-Prickelgefühl, Berührungsempfindlichkeit, Schmerzattacken, schmerzhafte Kälte oder Wärme, Taubheit, Druckempfindlichkeit; Angaben von nie=0 bis sehr stark=5) und wurde zur Erfassung einer neuropathischer Schmerzkomponente entwickelt. Die erhobenen QST-Werte wurden mittels Spearman Korrelation (rho) mit den Bewertungen des PainDetect Fragebogens verglichen. Ein p-Wert <0.05 wurde als statistisch signifikant angenommen. Ergebnisse: Eine signifikante Korrelation konnte zwischen folgenden Parametern (QST Parameter – PainDetect Parameter) festgestellt werden: Mechanische Schmerzsensitivität (MPS), dynamisch mechanische Allodynie (DMA), Druckschmerzschwelle (PPT) – Berührungsempfindlichkeit (p=0,005/<0,0001/0,02; rho 0,26/0,56/-0,22); mechanische Schmerzschwelle (MPT), MPS – Taubheit (p<0,0001/0,001; rho 0,4/0,3); DMA – Druckempfindlichkeit (p=0,006; rho 0,3). Eine Korrelation zwischen den thermischen Schmerzschwellen und Angaben hinsichtlich des Vorliegens einer thermischen Hyperalgesie bestand nicht. Diskussion: Die Ergebnisse weisen daraufhin, dass mit der standardisierten QST des DFNS eine Beschreibung klinisch relevanter Symptome neuropathischer Schmerzen möglich ist. Die zum Teil niedrigen Korrelationskoeffizienten könnten Folge der in dem QST Protokoll enthaltenen Schwellenbestimmungen und nicht regelhaft durchgeführten überschwelligen Testungen, i. e. Testungen zur Bestimmung der Intensität von Positiv- und Negativsymptomen, sein. Die nicht nachweisbare Korrelation hinsichtlich einer thermischen Hyperalgesie kann zusätzlich durch die bei diesem Parameter weitgefassten Fragestellung des PainDetect (Abfrage einer Kälte- und/oder Hitzehyperalgesie in einer Frage) bedingt sein. Schlussfolgerung: Die Quantitative Sensorische Testung ist ein Verfahren, dass für den Patienten relevante Symptome neuropathischer Schmerzen abbildet. P08.2 Frühe Erfassung der sensiblen diabetischen Neuropathie bei Kindern und Jugendlichen mit der Quantitativen Sensorischen Testung M. Blankenburg1, N. Krämer1, F. Aksu1, T. Hechler1, T. Wiesel1, E. Krumova2, W. Magerl3, C. Maier2, B. Zernikow1 1 Vestische Kinder- und Jugendklinik Datteln, 2BG Universitätsklinikum Bergmannsheil, Bochum, 3Medizinische Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg, Mannheim Einleitung und Fragestellung: Kinder und Jugendliche mit Diabetes mellitus Typ 1 (DM1) haben häufig Veränderungen der sensiblen Nervenleitgeschwindigkeit (sNLG) (28-57 %) als Hinweis auf eine sensible diabetische Polyneuropathie (SDN). Im klinischen Alltag wird eine SDN selten diagnostiziert, da die Kinder keine sensiblen Störungen angeben, das Vibrationsempfinden unauffällig ist und die sNLG nicht untersucht wird. Darüber hinaus erfasst die sNLG und das Vibrationsempfinden nur die Funktion der dicken Aß-Fasern, wobei die dünnen Ad/C-Fasern möglicherweise früher betroffen sind. Ziel der Studie war eine Verbesserung der frühen Diagnostik der SDN bei Kindern mit DM Typ 1 mit der nicht invasiven, standardisierten Quantitativen Sensorischen Testung des Deutschen Forschungsverbundes für neuropathischen Schmerz (DFNS) im Vergleich zur sNLG. Methoden: Über 3 Monate wurden alle Kinder mit einem DM1 (n=45, Alter: 13.20±2.52 Jahre) und einer Erkrankungsdauer >2 Jahre (6.68±2.54 Jahre) an beiden Füßen mit dem QST Protokoll des DFNS, einer sNLG, dem Deutschen Schmerzfragebogen für Kinder und Jugendliche und neurologisch untersucht. Eine SDN wurde bei pathologischer sNLG als Golden Standard diagnostiziert. Die Daten wurden mit einer alters- und geschlechtskorrelierten Kontrollgruppe und den
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QST Referenzwerten für Kinder (Blankenburg et al., 2010) sowie mit klinischen Parametern verglichen. Ergebnisse: Es zeigte sich eine hohe Prävalenz für eine mechanische (42 %) und thermische (26 %) Hypoästhesie, oft in Verbindung mit einer Hyperalgesie (47 %). Im Gegensatz dazu war das Vibrationsempfinden nur bei 7 % der Patienten pathologisch verändert. Die taktile Hypoästhesie hatte die höchste Sensitivität (91 %) und Spezifität (86 %), positiven (71 %) und negativen (96 %) prädiktiven Wert für eine SDN. Es fanden sich nur minimale Unterschiede zwischen Patienten mit langer vs kurzer (<6 Jahre) Krankheitsdauer bzw. gutem (<8 %) vs schlechtem (=8 %) HBA1C. Schlussfolgerung: Die Ergebnisse sprechen für eine subklinische SDN in etwa 50 % der Patienten mit DM1. Die dick myelinisierten Nervenfasern scheinen häufiger betroffen zu sein als die dünn myelinisierten Nervenfasern. Die taktile Hypoästhesie erwies sich als bester Parameter für eine Screeninguntersuchung der SDN im Kindesalter. Dagegen war das Vibrationsempfinden als Screeningtest ungeeignet. Die QST erscheint als nicht invasives Screeningverfahren für eine SDN im Kindesalter geeignet und sollte bei der Untersuchung neuer Therapiestrategien für Kinder mit DM1 angewendet werden, um das Outcome in Bezug auf die SDN zu erfassen. P08.3 Test-Retest-Reliabilität der Quantitiven Sensorischen Testung nach dem Protokoll des Deutschen Forschungsverbundes Neuropathischer Schmerz (DFNS) bei Kindern und Jugendlichen M. Blankenburg1, N. Krämer1, F. Aksu1, T. Hechler1, W. Magerl2, C. Maier3, B. Zernikow1 1 Vestische Kinder- und Jugendklinik Datteln, 2Medizinische Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg, Mannheim, 3BG Universitätsklinikum Bergmannsheil, Bochum Einleitung und Fragestellung: Vom Deutschen Forschungsverbund Neuropathischer Schmerz (DFNS) wurde für Erwachsene ein standardisiertes QST-Protokoll entwickelt, mit dem alle Modalitäten der somatosensorischen und Schmerzwahrnehmung quantitativ untersucht werden können. Die QST erfasst durch charakteristische Veränderungen der Schmerzempfindlichkeit und Sensibilität die Funktion der dicken (Aß-) und dünnen (A-delta und C-) peripheren Nervenfasern, der Hinterstränge und des spinothalamischen System, sowie andere zentrale Verarbeitungsmechanismen (Rolke et a., 2006). Die QST ist gut geeignet für die Untersuchung von Kindern, da sie nicht invasiv ist, leicht erlernbar und kosteneffizient. Kürzlich wurden auch Referenzwerte für Kinder und Jugendliche publiziert (Blankenburg et al., 2010). Während die Kurzzeit-Test-Retest-Reliabilität im Seitenvergleich zwischen beiden Körperhälften bei Kindern sehr gut ist, gibt es bislang keine Untersuchungen der Langzeit-Test-Retes-Reliabilität. Ziel dieser Studie ist die Untersuchung der Langzeit-Test-Restes-Reliabilität bei Kindern und Jugendlichen. Methode: 40 Probanden aus der Validierungsstudie der QST bei Kindern und Jugendlichen (Blankenburg et al., 2010) wurden randomisiert ausgewählt (2 Mädchen und 2 Jungen pro Jahrgang von 6 bis 16 Jahre) und nach 15.8 +3.0 Monaten mit der QST auf dem Handrücken unter identischen Bedingungen von einem anderen Untersucher nachuntersucht. Berechnet wurde die Verteilung der QST-Parameter mit dem Wilcoxon-Rangsummentest für verbundene Stichproben, das 95 %-Konfidenzintervall der Differenz zwischen beiden Zeitpunkten und die Limits of Agreement (Bland-Altman-Verfahren). Ergebnisse: Die Verteilung der Parameter unterschied sich zu beiden Messzeitpunkten nicht (p=0,06-0,85). Unterschiede zwischen der ersten und der zweiten Untersuchung waren für alle QST Parameter äußerst gering. Die durchschnittliche Differenz der beiden Messungen lag mit einer Wahrscheinlichkeit von 0.95 % bei <0,6°C für die thermischen Detektionsschwellen, bei <0,3mN für die taktile Detektionsschwelle, bei <0,27/8 für die Vibrationsschwelle, bei <5,89°C für die thermischen Schmerzschwellen, bei <34,35mN für die mechanische
Schmerzschwelle, bei <1.03 für die mechanische Schmerzsensitivität, bei <0.52 für den Wind up Quotient und bei <123 kP für die Druckschmerzschwelle. Schlussfolgerung: Entsprechend den altersbedingten Veränderungen des 95 % Konfidenz Intervalls bei den Referenzwerten (siehe Blankenburg et al., 2010) waren bei der zweiten Untersuchung alle thermischen Schwellen und die taktile Detektionsschwelle minimal niedriger und die Schwelle für das Vibrationsempfinden und für alle Schmerzreize minimal höher als bei der ersten Untersuchung. Die intraindividuellen Unterschiede zwischen den beiden Untersuchungen im Abstand von 16 Monaten waren aber deutlich kleiner als die Veränderungen der QST-Konfidenzintervalle zwischen den 3 Altersgruppen (6-8, 9-12 und 13-16 Jahre; siehe Blankenburg et al., 2010). Damit zeigen die Ergebnisse eine gute Langzeit-Test-Restes-Reliabilität der QST bei Kindern und Jugendlichen. P08.4 Transcranial direct current stimulation induces distinct changes of somatosensory perception in healthy humans L. Grundmann1, R. Rolke2, M. Nitsche1, G. Pavlakovic3, S. Happe1, R. Treede4, W. Paulus1, C. Bachmann1 1 Klinische Neurophysiologie, Göttingen, 2Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität, Mainz, 3Universitätsmedizin Göttingen, 4Medical Faculty Mannheim, University of Heidelberg, Mannheim Objective: Transcranial direct current stimulation (tDCS) of the human cortex has been shown to modify cortical excitability and activity. The aim of our study was to analyze the effects of tDCS of the primary sensory cortex (SI) on thermal and mechanical perception, as assessed by quantitative sensory testing (QST). Methods: The comprehensive QST protocol encompassing thermal and mechanical detection and pain thresholds as devised by the German Research Network on Neuropathic Pain (DFNS) was applied bilaterally to the hand dorsum of ten healthy subjects, who were examined before and after tDCS. Anodal and cathodal transcranial direct current stimulation was applied at a 1 mA current intensity with the active electrode placed over primary sensory cortex (S1) and the reference electrode above the right orbit for 15 min as well as sham tDCS. Statistical analysis focused on the differences between the right contralateral hand and the left ipsilateral hand. Results: After cathodal tDCS innocuous cold detection threshold (CDT) was significantly increased in the contralateral hand as compared to baseline condition (p<0.05), whereas warm detection and thermal pain as well as mechanical detection and pain thresholds remained unaltered. Discussion: Cathodal tDCS of the primary sensory cortex significantly reduced the sensitivity to Ad-fiber mediated innocuous cold sensation, whereas C-fiber mediated somatosensory inputs were not affected. Our results correspond with our previous observations of primary motor cortex tDCS effects on QST parameters. P08.5 Verlaufsuntersuchung mittels quantitativer sensorischer Testung (QST) bei Patienten mit postherpetischer Neuralgie O. Esau, J. Koroschetz, A. Binder, S. Rehm, R. Baron Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Kiel Fragestellung: Die postherpetische Neuralgie (PHN) ist eine Komplikation der akuten Herpes zoster Erkrankung. Patienten mit einer PHN leiden an Positiv- und Negativsymptomen wie z. B. einer mechanisch dynamischen Allodynie oder einer taktilen Hypästhesie. Diese lassen sich mit Hilfe einer quantitativ sensorischen Testung beschreiben und quantifizieren und in einem sensorischen Profil darstellen. Die vorliegende Studie untersucht, ob es im Erkrankungsverlauf zu einer Veränderung dieses sensorischen Profils kommt.
Material und Methode: Es wurde von 14 Patienten (9w, 5m) zweimalig ein sensorisches Profil mittels quantitativer sensorischer Testung (QST) erstellt. Zudem wurden deskriptive Daten anhand von verschiedenen Schmerzfragebögen (NPS, LANSS, MPI-D und PainDETECT) erhoben. Zwischen den einzelnen Untersuchungen lagen Zeiträume zwischen 6 Monaten und bis zu 5 Jahren. In beiden Untersuchungen wurde das gleiche Areal untersucht. Das untersuchte Areal entsprach dem Bereich des stärksten neuropathischen Schmerzes. Zusätzlich wurde jeweils das kontralaterale spiegelbildliche Areal im Vergleich untersucht. Ergebnisse: Bei insgesamt heterogenen Profilen zeigten sich unterschiedliche Verläufe. Am häufigsten konnte eine Normalisierung der thermischen und mechanischen Detektionsschwellen festgestellt werden bei gleichzeitigem Absinken der mechanischen Schmerzschwelle und Anstieg der Sensitivität gegenüber Nadelreizen. Weniger häufig waren Profile, in denen es zu einer Normalisierung von einem durch Positivsymptome gekennzeichneten Profils kam bzw. zu keiner Änderung im Zeitverlauf. Diskussion: Bei einem Teil der Patienten konnte eine Restitution der Funktion dünner und dicker Faserafferenzen nachgewiesen werden bei gleichzeitigen Veränderungen der mechanischen Empfindungsschwellen und der Schmerzsensitivität. Letzteres könnte auf zentrale Sensibilisierungsvorgänge zurückgeführt werden. In einer weiteren Gruppe konnte eine Normalisierung des gesamten sensorischen Profils festgestellt werden, was bei diesen Patienten ebenso für eine funktionelle und/oder strukturelle Regeneration geschädigter Nervenfaserafferenzen nach einer Herpes zoster Erkrankung spricht. Schlussfolgerung: Das sensorische Profil an einer postherpetischen Neuralgie erkrankter Patienten kann sich im Verlauf der Erkrankung verändern. Dies lässt sich wahrscheinlich sowohl auf Regenerationsals auch auf Sensibilisierungsprozesse zurückführen. Ob beispielsweise beim einzelnen Patienten Degenerations- oder Sensibilisierungsprozesse im Vordergrund stehen, hätte Auswirkungen auf die zur Anwendung kommenden medikamentösen Therapieoptionen. Einer quantitative sensorische Testung scheint somit auch im Verlauf einer postherpetischen Neuralgie eine diagnostische Bedeutung zuzukommen. In weiteren Untersuchungen wäre ein prospektiver Studienansatz sinnvoll, um die einzelnen Verläufe untereinander besser vergleichen zu können. P08.6 Biofeedback als adjuvante Therapie zur Behandlung des Komplexen Regionalen Schmerzsyndroms (CRPS) an den oberen Extremitäten M. Laskova, A. Heymann, C. Denke CharitéCentrum für Anästhesiologie, OP-Management und Intensivmedizin, Berlin Fragestellung. In dieser Studie wurde die Wirksamkeit der Biofeedbacktherapie (BFB) als adjuvante Therapie für die Reduktion der sympathischen Erregung bei CRPS und somit die Symptomreduktion im Vergleich zu einer Standardtherapie (ST) untersucht (Stanton-Hicks, 2005). Methodik. In die Studie wurden 21 Patienten mit CRPS der oberen Extremität eingeschlossen. Sie wurden randomisiert mit (A) Standardtherapie und zusätzlich BFB (n=10) oder (B) nur mit ST behandelt (n=11). Die Standarttherapie umfasste eine kontrollierte medikamentöse Behandlung, 10 Stellatumblockaden 2-mal wöchentlich, Physiotherapie, Ergotherapie und Lymphdrainage. Die BFB-Behandlung erfolgte 10-mal mit jeweils 2 Sitzungen je Woche. Bei allen Patienten wurde eine quantitative sensorische Testung (QST) durchgeführt, die Schmerzstärke und Schmerzverarbeitung wurden durch standardisierte Fragebögen (Fragebogen zur Erfassung der Schmerzverarbeitung (FESV), Schmerzempfindungsskala (SES); Numerische Ratingskala (NRS)) erfasst. Die Untersuchungen fanden vor, direkt nach und ca. 6 Monate nach der Behandlung statt.
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Abstracts Ergebnisse. Die motorische Beeinträchtigung war vor der Behandlung in beiden Gruppen gleichstark ausgeprägt. Eine signifikante Besserung des Faustschlusses (60 % bei BFB vs. 12,5 % bei non-BFB) wurde allerdings nur in der BFB-Gruppe beobachtet. Die motorische Verbesserung über die Zeit hinsichtlich Handkraft und Bewegungsausmaß war in beiden Gruppen gleichermaßen. Die QST vor Therapie zeigte bei allen Patienten eine signifikante Differenz zwischen der betroffenen Testseite und der gesunden Kontrollseite bei der taktilen Detektionsschwelle (p= . 005), mechanischer Schmerzsensitivität (p= . 05), Hyperalgesie (p= . 001) und Vibrationsdetektionsschwelle (p= . 05), die nach der Therapie und follow-up nicht mehr nachweisbar waren. Es zeigte sich im Verlauf sowohl bei der BFB-Gruppe als auch bei der non-BFB-Gruppe keine Besserung des Schmerzempfindens für Spontan- und Bewegungsschmerz. Die Depression ermittelt durch BDI zeigte eine durchschnittlich „milde Depression“ in der BFB-Gruppe im Vergleich zur non-BFB-Gruppe, die nach der Therapie und followup nicht mehr nachgewiesen werden konnte. Eine signifikante Besserung der Schmerzverarbeitung (FESV- Ruhe u- Entspannung: p= . 005; FESV- Ärger: p= . 005) konnte ebenso wie eine Reduktion des Schmerzes (SES-Rhythmik: p= . 005) für die BFB- Gruppe gezeigt werden. Schlussfolgerung. Durch BFB konnten nur einzelne Schmerzaspekte positiv verändert werden. Insbesondere im Bereich der Schmerzbewältigung konnte durch BFB das Outcome von CRPS- Patienten positiv beeinflusst werden. Auf Grund der kleinen Stichprobe ist die Aussagekraft der Untersuchung eingeschränkt. Weitere Studien sind daher notwendig. P08.7 Hypertrichose bei Alopecia universalis und CRPS – ein Fallbericht M. Stocker, F. Nickel, C. Maihöfner University of Erlangen Einleitung: Komplex regionale Schmerzsyndrome (CRPS) entwickeln sich in der Regel nach Verletzungen von Extremitäten und sind charakterisiert durch das Auftreten von sensorischen, motorischen und autonomen Störungen. In vielen Fällen finden sich trophische Störungen der Haut, der Hautanhangsgebilde mit Veränderung des Haar- oder Nagelwachstums, des Unterhautgewebes und der Knochen. Fallbericht: Eine 46-jährige Patientin wurde mit einem komplex regionalem Schmerzsyndrom I (CRPS) der rechten Hand nach einer Handgelenksdistorsion vorstellig. Zehn Jahre zuvor war bei der Patientin eine Alopecia universalis diagnostiziert worden mit dem nachfolgenden Ausfall sämtlicher Körperhaare, einschließlich Wimpern, Augenbrauen und der Schambehaarung. Neben sensorischen (Allodynie, Hyperalgesie), motorischen (eingeschränkte Fingerflexion, Feinmotorikstörung) und autonomen Veränderungen (Hyperhidrose, bläulich-livide Verfärbung) der durch das CPRS betroffenen rechten Hand entwickelte die Patientin eine Hypertrichose mit Haarwachstum im Bereich des CRPS am Digitus minimus. Diskussion: Eine Hypertrichose ist ein häufiges Symptom beim CRPS (1). Der zugrundeliegende Mechanismus ist nur unzureichend verstanden und basiert möglicherweise auf fazilitierten neurogenen Entzündungsprozessen (2). Die seltene Komorbidität mit Alopecia universalis demonstriert den enormen Stimulus des Haarwachstums beim CRPS. Literatur: 1. Birklein F, Riedl B, Sieweke N, Weber M, Neundorfer B. Neurological findings in complex regional pain syndromes-analysis of 145 cases. Acta Neurol Scand 2000;101: 262-269. 2. Birklein F, Schmelz M, Schifter S, Weber M. The important role of neuropeptides in complex regional pain syndrome. Neurology 2001;57: 2179-2184.
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P08.8 Einfluß von topischem Menthol auf evozierte Schmerzen im Capsaicin-Modell U. Donandt, M. Jacob, D. Naleschinski, F. Mahn, P. Hüllemann, A. Binder, R. Baron, G. Wasner Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Kiel Fragestellung: Die Therapieoptionen bei neuropathischen Schmerzen sind begrenzt. In jüngster Zeit gibt es zunehmend die Strategie, eine Schmerzlinderung über Beeinflussung der peripheren Nozizeptoren durch topische Substanzen zu erzielen. In der Literatur gibt es Hinweise, dass die topische Applikation von Menthol einen schmerzlindernden Effekt hat. Ziel dieser Studie ist es, einen möglichen analgetischen Effekt von topischem Menthol im Capsaicin-Modell zu untersuchen. Material und Methoden: Bei bisher 7 Probanden wurde topisch Capsaicin mittels eines Capsaicin-haltigen Tupfers für 15 min appliziert. Anschließend wurde der Tupfer entfernt und an derselben Stelle wurde Plazebo-kontrolliert Menthol für einen entsprechenden Zeitraum aufgetragen. Nach Ende der Menthol-Applikation wurden die Hitzehyperalgesie, sowie Intensität und Ausbreitung der dynamisch-mechanischen und der Pinprick-Hyperalgesie bestimmt. Ergebnisse: Sowohl nach Menthol- als auch nach Plazebo-Applikation fanden sich eine Capsaicin-induzierte Hitzehyperalgesie und mechanische Hyperalgesien. Es zeigte sich kein signifikanter Unterschied zwischen den Gruppen. Interpretation: Diese vorläufigen Ergebnisse zeigen, dass topisches Menthol keinen analgetischen Effekt auf die Entwicklung thermischer und mechanischer Hyperalgesien im Capsaicin-Modell hat. Unterstützt durch das National Health and Medical Research Council of Australia (NHMRC), den EFIC-Grünenthal-Grant (EGG), das Ministerium für Wissenschaft, Wirtschaft und Verkehr Schleswig-Holstein und das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). P08.9 Capsaicin-induzierter Spontanschmerz und Axonreflex nach topischer Mentholgabe M. Jacob, U. Donandt, D. Naleschinski, F. Mahn, P. Hüllemann, A. Binder, R. Baron, G. Wasner Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Kiel Fragestellung: Aktivierung und Sensibilisierung nozizeptiver Afferenzen durch Capsaicin ist ein etabliertes Schmerzmodell für neuropathische Schmerzen. Capsaicin wirkt dabei über den Hitze-sensiblen TRPV1-Kanal. Die Wirkweise des Capsaicins ist dabei Temperatur-abhängig, d. h. bei Kühlung läßt der Effekt nach, weil der TRPV1-Kanal bei niedrigeren Temperaturen schlechter aktivierbar ist. Menthol wirkt über den Kälte-sensiblen TRPM8-Kanal und bewirkt so eine Sensation der Kühlung. Ziel dieser Studie ist es zu untersuchen, ob die Aktivität des TRPV1-Kanals nicht nur durch direkte Kühlung beeinflusst wird, sondern auch durch Menthol-vermittelte Aktivierung des Kältekanals TRPM8. Die Ergebnisse dieser Studie lassen auch Rückschlüsse über einen möglichen therapeutischen Effekt von Menthol bei neuropathischen Schmerzen zu. Material und Methoden: Bei bisher 7 Probanden wurde topisch Capsaicin mittels eines Capsaicin-haltigen Tupfers für 15 min appliziert. Anschließend wurde der Tupfer entfernt und an derselben Stelle wurde Plazebo-kontrolliert Menthol für einen entsprechenden Zeitraum aufgetragen. Während der Untersuchungen wurden der Spontanschmerz und der Axonreflex mittels Laser-Doppler und Flare-Messung als Maß für die Capsaicin-vermittelte Aktivierung von Nozizeptoren bestimmt. Ergebnisse: Während Menthol- und Plazebo-Applikation fanden sich keine signifikanten Unterschiede im Spontanschmerz und in der Axonreflex-bedingten Vasodilatation. Interpretation: Diese vorläufigen Ergebnisse zeigen, dass eine Menthol-bedingte Aktivierung des TRPM8-Kanals keinen direkten Einfluss
auf die Capsaicin-vermittelte Aktivierung von Nozizeptoren hat. Ein analgetischer Effekt von Menthol ist im Capsaicin-Modell nicht nachweisbar. Unterstützt durch das National Health and Medical Research Council of Australia (NHMRC), den EFIC-Grünenthal-Grant (EGG), das Ministerium für Wissenschaft, Wirtschaft und Verkehr Schleswig-Holstein und das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). P08.10 Nachweis des proinflammatorischen Zytokins IL-6 inHautbiopsien von CRPS Patienten T. Schlereth1, N. Albrecht1, W. Li2, W. Kingery2, F. Birklein1 1 Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität, Mainz, 2Physical Medicine and Rehabilitation Service, Palo Alto, USA Fragestellung: Das CRPS (komplexes regionales Schmerzsyndrom) ist ein neuropathisches Schmerzsyndrom, das durch die Kombination von motorischen, sensorischen und autonomen Symptomen charakterisiert ist und meist nach einem Trauma entsteht. Als Ursache wird u. a. eine verstärkte posttraumatische Entzündung postuliert. Ziel dieser Untersuchung war der qualitative immunhistochemische Nachweis von proinflammatorischen Zytokinen in Hautbiopsien von CRPS Patienten. Material und Methoden: Von 11 Patienten im Alter von 46-71 Jahren mit einem akuten CRPS wurden 3 mm messende Hautbiopsien an der betroffenen und der gesunden Hand entnommen und immunhistochemisch analysiert. Zur Detektion von IL-6 (Interleukin-6) wurden anti-humane IL-6-Antikörper vom Hasen (1: 600, Abcam) verwendet. Immunfluoreszenz wurde mit Anti-Hasen-IgG vom Esel und Dylight 549 erreicht. Alle Patienten erhielten neben einer neurologischen Untersuchung eine quantitative sensorische Testung (QST). Ergebnisse: IL-6 war bei 2 Patienten deutlich und bei 3 Patienten mäßig erhöht im Vergleich zur Gegenseite. Bei 5 Patienten gab es keinen Unterschied zwischen beiden Seiten und bei einem zeigte sich eine verminderte Il-6 Expression. Letzterer war auch der einzige Patient mit einer reduzierten Hauttemperatur auf der betroffenen Seite. Auch bei den anderen Patienten schien Il-6 mit der Hauttemperatur assoziiert zu sein: in der Gruppe mit erhöhtem Il-6 war die Hauttemperatur um 1,5±0,5 °C gesteigert, während die Steigerung der Hauttemperatur bei den Patienten mit unveränderter Il-6 Konzentration gering war (0,9±0,5°C). Auch die Dauer der Erkrankung unterschied sich in beiden Gruppen: Patienten mit Il-6-Erhöhung waren nur 11±4 Wochen erkrankt, während Patienten ohne Il-6 Erhöhung im Mittel 48±38 Wochen erkrankt waren. Ein signifikanter Unterschied in den sensorischen Parametern, gemessen mittels QST fand sich bei den bisher untersuchten Patienten nicht. Diskussion: Die Ergebnisse zeigen, dass Il-6 in Hautbiopsien in einem Teil der Patienten mit akutem CRPS erhöht war. Dies war vor allem bei Patienten der Fall, die nur eine kurze Krankheitsdauer hatten und bei denen noch eine deutliche entzündliche Komponente nachweisbar war, erkennbar an einer erhöhten Hauttemperatur. Die Erhöhung von proinflammatorischen Zytokinen bei CRPS konnte bereits im Liquor (IL 1beta + IL-6 (Alexander 2005)) und Serum (IL-2 + Tumornekrosefaktor (TNF) alpha (Uceyler 2007)) gezeigt werden. In Ratten waren TNF-alpha, IL1beta + IL-6 nach einer Tibiafraktur erhöht (Li 2009). Dies ist nun die erste Untersuchung, die dies in der Haut von CRPS Patienten zeigen konnte. Schlussfolgerung: IL-6 ist ein proinflammatorisches Zytokin, das nach einem Gewebetrauma ansteigt. Es war vor allem in CRPS-Patienten erhöht, die eine kurze Krankheitsdauer hatten und noch deutliche Zeichen einer neurogenen Entzündung aufwiesen. IL-6 könnte daher vor allem ein Marker für die Akuität der Entzündungsreaktion nach einem akuten Trauma sein.
P08.11 Patient Global Impression of Change Associated With Tapentadol Prolonged Release for the Management of Painful Diabetic Peripheral Neuropathy D. Shapiro1, R. Lange2, A. Okamoto1, A. Steup2, M. Etropolski1 1 Johnson & Johnson Pharmaceutical Research & Development, New Jersey, USA, 2Grünenthal GmbH, Aachen Introduction: The analgesic tapentadol is a µ-opioid receptor agonist and a noradrenaline reuptake inhibitor (ClinicalTrials. gov Identifier: NCT00455520). Objective: To evaluate the efficacy and safety of tapentadol prolonged release in patients with painful diabetic peripheral neuropathy (DPN). Methods: Patients with 1-point improvement in pain intensity (11-point numerical rating scale) following a 3-week open-label phase, during which patients were titrated to their optimal dose of tapentadol prolonged release, were randomized 1: 1 to receive tapentadol prolonged release (100-250 mg bid) or placebo for 12 weeks (double-blind phase). Efficacy was evaluated using the change in mean pain intensity from the start to the end of doubleblind treatment and using the patient global impression of change (PGIC; “Since I began trial treatment, my overall health status is: ” 1 = “very much improved” to 7 = “very much worse”). Adverse events (AEs) were monitored. Results: Of 588 patients treated with tapentadol prolonged release entering the open-label phase, 389 were evaluated for safety and efficacy during the double-blind phase. Patients randomized to double-blind treatment with tapentadol prolonged release maintained improvements in pain intensity observed during open-label treatment, while patients receiving placebo worsened (least squares mean difference [standard error], -1.3 [0.20]; P <0.001). At the end of double-blind treatment, a higher percentage of patients reported PGIC ratings of “much improved” or “very much improved” with tapentadol prolonged release (64.4 %) than with placebo (38.4 %). The incidence of treatment-emergent AEs for the tapentadol prolonged release group was 70.9 % in both phases of the study and 51.8 % for the placebo group during doubleblind treatment. The safety profile of tapentadol prolonged release was similar to that observed in previously completed phase 3 trials. Conclusions: Tapentadol prolonged release (100-250 mg bid) was an effective and well tolerated treatment for DPN pain; a higher percentage of patients treated with tapentadol prolonged release than with placebo reported “much improved” or “very much improved” overall health on the PGIC. P08.12 Spezifische Veränderungen zentralnervöser sensomotorischer Erregbarkeit bei Patienten mit Komplexem Regionalen Schmerzsyndrom (CRPS Typ I) M. Lenz1, M. Tegenthoff1, P. Schwenkreis1, O. Höffken1, S. Lissek1, P. Stude1, A. Reinersmann2, J. Frettlöh2, C. Maier2 1 Berufsgenossenschaftliches Universitätsklinikum Bergmannsheil GmbH, Neurologische Klinik und Poliklinik, Bochum, 2Berufsgenossenschaftliches Universitätsklinikum Bergmannsheil GmbH, Abt. Schmerztherapie, Bochum Einleitung: Die Pathophysiologie des Komplexen Regionalen Schmerzsyndroms (CRPS) ist bis heute weitgehend ungeklärt. Veränderungen des zentralen sensomotorischen Systems werden postuliert. Im Motorkortex von CRPS-Patienten haben wir trotz unilateraler Symptomatik mittels Doppelpuls-evozierter motorischer Potentiale eine bilaterale Disinhibition beschrieben (1). Da beim CRPS auch Reorganisationsprozesse im somatosensorischen Kortex bekannt sind (2), sollte in der vorliegenden Studie erstmals geklärt werden, ob die im motorischen System beschriebene Disinhibiton auch im somatosensorischen Kortex zu finden ist und (ii) ob diese mit dem akuten oder andauernden Schmerz bzw. (iii) mit der sensorischen Tastfähigkeit korreliert. Material und Methode: Die Daten von 21 CRPS Typ I-Patienten (52±10,9 Jahre) mit einer klinischen Symptomatik an einer oberen ExtDer Schmerz Supplement 1 · 2010
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Abstracts remität wurden analysiert. Als Kontrollgruppe dienten Patienten mit nicht-neuropathischen Extremitätenschmerzen (N=11; 46,2±11,7 Jahre) und gesunde Probanden (dominante Hand; N=21; 51,3±10,9 Jahre). Die Exzitabilität im somatosensorischen Kortex wurde mit Hilfe Doppelpuls-evozierter somatosensorischer Potentiale (D-SEP; SOA=30ms, Pulsdauer=0,2ms, Wiederholungsrate=3Hz) nach Stimulation des N. Medianus untersucht (3). Die D-SEP-Aufzeichnung erfolgte über dem kontralateralen somatosensorischen Kortex. Um eine lineare Überlagerung der ersten und zweiten D-SEP zu vermeiden, wurden EinzelpulsSEP aufgezeichnet und von den D-SEP subtrahiert. Der AmplitudenQuotient (A2s/A1) der zweiten N20-P25 Antwort nach Subtraktion (A2s) und ersten Antwort vor Subtraktion (A1) beschreibt für Quotienten <1 eine kortikale Inhibition. Anhand einer numerischen Skala wurde die aktuelle Schmerzintensität und die mittlere Schmerzintensität der letzten Woche bestimmt. Die sensorische Tastfähigkeit wurde bei 17 CRPS-Patienten anhand von Zweipunkt-Diskriminationsschwellen bestimmt. Je nach Alter und Diskriminationsleistung der Patienten wurden zwei mögliche Abstands-Kombinationen mit je 8 Abständen in randomisierter Reihenfolge getestet (0-4mm oder 0-7mm). Über eine binär logistische Regression wurde die Diskriminationsschwelle als der Abstand berechnet, bei dem in 50 % der Fälle korrekt geantwortet wurde. Ergebnisse: Bei den CRPS-Patienten fand sich bilateral ein erhöhter Amplituden-Quotient (A2s/A1), verglichen sowohl mit den Kontrollpatienten als auch mit den gesunden Probanden (T-Test: betroffene Hand CRPS/Kontrolle, p=0,023; gesunde Hand CRPS/Kontrolle, p=0,007; betroffene Hand CRPS/gesunder Proband, p=0,014; gesunde Hand CRPS/gesunder Proband, p=0,011). Der beidseits erhöhte Amplituden-Quotient bei CRPS-Patienten belegt eine bilateral verringerte kortikale Inhibition. Der Amplituden-Quotient korrelierte weder mit der akuten noch mit der durchschnittlichen Schmerzintensität. Für die betroffene Hand der CRPS-Patienten fanden wir eine Korrelation (R=0,543; p=0,012) zwischen A2s/A1 und Zweipunkt-Diskriminationsschwelle. Schlussfolgerung: Obwohl die klinischen Symptome des CRPS I in der Regel nur einseitig auftreten, findet sich eine kortikale Disinhibition in beiden Hemisphären. Nach den entsprechenden Befunden für den motorischen Kortex (1) konnte dieses Phänomen in dieser Studie auch für den somatosensorischen Kortex nachgewiesen werden. Die bilaterale Disinhibition des zentralen sensomotorischen Netzwerks scheint für CRPS I-Patienten spezifisch zu sein, da sie bei den hier untersuchten Kontrollpatienten mit nicht-neuropathischen Schmerzsyndromen nicht zu finden war. In weiteren Untersuchungen wird zu klären sein, ob es sich um eine symptomatische Veränderung im Rahmen des Krankheitsprozesses handelt oder um eine Disposition zur Krankheitsentwicklung. Die kortikale Disinhibition korreliert nicht mit der Schmerzintensität. Die Korrelation mit der sensorischen Tastleistung allein auf der betroffenen Seite von CRPS-Patienten deutet darauf hin, dass die bilaterale kortikale Disinhibition keinen Einfluss auf die Tastleistung der gesunden Hand hat. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie verdeutlichen nochmals die Bedeutung zentralnervöser Faktoren in der Pathogenese des CRPS, die bei der Entwicklung neuer Therapieansätze Berücksichtigung finden sollten. Literatur: 1. Schwenkreis et al., 2003 Neurology; 61: 515-519. 2. Pleger et al., 2005 Ann Neurol; 57: 425-429. 3. Höffken et al., 2007 J Physiol; 584: 463-471.
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P10 – Rückenschmerz und Bewegungsapparat II P10.1 Psychologische Kurzintervention erhöht Therapieerfolg nach Wirbelsäulenoperation I. Vogel1, R. Reichart1, A. Petersen2, S. Hennig2, T. Weiss2, R. Kalff1 1 Friedrich-Schiller-Universität, Jenasklinikum, Jena, 2Friedrich-Schiller-Universität, Jena Einleitung und Fragestellung In der vorliegenden Studie wurde erstmalig die Wirksamkeit einer neuartigen psychologischen Kurzintervention auf das operative Behandlungsergebnis von 57 akutstationären Patienten mit Rückenschmerzen untersucht. Unseren Überlegungen zufolge, sollte sich sowohl die Operation als auch die Kombination von Operation und psychologischer Intervention positiv auf die Genesung der Patienten auswirken. Patienten der Interventionsgruppe, welche zusätzlich eine psychologische Kurzintervention erhielten, sollten jedoch einen höheren Therapieerfolg erleben (Schramm, 2005). Stichprobe und Methode An der randomisierten Interventionsstudie nahmen 57 Patienten mit degenerativen Wirbelsäulenerkrankungen teil, welche eine Operation zur Lendenwirbelkörperversteifung (PLIF) erhielten. Patienten der Interventionsgruppe erhielten zusätzlich eine psychologische Kurzintervention. Mittels Fragebogen wurden präoperativ und drei Monate nach OP die Schmerzintensität, Depressivität, Ängstlichkeit, körperliche Funktionsfähigkeit, Beeinträchtigung der Lebensqualität und Angst-Vermeidungs-Einstellung der Patienten erhoben. Die angewendete psychologische Kurzintervention basierte auf dem Konzept des mentalen Kontrastierens nach Oettingen (1996) und dem Konzept der „Implementation Intentions“ nach Gollwitzer (1993). Ergebnisse: Patienten der Interventionsgruppe zeigten drei Monate nach OP eine signifikant geringere Angst-Vermeidungs-Einstellung, wiesen eine statistisch bedeutsame Abnahme ihrer Ängstlichkeit, signifikant geringere Depressivitätswerte, eine signifikant bessere körperliche Funktionsfähigkeit und eine geringere Beeinträchtigung der Lebensqualität im Vergleich zu Patienten der Kontrollgruppe auf. In beiden Gruppen zeigte sich eine signifikante Senkung aller erfassten Schmerzintensitäten, wobei die Patienten der Interventionsbedingung signifikant stärker profitierten. Schlussfolgerung: Die Ergebnisse belegen, dass die Behandlung von Rückenschmerzpatienten auch im akutstationären Bereich auf multidisziplinärer Ebene ansetzen sollte, damit Patienten effektiv und dauerhaft von ihren Beschwerden befreit werden können (Zieger et al., 2010). Literaturangabe: Gollwitzer, P. M. (1993). Goal achievement: The role of intentions. In W. Stroebe & M. Hewstone (Hrsg.), European Review of Social Psychology (Vol. 4, S. 141-185). Chichester,England: Wiley. Oettingen, G. (1996). Positive Fantasy and Motivation. In P. M. Gollwitzer & J. A. Bargh (Hrsg.), The Psychology of Action: Linking Cognition and Motivation to Behavior (S. 236-259). New York: Guilford Press. Schramm, S. (2005). Ein dynamischer Ansatz zur Steigerung der Veränderungsmotivation von chronischen Rückenschmerzpatienten. Unveröffentlichte Dissertation, Universität Hamburg. Zieger, M., Schwarz, R., König, H. H., Härter, M. & Riedel-Heller, S. G. (2010). Depression and Anxiety in Patients Undergoing Herniated Disc Surgery: Relevant but Underresearched-A Systematic Review. Central European neurosurgery,71(1),26-34.
P10.2 Gibt es Geschlechtsunterschiede in demographischen und klinischen Merkmalen beim Fibromyalgiesyndrom? J. Mahama1, F. Wolfe2, W. Häuser1 1 Klinikum Saarbrücken, 2National Databank of Rheumatic Diseases, Wichita, USA Fragestellung: Studien über geschlechtsspezifische Unterschiede in demographischen und klinischen Variablen bei Patienten mit Fibromyalgiesyndrom (FMS) aus Nordamerika, Spanien und Israel kamen zu widersprüchlichen Ergebnissen. Die Aussagekraft der Studien war eingeschränkt durch eine niedrige Patientenzahl und durch einen Selektionsbias in klinischen Einrichtungen. Wir führten eine multizentrische Studie mit Patienten aus unterschiedlichen Kontexten durch. Material und Methode: Wir verglichen demographische (Alter, Familienstand, soziale Schicht, Beschäftigungsstatus) und klinische Aspekte (Dauer des chronischen Schmerzes, Zeit seit FMS-Diagnose, Anzahl positiver Tender Points, somatische und psychische Symptome, Ausmaß der Beeinträchtigung, Inanspruchnahme von Gesundheitseinrichtungen) von 161 männlichen FMS-Patienten mit 1072 weiblichen Patientinnen unterschiedlicher Settings (Gesamtbevölkerung, FMSSelbsthilfeorganisation und verschiedene klinische Einrichtungen) aus Deutschland und von 141 männlichen FMS-Patienten mit 2883 weiblichen Patientinnen der US National Datenbank rheumatischer Erkrankungen. Das FMS wurde entsprechend den Kriterien des Amerikanischen Kollegiums für Rheumatologie (ACR) oder nach klinischen Kriterien oder nach den Survey Kriterien diagnostiziert. Die Tender Point Untersuchung erfolgte nach einem standardisierten Protokoll. Somatische und psychische Symptome und die Inanspruchnahme von Gesundheitseinrichtungen wurden anhand validierter Fragebögen beurteilt. Ergebnisse: In Deutschland wurden keine geschlechtsspezifischen Unterschiede in den erfassten Variablen gefunden außer einer höheren Anzahl von Tender Points bei Frauen aus klinischen Einrichtungen. In den USA wurde ein signifikanter geschlechtsspezifischer Unterschied nur in der höheren Anzahl von Symptomen bei Frauen gefunden. Diskussion: Deutsche und US-Amerikanische weibliche und männliche Patienten mit FMS unterschieden sich kaum in soziodemographischen und klinischen Variablen. Die widersprüchlichen Ergebnisse von Studien über geschlechtsspezifische Unterschiede im klinischen Bild des FMS können möglicherweise durch ethnokulturelle Unterschiede erklärt werden. P10.3 What makes painful radiculopathy different from other painful neuropathies? A comparison of sensory symptom profiles and co-morbidities F. Mahn1, P. Hüllemann1, U. Gockel2, M. Brosz3, R. Freynhagen4, T. Tölle5, R. Baron1 1 Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Kiel, 2 CASQUAR GmbH, Bochum, 3StatConsult GmbH, Magdeburg, 4Benedictus Krankenhaus Tutzing, 5Technische Universität München Despite similarities in the pathogeneses of the pain in radiculopathies (RAD) to the classical neuropathic pain syndromes (painful diabetic polyneuropathy, postherpetic neuralgia), there are differences how the patients express their sensory perceptions. Furthermore, several clinical trials with neuropathic pain medications failed in painful radiculopathy. Epidemiological and clinical data of 2094 patients with painful radiculopathy were collected within a cross sectional survey (painDETECT) to describe demographic data and co-morbidities and to detect characteristic sensory abnormalities in patients with RAD and compare them with other neuropathic pain syndromes. Common co-morbidities in neuropathic pain (depression, sleep disturbance, anxiety) do not differ considerably between the three conditions.
Compared to other neuropathic pain syndromes touch-evoked allodynia and thermal hyperalgesia are relatively uncommon in RAD. One distinct sensory symptom pattern (sensory profile), i. e. severe painful attacks and pressure induced pain in combination with mild spontaneous pain, mild mechanical allodynia and thermal hyperalgesia, was found to be characteristic for RAD. Despite similarities in sensory symptoms there are two important differences between RAD and other neuropathic pain disorders: (1) The paucity of mechanical allodynia and thermal hyperalgesia might be explained by the fact that the site of the nerve lesion in RAD is often located proximal to the dorsal root ganglion. (2) The distinct sensory profile found in RAD might be explained by compression-induced ectopic discharges from a dorsal root and not necessarily by nerve damage. These differences in pathogenesis might explain why medications effective in DPN and PHN failed to demonstrate efficacy in RAD. This research was supported by a grant from Pfizer Germany and Pfizer Limited without restriction on publication and by a grant from the BMBF (German Research Network on Neuropathic Pain, DFNS). P10.4 Aktivierung der Schmerzmatrix bei Patienten mit Rheumatoider Arthritis – eine fMRI-Studie K. Neumer, W. Miltner, T. Weiss Institut für Psychologie, Jena Fragestellung: Chronische Schmerzzustände gehen mit kortikaler Reorganisation der Schmerzmatrix einher, was u. a. bei experimentell induzierter Arthritis nachgewiesen werden konnte (Neto et al., 1999). Die Auswirkungen chronisch entzündlicher Schmerzerkrankungen auf die kortikale Organisation der Schmerzmatrix sind dagegen weitgehend unbekannt. Die Studie überprüft mit Hilfe funktioneller Kernspintomografie (fMRI), ob sich die Aktivierung der Schmerzmatrix während einer Handbewegung bei RA-Patienten von der gesunder Personen signifikant unterscheidet und in welchen Hirnregionen dieser Unterschied besonders beobachtet werden kann. Dabei wurde eine Gruppe von Patienten selektiert, bei denen Schmerzsymptomatik und aktuelle Entzündungsparameter nicht in Einklang standen, weil gerade für diese Patienten funktionell differentielle Aktivierungen erwartet werden dürfen. Material und Methode: BOLD-Antworten beim Ausführen standardisierter Fingerbewegungen wurden mittels funktioneller Kernspintomographie (fMRI) bei RA-PatientInnen und alters- und geschlechtsparallelisierten gesunden Kontrollen registriert. Die Bewegungen betrafen primär die Fingergrundgelenke und wurden gegen drei unterschiedliche Belastungen in einem Blockdesign ausgeführt. Jeder der vier Blöcke bestand aus drei Bewegungsserien in verschiedenen Belastungsstufen, die im Wechsel mit Ruhephasen absolviert wurden. Alle Bewegungs- und Ruhephasen betrugen je 22,75 Sekunden, so dass eine auch für RA-Patienten gut tolerierbare Gesamtdauer der funktionellen Messung von 9,1 Minuten entstand. Ergebnisse: Auf der Verhaltensebene fanden wir erwartungsgemäß erhöhte Schmerzratings in Abhängigkeit der Belastungsstufen. Für die fMRI fand sich eine erhöhte Aktivität bei den Patienten ohne floride Entzündung verglichen mit den Kontrollpersonen in verschiedenen Strukturen, u. a. in Teilen der sog. Schmerzmatrix, insbesondere in präfrontalen Gebieten (DMPFC, linker DLPFC), jedoch nicht im ACC. Diskussion: Die RA-Patientengruppe mit dauerhaft niedrigen Entzündungswerten zeigt im Vergleich zu Kontrollpersonen Aktivierungen in verschiedenen Hirnarealen, insbesondere in Regionen des PFC. Diese werden mit Aufmerksamkeitsprozessen sowie emotional-kognitiver Verarbeitung nozizeptiv salienter Stimuli in Zusammenhang gebracht. So könnten die Aktivierungen im DMPFC und im linken DLPFC bspw. das Ausmaß negativer Bewertung der für RA-Patienten unangenehmen Bewegungsschmerzreize widerspiegeln.
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Abstracts Schlussfolgerung: Im Vergleich mit Kontrollpersonen reagieren RAPatienten mit Schmerzen, aber niedrigen Entzündungswerten auf Alltagsbewegungen in betroffenen Gelenken mit erhöhten Aktivierungen in Teilen der Schmerzmatrix, die möglicherweise ein Korrelat für deren Schmerzen sind. Gefördert durch das IZKF und das BMBF 01EC1003B. P10.5 Ängstlich-meidende versus suppressive Schmerzreaktionen nach lumbaler Diskotomie: Korrelationen mit der Cortisol-Aufwachreaktion S. Sudhaus1, T. Möllenberg1, C. Möllers1, R. Willburger2, K. Schmieder3, M. Hasenbring1 1 Ruhr-Universität Bochum, 2Orthopädische Universitätsklinik des St. Elisabeth-Hospitals Bochum, 3Fakultät für klinische Medizin Mannheim, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Mannheim Fragestellung Basierend auf einzelnen Befunden wird über die Beteiligung eines relativen Hypocortisolismus an der Fortdauer lumbaler Schmerzen nach Diskotomie diskutiert. Daneben gibt es erste Hinweise für einen in der Cortisol-Aufwachreaktion (CAR) reflektierten arousal-steigernden Effekt ängstlich-meidender (AMR), und einen arousal-reduzierenden Effekt suppressiver Schmerzreaktionen (SR), bislang aber nur in Bezug auf Patienten mit unspezifischen lumbalen Rückenschmerzen. Ziel der vorliegenden Studie war ein Vergleich der CAR von Patienten mit keinen/geringen und starken fortdauernden Schmerzen nach Diskotomie, und die Untersuchung der Assoziationen zwischen CAR und AMR bzw. SR innerhalb der gesamten Stichprobe. Material und Methode Teilnehmer waren 35 Patienten 6 Monate nach lumbaler Diskotomie, davon 13 mit keinen/geringen (KSG), und 22 mit starken fortdauernden lumbalen Schmerzen (SSG) während der letzten 3 Monate. Die Messung der Cortisol-Aufwachreaktion erfolgte mittels Speichelproben. AMR und SR wurden durch Fragebögen (AEQ, FABQ) erhoben. Ergebnisse Unter Berücksichtigung der aktuellen Schmerzintensität der letzten 7 Tage wies die SSG im Vergleich zur KSG eine verringerte CAR auf. Innerhalb der Gesamtstichprobe zeigten sich positive Korrelationen zwischen CAR und den AMR-Variablen ‚Angst-VermeidungsÜberzeugungen‘ und ‚Vermeiden sozialer Aktivitäten‘‚ sowie – tendenziell signifikant – ‚Katastrophisieren‘ und ‚Hilf-/Hoffnungslosigkeit‘. Im Gegensatz dazu waren die SR-Variablen ‚Gehobene Stimmung trotz Schmerz‘ und ‚Durchhaltestrategien‘ negativ mit der CAR korreliert. Diskussion: Die verringerte CAR der SSG stützt die Annahme der Beteiligung eines relativen Hypocortisolismus an der Fortdauer lumbaler Schmerzen nach Diskotomie. Daneben spricht die positive Richtung der Korrelationen zwischen AMR-Variablen und CAR für einen arousal-steigernden Effekt ängstlich-meidender Schmerzbewältigungsreaktionen. Dieser Effekt könnte auf einen Aufmerksamkeitsfokus in Richtung schmerzbezogener Informationen, auf Gefühle von Kontrollverlust sowie einen erhöhten emotionalen Distress zurückzuführen sein. Im Gegensatz hierzu weisen die negativen Korrelationen von CAR und SR-Variablen auf einen arousal-senkenden Effekt suppressiver Schmerzreaktionen hin. Dies ist neben der gehobenen Stimmung möglicherweise auf eine verstärkte interne Kontrollüberzeugung zurückzuführen. SchlussfolgerungDie Ergebnisse sprechen für einen gegensätzlichen Effekt suppressiver und ängstlich-meidender Schmerzreaktionen auf ein durch die Schmerzsituation induziertes Arousal bei Patienten nach Diskotomie. Sie stützen entsprechende Befunde zu unspezifischen Rückenschmerzen.
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P10.6 Wirksamkeit und Verträglichkeit von Flupirtin bei chronischen muskuloskelettalen Schmerzen – gepoolte Re-Analyse von acht doppelblind randomisierten kontrollierten Studien mit 1.046 Patienten M. Überall Direktor des Instituts für Qualitätssicherung, Nürnberg Hintergrund: Flupirtin – ein Muskeltonus-normalisierendes nichtopioid Analgetikum ohne antipyretische oder antiphlogistische Eigenschaften, entfaltet seine Wirkung über eine selektive Aktivierung neuronaler Kaliumkanäle. Indikationsgebiet sind Schmerzen des Haltungs- und Bewegungsapparates, die primär durch eine pathologische Muskeltonuserhöhung bedingt werden oder sekundär mit einer solchen Veränderung einher gehen. Trotz umfangreicher und guter empirischer/klinischer Erfahrungen ist die verfügbare Evidenz in Form publizierter doppel-blind randomisierter plazebo- oder aktiv-kontrollierter Studien gering. Zielsetzung: Evaluation der verfügbaren Evidenz zur Wirksamkeit und Verträglichkeit von Flupirtin bei Patienten mit Schmerzen des Haltungs- und Bewegungsapparates. Methodik: Gepoolte Re-Analyse aller doppel-blind randomisiert, aktiv- und/oder Plazebo-kontrollierten Studien (RCTs) zu Flupirtin bei Patienten mit subakuten/chronischen Schmerzen des Haltungs- und Bewegungsapparates durch ein firmenunabhängiges Forschungsinstitut im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie (DGS). Effektstärkenanalyse (ES-Analyse) der Wirksamkeit auf Grundlage Z-Wert transformierter Schmerzintensitätswerte unter Berücksichtigung aller Evaluationszeitpunkte und unter Verwendung geeigneter multivariater Testverfahren. Verblindete Selektion und Analyse aller verfügbaren Wirksamkeits-/Verträglichkeitsdaten auf der Grundlage eines modifizierten Intent-to-Treat-Ansatzes (mITT) bzw. unter volumfänglicher Berücksichtigung der Safety-Populationen (SP). Vollständige Neubewertung aller dokumentierten behandlungsbedingten unerwünschten Ereignisse (TEAEs; MedDRA V13.0). Ergebnisse: Identifiziert wurden acht RCTs zu Flupirtin mit 1.046/1.095 Patienten (mITT/SP) (Alter mITT: 55,2±12,2, Median/Min/Max: 56/18/84 Jahre; 63,1 % Frauen) mit einer Beobachtungsdauer von bis zu 56 Tagen und Daten zu 3337 Meßzeitpunkten. Neben Plazebo (P) und Flupirtin (F) wurden Chlormezanon, Pentazocin, Tramadol und Indomethacin als aktive Kontrollen (K) untersucht. Die Abbildung zeigt den ES-Verlauf (MW±95 %-Vertrauensbereich) für die drei Behandlungsgruppen. Ab dem 4. Behandlungstag zeigen sich signifikante ES-Unterschiede zwischen F und P, ab dem 5. Tag auch für die K und P. Lineare Varianzanalysen des ES-Gesamtverlaufs (Ko-Faktor Studie) zeigen für F und K vs. P hochsignifikante Unterschiede (p<0,0001, Power>0,99), jedoch keine Differenzierung zwischen F und K (p=. 0629). Bei 340 Patienten wurden TEAEs dokumentiert [P: n=15 (17,7 %), F: n=191 (28,6 %), K: n=134 (39,1 %)], wobei unter F signifikant seltener TEAEs beobachtet wurden als unter den K (F vs. P: p=0,038, F vs. K: p=0,001; K vs. P: p<0,0001). TEAE-bedingte Studienabbrüche traten unter F und P vergleichbar häufig auf (4,7 vs. 7,1 %), jedoch unter F signifikant seltener als unter den aktiven Kontrollen (11,7 %, p=0,013). Zusammenfassung: Auf der Grundlage der gepoolten Re-Analyse aller kontrollierten Studien erweist sich Flupirtin nicht nur als effektive – Plazebo hochsignifikant überlegene – sondern insbesondere auch als sehr gut verträgliche – Plazebo vergleichbare und den aktiven Kontrollen signifikant überlegene – Behandlungsoption für die Therapie von Patienten mit subakuten/chronischen Schmerzen des Haltungs- und Bewegungsapparates.
P10.7 Einsatz von Flupirtin bei chronischen muskuloskelettalen Schmerzen im praktischen Alltag – gepoolte Re-Analyse von drei nicht-interventionellen Studien mit 18.285 Patienten M. Überall Direktor des Instituts für Qualitätssicherung, Nürnberg Hintergrund: Flupirtin – ein muskeltonus normalisierendes nichtopioid Analgetikum ohne antipyretische oder antiphlogistische Eigenschaften, entfaltet seine Wirkung über eine selektive Aktivierung neuronaler Kaliumkanäle. Haupteinsatzgebiet im praktischen Alltag sind Schmerzen des Haltungs- und Bewegungsapparates, die primär durch eine pathologische Muskeltonuserhöhung bedingt werden oder sekundär mit einer solchen Veränderung einher gehen. Guten bis sehr guten individuellen/kasuistischen Erfahrungen der behandelnden Ärzte stehen nur wenige systematisch gewonnene Daten zur Sicht der Patienten gegenüber. Zielsetzung: Evaluation der Angaben von Patienten mit subakuten/ chronischen Schmerzen des Haltungs- und Bewegungsapparates zur Wirksamkeit von Flupirtin Methodik: Gepoolte Re-Analyse aller in nicht-interventionellen Studien (NIS) zu Flupirtin bei Patienten mit subakuten/chronischen Schmerzen des Haltungs- und Bewegungsapparates gewonnenen Daten durch ein firmenunabhängiges Forschungsinstitut im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie. Effektstärkenanalyse (ES-Analyse) der Wirksamkeit auf Grundlage Z-Wert transformierter Schmerzindexwerte (Surrogatwert bzgl. Schmerzintensität, Grad schmerzbedingter Beeinträchtigungen im Alltag, schmerzbedingter Schlafstörungen, Dauerschmerzen und Anzahl schmerztherapeutisch notwendiger Medikamente) unter Berücksichtigung aller Evaluationszeitpunkte und unter Verwendung geeigneter multivariater Testverfahren. Verblindete Selektion und Analyse aller verfügbaren Wirksamkeitsdaten auf der Grundlage eines modifizierten Intent-to-Treat-Ansatzes (mITT). Ergebnisse: Identifiziert wurden drei NIS zu Flupirtin mit insgesamt 18.285 Patienten (mITT; Alter: 52,3±15,2, Median/Min/Max: 52/4/106 Jahre; 57,3 % Frauen), einer Beobachtungsdauer von bis zu 388 Tagen und Daten zu 54.855 Meßzeitpunkten. Der ES-Verlauf in Abhängigkeit von der Behandlungszeit zeigt bereits am Ende der ersten Behandlungswoche unter Flupirtin im Vergleich zu den Ausgangswerten vor Behandlungsbeginn mit -1,61±0,96 eine deutliche Verbesserung, die im Laufe der nachfolgenden Meßzeitpunkte kontinuierlich zunimmt und am Ende der verfügbaren Dokumentationen (jenseits der 30. Behandlungswoche) mit -3,39±0,76 Maximalwerte erreicht (siehe ES Verlauf in nachfolgender Übersicht). Tabellarische Übersicht über den ES-Verlauf unter Flupirtin in Abhängigkeit von der Behandlungs-/Dokumentationsdauer: Baseline 00,0±1,00 Woche 1 -1,61±0,96 Woche 2 -2,21±1,10 Woche 4 -2,58±0,97 Woche 6 -2,73±0,72 Woche 8 -2,87±0,68 Woche 10 -3,01±1,02 Woche 14 -3,19±1,10 Woche 18 -3,23±1,07 Woche 22 -3,27±0,96 Woche 26 -3,38±1,22 Woche 30 -3,39±0,76 Zusammenfassung: Auf der Grundlage der gepoolten Re-Analyse der in nicht-interventionellen Studien systematisch erhobenen Wirksamkeitsdaten erweist sich Flupirtin als effektive, nicht nur die Schmerzen, sondern auch das Ausmaß schmerzbedingter Beeinträchtigungen von Alltag und Schlaf sowie den Bedarf zusätzlicher Analgetika signifikant verbessernde Behandlungsoption für die Therapie von Patienten mit subakuten/chronischen Schmerzen des Haltungs- und Bewegungsapparates.
P10.8 Visuelle Wahrnehmung von biologischen schmerzassoziierten Bewegungen bei chronischem Rückenschmerz C. Puta1, F. Behrendt2, M. de Lussanet de la Sablonière2, T. Weiss1, T. Schulte3, H. Gabriel1, H. Wagner2 1 Friedrich-Schiller-Universität Jena, 2Westfälische Wilhelms-Universität Münster, 3Universitätsklinikum Münster Visuelle Stimuli biologischer Bewegungen aktivieren motorische und somatosensorische Repräsentationen. Dabei involvierte prämotorische und intraparietale Regionen sind in kortikale schmerzverarbeitende Prozesse integriert (Schmerzmatrix). Hypothese. Hypothese der Studie war, dass chronischer Rückenschmerz (CBP) mit einer veränderten Wahrnehmung biologischer schmerzbezogener Bewegungen assoziiert ist. Material und Methode. Elf Patienten mit CBP (Alter: 52,6 ± 11,3 Jahre, CBP > 12 Monate, VAS 100 mm: 61 ± 17; kein Tramadol oder andere Opiate) und elf altersparallelisierte gesunde Kontrollen (Alter: 51,9 ± 12,1 Jahre) ohne akute oder chronische Schmerzen sowie ohne psychiatrische Erkrankung, wurden untersucht. Computer-animierte Lichtpunktfiguren (weiße Punkte, schwarzer Hintergrund) wurden genutzt, um zwei Manipulationen (Aufgabe 1: frontales Heben; Aufgabe 2: seitliches Heben mit Rumpfrotation) einer unsichtbaren Kiste (32x27x32 cm) mit drei verschiednen Gewichten (5 kg, 10 kg, 15 kg) mittels eines mausgesteuerten Sliders zu schätzen (Skala 0-20 kg). In randomisierter Reihenfolge wurden 120 Sequenzen (20 pro Aufgabe und Gewicht) präsentiert. Alle Personen konnten die gezeigten Bewegungen eindeutig zu Beginn des Experimentes beschreiben. Zielparameter waren die Genauigkeit der Gewichtsschätzung bezogen auf das tatsächliche Gewicht (Schätzfehler) und die Antwortzeit, definiert als die Zeitdauer zwischen dem Start der Sequenz und dem durch Drücken der Maustaste angegebenen Schätzwert mittels Slider. Die Schätzungen (N=20 pro Gewicht) bezogen auf das tatsächliche Gewicht (5kg, 10kg, 15kg) wurden zur Berechnung des Parameters Slope (Anstieg der linearen Regressionsgerade) verwendet. Das verwendete gemischte lineare Modell (Parameter Schätzfehler) 2 Gruppe (CBP, gesunde Kontrolle) x 2 Aufgabe (frontales Heben, Rumpfrotation links/rechts) beinhaltete die Kovariate Gewicht und die Wiederholungsvariable Person. Darüber hinaus wurde eine ANOVA mit Messwiederholung (Parameter Antwortzeit) und ein lineares Regressionsmodell (Slope vs. VAS) berechnet. Ergebnisse. CBP-Patienten überschätzten (Mittelwert, 95 % Konfidenzintervall: 0,172 kg, -1,5 – 1,8) das gezeigte Gewicht. Demgegenüber unterschätzen die Kontrollen (-2,4 kg, -4,1 – -7,3) die gezeigten Gewichte (F(1, 22.4) = 16,27, P < 0,01). Die größten Unterschiede zwischen den Gruppen (F(1,2612) = 60,8, P < 0,0001) existierten bei dem geringsten Gewicht (5kg: CBP 4.5 kg, 4,1 – 4,8; Controls 0.9 kg, 0,6 – 1,2). Mit zunehmendem Gewicht wurden die Unterschiede zwischen den Gruppen geringer. Der Parameter Slope zeigte eine signifikante inverse Relation zwischen VAS und seitlichem Heben mit Rumpfrotation links/ rechts (F(1,9) = 6,34, R = – 0,643, P < 0,05). Die Antwortzeit war weder zwischen den Gruppen (F = 0,15, P > 0,1) noch zwischen den Aufgaben unterschiedlich (F = 0,01, P > 0,1). Diskussion/Schlussfolgerung. Bezogen auf die Bewertung Gesunder schätzen Personen mit CBP geringe Gewichte schwerer. Diese Studie zeigt, dass CBP mit einer veränderten Genauigkeit bei der Wahrnehmung schmerzbezogener biologischer Bewegungen einhergeht. Diese Ergebnisse weisen darauf hin, dass bei CBP der Dekodierungsprozess für schmerzbezogene Bewegungen beeinträchtigt ist. Gefördert durch das BMBF 01EC1003B.
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Abstracts P10.9 Klassifikation von Rückenschmerz mittels CLASSIF1 Datensiebung D. Nötzel1, C. Puta1, H. Wagner2, C. Anders1, B. Gabriel1, H. Gabriel1 1 Friedrich-Schiller-Universität Jena, 2Westfälische Wilhelms-Universität Münster Hintergrund. Patienten mit chronischem unspezifischem Rückenschmerz (CURS) zeigen im Vergleich zu Gesunden unterschiedliche Aktivierungsmuster ausgewählter Rumpf- und Beinmuskeln. Zudem unterscheiden sie sich in psychosozialen Variablen. Inwieweit diese Parameter zur Klassifikation von CURS beitragen und ob sie eine Basis für prädiktive Analysen darstellen ist bisher wenig untersucht. Neben Diskriminanzanalyse und logistischer Regression scheint die CLASSIF1 Datensiebung (http: //www. classimed. de) ein geeignetes Datenanalyseverfahren. Das Verfahren wurde bisher zur Diagnostik und Prädiktionsbewertung durchflusszytometrischer Daten sowie bei Malignomen, Herzerkrankungen und der Erkennung des Übertrainingssyndroms, nicht aber bei Patienten mit CURS eingesetzt. Ziel der Studie war die CLASSIF1 Datenklassifikation von Gesunden und Patienten mit CURS einschließlich des Aufbaus einer Datenbank und einer weiterführenden Einzelfalldiagnostik. Methoden. CLASSIF1 analysiert Datenmuster mittels algorithmischer Datensiebung. Das System ist selbstlernend, stellt keine Anforderungen an die Werteverteilung der Daten und beinhaltet 2 Lernstufen. In der 1. Stufe wird die Messdatenbank in eine Lerndatenbank umgewandelt und das Programm sucht in mehreren Schritten Datenbankkolumnen die bei vorgegebenem Perzentilwert für die Spezifität der Normalpersonen die höchste Sensitivität zur Erkennung abnormer Proben aufweisen. Im 2. Schritt ermöglicht es eine Zuordnung unbekannter Personen zu den definierten Klassifikationszuständen. In einer ersten Analyse wurden die Latenzzeiten ausgewählter Rumpf- und Beinmuskel von 9 Personen mit CURS und 9 gesunden Personen verwendet. Ergebnisse. Die selektierten Werte von Gesunden und Patienten mit CURS unterscheiden sich quantitativ nur sehr geringfügig. Dennoch zeigt die Klassifikation sehr gute erste Ergebnisse. Es wurden 9 gesunde Personen (Spezifität = 1,0) und 8 Patienten mit CURS (Sensitivität = 0,9) richtig klassifiziert. Ein Schmerzpatient wurde als gesund klassifiziert. Keiner der untersuchten Personen wurde doppelt klassifiziert (average multiple index = 1,0). Schlussfolgerung. Die Klassifikation von Patienten mit CURS mittels CLASSIF1 anhand von muskulären Latenzzeiten ist möglich. In einem nächsten Schritt sollten psychosoziale Variablen und eine größere Anzahl von Probanden analysiert werden. Gefördert durch das Kometenzzentrum für interdisziplinäre Prävention der Friedrich-Schiller-Universität Jena und der BGN. P10.10 Operationsrate bei primär konservativ behandelten lumbalen Bandscheibenvorfällen mit Radikulopathie S. Leis, W. Piotrowski, G. Ladurner Christian-Doppler-Klinik, Salzburg Hintergrund: Beim Fehlen einer absoluten Operationsindikation (Kauda-Syndrom, Blasen-und Mastdarmlähmung, progrediente Parese schlechter als Kraftgrad 3/5) werden lumbale Bandscheibenvorfälle in der Regel konservativ behandelt. Bei ausbleibender Besserung über 12 Wochen wird zu einer OP geraten. Mit dieser Studie sollen die Operationsrate im eigenen Patientenkollektiv sowie mögliche Prädiktoren eines ausbleibenden Therapieerfolges untersucht werden. Methode: Retrospektive Datenauswertung aller an unserer Neurologischen Universitätsklinik im Zeitraum von 01 – 12/2008 behandelten Patienten mit lumbalen Bandscheibenvorfällen und radikulärer Symptomatik (ICD-10 M51.1), bei denen initial keine absolute Operationsindikation bestand. Ergebnis: Im genannten Zeitraum wurden insgesamt n=167 Patienten (53,3 +/- 13,7 Jahre; 53,9 % Männer) primär konservativ behandelt. Ein
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Bandscheibenvorfall (Etage L2/3 in 5,4 %, L3/4 16,2 %, L4/5 40,7 %, L5/ S1 37,1 %, S1/S2 0,6 %; paramediane Lokalisation 54,5 %, lateral 37,1 %, median 5,4 %, nach kranial hernierend 3,0 %) war in 79,0 % mittels MRT gesichert, in 10,8 % wurde eine Myelographie durchgeführt. Von diesen n=167 Patienten wurden n=53 (31,7 %) wegen therapieresistenter Beschwerden nach insgesamt 9,4 +/- 10,1 Wochen schließlich doch an unserer Abteilung für Wirbelsäulenchirurgie operiert (mikrochirurgische Diskus- bzw. Sequesterextraktion in 79,2 %, dorsoventrale Stabilisierung in 20,8 %). In sämtlichen untersuchten Variablen (Alter, Geschlecht, Etage, Lokalisation und Seite des Bandscheibenvorfalls, Vorhandensein einer Parese, Nachweis akuter Denervierung, lumbale Bandscheibenvoroperation in der Anamnese) unterschieden die operierten Patienten sich nicht signifikant von der ausschließlich konservativ behandelten Gruppe (t-Test bzw. Mann-Whitney-U-Test, n. s.). Schlussfolgerung: Unsere Ergebnisse bestätigen, dass sich in der Mehrzahl der Fälle bei lumbalen Bandscheibenvorfällen mit Radikulopathie eine Operation vermeiden lässt. Ein Ausbleiben des Therapieerfolges ist anhand der untersuchten klinischen Parameter aber nicht vorherzusehen. P10.11 Verifizierung der ultraschallgezielten Infiltration des Musculus piriformis durch Magnetresonanztomographie J. Blunk1, M. Nowotny1, A. Wagner1, J. Scharf2, J. Benrath1 1 Klinik für Anästhesiologie, Medizinische Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg, Mannheim, 2Universitätsklinikum Mannheim, Medizinische Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg, Mannheim Einleitung: Das Piriformis-Syndrom ist eine selten diagnostizierte Ursache der Ischialgie. Durch Kompression des Nervs, durch Myogelosen oder Fibrosen nach Traumen, kann es zu neuropathischen Schmerzen kommen. Behandlungstrategien kombinieren Physiotherapie mit der Infiltration des M. piriformis mit Lokalanästhetika. Diese Infiltrationen werden in der Regel unter Durchleuchtung oder CT-gezielt, durchgeführt. Studien, in denen ultraschallgesteuerte Injektion untersucht wurden, sind bisher nur an der Leiche durchgeführt worden. Wir stellen eine Studie am Probanden vor, bei denen mit Ultraschall der M. piriformis identifiziert und die korrekte Ausbreitung des Lokalanästhetikums im Muskel durch Magnetresonanztomographie verifiziert wurde. Methode: Bei 12 gesunden männlichen Probanden wurde der M. piriformis rechts mittels Ultraschall dargestellt. Zusätzlich konnte der N. ischiadicus und die begleitenden Gefäße (A. und V. glutea inferior) visualisiert werden (Vermeidung der Nerven- oder Gefäßpunktion). Eine 25 G Nadel wurde ultraschallgezielt, mit Abstand zum N. ischiadicus, in den Muskelbauch des M. piriformis eingestochen. Anschließend wurden 3 ml Mepivacain 1 % langsam infiltriert. Vor der Infiltration wurde die Hauttemperatur beider Waden gemessen. Unmittelbar nach der Injektion wurde der Proband in Rückenlage im MRT gelagert, um die Ausbreitung des Lokalanästhetikums innerhalb des Muskels zu erfassen, und eine eventuelle Flüssigkeitsverteilung um den N. ischiadicus zu dokumentieren. Nach der 20-minütigen MRT-Untersuchung wurden über 60 Minuten die Hauttemperatur sowie eventuell auftretende sensomotorische Defizite dokumentiert. Ergebnisse: Das Verfahren wurde von den Probanden gut toleriert. Durch Visualisierung der Nadel und der Gefäße mittels Ultraschall kam es zu keiner intravasalen Injektionen. Wie in den MR-Bildern visualisiert, wurden alle Injektionen bis auf eine, die versehentlich im M. glutaeus maximus appliziert wurde, innerhalb des M. piriformis platziert. Zwei der 12 Probanden zeigten sensomotorsiche Ausfälle der Haut des lateralen Unterschenkels und einer Kraftminderung im Bereich des Innervationsgebietes des Ischiasnervs. Bei diesen Probanden zeigte sich das Lokalanästhetikumsdepot deutlich näher am Nerv als bei denjenigen Probanden, die keine sensomotorischen Defizite aufwiesen. Eine Umspülung des Nervs mit Lokalanästhetikum konnte bei keinem der Probanden nachgewiesen werden.
Zusammenfassung: In dieser Studie konnten wir zeigen, dass Lokalanästhetika unter direkter Visualisierung mittels Sonographie, ohne deutliche Beeinträchtigung der Sensomotorik, in den M. piriformis injiziert werden können. Die Lokalisation und die Ausbreitung der Flüssigkeit im Muskel konnte ohne die Gabe von Kontrastmittel, mittels Kernspintomographie dokumentiert werden. Ultraschallgezielte Injektionen werden in weiteren Studien als leicht durchzuführende Methode für die ambulante Versorgung von Schmerzpatienten mit PiriformisSyndrom eingesetzt. P10.12 Funktionsstörungen der posturalen Stabilisationssysteme bei Musikern mit Instrumentalspiel-assoziierten muskuloskeletalen Schmerzsyndromen A. Steinmetz, W. Seidel Klinik für Manuelle Medizin, Sana Kliniken Sommerfeld, Kremmen/OT Sommerfeld Fragestellung: Funktionsstörungen der posturalen Stabilisationssysteme (PSS) und Rückenschmerz sind eng miteinander vergesellschaftet. Hodges et al. (1996) konnten zeigen, dass es beim Rückenschmerz zu einer veränderten neuromuskulären Ansteuerung der für die segmentale Stabilisierung notwendigen Muskelgruppen kommt. Vergleichbare Forschungsergebnisse liegen für die HWS von Falla et al. (2004) vor. Instrumentalspiel-assoziierte muskuloskeletale Schmerzsyndrome (IAMS) im Englischen auch als Playing-related Musculoskeletal Disorders bekannt, haben bei Musikern eine Prävalenz von bis zu 80 % (Fishbein et al. 1988). Ziel dieser Studie war es die Häufigkeit von Funktionsstörungen der PSS bei Musikern zu untersuchen. Material und Methode: Insgesamt wurden die Daten von 84 Musikern (47 Frauen, 37 Männer, Altersdurchschnitt 35 Jahre) einer speziellen Musikersprechstunde analysiert. Als häufigste Beschwerden gaben 67 % Schmerzen im Bereich der Schulter-Arm-Hand-Region, außerdem 13 % in der LWS und 6 % im Bereich der HWS an. Ausgewertet wurden die Ergebnisse der klinischen Tests für das lumbale Stabilisationssystem (Abdominal-draw-in-Test), für die Scapulastabilisatoren (Muskeltest des M. serratus ant. n. Kendall & Kendall), sowie für das obere gekreuzte Syndrom nach Janda. Diese klinischen Tests wurden unlängst in einer Multicenterstudie auf ihre Intra- und Interrater-Reliabilität überprüft (Niemier et al. 2009). Ergebnisse: Insgesamt 77 (92 %) der 84 Musiker mit IAMS wiesen Dysfunktionen im Bereich der PSS auf. 85 % der Musiker zeigten insuffiziente Scapulafixatoren, 71 % eine gestörte lumbale Stabilisation und 57 % ein oberes gekreuztes Syndrom nach Janda. Es wurden 4 Instrumenten-Subgruppen gebildet und miteinander verglichen (hohe Streicher (N=34), tiefe Streicher (N=12), Tasteninstrumente (N=10) und Bläser mit symmetrischer Spielhaltung (N=14)). Dysfunktionen der lumbalen Tiefenstabilisation traten in den verschiedenen Instrumentengruppen signifikant unterschiedlich auf (p=0.008 im Chi-Quadrat-Test). Bei den Streichern ließ sich eine gestörte lumbale Tiefenstabilisation in 82 % (hohe Streicher) und 83 % (tiefe Streicher), bei den Bläsern in 64 % und bei den Tasteninstrumentalisten in 30 % Fälle nachweisen. Für die Häufigkeit insuffizienter Scapulafixatoren oder dem oberen gekreuzten Syndrom ließen sich keine signifikanten Instrumentengruppenunterschiede zeigen. Allerdings fanden sich diese Funktionsstörungen signifikant häufiger bei den Musikerinnen (p=0.014 und p<0.001). Diskussion: Die Ergebnisse dieser Untersuchung zeigen, dass Funktionsstörungen der PSS bei Musikern mit IAMS sehr häufig auftreten. Insbesondere Störungen der lumbalen stabilisierenden Muskeln treten in den Subgruppen der Streicher signifikant häufiger auf. Aufgrund des Untersuchungssettings im Rahmen einer speziellen Musikersprechstunde liegen jedoch keine Daten zur Häufigkeit von Dysfunktionen im PSS in einer gesunden Musikergruppe vor. Schlussfolgerung: Um die Hypothese zu bekräftigen, dass Dysfunktionen der PSS die Grundlage für das Auftreten von IAMS bilden, ist es
nötig weitere prospektive Studien unter Einbeziehung einer gesunden Kontrollgruppe durchzuführen.
P12 – Schmerz im Alter P12.1 Beschwerden unter Analgetika bei einem geriatrischen Kollektiv M. Schuler1, P. Oster2, D. Razus3 1 Diakoniekrankenhaus, Mannheim, 2Bethanien Krankenhaus, Heidelberg, 3 Elisabethenstift, Darmstadt Gerade multimorbide Ältere klagen über viele Beschwerden, die u. a. auch während einer Analgetika Therapie (besonders unter Opioiden) häufig auftreten. Ziel der Untersuchung war, quantitativ Beschwerden in einem multimorbiden älteren Kollektiv zu erfassen und die Bedeutung der Analgetika Therapie für diese Beschwerden im Kontext von Schmerzerleben, Multimorbidität, Funktion, Alter und Geschlecht zu diskutieren. Hierzu wurden Analgetika typische Beschwerden und Schmerzerleben bei 1700 konsekutiven Patienten zu Beginn stationärer geriatrischer Behandlung erfragt. Aktuelle medikamentöse Therapie incl. Analgetika, Funktion (Barthel Index, Orientiertheit), Alter, Geschlecht sowie Morbidität wurden erfasst. Von den 1418 Patienten (mittleres Alter 80,9 Jahre), die Angaben zu Beschwerden machen konnten, wurden Insomnie (n=664, 46,8 %), Schmerzen (609, 43,0 %), Appetitlosigkeit (531, 37,4 %), Vertigo (482, 34 %), Müdigkeit (331, 19,7 %), Obstipation (236, 16,6 %) und Miktionsstörungen (213, 12,7 %) am häufigsten genannt. Bei der univariaten Analyse zeigten sich weitgehend die bekannten Substanz- und Dosisabhängigen Nebenwirkungsprofile der Analgetika. Bei der multivariaten Betrachtung verlieren die Analgetika mit wenigen Ausnahmen ihre Bedeutung für die Beschwerden (z. B. Obstipation korreliert gering nur noch mit dem Alter). Schmerzintensität, Schmerzdauer und Geschlechtsunterschiede gewinnen an Bedeutung. Schlechte aktuelle Alltagskompetenz korreliert mit Emesis, Miktionsstörungen und Xerostomie. Die Multimorbidität und kognitive Einschränkungen sind für viele Beschwerden nicht von Bedeutung. Schlussfolgerungen: Die Ergebnisse unterstreichen die schwierige Interpretation von Beschwerden als unerwünschte Nebenwirkung von Analgetika bei der Therapie Älterer. Schmerzerleben und geschlechtsspezifische Unterschiede müssen berücksichtigt werden. Die Empfehlung einer sorgfältigen Erfassung von Beschwerden vor Beginn einer (Schmerz-)Therapie wird durch die Ergebnisse gestützt. P12.2 Katastrophisierungs-Vermeidungsskala-D-65+(KVS-D-65+): Ein zweidimensionales Messinstrument zur Erfassung der Fear Avoidance Beliefs bei älteren Rückenschmerzpatienten S. Quint Medizinische Psychologie. Philipps-Universität, Marburg Einleitung: Fear Avoidance Beliefs (FAB) werden in der Literatur als ein wesentlicher Chronifizierungs-parameter für unteren Rückenschmerz (RS) diskutiert. Dies trifft auch für ältere Personen mit RS zu. Reliable und valide Messinstrumente zur Erfassung des Konstruktes der FAB für Personen über 65 Jahren liegen jedoch nicht vor. So haben faktoranalytische Untersuchungen der deutschen 20-Item Kurzfassung der „Pain Anxiety Symptom Scale (PASS)“ gezeigt, dass das Konstrukt der Schmerzangst, wie es in der PASS operationalisiert wird, nicht den Erfordernissen älterer Schmerzpatienten entspricht. Methodik: Die KVS-D-65+ ist eine deutsche Übersetzung der Kurzfassung der „Pain Anxiety Symptom Scale (PASS)“, die an die Zielgruppe der über 65-Jährigen adaptiert wurde. Auf der Grundlage einer FakoDer Schmerz Supplement 1 · 2010
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Abstracts ren- und Itemanalyse wurde die KVS-D-65+ entwickelt und an einer weiteren Stichprobe von 64 Personen über 65 Jahren mit chronischen Rückenschmerzen erneut auf Testgüte überprüft. Es handelt sich um ein zweidimensionales Messverfahren zur Erfassung der FAB im höheren Lebensalter. Auf einer sechsstufigen Likertskala von 0 („nie“) bis 5 („immer“) geben die Patienten an, wie häufig ihnen die genannten Gedanken in den Sinn kommen bzw. wie häufig sie die genannten Aktivitäten ausführen. Ergebnisse: Die beiden Subskalen „Katastrophisierung“ (z. B. „Ich denke, wenn meine Schmerzen zu schwer werden, werden sie nie nachlassen.“) mit 6 Items und „Vermeidung“ (z. B. „Ich vermeide auch wichtige Aktivitäten, wenn ich Schmerzen habe.“) mit 5 Items zeigen gute interne Konsistenzwerte (Subskala „Katatstrophisierung“ a = 0,83; Subskala Vermeidung a = 0.71) sowie eine Retest-Reliabilität nach vier Wochen von mindestens r = 0,74. Bedeutsame Zusammenhänge mit hohen Effektstärken zeigten sich für die KVS-D-65 + mit Schmerzvariablen, der Funktionskapazität und dem Wohlbefinden. Die Konstruktvalidität wird durch bedeutsame Korrelationen mit konstruktäquivalenten Messinstrumenten mehrfach bestätigt. Schlussfolgerung und Ausblick für die Therapie Die KVS-D-65+ ist ein reliables und valides Instrument zur Messung der FAB bei älteren RS-Patienten. Das vorgestellte Instrument ermöglicht für ältere RS-Patienten ein Assessment für evidenzbasierte FAB bezogene Therapien (Exposure in vivo und graded activity). Auf dem Kongress sollen die KVS-D-65+ sowie hierauf bezogene zukünftige Forschungsaktivitäten im Rahmen des DGSS-AK „Schmerz und Alter“ vorgestellt werden. P12.3 Der Beginn der Hauptschmerzsymptomatik eignet sich nicht als Kriterium der Schmerz-Chronifizierung bei multimorbiden und funktionell beeinträchtigten älteren Menschen M. Schuler1, G. Schwarzmann2 1 Diakoniekrankenhaus, Mannheim, 2Universität Frankfurt Zusammenfassung: Die Zeit von Beginn der Schmerzen bis zur Erhebung wird häufig als Kriterium der Chronifizierung von Schmerzen verwendet wissend, dass die Chronifizierung ein multidimensionales Geschehen mit physischen, emotionalen und sozialen Auswirkungen ist. Bei multimorbiden und funktionell beeinträchtigten Patienten (geriatrischer Patient) ist unklar, ob die eigenanamnestische Angabe zur Schmerzdauer als Kriterium der Chronifizierung gelten kann. Deshalb wurden 178 Schmerzpatienten während einer stationären geriatrischen Behandlung mit dem „Schmerzinterview für geriatrische Patienten“ (SgP) befragt, das die zeitliche Dimension beinhaltet. Zudem wurden diese Patienten nach dem „Mainzer Stadienmodell der Schmerz-Chronifizierung“ (MPSS) eingestuft. Die zeitlichen Angaben zur Frage „Seit wann haben Sie die Schmerzen, die Ihnen am meisten weh tun?“ standen nur mit der Anzahl der Schmerzlokalisationen und der Schmerzverstärkungen und mit der Häufigkeit der Hausarztwechsel in positivem Zusammenhang. Die Stadien des MPSS wiesen hingegen auch Zusammenhänge mit dem sensorischen, affektiven und emotionalen Schmerzerleben auf. Die Angaben zur Dauer korrelierten nicht mit den Mainzer Chronifizierungsstadien. Einige Angaben (z. B. analgetische Therapie), die für den MPSS notwendig sind, konnten allerdings nicht eigenanamnestisch erhoben werden. Bei geriatrischen Patienten ist die Zeit nicht geeignet, den Chronifizierungsprozess von Schmerzen zu erfassen. Dag MPSS hingegen hat die Schwierigkeit, dass nicht jede Kategorie eigenanamnestisch zu erfahren ist. Schlüsselfragen aus dem SgP werden als Screeningfragen für Chronifizierung diskutiert.
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P12.4 Konfrontationstherapie von Fear Avoidance Beliefs mit AMIKA im Rahmen einer multimodalen Seniorenschmerzgruppe – eine Falldarstellung P. Mattenklodt1, A. Ingenhorst1, B. Flatau2, G. Heuss2, R. Sittl1, N. Grießinger1 1 Universitätsklinikum Erlangen, 2medi train – Zentrum für Gesundheitssport und Sporttherapie Hintergrund: Auch bei älteren Schmerzpatienten sind Fear Avoidance Beliefs (FAB; Furcht-Vermeidungs-Überzeugungen) ein bedeutsamer Chronifizierungsfaktor. Bei Erwachsenen im mittleren Alter können FAB durch eine Konfrontationstherapie verändert werden [1]. Für Ältere gibt es hierzu kaum Daten. AMIKA („Ältere Menschen in körperlicher Aktion“) ist ein Instrument, das die Erfassung und Bearbeitung von FAB speziell bei Älteren ermöglicht [2]. Dabei wird anhand von 50 Fotos, die ältere Menschen bei Alltagsaktivitäten zeigen, eine individuelle Hierarchie bedrohlich eingeschätzter Aktivitäten erstellt. Anschließend werden die Aktivitäten der FAB-Hierarchie im Sinne einer Konfrontationstherapie sukzessive ausprobiert und die Befürchtung so überprüft. Patientin: Dagmar S., 67 J., LWS-Schmerzen seit der Jugend, Verstärkung `90 (Pflege der Mutter), seit 93 schmerzbedingt erwerbsunfähig, mehrere Rücken-OP, Bewegungseinschränkungen von Schulter und WS. Selbstüberforderung und Perfektionismus verursachen Schmerzspitzen, die Katastrophisieren (Pflegeheim), Niedergeschlagenheit, und Rückzug auslösen. Frau S. weist eine leichte depressive Störung auf und fühlt sich „im Schmerz gefangen“. Methode: Frau S. nahm an einer multimodalen Seniorenschmerzgruppe teil [3]. Da sich in der Psychometrie (KVS 65+) erhöhte FAB zeigten, ergänzten wir die Therapie um eine Konfrontationstherapie mit AMIKA. Ab der 5. Therapiewoche führten wir anhand der erstellten FAB-Hierarchie 4 Sitzungen durch. Zur Verlaufskontrolle wurden zu 3 Zeitpunkten (Gruppenbeginn, Gruppenende, nach 3 Monaten) mit AMIKA eine FAB-Hierarchie erstellt, ein AMIKA-Kennwert errechnet sowie die KVS 65+ vorgegeben. Zusätzlich wurden jeweils ADS, PDI, FESV eingesetzt und die Schmerzstärke erhoben. Ergebnisse: Die KVS 65+ war für Frau S. verständlich. Die Idee der Konfrontationstherapie auf Basis der AMIKA-Hierarchie lies sich gut vermitteln. Das Erproben der gefürchteten Aktivitäten löste einen „Aha-Effekt“ aus, der das Schmerzmodell der Patientin nachhaltig veränderte. Das Erproben konkreter Alltagsaktivitäten förderte die Bereitschaft mit der Ausführung körperlicher Aktivitäten zu experimentieren. Die psychometrischen Parameter sowie der AMIKA-Wert verbesserten sich zu t2 deutlich. Diese Verbesserungen bestanden auch 3 Monate später weiter. Die durchschnittliche Schmerzstärke verringerte sich von NRS 10 (t1) auf 2,5 (t2) und stieg zu t3 leicht auf NRS 4 an. Schmerzspitzen, Suizidgedanken und die Angst vor dem Pflegeheim traten nicht mehr auf. Frau S. war deutlich aktiver und zog sich bei Schmerzen nicht mehr zurück. Diskussion: Die KVS 65+bewährte sich als Screeninginstrument für FAB. Eine Konfrontationstherapie anhand der AMIKA-Skala ließ sich sinnvoll in die multimodale Therapie integrieren und intensivierte den Therapieprozess. Als problematisch erwiesen sich der hohe Zeitbedarf und die Eingrenzung auf den Rückenschmerz bei einer Patientin mit multilokulären Schmerzen. Vlaeyen et al. (2003): The treatment of fear of movement/(re)injury in chronic low back pain: further evidence on the effectiveness of exposure in vivo. Clin J Pain 18: 251–261. Quint et al. (2007): AMIKA: Ältere Menschen in körperlicher Aktion. Der Schmerz 21: 453-461. Mattenklodt et al. (2008): Multimodale Gruppentherapie bei Senioren mit chronischen Schmerzen. Konzept und Ergebnisse im Prä-Post-Vergleich. Der Schmerz 22: 551-561
P12.5 Qualität und Angemessenheit der Schmerzmedikation bei Pflegeheimbewohnern M. Kölzsch, K. Kopke, S. Ellert, S. Kalinowski, I. Wulff, D. Dräger, R. Kreutz Charité – Universitätsmedizin Berlin, Campus Mitte Fragestellung: Wie stellt sich die schmerztherapeutische Versorgung bei Pflegeheimbewohnern in Berlin und Brandenburg dar? Material und Methode: Es wurden 560 Pflegeheimbewohner im Raum Berlin/Brandenburg in insgesamt 40 Altenpflegeeinrichtungen befragt. Neben Daten zum persönlichen Hintergrund wurde die gesamte Medikation, Angaben zu Schmerzen und Umgang damit sowie Diagnosedaten im Rahmen eines persönlichen Interviews sowie einer strukturierten Dokumentenanalyse erhoben. Für Personen mit kognitiven Einschränkungen wurde ein verkürztes Interview entwickelt und bestimmte Informationen von Pflegenden erfragt. Die Qualität und Angemessenheit der Schmerztherapie wurde mittels des PMAS (Pain Medication Appropriateness Scale) erhoben. Dieses Bewertungsinstrument, 2006 von einer amerikanischen Forschergruppe entwickelt, wurde nach einem standardisierten Verfahren übersetzt und an deutsche Leitlinien angepasst. Ergebnisse: Die insgesamt 560 Befragten waren im Durchschnitt 81 ± 11 Jahre alt. Die Stichprobe bestand zu 61 % aus Frauen. Zur PMAS Analyse konnte eine Subgruppe von 321 Patienten untersucht werden. In dieser Gruppe berichteten 196 Bewohner während des Interviews über Schmerzen, weitere 98 Studienteilnehmer mit kognitiven Einschränkungen zeigten schmerzassoziiertes Verhalten und 27 Personen erhielten eine dauerhafte Schmerzmedikation, gaben jedoch keine Schmerzen an. Mit Schmerzmedikamenten wurden insgesamt 179 Bewohner versorgt, am häufigsten wurden Metamizol, Fentanyl und Tramadol verordnet. In der PMAS Auswertung erzielten 246 (76 %) Bewohner einen Wert von unter 67 %, was definitionsgemäß auf eine unzureichende schmerztherapeutische Versorgung hindeutet. 120 Bewohner konnten angeben wie gut Ihnen die verabreichte Schmerzmedikation geholfen hat. 25 Bewohner gaben an, dass „alle Schmerzen beseitigt“ wurden, 46 erfuhren eine „ausreichende“ Linderung, bei 35 Personen haben die Analgetika „etwas geholfen und 14 Bewohner gaben an, dass die Medikamente „nicht geholfen“ haben. Die Versorgung mit Bedarfsanalgetika zusätzlich zu einer festgelegten analgetischen Dauermedikation erfolgt in nur 57 % aller Fälle. Eine Obstipationsprophylaxe wurde lediglich bei etwa 1/3 aller Bewohner, die mit Opioden gemäß der WHO Stufe 3 behandelten wurden, verabreicht. Diskussion: Unsere Untersuchungen belegen, dass ein großer Teil der Pflegeheimbewohner schmerztherapeutisch unzureichend versorgt ist. Vor allem im Bereich der Versorgung mit Bedarfsmedikation und der Obstipationsprophylaxe zeigen sich Defizite. Schlussfolgerung: Die vorliegenden Ergebnisse deuten eine schmerztherapeutische Versorgungslücke bei Pflegeheimbewohnern an. Unsere Untersuchungen können die Grundlage für konkrete Handlungsempfehlungen darstellen, um die Schmerztherapie bei Pflegeheimbewohnern zu optimieren. P12.6 Schmerzerkennung im Alter – Der Schmerzalgorithmus (NRS – VRS4 – BESD) bei geriatrischen Patienten A. Lukas, T. Niederecker, I. Günther, T. Nikolaus Agaplesion Bethesda Klinik Ulm Einleitung: Die Schmerzerkennung bei geriatrischen Patienten stellt Untersucher immer noch vor große Herausforderungen. Eine der wichtigsten Barrieren der Schmerzerkennung stellt hierbei die Einschränkung in der Kognition dar. Bisherige Erfahrungen in der Schmerzbehandlung bei geriatrischen Patienten zeigen, dass ein abgestuftes Assessmentsystem, in Abhängigkeit von der Kognition, vermutlich den
besten Zugang zu einer suffizienten Schmerzerfassung bei geriatrischen Patienten darstellt. Die Selbsteinschätzung (NRS/ VRS) gilt hierbei als Goldstandard. Eine Verhaltensbeobachtung mittels standardisierter Beobachtungsinstrumente (z. B.: BESD: Beurteilung des Schmerzes bei Demenz) sollte nur zur Anwendung kommen, wenn eine Selbsteinschätzung nicht mehr funktioniert. Ein an der Agaplesion BethesdaKlinik Ulm neu eingeführter dreistufiger Algorithmus zur Schmerzerkennung und Einschätzung bei geriatrischen Patienten (NRS, VRS4 und BESD) wurde hierzu näher untersucht. Fragestellung: Ist der Schmerzalgorithmus für geriatrische Patienten in der Lage zuverlässig zwischen möglichem Selbstbeurteilungsassessment und nötigem Fremdbeurteilungsassessment zu unterscheiden? Methode: Die Studie umfasst insgesamt 187 Patienten und unterteilt sich in drei Unterphasen. Für die Bestimmung der Reliabilitätswerte des Algorithmus sollen hier nur Phase 2 und 3 betrachtet werden. Phase 2: (Inter-Rater-Reliabilität), Phase 3: (Re-Test-Reliabilität). Phase 2: 91 Patienten; M 21 (23 %), F 70 (77 %); 83,1 Jahre (SD = 6,7); MMSE Median 21 (max. 30, min 0) Phase 3: 48 Patienten; M 14 (29 %), F 34 (71 %); 83,7 Jahre (SD = 7,2); MMSE Median 21 (max. 30, min 0) Nach einem fest vorgegebenen Untersuchungsschema wurden hintereinander die drei Assessments von zwei unabhängigen Ratern angewandt. Sowohl die Reihenfolge der Untersucher als auch die Abfolge der einzelnen Tests erfolgte randomisiert. Wenn der Patient auch nach zweimaliger Erklärung das Sebstbewertungssystem (NRS oder VRS4) nicht verstand, wurde das Assessmentsystem als für den Patienten nicht geeignet bewertet. Verstand der Patient beide Selbstbewertungsassessments nicht, wurde BESD verwendet. Abschließend wurde der kognitive Status des Patienten mittels MMSE erhoben. Ergebnisse: Im Rahmen dieses Posters werden erste Ergebnisse zur Reliabilität des Algorithums gezeigt. Bei der Betrachtung Selbst- gegen Fremdbewertungsinstrument konnten folgende Übereinstimmungsproportionen gemessen werden: Inter-Rater-Reliabilität: 90 % [82-95 %] (95 %-Konfidenzintervall) Re-Test-Reliabilität: 81 % [67-91 %] (95 %-Konfidenzintervall) Diskussion und Ausblick Unsere Ergebnisse zur Reliabilität zeigen, dass der vorgeschlagene Algorithmus zu einer zuverlässigen Auswahl des am besten geeigneten Assessments (Selbst- oder Fremdassessment) führt. Zwei unabhängige Untersucher können sicher zwischen der Möglichkeit des Selbstassessments oder der Notwendigkeit eines Fremdassessments unterscheiden. Auch bei wiederholten Messungen durch denselben Untersucher findet sich eine hohe Übereinstimmung in der Wahl des am besten geeigneten Assessmentinstrumentes (Selbst- oder Fremdbewertungssystem). Der vorgeschlagene Algorithmus dient der Erkennung des richtigen Erfassungsinstrumentes. Die Schmerzerkennung und damit letztlich auch die Schmerzbehandlung bei geriatrischen Patienten kann durch dieses Verfahren nach unserer Ansicht deutlich verbessert werden. P12.7 Bedeutung psychosozialer Risikofaktoren undkörperlicher Aktivität für die Prognose älterer Rückenschmerzpatienten in Hausarztpraxen C. Leonhardt1, H. Basler1, E. Baum2, N. Donner-Banzhoff2, S. Keller3, M. Pfingsten4, J. Hildebrandt4, J. Chenot5, M. Kochen5, A. Becker2 1 Institut für Medizinische Psychologie, Marburg, 2Abteilung für Allgemeinmedizin, Göttingen, Präventive- und Rehabilitative Medizin, Marburg, 3Dep. of Public Health Sciences & Epidemiology, Honolulu, USA, 4Georg-AugustUniversität Göttingen, 5Abteilung für Allgemeinmedizin, Göttingen Fragestellung: Chronische Schmerzen stellen eine der Hauptbeeinträchtigungen im höheren Lebensalter dar und haben eine deutliche Auswirkung auf die Lebensqualität der Betroffenen [1]. Ältere Patienten mit Rückenschmerzen sind auch in der Hausarztpraxis häufig, wobei hier noch nicht viele Daten zu Risikofaktoren einer Verschlechterung und Prognose vorliegen. Es ist unklar, ob im Alter die gleichen Fak-
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Abstracts toren den Prozess der Chronifizierung vorantreiben wie bei Patienten jüngeren Lebensalters. Körperliche Aktivierung ist auch bei Schmerz im Alter ein wichtiges nicht-medikamentöses Therapieprinzip. Daten zur Situation körperlicher Aktivität und Beeinflussung durch den Schmerz gibt es von älteren Rückenschmerzpatienten bisher kaum, da ältere Menschen von Studien häufig ausgeschlossen werden. Material und Methode: Im Rahmen einer Sekundäranalyse von Daten eines Leitlinienimplementierungsversuchs in hausärztlichen Praxen wurde untersucht, welche Rolle in der Substichprobe der >65jährigen Rückenschmerzpatienten Depressivität (CES-D), Angst-Vermeidungsüberzeugungen (FABQ), Somatisierung (SCL), Selbstwirksamkeitserwartungen und körperliche Aktivität (Freiburger FB) für eine Veränderung der Funktionsfähigkeit nach 12 Monatenhaben. Die statistische Auswertung erfolgte regressionsanalytisch. Ergebnisse: 187 Patienten im Alter von durchschnittlich 71 Jahre gingen in die Analyse ein. Im Vergleich zu den jüngeren Studienpatienten zeigte die Altersgruppe bei gleicher Verteilung akuter und chronischer Schmerzen eine erhöhten Anteil radikulärer Beschwerden (27 % versus 19 %) und einen mit 10 % Häufigkeit erhöhten Anteil von Patienten mit einem Osteoporose bedingten Frakturrisiko. Die älteren Patienten der Stichprobe zeigten häufiger höhere Chronifizierungsstadien nach von Korff (III und IV). Hohe Somatisierungswerte, reduzierte körperliche Aktivität sowie das weibliche Geschlecht trugen signifikant zu einer schlechteren Prognose (niedrige Funktionskapazität) nach 12 Monaten bei. Die Bedeutung hoher Depressionswerte und Angst Vermeidungsüberzeugungen für die Funktionskapazität scheint – anders als bei jüngeren Patienten – gering zu sein. Diskussion: Die vorgestellten Ergebnisse müssen vor dem Hintergrund der Sekundärauswertung sowie eines möglichen Bias durch die Studienteilnahme als hypothesengenerierend betrachtet werden. Sie tragen jedoch zu einem besseren Verständnis von Rückenschmerzen bei älteren Patienten bei. Schlussfolgerung: Anders als bei jüngeren Patienten zeigen ältere Rückenschmerzpatienten einen höheren Anteil komplizierender Faktoren in Form einer Osteoporose. Die psychosozialen Risikofaktoren scheinen sich von denen jüngerer Patienten zu unterscheiden. Sie müssen in zukünftigen Projekten für die Altersgruppe gesondert mit zielgruppenspezifischen Messinstrumenten untersucht werden. Referenzen: Soldato M, Liperoti R, Landi F et al (2007) Non malignant daily pain and risk of disability among older adults in home care in Europe. Pain 129(3): 304-10. P12.8 Ein Beitrag der Evidenzbasierung nicht-pharmakologischer Maßnahmen zur Schmerzreduktion – Die Atemstimulierende Einreibung (ASE) K. Kopke, D. Dräger Charité – Universitätsmedizin Berlin, Campus Mitte Fragestellung: Ist die Atemstimulierende Einreibung eine geeignete komplementäre Methode zur Schmerzreduktion mehrfach erkrankter älterer Menschen? Material und Methode: Zur Beantwortung der zentralen Forschungsfrage wurde eine randomisierte kontrollierte, einfach verblindete, prospektive Interventionsstudie zur Wirksamkeitsprüfung der Atemstimulierenden Einreibung (ASE) durchgeführt. Sie ist als ein Pretest-Posttest Kontrollgruppendesign angelegt. Die untersuchte Intervention ist eine rhythmische Einreibung zur Atemtherapie. Je nach Gruppenzuteilung kam über einen siebentägigen Zeitraum zweimal täglich die ASE oder als Kontrollintervention eine zur Pneumonieprophylaxe übliche unsystematische Form der Einreibung zur Anwendung. Als Outcomes wurden die Veränderungen der Schmerzintensität (NRS), der affektiven und sensorischen Schmerzwahrnehmung (SES), der physiologischen Entspannungsparameter (AF, HF, RR) sowie der Schlafqualität herangezogen.
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Ergebnisse: Im Rahmen einer Gelegenheitsstichprobe nahmen 40 Personen an der Studie teil. Sie hatten im Mittel ein Alter von 81 Jahren und waren zu 83 % weiblichen Geschlechts. Die Angaben zur Schmerzintensität lagen nach der Interventionsphase in der Versuchsgruppe niedriger als in der Kontrollgruppe. Die Anwendung der ASE führte im Mittel zur statistisch signifikanten (p=0,040) und klinisch relevanten Reduktion stärkster vorhandener Schmerzen um 1,9 Punkte auf einer elfstufigen Skala im Vergleich zu 0,5 in der Kontrollgruppe. Über den gesamten Verlauf der Interventionsphase konnte ein signifikanter Gruppenunterschied zu Gunsten der ASE herausgearbeitet werden. Die NRS Werte lagen hier über alle Messzeitpunkte hinweg um 0,4 Punkte niedriger als in der Kontrollgruppe. Die Interventionsanwendung führt zu einer 25 %-igen Schmerzreduktion. Auch schmerzbedingte Beeinträchtigungen können durch die ASE reduziert werden, die „Allgemeine Aktivität“ und das „Gehvermögen“ signifikant. Bei allen erfassten physiologischen Werten ist die ASE im Vergleich zur Kontrollgruppe in der Reduktion dieser Parameter überlegen. Im Schnitt kommt es durch die ASE zu einer Reduktion der Atemfrequenz um 30 %, der Herzfrequenz um 29 %, des systolischen um 33 % und des diastolischen Blutdrucks um 48 %. Die Schlafqualität wurde durch die Interventionsanwendung nicht verbessert, bewegt sich jedoch auf einem konstant gleichen Niveau zum Ausgangswert. Diskussion: Die Ergebnisse unterstützen die Annahme, dass die ASE als nicht-medikamentöse Intervention in Ergänzung zur medikamentösen Behandlung Schmerzen reduzieren kann. Darüber hinaus wird der ASE eine eindeutige entspannungsfördernde Wirkung nachgewiesen. Schlussfolgerung: So kann die untersuchte Intervention als eine geeignete Intervention zur Schmerzreduktion bei mehrfach erkrankten Menschen beschrieben werden. Für einen generalistischen Einsatz in der pflegerischen Praxis hochbetagter Personen bedarf es jedoch weiterer zukünftiger Forschung. P12.9 Schmerzgeschehen und Schmerzmedikation bei Pflegeheimbewohnern K. Kopke1, M. Kölzsch2, S. Ellert1, I. Wulff1, S. Kalinowski1, R. Kreutz2, D. Dräger1 1 Charité – Universitätsmedizin Berlin, Campus Mitte, 2Charité – Universitätsmedizin Berlin Campus Mitte Fragestellung: Wie lässt sich die schmerztherapeutische Versorgungssituation von Pflegeheimbewohnern vor dem Hintergrund ihres Schmerzgeschehens beschreiben? Material und Methode: In insgesamt 40 zufällig ausgewählten vollstationären Pflegeeinrichtungen im Raum Berlin/ Brandenburg wurde eine Zufallsstichprobe gezogen und befragt. Neben soziodemographischen Daten wurden bei den Probanden Angaben zur Schmerzsituation (geriatrisches Schmerzinterview) und deren Bewältigung (FESV), die gesamte Medikation sowie Diagnosedaten im Rahmen eines persönlichen Interviews und einer strukturierten Dokumentenanalyse erhoben. Bei Personen mit starken kognitiven Beeinträchtigungen kam ein verkürztes Interview zum Einsatz, welches durch spezifische Informationen von Pflegenden ergänzt wurde. Ergebnisse: In die Studie konnten 560 Personen eingeschlossen werden. Sie hatten im Mittel ein Alter von 81,2 Jahren und waren aufgrund eines Oversamplings an Männern zu 39 % männlichen Geschlechts. 343 Personen von Ihnen (61,3 %) konnten laut Selbstauskunft Schmerzangaben machen. Insgesamt leiden von diesen Personen etwas mehr als die Hälfte (57,1 %; n=196) an Schmerzen. Bei 190 (97 %) dieser Schmerzbetroffenen bestehen die Beschwerden zu 64,3 % bereits seit Jahren, gefolgt von Monaten (21,4 %) sowie Wochen/Tagen (13,0 %). Mittels der VRS wurden durchschnittlich mäßige und starke Schmerzen innerhalb der letzten sieben Tage zum Befragungszeitpunkt ermittelt. Der größte Teil der Betroffenen (116) ist zwischen den Beschwerden schmerzfrei. 72 Probanden leiden jedoch an dauerhaften Schmerzen.
Bewohner mit dauerhaften Beschwerden erhalten in 30 Fällen (41,6 %) keine festangesetzte Schmerzmedikation. 23 von ihnen verfügen jedoch über eine verordnete Bedarfsmedikation, während 7 Bewohner keinerlei schmerztherapeutische Versorgung erhalten. Bei 209 von 217 nicht selbstauskunftsfähigen Probanden liegen Fremdeinschätzungen zum Schmerzverhalten vor. Auch in dieser Personengruppe zeigt sich bei mehr als der Hälfte (n=112; 53,6 %) auffälliges Schmerzverhalten. 71 dieser Bewohner erhielten keine dauerhafte Schmerzmedikation, in fast der Hälfte aller Fälle (n=33; 46,5 %) konnte auf eine feste Bedarfsmedikation zurückgegriffen werden. Im Gruppenvergleich haben Personen mit starken kognitiven Beeinträchtigungen jedoch signifikant seltener (p= . 002) eine verordnete Bedarfsmedikation als Personen ohne Einschränkungen. Diskussion: Die Ergebnisse stützen die Annahme, dass es aufgrund von Unter- und Fehlversorgungen in der Schmerzbehandlung älterer pflegebedürftiger Menschen einen begründeten Handlungsbedarf gibt. Ebenso wird das Ungleichgewicht in der Versorgung von Menschen mit und ohne kognitiven Beeinträchtigungen deutlich. Schlussfolgerung: Mit den vorliegenden Ergebnissen können die wissenschaftlichen Voraussetzungen einer verbesserten medizinischen, pflegerischen und therapeutischen Schmerzversorgung von Pflegeheimbewohnern geschaffen werden. P12.10 Welche Kenntnisse benötigen Pflegende um zwischen Selbst- und Fremdeinschätzung von Schmerz bei Menschen mit mittelschwerer Demenz entscheiden zu können? E. Sirsch, M. Halek, S. Bartholomeyczik Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e.V. (DZNE), Witten In der Schmerzeinschätzung gilt die Empfehlung, dass die Selbstauskunft Vorrang vor der Fremdeinschätzung hat (DNQP 2005). In der Pflege von Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen stößt diese Selbstauskunft allerdings an Grenzen. Die Untersuchung der Schmerzsituation von Menschen mit einer Demenz gestaltet sich oft schwierig, da ab einer mittelgradig schweren Demenz nicht mehr bei allen Betroffenen von einer adäquaten Selbstauskunft zum Schmerzerleben ausgegangen werden kann (Lautenbacher et al. 2007; Basler et al. 2001). Menschen mit Demenz zeigen dazu häufig Verhalten, das nicht eindeutig interpretiert werden kann. Dieses Verhalten muss jedoch nicht psychiatrisch bedingt sein, sondern kann auch aus der Unfähigkeit resultieren, Schmerzen angemessen artikulieren zu können (Zwakhalen et al. 2006, Gnass & Sirsch 2007). Besonders bei Menschen mit eingeschränkter Kommunikation und Kognition sind MedizinerInnen und Pflegende in der Fremdeinschätzung von Schmerz auf geeignete Instrumente angewiesen. Wann diese Fremdeinschätzung zum Einsatz kommt, ist aber oft nicht klar und hängt auch von der individuellen Kompetenz der anwesenden Pflegenden und der MedizinerInnen und deren Wissen zu dementiellen Veränderungen ab. Fragestellung: Welche Kenntnisse benötigen Pflegende um zwischen Selbst- und Fremdeinschätzung von Schmerz bei Menschen mit mittelschwerer Demenz in Krankenhaus wählen zu können? Methodik: Eine integrative Literaturanalyse aus qualitativen und quantitativen Studien sowie der relevanten Leitlinien. Dabei handelt es sich, im Framework der -Komplexen Interventionen- (Campel et al. 2000, MRC 2008) um die erste Stufe zur Entwicklung einer Leitlinie zur Entscheidungsfindung zwischen Selbst- und Fremdeinschätzung. Ergebnisse: Die ersten Ergebnisse zeigen, dass Fremdeinschätzung von Schmerz bei Menschen mit Demenz zwar empfohlen wird, wie in der S3 Leitlinie zum Postoperativen Schmerz. Das Prozedere der Entscheidung aber, bei welchen Patienten diese Fremdeinschätzung eingesetzt wird, wird nicht ausreichend berichtet. Weitere Ergebnisse der Literaturanalyse werden auf dem Kongress vorgestellt. Diskussion: Eine systematische Fremdeinschätzung von Schmerz ist bei Menschen mit Demenz auch im Krankenhaus erforderlich. Wird
Schmerz nicht erkannt und dadurch auch nicht ausreichend behandelt, kann das für die Betroffenen weit reichende Folgen für die Lebensqualität und die Gesundheit haben. Bei unzureichender Behandlung können akute Schmerzen chronifizieren. Schlussfolgerung: Um aber bei Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen eine systematische Schmerztherapie einzuleiten und durchführen zu können, ist es erforderlich den Schmerz zu erfassen. Dazu ist auch eine kompetente Entscheidung zur Selbst- oder Fremdeinschätzung von Schmerz erforderlich, die nicht vom Zufall abhängig sein kann.
P14 – Pharmakologische Therapie des Schmerzes II P14.1 Intrathekale Schmerztherapie mit Ziconotid bei chronischen therapierefraktären Schmerzsyndromen D. Rasche, V. Tronnier UK S-H, Lübeck Fragestellung: Im Rahmen der invasiven Schmerztherapie kann die intrathekale Medikamentengabe bei einer selektiven Patientengruppe indiziert werden, wenn konservative und medikamentöse Therapien frustran durchgeführt sind. Hierzu stellte Morphin für viele Jahre den so genannten Gold-Standard dar. Seit 2005 ist eine neue analgetische Substanz zur intrathekalen Schmerztherapie in Europa zugelassen: Ziconotid. Die klinischen Erfahrungen der Autoren sollen anhand einer Behandlungsgruppe dargestellt werden. Material und Methodik: Im Zeitraum von 2006 bis Ende 2009 wurden 25 Patienten (11 Frauen, 14 Männer, Alter: 36-84 Jahre) mit Ziconotid intrathekal behandelt. Alle Patienten litten unter chronischen neuropathischen oder gemischt neuropathisch/nozizeptiven Schmerzen unterschiedlicher Genese. Bei allen Patienten wurde eine first-line und denovo-Testung mit einem externen lumbalen Katheter und externer Medikamentenpumpe für 14 Tage durchgeführt. Bei Schmerzlinderung um > 50 % der visuellen Analogskala (VAS) und gleichzeitiger Reduktion der oralen oder transdermalen Analgetika wurde die Indikation zur Internalisierung einer vollimplantierbaren Medikamentenpumpe gestellt. Ergebnisse: Die Startdosis von Ziconotid variierte von 0.5 bis 1.5 µg/d. In allen Fällen wurde eine Dosissteigerung durchgeführt, bis entweder eine Schmerzlinderung oder medikamentenbedingte Nebenwirkungen auftraten. Initial konnte bei 20/25 Pat. ein positiver Effekt mit signifikanter Schmerzlinderung und tolerablen Nebenwirkungen dokumentiert werden, so dass eine Pumpenimplantation erfolgte. Typische Nebenwirkungen des Ziconotid wie Schwindel, Kopfschmerzen, Gleichgewichts- oder Gangstörungen, Doppelbilder und auch psychiatrische Störungen wurden bei 23/25 Patienten im Rahmen der Testphase beobachtet. Im Follow-Up (3-48 Monate) wurde bei 10 Pat. ein nachlassender schmerzlindernder Effekt oder ansteigende Nebenwirkungen beobachtet, so dass bei 7 Patienten ein Medikamentenwechsel zu Morphin oder Hydromorphon intrathekal durchgeführt wurde. Aufgrund von psychiatrischen Nebenwirkungen wurde die Medikamentengabe bei zwei Patienten gestoppt, in einem Fall musste die Pumpe aufgrund einer lokalen Infektion entfernt werden. Aktuell werden 10 Patienten mit Ziconotid intrathekal und einer relativ stabilen Tagesdosis behandelt. Die Tagesdosis von Ziconotid liegt zwischen 2 bis zu 27 µg/d. Schlussfolgerung: Ziconotid ist eine interessante pharmakologische Substanz als Alternative zu Morphin für die intrathekale Schmerztherapie. Aufgrund des biochemischen Profils ist eine sensible Testphase und Dosisfindung, auch aufgrund des Nebenwirkungsprofils, notwendig. Die Durchführung einer randomisierten, prospektiven Studie bei einem gut definierten Patientenkollektiv mit Vergleich der intrathekaDer Schmerz Supplement 1 · 2010
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Abstracts len Anwendung von Morphin oder Ziconotid erscheint dringend notwendig. P14.2 Partielle Katheterdiskonnektion als Komplikation einer intrathekalen Therapie – Case report T. Reck, B. Meyer, W. Schleinzer Schweizer Paraplegiker Zentrum, Nottwil, Schweiz Einleitung: Die Therapie mit implantierten Pumpensystemen zur intrathekalen Medikamentenabgabe ist sowohl zur Schmerztherapie als auch zur Spastiktherapie anerkannt. Spastik ist ein häufiges Problem bei Patienten mit Rückenmarksverletzungen oder -erkrankungen und konsekutiven Querschnittsyndromen. Eine mögliche Therapie ist die Gabe von Baclofen. Bei oraler Unverträglichkeit oder dem Auftreten nicht-akzeptabler Nebenwirkungen ist die intrathekale Gabe mittels implantierbarer Medikamentenpumpe die Therapie der Wahl. Wir berichten über einen tetraplegischen Patienten mit langjähriger zufriedenstellender Spastikeinstellung mittels intrathekaler BaclofenApplikation, bei dem es ohne erkennbare äussere Einwirkung zu einer partiellen Diskonnektion zwischen Pumpe und Katheter kam. Patient: Männlich, 58 Jahre, sensomotorisch inkomplette Tetraplegie sub C6 seit 1969 nach Luxationsfraktur HWK5/6. Implantation einer Medikamentenpumpe zur intrathekalen Baclofengabe 1994 bei Spastik, Wechsel der Pumpe 1999 und 2006 wegen Batteriealarm. Verlauf: Suffiziente Spastikeinstellung mit gleich bleibender Dosierung (500 mcg Baclofen pro Tag) bis Januar 2009. Ab Januar 2009 klagte der Patient über zunehmende Spastik im Abdominalbereich sowie im rechten Bein. Weder die Steigerung der Dosierung noch eine Umstellung von einer kontinuierlichen Gabe auf eine Flex-Einstellung konnte eine Progredienz der Spastik verhindern. Bei Gabe repetitiver Baclofen-Boli zeigte sich jedoch eine zeitweilige Beeinflussbarkeit der Spastik. Bei der Pumpensystemkontrolle fand sich, dass der intrathekale Katheter nicht rückläufig war, auch zeigt sich nach Kontrastmittelgabe kein KM im Spinalkanal. In der seitlichen Ansicht wurde jedoch eine Kontrastmittelansammlung hinter der Pumpe sichtbar. Diskussion: Diskonnektionen zwischen einer implantierten Medikamentenpumpe und dem zugehörigen Katheter sind in der Literatur bereits häufig beschrieben worden. Diese Diskonnektionen können entweder an der Verbindungsstelle des Katheters mit der Pumpe oder, bei zweiteiligen Kathetern, im Katheterverlauf vorkommen. Charakteristisch ist jedes Mal sowohl, dass sich kein Liquor aspirieren lässt, als auch, dass appliziertes Kontrastmittel nicht im Spinalkanal zu sehen ist. In dem hier beschriebenen Fall wurde die Situation durch zwei Umstände erschwert: Zum einen muss eine nur partielle Diskonnektion postuliert werden, da die Gabe eines Baclofen-Bolus regelhaft zu einer Besserung der Spastiksymptomatik geführt hat. Zum anderen besteht die Diskonnektion an der Verbindung zwischen Katheter und Pumpe und es kommt zu einer Kontrastmittelansammlung hinter der Pumpe, was radiologisch nur schwer zu detektieren ist. Zusammenfassend muss festgehalten werden, dass bei gemeinsamen Auftreten von eigentlich widersprüchlichen Symptomen beziehungsweise Befunden auch eine eher seltene Komplikation, wie in diesem Fall eine partielle Katheterdiskonnektion, in Betracht gezogen werden muss. P14.3 Generikum ist nicht gleich Original – Das Risiko von Dose Dumping durch Alkohol C. Leuner1, G. Heun1, M. Frodl1, M. Walden2, D. Prater2, K. Reimer1 1 Mundipharma Research GmbH & Co. KG, Limburg, 2Mundipharma Research Ltd, Cambridge, Großbritannien Fragestellung: Als „Dose Dumping“ wird eine unbeabsichtigte, schnelle Freisetzung einer signifikanten Wirkstoffmenge aus einer
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retardierten Arzneiform innerhalb kurzer Zeit bezeichnet. Auslöser dieses Effekts können z. B. Nahrungsaufnahme bzw. pH-Wert-Veränderungen in Magen bzw. Dünndarm sowie die Anwesenheit von Alkohol sein. Durch Alkohol bedingte veränderte Freisetzungseigenschaften von Retardgaleniken können zu unkontrolliert hohen Plasmaspiegeln führen, die insbesondere bei starken Opioiden gravierende Folgen haben könnten, von Atemdepression bis hin zum Atemstillstand mit letalem Ausgang. Ziel dieser Studie war die Untersuchung des Effekts von unterschiedlichen Ethanolkonzentrationen auf die in vitro Freisetzung von retardierten Hydromorphon (HDM) Präparaten. Material und Methode: Untersucht wurden unterschiedliche Stärken des HDM Original Präparates Palladon® Retardkapseln sowie neu eingeführte generische HDM Retardtabletten der Firmen Ratiopharm und AWD. Die Untersuchung erfolgte mit einer Blattrührerapparatur nach Europäischem Arzneibuch. Die Freisetzungsuntersuchungen erfolgten in simuliertem Magensaft ohne Pepsin (SGFsp), ohne Ethanol oder mit einer Konzentration von 4, 8, 12, 16, 20, 24, 28, 32, 36 oder 40 % Ethanol. Proben wurden nach 10, 30, 60, 90 und 120 Min. entnommen und mittels HPLC analysiert. Ergebnisse: Palladon® Retardkapseln zeigen in Ethanolkonzentrationen bis zu 20 % eine Reduktion der Freisetzung. Die Freisetzung des Wirkstoffs ist z. B. nach 2 h etwa halbiert. Mit steigenden Ethanolkonzentrationen kehrt sich dieser Trend um und erreicht bei 32 % Ethanol etwa das Ausgangsniveau. Nur mit extrem hohen Alkoholkonzentration von 36 % und 40 % wird die Freisetzung im Vergleich zur Freisetzung ohne Ethanol beschleunigt, jedoch ohne ein echtes Dose Dumping zu zeigen. Die untersuchten HDM Produkte der Generikaunternehmen zeigen mit ansteigenden Ethanolkonzentration über den Bereich von 0 % bis 32 % einen kontinuierliche Zunahme der Freisetzung. So stieg die Freisetzung nach 2 h bei 12 % Ethanol auf ca. 40 %, den doppelten Wert im Vergleich zum Ausgangsniveau von ca. 20 %. Mit 20 % Ethanol kam es zu einer weiteren signifikanten Beschleunigung der Wirkstofffreigabe auf ca. 70 %, bei 32 % Ethanol sogar auf ca. 90 %. Diskussion: Die vorliegenden Daten zeigen klar, dass Alkohol die Freisetzung der untersuchten HDM Präparate beeinflusst. Da Palladon® Retard ein Absinken der Freisetzung und nur bei extrem hohen Alkoholkonzentrationen eine Beschleunigung der Freisetzung ohne “Dose Dumping” zeigt, ist dieses Produkt als robust in der Gegenwart von Alkohol zu bezeichnen. Die generischen HDM Präparate zeigen schon bei moderaten Alkoholkonzentrationen einen signifikanten Anstieg der Freisetzung und mit einer Ethanolkonzentration von 24 % Alkohol ist mit ca. 90 % Freisetzung nach 2 Stunden schon fast die gesamte für 12 Stunden geplante Wirkstoffmenge freigesetzt. P14.4 Pharmakokinetisches Profil im Steady State von retardiertem OROSHydromorphon und schnell freisetzendem Hydromorphon K. Moore1, D. St Fleur2, N. Marricco2, J. Ariyawansa1, V. Pagé2, J. Natarajan1, G. Morelli2, U. Richarz3 1 Johnson& Johnson, Titusville, 2MDS Pharma Services, Quebec, Kanada, 3 Janssen-Cilag AG, Baar, Schweiz Hydromorphon ist ein starkes Opiodanalgetikum für die Therapie von mäßigen und starken Schmerzen. Eine oral osmotische (OROS®) Darreichungsform zur einmal täglichen Einnahme ist in Deutschland seit 2006 verfügbar. Fragestellung: Die vorliegende Studie verglich die pharmakokinetischen Profile von Hydromorphon im Steady State nach der oralen Gabe von 16 mg OROS-Hydromorphon retardiert und 4 mg schnell freisetzendem Hydromorphon 4-mal täglich. Material und Methode: 29 gesunde erwachsenen Probanden (männlich und weiblich) beendeten diese randomisierte, offene, 2 phasige Crossover-Studie, in der jeder Proband nacheinander über 5 Tage ein Dosierschema von retardiertem OROS-Hydromorphon einmal täglich und eines mit schnell freisetzendem Hydromorphon erhielt. Die tägliche Gesamtdosis war in beiden Studienphasen gleich. Die Studien-
phasen waren von einer 7 – 14 tägigen Auswaschphase unterbrochen. Alle Studienteilnehmer erhielten Naltrexon-HCL zur Antagonisierung der Opioidwirkungen. Blutproben für die PK Bestimmungen wurden bis zu 120 Stunden nach der Einnahme entnommen. Alle Probanden unterzeichneten die von einer unabhängigen Ethikkommission genehmigte Patienteneinverständniserklärung. Ergebnisse: Die durchschnittlichen Plasmakonzentrations-Zeit-Kurven von Hydromorphon zeigten, dass OROS Hydromorphon am Tag 4 eine Steady-State Konzentration erreichte, die der des schnellfreisetzende Hydromorphon entsprach, dabei jedoch geringere Plasmaspiegelschwankungen aufwies. Das Verhältnis der geometrischen Mittelwerte der Areas under the curve AUCO1zwischen den Einnahmen betrug 105 % mit einem 90 % Konfidenzintervall, und lag damit innerhalb der Bioäquivalenzkriterien von 80-125 %. OROS Hydromorphon zeigte eine mittlere Fluktuation (peak to trough) von 61 % vs. 172 % bei der schnell freisetzenden Hydromorphonformulierung. Schlussfolgerung: Die Hydromorphonkonzentrationen von OROS Hydromorphon im Steady state lagen bei Verabreichung der gleichen Tagesdosis in einem vergleichbaren Bereich wie die des schnell freisetzenden Hydromorphons. Beide Behandlungen wurden bei begleitender Naltrexon-Gabe von diesen gesunden Probanden gut vertragen. P14.5 Efffect of single low ketamine doses on acute postoperative pain in females and males following third molar surgery E. Landari1, O. Hustveit1, I. Trumpy2, P. Skjelbred2, L. Skoglund1 1 Faculty of Dentistry University of Oslo, 2Oslo University Hospital (Ullevaal), Oslo, Norwegen Introduction: Ketamine is a dissociative anaesthetic which in low doses acts as an analgesic drug on different pain types. It is important to validate dose-response data for the analgesic effect of low ketamine doses especially compared to its side-effect profile. To our knowledge the dose-response profile of different low ketamine doses on acute postoperative pain in females versus males has not been established. The aim of the study was to test different single ketamine doses on female and male patients suffering from postoperative pain following third molar surgery. Methods: This pilot trial was done as a randomized, double-blind, parallel group study consisting of 128 non-paid Caucasian patients of both sexes with a mean age 24 years (range 19-31 years). The patients volunteered after being explained the nature and purpose of the study. Entry level was moderate pain intensity (PI) defined as = or > 4 on a numerical rating scale (0-10 NRS) following third molar surgery. Norwegian ethical committee approval S-04303. The patients were randomly allocated according to gender in 8 groups (n=16) to receive different single doses of racemic ketamine i. v. Treatments consisted of ketamine 0.5 mg/kg b. w., 0.3 mg/kg b. w., 0.1 mg/kg b. w., and placebo (saline only) to females and males. All test drugs were administered as 5 ml bolus injection over 2 minutes. Primary outcome variable was sum PI (SUMPI) for an observation period of 30 minutes. In case of missing data or rescue drug intake the last valid PI score was carried forward. Data were analyzed by one way ANOVA with post hoc tests (Bonferroni). Analysis between genders was done with independent samples T-test. Results: Statistical analysis showed that among females SUMPI over 30 minutes after 0.5 mg/kg ketamine was not significantly different (P > or = 0.05) from that after 0.3 mg/kg, but was significantly lower (0.05) than SUMPI after 0.1 mg/kg. SUMPI after all active doses in females were significantly lower than that after placebo. In males 0.5 mg/ kg ketamine was not significantly different from 0.3 mg/kg or 0.1 mg/ kg. 0.3 mg/kg ketamine was not significantly different from 0.1 mg/kg. Both 0.5 mg/kg and 0.3 mg/kg ketamine were significantly different from placebo. Ketamine 0.1 mg/kg was not significantly different from placebo. Analyses between genders showed apparently no significant difference between SUMPI of equal doses of ketamine.
Discussion: The trial indicates that there is an apparently more pronounced dose response profile of the analgesic effect of i. v. ketamine in low doses within females than in males. This argument is supported by analysis of rescue drug intake (data not shown) for each group. For this secondary variable little variation was shown between the groups when males were treated. An expected variation reflecting observed differences in the analgesic effect of the different ketamine doses was seen in females. It may be argued against this trial that the results may have been influenced by the relatively low number of patients within each group. Another factor explaining the results may be that ketamine causes more psychotomimetic effects in males than in females. Conclusion: The trial indicates that there may be differences between females and males with respect to the analgesic effect of i. v. ketamine in low doses. This possible gender difference may have clinical impact on the pain being treated in a clinical setting. P14.6 Isolierte partielle Small-Fiber-Blockadenach topischer Applikation von Lidocain (5 %) E. Krumova, M. Zeller, A. Westermann, C. Maier Berufsgenossenschaftliches Universitätsklinikum Bergmannsheil GmbH, Bochum Einleitung: Die topische Applikation von Lidocain (5 %) stellt eine wirkungsvolle Alternative zur systemischen Pharmakotherapie von neuropathischen Schmerzen dar, verbunden mit einem geringen Nebenwirkungsprofil [1]. Jedoch profitieren Patienten mit der gleichen Schmerzerkrankung in unterschiedlichem Maße von dieser Therapieform, was möglicherweise durch verschiedene sensorische Profile im schmerzhaften Areal bedingt ist [2,3]. Zur Vorbereitung einer Studie über mechanismenbasierte Therapie wurde zunächst bei gesunden Probanden geprüft, welche Nervenfaserfunktionen am deutlichsten durch das topisch applizierte Lidocain (5 %) beeinträchtig wird. Methodik: In einer randomisierten placebo-kontrollierten Studie wurden 26 gesunde Probanden (36,9±12,5 Jahre; weiblich: n=12) eingeschlossen. Quantitativ sensorische Testung (QST) wurde gemäß des DFNS-Protokolls (Deutscher Forschungsverbund Neuropathischer Schmerz, [4]) zweimalig vor (Baseline, sowie Pre-Messung) sowie nach 6-stündiger Applikation von Lidocain-Pflaster (5 %, 16cm2) oder Placebo am Unterarm durchgeführt (Post-Messung). Statistik: Z-Wertberechnung, gepaarter t-Test, Häufigkeitsanalysen (SPSS). Ergebnisse: 6 Stunden nach topischer Lidocainapplikation fand sich eine signifikante Verschlechterung der Kälte- (Verum: pre: 30,7±0,8°C vs. post: 24,9±7,9°C; Placebo: pre: 30,8±0,6°C vs. post: 30,5±1,1°C) und Wärmewahrnehmung (Verum: pre: 33,9±1,1°C vs. post: 36,9±3,9; Placebo: pre: 33,8±0,8°C vs. post: 33,8±0,7°C) ohne Veränderung der taktile Wahrnehmungsschwelle. Zusätzlich waren die Schwellen für Kälte (Verum: pre: 15,6±9,4°C vs. post: 11,3±9,1°C; Placebo: pre: 16,6±8,8°C vs. post: 15,8±9,3°C) und für Pinprickreize (Verum: pre: 37,2±18,3mN vs. post: 102,4±132,7mN; Placebo: pre: 40,7±28,5mN vs. post: 34,9±24,2mN) signifikant erhöht und die die mechanische Schmerzsensitivität (Verum: pre: 1,32±2,41 vs. post: 0,82±1,65; Placebo: pre: 1,42±3 vs. post: 1,3±2,1) signifikant erniedrigt. Nach Lidocainapplikation fand sich in 65 % eine mindestens zweifach höhere Schwelle für Kälte, in 48 % – für Wärme und in 46 % – für Pinprickreize. Dagegen waren in 4 Fällen (15 %) die thermischen Schwellen sowie die mechanische Schmerzschwelle nahezu unverändert trotz 6-stündiger Lidocainwirkung. Schlussfolgerung: Topische Lidocainapplikation induziert bei gesunden Probanden einen weitgehend isolierten A-delta- und C-Faserblock im untersuchten Areal, der allerdings lediglich partiell und interindividuell unterschiedlich ausgeprägt ist. Folglich sollte in Folgestudien geprüft werden, ob Patienten mit isolierten A-delta- oder C-Faser-generierten Schmerzen trotz partiellen Funktionsverlustes am ehesten durch die topische Lidocainapplikation profitieren. Die antihyperalgetische Wirkung konnte mit diesem Modell nicht geprüft werden. Der Schmerz Supplement 1 · 2010
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Abstracts [1] Meier et al., Pain 2003.106: 151-158; [2] Wasner et al., J Neurol 2005.252: 677-686; [3] Herrmann et al., Muscle Nerve 2006.33: 42-48; [4] Rolke et al. Pain 2006.123: 231-43 P14.7 Entzündungs- und schmerzhemmende Wirkung von Pseudoephedrin B. Fiebich1, F. Caballe2, J. Collado2, T. Rose3, E. Muñoz2, M. Bellido2 1 Universitätsklinikum Freiburg, 2Universidad de Córdoba. Facultad de Medicina, Córdoba, Spanien, 3VivaCell Biotechnology GmbH, Denzlingen Pseudoephedrin (PSE) ist ein Stereoisomer des Ephedrin und wirkt als adrenerger Agonist im Wesentlichen auf die alpha Adrenorezeptoren. PSE wird häufig in Erkältungsmitteln eingesetzt, allerdings sind die Mechanismen seiner entzündungs- und schmerzhemmenden Wirkung noch weitgehend unverstanden. In dieser Arbeit beschreiben wir zum ersten Mal eine Wirkung von PSE auf die T-Zell Aktivierung bzw. auf die Arachidonsäurekaskade in Mikrogliazellen, den Immunzellen des Gehirns. Wir konnten zeigen, dass PSE die Expression von Interleukin-2 (IL-2) and Tumor Nekrose Faktor alpha (TNF?) in stimulierten Jurkat-Zellen, eine humane T-Zell Leukämie-Zelllinie, hemmt. Für eine weitere Charakterisierung der entzündungshemmenden Mechanismen auf Transkriptionsebene, wurde die Wirkung von PSE auf die Aktivität der Transkriptionsfaktoren nuclear factor-kappaB (NF-kappaB), nuclear factor of activated T-cells (NFAT) und activator protein 1 (AP-1) untersucht. Dabei konnten wir nachweisen, dass PSE die NF-?appaBabhängige transkriptionelle Aktivität hemmt, ohne dabei die Phosphorylierung bzw. Degradation des zytoplasmatischen NF-?appaB-hemmenden Faktors, IkappaBalpha bzw. die DNA Bindung von NF-kappaB zu beeinflussen. Dagegen wurde die Phosphorylierung der p65/ RelA Untereinheit von NF-kappaB in den stimulierten Jurkatzellen gehemmt. Darüber hinaus hemmt PSE die transkriptionelle Aktivität von NFAT. NFAT kooperiert häufig mit c-Jun, um Zielgene zu aktivieren. Wir konnten nachweisen, dass PSE die JNK Aktivierung sowie die AP-1 Aktivität hemmt. In Mikrogliazellen hemmt PSE den Schmerzbotenstoff Prostaglandin E2 (PGE2). Die diesem Effekt zu Grunde liegenden Mechanismen sind allerdings noch unbekannt und sollen in weiteren Untersuchungen aufgeklärt werden. Unsere Daten zeigen neue Wirkungsweisen von PSE und unterstützen auf molekularer Ebene das klinisch beobachtete entzündungs- und schmerzhemmende Potential von PSE in Kombination mit Analgetika zur Behandlung von erkältungsbedingten Symptomen. P14.8 Unterschiedliche Beteiligung opioiderger und noradrenerger Mechanismen an der antinozizeptiven und antiallodynischen Wirksamkeit von Tapentadol in Rattenmodellen nozizeptiver und neuropathischer Schmerzen W. Schroeder, J. De Vry, T. Tzschentke, U. Jahnel, T. Christoph Grünenthal GmbH, Aachen Hintergrund: Die Aktivierung des µ-Opioidrezeptors (MOR) und die Hemmung der Noradrenalin (NA)-Wiederaufnahme sind allgemein anerkannte analgetische Prinzipien bei akuten und chronischen Schmerzzuständen. Das neuartige Analgetikum Tapentadol kombiniert MOR-Agonismus und NA-Wiederaufnahme-Hemmung in einem einzigen Molekül und zeigt in verschiedenen Schmerzmodellen an Nagetieren eine potente analgetische Wirkung. Diese Studie untersuchte die Beteiligung opioiderger und monoaminerger Mechanismen an der Aktivität von Tapentadol in Rattenmodellen nozizeptiver und neuropathischer Schmerzen. Material und Methode: Die antinozizeptive Wirkung wurde aus den Latenzzeiten, mit denen ahnungslose Tiere ihren Schwanz von einem Hitzestrahl (48ºC) zurückzogen, abgeleitet. Die antiallodynische Wirksamkeit wurde in einem Spinalnervligatur-Modell zu mononeuro-
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pathischen Schmerzen von den ipsilateralen Schwellen für das Wegziehen der Pfote gegen ein elektronisches von Frey-Filament abgeleitet. Dosis-Antwort-Kurven von Tapentadol (intravenös) wurden in Kombination mit einem Vehikel oder einer fixen Dosis (intraperitoneal verabreicht) des MOR-Antagonisten Naloxon (1 mg/kg), des a2noradrenergen Rezeptorantagonisten Yohimbin (2,15 mg/kg) und des Serotonin (5-HT2)- Rezeptorantagonisten Ritanserin (0,316 mg/kg) ermittelt. Ergebnisse: Tapentadol zeigte deutliche antinozizeptive und antiallodynische Effekte (> 90 %ige Wirksamkeit) mit mittleren Effektivdosis (ED50)-Werten von 3,3 respektive 1,9 mg/kg. Hinsichtlich der beiden Schmerzindikationen wurde ein charakteristischer relativer Beitrag der beiden Wirkmechanismen von Tapentadol beobachtet. Während der antinozizeptive ED50-Wert von Tapentadol durch Naloxon (ED5021,2 mg/kg) 6,4-fach verschoben wurde, entstand durch Yohimbin (ED505,6 mg/kg) lediglich eine 1,7-fache Verschiebung. Der antiallodynische ED50-Wert wurde durch Yohimbin (ED508,9 mg/kg) 4,7fach verschoben, wohingegen es durch Naloxon (ED505,2 mg/kg) nur zu einer 2,7-fachen Verschiebung kam. Ritanserin, das in einer Dosis getestet wurde, die die Effekte der 5-HT-Wiederaufnahme-Hemmer Citalopram und Venlafaxin aufhebt, führte nicht zu einer Verschiebung der antinozizeptiven und antiallodynischen ED50-Werte von Tapentadol. Schlussfolgerungen: Die Studie lässt den Schluss zu, dass sowohl die Aktivierung des MOR- als auch des a2-noradrenergen Rezeptors an der analgetischen Wirkung von Tapentadol beteiligt sind. Die relative Beteiligung hängt allerdings von der jeweiligen Schmerzindikation ab, da der MOR-Agonismus in erster Linie für die antinozizeptiven Effekte, die NA-Wiederaufnahme-Hemmung hingegen für die antiallodynischen Effekte von Tapentadol verantwortlich ist.
P16 – Multimodale und andere Therapieverfahren II P16.1 Langfristiger Therapieerfolg einer multimodalen Schmerztherapie am UniversitätsSchmerzCentrum in Dresden – Auswertungen zur 2-Jahres-Katamnese A. Schütze1, U. Kaiser1, K. Große1, M. Schiller1, B. Konrad2, P. Gerhardt1, U. Ettrich3, R. Scharnagel1, G. Goßrau4, R. Sabatowski1 1 UniversitätsSchmerzCentrum, Dresden, 2UniversitätsPhysiotherapieZentrum, Dresden, 3Klinik und Poliklinik für Orthopädie, Dresden, 4Klinik und Poliklinik für Neurologie, Dresden Hintergrund: Ca. 6 Millionen Menschen in Deutschland leiden an chronischen Schmerzen. Dabei stellen Rückenschmerzen die häufigste, Kopfschmerzen die zweithäufigste Schmerzform dar. Die multimodale Schmerztherapie hat sich als effektive und wissenschaftlich fundierte Therapieform für die Behandlung chronischer Schmerzen etabliert. Jedoch existieren bisher nur wenige Studien zur Langzeitwirkung interdisziplinärer, multimodaler Programme. Methodik: Auf der Basis eines multimodalen Konzeptes, welches auf dem bio-psycho-sozialen Schmerzmodell beruht, wurden Patienten mit verschiedenen Formen chronischer Schmerzen nach einem standardisierten Vorgehen zunächst über 4 Wochen, gefolgt von einer ergänzenden Therapiewoche (Boosterwoche) nach 3 Monaten, tagesklinisch behandelt. Untersuchungen der Lebensqualität (SF-36), der Schmerzintensität (NRS), der affektiven Schmerzempfindung (SES), der schmerzbedingten Beeinträchtigung (PDI), Angst und Depression (HADS-D) sowie Coping Strategien (CSQ) fanden zu Beginn des Aufenthaltes (T1), nach 1 (T2), 3 (T3), 6 (T4), 12 (T5) und 24 (T6) Monaten standardisiert statt. In dieser Analyse wurden nur die Daten der Zweijahreskatamnese berücksichtigt. Die Ergebnisse wurden auf einem Niveau von p=0.05 als signifikant angesehen. Zusätzlich wurden Effekt-
stärken (ES) berechnet. Die statistischen Analysen wurden mittels SPSS-17® durchgeführt. Ergebnisse: Insgesamt füllten 136 Patienten (mittleres Alter 51 Jahre; Geschlecht: 80 % weiblich; Behandlungszeitraum 2006-2007) die Fragebögen zu allen sechs Messzeitpunkten aus. Alle untersuchten Parameter zeigten statistisch signifikante Verbesserungen nach zwei Jahren im Vergleich zu den Eingangsdaten (T1 vs. T6). Die größten Veränderungen fanden sich dabei im Bereich der Schmerzstärke. Die durchschnittliche (T1-T6: p<0.001, ES 0.71) sowie die maximale Schmerzstärke verringerte sich (T1-T6: p<0.001, ES 0.67). Ebenso reduzierten sich langfristig katastrophisierende Gedanken und Kognitionen (T1T6: p<0.001, ES 0.67). Auch die schmerzbedingte Beeinträchtigung veränderte sich hoch signifikant (p<0.001) mit einer Effektstärke von 0.46. Schlussfolgerung: Die Ergebnisse belegen einen langfristigen Therapieeffekt der multimodalen tagesklinischen Schmerztherapie. P16.2 Subjektive und zentralnervöse Wirksamkeit der Spiegeltherapie bei chronischen Phantomschmerzen nach Armamputation J. Foell, R. Bekrater-Bodmann, H. Flor Central Institute of Mental Health, University of Heidelberg, Mannheim Fragestellung: Schätzungen zufolge leiden bis zu 80 % aller Amputierten in der Folge des Eingriffes unter Schmerzen, die das amputierte Glied betreffen. Bei dem komplexen psychophysiologischen Geschehen dieses als Phantomschmerz bezeichneten Phänomens kommt zentralnervösen Veränderungen eine besondere Bedeutung zu. So ist bekannt, dass nach dem Verlust eines Körperteils Reorganisationen in den sensomotorischen Bereichen des Kortex stattfinden, welche direkt mit dem subjektiven Schmerzempfinden zusammenhängen. Therapien setzen folglich an einer Prävention oder Umkehr dieser dysfunktionalen Veränderungen an. In der hier präsentierten Studie wird untersucht, welche Effekte bei der bereits als wirksam befundenen Spiegeltherapie auf die kortikale Aktivität bei Patienten mit chronischem Phantomschmerz zu beobachten sind. Material und Methode: Bei zehn unilateral Armamputierten mit chronischem Phantomschmerz wurden die Effekte eines vierwöchigen Spiegeltrainings auf die subjektive Schmerzwahrnehmung sowie die neuronalen Veränderungen in den sensomotorischen Arealen betrachtet. Die Spiegeltherapie wurde dabei täglich für 15 Minuten durchgeführt. Parallel dazu machten die Probanden fortlaufend Angaben zu ihrem subjektiven Schmerzerleben. Vor und nach dem Training wurde mittels funktioneller Magnetresonanztomographie (3T Siemens Trio) die zentralnervöse Aktivität in den sensomotorischen Kortizes erfasst, um vor dem Training die vorliegenden kortikalen Veränderungen in Folge der Amputation und nach dem Training die Effekte der Spiegeltherapie zu erfassen. Ergebnisse: Über die Dauer des Spiegeltrainings berichteten die Probanden eine signifikante Reduktion des chronischen Phantomschmerzerlebens, mit Besserungsraten auf Individualebene von bis zu 75 %. Darüber hinaus ließen sich Veränderungen in den neuronalen Aktivitätsmustern des somatosensorischen und des motorischen Kortex zeigen, die mit den subjektiven Daten korrelieren. Diskussion: Die von uns berichteten Ergebnisse replizieren die Befundlage, dass die Spiegeltherapie eine geeignete Methode zur Behandlung von Phantomschmerzen darstellt. Dabei erweitern wir dieses Wissen um die Erkenntnis, dass nicht nur akute, sondern auch chronische Schmerzen durch die Spiegeltherapie positiv beeinflussbar sind. Die damit einher gehenden Ergebnisse zur induzierten neuronalen Reorganisation deuten zudem darauf hin, dass dieses subjektive Empfinden von Hirnveränderungen begleitet wird. Weitergehende Untersuchungen sollten sich auf Prädiktoren für einen Therapieerfolg konzentrieren. Schlussfolgerung: Die hier vorgestellten Ergebnisse erweitern die bisherigen Erkenntnisse über die dem Phantomschmerz zu Grunde liegenden Mechanismen und erlauben Aussagen über neuronale Kor-
relate und Wirksamkeit der Spiegeltherapie auch bei chronischen Schmerzpatienten. P16.3 Evaluierung des neuen Kerncurriculums für die Lehre der Schmerztherapie in einem Querschnittsfach M. Heurich, J. Hirschberger, A. Kopf Charite Campus Benjamin Franklin – Berlin Fragestellung: In der seit 2003 geltenden Approbationsordnung für Ärzte ist die Schmerztherapie als eigenständiges Unterrichtsfach nicht vorgesehen. Daraufhin wurde im Februar 2008 von der DGSS ein „Kerncurriculum Schmerztherapie für die Lehre“ mit dem Ziel eingeführt, ein Basiswissen in Allgemeiner Schmerztherapie zu vermitteln. An der Charité Universitätsmedizin Berlin wurde dieses Kerncurriculum im Rahmen eines neu implementierten Querschnittfachs Schmerztherapie (QF 13) erstmalig praktisch umgesetzt. Dieser Kurs beinhaltet fünf Vorlesungen (45 Minuten) und fünf Unterrichtseinheiten am Krankenbett (90 Minuten). Ziel dieser Untersuchung war, zu überprüfen, wie effektiv die Lerninhalte des Kerncurriculums innerhalb dieses Kurses vermittelt werden konnten. Eine erfolgreiche Reproduzierbarkeit der Lerninhalte sollte als erfüllt angesehen werden, wenn mindestens 60 % der Fragen richtig beantwortet werden würden (1. Hypothese). Als 2. Hypothese sollte überprüft werden, ob – wie in Vorstudien – Studentinnen bessere Resultate erzielen. Material und Methode: Studierende des vierten klinischen Semesters wurden gebeten, im Anschluss an die Abschlussprüfung des QF Schmerztherapie (OSCE-Prüfung) einen Fragebogen auszufüllen. Die Teilnahme war freiwillig und anonym. Der Fragebogen umfasste 13 Fragen zu folgenden essentiellen Lernzielen: vier Hauptsyndrome (Tumor-, Akut-, neuropathischer- und chronifizierter Schmerz), Schmerzpathophysiologie, Schmerzmessung und Schmerzanamnese. In 6 Zusatzfragen wurde die Teilnahme an Lehrveranstaltungen sowie die subjektive Einschätzung der Studierenden hinsichtlich ihrer Prüfungsvorbereitung und ihrer Kompetenz zur Behandlung von Schmerzpatienten erfragt. Ergebnisse: 271 von 313 Studierenden (86,6 %) füllten den Fragebogen vollständig aus. Fragen zum WHO-Stufenschema (75 %), Opioid-Nebenwirkungen (82 %), Interventionsgrenzen bei postoperativen Schmerzen (61 %), Schmerzanamnese (69 %) und Schmerztherapie bei Kindern (83 %) wurden von über 60 % der Befragten richtig beantwortet. Die übrigen Ergebnisse der richtigen Antworten lagen zum Teil deutlich niedriger (2,5-50 %). Es zeigten sich nur sehr geringe Unterschiede in der Beantwortung der Fragen zwischen den Geschlechtern. 37 % der Studierenden gaben an, mindestens zwei Vorlesungen zur Schmerztherapie besucht zu haben. Dagegen gaben 59 % der Befragten an, das angebotene e-learning-Programm durchgearbeitet zu haben. Nur 34 % der Studierenden fühlten sich gut auf die Abschlussprüfung vorbereitet. Diskussion: Die 1. Hypothese der Studie, dass 60 % der Studierenden die Fragen zu den Lernzielen vollständig beantworten würden, wurde nicht erfüllt. Das unter den Erwartungen liegende Abschneiden der Studierenden könnte daran liegen, dass in dem neu gebildeten QF Schmerztherapie zu wenige Lehrstunden eingeplant sind im Vergleich zu den sehr umfangreichen Lernzielen des Kerncurriculums und dass das interdisziplinäre Lehren mit einer Vielzahl von Dozenten nicht in der Lage war, den Wissenskanon des Kernkurriculums zu vermitteln. Schlussfolgerung: Zusammenfassend wird deutlich, dass einige Teilaspekte der Schmerztherapie innerhalb des neu gebildeten Querschnittfaches bereits gut vermittelt werden konnten, jedoch zukünftig weitere Anstrengungen unternommen werden sollten, um die Vermittlung der Lernziele des Kerncurriculums noch zu verbessern.
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Abstracts P16.4 Schulische schmerzbezogene Beeinträchtigung – Schulleistungen von Kindern und Jugendlichen mit chronischen Schmerzen L. Hölscher, T. Hechler, J. Wager, R. Hartmann, M. Blankenburg, B. Zernikow Vodafone Stiftungsinstitut für Kinderschmerztherapie und pädiatrische Palliativmedizin, Datteln Fragestellung: Kinder und Jugendliche mit chronischen Schmerzen sind in dem zentralen Lebensbereich Schule durch ihre Schmerzen häufig stark beeinträchtigt. Dies wurde bisher durch eine hohe Anzahl an Schulfehltagen belegt. Die Schulleistungen selbst wurden bisher kaum wissenschaftlich betrachtet. Ziel dieser Studie ist daher die Untersuchung des Verlaufs der Schulleistungen für eine klinische Stichprobe chronisch schmerzkranker Kinder und Jugendlicher nach erfolgter stationärer Behandlung. Des Weiteren soll untersucht werden, inwieweit Schmerzparameter wie Schmerzcharakteristika, aber auch kognitive und emotionale Faktoren mit der Veränderung der Schulleistung assoziiert sind. Material und Methode: Die Daten basieren auf einer Stichprobe von 38 stationär behandelten Kindern und Jugendlichen. Bei Aufnahme auf unsere Station füllten die Kinder die Standard-Fragebögen (u. a. den Deutschen Schmerzfragebogen für Kinder und Jugendliche) zur Erfassung der Schmerzcharakteristika und demographischer Variablen, ihrer schmerzbezogenen Beeinträchtigung und ihrer Ängstlichkeit und Depressivität aus. Außerdem durchlief jedes Kind einen Intelligenztest. Jeweils nach 3 und 18 Monaten wurden die oben genannten Fragebögen postalisch an die Kinder gesandt. Nach 18 Monaten wurde außerdem um die Zusendung von Kopien der letzten 5 Zeugnisse gebeten. Ergebnisse: Die Schulfehltage verringerten sich nach der Therapie und zudem verbesserten sich die Schulleistungen signifikant. Regressionsanalysen zu Vorhersage der Verbesserung der Schulleistungen zeigten Varianzaufklärung durch unterschiedliche Schmerzparameter. Unter anderem wurde ein signifikanter Einfluss von Reduktion der maximalen Schmerzintensität auf die Verbesserung der Schulleistungen deutlich. Diskussion: Schmerzparameter haben einen Einfluss auf die Verbesserung der Schulleistung von Kindern mit chronischen Schmerzen nach erfolgter stationärer Therapie. Diese Ergebnisse vervollständigen das Verständnis von chronischen Schmerzen – speziell schmerzbezogener Beeinträchtigung – bei Kindern und Jugendlichen. Chronischer Schmerz scheint über die Schmerzintensität und assoziierte Emotionen zu einer Verschlechterung der Schulleistung zu führen. Zukünftige Studien sind notwendig, um diesen Wirkmechanismus genauer zu beleuchten und damit Behandlungsstrategien entsprechend anzupassen. P16.5 Ambulante einwöchige intensive multimodale Therapie chronischer Rückenschmerzen am Zentrum für Schmerzmedizin, Nottwil – Erfahrung nach 2 Jahren T. Reck, W. Dumat, K. Wild, P. Brem, W. Schleinzer Schweizer Paraplegiker Zentrum, Nottwil, Schweiz Ziel: An vielen Zentren zur Behandlung chronischer Schmerzen werden ambulante oder tagesstationäre Programme zur multimodalen Therapie chronischer Schmerzen durchgeführt. Vor zwei Jahren wurde am Zentrum für Schmerzmedizin, Nottwil ein ambulantes Programm zur intensiven multimodale Therapie chronischer Rückenschmerzen gestartet. Dieses Programm ist mit einer Therapiedauer von einer Woche im Vergleich mit anderen Angeboten im deutschsprachigen Raum verhältnismässig kurz. Wir präsentieren die Ergebnisse der Evaluation nach zwei Jahren Erfahrung. Methode: Acht Patienten werden nach fachübergreifendem Assessment in die Gruppentherapie eingeschlossen. Das einwöchige Therapieprogramm besteht aus physiotherapeutischen Massnahmen (Verbesserung der Körperwahrnehmung, Vermittlung von aktiven Copingstra-
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tegien, Instruktion vegetativ stabilisierender Massnahmen, insgesamt 12,5 Stunden), Verhaltenstherapie, Entspannungstherapie (16 Stunden), Edukation (4 Stunden) sowie ergotherapeutischer Beratung (1 Stunde). Zusätzlich haben die Patienten die Möglichkeit, bei medizinischen Problemen entsprechende Unterstützung zu erhalten. Die Weiterbetreuung erfolgt durch ambulante Termine im Zentrum für Schmerzmedizin, je nach Indikation mit Schwerpunkt Psychologie, Physiotherapie oder Schmerztherapie. Die Dokumentation des Behandlungsverlaufes erfolgt mittels Fragebogen zu den Zeitpunkten 1 (innerhalb zwei Wochen vor Beginn der Therapiewoche), 2 (unmittelbar nach der Therapiewoche), und 3 (3-Monats Follow-up). Die Auswertung zu einem vierten Zeitpunkt (12-Monats Follow-up) ist aufgrund der noch geringen Zahl an Datensätzen noch nicht aussagekräftig. Eingesetzt werden der Oswestry Disability Index (ODI-D), die Allgemeine Depressions Skala (ADS), der Chronic Pain Acceptance Questionnaire mit seinen Subskalen Aktivitätsbereitschaft (CPAQ-AB) und Schmerzbereitschaft (CPAQ-SB), der multidimensionale Fragebogen zur Einschätzung der Schmerzverarbeitung mit seinen Subskalen „kognitive Bewältigung (FESV-kB) und behaviorale Bewältigung (FESV-bB), sowie die Beschwerdenliste nach von Zerssen (B-L). Ergebnisse: Tab. Vergleich prae – post
Vergleich prä – 3-MFu
ODI-D
n=37
p<0.005
n=31
p<0.05
ADS
n=41
n. s.
n=31
p<0.05
CPAQ-AB
n=42
p<0.005
n=31
p<0.005
CPAQ-SB
n=42
p<0.05
n=31
p<0.005
FESV-kB
n=42
p<0.01
n=31
p<0.005
FESV-bB
n=41
n. s.
n=31
n. s.
B-L
n=34
n. s.
n=31
n. s.
Diskussion: Die vor einigen Jahren propagierte Dauer von 100 Behandlungsstunden scheint wieder vermehrt in Frage gestellt zu werden. Das zeigen die Diskussionen an internationalen Kongressen sowie die erhebliche Unterschiedlichkeit bezüglich der Dauer dieser Therapieprogramme an verschiedenen grossen Einrichtungen. Bei der Auswertung unserer Evaluation zeigte sich bei einer Therapiedauer von einer Woche eine überwiegend signifikante Verbesserung sowohl direkt im Anschluss an die Therapiewoche als auch 3 Monate später. Diese Ergebnisse sprechen dafür, dass eine Wirksamkeit intensiver Therapieprogramme auch mit deutlich weniger Behandlungsstunden erreicht werden kann. P16.6 Kritische Lebensereignisse bei Jugendlichen mit chronischen Schmerzen: Auswirkungen auf den Schmerztherapie-Outcome? K. Bauer1, T. Hechler2, M. Dobe2, M. Hamann2, S. Vocks1, B. Zernikow2 1 Ruhr-Universität-Bochum, 2Vestische Kinder- und Jugendklinik Datteln, Universität Witten/Herdecke, Datteln Theoretischer Hintergrund: Kritische Lebensereignisse bei Erwachsenen können das chronische Schmerzerleben und die daraus resultierende Beeinträchtigung verstärken. Entsprechende Studien an Kindern und Jugendlichen fehlen bis dato. Ungeklärt ist auch, ob betroffene Kinder und Jugendliche einen schlechteren Therapie-Outcome nach erfolgter multimodaler Schmerztherapie zeigen. Unsere Pilotstudie umfasste daher zwei Fragestellungen: Wie stark ist die Belastung mit kritischen Lebensereignissen bei jugendlichen Schmerzpatienten, die stationär behandelt wurden, und hat das Erleben von kritischen Lebensereignissen einen Einfluss auf den Therapie-Outcome? Methode: Mittelsretrospektiver Aktenanalyse wurden kritische Lebensereignisse bei einer Stichprobe jugendlicher Schmerzpatienten (N=127), die bereits
an einer Evaluationsstudie zum Therapieerfolg teilnahmen, erhoben. Der Einfluss auf den Therapie-Outcome nach 3 Monaten wurde mittels Pearson-Korrelation und Partialkorrelation untersucht. Ergebnisse: Die Gesamtbelastung kritischer Lebensereignisse gemessen mit der „Social Readjustment Rating Scale“ (Coddington, 1972) verteilt sich in der Stichprobe normal mit einem Mittelwert der Life Change Units von 419 (SD=168). Mädchen sind signifikant höher belastet als Jungen. Es fanden sich keine signifikanten Korrelationen zwischen dem Therapie-Outcome nach 3 Monaten (schmerzbezogene bzw. und emotionale Variablen) und der Belastung durch kritische Lebensereignisse. Schlussfolgerungen: Die Ergebnisse der Pilotstudie verdeutlichen die Belastung jugendlicher Schmerzpatienten auch durch kritische Lebensereignisse. Die stationäre multimodale Schmerztherapie scheint unabhängig vom Vorliegen kritischer Lebensereignisse gute Ergebnisse zu erzielen. Prospektive Studien sind notwendig, um die Belastung durch kritische Lebensereignisse und deren Zusammenhang zum Schmerzerleben weiter zu untersuchen. P16.7 Schmerzdokumentation im Wandel E. Pioch, W. Seidel Klinik für Manuelle Medizin, Kremmen/Sommerfeld Die Klinik für Manuelle Medizin und Schmerztherapie behandelt ca 2500 Schmerzpatienten in einem multimodalen Programm mit mehreren Therapiepfaden. Die Klinik möchte ihre Daten der Kerndokumentation zur Qualitätssicherung in der Schmerztherapie – KEDOQS Schmerz – auch mit dem Wunsch nach einem Benchmarking für das eigene Haus zur Verfügung stellen. Die Umsetzung eines solchen Vorhabens benötigt ein optimales Zusammenspiel von Technik, Menschen und System. Eine qualitative Analyse des Standes der Schmerzdokumentation in der praktischen Umsetzung für eine Schmerzklinik wird vorgestellt. Fragestellung: Wie hat sich die Schmerzdokumentation aus einem Instrument zur individuellen Diagnostik und Therapieentscheidung zu einem Evaluationsinstrument für die deutsche Schmerzmedizin entwickelt? An welchem Punkt stehen wir, um das Bemühen um einen einheitlichen Deutschen Schmerzfragebogen für die deutsche Schmerzmedizin? Welche Hindernisse und Hürden muss eine Einrichtung bewältigen, um auf eine gemeinsame Kerndokumentation zugehen zu können? Welche Aspekte der Schmerzdokumentation eignen sich als Benchmarking für die Evaluation der Schmerzmedizin? Methode: Es wird eine Analyse der Entwicklung der Schmerzdokumentation für eine große Schmerzklinik der letzten 10 Jahre dargestellt. 3 Etappen unterschiedlicher Implementierungen werden beschrieben. Die sich daraus entwickelnden Problemfelder werden dargestellt und zur Diskussion vorgelegt. Diskussion und Schlussfolgerung: Schmerzdokumentation ist in ständigem Wandel. Zunächst als Instrument zur individuellen Diagnostik und Therapieentscheidung eingesetzt, soll es nun das Benchmarking für die Deutsche Schmerzmedizin unterstützen. Die Ideen gehen weit über die derzeitigen Umsetzungsmöglichkeiten hinaus. Besondere Problembereiche finden sich im Mehraufwand der Datenerfassung für einzelne Abteilungen, in der Akzeptanz durch Patienten und Personal, im Datenschutz, in dem lizenzrechtlichen Umgang mit Dokumentationssystemen und in der Zusammenführung der unterschiedlichen Datensätze eines Hauses.
P16.8 Lässt sich die Visuelle Analog Skala (VAS) bei hoher Akzeptanz & einem erhöhtem Nutzwert zur Führung von Schmerzpatienten auf einem elektronischen Medium implementieren? T. Michalski1, U. Hofmann1, V. Tronnier2, M. Bonsanto2 1 Institut für Signalverarbeitung und Prozessrechentechnik, Universität zu Lübeck, 2Klinik für Neurochirurgie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck Material & Methode: Als elektronisches Medium zur Umsetzung einer papierbasierten VAS (p-VAS) wurde ein Touchscreen Eingabesystem auf Basis eines Smartphone/iPod-Touch gewählt. Programmiert wurde eine Software die einer 1: 1 Umsetzung der Smiley basierten p-VAS entspricht. Die elektronische VAS (e-VAS) zeigt ein Grafical User Interface (GUI), dass bei Fingerkontakt mit einem virtuellen Smiley eine sofortige Veränderung von lachend (0) zu weinend (10) anzeigt. Der im Hintergrund numerisch erfasste & für den Patienten nicht sichtbare Wert, wird dem Patienten zugeordnet & in einer Datenbank abgelegt. Die Werte werden statistisch bearbeitet & für den Therapeuten visualisiert. Neben der VAS können zusätzlich Aktivitätszustände & Ereignis bezogene Medikationen erfasst werden. Das System lässt zwei Anwendungen zu; einen Expertenmodus, bei dem die Daten durch den Therapeuten erfasst & kontrolliert werden. Alternativ einen Patientenmodus, bei dem, zuvor Passwort geschützt, Basisparameter vom Therapeuten eingestellt werden. Das Gerät wird nun vom Patienten mitgeführt & zu frei definierbaren Intervallen, wird der Patient durch einen visuellen u/o. akustischen Alarm zum Betätigen des aufgerufenen Smiley aufgefordert. Die Daten können später zwischen dem Therapeuten & Patienten über gesicherte elektronische Schnittstellen ausgetauscht werden. Optional ist die Datenübertragung an einen PC. Alle Daten werden über einen Advanced Encryption Standard (AES) mit 256 Bit softwareseitig, zusätzlich zum Passwortschutz der Hardware, verschlüsselt. Bei Inaktivität des Gerätes, gemessen über den Bewegungssensor der Hardware, schaltet die Applikation nach einem zu definierenden Intervall den Passwortschutz automatisiert ein. Ergebnisse: Im klinischem Einsatz zeigt die Hardware & Software eine hohe Akzeptanz verbunden mit einem hohen Wiedererkennungswert. Patienten aller Altersstufen bis hin zu geriatrischen Patienten bedienen den elektronischen Smiley intuitiv & komfortabel. Für den Therapeuten entsteht aufgrund der Mobilität des Systems, der intuitiven GUI & der damit abrufbaren Zusatzinformation zum Patienten wie z. B. Schmerzkurvenverlaufs u./o. tabellarische gelistete VAS Werte, ein deutlich erhöhter Nutzwert der e-VAS zu p-VAS. Schlußfolgerung Die elektronische VAS (e-VAS) ermöglicht das Erstellen eines digitalen individualisierten Schmerzprofils und eine optimierte Schmerzpatientenführung. Der Umgang mit Hardware/Software ist für den Therapeuten & Patienten intuitiv erfassbar & im Alltag integrierbar. Die Einbindung der erfassten Daten über eine HL-7 Schnittstelle zu allen Kranken-Haus-Informations-Systemen (KIS) erweitert den zukünftigen Anwendungsradius. Das Szenario kann außerdem dahingehend erweitert werden, dass Schmerzpatienten im Bedarfsfall vom Experten telemedizinisch geführt werden können. P16.9 „Transkranielle Gleichstromstimulation bei experimentellem und klinischem Schmerz – systematischer Review und Metaanalyse“ K. Lüdtke1, A. Rushton2, C. Wright2, B. Geiß1, T. Jürgens1, A. May1 1 Universitätsklinikum Hamburg, UKE, Hamburg, 2University of Birmingham, Großbritannien Abstract Fragestellung: Chronische Schmerzen können gezielt durch Veränderungen zentraler Verarbeitungsprozesse beeinflusst werden. Vor diesem Hintergrund werden seit längerem invasive Verfahren wie die Motorkortexstimulation oder die tiefe Hirnstimulation bei therapierefraktären Schmerzsyndromen eingesetzt.. Aktuelle Studien unterstützen auch den Einsatz von transkranieller Gleichstromstimulation (tDCS) als einer nicht-invasiven Alternative. Ziel dieser systematiDer Schmerz Supplement 1 · 2010
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Abstracts schen Literaturübersicht ist es, die Effektivität von tDCS zur Reduktion von experimentellem und klinischem Schmerz zu erfassen und die wirkungsvollsten Stimulationsparameter zu identifizieren. Material und Methoden: Systematische Literatursuche in den Datenbanken MEDLINE, EMBASE, CAB Abstracts, PsychINFO, Cochrane Register of Controlled Trials, CINAHL, und PeDRO. Erweiterte Suche in den Referenzlisten und Journal-Inhaltsverzeichnissen, sowie in Kongressverzeichnissen. Die Auswahl der Studien erfolgte durch zwei unabhängige Reviewer nach definierten Einschlusskriterien: kontrollierte Studie, erwachsene Teilnehmer, transkranielle Gleichstromstimulation, Schmerz als Outcome-Parameter. Die Qualität der identifizierten Studien wurde anhand der Kriterien des “Cochrane Risk of Bias Assessment” beurteilt. Zudem wurden Studien von ausreichend hoher Qualität einer Metaanalyse unterzogen. Ergebnisse: Insgesamt wurden 11 Studien identifiziert, davon untersuchten 5 Studien experimentellen Schmerz an gesunden Probanden und 6 Studien den Effekt von tDCS auf chronische klinische Schmerzen, wie Fibromyalgie, zentrale Schmerzen nach spinalem Trauma und Trigeminusneuralgie. Experimentelle Schmerzstudien verwendeten eine Vielzahl von Stimulationsparametern und Outcomevariablen, die eine Synthese im Sinne einer Metaanalyse nicht zuließen. Studien zu tDCS bei chronischen Schmerzen verwendeten einheitlich repetitive anodale Stimulation über dem Motorkortex mit einer Intensität von 1-2 mA. Outcome-Variablen waren numerische oder visuelle Ratingskalen. Eine Metaanalyse von 4 Studien ausreichend hoher Qualität zeigte eine Effektstärke von -0.975 mit einem 95 % Konfidenzinterval von -1.547 bis -0.404. Schlussfolgerung: Es besteht limitierte Evidenz, dass anodale tDCS über dem Motorkortex chronische Schmerzsyndrome lindert. Die Effektgröße ist jedoch gering und erreicht nicht die etablierten Mindestwerte für eine klinisch bedeutsame Verbesserung. Experimentelle Schmerzen lassen sich ebenfalls durch tDCS verringern, wobei die wirkungsvollsten Stimulationsparameter nicht einheitlich sind. P16.10 Langzeiteffekt ärztlicher Patientenedukation während einer multimodalen teilstationären Therapie. C. Meile1, C. Geiß1, P. Albert1, L. Dorscht1, A. Ingenhorst1, B. Fraunberger1, R. Sittl1, G. Breuer2 1 Schmerzzentrum, Erlangen, 2Anästhesiologische Klinik, Erlangen Einführung: Die teilstationäre multimodale Schmerztherapie ist ein anerkanntes Konzept der chronischen Schmerztherapie [1]. Ärztliche edukative Elemente spielen hierbei eine wichtige Rolle. Ziel der vorliegenden Pilotstudie ist, die Nachhaltigkeit kognitiver Wissensvermittlung derartiger Programme zu detektieren um später geeignete pädagogisch-didaktische Interventionsmaßnahmen zu deren Verbesserung zu definieren. Methode: Im Rahmen der 3-Jahres-Katamnese wurde neben den üblichen Items zur Psychometrie, Schmerzintensität etc. auch kognitives Wissen in Bezug auf die ärztliche Edukation und eine Selbstbewertung der Patienten zu Nachhaltigkeit und zum Einfluss zwischen Wissensvermittlung und den erarbeiteten Schmerzbewältigungsstrategien erhoben. Zur Fragebogenkonzeption wurden 10 Patienten anhand eines Leitfaden- Interviews im Vorfeld befragt. Wissensfragen wurden als Multiple-Choice-Fragen formuliert und zur subjektiven Selbsteinschätzung eine Likert-Skala von 1 bis 10 verwendet. Ergebnisse: Insgesamt wurden 30 Fragebögen mit je 17 Fragenitems im Zuge der 3-Jahres-Katamnese ausgewertet. Die dabei richtig beantworteten Fragen zu kognitiven Lerninhalten werden in nachfolgender Tabelle prozentual zum Gesamtkollektiv dargestellt: Tab.
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Schmerz-Weiterleitung
58,3
Unterschied Chronisch-Akut
40,7
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Beeinflussbarkeit des Schmerzreizes
54,2
Medikamente bei kardiovaskulärem Risiko
34,6
Medikamente bei Lebererkrankungen
26,9
LWS-Schmerz und Muskeltraining
50,0
Antidepressiva als Schmerztherapie
82,8
Im Gegensatz zu dieser eher schlecht ausgefallenen Wissensprüfung gaben die Patienten in einer Selbstseinschätzung auf einer Skala von 1 bis 10 (1= Kann mich gut erinnern; 10= Kann mich nicht gut erinnern) im Durchschnitt mit 3,9±1,8 (MW±SD) an, sich damit eher überdurchschnittlich gut an verschiedene Inhalte zu erinnern. Besonders gut glaubten die Patienten dabei, sich an die Schmerzentstehung und –weiterleitung zu erinnern. Insgesamt beurteilten die Patienten die Edukation als bedeutsam im Hinblick auf ihren Umgang mit Schmerzen. Auch hier wurde das vermittelte Verständnis zur Schmerzentstehung als besonders hilfreich eingeschätzt (7,8±2,7); (1=kaum hilfreich; 10=sehr hilfreich). Fast die Hälfte der Befragten (46,4 %) wünschten ein durchschnittliches 2-3 stündiges Edukationsangebot pro Woche und 39,3 % sogar 3-4 Stunden für ärztliche Schulungen. Im derzeitigen Curriculum sind lediglich 1-2 Stunden pro Woche vorgesehen. Diskussion / Schlussfolgerung: Die ärztliche Edukation ist ein bedeutsamer und essentieller Therapiebaustein der Therapie chronischer Schmerzen [2]. Durch umfangreiche und individualisierte Patientenedukationen ist ein zusätzlicher Effekt auf die Schmerztherapie zu erwarten. Wir erachten die Integration moderner Konzepte der Lehrund Lernforschung besonders auch für diesen edukativen Bereich als sehr wichtig. Literatur: [1] Mattenklodt et al (2008): Multimodale Gruppentherapie bei Senioren mit chronischen Schmerzen. Konzept und Ergebnisse im PräPost-Vergleich. Der Schmerz 22, 5: 551-561 [2] The British Pain Society: Recommended guidelines for pain management (2007) P16.11 Ergebnisevaluation eines multimodalen Behandlungsprogramms nach Umstellung auf ein interdisziplinäres Aufnahmeassessment / Portalklinik. E. Pioch1, G. Lindena2, W. Seidel1 1 Klinik für Manuelle Medizin, Kremmen OT Sommerfeld, 2CLARA Clinical Analysis, Research and Application, Kleinmachnow Fragestellung: Die Klinik für Manuelle Medizin und Schmerzmedizin in Sommerfeld behandelt mehr als 2.500 Schmerzpatienten stationär in multimodalen Behandlungsprogrammen. Die Planung der Behandlung und ihrer Intensität erfolgt auf Basis eines interdisziplinären Assessments unter Anwendung des Deutschen Schmerzfragebogens DSF, einer interdisziplinären Untersuchung und einer entscheidenden Teamberatung. In dieser Studie sollte das Outcome der Patienten anhand der üblichen Verlaufskriterien beurteilt werden. Methoden: Von 1.449 Patienten wurden die Daten aus AnamneseSchmerzfragebogen und Verlaufsprotokoll am Ende des stationären Aufenthaltes mit painsoft erfasst und statistisch ausgewertet. Ergebnisse: Die Patienten waren im Durchschnitt 56 Jahre alt, davon 31,7 % bis 50, 26,4 % über 65, zu 33,1 % männlich, und 52,3 % hatten seit über 5 Jahren Schmerzen. Die durchschnittliche Schmerzintensität lag bei 64,4 auf der VAS , die Schmerzen bestanden zu 67,9 % aus 3 Schmerzbildern, die Beeinträchtigung des Alltags wurde mit 57,3 (VAS) beziffert, die der Freizeit mit 66,5, die der Arbeit mit 66,8.28,6 % der Patienten lagen mit Angst und 30,1 % mit Depressivität (HADS) bei problematischen Kennwerten ab 11.
Die Schmerz- und Beeinträchtigungswerte sowie die psychometrischen Kennwerte besserten sich bei den meisten Patienten (bei 86 bzw. 88 % bzw. 84 %). Auch wenn die Schmerzintensität nicht geringer wird, sinken die angegebenen Beeinträchtigungswerte erheblich. Diskussion: Die zu versorgende Patientenpopulation und die erzielten Ergebnisse werden mit den veröffentlichten Kollektiven aus unterschiedlichen Behandlungssettings verglichen (Validierungsstichprobe und Handbuch DSF (2007), Frettlöh (2009), Marnitz (2008), Nagel (2009), Schütze (2009), Tlach (2009)). Schlussfolgerung: Das Assessment zu Beginn eines stationären Aufenthaltes ermöglicht die genaue Steuerung der Patienten in der Schmerzklinik Sommerfeld. Es zeigen sich zufriedenstellende Behandlungsergebnisse. Zur Analyse werden weitere Daten wie Behandlungsintensität, -dauer und Therapiegruppen benötigt. P16.12 Kasuistik eines Schmerzpatienten mit spezifischer Phobie auf Hitze bei unklarem morphologischem und diagnostischem Befund W. Pepke, E. Neubauer, M. Schiltenwolf Orthopädische Universitätsklinik Heidelberg Einführung Der hier dargestellte Fall eines Patienten mit einer langjährigen Patientenkarriere bei somatoformer Schmerzstörung und spezifischer (isolierter) Phobie soll helfen, solche Krankheitsbilder zu erkennen um eine adäquate Therapie solcher Patienten zu gewährleisten und um das Problembewusstsein für diese Patienten zu fördern. Krankengeschichte: Der 53-jährige Patient stellte sich mit seit ca. zwei Jahren bestehenden Schmerzen im linken Knie in unserer Ambulanz vor. Kein adequates Trauma. Seitdem klagt er über chronisch-rezidivierende zunehmende Schmerzsymptomatik mit Hitzemiss-Empfindungen im Bereich des Gelenkes, die durch äußere Einflüsse wie höhere Tagestemperaturen oder direkte Sonneneinstrahlung exazerbiert und mit einer imposanten diffusen Rötung verbunden sind. Seit der Operation besteht Arbeitsunfähigkeit. Breite Analgetikatherapie brachte keine Schmerzlinderung. Die frustranen konservativen Therapiemaßnahmen und zwei erfolglose stationäre Rehabilitationen konnten weitere Arbeitsunfähigkeit nicht verhindern. Während der beruflichen Wiedereingliederung im Anschluss hat der Patient das Knie mittels Kühlpacks permanent exzessiv gekühlt, sonst wäre seiner Meinung schon der Versuch der Arbeitswiederaufnahme nicht möglich gewesen. Seit über einem Jahr hat der Patient das linke Knie fast permanent gekühlt, was ihn subjektiv eine Beschwerdebesserung brachte. Nach unzähligen Arztkontakten wurde schließlich durch einen Dermatologen eine reaktive Rötung diagnostiziert, die durch exzessive Kühlung des Gelenkes durch den Patienten selbst induziert sei. Weitere Kühlung der Extremität wurde ärztlicherseits strikt untergesagt. Differenzialdiagnosen wie Low-grade-Infekt, Borreliose, komplexes regionales Schmerzsyndrom (complex regional pain syndrome, CRPS) und andere morphologische Erkrankungen konnten bei der vorliegenden diffusen Rötung des Gelenkes, anhand der engmaschig durchgeführten Diagnostik ausgeschlossen werden. Therapieerfolge: Zum Schluss der Therapie konnte der Patient sagen: „Ich weiß, dass ich Angst vor Hitze habe und dass meinem Knie nicht wirklich etwas passiert, wenn es warm wird“. Später konnten wir herausfinden, dass der Patient seinem Berufsleben nachgehen kann. Fazit für die Praxis: Ärzte aus dem Fachbereich Orthopädie/Unfallchirurgie werden oft mit somatoformen Störungen und anderen psychosomatischen Erkrankungen konfrontiert, erkennen diese aber oft nicht. Bei Kombination aus Beschwerden, die morphologisch nicht ausreichend erklärt werden können, sollen Fragen zur psychosozialen Anamnese gezielt gestellt werden, bevor eine elektive Operation erwogen wird. Die Erkennung der Somatisierung und damit die konsequente Weiterleitung in professionelle Hände (z. B. Zentrum für multimodale Schmerztherapie, Psychosomatik) stehen dabei im Vordergrund. Wesentlich ist, dass die Weiterleitung an psychosomatisch kom-
petente Ärzte vom Patienten nicht als Abschiebung und Beziehungsabbruch erlebt werden. Daher sollte der Orthopäde bzw. Unfallchirurg die therapeutische Beziehung aufrechterhalten, indem er z. B. anbietet, den Patienten wieder zu sehen, um mit ihm die weiteren Erfahrungen zu besprechen. P16.13 Unterschiede in der Wahrnehmung der Partnerreaktionen aufSchmerzverhalten bei Patienten mit Kopf- und Tumorschmerz sowie Chronic WideSpread Pain- Interimsanalyse einer Validierung des SRI-D U. Kaiser1, D. Steinmetz1, R. Scharnagel1, K. Gassmann1, G. Gossrau1, F. Balck2, M. Jensen3, R. Sabatowski1 1 UniversitätsSchmerzCentrum, Dresden, 2Medizinische Psychologie und Soziologie, Dresden, 3Department of Rehabilitation Medicine, Seattle, USA Einleitung: Operante Schmerzmodelle nehmen an, dass das Schmerverhalten und die körperliche Einschränkung von Patienten mit chronischen Schmerzen durch Reaktionen der sozialen Umwelt, vor allem der Hauptbezugspersonen beeinflusst werden. Das Ziel dieser Studie war die Validierung der deutschen Version des Spouse Response Inventory (SRI, Schwartz, Jensen & Romano, 2005), ein Instrument zur Erhebung wahrgenommener Partnerreaktionen auf Schmerzverhalten und aktives Verhalten (well behavior) bei Patienten mit chronischen Schmerzen. Das Verfahren wurde hinsichtlich seiner Kriteriumsvalidität, der inkrementellen Validität, sowie der konvergenten und diskriminanten Validität überprüft. Methode: Im Rahmen der Studie beantworteten 87 Patienten mit chronischen Kopfschmerzen 45 Patienten mit Tumorschmerz sowie 40 Patienten mit CWSP (Ausschlusskriterien: weitere klinisch relevante Schmerzdiagnose) Fragebögen zur Selbstbeurteilung der Schmerzstärke (NRS), Depressivität (BDI), körperlichen Einschränkung im Alltag (PDI), Partnerschaftsqualität (FBZ), wahrgenommenen Partnerreaktionen (SRI, MPI-2, FPS), wahrgenommenen sozialen Unterstützung (F-SozU) und der emotionalen Familienatmosphäre (FEIWK). Zur Beantwortung der Fragestellungen wurden Korrelationsanalysen und (hierarchische) multiple Regressionsanalysen mit SPSS 16.0 berechnet. Ergebnisse: Die Ergebnisse zur prädiktiven Validität der SRI-Originalstudie konnten bei keiner Diagnosegruppe repliziert werden. Ein mediierender oder moderierender Einfluss der Partnerschaftsqualität auf den Zusammenhang zwischen negativen Partnerreaktionen auf Schmerzverhalten und Depressivität konnte entgegen früherer Studien nicht nachgewiesen werden. Die Kriterien Schmerzstärke und körperliche Einschränkung im Alltag werden durch das SRI bei Kopfschmerzpatienten nicht signifikant vorhergesagt. Ebenso stehen unterstützende Partnerreaktionen auf well behavior mit keinem der Kriterien in signifikantem Zusammenhang. Bei den Tumorschmerzpatienten findet sich lediglich ein leichter Zusammenhang zwischen der Skala unterstützende Reaktionen auf Wellbehaviour und Schmerzbeeinträchtigung (p=. 07). Bei den Patienten mit CWSP zeichnen sich ähnliche Ergebnisse ab. Die Skalen des SRI korrelieren stark (. 47 = r = . 86) mit den entsprechenden Skalen anderer Messinstrumente zur Erfassung von Partnerreaktionen (MPI-2, FPS), sowie niedrig bis mittelstark (. 22 = r = . 39) mit den schmerzunspezifischen Messinstrumenten zur sozialen Unterstützung und emotionalen Familienatmosphäre. Diese Ergebnisse sprechen für eine gute Kriteriums- bzw. inkrementelle Validität. Schlussfolgerungen: Die Konstruktvalidität sowie die inkrementelle Validität des SRI konnten für die Population der Kopfschmerzpatienten, der Patienten mit Chronic Wide Spread Pain sowie mit Tumorschmerz nachgewiesen werden. Dahingegen ließ sich keine einheitliche bzw. ausreichende prädiktive Validität im Bezug auf die Kriterien feststellen. Das deutet an, dass die Konsequenzen des partnerschaftlichen Verhaltens auf Schmerzverhalten bzw. Wellbehaviour für die jeweiligen Diagnosegruppen unterschiedlich ist.
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Abstracts P16.14 Bedeutung der Arzt-Patienten-Kommunikation für die Therapiezufriedenheit von Patienten mit chronischem Nicht-Tumorschmerz J. Oeltjenbruns, A. Kopf Benjamin Franklin Schmerz- und Palliativzentrum, Klinik für Anästhesiologie m.S. operative Intensivmedizin, Charité-Universitätsmedizin Berlin, Campus Benjamin Franklin, Berlin
7. Marty M et al. Joint Bone Spine 2009;76
Fragestellung: Die Patientenzufriedenheit mit der ärztlichen Behandlung in einer spezialisierten schmerztherapeutischen Einrichtung stellt eine wichtige Dimension des Therapieergebnisses dar1. Die Bedeutung der Arzt-Patienten-Kommunikation für die Therapiezufriedenheit von Patienten mit chronischen Erkrankungen ist gut dokumentiert, jedoch für die ambulante Behandlung von Patienten mit chronischem NichtTumorschmerz nur wenig untersucht2,3. In vorliegender Studie wurden spezifische Aspekte der Arzt-Patienten-Kommunikation für die Zufriedenheit ambulanter Patienten mit chronischen Nicht-Tumorschmerzen mit einer interdisziplinären, multimodalen Schmerztherapie an einer Universitäts-Schmerzambulanz untersucht. Material & Methode: Es wurden konsekutiv 100 Patienten mit chronischen Nicht-Tumorschmerzen anonym befragt. Angewendet wurden die für die Arzt-Patienten-Kommunikation wesentlichen Dimensionen „Interaktion“ und „Information“ entsprechend eines für die ambulante ärztliche Versorgung entwickelten Fragebogens zur Erfassung der Patientenzufriedenheit4. Das Antwortformat umfasste je Item vier Möglichkeiten, von „sehr gut“ bis „schlecht“. Das untersuchte Global-Item „Zufriedenheit mit der Behandlung“ umfasste vier Möglichkeiten, von „zufrieden“ bis „gar nicht zufrieden“. Die statistische Auswertung der Daten der Patientengruppen „zufriedene Patienten“ („zufrieden“ und „teilweise zufrieden“) und „unzufriedene Patienten“ („wenig“ und „gar nicht zufrieden“) erfolgte mittels ?2Test bzw. exakter Test nach Fisher. Signifikanzniveau p<0,05. Ergebnisse: Es konnten 84 Fragebögen (n=84) in die statistische Auswertung einbezogen werden. Die Mehrzahl der Patienten (79,8 %) waren mit der Schmerztherapie zufrieden oder teilweise zufrieden (51,2 % zufrieden, 28,6 % teilweise zufrieden, 16,7 % wenig zufrieden, 3,5 % gar nicht zufrieden). Unzufriedene Patienten (20,2 %) bewerteten in der Dimension „Interaktion“ im Vergleich zu zufriedenen Patienten signifikant häufiger die Items „Als Mensch und nicht als Nummer behandelt werden“ und „Berücksichtigung eigener Wünsche“ als mäßig oder schlecht (29,4 % vs 3,0 % bzw. 58,8 % vs 16,6 %). Für die Dimension „Information“ zeigten sich signifikant häufiger mäßige oder schlechte Bewertungen unzufriedener im Vergleich zu zufriedenen Patienten bezüglich der Informationen zu „Schmerzursachen“ (94,1 % vs 24,6 %), „Untersuchungsergebnisse“ (68,8 % vs 23,3 %), „Wirkung und Risiken der verordneten Medikamente“ (93,8 % vs 25,9 %) sowie „Therapieziele“ (93,7 % vs 25,8 %). Schlussfolgerung: Eine von Patienten als wenig individuell wahrgenommene, die eigenen Wünsche wenig berücksichtigende Behandlung, ist mit einer geringen Zufriedenheit mit der ambulanten multimodalen Schmerztherapie assoziiert. Weiterhin sind von Patienten als mäßig oder schlecht bewertete Informationen über Schmerzursachen, Untersuchungsergebnisse, Medikamente und Therapieziele mit der Behandlungsunzufriedenheit assoziiert. Zukünftig sollte vermehrt untersucht werden, wie durch die Berücksichtigung gezielt evaluierter Präferenzen in der Arzt-Patienten-Kommunikation5, die praktische Umsetzung speziell trainierter ärztlicher Kommunikationskompetenzen6 und die strukturierte Patienteninformation7 die Patientenzufriedenheit mit der Schmerztherapie optimiert werden kann. Literatur: 1. McCracken LM et al. Eur J Pain 2002;6 2. Lærum E et al. J Rehabil Med 2006;38 3. Stomski NJ et al. Clin J Pain 2010;26 4. Bitzer EM et al. Z f Gesundheitswiss 1999;7 5. Farin E et al. Patient Educ Couns 2010;8 6. Bieber C et al. J Psychosom Res 2008;64
P18.1 Das neurale Default Mode Network (DMN) und seine Bedeutung für die Schmerzempathie M. Noll-Hussong1, A. Otti2, L. Läer2, A. Wohlschläger2, C. Zimmer2, P. Henningsen1, H. Gündel1 1 Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, München, 2 Abteilung für Neuroradiologie, München
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P18 – Psychologie und Psychotherapie des Schmerzes
Im Ruhezustand, bei nach innen gerichteter Aufmerksamkeit, während des Nachdenkens über die eigene Zukunft oder Vergangenheit, wie auch beim „Sich-Hineinversetzen“ in Andere wird ein besonderes System spezifischer Gehirnregionen synchron aktiviert – das Default Mode Network (DMN). Als Knotenpunkte dieses Netzwerks dienen kortikale Mittellinien-Strukturen wie der mediale präfrontale Cortex und der Precuneus, aber auch laterale temporoparietale Areale. Aufgrund seiner Funktionen, die unter den Oberbegriffen „Selbstbezug“ und „Introspektion“ zusammengefaßt werden können, wurde die funktionelle Architektur dieses neuronalen Schaltkreises als grundlegend – wenn nicht sogar prädiktiv – für menschliches Verhalten angenommen (Raichle and Gusnard, 2005), jedoch gibt es kaum experimentelle Beweise für diese Hypothese. So ist auch die Bedeutung des DMN für spezifisch soziale, evolutionär bedeutungsvolle Verhaltensmuster, wie z. B. Empathie für Schmerz, ungeklärt. Ist die intrinsische Hirnaktivität während eines entspannten Zustands mit geschlossenen Augen bestimmend für unsere Wahrnehmung von Schmerz bei Anderen? Und wie reagiert das DMN auf das Leiden eines Mitmenschen? Zur Beantwortung dieser Fragen untersuchten wir im Rahmen dieser fMRT-Studie die Hirnaktivität von 19 gesunden Probanden zunächst unter Ruhebedingungen. Es folgte ein etabliertes Empathie-Paradigma, welches die Präsentation von Bildern beinhaltete, die schmerzhafte (Pain) und nichtschmerzhafte (No Pain) Situationen abbildeten. Nach dem Scan wurden die Stimuli nochmals präsentiert, wobei die Versuchspersonen den gezeigten Schmerz auf sich beziehen und die Schmerzintensität abschätzen sollten. Mittels Independent Component Analysis (ICA) konnte gezeigt werden, daß eine höhere Ruhe-Konnektivität des DMN prädiktiv für eine höhere Einschätzung der Schmerzintensität ist. Außerdem stieg während des Empathie-Paradigmas die DMN-Aktivität von „No Pain“ zur „Pain“-Bedingung an. Dieser Anstieg war wiederum mit einer höheren Einschätzung der Schmerzintensität korreliert. Unser Befund in Ruhe unterstützt die Ansicht, daß die Ruhe-Aktivität des DMN als eine Art Memory of the Future‘ (Ingvar, 1985) a-priori-Algorithmen zur schnellen Bewältigung anstehender Umweltereignisse bereitstellt und somit prädiktiv für unser Verhalten sein könnte. Das Muster der funktionellen Konnektivität während des EmpathieParadigmas könnte darauf hinweisen, daß sensitivere Probanden den gezeigten Schmerz mehr auf sich beziehen. P18.2 Komorbide depressive Störungen sind ein Mediator der Assoziation von Misshandlungen in Kindheit/Jugend und Fibromyalgiesyndrom – eine Studie mit Patienten aus unterschiedlichen klinischen Kontexten R. Wilhelm-Schwenk1, W. Häuser1, M. Kosseva1, S. Schild1, W. Biewer2 1 Kinikum Saarbrücken, 2Praxis für Rheumatologie, Saarbrücken Hintergrund: Emotionale und körperliche Misshandlungen und Vernachlässigungen in Kindheit und Jugend (childhood maltreatments CMs) werden als mögliche ätiologische Faktoren des Fibromyalgiesyn-
droms (FMS) diskutiert. Bisher wurde nicht überprüft, ob die Assoziation von CMs und FMS durch Mediatoren bedingt ist. Methode: CMs von konsekutiven FMS-Patienten aus drei verschiedenen klinischen Kontexten wurden mit der deutschen Version des Childhood Trauma Questionnaire erfasst. Als mögliche Mediatoren wurden klinisches Setting, Geschlecht, Alter, komorbide depressive Störung und Inanspruchnahme medizinischer Leistungen überprüft. Ergebnisse: 293/328 Patienten konnten ausgewertet werden (86 % Frauen, Durchschnittsalter 50 Jahre). 16 % der Patienten berichteten schwere emotionale, 9 % schwere körperliche und 11 % schwere sexuelle Misshandlung sowie 25 % schwere emotionale und 13 % schwere körperliche Vernachlässigung in Kindheit und Jugend. Die Häufigkeit von CMs war nicht mit Setting, Geschlecht, Alter und Inanspruchnahme medizinischer Leistungen assoziiert. Patienten mit depressiven Störungen gaben häufiger körperliche (p=0.01) und emotionale Misshandlung (p=0.001) sowie emotionale (p=0.0008) und körperliche Vernachlässigung (p=0.001) an als Patienten ohne depressive Störung. Diskussion: Komorbide depressive Störungen sind ein Mediator der Assoziation von CMs und FMS. Schlussfolgerung: Prospektive bevölkerungsbasierte Studien unter Kontrolle von depressiven Störungen sind notwendig, um die Bedeutung von CMs für die Ätiologie des FMS zu überprüfen.
Abb. 1: Verteilung der Schmerzarten auf die gesamte Teilnehmerzahl
P18.3 Explorative Fragebogenuntersuchung zu Zusammenhängen von Schmerz und Stressbewältigungsstrategien K. Möller, C. Schulz-Gibbins, A. Kopf Charite Campus Benjamin Franklin – Berlin In der Regel wird der Schmerz als unangenehmer Reiz empfunden, der seinen Ausdruck in körperlicher und seelischer Veränderung (Schonhaltung, Lichtempfindlichkeit, Unwohlsein, Traurigkeit, Wut auf den Körper etc.) findet. Je nachdem, wie stark der Schmerz empfunden wird, empfindet der Betroffene die Situation als anstrengend und unerträglich und sucht eine Möglichkeit, damit umzugehen. Selye fand 1936 für die auf unangenehme Reize folgende Anpassungsreaktion den Begriff Stress. Auslösende Faktoren nannte er Stressoren. Die Art und Weise, wie Patienten auf Stress auslösende Faktoren reagieren, werden als Stressverarbeitungsstrategien bezeichnet. Der Art nach können diese in aktionale (handlungsbezogene) und intrapsychische Strategien differenziert werden. Gleichzeitig wird aber auch in einem sozialen Kontext gehandelt. (Zurückziehen vom Alltag, Isolation, Arbeitsunfähigkeit, Mitteilungsbedürfnis an Mitmenschen etc.). Um diese körperlichen, emotionalen und sozialen Stresssituationen zu begegnen, werden Stressverarbeitungsstrategien von den Betroffenen entwickelt. Dabei versucht der Mensch, die ihm zur Verfügung stehenden Mittel so einzusetzen, das der anstrengende, belastende Zustand entweder beendet werden kann oder erträglich wird. Diese Vorgänge können auf bewusster und unbewusster Ebene stattfinden. Die Frage der nachfolgenden Untersuchung war, ob es Zusammenhänge zwischen den Stressverarbeitungsstrategien von Patienten mit chronischen Schmerzen gibt und inwieweit sich Betroffene mit einer konkreten Schmerzsymptomatik, wie z. B. Kopfschmerzen und Rückenschmerzen, in ihrer Verarbeitungsstrategie gleichen.
Abb. 2: Verteilung von Männern und Frauen auf die Schmerzarten
Tab. 1 Interkorrelation der Subtests bei Pat mit Kopfschmerz Subtests
Herunterspielen
Flucht
Grübeln
Resignation
Schuldabwehr
. 521
. 147
. 371
. 352
Soziale Abwehr
. 338
. 533
. 349
. 688
Selbstmittleid
. 387
. 749
. 495
. 755
Selbstschuld
. 483
. 561
. 656
. 594
Entspannung
. 110
. 146
. 345
. 454
fett gedruckt: Die Korrelation ist auf dem 0,01 Niveau signifikant (zweiseitig) Tab. 2 Interkorrelation der Subtests bei Pat mit Rückenschmerz Subtests
Bagatellisierung
Flucht
Grübeln
Resignation
Ersatzbefriedigung
. 515
. 130
. 212
. 319
Grübeln
. 622
. 539
/
. 645
Selbstmittleid
. 194
. 574
. 498
. 823
Selbstschuld
. 302
. 531
. 459
. 718
Entspannung
. 203
. 359
. 372
. 507
fett gedruckt: Die Korrelation ist auf dem 0,01 Niveau signifikant (zweiseitig)
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Abstracts P18.4 Emotionaler, körperlicher und sexueller Mißbrauch und Fibro myalgiesyndrom – eine systemische Übersicht mit Metaanalyse S. Ziehl1, M. Kosseva2, N. Üceyler3, P. Klose4, C. Sommer3, W. Häuser1 1 Klinikum Saarbrücken, 2Klinik für Innere Medizin II, München, 3Universität Würzburg, 4Universität Essen-Duisburg, Essen Einleitung: Die Assoziation von von Fibromyalgie-Syndrom (FMS) mit emotionalem, körperlichem und sexuellem Missbrauch wird kontrovers diskutiert. Deshalb führten wir eine systematische Literatursuche mit Metaanalyse durch. Methode: Cochrane Library, Embase, Google Scholar, MEDLINE und PsychInfo (bis April 2010) und die Literaturverzeichnisse der gefundenen Studien über Missbrauch und FMS wurden systematisch überprüft. Geeignete Studien waren Kohortenstudien oder Fall-KontrollStudien, welche mindestens eine Form des Missbrauchs (emotional, körperlich, sexuell) in der Kindheit und / oder im Erwachsenenalter bei FMS-Patienten und Kontrolle untersuchten. Zwei Autoren extrahierten unabhängig die Daten und bewerteten die Qualität der Studien . Die methodische Qualität wurde durch die Newcastle-Ottawa Quality Assessment bewertet. Odds Ratios (OR) und 95 % Konfidenzintervalle (CI) aller Studien wurden gepoolt unter Verwendung der Random-Effect Modells. Heterogenität wurde durch I ² Statistik bewertet Ergebnis: Die Suche erbrachte 18 geeignete Fall-Kontroll-Studien mit 13 095 Probanden. Es wurden signifikante Zusammenhänge zwischen FMS und selbst berichtetem körperlichem Missbrauch in der Kindheit (OR 2,49; 95 % CI 1,81-3,42; I ² = 0 %; 9 Studien) und im Erwachsenenalter (OR 3.07, 95 % CI 1.01, 9,39; I ² = 79 %; 3 Studien), sexuellem Missbrauch in der Kindheit (OR 1,94; 95 % CI 1,36 . 2.75; I ² = 20 %; 10 Studien) und im Erwachsenenalter (OR 2,24 95 % CI 1,07-4,70; I ² = 64 %; 4 Studien) gefunden. Obwohl kein Zusammenhang mit der Effektstärke und Studienqualität nachgewiesen werden konnte, ist ein Confounding des Zusammenhang von FMS mit Missbrauch durch komorbide depressive Störungen und ein Überwiegen von Frauen in den FMS Gruppen nicht ausgeschlossen Fazit: Der Zusammenhang des FMS mit physischem und sexuellem Missbrauch ist signifikant, jedoch gering und und möglichweise durch Moderatorvariablen wie depressive Störungen erklärbar. P18.5 Schmerzprofil von Kindern mit und ohne Migrationshintergrund S. Wagner1, T. Hechler2, C. Hermann1, J. Wager2, B. Zernikow2 1 Justus-Liebig-Universität Gießen, 2Vestische Kinder- und Jugendklinik Datteln Fragestellung: Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund sind verstärkt gesundheitlichen Risiken ausgesetzt. Bisher wurden die Auswirkungen ethnischer Unterschiede bei pädiatrischen chronischen Schmerzen vernachlässigt. Das Ziel dieser Untersuchung ist ein Vergleich des Schmerzprofils von Kindern und Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund. Hierzu werden primäre Schmerzparameter (Schmerzintensität, schmerzbezogene Beeinträchtigung, Schulfehltage) und sekundäre Parameter (emotionale Belastung, Schmerzbewältigung, Elternverhalten) systematisch untersucht und vergleichend gegenüber gestellt. Material und Methoden: In die Studie gingen die Daten von einer Stichprobe von 131 Kindern mit chronischen Schmerzen mit (n=26) und ohne Migrationshintergrund (n=105, 7-17 J.) sowie von deren Eltern ein. Die Gruppen wurden zunächst deskriptiv verglichen. Außerdem erfolgte ein Vergleich anhand einer bezüglich Alter, Geschlecht und Schulform gematchten Stichprobe. Bei der ambulanten Erstvorstellung in unserer tertiären Institution füllten die Kinder und ihre Eltern den Deutschen Schmerzfragebogen für Kinder und Jugendliche (DSF-KJ) aus. Neben den schmerzbezogenen Parametern wurden soziodemographische Variablen, emotionale Variablen, die Schmerzbewältigung
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und das schmerzbezogene Elternverhalten mit Hilfe validierter Fragebögen erfasst. Ergebnisse: Es zeigten sich signifikante Unterschiede in der Schmerzintensität und dem schmerzbezogenen Elternverhalten zwischen beiden Gruppen (deskriptive Analyse). Kinder mit Migrationshintergrund berichteten eine höhere Schmerzintensität. Die Eltern von Kindern mit Migrationshintergrund beschrieben eine stärkere ablenkende Reaktion auf den Schmerz ihres Kindes als Eltern ohne Migrationshintergrund. In den Analysen der gematchten Gruppen zeigten sich zudem signifikante Unterschiede in der Schmerzintensität mit höheren Schmerzangaben der Migrantenkinder und Unterschiede beim Einsatz von Schmerzbewältigungsstrategien, wobei Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund stärker zum Katastrophisieren neigten. Diskussion: Die vorliegende Studie bestätigt Ergebnisse aus dem Erwachsenenbereich, die Unterschiede in der Schmerzintensität zwischen Probanden mit und ohne Migrationshintergrund nachweisen konnten. Auch bei Kindern mit chronischen Schmerzen zeigt sich, dass Kinder mit Migrationshintergrund höhere Schmerzintensitäten berichten. Zudem zeigen sie eine stärkere Neigung zum Katastrophisieren. Auf Elternebene berichten Eltern mit Migrationshintergrund mehr ablenkende Reaktionen einzusetzen. Schlussfolgerung: Die Ergebnisse legen nahe, dass für eine möglichst optimale Versorgung für alle Kinder mit chronischen Schmerzen ein kultursensibles Vorgehen notwendig ist, bei dem unterschiedliche Schmerzcharakteristika der Kinder aber auch Unterschiede im Elternverhalten berücksichtigt werden. P18.6 Furcht vor Schmerz beeinflusst dieAufmerksamkeitslenkung auf schmerz-assoziierte Reize C. Baum, R. Schneider, S. Lautenbacher Universität Bamberg Theoretischer Hintergrund: Zahlreiche Studien belegen, dass Furcht die Aufmerksamkeitslenkung beeinflusst. Es kann daher angenommen werden, dass dieser Zusammenhang auch auf spezifische Inhalte, wie die Furcht vor Schmerz, übertragen werden kann. Betrachtet man die Furcht vor Schmerz auf einem sub-klinischen Level, sind die Evidenzen für die Annahme einer veränderten Aufmerksamkeitslenkung auf schmerz-assoziierte Reize nicht eindeutig. Insbesondere die behaviorale Erfassung der Aufmerksamkeitslenkung über die „DotProbe Task“ konnte keine konsistent positiven Bestätigungen für diese Annahme bringen. In der vorliegenden Studie wurden daher unterschiedliche Präsentationszeiten zur Berechnung verschiedener Bias Parameter beim der „Dot-Probe Task“ gewählt. Diese ermöglichen eine getrennte Betrachtung unterschiedlicher Aufmerksamkeitsprozesse auf der Zeitachse, wie die frühe Aufmerksamkeitszuwendung und daran anschließende Prozesse wie die Ablösung von emotional relevanten Stimuli. Methode: 100 gesunde Personen zwischen 18 und 65 Jahren (M = 39,7; SD = 13,4; 50 Frauen) führten die „Dot-Probe Task“ durch, in welcher emotional-neutrale Bildpaare gezeigt wurden mit neutralen, freudigen, wütenden und schmerzvollen Gesichtsaudrücken. Über einen MedianSplit im Fear of Pain Questionnaire (FPQ III) wurden die Subgruppen bestimmt. Ergebnis: Im Ergebnis zeigte sich, dass Personen mit einer sub-klinisch erhöhten Furcht vor Schmerz eine frühe Aufmerksamkeitszuwendung auf schmerz-assoziierte Stimuli zeigten und in Folge ihre Aufmerksamkeit von diesen bedrohlichen Stimuli weglenkten. Diskussion: Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Hypervigilanzhypothese nicht unterstützt werden kann, welche besagt, dass eine ständige Aufmerksamkeitslenkung auf den Stimulus erfolgt. Der motivationale Druck scheint eher dazu zu führen, dass sich die ängstlichen Personen über einen längeren Zeitraum weniger mit dem furcht-assoziierten Reiz beschäftigen.
P18.7 Vermeidung der Aufmerksamkeitszuwendung auf negative Stimuli als Prädiktor von postoperativen Schmerzratings und Einnahme von Analgetika: Der Vergleich mit weiteren psychologischen Prädiktoren S. Lautenbacher1, C. Huber1, C. Baum1, R. Rossaint2, S. Hochrein3, M. Heesen3 1 Universität Bamberg, 2Universitätsklinikum der RWTH Aachen, 3Klinikum am Bruderwald, Bamberg Theoretischer Hintergrund: Die Vermeidung der Aufmerksamkeitszuwendung auf negative Stimuli sowie eine Aufmerksamkeitszuwendung oder Präferenz für positive Stimuli (erhoben vor einem operativen Eingriff) zeigten sich als geeignete Prädiktoren für das Ausmaß an postoperativem Schmerz. Allerdings wurden diese Befunde vorwiegend für junge Patienten mit gutartigen Diagnosen berichtet. Das Ziel der vorliegenden Studie ist es daher, diesen Zusammenhang bei Personen mit einer weniger günstigen Prognose zu replizieren. Dazu wurden die Ergebnisse von Verfahren zur Erfassung von Aufmerksamkeitsprozessen mit weiteren relevanten psychologischen Prädiktoren verglichen. Methode: Bei 58 Patienten (M = 61 Jahre) wurden einen Tag vor einem operativen Eingriff (hauptsächlich Tumor-Erkrankungen) eine Reihe psychologischer Prädiktoren erfasst. Der Aufmerksamkeitsbias für schmerz-assozierte, sozial bedrohliche und positive Stimuli wurde mit dem Dot-Probe Task erhoben. Weitere relevante Prädiktoren waren die selbstberichtete Vigilanz auf Schmerzen (PVAQ), schmerzbezogene Ängstlichkeit (PASS), schmerzbezogenes Katastrophisieren (PCS), allgemeine Ängstlichkeit (STAI state), Depressivität (ADS), Somatisierung (SOMS) sowie die Schmerzschwelle für Druckschmerz. Der akute postoperative Schmerz wurde zum einen über eine numerische RatingSkala erhoben und zum anderen über die Menge der angeforderten Analgetika nach dem operativen Eingriff (PCIA). Ergebnis: Nur die Parameter aus dem Dot-Probe Task trugen in einem signifikanten Ausmaß zur Vorhersage der akuten postoperativen Schmerzen bei. Hinsichtlich der PCIA konnten 23 % der Varianz über diese Parameter erklärt werden. In diesem Zusammenhang stellte sich vor allem die Vermeidung von sozial bedrohlichen Wörtern als signifikanter Prädiktor heraus, der mit den anderen psychologischen Prädiktoren nicht nennenswert korrelierte. Zusammenfassung: Die Vermeidung der Aufmerksamkeitslenkung auf emotional negative Stimuli im Vorfeld eines operativen Eingriffs zeigte sich als ein wichtiger Prädiktor von akutem postoperativem Schmerz – in diesem Fall in einer Stichprobe von älteren Patienten mit vorwiegend malignen Diagnosen. Dieser aus der Dot-Probe Task abgeleitete Aufmerksamkeitsbias übertrifft traditionelle Prädiktoren wie Depressivität, Ängstlichkeit und auch schmerzbezogenes Katastrophisieren an Vorhersagekraft und sollte daher in Zukunft weiter berücksichtigt werden. P18.8 Wirkstoffkenntnis und Perception von Nebenwirkungen von OTC-Analgetika U. Gessner, M. Petersen-Braun Bayer Vital GmbH, Leverkusen Fragestellung: In welchem Ausmaß beeinflussen verschiedene Faktoren (soziodemographische Unterschiede / Markenverwendung / Ängste / etc.), die Wirkstoffkenntnis sowie die Wahrnehmung der Verträglichkeit von OTC-Schmerzmitteln? Methode: In einer für die Kerngrößen Region, Geschlecht, Alter und Bildungsniveau national-repräsentativen Umfrage wurden 3134 Personen in Deutschland mittels eines computer-unterstützten Interviews zu Wirkstoff-Kenntnis, Perception und Realität von Nebenwirkungen und Anwendungsverhalten befragt. Die Stichprobe umfasste 1532 NichtVerwender und 1602 Verwender von OTC-Schmerzmitteln in den letzten 12 Monaten.
ErgebnisseDie Kenntnis der Wirkstoffe der OTC-Analgetika schwankt in der gesamten Stichprobe bei gestützter Abfrage von 15 % bei Naproxen bis zu 82 % bei Paracetamol. Bei ungestützer Abfrage liegen die Angaben zwischen 1 % (Naproxen) und 25 % (ASS/Paracetamol). Bei Frauen und Personen mit höherem Bildungsniveau und solchen, die die Packungsbeilage gelesen haben, ist die Wirkstoffkenntnis höher; den Wirkstoff ASS kennen insbesondere Befragte, die älter als 40 Jahre sind. Die Einnahme-Häufigkeit, -Dosis und -Dauer sowie die Verwendung bestimmter Marken haben lediglich geringfügige Auswirkungen auf die Wirkstoffkenntnis. Die Perception der Nebenwirkungshäufigkeit korrespondiert nicht mit den Angaben gemäß EU Guideline (siehe Angaben in Klammern) in der Packungsbeilage; die Häufigkeitsangaben werden wie folgt deutlich überinterpretiert; sehr häufig (=10 %): 43 %, häufig (=1 bis =10 %): 32.3 %, . gelegentlich (=0.1 bis =1 %): 13.6 %, selten (=0.01 bis =0.1 %): 7.9 % und sehr selten (=0.01 %): 6.8 %. Eine Überschätzung der in der Packungsbeilage aufgeführten Angaben zur Häufigkeit von Nebenwirkungen könnte möglicherweise zur Non-compliance und Therapieversagern bei der Behandlung von Schmerzen mit OTC und auch mit RxAnalgetika führen. Diskussion und SchlussfolgerungDer behandelnde Arzt oder der Apotheker sollte Patienten eine realistische Einschätzung der zu erwartenden Häufigkeit von Nebenwirkungen sowie der dazu gehörigen Interpretation der Angaben in der Packungsbeilage geben, ohne hierbei den Patienten zu verängstigen und ihn aus Angst vor Nebenwirkungen in die Non-Compliance zu treiben. P18.9 Experimentelle Veränderungen der Körperrepräsentation beeinflussen die Schmerzwahrnehmung B. Nierula, J. Trojan, S. Becker, D. Kleinböhl, R. Hölzl Otto-Selz-Institut für angewandte Psychologie, Mannheim Fragestellung. In mehreren Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass chronische Schmerzen mit Veränderungen in der Repräsentation des eigenen Körpers einhergehen. Einige Forscher gehen sogar davon aus, dass mangelnde Übereinstimmung verschiedener Repräsentationen (Inkongruenz) ursächlich an der Entstehung von Schmerz beteiligt sein könnte, so z. B. wenn die ausgeführte Bewegung nicht der intendierten entspricht. Ausgehend von diesen Überlegungen wurde in der vorliegenden Studie untersucht, ob bereits durch kurzfristige, experimentell induzierte Veränderungen der Körperrepräsentation mit der sog. Rubber-Hand-Illusion (RHI; Botvinick & Cohen, 1998) die Schmerzwahrnehmung beeinflusst werden kann. Die RHI wird induziert, indem eine Hand des Probanden sowie eine vor ihm liegende künstliche Hand synchron mit einem Pinsel stimuliert werden. Dabei ist die eigene Hand für den Probanden nicht sichtbar. Dieses Verfahren führt i. d. R. dazu, dass die Berührung der eigenen Hand in der künstlichen Hand wahrgenommen wird. Material und Methode. Vierzehn Probanden wurden in einem A-B-ADesign (Baseline – RHI – Kontrollbedingung) in zwei aufeinander folgenden Experimenten untersucht. In Experiment 1 wurde die subjektive Schmerzwahrnehmung von phasischen Hitzereizen (1.5s) erfasst, die oberhalb der vorab erhobenen individuellen Schmerzschwelle lagen. Wir erwarteten eine Reduktion der wahrgenommenen Schmerzintensität während der RHI. Experiment 2 untersuchte die Sensibilisierung auf tonische Hitzereize (30s) mit der Dualen Sensibilisierungsmethode (Kleinböhl et al., Pain, 1999). Wir erwarteten eine Abnahme der Sensibilisierung auf schmerzhafte Reize während der RHI. Die Hitzereize wurden mittels einer Thermode am Daumenballen appliziert. Ergebnisse. In Experiment 1 nahm einerseits die Mehrzahl der Probanden während der RHI die Hitzereize als etwas niedriger wahr als in der Baseline. Andererseits nahm eine Minderheit von vier Probanden die Hitzereize während der RHI als deutlich stärker wahr. In Experiment 2 zeigte ein Teil die erwartete Abnahme der Sensibilisierung bei einem anderen Teil lag aber eine Zunahme der Sensibilisierung vor. Der Schmerz Supplement 1 · 2010
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Abstracts Diskussion. Die uneinheitlichen, teils gegensätzlichen Effekte zeigen, dass die Auswirkungen der RHI auf die Schmerzwahrnehmung individuell verschieden sind. Dies könnte einerseits auf interindividuelle Unterschiede in der erzielten Ausprägung der RHI und daraus folgenden differentiellen Wirkungen auf die Schmerzwahrnehmung zurückzuführen sein; andererseits könnten unter der RHI bereits latent vorliegende interindividuelle Unterschiede in der Schmerzwahrnehmung in einer Weise verstärkt werden, dass sie in den von uns erhobenen Parametern wirksam werden. Schlussfolgerung. Experimentelle Veränderungen der Körperrepräsentation beeinflussen die Schmerzwahrnehmung, allerdings auf individuell verschiedene Weise. P18.10 Kinder mit chronischen Schmerzen sind nicht gleich –Schmerzgradeinteilung an einer tertiär behandelten Stichprobe J. Wager, T. Hechler, A. Tietze, M. Hamann, B. Zernikow Vestische Kinder- und Jugendklinik Datteln, Universität Witten/Herdecke, Datteln Fragestellung: Innerhalb einer Population von Kindern und Jugendlichen mit chronischen Schmerzen zeigen sich verschiedenartige Ausprägungen bezüglich der Schmerzcharakteristika sowie schmerzbezogener Beeinträchtigung und Kognitionen und bezüglich emotionaler Aspekte. Diese Unterschiede sind von großer Bedeutung für die Therapiezuweisung. Bis dato existiert keine validierte Schweregradeinteilung, die KlinikerInnen die Therapieallokation erleichtern kann. Ziel dieser Studie ist daher die Identifizierung unterschiedlicher Subgruppen chronisch schmerzkranker Kinder und Jugendlicher mit einem spezifischen zugrunde liegenden Muster schmerzrelevanter Parameter. Methode: In die Analyse gingen Daten von 180 Kindern und Jugendlichen, die sich in der Ambulanz einer tertiären Schmerzeinrichtung vorstellten, ein. Diese Kinder füllten vor der Erstvorstellung eine Fragebogenbatterie, die u. a. den deutschen Schmerzfragebogen für Kinder und Jugendliche (DSF-KJ) und ein Instrument zur Erfassung schmerzbezogener Copingstrategien (PPCI-R) enthielt, aus. Zur Identifizierung unterschiedlicher Subgruppen wurde zunächst eine hierarchische Clusteranalyse mit anschließender Clusterzentrenanalyse durchgeführt. Basierend auf einer umfassenden Literaturrecherche wurden die 4 Variablen Schmerzintensität, schmerzbezogene Beeinträchtigung und Kognitionen sowie affektive Schmerzempfindung als relevante Parameter zur Erfassung unterschiedlicher Schweregrade des Schmerzes in die Analyse aufgenommen. Anschließend erfolgte eine Validitäts- und Diskriminanzanalyse. Ergebnisse: Die Clusteranalyse identifizierte 4 Subgruppen von pädiatrischen Schmerzpatienten. Die Gruppen unterscheiden sich hinsichtlich der schmerzbezogenen Beeinträchtigung und der Schmerzbewältigung. Gruppe 1 zeigt geringe Schmerzintensität und geringe Beeinträchtigung. Gruppe 2 ist charakterisiert durch mittlere Schmerzintensität, sowie mittlere Beeinträchtigung im Alltag, geringe emotionale Beeinträchtigung und eine mäßig ausgeprägte passive Schmerzbewältigung. Gruppe 3 zeigt eine hohe Schmerzintensität sowie hohe emotionale Belastung durch die Schmerzen, allerdings ein gering ausgeprägtes passives Bewältigungsverhalten einhergehend mit mittlerer Beeinträchtigung im Alltag. Gruppe 4 – mit derselben hohen Schmerzintensität wie Gruppe 3 – zeigt bei einer starken Tendenz zum passiven Coping hohe schmerzbezogene Beeinträchtigung. Weiterführende Validitätsanalysen sowie die Diskriminanzanalyse (,die 97,2 % der Kinder den korrekten Clustern zuweist) liefern zusätzliche Belege für die Nützlichkeit der Subgruppeneinteilung. Diskussion: Die Studie enthält erste Hinweise zur Schweregradeinteilung. In nachfolgenden Studien muss die Relevanz dieser Gruppeneinteilung weiter untersucht werden, z. B. hinsichtlich einer stratifizierten Therapieentscheidung bzw. des Verlaufs der Schmerzerkrankung oder des Therapieoutcomes.
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P18.11 Schmerzmodulation bei Masochisten und Kontrollprobanden S. Kamping, I. Bomba, E. Diesch, H. Flor Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Mannheim Wir untersuchten die affektive Modulation von Schmerzen bei Masochisten (MA), die schmerzhafte Stimuli, unter bestimmten Umständen, als etwas Angenehmes wahrnehmen. Ziel dieser Studie war es die psychologischen und neuronalen Mechanismen, die bei dieser Modulation involviert sind, herauszufinden. Wir erwarteten reduzierte Schmerzintensität- und Unangenehmheitsratings während der Präsentation von Bildern mit masochistischem Inhalt bei der Gruppe der Masochisten. Wir erwarteten außerdem, dass sich die Gehirnaktivierung von schmerz-relatierten zu genuss-relatierten Arealen verschiebt. Sechszehn MA und 16 Kontrollprobanden (KP) nahmen an der Studie teil. Die MA wurden mit einem eigens entwickelten Fragebogen gescreent, der Fragen über Sexualität, Erfahrungen mit masochistischen Aktivitäten und bevorzugte Aktivitäten enthielt. Ein infrarot Nd: YAP-Laser wurde benutzt um schmerzhafte Stimuli auf dem linken Handrücken zu applizieren. Positive, negative und neutrale Bilder aus dem International Affective Picture System wurden präsentiert. Diese wurden durch masochistische Bilder ergänzt, die nach Valenz, Erregung und Relevanz von einer anderen Gruppe von Masochisten eingeschätzt wurden. Die Probanden erhielten während der Hälfte der Bilder schmerzhafte Reize und schätzen anschließend deren Schmerzhaftigkeit und Unangenehmheit ein. Die MR-Bilder wurden auf einem 3T Siemens Scanner aufgenommen und mit SPM2 ausgewertet. MA bewerteten die Stimuli während der masochistischen Bilder als weniger schmerzhaft und unangenehm als KP. Masochistische Bilder riefen eine ausgedehnte okzipitale Aktivierung bei beiden Gruppen hervor. MA zeigten eine stärkere Aktivierung im medialen zingulären Kortex (MCC) und im linken parietalen ventralen Operkulum (OP 4), während die KP einen Trend zu einer stärkeren Aktivierung der linken Amgydala zeigten. Bei schmerzhafter Stimulation während der Präsentation eines masochistischen Bildes zeigten MA eine stärkere Aktivierung im linken primären somatosensorischen Kortex (SI), die sich bis in OP 4 ausdehnte, im rechten SI, im linken supramarginalen Gyrus (SMG) und im MCC. Der Kontrast in die andere Richtung zeigte keine signifikanten Aktivierungsunterschiede. Im Widerspruch zu unserer Hypothese zeigten sich Aktivierungsunterschiede hauptsächlich in Arealen, die mit den sensorischen Komponenten von Schmerz (SI), mit der Integration sensorischen Inputs aus verschiedenen Kanälen (OP 4, SMG) und mit Schmerzlinderung (MCC) in Zusammenhang stehen. Diese Ergebnisse liefern wichtige Erkenntnisse im Gebiet der Schmerzmodulation und können bei der Entwicklung effektiver, modulationsbasierter, sensorischer Interventionen helfen. P18.12 Inanspruchnahme eines ambulanten schmerzspezifischen Nachsorgeprogramms J. Pönicke1, M. Schwarze2, C. Gutenbrunner2, I. Ehlebracht-König1 1 Rehazentrum Bad Eilsen der Deutschen Rentenversicherung Braunschweig-Hannover, Bad Eilsen, 2Medizinische Hochschule Hannover Einleitung: Speziell für Menschen mit chronischen Schmerzen wurde für Versicherte der Deutschen Rentenversicherung BraunschweigHannover ein ambulantes Nachsorgeprogramm (NaSch) entwickelt. Das Nachsorgeprogramm wurde entwickelt, um den bestehenden Versorgungsdefiziten für Menschen mit chronischen Schmerzen nach der stationären medizinischen Rehabilitation (Koch, Müller-Schwefe, Treede & Zenz, 2008) entgegenzuwirken. Das umfangreiche Programm (18 Termine, wöchentliche Durchführung) wurde in Anlehnung an das Curriculum Hannover für Psychosomatikpatienten (Kobelt, Grosch & Lamprecht, 2002, Pönicke, 2009) entwickelt und gegenwärtig im Rahmen eines Forschungsprojektes implementiert.
Entgegen der geäußerten, hohen Teilnahmebereitschaft der Schmerzpatienten in einer Vorbefragung während der stationären medizinischen Reha gestaltet sich die Rekrutierung von Patienten für die ambulante Nachsorge schwierig. Für das Curriculum Hannover wurden ähnliche Probleme hinsichtlich der Teilnahme berichtet (Kobelt et al., 2004) berichtet. Fragestellung: Mögliche Hindernisse für die Teilnahme am Nachsorgeprogramm aus der Sicht der Versicherten sollen ermittelt werden. Methode: Während der stationären Rehabilitationsbehandlung konnten sich die Patienten, die am Nachsorgeprogramm teilnehmen wollten, in eine Liste mit Namen, Adresse, Telefonnummer eintragen. Die Interessenten wurden rechtzeitig zum Beginn des Nachsorgeprogramms eingeladen. Per Telefon wurden die absagenden bzw. die nicht erschienenen Patienten in einem offenen Kurzinterview zu den Gründen für die Nichtteilnahme befragt (n=31). Die Antworten wurden im Nachhinein zu Kategorien zusammengefasst. Ergebnisse: Fast 1/3 der Befragten konnte aufgrund von Schichtarbeit (Wechselschicht) bzw. den Arbeitszeiten (zu lange, langer Fahrtweg von und zur Arbeit, unregelmäßige Arbeitszeit) nicht teilnehmen (29 %, n=9). Wegen der Überschneidung mit dem Funktionstraining (2 feste Termine pro Woche) bzw. zu vielen anderen festen Terminen sagten 26 % die Teilnahme ab (n=8). Der Fahrtweg zur Nachsorge war für 19 % zu weit (n=6). 13 % hatten das Interesse an der Nachsorge verloren (n=4). Eine differenzierte Betrachtung aller Interessenten für das Nachsorgeprogramm hinsichtlich der Geschlechterverteilung ergab, dass der Anteil der Frauen insgesamt mit n=43 sehr hoch war im Vergleich zum Männeranteil (n=24). Der Anteil von Frauen, die nicht teilnehmen konnten/wollten betrug n=23 im Vergleich zu den Männern (n=7). Durch die hohe Nichtteilnahmerate der Frauen ist das Verhältnis Männer: Frauen bei den Teilnehmern relativ ausgeglichen (Frauen: n=20, Männer: n=17). Diskussion: Da aufgrund äußerlicher Rahmenbedingungen ein erheblicher Anteil an interessierten Patienten mit chronischen Schmerzen nicht am Nachsorgeprogramm teilnehmen kann, müssen die bestehenden Durchführungsmöglichkeiten überdacht und angepasst werden. Die hohe Nichtinanspruchnahmerate der Frauen könnte durch die Mehrfachbelastung (Beruf, Haushalt, Familie) mitbedingt sein. Die weitere Untersuchung von Unterschieden zwischen Teilnehmern und Nichtteilnehmern hinsichtlich der soziodemographischen bzw. –ökonomischen Daten ist geplant. Literatur: Kobelt, A., Grosch, E. & Lamprecht, F. (2002). Ambulante psychosomatische Nachsorge – Integratives Trainingsprogramm nach stationärer Rehabilitation. Stuttgart: Schattauer. Kobelt, A., Nickel, L., Grosch, E. V., Lamprecht, F., Künsebeck, H. W. (2004). Inanspruchnahme psychosomatischer Nachsorge nach stationärer Rehabilitation. Psychother Psych Med; 54: 58-64. Koch, M., Müller-Schwefe, G. H. H., Treede, R.-D. & Zenz, M. Schmerz in Deutschland. In: Koch, M. & Vogel, H.-R.(Hrsg.). Weißbuch Schmerz. Stuttgart: Thieme; 2008; 2-7. Pönicke, J., Ehlebracht-König, I., Bönisch, A. & Dorn, M. (2009). Ambulante Schmerznachsorge für Patienten mit muskuloskelettalen Erkrankungen und psychosozialen Problemen. DRV-Schriften, 83, 43-44.
dies keine Normwerte für körperlich Kranke existieren. Daher wird in der neuen Version des Deutschen Schmerzfragebogens (DSF) die Hospital Anxiety and Depression Scale (HADS) verwendet. In der Praxis zeigt sich jedoch, dass viele Einrichtungen weiterhin den „alten“ Bogen und die ADS weiterverwenden. Wir untersuchten, welches der beiden Instrumente unter den Bedingungen der klinischen Routineversorgung besser geeignet ist, das Vorliegen einer Depression bei Schmerzpatienten vorherzusagen. Methodik: Für die retrospektive Untersuchung wurden alle ambulanten Schmerzpatienten unserer Klinik erfasst, die von Juli 2008 bis Juni 2010 in einem halbstrukturierten Interview psychologisch untersucht wurden und für die vollständige Datensätze vorlagen. Die Rohwerte von ADS und HADS-D wurden in T-Werte transformiert und mit dem Vorliegen bzw. dem Schweregrad einer Depression nach den Kriterien des ICD-10 korreliert. Ergebnisse: Die Auswertung ist noch nicht abgeschlossen, Resultate werden auf dem Kongress präsentiert.
P18.13 ADS oder HADS-D zum Depressions-Screening bei chronischen Schmerzpatienten? O. Eslauer1, T. Schmittlutz2, T. Knab1, M. Weber1, D. Boujong1, C. Sommer1 1 Interdisziplinäres Schmerzzentrum, Bezirksklinikum Obermain, Ebensfeld, 2 Lehrstuhl für allgemeine Psychologie, Otto-Friedrich-Universität, Bamberg Fragestellung: Die allgemeine Depressionsskala (ADS) wird als Screeninginstrument für chronische Schmerzpatienten kritisiert, da sie aufgrund mehrerer somatischer Items (z. B. „…habe ich schlecht geschlafen“) bei Schmerzpatienten falsch hohe Werte liefern kann und überDer Schmerz Supplement 1 · 2010
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Abstracts
Autorenverzeichnis A Aberer, Elisabeth P07.6 Ahrens, Peter P13.7 Ahrens, Carsten SY42, P09.7 Ahrens, Jörg SY4 Aksu, Fuat P02.6, P07.11, P08.2, P08.3 Albert, Patricia P15.9, P15.11, P16.10 Albiez, Peter SY25 Albrecht, Martin P01.2 Albrecht, Nahid P08.10 Amegah-Sakotnik, Andrea P07.6 Amelung, Volker PS17 Anders, Christoph P10.9 Andresen, Viola SY43 Angeli, Andreas P06.3 Angermann, Nicole P06.4, Archan, Sylvia P07.6 Ariyawansa, Jay P14.4 Arning, Kathrin PS34 Arnold, Bernhard SY16, SY26 Augustin, Miriam P01.4
B Babel, Susanne P15.2 Bach, Patrick P02.2, P02.9 Bachmann, Cornelius P02.8, P08.4 Backonja, Miroslav Misha P07.2, P07.3 Balck, Friedrich P16.13 Barke, Antonia SY55 Baron, Ralf P08.1, P08.5, P08.8, P08.9, P09.3, P09.8, P10.3, SY2, SY18, SY50, SY56 Bartholomeyczik, Sabine P12.10 Bartram, Claas P13.2, P13.3 Bartram-Wunn, Eva P13.2, P13.3 Basler, Heinz Dieter P12.7 Bauer, Zsuzsa P15.10 Bauer, Ronald P15.6 Bauer, Katrin P16.6 Baum, Corinna P04.5 Baum, Erika P12.7 Baum, Corinna P18.6, P18.7 Bäumler, Petra P09.4 Baus, Dagmar P03.3, P03.5, P09.6 Becker, Theresa P01.6 Becker, Susanne P02.1, P02.2, P02.9, P03.3, P03.5, P09.6, P18.9 Becker, Annette P12.7
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Behrendt, Frank P10.8 Bein, Berthold P01.2 Bekrater-Bodmann, Robin P16.2 Belke, Marcus P05.2 Bellido, M. Luz P14.7 Bennett, Michael I. SY11 Benrath, Justus P10.11 Bernardy, Kathrin P15.12, SY49 Biewer, Werner P18.2 Binder, Andreas P08.1, P08.5, P08.8, P08.9, PS6, SY50 Bingel, Ulrike P01.10, P03.2, SY2, SY14 Biondi, David P09.11 Birbaumer, Niels P07.10 Birklein, Frank P01.5, P03.6, P08.10, SY10 Blaes, Franz P01.5 Blankenburg, Markus P02.6, P07.11, P08.2, P08.3, P16.4 Blauensteiner, Florian P17.4 Blum, Bernhard P03.7 Blumenfeld, Andrew P05.7 Blunk, James P10.11 Bock, Rolf-Werner SY29 Böhle, Eckhardt SY16 Bomba, Isabelle C. P18.11 Bonnemann, Detlef PS25 Bonsanto, M.M. P16.8 Born, Yvonne P01.6 Bornemann-Cimenti, Helmar P07.6 Boujong, Dirk P18.13 Bräscher. Anne-Kathrin P02.1, P02.2, P02.9 Breimhorst, Markus P03.6 Brem, Peter P16.5 Breuer, Georg P16.10 Brodine, A. H. P06.8 Brosz, Matthias P10.3 Brune, Kay SY12, SY16 Büchel, Christian P03.6 Bullmann, Viola P01.6 Bunyak, Robert P09.12 Burger, Esther P09.3, P09.8 Burkhardt, Katja P09.13 Buse, Dawn C. P05.7
C Caballe, Francisco J. P14.7 Carr, Richard W. P01.8 Casser, Hans-Raimund PS13 Chang, En-Chul P13.5, P15.6 Chenot, Jean-Francois P12.7, SY16 Christiansen, Sandra SY31 Christmann, Nicole P05.1, SY33 Christoph, Thomas P01.3, P14.8 Clauß-Böttger, Annerose P05.5 Colak-Ekici, Reyhan P01.6 Collado, Juan A. P14.7 Crispin, Alexander P04.8 Cronin, R. J. P06.8
D Damm, Katrin P02.3 Dattge, Julia P02.1, P03.5 de Lussanet de la Sablonière Marc H. E. P10.8 De Vry, Jean P01.3, P14.8 DeCol, Roberto P03.4, P06.7 Decosterd, Isabelle SY9 Denke, Claudia P08.6 Die, Barbara SY23 Diener, Martin P01.5 Diers, Martin SY38 Diesch, Eugen P18.11 Dietrich, Caroline P07.7 Dietz, Bernd P07.11 Diezemann, Anke PS4, PS22 Dimova, Violeta P04.5, P04.6 Dirkwinkel, Monika SY12 Dobe, Michael P16.6, SY7 Doganci, Beril P03.6 Donandt, Ulla P08.8, P08.9 Donner-Banzhoff, Norbert P12.7 Dorn, Christian P07.6 Dorscht, Lisa P15.11, P15.14, P16.10 Dräger, Dagmar P12.5, P12.8, P12.9 Drechsel-Schlund, Claudia SY34 Dresler, Thomas P06.1, P06.5 Drewes, A. M. P03.9 Dries, Joachim PS11 Dumat, Wolfgang P16.5 Dunkel, Marion P15.3
E Ebinger, Friedrich P05.6 Edel, Marc-Andreas P13.9 Ehlebracht-König, Inge P18.12 Müller Ehrenberg, Hannes PS20 Ellert, Sebastian P12.5, P12.9 Ellert, Ute SY43 Ellrich, Jens P03.9, P05.4
Enck, Paul SY43 Engelmann, Guido P06.4 Erbe, Cornelius PS17 Ertl-Wagner, Birgit SY46 Esau, Olga P08.5 Eslauer, O. P18.13 Estner, Peter SY23 Etropolski, Mila P08.11, P09.11, P09.12 Ettlin, Dominik PS28 Ettrich, Uwe P15.7, P15.8, P16.1 Evers, Andrea SY55 Evers, Stefan P01.6, P06.6, PS5, PS21, SY6 Ewers, Andre P15.10
F Fandrey, Ingrid P05.8 Feng, Zhiying P01.2 Fiebich, Bernd P14.7 Filipa, Campos-Viola P02.5 Filitz, Jörg P01.7 Fischer, Birgit P15.10 Fischer, Marlene SY33 Flatau, Brigitta P12.4 Fleck, Sabine P07.6 Fleckenstein, Johannes P01.8 Flessner, Jens P06.6, SY33 Flor, Herta P09.6, P16.2, P18.11 Foell, Jens P16.2 Förderreuther, Stefanie SY20, SY34, SY45 Fragemann, Kirstin P04.2, P11.2, P17.2 Frankenberger, R.J. P06.8 Franz, Marcel P02.4, P02.5 Fraunberger, Britta P16.10 Frese, Achim SY6 Frettlöh, Jule P08.12, PS16, PS27, SY34, SY53 Freund, Katrin P11.3 Freynhagen, Rainer P10.3 Fritsche, Günther PS16, SY53 Frodl, Matthias P14.3
G Gabriel, Brunhild P10.9 Gabriel, Holger P10.8, P10.9 Galli, Ursula PS28 Gärtner, Helen P05.6, SY33 Gaser, Elke P11.6 Gassmann, Kathrin P16.13 Gastmeier, Knud P11.5 Gaul, Charly P05.1, P05.8, P06.1, P06.4, P06.5, PS28, SY13, SY20,
Autorenverzeichnis Geber, Christian SY10 Gehling, Markus PS27, PS33 Geiß, Christa P16.10 Geiß, Benjamin P16.9 Gendolla, Astrid SY36, SY40 Georg, Waltraud PS7 Gerdes, Antje P03.8 Gerhardt, Patricia P15.7, P15.8, P16.1 Gerlach, Anja SY29 Gessner, Uwe P04.4, P18.8 Gierthmühlen, Janne SY19 Giesecke, Thorsten P13.8 Glaeske, Gerd SY25 Glaudo, Susanne PS12 Gnass, Irmela P15.10 Goadsby, Peter J. P05.7 Gockel, Hans-Helmut P13.9 Gockel, Ulrich P10.3 Goettermann, Antje P04.11 Gordon, Debra B P04.7 Gorji, Ali SY54 Gossrau, Gudrun P05.5, P15.7, P15.8, P16.1, P16.13 Graf, Bernhard M. P04.2, P11.2, P17.2 Graf, Michael PS13 Gralow, Ingrid PS21 Granich, Silvia P07.4 Grau, Thomas PS36 Gretenkort, Peter P01.9 Grewe, Stefan P01.6 Grießinger, Norbert P04.5, P04.6, P12.4 Gross, Joachim P03.10 Große, Katrin P15.7, P15.8, P16.1 Gruhn, Kai P13.9 Grundmann, Lisa P08.4 Grünewald, Doris P17.5 Gündel, Harald P18.1 Günther, Ines P12.6 Gustin, Sylvia Marie P07.10 Gustorff, Burkhard P07.4, P17.4 Gutenbrunner, Christoph P18.12 Güttler, Kuno P13.8
H Haag, Gunther SY8, SY36 Haase, Ingo P15.2 Hafner, Claudia P15.11, P15.14 Hagenacker, Tim P01.1 Halek, Margareta P12.10 Hallner, Dirk P09.2, PS25 Hamann, Maximiliane P16.6, P18.10
Handel, Elisabeth SY24 Handwerker, Hermann SY4, SY8 Hanekop, G. Gunnar P11.2 Happe, Svenja P08.4 Hartmann, Rebecca P16.4 Hasemann-Trutzel, Hans-Joachim SY29 Hasenbring, Monika P05.3,P09.2, P09.5, P09.10, P09.13, P10.5, PS25, SY55 Häuser, Winfried P10.2, P13.2, P13.3, P18.2, P18.4, SY41, SY49 Hechler, Tanja P02.6, P07.11, P08.2, P08.3, P16.4, P16.6, P17.3, P18.5, P18.10 Heesen, Michael P18.7 Hein, Grit SY21 Heinen, Florian SY46 Heiner, Monika SY56 Heisel, Markus P15.1 Helbing, Teresa P09.1 Held, Sabine P09.13 Hellberg, Nora P02.3 Hemling, Stephanie P15.10 Henkel, Karsten P06.1, P06.5 Hennig, Stefanie P10.1 Henningsen, Peter P18.1 Herberg, Friedrich SY56 Hering, Philipp P03.7 Hermann, Christiane P02.3, P18.5, SY7 Herrmann, Stefanie SY52 Herzog, Susanne P17.3 Heun, Gerhard P13.7, P14.3 Heurich, Martin P16.3 Heuss, Gottfried P12.4 Heverhagen, Johannes P05.2 Hewig, Martina P13.4, P15.13 Heyer, Christoph SY27 Heymann, A. P08.6 Hildebrandt, Jan P12.7 Hirschberger, Jelena P15.5, P16.3 Hochrein, Sieglinde P18.7 Hofacker, Wolfgang P11.4 Höffken, Oliver P08.12 Hofmann, Gunther O. P07.7 Hofmann, U.G. P16.8 Holle, Dagny P05.1, P06.4 Hölscher, Lisa P16.4 Holzer, Mira SY21 Hölzl, Rupert P02.1, P02.2, P02.9, P03.3, P03.5, P09.6, P18.9, SY18 Horn, Claudia P04.5, P04.6 Hornyak, Magdolna P05.8 Huber, Claudia P18.7 Hucho, Tim SY56
Huge, Volker SY51 Hügen, Klemens PS3 Hüllemann, Philipp P08.8, P08.9, P10.3 Hülsebusch, Janina P09.5 Hummel, Friedhelm Christoph P07.10 Hüppe, Michael SY47, SY53 Husstedt, Ingo W. PS5, PS21 Hustveit, Olav P14.5
I Ihle, Kristin P09.9 Ingenhorst, Anne P12.4, P16.10 Irnich, Dominik P01.8, P09.4, PS20 Irving, Gordon A. P07.2, P07.3
J Jacob, Martina P08.8, P08.9 Jäger, Sarah P09.3, P09.8 Jahnel, Ulrich P14.8 Jaksch, Wolfgang P07.4, P17.4 Jensen, Mark P. P16.13 Jorkjend, Lars P13.6 Josten, Bianca P11.6 Jung, Kerstin P03.9, SY42 Junker, Johana P07.11 Jürgens, Tim P02.7, P02.10, P06.1, P06.5, P16.9, PS19, SY45
K Kaiser, Ulrike P05.5, P15.7, P15.8, P16.1, P16.13, SY38 Kalff, Rolf P10.1 Kalinowski, Sonja P12.5, P12.9 Kamping, Sandra P18.11 Kappauf, Uta P02.4 Kaps, Manfred P01.5 Katsarava, Zaza P05.1, P05.7, P06.4 Kaube, Holger P05.8, PS31 Keller, Stefan P12.7 Keller, Jutta SY1 Kern, Andrea P04.8 Kern, Uwe P07.1 Kessler, Jens PS36 Keßner Simon P01.10 Kiemen, Andrea P05.8 Kiessling, Ulrike P03.3, P09.6 Kingery, Wade P08.10 Kladny, Bernd SY26 Klauenberg, Sabrina PS26 Klein, Thomas P02.10, SY37 Kleinböhl, Dieter P02.1, P02.2, P02.9, P03.3, P03.5, P09.6, P18.9, SY18
Klimczyk, Klaus P15.2 Klinger, Regine SY31, SY47 Kloimstein, Herwig P07.4 Klose, Petra P18.4 Knab, T. P18.13 Knake, Susanne P05.2 Knecht , Stefan P01.6 Kniesel, Bruno SY5 Knipper, Michael SY36 Kochen, Michael M. P12.7 Kögel, Babette P01.3 Köhler, Eva Maria P02.3 Kohlmann, Thomas SY44 Kohr, D. P01.5, SY42 Köllner, Volker P15.12, PS14 Kölzsch, Marita P12.5, P12.9 Komann, Marcus P04.7, P04.11 Konrad, Birgit P15.7, P15.8, P16.1 Kopf, Andreas P04.3, P04.9, P15.5, P16.3, P16.14, P18.3, PS7, SY29 Kopke, Kirsten P12.5, P12.8, P12.9 Kopp, Ina B SY15 Korb, Joachim PS15 Koroschetz, Jana P08.5, P09.3, P09.8, PS6 Kosseva, Maria P18.2, P18.4 Krämer, Mathias P13.7 Krämer, Nikola P02.6, P07.11, P08.2, P08.3 Kramp, Melanie P15.3 Krediet, Jorien P04.3 Kreutz, Reinhold P12.5, P12.9 Kröner-Herwig, Birgit SY21, SY44, SY55 Kropp, Peter P06.2, P06.3, PS2, SY31, LS9 Krüger, Cornelia P15.10 Krumova, Elena P08.2, P13.9, P14.6, PS26, SY9 Küchler, Anja P15.7, P15.8 Kuhnt, Oliver P15.2 Kunz, Miriam P04.6 Kurth, Tobias SY30 Kurz, Martin P04.1, P15.4 Küster, Michael SY12 Kutschar, Patrick P15.10
L Ladurner, Gunther P10.10 Läer, Leonhard P18.1 Lahmann, Claas PS19 Lamm, Claus SY21 Lampert, Angelika SY39 Lampl, Christian P05.8
Der Schmerz Supplement 1 · 2010
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Abstracts Landari, Elena P14.5 Lang, Philip P01.8, P04.8 Lange, Bernd P09.12 Lange, Katja SY41 Lange, Robert P08.11, P09.11 Lanz, Stefan P07.5 Laskova, Mariya P08.6 Lassen, Christoph P04.2, P11.2, P17.2 Laufenberg-Feldmann, Rita PS8 Lautenbacher, Stefan P04.5, P04.6, P18.6, P18.7, SY48 Leinisch, Elke P06.1, P06.5 Leis, Stefan P10.10 Lelic, D. P03.9 Lenz, Melanie P08.12, SY42 Leonhardt, Corinna P12.7, SY55 Leuner, Christian P13.7, P14.3 Li, Wen Wu P08.10 Liedl, Alexandra SY49 Likar, Rudolf P07.4 Likowski, Katja U. P03.8 Lindena, Gabriele P16.11, SY35 Lindner, Volker PS18, PS30 Lindwurm, Andrea P06.1, P06.5 Lipton, Richard B. P05.7 Lissek, Silke P08.12 Locher, Hermann SY16 Loeffler, Eva Katharina P04.2, P11.2 Lorenz, Jürgen SY14 Löseke, Eveline P17.5, PS24 Lotfi, Sina P11.3 Lu, Shiao-Ping P07.2, P07.3 Lüdtke, Kerstin P02.7, P16.9 Lukas, Albert P12.6 Lürding, Ralf P06.1, P06.5 Lutz, Ingeborg P15.13 Lutz, Johannes F. P13.4, P15.13 Lux, Eberhard Albert P17.1 Lyngstad, Gaute P04.10
M Maecken, Tim PS36 Mager, Walter P02.6, P07.11, P08.2, P08.3, P09.7, SY37, SY51 Mahama, Jaber P10.2 Mahn, Friederike P08.8, P08.9, P10.3 Maier, Barbara P15.4 Maier, Christoph P02.6, P07.11, P08.2, P08.3, P08.12, P13.9, P14.6, PS9, SY1, SY17, SY32, SY50; AS2 Maihöfner, Christian P01.7, P03.4, P07.5, P08.7, SY3
150 |
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Mair, Susanne P07.4 Malzacher, Volker PS5 Märkert, Dieter P17.5 Marricco, Nadja Cardillo P14.4 Marschall, Ursula P15.10 Martin, Otto P02.9 Martin, Alexandra SY31 Marwan, Wolfgang SY56 Marziniak, Martin P01.6, SY13 Matatko, Nadine P05.3 Mathers, Frank G. P11.3 Matte, Daniela P03.3, P09.6 Mattenklodt, Peter P12.4, P15.11, P15.14 May, Arne P02.7, P02.10, P03.6, P05.8, P09.9, P16.9, SY30 Meier, Rolf K. P04.2, P11.2 Meile, Cornelia P16.10 Meiser, Eva-Maria SY49 Meißner, Winfried P04.7, P04.11, P04.12, SY18 Menzler, Katja P05.2 Mergner, Dana P04.9 Mescha, Swantje P04.12 Messlinger, Karl P06.7, P06.8, SY6 Meyer, Brigitte P13.5, P14.2 Meyer, David P02.6 Meyer, Nicole P04.2, P11.2, P17.2 Meyer-Bender, Andreas P04.8 Meyerrose, Berit SY15 Michalski, T. P16.8 Miestinger, Georg P04.1 Milde-Busch, Astrid SY46 Miltner, Wolfgang H. R. P02.4, P02.5, P07.7, P10.4 Mittendorf, Hendrik P11.3 Mitterlehner, Barbara P15.10 Möhringer, Susanne P01.7 Möhrke, Jan P06.2 Möllenberg, Thomas P10.5 Möller, Kerstin P04.9 Möller, Katharina P18.3 Möllers, Carolin P10.5 Moore, Kenneth Todd P14.4 Morelli, Gaetano P14.4 Moskovitz, Bruce P09.11 Moyle, Graeme J. P07.2, P07.3 Mühlberger, Andreas P03.8 Müller, Gerd P02.7 Müller, Thomas PS11 Müller-Busch, Christof SY22 Müller-Ehrenberg, Hannes PS20 Mulzet , Doris P07.6 Mund-Keller, Anna P11.7 Muñoz , Eduardo P14.7 Münster, Tino P01.7
Munte, Axel PS17 Mylius, Veit P05.2
N Nagel, Bernd SY35, SY52 Naleschinski, Dennis P08.8, P08.9, SY11 Namer, Barbara SY39 Natarajan, Jayalakshmi P14.4 Nauck, Friedemann SY22, AS6 Nestler, Nadja P15.10, SY23 Nestoriuc, Yvonne SY31 Neubauer, Eva P16.12 Neuhuber, Winfried P06.7 Neumer, Kristin P10.4 Nickel, Florian P01.7, P08.7 Niederberger, Uwe PS2 Niederecker, Tobias P12.6 Niemeier, Andreas P09.9 Nierula, Birgit P18.9 Nikolaus, Thorsten P12.6 Nilges, Paul PS10, SY7, SY44 Nitsche, Michael A. P08.4 Noll-Hussong, Michael P18.1 Nötzel, Dirk P10.9 Nowotny, Markus P10.11
O Obermann, Mark P05.1 Obreja, Otilia SY39 Oeltjenbruns, Jochen P16.14 Oertel, Wolfgang P05.2 Ohnesorge, Henning P01.2 Okamoto, Akiko P08.11, P09.12 Oster, Peter P12.1 Osterbrink, Jürgen P15.10 Ostgathe, Christoph SY22 Ott, Stephan P01.7 Otti, Alexander P18.1 Otto, Bettina P13.4, P15.13
P Paelcke-Habermann, Yvonne P06.1, P06.5 Pagé, Veronique P14.4 Parthum, Andreas P04.5, P04.6 Paul, Petra P17.1, P17.5 Pauli, Paul P03.8 Paulus, Walter P08.4 Pavlakovic, Goran P02.8, P08.4, P09.1 Peikert, Andreas PS35 Peltz, Elena P07.5 Pennekamp, Werner PS1, PS9 Pepke, Wojciech P16.12
Petersen, Antje P10.1 Petersen-Braun, Marianne P04.4, P18.8 Petrini L., P03.9 Petrou, Nassos P13.5 Pfingsten, Michael P02.8, P09.1, P12.7, PS1, SY16 Pietrek, Markus SY47 Pioch, Erdmute P16.7, P16.11 Piotrowski, Wolfgang P10.10 Plaas, Heike P09.10 Ploner, Markus P03.10 Pogatzki-Zahn, Esther P01.4, P15.10, SY2, SY17, SY29, SY37, SY48 Pollheimer, Gerold P15.4 Pollwein, Bernhard P04.8 Pönicke, Julia P18.12 Pothmann, Raymund SY31 Prange, Hilmar SY12 Prater, Derek A. P14.3 Preißler, Sandra P07.7 Puta, Christian P10.8, P10.9
Q Quint, Sabine P12.2
R Rambau, Anett P05.5 Rasche, Dirk P07.8, P07.9. P14.1 Razus, Dana P12.1 Reck, Tim P13.5, P14.2, P16.5 Reeh, Peter PS3, SY56 Rehberg, Benno SY48 Rehm, Stefanie P08.5, P09.3, P09.8 Reichart, Rupert P10.1 Reicherts, Philipp P03.8 Reichl, Sylvia P01.4 Reichmann, Heinz P05.5 Reimer, Karen P14.3 Reimers, Carl SY12 Reinecke, Henriette SY32, SY41 Reinersmann, Annika P08.12, SY3 Reuter, Uwe SY54 Richarz, Ute P14.4 Rieß, Simon P01.7 Ristic, Dejan P05.4 Ritter, Alexander P02.4, P02.5 Ritter, Christoph P01.10 Rittner, Heike PS3 Roa Romero, Yadira P03.1 Rodriguez-Raecke, Rea P03.6, P09.9 Rolke, Roman P08.4, SY11 Rose, Michael P03.2
Autorenverzeichnis Rose, Thorsten P14.7 Rosenow, Felix P05.2 Rossaint, Rolf P18.7 Rothaug, Judith P04.7, P04.11 Rottmann, S. P03.9 Ruether, Wolfgang P09.9 Rumpold-Seitlinger, Gudrun P07.6 Runkel, Daniela P15.14 Ruppert, Manuela P05.3 Ruscheweyh, Ruth P01.6 Rushton, Alison P16.9 Rusu, Adina Carmen P09.2, P09.5, SY14
S Sabatowski, Rainer P05.5, P15.7, P15.8, P16.1, P16.13 Sandkühler, Jürgen SY51 Sandor, Peter P05.8 Schäfer, Nikolaus P01.1 Schäfers, Maria P01.1 Schankin, Christoph PS29 Scharf, Johann P10.11 Scharnagel, Rüdiger P15.7, P15.8, P16.1, P16.13 Scheer, Jacob P04.3 Schenk, Michael PS23, PS32, SY28 Schild, Sebastian P18.2 Schiller, Margareta P15.7, P15.8, P16.1 Schiltenwolf, Marcus P09.7, P16.12, SY27, SY47, SY52 Schlegel, Nathalie P17.5 Schleinzer, Wolfgang P13.5, P14.2, P15.6, P16.5 Schlereth, Tanja P07.1, P08.10 Schlösser, Anja P15.12 Schmelz, Martin SY40 Schmid, Anne-Christine P07.10 Schmidt, Carsten Oliver SY44 Schmieder, Kirsten P10.5 Schmittlutz, T. P18.13 Schneider, Raphaela P18.6 Schnitzenbaumer, Sandra P09.4 Scholich, Sarah P09.2 Schön, Christoph P15.9, P15.11 Schröder, Daniela P06.4 Schroeder, W. P14.8 Schuchardt, Johannes SY56 Schuckall, Helga Maria P04.1, P15.4 Schuler, Matthias P12.1, P12.3 Schüler, Markus P06.7, SY33 Schulte, Amelie P02.10
Schulte, Erika SY26 Schulte, Tobias P01.6, P10.8 Schulz, Enrico P03.10 Schulz-Gibbins, Claudia P18.3 Schunck-Paschke, Ulrike P01.9 Schütze, Anja P15.8, P16.1 Schwab, Rainer PS8 Schwarz, Anja P07.10 Schwarze, Monika P18.12 Schwarzer, Andreas PS12 Schwarzmann, Gerhard P12.3 Schwenkreis, Peter P08.12, SY3 Schwerdtfeger , Karsten SY26 Schwille-Kiuntke, Juliane SY43 Seddigh, Susann PS13 Seeger, Dagmar PS1 Seidel, Wolfram P10.12, P16.7, P16.11 Seifert, Frank P03.4, P07.5 Seitz, Harald SY56 Shapiro, Douglas Y. P08.11, P09.12 Simang, Michael P09.4 Simon, Madeleine SY41 Simpson, David P07.2, P07.3 Singh, Pratibha P01.5 Sirsch, Erika P12.10, P15.10, SY24 Sittl, Ruth P01.8 Sittl, Reinhard P04.5, P04.6, P12.4, P15.9, P15.11, P15.14, P16.10, SY40 Skjelbred, Per P04.10, P14.5 Skoglund, Lasse Ansgar P04.10, P13.6, P14.5 Soehling, Manfred P01.9 Somborski, Katarina P01.10, P03.2 Sommer, C. P18.13 Sommer, Claudia P18.4, SY10 Sorgatz, Hardo SY15. SY32 Sorichter, Stefan P05.8 St Fleur, Dominique P14.4 Stamer, Ulrike SY17 Stankewitz, Anne P03.6 Stegemann, Hans P01.9 Stein, Christoph SY56 Steinmetz, Anke P10.12 Steinmetz, Dorit P16.13 Stengel, Maike P08.1 Steup, Achim P08.11 Stocker, Margarete P08.7 Stratemeyer-Bremer, Ute P15.5 Straube, Andreas P03.7, P06.3, PS29, SY13, SY30 Strube, Joachim P02.8, P09.1, PS1 Stude, Philipp P08.12 Sudhaus, Sigrid P10.5
T Teepker, Michael P05.2 Tegenthoff, Martin P08.12, PS14 Terhaar, Janneke P02.5 Thater, Achim P01.9 Theis, Klara P17.2 Thieme, Kati SY38, SY40 Thoma , Reinhard PS17, SY35, SY52 Thomm, Monika P17.5, PS24, SY24 Tiemann, Laura P03.10, SY42 Tietze, Anna-Lena P18.10 Tobias, Jeffrey P07.2, P07.3 Tölle, Thomas R. P10.3, LS1 Traue, Harald SY49 Treede, Rolf-Detlef P08.4, SY40 Troeltzsch, Matthias P06.8, SY33 Trojan, Jörg P18.9 Tronnier, Volker P07.8, P07.9, P14.1, P16.8, SY27 Trottenberg, Peter P11.7 Trumpy, Ida Gjessing P14.5 Tschernatsch, Marlene P01.5 Tuffner, Daniela P15.9, P15.11 Tzschentke, Thomas P01.3, P14.8
U Überall, Michael P10.6, P10.7, SY32 Üceyler, Nurcan P18.4, SY19
V van Aken, Hugo P15.10 Van Hove, Ilse P09.12 Vanhove, Geertrui F. P07.2, P07.3 Varon, Sepideh F P05.7 Varrassi, Giustino P13.1 Vauth, Christoph PS25 Verneuer, Benedikt P01.6 Vigen, Ellen Christine P13.6 Vocks, Silja P16.6 Voelker, Maximillian P05.2 Vogel, Isabell P10.1 Völkel, Helge P05.7 Voltz, Raymond PS32 von Lützau, Pia P17.3 Vormelker, Jenny P11.2 Vorsanger, Gary P09.11
W Wager, Julia P16.4, P18.5, P18.10 Wagner, Alexander P10.11 Wagner, Heiko P10.8, P10.9 Wagner, Sarah Jill P18.5 Wagner, Till P11.7
Walden, Malcolm P14.3 Wallasch, Thomas-Martin SY20, SY30 Wallukat, Gerd P01.5 Walterspacher, Stefan P05.8 Wang, Haili P09.7 Wartenberg, Hans-Christian PS23 Wasner, Gunnar P08.1, P08.8, P08.9, P09.3, P09.8, SY9 Weber, Christoph SY41 Weber, M. P18.13 Weber, Peter G. P04.6 Weber, Ralph P06.4 Webster, Lynn R. P07.2, P07.3 Weckbecker, Klaus PS32 Wedding, Ulrich P11.6 Wehe, S. P02.8 Weichbold, Martin P15.10 Weikert, Beate SY1 Weinbrenner, Susanne SY1, SY15 Weiss, Thomas P02.4, P02.5, P03.1, P07.7, P10.1, P10.4, P10.8 Welte, Lorenz P11.1 Wenger, Anna P15.4 Westermann, Andrea P14.6, PS26, SY19 Wetterling, Thomas PS11 Weyers, Peter P03.8 Widder, Bernhard PS14 Wiebalck, Albrecht PS33 Wiese, Christoph H.R. P04.2, P11.2, P17.2 Wiesel, Thomas P08.2 Wieser, Matthias J. P03.8 Wieser, Thomas P05.3 Wilcox, Teresa K. P05.7 Wild, Katharina P16.5 Wilder-Smith, Oliver SY11, SY43 Wilhelm, Helmut SY45 Wilhelm-Schwenk, Ruth P18.2 Willburger, Roland P09.10, P10.5 Wille, Claudia P15.14 Wimmer, Antonie P13.8 Wirz, Stefan PS23, PS32, SY28 Wittenberg, Ralf H. P09.2 Wohlschläger, Afra P18.1 Wolfe, Frederick P10.2 Wolff , Birgit P17.5 Wolowski, Anne P01.6 Wright, Christine P16.9 Wulff, Ines P12.5, P12.9
X XIANG, Jim P09.11
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Abstracts Z Zahn, Peter K. P01.4 Zarth, Ralf P11.1, P11.3 Zaslansky, Ruth P04.7 Zeilhofer, Hanns Ulrich SY4 Zeller, Martina P14.6 Zenz, Michael SY5, SY8, SY28 Zernikow, Boris P02.6, P07.11, P08.2, P08.3, P16.4, P16.6, P17.3, P18.5, P18.10 Zettl, Uwe P06.2 Ziehl, Sabine P18.4 Zierz, Stephan P05.3 Zimmer, Annette P11.6 Zimmer, Claus P18.1 Zitta, Karina P01.2
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