Z Erziehungswiss DOI 10.1007/s11618-016-0674-6 ORIGINAL PAPER - SCHWERPUNKT
Akademisches versus schulbezogenes Fachwissen – ein differenzierteres Modell des fachspezifischen Professionswissens von angehenden Mathematiklehrkräften der Sekundarstufe Aiso Heinze · Anika Dreher · Anke Lindmeier · Carolin Niemand
© Springer Fachmedien Wiesbaden 2016
Zusammenfassung Die Lehrerprofessionsforschung hat unterschiedliche Modellierungen des professionellen Wissens von (angehenden) Lehrkräften vorgeschlagen. Große Unterschiede zeigen Studien beim Konstrukt Fachwissen, welches oft ausgehend vom Schulfachwissen konzeptualisiert wird und mehr oder weniger Bezüge zum akademischen Fachwissen aufweist. Letzteres deutet auf die bislang nicht geklärte Frage hin, welches Fachwissen Lehrkräfte benötigen. Diese Frage ist für die universitäre Lehrerbildung von besonderer Relevanz, da Studierende des Sekundarstufenlehramts in der Regel ein vertieftes akademisches Fachwissen erwerben sollen. In diesem Beitrag schlagen wir eine Modellierung des fachspezifischen Lehrerwissens vor, das neben dem fachdidaktischen Wissen (PCK) zwei Fachwissenskonstrukte umfasst: akademisches Fachwissen (CK) und Fachwissen im schulischen Kontext (SRCK). Ergebnisse aus zwei Studien für das Fach Mathematik bestätigen, dass die Komponenten empirisch trennbar sind und das dreidimensionale Modell dem Modell mit zwei Dimensionen (CK, PCK) überlegen ist. Zudem weist das neue Diese Studie ist Teil des Projekts „Messung professioneller Kompetenzen in mathematischen und naturwissenschaftlichen Lehramtsstudiengängen (KiL)“, das von der Leibniz-Gemeinschaft gefördert (Projektnummer SAW-2011-IPN-2) und in Kooperation des Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik und der Arbeitsgruppe Psychologie für Pädagogen an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel durchgeführt wird. Prof. Dr. A. Heinze () · Dr. A. Dreher · Prof. Dr. A. Lindmeier · C. Niemand Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik Kiel (IPN), Olshausenstraße 62, 24118 Kiel, Deutschland E-Mail:
[email protected] Dr. A. Dreher E-Mail:
[email protected] Prof. Dr. A. Lindmeier E-Mail:
[email protected] C. Niemand E-Mail:
[email protected]
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Konstrukt SRCK einen potenziellen Mehrwert für die Untersuchung des Wissens von Lehramtsstudierenden auf. Schlüsselwörter Fachspezifisches Professionswissen · Fachwissen von Lehramtsstudierenden der Sekundarstufe · Professionelles Fachwissen
Academic vs school-related content knowledge: A differentiated model of discpline-specific teacher knowledge of pre-service secondary Mathematics teachers Abstract Educational research has introduced different models for the professional knowledge of (pre-service) teachers. Existing studies show major differences regarding the construct of content knowledge, which is often conceptualized based on school subject knowledge and varies with respect to academic content knowledge. The latter indicates that the question of what content knowledge teachers need has yet to be resolved. This question is particularly relevant from the perspective of teacher education at universities, since pre-service teachers for secondary schools are usually taught academic content knowledge. In this article we suggest a model of the discipline-specific teacher knowledge that includes pedagogical content knowledge (PCK) alongside two constructs of content knowledge: academic content knowledge (CK) and school-related content knowledge (SRCK). Findings from two studies for the subject area mathematics confirm that the components are empirically separable and that the three-dimensional model is superior to the twodimensional model (CK, PCK). Moreover, the new construct SRCK holds potential for the investigation of the knowledge of pre-service teachers. Keywords Content knowledge of pre-service secondary teachers · Professional content knowledge · Subject-specific professional knowledge
1 Einleitung Professionelles Wissen wird als ein zentraler Bestandteil der Expertise von Lehrkräften angesehen und folglich gilt der Erwerb dieses Wissens als Hauptziel der Lehramtsausbildung (KMK 2008). Aus einer fachspezifischen Perspektive gelten die beiden von Shulman (1986) unterschiedenen Konstrukte des Fachwissens und des fachdidaktischen Wissens als besonders wichtige Facetten des professionellen Wissens von Lehrkräften (z. B. Depaepe et al. 2013). Entsprechend wurde im Rahmen empirischer Forschungsansätze in den letzten Jahrzehnten begonnen, diese einer empirischen Messung zugänglich zu machen (z. B. Ball et al. 2008; Blömeke et al. 2010; Riese und Reinhold 2010; Kunter et al. 2011; Jüttner et al. 2013). In den meisten Studien wurde dabei zunächst weniger das Fachwissen, sondern stärker das fachdidaktische Wissen in den Blick genommen, da dessen Konzeptualisierung eine größere Herausforderung darstellte (z. B. Krauss et al. 2008; Olzewski 2010; Buchholtz et al. 2014). Bezüglich des Fachwissens erfolgte in den Studien eine sehr unterschiedliche Konzeptualisierung bzw. Operationalisierung, je nachdem, ob etwa
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angehende oder praktizierende Lehrkräfte bzw. (angehende) Lehrkräfte der Primarstufe oder der Sekundarstufe im Fokus standen. So stand bei praktizierenden Lehrkräften und auch Studierenden des Lehramts an Grundschulen zumeist Fachwissen im Vordergrund, das im Sinne von Bromme (1994) als Schulfachwissen bezeichnet werden kann (z. B. Ball et al. 2008; Krauss et al. 2011; Jüttner et al. 2013). Demgegenüber erheben Studien mit Lehramtsstudierenden bezüglich des Fachwissens häufiger den Anspruch, auch Aspekte der akademischen Fachwissensausbildung mit einzubeziehen (z. B. Riese und Reinhold 2010; Blömeke et al. 2010). Allerdings stellte sich auch hier immer wieder die Frage, wie breit das Fachwissen zu konzeptualisieren ist, und vor allem auch, welche Struktur es aufweist. So gibt es beim Lehramt an Gymnasien in den meisten Fächern die Tradition, die Studierenden im Bereich des Fachwissens zumindest punktuell an die aktuelle Forschung der jeweiligen Bezugswissenschaft heranzuführen. Ob derartig deutlich akademisch ausgerichtete Fachwissensfacetten noch zur gleichen Wissensdimension wie schulbezogene Fachwissensfacetten gehören, ist empirisch nicht geklärt. Ebenfalls nicht geklärt ist, welche Bedeutung diese stark akademisch ausgerichteten Fachwissensfacetten für den Erwerb von fachspezifischem Lehrerprofessionswissen haben. In diesem Beitrag soll das Ziel einer differenzierteren Konzeptualisierung von professionellem Fachwissen sowie einer entsprechenden Messung und Strukturanalyse am Beispiel des Faches Mathematik verfolgt werden. Dazu skizzieren wir zunächst kurz Ergebnisse theoretischer Analysen zum fachspezifischen Professionswissen von (angehenden) Lehrkräften und die daraus abgeleiteten zu unterscheidenden Fachwissenskonstrukte. Anschließend stellen wir zwei empirische Studien vor, die im Rahmen der Instrumentenentwicklung für eine Längsschnittstudie mit Lehramtsstudierenden der Sekundarstufe I und II durchgeführt wurden.
2 Theoretischer Hintergrund Wie bereits erwähnt, unterscheiden sich die Konzeptualisierungen des professionellen Fachwissens in verschiedenen Studien stark. Meist orientieren sie sich eher an Schulfachwissen als an akademischem Fachwissen. So konnte etwa der Fachwissenstest in der COACTIV-Studie prinzipiell auch von Lernenden der 13. Jahrgangsstufe gelöst werden (Krauss et al. 2011). Studierenden des Sekundarstufenlehramts wird allerdings Fachwissen, das deutlich über ein Schulfachwissen hinausgeht, vermittelt. Insbesondere in der gymnasialen Lehramtsausbildung besuchen die Studierenden vielfach die gleichen fachwissenschaftlichen Vorlesungen wie die Hauptfachstudierenden. Die akademischen Fachinhalte dieser Vorlesungen unterscheiden sich jedoch stark von den Inhalten des entsprechenden Schulfachs (Bass 2005; Deng 2007; Wu 2011). Speziell für das Fach Mathematik hat bereits Felix Klein (1908) auf die Probleme dieser Diskrepanz hingewiesen: „Der junge Student sieht sich am Beginn seines Studiums vor Probleme gestellt, die ihn in keinem Punkte mehr an die Dinge erinnern, mit denen er sich auf der Schule beschäftigt hat ... Tritt er aber nach Absolvierung des Studiums ins Lehramt über, so soll er plötzlich eben diese herkömmliche Elementarma-
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thematik schulmäßig unterrichten; da er diese Aufgabe kaum selbständig mit der Hochschulmathematik in Zusammenhang bringen kann, so wird er in den meisten Fällen recht bald die althergebrachte Unterrichtstradition aufnehmen, und das Hochschulstudium bleibt ihm nur eine mehr oder minder angenehme Erinnerung, die auf seinen Unterricht keinen Einfluss hat.“ (S. 1) Hundert Jahre nach Felix Klein äußerte Wu (2011) sich noch kritischer dazu, dass angehenden Lehrkräften das gleiche akademische Fachwissen wie angehenden Mathematikerinnen und Mathematikern vermittelt wird. Dies sei vergleichbar damit, dass zukünftige Französischlehrkräfte im Studium statt Französisch ausschließlich die zugrundeliegende Sprache Latein lernen würden, unter der Annahme, dass sie so ihre aus der Schule mitgebrachten Französischkenntnisse vertiefen und schließlich Französisch unterrichten könnten (Wu 2011, S. 372). Auch andere Autoren verwiesen auf die Unterschiede bzw. den nichtrivialen Zusammenhang zwischen akademischem Fachwissen und dem korrespondierenden Schulfachwissen. So schrieb Deng (2007, S. 507) in Bezug auf naturwissenschaftliche Fächer: „... what is missing, overall, is a clear distinction between academic disciplines of science and related school science subjects, and thereby a well-informed discussion concerning what is involved in knowing the subject matter of a school science subject“. Auch Bromme (1994, S. 74) grenzte das akademische Fach und das Schulfach deutlich voneinander ab: „the school subjects have a ,life of their own‘ with their own logic; that is, the meaning of the concept taught cannot be explained simply from the logic of the respective scientific discipline.“ Ausgehend von diesen Überlegungen stellt sich die grundlegende Frage, welche Rolle das akademische Fachwissen in Bezug auf das fachspezifische Lehrerprofessionswissen spielen soll bzw. kann. Aus den Ausbildungsstrukturen kann geschlossen werden, dass das akademische Fachwissen in der Regel nur im Studium systematischer Lerngegenstand ist und in der weiteren Berufskarriere bestenfalls noch überblicksmäßig ergänzt wird. Ein möglicher Zugang zur Beantwortung dieser Frage ist die Analyse des Verhältnisses zwischen wissenschaftlicher Disziplin und Schulfach, aus der als Folgerung Hinweise auf die wechselseitige Bedeutung erlangt werden können. Dies kann entsprechend zur Ableitung von theoretisch relevanten Facetten des professionellen Fachwissens von (angehenden) Lehrkräften führen. Ansätze zur Klärung des Verhältnisses zwischen Mathematik als akademische Disziplin und als Schulfach wurden bereits in den 1960er und 1970er-Jahren im Rahmen der Curriculumforschung, der Gestaltung der universitären Lehrerbildung sowie der Verfahren zur fachbezogenen Unterrichtsanalyse entworfen. Durch eine ausführliche Analyse dieser Arbeiten in Kombination mit unterschiedlich begründeten Konzeptualisierungen des Fachwissens aus neueren Studien zum Professionswissen von Lehrkräften sind wir zum Schluss gekommen, neben dem akademischen Fachwissen (im Folgenden als CK bezeichnet) noch eine weitere, für Sekundarstufenlehrkräfte spezifische Fachwissenskomponente zu betrachten (Dreher et al. 2016): Fachwissen im schulischen Kontext (school-related content knowledge, SRCK) beschreibt ein berufsspezifisches konzeptuelles Fachwissen über Zusammenhänge zwischen schulischer und akademischer Mathematik. Folglich enthält diese Fachwissenskomponente Wissen über Elemente der Schulmathematik und der aka-
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) für alle Kreise identisch ist. Welcher dafür notwendige mathematische
Abb. 1 SRCK-Facette: Curriculare Struktur der Schulmathematik
demischen Mathematik sowie über deren Beziehungen. Betrachtet man diese Zusammenhänge genauer, können drei Aspekte von SRCK beschrieben werden: Erstens beinhaltet es curriculares Wissen im Sinne eines Wissens über die Struktur der Schulmathematik sowie zu zugehörigen Begründungen des Aufbaus und der inhaltlichen Auswahl, die sich meist aus fundamentalen Ideen der akademischen Mathematik speisen. Zweitens umfasst SRCK Wissen, das benötigt wird, um Inhalte der akademischen Mathematik so zu reduzieren, dass sie im schulischen Kontext anschlussfähig im Sinne des Spiralprinzips gelehrt werden können (Wissen über Zusammenhänge zwischen akademischer und schulischer Mathematik in top-downRichtung). Drittens enthält es Wissen darüber, welche akademische Mathematik hinter konkreten Begriffen und Aussagen der Schulmathematik, wie sie Lehrkräfte in Schulbüchern, Lernmaterialien und im Unterricht antreffen, steht (Wissen über Zusammenhänge zwischen akademischer und schulischer Mathematik in bottom-upRichtung). Da eine elaborierte Darstellung der theoretischen Bezüge an dieser Stelle zu weit führt, wird für Details auf Dreher et al. (2016) verwiesen. Im Folgenden werden die drei Facetten durch Beispielitems illustriert. Eine Abgrenzung zu akademischem Fachwissen und fachdidaktischem Wissen (PCK) anhand der Items folgt weiter unten. Das Item in Abb. 1 zeigt exemplarisch wie Wissen entsprechend der ersten SRCKFacette (curriculare Struktur) erfasst werden kann. Die Itemlösung erfordert zum einen schulmathematisches Wissen darüber, ob und wie in der Schulmathematik begründet werden kann, dass die Kreiszahl für alle Kreise identisch ist. Insbesondere muss bekannt sein, dass im Rahmen der Proportionalitätsbetrachtung in der Klassenstufe 7 ein empirisch-induktives Vorgehen gewählt wird und nicht das mathematische Argument über die Ähnlichkeit der Kreise erfolgt. Letzteres ist aufgrund des curricularen Aufbaus erst in den höheren Klassenstufen 9/10 möglich, sodass zusätzlich auch Wissen über mögliche curriculare Anordnungen der entsprechenden Themengebiete vorhanden sein muss. Das Beispielitem in Abb. 2 zeigt wie Wissen über Zusammenhänge zwischen akademischer und schulischer Mathematik in top-down-Richtung operationalisiert werden kann. Ausgehend von akademischem Fachwissen über verschiedene Möglichkeiten den Körper der reellen Zahlen aus dem Körper der rationalen Zahlen
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Abb. 2 SRCK-Facette: Top-down-Richtung
zu konstruieren, ist hier zudem Wissen darüber gefordert, welche dieser Ideen im fachlichen Sinne so elementarisiert werden können, dass sie (1) den Anforderungen der Schulmathematik gerecht wird (d. h. insbesondere die dichte Einbettung der rationalen Zahlen in die reellen Zahlen über eine Anbindung an die für die Schule zentrale Zahldarstellung im Dezimalsystem aufzeigt) bzw. (2) keine fachliche Verzerrung verursachen (d. h. insbesondere einen kanonischen Weg aufzeigt, wie die Verknüpfungsoperationen der rationalen Zahlen auf die reellen Zahlen fortgesetzt werden können). Abb. 3 zeigt ein Item, das auf Wissen über Zusammenhänge zwischen akademischer und schulischer Mathematik in bottom-up-Richtung abzielt. Um die Frage korrekt zu beantworten, wird Wissen darüber benötigt, welche mathematische Operation in der akademischen Mathematik der in der Schulmathematik bekannten Operation des Faltens entspricht (Achsenspiegelung). Zudem ist aus der grafischen Faltanleitung zu entnehmen, dass beim zweiten Faltvorgang die Faltlinie des ersten Faltvorgangs auf sich selbst gelegt wird. Zur Kontrastierung wird in Abb. 4 ein Itembeispiel für den Bereich akademisches Fachwissen gezeigt. Es handelt sich dabei um das Thema Körpererweiterung aus der Algebra (in der Regel Thema im 3. oder 4. Fachsemester des Studiums). Das benötigte Wissen ist der akademischen Mathematik zuzuordnen und es ist nicht spezifisch für den Lehrerberuf. Für Lehrkräfte kann das Thema Körpererweiterung insofern als relevant angesehen werden, da es als abstrakter akademischer Hintergrund von der in Abb. 2 bereits thematisierten Erweiterung der rationalen Zahlen Q auf die reellen Zahlen R aufgefasst werden kann. Sie können etwa die Erkenntnis daraus ziehen, dass die Erweiterung von Q auf R komplexer ist als andere Körpererweiterungen (welche in der Schule aber in der Regel nicht vorkommen). Die damit verbundenen Fragen gehen aber in ihrer Abstraktheit und Komplexität deutlich über die Aspekte in Abb. 2 hinaus und sind eher für die akademische Mathematik denn für die Schulmathematik relevant.
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Abb. 3 SRCK-Facette: Bottom-up-Richtung
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Abb. 4 Akademisches Fachwissen CK
Die durch das Konstrukt SRCK verfolgte Idee eines berufsspezifischen Fachwissens von Lehrkräften ist nicht neu. Bereits in den 1970er-Jahren wies Fletcher (1975, S. 206) darauf hin, dass Mathematiklehrkräfte neben dem akademischen Fachwissen noch ein berufsspezifisches mathematisches Wissen benötigen (so wie im Ingenieurwesen und in der Astronomie berufsspezifisches mathematisches Wissens benötigt wird). Rund dreißig Jahre später schlug die Michigan Group (Ball et al. 2008) basierend auf einer Tätigkeitsanalyse von Grundschullehrkräften ein berufsspezifisches Fachwissenskonstrukt vor: Das specialized content knowledge wurde definiert als „strictly mathematical knowledge that is particular to the work of teaching, yet not required, or known, in other mathematically intensive professions (including mathematics research)“ (Bass 2005, S. 429). Dazu wird beispielsweise Wissen gezählt,
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das nötig ist, um zu entscheiden, ob ein unüblicher Lösungsansatz von Kindern auch allgemein funktionieren würde, oder ob eine Definition aus einem Schulbuch mathematisch korrekt ist (Ball et al. 2008). Das specialized content knowledge der Michigan Group wurde anforderungsbezogen speziell mit Blick auf Grundschullehrkräfte in den USA entwickelt, die in ihrer Ausbildung kaum akademisches Fachwissen erwerben. Damit bleibt offen, wie ein entsprechendes berufsspezifisches Fachwissenskonstrukt für das Sekundarstufenlehramt beschaffen sein muss – insbesondere im Hinblick auf Lehramtsstudierende, die im Studium weiterführendes akademisches Fachwissen erwerben. Blickt man in die Lehrerbildungspraxis, so sind in den letzten Jahren Bemühungen einzelner Universitäten erkennbar, Lehramtsstudierenden speziell ausgerichtete Fachvorlesungen getrennt von den Mathematikstudierenden anzubieten, um so akademisches Fachwissen mit einer berufsspezifischen Ausrichtung zu lehren (z. B. Beutelspacher et al. 2011). Diese Ansätze sind bisher zumeist pragmatisch orientiert, sodass auch hier ein Bedarf an wissenschaftlicher Grundlegung besteht. In dem von uns vorgeschlagenen Modell stellt SRCK ein berufsspezifisches Fachwissen dar, das eine spezielle Verbindung von akademischen Fachwissen und dem Schulfachwissen darstellt. Im Rahmen der Lehramtsausbildung ist dabei unklar, ob – und wenn ja, wo – das SRCK erworben wird. SRCK wird in der Regel nicht explizit in den fachwissenschaftlichen Lehrveranstaltungen adressiert, da sich diese am akademischen Niveau der Hauptfachstudierenden orientieren (sofern sie nicht sogar identisch sind). Möglich wäre ein Erwerb in fachdidaktischen Lehrveranstaltungen begleitend zum Erwerb von PCK, indem Studierende eine Verknüpfung der dabei thematisierten Schulmathematik mit ihrem akademischen Fachwissen (CK) herstellen. Für die Etablierung des vorgeschlagenen berufsspezifischen Fachwissenskonstrukts SRCK muss dieses sowohl theoretisch als auch empirisch von verwandten fachspezifischen Konstrukten des Professionswissens von Lehrkräften getrennt werden können. Neben der zuvor bereits thematisierten theoretischen Abgrenzung zu CK im Sinne von nicht berufsfeldorientiertem, akademischem Fachwissen, ist dabei vor allem die Unterscheidbarkeit vom PCK als zentral anzusehen, da dieses ebenfalls als eine berufs- und fachspezifische Wissenskomponente von Lehrkräften definiert wurde (Shulman 1986). Für PCK greifen wir auf die etablierte Konzeptualisierung der COACTIV-Studie zurück (Krauss et al. 2011), nach der PCK die Wissensfacetten Erklären und Repräsentieren, Schülerkognitionen sowie Potenzial von Aufgaben umfasst. Im Gegensatz zum COACTIV-Test orientieren wir uns bei der Operationalisierung an Buchholtz et al. (2014), sodass die Aufgaben nicht allein durch (schul-) mathematisches Wissen lösbar sein sollen, sondern genuin mathematikdidaktisches Wissen erfordern. Der Übergang von PCK zu SRCK kann dabei als fließend angesehen werden (s. a. das Itembeispiel in Abb. 5). Im Gegensatz zu PCK kann SRCK aber grundsätzlich als rein fachliches Wissen beschrieben werden, das keine Betrachtung der Schülerkognition, von Lehr- und Lernprozessen oder des didaktischen Potenzials von Aufgaben erfordert. Zwar hat SRCK einen Berührpunkt zum schulischen Lernen, da es als einen zentralen Bezugspunkt die Schulmathematik und deren mögliche curriculare Anordnungen einbezieht und diese implizit psychologisch-didaktische Überlegungen enthalten. Im Gegensatz zum PCK geht es
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Abb. 5 Fachdidaktisches Wissen PCK
beim SRCK allerdings nicht um das Wissen, dass und warum gewisse Aspekte der Schulmathematik lernförderlich sind, sondern allein um die fachliche Perspektive. So kann die in der Schulmathematik oft verwendete Handlung des Faltens aus rein fachlicher Perspektive analysiert werden, inwieweit diese als angemessene fachliche Repräsentation für einen bestimmten Sachverhalt (Kongruenzabbildung der Achsenspiegelung, Begriff „senkrecht“, Symmetrie von Figuren o. ä.) angesehen werden kann und das entsprechende Wissen darüber würde unter SRCK eingeordnet werden. Darüber hinaus gibt es das Wissen, ob die Repräsentation des Faltens in ihrer enaktiven oder ikonischen Form lernförderlich oder lernhinderlich für den Unterrichtsinhalt Achsenspiegelung ist, welche lerntheoretischen Begründungen es dafür gibt, welche typischen Schülerfehlvorstellungen dabei aufgebaut werden können und wie man Aufgaben im Sinne von Lerngelegenheiten dazu gestalten kann. Dieses Wissen ist dem Bereich PCK zuzuordnen, da hier psychologisch-didaktische Wissenskomponenten relevant sind. Zur Illustration der Abgrenzung PCK-SRCK ist in Abb. 5 bewusst ein Beispielitem für PCK dargestellt, das aus theoretischer Sicht eine große Nähe zu SRCK aufweist. Obwohl das Item fachnah ist, erfordert die Lösung kein Wissen über die Beziehung von Schulmathematik und akademischer Mathematik im Sinne einer top-down- oder bottom-up-Richtung. Auch ist kein explizites Wissen über die curriculare Struktur oder deren Legitimation gefordert, sodass die Facetten des SRCK nicht adressiert werden. Zur Beantwortung dieses Items reicht es auch nicht aus, irgendeine fachlich korrekte ikonische Repräsentation der Multiplikation zweier Brüche anzugeben. Hier ließen sich innerhalb der Schulmathematik verschiedene Möglichkeiten ableiten, da Zahlen in der Schulmathematik etwa über den Größenaspekt oder den Operatoraspekt und die Multiplikation über das Modell der wiederholten Addition oder der Kombinationsmöglichkeiten (Kreuzprodukt) beschrieben werden können, für die es dann noch unterschiedliche Konkretisierungen gibt. Als Bedingung wird in dem Item allerdings zusätzlich gefordert, dass die Darstellung für Lernende der Klasse 6 eine Erklärung der Multiplikation liefern soll.
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Zur Generierung einer Lösung wird demnach noch mathematikdidaktisches Wissen der Facetten „Erklären und Repräsentieren“ sowie „Schülerkognition“ benötigt. Insbesondere sind Darstellungen bzw. Modelle der Brüche und der Multiplikation heranzuziehen, die den Lernenden vertraut und die einfach zu erfassen sind, damit die kognitive Belastung gering gehalten wird (z. B. Rechteckmodell, Kreismodell o. ä.). Wie erwähnt handelt es sich um ein PCK-Item mit großer Nähe zu SRCK und weiter unten wird die Problematik der Abgrenzung von PCK zu SRCK noch einmal empirisch untersucht (vgl. Forschungsfrage 5 und Studie 2). Anzumerken bleibt, dass es natürlich auch PCK-Items gibt, die deutlicher von SRCK abgrenzbar sind (u. a. zu typischen Fehlvorstellungen von Lernenden wie etwa der „Kommatrennt-Strategie“ beim Umgang mit Dezimalbrüchen). Anspruchsvoller als die theoretische Abgrenzung ist die empirische Trennbarkeit. So wiesen etwa Baumert et al. (2010) darauf hin, dass das specialized content knowledge der Michigan Group nicht klar von den anderen von ihnen postulierten fachspezifischen Wissenskonstrukten getrennt werden kann. Auch in der COACTIV-Studie stellte sich die empirische Trennbarkeit der fachspezifischen Konstrukte als schwierig heraus: Für Lehrkräfte des Gymnasiums konnte das schulnah operationalisierte Fachwissen kaum vom PCK getrennt werden (Krauss et al. 2011). Mit Blick auf die veröffentlichten PCK-Items des COACTIV-Tests kann dies daran liegen, dass einige dieser Items mit rein mathematischem Wissen lösbar sind. Dafür spricht auch der Befund, dass Diplom-Mathematikstudierende im PCK-Test der COACTIV-Studie vergleichbar gute Ergebnisse erzielten wie Mathematiklehrkräfte (Krauss et al. 2011). Vor dem Hintergrund der großen Herausforderungen um die empirische Trennbarkeit mathematikspezifischer Professionswissenskonstrukte ist auch für das von uns vorgeschlagene Konstrukt SRCK sicherzustellen, dass es von den verwandten Konstrukten CK und PCK empirisch getrennt werden kann. Dazu muss eine Operationalisierung des Konstrukts insbesondere hinreichend valide und reliabel sein. Erst im Anschluss kann der Erwerb von SRCK als berufsspezifisches Wissenskonstrukt im Rahmen des Lehramtsstudiums untersucht und dessen Rolle für das professionelle Handeln von Lehrkräften der Sekundarstufe analysiert werden.
3 Forschungsfragen Auf Basis der zuvor dargestellten theoretischen Überlegungen zur Struktur des fachspezifischen Professionswissens von Studierenden des Sekundarstufenlehramts verfolgen wir das übergeordnete Forschungsziel, die theoretisch angenommene dreidimensionale Struktur empirisch abzusichern und die einzelnen Dimensionen PCK, SRCK und CK (als akademisches Fachwissen) einer reliablen und validen Messung zugänglich zu machen. Dazu wurden die Konzeptualisierungen dieser drei fachspezifischen Wissenskonstrukte operationalisiert und in Testitems umgesetzt. Grundlage dafür war eine umfangreiche curriculare Analyse der Mathematik-Lehramtsstudiengänge in Deutschland, auf die in diesem Beitrag nur am Rande eingegangen wird (s. u. Abschnitt zu Studie 1). Aufgrund der theoretisch hergeleiteten Konzeptualisierung der Konstrukte sowie der systematischen curricularen Analyse für die inhaltli-
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che Basis der Testitems gehen wir von einer angemessenen Inhaltsvalidität (AERA et al. 2014, S. 14) aus. Die Testitems wurden bei einer Stichprobe von Lehramtsstudierenden eingesetzt und auf Basis der Daten verschiedene Analysen zur Untersuchung weiterer Validitätsaspekte sowie der Reliabilität durchgeführt. Dabei waren insgesamt fünf Forschungsfragen leitend, von denen die ersten vier die Validität im Hinblick auf die interne Struktur des fachspezifischen Professionswissens und die Validität der einzelnen Dimensionen durch Zusammenhänge zu anderen Variablen adressieren (AERA et al. 2014, S. 16) sowie die Reliabilität einbeziehen: 1. Weist eine dreidimensionale Modellierung des fachspezifischen Professionswissens von Studierenden des Sekundarstufenlehramts mit den Dimensionen PCK, SRCK und CK eine bessere Modellpassung auf als theoretisch plausible zweidimensionale Modelle bzw. als ein eindimensionales Modell? 2. Lassen sich reliable Skalen zu den drei Dimensionen PCK, SRCK und CK bilden? 3. Wie stark korreliert SRCK mit CK bzw. PCK? 4. Konstruktvalidierung durch Vergleiche bekannter Gruppen: a. Verfügen Studierende des Sek. II-Lehramts über mehr CK als Studierende des Sek. I-Lehramts? b. Erzielen Studierende höherer Semester in den drei Dimensionen höhere Werte als Studierende niedrigerer Semester? Die erste Frage bezieht sich auf die Validierung des Konstrukts fachspezifisches Professionswissen von Sekundarstufenlehrkräften. Hier wird erwartet, dass sich das dreidimensionale Modell am besten dazu eignet, die Daten zu beschreiben. Weiter gehen wir bei Frage 2 davon aus, dass die Zusammenstellung der Items je Dimension zu drei reliablen Skalen führt. Die Fragen 3 und 4 wenden sich schließlich noch einmal Aspekten der Konstruktvalidierung zu. In Zusammenhangsanalysen gemäß Frage 3 sollten CK und PCK theoriegemäß eine eher geringe Korrelation aufweisen, während SRCK mit diesen beiden Wissenskonstrukten jeweils eine deutliche Korrelation aufweisen sollte. Für Frage 4 werden Vergleiche von bekannten Gruppen realisiert, um zu überprüfen, ob die Skalen sensitiv für die aufgrund der Ausbildungsstrukturen theoretisch erwarteten Unterschiede im Professionswissen sind. Da schulbezogene Inhalte im Rahmen der betrachteten Lehramtsstudiengänge im Wesentlichen in den fachdidaktischen Lehrveranstaltungen thematisiert werden, vermuten wir einen stärkeren Zusammenhang von SRCK zu PCK als zu CK. Aufgrund der Nähe der beiden Konstrukte durch die gemeinsamen Lerngelegenheiten, soll der Abgrenzung von SRCK und PCK noch in einer zusätzlichen Forschungsfrage nachgegangen werden. Dabei wird vor allem die Validität auf Basis von Antwortprozessen untersucht (AERA et al. 2014, S. 15). Wesentlich ist hier bei PCK- und SRCK-Items im geschlossenen Format, dass Lösungen über z. B. Strategien der testwiseness (Rogers und Yang 1996) ausgeschlossen werden können. Vertiefend soll zudem geprüft werden, ob die beobachteten Antwortprozesse auf der Nutzung des dabei zu erwartenden Wissens basieren.
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5. Validität von SRCK und PCK auf Basis von Antwortprozessen: a. Verfügen Studierende, die SRCK- bzw. PCK-Items korrekt bearbeitet haben, tatsächlich über das notwendige SRCK bzw. PCK? Verfügen Studierende, die SRCK- bzw. PCK-Items nicht korrekt bearbeitet haben, tatsächlich nicht über das notwendige SRCK bzw. PCK? b. Verwenden die Studierenden beim Lösen von SRCK- bzw. PCK-Items im Wesentlichen ihr entsprechendes SRCK bzw. PCK? Den Forschungsfragen 1–4 wurde im Rahmen der quantitativen Studie 1 mit N = 505 Lehramtsstudierenden nachgegangen. Die Forschungsfrage 5 wurde im Rahmen einer vertiefenden Interviewstudie (Studie 2) mit N = 18 Lehramtsstudierenden untersucht.
4 Studie 1: Quantitative Erhebung 4.1 Itementwicklung, Stichprobe und Erhebungsdesign
Zu den drei Wissenskonstrukten wurden auf Basis der zuvor dargestellten Konzeptualisierung insgesamt 204 Items entwickelt und in einer Pilotstudie mit N = 264 Mathematik-Lehramtsstudierende von 11 verschiedenen Hochschulen aus Deutschland eingesetzt (davon ca. 70 % im Studiengang Lehramt Sek. II). Die CK-Items adressierten dabei akademisches Fachwissen, wie es in den Fachvorlesungen der Lehramtsstudiengänge für die Sekundarstufe vorkommt. Das PCK wurde analog zur COACTIV-Studie konzeptualisiert (Krauss et al. 2011), es wurde allerdings darauf geachtet, dass die Items nicht allein mit mathematischem Wissen lösbar sind. Die SRCK-Items wurden auf Basis der zuvor beschriebenen Konzeptualisierung entwickelt. In der Datenmodellierung (dreidimensionale between-item Raschmodellierung; multidimensional random coefficients multinomial logit modelling, Adams et al. 1997) wiesen 119 Items (31 PCK-Items, 34 SRCK-Items, 54 CK-Items) eine angemessene psychometrische Güte auf (Modellfit, Trennschärfen, DIF). Zudem konnte auf Basis einer zuvor durchgeführten curricularen Analyse der beteiligten Hochschulen gezeigt werden, dass die curricularen Inhalte der Mathematik-Lehramtsstudiengänge (Arithmetik, Algebra, Analysis, Geometrie, Stochastik und Numerik) in angemessener Weise, jedoch mit Schwerpunkt Arithmetik und Algebra, abgebildet sind. Der Itempool wurde auf zwei Testhefte mit 95 bzw. 105 Items verteilt. Für jedes Testheft war eine Erhebungszeit von 120 min vorgesehen. Die Testhefte waren über 81 gemeinsame Items verankert. Diese waren über alle drei Konstrukte verteilt, sodass die Voraussetzungen für eine gemeinsame Skalierung gegeben sind. Die Stichprobe der Hauptstudie umfasste insgesamt N = 505 Lehramtsstudierende (62 % weiblich, 38 % männlich) der Sekundarstufen mit Unterrichtsfach Mathematik von 13 Hochschulen aus Deutschland. Die Studierenden waren im Mittel 23,3 (SD = 2,9) Jahre alt und befanden sich im 5,9 Semester (SD = 2,6). Ungefähr 64 % der Studierenden verfolgten ein Studium für das Lehramt der Sekundarstufe II (Gymnasium). Da Erhebungen während der Lehrveranstaltungen nicht reali-
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Akademisches versus schulbezogenes Fachwissen – ein differenzierteres Modell des... Tab. 1 Vergleich der Modelle zu fachspezifischem Professionswissen Modell
Beschreibung
n
df
BIC
3-dim between-item Modell 2-dim between-item Modell A
CK vs. SRCK vs. PCK CK vs. SRCK + PCK
112 109
44023,82 44069,37
44720,97 44747,85
2-dim between-item Modell B 1-dim Generalfaktormodell
CK + SRCK vs. PCK CK + SRCK + PCK
109 107
44159,14 44312,97
44837,62 44979,00
n Anzahl geschätzter Parameter, df final deviance
sierbar waren, fanden diese an einem Wochenendtag statt. Um eine angemessene Stichprobengröße zu erreichen, wurde gezielt Werbung in Lehrveranstaltungen der betreffenden Studiengänge gemacht und eine Aufwandsentschädigung angeboten. Geschulte Testleitende administrierten die Erhebungen gemäß einem vorgegebenen Erhebungsskript. Für die Kodierung (teils dichotome, teils partial credit scores) wurde ein Kodierschema verwendet, das in der Pilotstudie entwickelt wurde. Bei den 34 offenen Items wurden zwei unabhängige Kodierungen vorgenommen. Es ergab sich dabei eine ausreichende Interraterreliabilität (für alle Items Cohens κ > 0,73). Für die gemeinsame Modellierung und Analyse der Daten aus verschiedenen Testheften wurden mehrdimensionale between-item Raschmodellierungen gewählt (MRCML; Adams et al. 1997), die mit der Software ConQuest (Wu et al. 2007) berechnet wurden. Bei der Modellierung zeigte sich, dass 98 der 119 Items eine angemessene psychometrische Güte aufwiesen (Modellfit, Trennschärfe, DIF). Damit konnten 26 PCK-Items, 31 SRCK-Items und 41 CK-Items in die Auswertung einbezogen werden. 4.2 Ergebnisse Studie 1
Für die Untersuchung der dimensionalen Struktur gemäß Forschungsfrage 1 wurde das theoretisch erwartete dreidimensionale Modell mit einem eindimensionalen Modell (g-Faktor) verglichen. Darüber hinaus wurden noch zwei theoretisch plausible zweidimensionale Modelle in den Vergleich aufgenommen. Diese basieren zum einen auf der Überlegung, dass sich SRCK als eine Form des mathematischen Fachwissens als nicht vom akademischen Fachwissen CK trennbar erweisen könnte. Zum anderen kann – wie zuvor bereits ausgeführt – auch plausibel angenommen werden, dass SRCK und PCK zu einer Dimension verschmelzen. Aufgrund des verankerten Testheftdesigns wurden die Kennwerte aus ConQuest für die Dimensionsanalyse herangezogen. Für die Modellvergleiche konnten keine χ²-Tests verwendet werden, da die Modelle nicht verschachtelt sind. Entsprechend wurde der informationstheoretische Index BIC (Bayesian information criterion) herangezogen. Modelle mit kleineren BIC-Werten sind dabei als besser passend anzusehen und ein Differenzwert größer 10 gilt nach Raftery (1995, S. 141) bereits als starke Evidenz für eine bessere Modellpassung. Wie in Tab. 1 erkennbar, weist das dreidimensionale Modell den geringsten BIC-Wert auf. Die zweitbeste Passung mit einer deutlichen Differenz von bereits 27 Punkten weist das zweidimensionale Modell auf, das eine Verschmelzung der Dimensionen SRCK und PCK modelliert (angemerkt sei, dass auch die Werte der Indizes AIC und CAIC berechnet wurden und diese das Ergebnis des Modellvergleichs in gleicher Deutlichkeit stützen).
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A. Heinze et al. Tab. 2 Geschätzte Randmittel (Standardfehler) zu PCK, SRCK und CK von Lehramtsstudierenden getrennt nach Studiengängen bzw. Studiendauer. Skalen normiert auf Mittelwert 500 und Standardabweichung 100 Gruppe
PCK
SRCK
CK
Lehramt Sek. I
483 (7,5)
463 (7,2)
435 (6,4)
Lehramt Sek. II
509 (5,5)
521 (5,4)
537 (4,8)
ANCOVA-Kennwerte F(1, 500) = 7,64* part. η² = 0,02
F(1, 500) = 40,48*** part. η² = 0,08
F(1, 500) = 158,55*** part. η² = 0,24
1.–4. Semester
490 (7,2)
487 (6,4)
505 (5,3) F(1, 500) = 2,68
507 (4,7) F(1, 500) = 6,13* part. η² = 0,01
479 (7,4)
ab 5. Semester 511 (5,4) ANCOVA-Kennwerte F(1, 500) = 12,06*** part. η² = 0,02
Kovariate: Geschlecht sowie Studiendauer bzw. Studiengang * p < 0,05; ***p < 0,001
Ausgehend von dem dreidimensionalen Modell wurden die EAP/PV-Reliabilitäten der Skalen bestimmt. Während die Skalen CK (0,83 bei 41 Items) und SRCK (0,80 bei 31 Items) gute Werte aufwiesen, weist die PCK-Skala mit 0,69 bei 26 Items noch eine akzeptable Reliabilität auf. Im Hinblick auf Forschungsfrage 2 können die Skalen insgesamt als reliabel eingeschätzt werden. Darüber hinaus zeigten sich adäquate Verteilungen der drei Skalen (Varianz PCK: 0,38; SRCK: 0,45; CK: 0,86). Forschungsfrage 3 folgend wurden die latenten Korrelationen zwischen den drei Skalen betrachtet. Es ergab sich ein moderater Zusammenhang zwischen dem akademischen Fachwissen CK und dem fachdidaktischen Wissen PCK von r = 0,54. Demgegenüber wies SRCK deutliche Zusammenhänge zu CK (r = 0,83) wie auch zu PCK (r = 0,85) auf. Differenziert nach den Lehramtsstudiengängen ergeben sich unterschiedliche Ausprägungen. Während die Korrelationen CK-PCK nur wenig abweichen (Sek. I: r = 0,58, Sek. II: r = 0,53), deutet sich beim Lehramt Sek. II ein stärkerer Zusammenhang zwischen CK und SRCK an (r = 0,84) als beim Lehramt Sek. I (r = 0,74). Im Falle der Korrelation zwischen SRCK und PCK deutet sich dagegen ein stärkerer Zusammenhang beim Lehramt Sek. I an (r = 0,93 zu r = 0,80 beim Lehramt Sek. II). Schließlich wurden durch den kontrastierenden Vergleich von Substichproben weitere Analysen zur Konstruktvalidierung vorgenommen. Dazu wurde die Stichprobe zunächst in Lehramtsstudierende der Sekundarstufe I und II geteilt und diese in einer ANCOVA im Hinblick auf ihre Ergebnisse zu CK, SRCK und PCK verglichen (vgl. Forschungsfrage 4a). Als Kovariaten dienten die Semesterzahl sowie das Geschlecht. Die Ergebnisse sind in Tab. 2 (oberer Teil) dargestellt. Es zeigen sich erwartungsgemäß ein großer Unterschied im CK sowie ein moderater Unterschied im SRCK zugunsten des Lehramts für die Sekundarstufe II. Beim PCK wird der Unterschied ebenfalls signifikant, fällt aber eher gering aus. Für die Forschungsfrage 4b wurde die Stichprobe in Studierende mit einer bisherigen Studiendauer unter 5 Semestern (ca. ein Drittel je Studiengang) und ab 5 Semestern unterteilt. Der Hintergrund dieser Unterteilung ist, dass zu Beginn des Studiums schwerpunktmäßig CK und zum Ende des Studiums verstärkt PCK im Curriculum der Studiengänge vorgesehen ist. Auch hier wurden die jeweiligen Mittelwerte der beiden Gruppen zu CK, SRCK und PCK in einer ANCOVA ver-
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Akademisches versus schulbezogenes Fachwissen – ein differenzierteres Modell des...
glichen und dabei der Lehramtsstudiengang (Sek. I vs. Sek. II) und das Geschlecht kontrolliert. Die Ergebnisse in Tab. 2 (unterer Teil) zeigen die erwarteten Effekte, wenn auch in geringem Ausmaß. Die fortgeschrittenen Studierenden weisen mehr PCK und auch CK auf als die jüngeren Studierenden. Beim SRCK gibt es keinen signifikanten Unterschied. 4.3 Zwischenfazit zur Studie 1
Die empirischen Ergebnisse stützen die theoretisch hergeleitete dreidimensionale Struktur des fachspezifischen Professionswissens von Lehramtsstudierenden der Sekundarstufen als PCK, SRCK und CK. Zum einen weist das dreidimensionale Modell mit Abstand die beste Passung zu den Daten auf. Zum anderen deuten die Korrelationen zwischen den drei Dimensionen darauf hin, dass von einer Trennbarkeit der Konstrukte ausgegangen werden kann. Die gebildeten Skalen weisen angemessene Reliabilitäten auf und können so für eine Messung verwendet werden. Auch die betrachteten Gruppenunterschiede unterstützen das theoretische Modell. Ausgehend von den Gruppeneigenschaften fallen die Gruppenunterschiede erwartungsgemäß aus. Darüber hinaus ergibt sich durch die Trennung in die drei Konstrukte ein Mehrwert, da die Gruppen unterschiedliche Ausprägungen hinsichtlich aller drei Konstrukte zeigen. Auch wenn die Ergebnisse zur dimensionalen Struktur auf eine Trennbarkeit der Konstrukte hindeuten, so lässt sich doch die erwartete deutliche Nähe der Konstrukte SRCK und PCK erkennen. So ist in Tab. 1 zu sehen, dass das zweidimensionale Modell mit der kombinierten Dimension PCK + SRCK ebenfalls eine relativ gute Modellpassung aufweist (wenn auch eine schlechtere als das dreidimensionale Modell). Zusätzlich ergab die Zusammenhangsanalyse eine latente Korrelation von r = 0,85. Hier kann die Tatsache eine Rolle spielen, dass der Schulbezug im Rahmen der Lehrveranstaltungen hauptsächlich in fachdidaktischen Lehrveranstaltungen auftritt und somit PCK und SRCK auf die gleichen Lerngelegenheiten zurückzuführen ist. Wie im Abschnitt zu den Forschungsfragen bereits begründet, wurde diese Konstruktnähe bereits im Vorfeld vermutet. Entsprechend wurde die im Folgenden dargestellte Interviewstudie durchgeführt, um die Validität der Maße und damit die Trennung der Dimensionen PCK und SRCK abzusichern.
5 Studie 2: Interviewstudie Die Interviewstudie zur Beantwortung der Forschungsfragen 5a und 5b dient der weiteren Stützung der Inhaltsvalidität der Testitems zu SRCK und PCK. Insbesondere soll geprüft werden, (5a) ob Studierende, die SRCK- bzw. PCK-Items (nicht) korrekt bearbeitet haben, tatsächlich (nicht) über das notwendige SRCK bzw. PCK verfügen und (5b) ob Studierende beim Lösen von SRCK- bzw. PCK-Items im Wesentlichen ihr entsprechendes SRCK bzw. PCK verwenden. Zur Beantwortung der Fragen wurden die Antwortprozesse der Studierenden durch retrospektive Interviews sichtbar gemacht. Dabei bearbeiteten die Studierenden die Items zunächst unter vergleichbaren Bedingungen wie in der zuvor darge-
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A. Heinze et al.
stellten Studie 1 und wurden direkt im Anschluss in einem standardisierten Interview nach Begründungen für die von ihnen gegebenen Lösungen befragt. Kamen in den Itemformulierungen oder den Distraktoren fachdidaktische oder mathematische Fachbegriffe vor, wurden die Studierenden angehalten, diese zu erklären. Zudem wurden sie gebeten, die Verständlichkeit der Items zu bewerten und bei Items mit geschlossenem Antwortformat anzugeben, ob sie geraten haben. 5.1 Itemauswahl, Stichprobe und Erhebungsdesign
Für die Interviewstudie wurden sechs PCK-Items und acht SRCK-Items zu den Themen Algebra, Arithmetik und Analysis ausgewählt. Die Inhaltsbereiche wurden gewählt, da sie bereits ab Studienbeginn in Fachveranstaltungen thematisiert werden. Zudem wurden gezielt solche Items ausgewählt, die einerseits nur schwache Kennwerte zur psychometrischen Güte bei der IRT-Skalierung aufwiesen, die aber andererseits für die Konstrukte PCK und SRCK aus theoretischer Sicht als zentral angesehen werden. An der Studie nahmen 18 Sekundarstufe II-Lehramtsstudierende einer Universität teil. Neun Studierende befanden sich zum Zeitpunkt der Erhebung im fortgeschrittenen Bachelor-Lehramtsstudium, die anderen waren bereits im Masterstudium. Aufgrund des zuvor beschriebenen Studiendesigns besteht der Validierungsstudie zugrundeliegende Datensatz aus 252 Antworten (14 Aufgaben mal 18 Studierende) mit zugehörigen Begründungen. Die Itemlösungen wurden entsprechend des Kodiermanuals der Studie 1 kodiert. Die Begründungen zu den Itemlösungen wurden zum einen bezüglich der fachlichen Richtigkeit beurteilt (fachlich richtig/fachlich falsch) und zum anderen bezüglich der Art der Begründung kodiert. Dabei wurde zwischen vier Begründungskategorien unterschieden (siehe Tab. 3). Um die Auswertungsobjektivität zu überprüfen, wurde die Art der Begründungen von zwei unabhängigen Ratern kodiert und anschließend mittels Cohens Kappa verglichen. Dabei ergaben sich bis auf eine Ausnahme akzeptable bis sehr gute Übereinstimmungen von κ = 0,60 bis 1 (bei einem Item ergab sich nur κ = 0,55). Die im Folgenden berichteten Ergebnisse basieren auf der zur Bestätigung der Validität ungünstigeren der beiden Kodierungen und sind deshalb als konservative Schätzung zu bewerten. Die fachliche Richtigkeit schließlich wurde von zwei unabhängigen Ratern dichotom kodiert. Diese stimmten zu mindestens 83 % in den Bewertungen überein. In den wenigen Fällen ohne Übereinstimmung wurden die entsprechenden Interviewtranskripte von beiden Ratern diskutiert und im Konsens final kodiert. 5.2 Ergebnisse
Um die oben genannten Forschungsfragen beantworten zu können, wurden die kodierten Antworten in Vierfeldertafeln kontrastiert. Für die Forschungsfrage 5a wurden jeweils die Itembewertungen und die Bewertung der Begründung in Bezug auf die fachliche Richtigkeit (schriftliche Itemlösung richtig/falsch × mündliche Begründung richtig/falsch) analysiert. In einer zweiten Auswertung wurde dann für
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Akademisches versus schulbezogenes Fachwissen – ein differenzierteres Modell des... Tab. 3 Kategorisierung der Begründungsarten Kategorie
Beschreibung der Begründungsart dieser Kategorie
Typische Begründungen dieser Kategorie
1
Begründungen, die überwiegend auf PCK zurückgreifen, beziehen die Schülerinnen und Schüler, deren Verständnis, Fehlvorstellungen etc. ein
„... dann hat man so einen verständnisorientierten Zugang zur Anordnung.“ „... und an die Alltagserfahrung der Schüler angeknüpft, ...“
2
Begründungen, die überwiegend auf SRCK zurückgreifen, beziehen die mathematischen Zusammenhänge ein
„Ich habe einfach die Rechengesetze angewendet.“ „Weil man bei der Einführung von [math. Begriff] hier [math. Verfahren] braucht.“
3
Eine Misch-Begründung zeichnet sich durch eine Argumentation aus, die auf PCK und SRCK zurückgreift, wobei kein Schwerpunkt für einen Wissensbereich erkennbar ist
„Das hier ist einfach mathematisch richtig. Und ich kann ich mir gut vorstellen, dass es für Lernende hilfreich ist, weil es eigentlich was Bekanntes aufgreift.“
4
Konstrukt-irrelevante Begründungen nutzen andere Lösungsstrategien. Hierzu gehören Antworten, die auf der von Rogers und Yang (1996) beschriebenen test-wiseness beruhen
Hinweise auf Rate-, Schlussfolgerungs-, Zeiteinteilungs-, Fehlervermeidungs-, Intentionserwägungs- und Schlüsselinformationsstrategien
die Forschungsfrage 5b geprüft, welches Wissen die Studierenden aktivieren, d. h. es wurde jeweils die inhaltliche Zuordnung der Items zu PCK oder SRCK und die Wissensgrundlage der Begründung analysiert. Dies geschah in den zwei Schritten (5b1) (Itemzuordnung zu PCK/SRCK × Begründung mit/ohne SRCK) und (5b2) (Itemzuordnung zu PCK/SRCK × Begründung mit/ohne PCK). Die Verteilungen der Kriterienausprägungen in den jeweiligen Itemkategorien wurden im Anschluss mit Hilfe von χ2-Tests auf Unabhängigkeit überprüft. Als Maß für die Effektstärke wurde das Korrelationsäquivalent Cramers VC berechnet (Bortz und Döring 2006, S. 614). Von den theoretisch 252 Aufgabenbearbeitungen konnten 242 (5a) bzw. 250 (5b) berücksichtigt werden, da nur wenige Daten fehlten. Wie an den Kennwerten in Tab. 4 zu sehen ist, zeigt sich der erwünschte signifikante Zusammenhang mit jeweils mittleren bis starken Effekten sowohl zwischen der Korrektheit der Itemlösung und der fachlichen Richtigkeit der Begründung (5a), als auch der inhaltlichen Zuordnung der Items und der inhaltlichen Zuordnung der Begründung (5b1, 5b2). Anzumerken ist, dass für die Auswertungen 5b auch Itemlösungen einbezogen wurden, die nicht korrekt waren. Nach Auswertung 5a liegt in diesen Fällen das vorhandene Wissen nicht vor, sodass es folglich wahrscheinlich dazu kommt, dass nicht korrekt gelöste Items auf der Basis von anderem Wissen als durch die Itementwicklung intendiert bearbeitet und begründet werden. Dies könnte die Ergebnisse der Auswertungen 5b positiv verzerren. Entsprechend wurden die Auswertungen 5b noch einmal nur auf Basis der korrekt gelösten Items durchgeführt (etwa ein Drittel der Itemlösungen). Die Ergebnisse, die hier nicht im Detail dargestellt werden, zeigen noch stärkere Effekte als in Tab. 4 (für 5b1: χ²(1) = 42,48; p < 0,001; VC = 0,71 und für 5b2: χ²(1) = 18,74; p < 0,001; VC = 0,47).
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A. Heinze et al. Tab. 4 Ergebnisse der Auswertungen 5a, 5b1 und 5b2 (jeweils Anzahl der Fälle) 5a: Fachliche Korrektheit
Begründung korrekt
Begründung nicht korrekt
Itemlösungen korrekt Itemlösungen nicht korrekt
29,0 % 1,6 %
4,8 % 64,7 %
5b1: Begründung SRCK
χ²(1) = 185,03; p < 0,001; VC = 0,86 Begründung mit SRCK Begründung ohne SRCK
SRCK-Items
42,0 %
PCK-Items
9,9 % 33,6 % χ²(1) = 65,71; p < 0,001; VC = 0,51
14,8 %
5b2: Begründung PCK
Begründung mit PCK
Begründung ohne PCK
PCK-Items SRCK-Items
30,4 % 20,8 %
12,8 % 36,0 %
χ²(1) = 27,97; p < 0,001; VC = 0,33
5.3 Zwischenfazit zur Studie 2
Die Ergebnisse der Interviewstudie zeigen, dass die Testscores der betrachteten Itemauswahl zum größten Teil auf konstruktadäquate Antwortprozesse zurückgeführt werden können. Die Itemauswahl umfasst 14 von 57 PCK- und SRCK-Items (ca. 25 %), wobei diejenigen PCK- und SRCK-Items ausgewählt wurden, die in der mehrdimensionalen Modellierung die größte Nähe zur jeweils anderen Dimension aufwiesen. Selbst bei diesen, hinsichtlich der inhaltlichen Zuordnung „kritischsten“ Items zeigt sich, dass eine Trennung der beiden Dimensionen im Hinblick auf die Antwortprozesse der Probandinnen und Probanden abgesichert werden kann.
6 Zusammenfassende Diskussion der beiden Studien Die Frage, wie das professionelle Fachwissen von (angehenden) Lehrkräften der Sekundarstufen in seiner Konzeptualisierung und Operationalisierung ausgerichtet sein soll, ist derzeit noch nicht geklärt. In den bisherigen Studien zum Professionswissen von (angehenden) Lehrkräften wurden unterschiedliche Wege eingeschlagen, die sich durch mehr oder weniger starke Nähe zum Schulfachwissen auszeichneten und nur teilweise akademisch ausgerichtete Fachwissensfacetten einbezogen haben (z. B. Ball et al. 2008; Blömeke et al. 2010; Riese und Reinhold 2010; Kunter et al. 2011; Jüttner et al. 2013). Betrachtet man die Lehramtsausbildung für den Bereich der Sekundarstufe, so gewinnt der zuletzt genannte Punkt an Bedeutung, da hier im deutschsprachigen Raum traditionell eine stark akademisch geprägte Fachwissensausbildung stattfindet. Offen ist dabei zum einen, welche Rolle das vermittelte akademische Fachwissen in einer übergreifenden Konzeptualisierung des professionellen Fachwissens von (angehenden) Lehrkräften der Sekundarstufen spielt. Damit verbunden ist zum anderen die Frage, welche Bedeutung akademisches Fachwissen für den Erwerb von fachspezifischem Lehrerprofessionswissen insgesamt hat. In diesem Beitrag wurde exemplarisch für das Fach Mathematik der ersten Frage nach einer differenzierteren Konzeptualisierung von professionellem Fachwissen sowie einer entsprechenden Messung und Strukturanalyse nachgegangen, um eine Basis
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Akademisches versus schulbezogenes Fachwissen – ein differenzierteres Modell des...
für die Untersuchung der zweiten Frage im Rahmen einer (gerade begonnenen) Längsschnittstudie zu schaffen. Auf Basis der in diesem Beitrag dargestellten theoretischen und empirischen Analysen halten wir bezüglich des Lehramtsstudiums für die Sekundarstufen zwei Fachwissensdimensionen für relevant. Neben dem akademischen Fachwissen (CK), welches den bezugswissenschaftlichen Hintergrund für das Schulfach Mathematik aufzeigt, betrachten wir eine schulnähere Dimension, die wir als Fachwissen im schulischen Kontext (SRCK) bezeichnen. Dieses Konstrukt umfasst neben Wissen über die curriculare Struktur und deren Begründung auch Wissen über die nichttrivialen Zusammenhänge zwischen dem Schulfach und der akademischen Disziplin (im Sinne einer top-down- bzw. einer bottom-up-Richtung). Wie oben erwähnt, ist das Konstrukt zum einen anschlussfähig an die Studien und Konzeptionen der 1960er und 1970er-Jahre zum Verhältnis Fachwissenschaft und Schulfach (aus den Bereichen Curriculumsforschung, Lehrerausbildung, fachbezogene Unterrichtsplanung und -analyse) und zum anderen an bisherige empirische Studien zum Lehrerprofessionswissen. Im Rahmen der beiden detailliert dargestellten empirischen Studien konnte nachgewiesen werden, dass eine valide und reliable quantitative Erfassung von PCK, SRCK und CK möglich ist und sich diese drei Skalen trennen lassen. Dabei wird insbesondere deutlich, dass das Konstrukt SRCK andere Fachwissensfacetten misst als das akademische Fachwissen (CK) und sich auch vom PCK valide trennen lässt. Aus den Ergebnissen leiten wir ab, dass das professionelle Fachwissen von Studierenden des Lehramts an Sekundarstufen in die beiden Komponenten akademisches Fachwissen und Fachwissen im schulischen Kontext aufgegliedert werden kann. Nicht geklärt ist dabei, ob das SRCK systematisch und eigenständig erworben werden kann oder ob es notwendigerweise CK als kohärente und strukturierte Wissensbasis erfordert. Die hohe Korrelation der beiden Konstrukte kann als Argument für die zuletzt genannten Annahme gesehen werden, allerdings kann diese auch auf die vorhandene Studienstruktur zurückzuführen sein, die unsere Stichprobe durchlaufen hat. Offen ist außerdem, welche Ausprägung das SRCK bzw. welche Struktur das fachspezifische professionelle Wissen von berufstätigen Lehrkräften aufweist. Im Sinne einer prognostischen Validität wäre zudem zu klären, welche Auswirkungen das SRCK von Lehrkräften auf deren realisierte Unterrichtsqualität sowie in deren Folge auf die Schülerleistung hat. Zu überlegen ist schließlich, inwieweit SRCK und CK (als akademisches Fachwissen) für andere Fächer als unterschiedliche Konstrukte operationalisierbar sind. Gemäß den Überlegungen von Deng (2007) sollte dies zumindest für die Naturwissenschaften realisierbar sein. Danksagung Diese Studie ist Teil des Projekts „Messung professioneller Kompetenzen in mathematischen und naturwissenschaftlichen Lehramtsstudiengängen (KiL)“, das von der Leibniz-Gemeinschaft gefördert (Projektnummer SAW-2011-IPN-2) und in Kooperation des Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik und der Arbeitsgruppe Psychologie für Pädagogen an der ChristianAlbrechts-Universität zu Kiel durchgeführt wird.
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A. Heinze et al.
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