300 NuR (2017) 39: 300–305 DOI: 10.1007/s10357-017-3176-2
Aktuelle Entwicklungen im Naturschutzrecht Anschlussbericht zu NuR 3/2016: Berichtszeitraum seit 1. 6. 2015
Jana Maruschke © Springer-Verlag 2017
Der Beitrag befasst sich mit den Entwicklungen im Naturschutzrecht seit Juni 2015 und geht dabei im Besonderen auf die BVerwG-Urteile zu den beiden „Mammut-Projekten“ der Waldschlösschenbrücke im Dresdner Elbtal sowie der Elbvertiefung im Hamburger Hafen ein. Mit dem Beschluss des BVerwG zur Berechnung der Wertminderung im Rahmen einer Ersatzzahlung nach § 15 Abs. 6 BNatSchG sowie des VGH München zum Umfang der landwirtschaftlichen Privilegierungsklausel folgen weitere Entscheidungen der Gerichtsbarkeit. Der Fokus liegt schließlich auf der noch nicht abgeschlossenen Novelle des BNatSchG sowie dem bereits erlassenen neuen Landesnaturschutzgesetz NRW. Nach kurzer Darstellung der Konsequenzen des Fitness-Checks, wird der Blick zuletzt auf die Anstrengungen im Artenschutz auf internationaler Ebene gerichtet. 1. Entwicklungen auf nationaler Ebene 1.1 Urteil des B VerwG zur „Waldschlösschenbrücke“ im Elbtal Auch wenn einige Nachrichten im vergangenen Sommer so titelten, 1 stellt das Urteil des B VerwG vom 15. 7. 2016 2 keineswegs fest, dass die Brücke stehen bleiben darf. Vielmehr folgte der Senat dem Hilfsantrag, den Planfeststellungsbeschluss der Landesdirektion Dresden für den Neubau des die Elbauen und die Elbe überquerenden Verkehrszuges in der Fassung mehrerer Ergänzungs- und Änderungsbescheide für rechtswidrig zu erklären. Für das richtige Verständnis ist zunächst ein Blick auf die besondere Chronologie des Falles, beginnend mit Januar 2003, entscheidend: Zu diesem Zeitpunkt liegt eine abgeschlossene „FFH-Verträglichkeitsuntersuchung“ vor, welche keine nachhaltigen oder erheblichen Beeinträchtigungen der Erhaltungsziele der bis dato allein landesintern gemeldeten FFH-Gebiete 3 durch das Bauvorhaben ergab, weshalb sich keine vertiefte Verträglichkeitsprüfung im Sinne des Art. 6 Abs. 3 der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie 4 (FFH-RL) anschließt. Auf Grundlage der Prüfung ergeht am 25. 2. 2004 der Planfeststellungsbeschluss. Im April 2004 reicht eine anerkannte Naturschutzvereinigung neben einer Klage einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ein, um den Baubeginn zu verhindern. Bereits im Dezember 2004 nimmt die EU-Kommission die oben genannten FFH-Gebiete in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung auf, was für diese einen besonderen Schutz bedeutet. Diese Tatsache wird für den Ausgang des vorliegenden BVerwG-Urteils von einiger Wichtigkeit sein. Zunächst aber lehnt das OVG 5 unter Auflagen für den Fledermausschutz die noch vom Verwaltungsgericht angeordnete aufschiebende Wirkung der Klage endgültig ab. Im Jahr 2007 beginnt somit der Bau der Brücke, die im Jahr 2013 fertig gestellt sein wird. Der Planfeststellungsbeschluss erfährt in den folgenden Jahren einige Änderungen: Es kommen mit dem Planergänzungsbescheid vom 9. 6. 2008 ergänzende Nebenbestimmungen für den Fledermausschutz hinzu, es wird nach Einholung weiterer naturschutzfachlicher Gutachten Jana Maruschke, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl Prof. Dr. Andreas Fisahn, Universität Bielefeld, Deutschland
eine Neubewertung der mit dem Bauvorhaben verbundenen Beeinträchtigungen vorgenommen, welche jedoch auf zwei Lebensraumtypen und eine Falterart beschränkt ist. Diese Untersuchung stellt erhebliche Beeinträchtigungen fest, sodass weitere Schadensvermeidungsmaßnahmen angeordnet werden. Nachdem das VG die Klage im Jahr 2008 abgewiesen hat, werden im Rahmen des 2009 nunmehr anhängigen Berufungsverfahren die Bogenfüße der Brücke verkleinert. Mit Urteil vom 15. 12. 2011 weist das OVG die Berufung jedoch zurück, was letztlich zum Revisionsverfahren führt. Darin kommt das BVerwG zu dem oben angekündigten Ergebnis: Der Planfeststellungsbeschluss wird zwar nicht aufgehoben, ist aber rechtswidrig, da die Vorgaben des Habitatschutzrechts hinsichtlich des FFH-Gebiets „Elbtal zwischen Schöna und Mühlberg“ nicht eingehalten wurden. Unabhängig davon, dass es vor Listung der Gebiete einer umfassenden FFH-Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL nicht bedurfte, musste der Beklagte nach der Gebietslistung und vor Beginn der Bauarbeiten angemessene Schutzmaßnahmen durchführen, um die nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL relevanten Verschlechterungen auszuschließen. Kann die Gefahr einer Verschlechterung der Lebensräume oder die Störung von Arten nicht ausgeschlossen werden, konkretisiere sich Art. 6 Abs. 2 FFHRL, so die Verwaltungsrichter, zur Pflicht, eine solche Prüfung durchzuführen, die dem Schutzniveau des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL gleichkommt. Da eine solche Prüfung weder vor noch nach 6 Baubeginn stattgefunden hat, habe der Beklagte diese nachzuholen. Doch was kann nun sinnvollerweise, nachdem die Brücke fertig gestellt ist, überprüft werden und welche Konsequenzen können überhaupt aus dem (möglicherweise negativen) Ergebnis gezogen werden? Zumindest kann, so das Gericht, überprüft werden, ob der Fortbestand und der weitere Betrieb zu erheblichen Beeinträchtigungen führen oder sogar bereits geführt haben. Ist das der Fall, muss eine Abweichungsprüfung erfolgen. Aber auch eine Alternativenprüfung ist neu vorzunehmen, insbesondere muss erneut zwischen Brücke und Tunnel abgewogen werden. Dabei bleibt der Abriss der Brücke natürlich ultima ratio, doch es kann über eine Begrenzung der Nutzung oder Schließung des Bauwerks 1) http://www.zeit.de/gesellschaft/2 016-07/dresden-waldschloesschenbruecke-bundesverwaltungsgericht?page=2#comments, http://www.lto.de/recht/nachrichten/n/bverwg-9c316-planfeststellungsbeschluss-waldschloesschenbruecke-dresden-rechtswidrig/, Stand 20. 2. 2017. 2) BVerwG, Urt. v. 15. 7. 2016 – 9 C 3.16, NuR 2016, 694. 3) DE4545-301 „Elbtal zwischen Schöna und Mühlberg“, DE4949301 „Elbtalhänge zwischen Loschwitz und Bonnewitz“, DE4848304 „Prießnitzgrund“ sowie DE4645-302 „Separate Fledermausquartiere im Großraum Dresden“. 4) Richtlinie 92/43/EWG des Rates v. 21. 5. 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen. 5) OVG Bautzen, Beschl. v. 12. 11. 2007 – 5 B 286/10. 6) Das BVerwG sieht in den Änderungen, die der Planfeststellungsbeschluss erfahren hat, richtigerweise keine nachgeholte FFHPrüfung bzw. Heilung, da sich diese wie bereits beschrieben auf ein begrenztes Gebiet beschränkten und zudem die Sach- und Rechtslage von 2004 zugrunde gelegt worden war.
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nachgedacht werden. Alles in allem erscheint der Tenor des BVerwG-Urteils daher eher als Appell zur Durchführung von Schadensbegrenzungen, nachdem durch den Bau der Brücke vollendete Tatsachen geschaffen wurden. 1.2 Urteil des B VerwG zur Elbvertiefung 7 Dem Dresdener Brückenstreit folgt auch schon die nächste langwierige Debatte, die die Elbe zum Gegenstand hat: Das BVerwG stellte am 9. 2. 2017 erneut die Rechtswidrigkeit (und damit auch die Nichtvollziehbarkeit) von Planfeststellungsbeschlüssen im Rahmen eines Großvorhabens fest. Dieses Mal ging es um die geplante Elbvertiefung, d. h. den Fahrrinnenausbau von Unter- und Außenelbe mit dem Ziel, auch den Containerschiffen mit einem Tiefgang von bis zu 14,5 Metern Zufahrt zum Hamburger Hafen zu ermöglichen. 8 Die Planfeststellungsbeschlüsse scheiterten, da die FFH-Verträglichkeitsprüfung den besonderen Schutzanforderungen, die für die nur an der Elbe vorkommenden Pflanzenart „Schierlings-Wasserfenchel“ erforderlich seien, zumindest nicht in jeder Hinsicht gerecht wurden. Es könne zumindest nicht ausgeschlossen werden, dass ein vorhabenbedingter Anstieg des Salzgehaltes im Wasser und damit eine Beeinträchtigung der Pflanzenart unterschätzt worden sei. Außerdem seien Kohärenzmaßnahmen im Sinne des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL nur in ungenügender Weise getroffen worden. Damit stellt das Gericht aber auch klar, dass es sich um vergleichsweise geringe Mängel handelt, die nicht zur Auf hebung der Planfeststellungsbeschlüsse führen. Wann allerdings mit dem Baubeginn des vor rund 15 Jahren geplanten Vorhabens gerechnet werden kann, hängt von der Planergänzung ab und ist daher noch nicht abzusehen. 9 1.3 BVerwG zur Berechnung der Wertminderung im Rahmen einer Ersatzzahlung nach § 15 Abs. 6 BNatSchG Wegen fehlender Erforderlichkeit eines Revisionsverfahrens hat das BVerwG mit Beschluss vom 11. 4. 2016 10 der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision eine Absage erteilt. Grund dafür war die Einschätzung, dass § 15 Abs. 6 S. 2 BNatSchG eindeutig die Frage beantwortet, wie eine etwaige Wertminderung bei der Berechnung eines Ersatzgeldes als Kompensation für die Umwandlung einer Waldfläche in eine andere Nutzungsart zu bestimmen ist. Dies könne im Wege sachgerechter Auslegung ohne weiteres ermittelt werden, weshalb ein Revisionsverfahren in dem vorliegenden Fall nicht notwendig sei. Hierin genehmigte der Landesbetrieb Wald und Holz der Klägerin die dauernde Umwandlung einer 2300 qm großen Waldfläche in einen Parkplatz, wobei er zudem eine Ersatzzahlung in Höhe von 6 €/qm festsetzte. Eine solche Ersatzleistung in Geld ist gemäß § 15 Abs. 6 BNatSchG ausnahmsweise vorgesehen, wenn der Eingriffsverursacher die Beeinträchtigungen weder vermeiden, noch ausgleichen oder ersetzen kann, ein Eingriff jedoch trotzdem zugelassen oder durchgeführt wird. Auch über die Höhe der Ersatzzahlung gibt § 15 Abs. 6 BNatSchG in seinem Satz 2 Auskunft: Sie bemisst sich nach den durchschnittlichen Kosten der nicht durchführbaren Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen, wozu auch die Kosten der Flächenbereitstellung gehören. Insgesamt hat der Verursacher daher die durchschnittlichen Kosten für den Erwerb einer Ausgleichsfläche, die Kosten der Durchführung der Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen sowie die Kosten einer durch Nutzungsänderung (beispielsweise von einem Ackerland in eine Waldfläche) anfallenden Wertminderung zu tragen. Da der zweite Posten bereits die Kosten der Durchführung der Maßnahmen berücksichtigt, muss bei der Berechnung der Wertminderung natürlich auch nur die Differenz zwischen dem Bodenverkehrswert vor Erwerb der Fläche und nach den soeben genannten Maßnahmen berücksichtigt werden. Es werden also nicht
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der Wert des Ackerlandes und der Wert des im Zuge der Umwandlung entstehenden Brachlandes, sondern der Wert des Ackerlands und der Wert des letztlich aufgeforsteten Waldes zur Berechnung der Wertminderung gegenübergestellt. Alles andere entspräche nicht der hier maßgebenden Ausgleichsfunktion und würde eine Doppelbelastung des Eingriffsverursachers bedeuten. 1.4 VGH München vom 2. 2. 2016 zum Umfang der landwirtschaftlichen Privilegierungsklausel Der VGH München hatte sich in seinem Beschluss vom 2. 2. 2016 11 mit dem Grundstück „Stiftswiese“ auseinanderzusetzen, welches der Pächter langjährig als Senderwiese und als Weidefläche für eine zweimal jährlich stattfindende Stoßbeweidung durch Schafe nutzte. Nun hatte der Kläger jedoch damit begonnen, das Grünland in Ackerland umzubrechen, was ihm mit Bescheid vom 24. 2. 2014, gestützt auf Art. 6 Abs. 2 S. 2 BayNatSchG, vorläufig – nämlich bis zur Klärung der artenschutzrechtlichen Wertigkeit des Gebiets – untersagt wurde. Die Rechtmäßigkeit der Untersagungsverfügung bestätigte darauf hin das VG. Vor allem mit der Begründung, seine Handlung unterfiele der landwirtschaftlichen Privilegierungsklausel im Sinne des Art. 6 Abs. 4 BayNatSchG und sei deshalb ordnungsgemäß und nicht als Eingriff nach § 14 Abs. 1 BNatSchG anzusehen, wandte sich der Kläger in seinem Antrag auf Zulassung der Berufung nunmehr gegen das erstinstanzliche Urteil. Der VGH München sah sich folglich in dem vorliegenden Beschluss veranlasst, den Umfang der sogenannten landwirtschaftlichen Privilegierungsklausel klarzustellen. Diese Klausel stellt die „tägliche Wirtschaftsweise“ des Landwirtes von naturschutzrechtlichen Anordnungen frei. Die Umbruchtätigkeiten des Grundstückseigentümers sind, so das Gericht, jedoch Veränderungen der Landschaft, durch die eine landwirtschaftliche Nutzung erst ermöglicht werden soll. Solche bloßen Vorbereitungshandlungen zur landwirtschaftlichen Nutzung unterfielen nicht der Privilegierung im Sinne des Art. 6 Abs. 4 BayNatSchG. Die Tatsache, dass das Grundstück bereits zuvor zur extensiven Weidewirtschaft genutzt wurde, ändere daran nichts, denn die beabsichtigte Aufnahme von Ackerbau stelle eine völlig andersartige und wesentlich intensivere landwirtschaftliche Nutzung dar, die nicht von der Privilegierung der Landwirtschaftsklausel erfasst sei. Die Richter hatten daher keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des VG-Urteils und lehnten die Berufung ab. 1.5 Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes Das Bundesnaturschutzgesetz soll den aktuellen Entwicklungen in Politik und Recht angepasst werden, weshalb das Kabinett am 8. 2. 2017 einen Entwurf 12 beschlossen hat. Ob die Novelle zu echten Verbesserungen oder gar Verschlechterungen für den Naturschutz führt, hängt stark von den einzelnen Regelungsbereichen ab: Zunächst verpflichtet 7) Zurzeit liegt nur die Pressemitteilung vor, Stand 20. 2. 2017, abruf bar unter http://www.bverwg.de/presse/pressemitteilungen/ pressemitteilung.php?jahr=2017&nr=6. 8) http://www.lto.de/recht/hintergruende/h/bverwg-urteil-7-a2-15-elbvertiefung-hafen-hamburg-habitatschutz-planfeststellungsbeschluss-umwelt/, Stand 20. 2. 2017. 9) ht t p://w w w.t agesschau.de/i n la nd/elbver t ief u ng -u r tei l- 103.html, Stand 27. 2. 2017. 10) BVerwG, Beschl. v. 11. 4. 2016 – 3 B 22/15, NuR 2016, 630. 11) VGH München, Beschl. v. 2. 2. 2016 – 14 ZB 15.147, NuR 2016, 207. 12) Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes, abruf bar unter http://www.bmub.bund.de/themen/natur-biologische-vielfalt-arten/naturschutz-biologische-vielfalt/ natur-naturschutz-biologische-vielfalt-download/artikel/bundesnaturschutzgesetz-bnatschg/?tx_ttnews[backPid]=289 Stand 27. 2. 2017.
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§ 21 Abs. 2 S. 2 BNatSchG-E 13 die Länder zur Schaffung eines bundesweit vernetzten Biotopverbundes bis zum Jahr 2027. Die Verpflichtung als solche ist nicht neu, denn sie hat bereits 2002 Eingang in das BNatSchG gefunden 14 und ist außerdem eines der Ziele der im Jahr 2007 geschaffenen „Nationalen Strategie zur biologische Vielfalt“. 15 Danach sollen 10 % der Fläche eines jeden Bundeslandes aufgewendet werden, 16 um dem Verlust von Biotopen und der Isolation einzelner „Biotopinseln“ durch die Intensivierung der land- und forstwirtschaftlichen Nutzung sowie des Straßenund Siedlungsbaus, entgegenzuwirken. 17 Bedenkt man, dass diese Verpflichtung bereits im Jahr 2010 umgesetzt sein sollte, erscheint die neue Frist dringend erforderlich, zeigt aber auch den deutlichen Verzug der Länder bei der Realisierung auf. Ob diese auf eine erneute bloße Fristsetzung reagieren, ist nicht abzusehen. Daher hätte – so auch die Forderung der Naturschutzvereinigungen 18 – über Sanktionsmaßnahmen nachgedacht werden müssen. Die neue Vorschrift des § 56 a BNatSchG-E soll die Bevorratung von Kompensationsmaßnahmen in der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) und im Bereich des Festlandsockels konkretisieren. 19 Bei AWZ und Festlandsockel handelt es sich um die seewärts des Küstenmeeres gelegenen Zonen bis zu einer Breite von 200 Meilen, wobei sich der Festlandsockel allein auf den Meeresboden und den Meeresuntergrund der Unterwassergebiete bezieht, die AWZ hingegen das darüber gelegene Wasser umfasst. 20 Zwar regelt § 16 BNatSchG unter welchen Voraussetzungen Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege, die im Hinblick auf zu erwartende Eingriffe durchgeführt worden sind, als Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen, und somit als Bevorratungsmaßnahmen, gelten und wie im Einzelnen damit zu verfahren ist (§ 16 Abs. 2 BNatSchG). Da jedoch in der AWZ und auf dem Festlandsockel kein Landesrecht Anwendung findet, besteht hier eine Regelungslücke, die § 56 a BNatSchG-E schließen soll. 21 Dazu sieht der neue Paragraph das Erfordernis der Zustimmung durch das Bundesamt für Naturschutz sowie eine Regelung zum Übergang der Verantwortung auf Dritte gemäß § 15 Abs. 4 BNatSchG vor. Außerdem soll mit § 57 BNatSchG-E eine neue Ermächtigungsgrundlage für die Unterschutzstellung von Meeresgebieten in der AWZ durch Rechtsverordnung geschaffen werden. Erschwert wird dies jedoch bereits durch die Regelung in Absatz 2: Dieser sieht eine Beteiligung fachfremder Ministerien 22 in Form eines Einvernehmens vor, und nicht wie zuvor in Form eines bloßen Benehmens. Dies ist angesichts des ohnehin bestehenden Verzuges bei der Unterschutzstellung von Natura-2000-Gebieten fragwürdig. 23 Des Weiteren hat die Novelle eine Regelungslücke geschlossen, die sich bereits im Beschluss des OLG Stuttgart vom 11. 12. 2014 abgezeichnet hatte. 24 Das Gericht entschied hier, dass das „Umdrücken“ von Bäumen samt ihrer Wurzeln aufgrund des begrenzten Wortlautes des § 69 Abs. 3 Nr. 13 BNatSchG nicht unter die Tatbestände „Abschneiden“ und „auf den Stock setzen“ zu subsumieren sei. Da es aus naturschutzfachlicher Sicht keinen Unterschied macht, in welcher Form das Gehölz entfernt wird, 25 kam der Gesetzgeber nun richtigerweise dem Anpassungsansinnen im Wege der Einführung eines neuen, weiteren Tatbestandes des „Beseitigens“ in § 39 Abs. 5 S. 1 Nr. 2 BNatSchG-E nach. Eine wesentliche Änderung hat zudem § 44 BNatSchG-E erfahren. Die Vorschrift sieht ein Zugriffs-, Besitz- sowie Vermarktungsverbot für besonders geschützte Arten vor. So dürfen wildlebende, besonders geschützte Tiere beispielsweise nicht gefangen, verletzt oder gar getötet und besonders geschützte Pflanzen nicht aus der Natur entnommen, beschädigt oder zerstört werden. Ausnahmen sieht Absatz 5 u. a. für nach § 15 zulässige Eingriffe in Natur und Landschaft vor, soweit die ökologische Funktion […] weiterhin erfüllt bleibt. Nun soll nach der novellierten Vorschrift kein Verstoß gegen das Tötungs- und Verletzungsverbot nach Abs. 1 Nr. 1 vorliegen, „wenn die Beeinträchtigung […] das Tötungs-
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und Verletzungsrisiko für Exemplare der betroffenen Arten nicht signifikant erhöht und diese Beeinträchtigung unvermeidbar ist“. Dieses „Signifikanzkriterium“ ist neu. Es hat zur Folge, dass der unvermeidbare Verlust einzelner Exemplare nicht automatisch und nicht immer ein Verstoß gegen das Tötungsverbot darstellt, sondern eben erst dann, wenn das Tötungsrisiko für Individuen der betroffenen Art signifikant erhöht wird. Inhaltlich begründet hat der Gesetzgeber diese Änderung damit, dass es dem Gebot der Verhältnismäßigkeit Rechnung trage und insbesondere beim Ausbau der Erneuerbaren Energien eine Einzelfallbewertung vorgenommen werden kann. 26 Von Seiten der Natur13) Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes, abruf bar unter http://www.bmub.bund.de/themen/natur-biologische-vielfalt-arten/naturschutz-biologische-vielfalt/ natur-naturschutz-biologische-vielfalt-download/artikel/bundesnaturschutzgesetz-bnatschg/?tx_ttnews[backPid]=289 Stand 27. 2. 2017, S. 3. 14) Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes, abruf bar unter http://www.bmub.bund.de/themen/natur-biologische-vielfalt-arten/naturschutz-biologische-vielfalt/ natur-naturschutz-biologische-vielfalt-download/artikel/bundesnaturschutzgesetz-bnatschg/?tx_ttnews[backPid]=289 Stand 27. 2. 2017, S. 14. 15) Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt, abruf bar unter https://www.bfn.de/0304_biodivstrategie-nationale.html, Stand 27. 2. 2017. 16) Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes, abruf bar unter http://www.bmub.bund.de/themen/natur-biologische-vielfalt-arten/naturschutz-biologische-vielfalt/ natur-naturschutz-biologische-vielfalt-download/artikel/bundesnaturschutzgesetz-bnatschg/?tx_ttnews[backPid]=289 Stand 27. 2. 2017, S. 14. 17) https://www.bfn.de/0311_biotopverbund.html, Stand 27. 2. 2017. 18) Exemplarisch: https://www.nabu.de/news/2016/12/21703.html, Stand 27. 2. 2017. 19) Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes, abruf bar unter http://www.bmub.bund.de/themen/natur-biologische-vielfalt-arten/naturschutz-biologische-vielfalt/ natur-naturschutz-biologische-vielfalt-download/artikel/bundesnaturschutzgesetz-bnatschg/?tx_ttnews[backPid]=289 Stand 27. 2. 2017, S. 5, 18. 20) Vgl. §§ 55, 57, 76 des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen; http://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Artikel/ G/Raumentwicklung/raumordnungsplan-fuer-die-ausschliessliche-wirtschaftszone-awz-in-der-nordsee-und-in-der-ostsee.html, Stand 27. 2. 2017. 21) Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes, abruf bar unter http://www.bmub.bund.de/themen/natur-biologische-vielfalt-arten/naturschutz-biologische-vielfalt/ natur-naturschutz-biologische-vielfalt-download/artikel/bundesnaturschutzgesetz-bnatschg/?tx_ttnews[backPid]=289 Stand 27. 2. 2017, S. 14, 18 f. 22) Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, Bundesministerium für Bildung und Forschung. 23) Stellungnahme des Naturschutzbundes v. 16. 12. 2017, abruf bar unter https://www.nabu.de/imperia/md/content/nabude/natur schutz/161219-nabu-stellungnahme-novellierung-bundesnaturschutzgesetz.pdf, Stand 16. 3. 2017, S. 8. 24) OLG Stuttgart, Beschl. v. 11. 12. 2014 – 4 Ss 569/14, NuR 2015, 214; Zusammenfassung s. NuR 3/2016. 25) Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes, abruf bar unter http://www.bmub.bund.de/themen/natur-biologische-vielfalt-arten/naturschutz-biologische-vielfalt/ natur-naturschutz-biologische-vielfalt-download/artikel/bundesnaturschutzgesetz-bnatschg/?tx_ttnews[backPid]=289 Stand 27. 2. 2017, S. 16. 26) Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes, abruf bar unter http://www.bmub.bund.de/themen/natur-biologische-vielfalt-arten/naturschutz-biologische-vielfalt/ natur-naturschutz-biologische-vielfalt-download/artikel/bundesnaturschutzgesetz-bnatschg/?tx_ttnews[backPid]=289 Stand 27. 2. 2017, S. 16 f.
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schutzvereinigungen wird dies massiv kritisiert: 27 Der unbestimmte Rechtsbegriff unterlaufe den Individuenbezug des Tötungsverbots und befördere eine Aufweichung des Artenschutzes. Klar ist, dass die neue Vorschrift die Entscheidung, wann ein Verstoß vorliegt, von der gesetzgeberischen Ebene auf die Vollzugsebene verlagert. Damit besteht die Möglichkeit der Aufweichung des Artenschutzes, aber eben auch eine neue „Kompromissbereitschaft“, wenn es z. B. um die Verwirklichung von Windkraftanlagen geht. Letztlich gilt es, die Auswirkungen durch das neue Gesetz streng zu überwachen. Schließlich erwähnenswert ist, dass die Novelle vorsieht, künftig auch Höhlen und naturnahe Stollen in die Liste der gesetzlich geschützten Biotope gemäß § 30 BNatSchG aufzunehmen. Diese Erweiterung erscheint – angesichts der Bedeutung solcher Lebensräume für Schmetterlinge, Fledermäuse und Spinnen – als sinnvoll. 28
zung des Waldes lediglich das Ziel zu verfolgen, stehendes dickstämmiges Totholz von Laubbäumen im Wald zu belassen. Zweitens bleibt unklar, ab wann Totholz als dickstämmig bezeichnet werden kann. Schließlich erscheint anlässlich der erstmaligen Etablierung von sog. Wildnisentwicklungsgebieten § 40 LNatSchG NRW erwähnenswert. Danach soll die Möglichkeit geschaffen werden, Flächen auszuweisen, auf denen keine weitere forstliche Nutzung erfolgt und sie somit der natürlichen Waldentwicklung überlassen sind. Damit soll das Ziel aus § 1 Abs. 2 Nr. 3 BNatSchG sowie das der Biodiversitätsstrategie erreicht werden, welche für solche Gebiete 5 % der Waldflächen bis zum Jahr 2020 fordert. 36
1.6 Das neue Landesnaturschutzgesetz NRW löst das Landschaftsgesetz NRW ab
Das Ergebnis des sogenannten Fitness-Checks der beiden Naturschutzrichtlinien und dessen Bewertung sollte nicht, wie noch im Vorbericht erwartet, im Frühjahr, sondern endgültig erst gegen Ende des Jahres 2016 von der EUKommission veröffentlicht werden. 37 Zuvor war jedoch auf Bitten des WWF der Abschlussbericht bereits im Juli 2016 zur Verfügung gestellt worden. 38 Zur Erinnerung: Zwischen April und Juli 2015 fand eine Online-Befragung aller EU-Bürgerinnen und Bürger durch die EU-Kommission statt, nachdem bereits die nationalen Ministerien, Indus-
Nicht nur auf Bundesebene wird das Naturschutzgesetz erneuert. In NRW wurde jüngst ein gänzlich neues „Naturschutzgesetz NRW“ geschaffen. 29 Damit einher gingen einige Anpassungen, um – so das rechtspolitische Ziel – das Landschaftsgesetz abzulösen und den Naturschutz auf eine solide und anwendungsfreundliche Rechtsgrundlage zu stellen. 30 Dies erzeugt zahlreiche gesetzliche Neuerungen, von denen die wichtigsten im Folgenden angerissen werden sollen. Zunächst erhält das am 15. 11. 2016 verkündete Gesetz eine Vorschrift, die den noch im BNatSchG bezifferten Anteil der Fläche von 10 % für den Biotopverbund auf 15 % in NRW erhöht. 31 Gestärkt werden soll der Biotopschutz ferner durch die Aufnahme von sog. Kleinseggensümpfen, Nass- und Feuchtgrünland, Halbtrockenrasen, natürliche Felsbildungen und Streuobstbeständen in die Liste der gesetzlich geschützten Biotope. 32 Ob bei den Streuobstbeständen jedoch überhaupt ein Anwendungsbereich besteht, ist ob der Einschränkung des Schutzes, welche § 42 Abs. 4 LNatSchG NRW vornimmt, äußerst fragwürdig. 33 Eine wichtige und begrüßenswerte Regelung hält § 31 LNatSchG NRW bereit. Dieser streicht die in § 4 a Abs. 1 S. 3 LG NRW noch enthaltene Regelung, dass die Flächeninanspruchnahme zur Kompensation nicht größer sein soll, als die Fläche des Eingriffs selbst (sog. 1 : 1-Regelung). Dies erscheint vor dem Hintergrund, dass die Art der Bewirtschaftung bzw. die Maßnahme selbst „wandern“ kann (wie bspw. bei der Anlage von Blühstreifen) 34 und so nicht immer die gleiche Fläche für die Maßnahme genutzt, sondern flexibel auf die Umstände des Einzelfalls reagiert werden kann, als angemessen. Das neue Gesetz bietet außerdem Anlass, um in den wenigen Bereichen, in denen dies möglich ist, vom BNatSchG abzuweichen. So beschränkt § 74 LNatSchG NRW das Vorkaufsrecht der Länder auf solche Grundstücke, die in Naturschutzgebieten, in FFH-Gebieten oder in Nationalparken liegen. Die vom Bundesrecht abweichende Reitregelung in § 59 Abs. 2 S. 3 LNatSchG NRW, nach der das Mitführen eines oder mehrerer Hunde beim Reiten verboten sein sollte, wurde jedoch vernünftigerweise wieder verworfen; andere Modifizierungen zum Reiten treten erst am 1. 1. 2018 in Kraft. Die neuen Regelungen zur guten fachlichen Praxis in der Landwirtschaft, die sich in § 4 LNatSchG NRW finden, gehen hingegen über die bundesrechtliche Regelung (§ 5 Abs. 2 BNatSchG) hinaus. So wurde in § 4 Abs. 1 LNatSchG NRW u. a. zusätzlich verboten, bei der landwirtschaftlichen Nutzung Dauergrünland und Dauergrünlandbrachen umzuwandeln (Nr. 1) und z. B. Hecken, Baumreihen, Feld raine und Kleingewässer als naturbetonte Strukturelemente der Feldflur zu beeinträchtigen (Nr. 3). Bei der Regelung zur guten fachlichen Praxis in der Forstwirtschaft mangelt es an zwei Stellen: 35 Erstens ist nach § 4 Abs. 4 LNatSchG NRW bei der forstlichen Nut-
2. Konsequenzen des Fitness-Checks der Naturschutzrichtlinien
27) Stellungnahme des Naturschutzbundes v. 16. 12. 2017, abruf bar unter https://www.nabu.de/imperia/md/content/nabude/naturschutz/161219-nabu-stellungnahme-novellierung-bundesnaturschutzgesetz.pdf, S. 5. 28) Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes, abruf bar unter http://www.bmub.bund.de/themen/natur-biologische-vielfalt-arten/naturschutz-biologische-vielfalt/ natur-naturschutz-biologische-vielfalt-download/artikel/bundesnaturschutzgesetz-bnatschg/?tx_ttnews[backPid]=289 Stand 27. 2. 2017, S. 3. 29) LRg.-Drs.16/11154, Protokolle sowie Stellungnahmen, Stand 27. 2. 2017, abruf bar unter https://www.landtag.nrw.de/portal/ WWW/Webmaster/GB_II/II.2/Suche/Landtagsdokumentation_ALWP/Suchergebnisse_Ladok.jsp?wp=16&view=berver& w=native%28%27%28+%28vtyp+%3D+%27%271%27%27%29 +AND+%28reihnr+%3D+%27%270100%27%27%29+%29+A ND+%28+%28nummer%2Cgn+phrase+like+%27%2716%2F11 154%27%27%29+and+%28ev+%3D+%27%27g%27%27%29+% 29+%27%29&order=native%28%27DOKDATUM%281%29%2 FDescend+%2C+VA%281%29%2FDescend+%27%29&fm=. 30) Gesetzesentwurf der Landesregierung, LRg.-Drs. 16/11154, S. 1, 149. 31) LRg.-Drs. 16/11154, S. 4, 29, 159. 32) LRg.-Drs. 16/11154, S. 161 f. 33) Streuobstbestände als extensiv genutzte Obstbaumwiesen oder -weiden aus hochstämmigen Obstbäumen mit einer Fläche ab 2500 Quadratmetern, soweit sie mindestens 100 Meter von der nächstgelegenen Hofstelle entfernt sind. 34) LRg.-Drs. 16/11154, S. 156 f. 35) Vgl. Stellungnahme 16/3863 (Schutzgemeinschaft Deutscher Wald) sowie 16/3866 (Dr. Stefan Möckel), abruf bar unter https:// www.landtag.nrw.de/portal/WWW/Webmaster/GB_II/II.2/ Suche/Landtagsdokumentation_ALWP/Suchergebnisse_Ladok. jsp?wp=16&view=berver&w=native%28%27%28+%28vtyp+% 3D+%27%271%27%27%29+AND+%28reihnr+%3D+%27%27 0100%27%27%29+%29+AND+%28+%28nummer%2Cgn+phr ase+like+%27%2716%2F11154%27%27%29+and+%28ev+%3D +%27%27g%27%27%29+%29+%27%29&order=native%28%27 DOKDATUM%281%29%2FDescend+%2C+VA%281%29%2F Descend+%27%29&fm=, Stand 16. 3. 2017. 36) Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt, abruf bar unter https://www.bfn.de/0304_biodivstrategie-nationale.html, Stand 16. 3. 2017, S. 31. 37) http://ec.europa.eu/environment/nature/legislation/f itness_ check/index_en.htm, Stand 20. 2. 2017. 38) https://blogs.nabu.de/naturschaetze-retten/fitnesscheck-final/, Stand 20. 2. 2017.
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304 NuR (2017) 39: 300–305
trie- und Landnutzverbände sowie Umweltverbände aller Mitgliedstaaten konsultiert wurden. Gegenstand der Konsultation war die Frage, ob die Vogelschutzrichtlinie und die FFH-RL einer Überarbeitung bedürfen oder sie ihren Zweck erfüllen und daher unverändert bleiben können. In der Online-Befragung sprachen sich über 520 000 EU-Bürger, mehr als 90 % aller Teilnehmenden, gegen eine Überholung und eine damit verbundene Schwächung der Naturschutzrichtlinien aus. 39 Auch das EU-Parlament stimmte für die Erhaltung der beiden Richtlinien. 40 Diesem klaren Votum schloss sich die EU-Kommission an, womit sie die Bedeutung der beiden Richtlinien bestätigte. Im Frühjahr 2017 sollen nun Vorschläge zur besseren Umsetzung der Richtlinien folgen. 3. Entwicklungen auf internationaler Ebene – Anstrengungen im Artenschutz 3.1 CITES-Vertragsstaatenkonferenz in Johannesburg Das nationale Artenschutzrecht wird wesentlich von europäischen und internationalen Entwicklungen geprägt. So entscheiden die CITES-Vertragsstaatenkonferenzen in regelmäßigen Abständen über Änderungen ihrer Konvention, dem Washingtoner Artenschutzabkommen. 41 Dieses wiederum wird durch europäische Verordnung 42 umgesetzt und gilt damit im Mitgliedstaat – somit auch Deutschland – unmittelbar. Die letzte Konferenz tagte vom 24.9. bis 5. 10. 2016 in Johannesburg, Südafrika. Die entscheidenden Fragen – dies spiegelt sich auch in der Vielzahl der Anträge der Unterzeichnerstaaten 43 wieder – bezogen sich auf die Herab- oder Heraufstufung bzw. die erstmalige Aufnahme in die Anhänge I und II der Konvention: 44 Für Schuppentiere, die am meisten illegal gehandelten Säugetiere der Welt, 45 sowie Berberaffen, Graupapageien und einige Kakteengewächse wurde der Status von einer Anhang II-Listung auf eine Anhang I-Listung herauf gestuft. Aus dem Stand erhielten diesen strengen Schutzstatus vor allem einige Schleichen-, Gecko- und Froscharten. Arten, die im Anhang I gelistet werden, unterliegen einem vollständigen Handelsverbot, womit sich jedoch gleichzeitig zeigt, wie sehr diese Arten vom Aussterben bedroht sind. Für Anhang II-Arten ist ein eingeschränktes Handelsverbot vorgesehen. Diesen eingeschränkten Schutz erhielten auf der Konferenz vor allem Steinbock und einige Weichschildkrötenarten. Doch gab es auch Enttäuschungen zu verzeichnen. Für den Löwen konnte keine Anhang I-Listung erreicht werden. Ebenso scheiterte der entscheidende Antrag, die Elefantenpopulationen von Namibia, Südafrika, Botswana und Simbabwe in den Anhang I hoch zu stufen, an der notwendigen Mehrheit. 46 Bereits im Vorfeld hatte auch die deutsche Bundesregierung angekündigt, diesen Antrag nicht zu unterstützen. Eine Anhang I-Listung würde, angesichts des bereits bestehenden Handelsverbots, keinen zusätzlichen, sondern ggf. sogar einen geringeren Schutz bedeuten, da alle Staaten durch nationalen Vorbehalt Handelsbeschränkungen für ihr Land außer Kraft setzen könnten. 47 Die Möglichkeit, gegen einzelne Leistungen einen Vorbehalt einzulegen, eröffnen die Anhänge XV und XVI des Washingtoner Artenschutzabkommens tatsächlich. 3.2 UN-Biodiversitätskonferenz in Cancún Daneben gilt die Artenschutzkonvention (Convention on Biological Diversity) der UN-Biodiversitätskonferenz als wichtige Zusammenkunft für die Erreichung artenschutzrechtlicher Ziele. Das Zusammentreffen der mehr als 190 Staaten findet alle zwei Jahre statt, zuletzt vom 4.– 17. 12. 2016, an der auch Bundesumweltministerin Barbara Hendricks teilnahm. 48 Der Leitgedanke der nunmehr 13. Konferenz „Mainstreaming biodiversity for wellbeing“ fand sich auch in der unterzeichneten „Cancún-Erklärung“ wie-
Maruschke, Aktuelle Entwicklungen im Naturschutzrecht
der, in der sich die Vertragsstaaten darüber verständigen, Fragen der Biodiversität in alle Politikentscheidungen wie selbstverständlich einzubeziehen. 49 Grund für diese Anstrengungen ist offenbar, dass den Teilnehmern der Konferenz der bloß schleppende Fortschritt bei der Umsetzung des Strategischen Plans 2011–2020 bewusst ist. Denn genau genommen sind sie in Verzug. Bereits das 2010-Ziel wurde nicht erreicht 50 – 2020 ist nicht fern. Doch Papier ist geduldig, es müssen echte Maßnahmen getroffen werden. Einen Hoffnungsschimmer bieten hier die gemeinsam verabschiedeten Beschlüsse der Konferenz: So verpflichteten sich – teils alle, teils nur Koalitionen einzelner – Teilnehmerstaaten ihre Agrarpolitik künftig stärker an Naturschutzzielen auszurichten, nationale Strategien zum Schutz von Bienen zu entwickeln, bei dem Gebrauch von Pestiziden umzudenken und umweltschädliche Subventionen im Fischerei- und Agrarbereich abzubauen. Aufgrund dieser und weiterer Beschlüsse zum Schutz der Meere und Wälder, zieht der Naturschutzbund eine positive Bilanz der Konferenz. 51 3.3 Die Roten Listen bedrohter Tier- und Pflanzenarten der Weltnaturschutzunion Genaue Zahlen zur Vielfalt an Tier- und Pflanzenarten auf unserer Erde existieren nicht, wissenschaftliche Schätzungen reichen von fünf bis zu dreißig Millionen verschiedener Arten. Die Weltnaturschutzunion (IUCN) hat es sich zur Aufgabe gemacht, in der sog. Roten Liste solche Tier- und Pflanzenarten aufzuführen, die in ihrem Bestand bedroht sind. Die alle fünf, mindestens aber alle zehn Jahre veröffentlichte Aufstellung gilt als verlässlichste und renommierteste Quelle über den Zustand der Artenvielfalt. 52 In insgesamt neun verschiedenen Kategorien gibt sie wieder, welchen Gefährdungsgrad die jeweilige Art aufweist: „ausgestorben“ und „in der Wildnis ausgestorben“ kennzeich39) htt ps://w w w.nu l-on l ine.de/Ha lbzeitbi lanz-des-FitnessChecks-der-EU-Naturschutzrichtlinien-Zeitplan-fuer-die-niederlaendische-Ratspraesid,TUFSSz1IYWxiemVpdGJpbGFue iUyMGRlcyUyMIRGaXRuZXNzJTIwQ2hlY2tzkyZBSUQ9NDk0OTM3NCZNSUQ9MTExMQ.html?UID=7FDAF0 C766D18D53753EF48F5B96472EA7CBA5205926CB6B, Stand 16. 3. 2017. 40) https://www.nabu.de/news/2016/02/20157.html, Stand 20. 2. 2017. 41) Abruf bar unter https://cites.org/eng/disc/text.php#texttop, Stand 27. 2. 2017. 42) Verordnung (EG) Nr. 338/97 des Rates v. 9. 12. 1996 über den Schutz von Exemplaren wildlebender Tier- und Pflanzenarten durch Überwachung des Handels. 43) http://www.zeit.de/wissen/umwelt/2 016-10/artenschutzkonferenz-cites-suedafrika-loewen-elefanten-nashoerner, Stand 27. 2. 2017. 44) Einen Überblick über alle Änderungen finden sich hier: https:// www.bfn.de/16388.html, Stand 27. 2. 2017. 45) http://www.zeit.de/wissen/umwelt/2 016-10/artenschutzkonferenz-cites-suedafrika-loewen-elefanten-nashoerner/seite-2, Stand 27. 2. 2017. 46) http://www.zeit.de/wissen/umwelt/2 016-10/artenschutzkonferenz-cites-suedafrika-loewen-elefanten-nashoerner, Stand 27. 2. 2017. 47) BT.-Drs. 18/9624, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Birgit Menz, Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE, S. 5. 48) https://www.cbd.int/cop/, Stand 1. 3. 2017. 49) Hintergrundpapier, Stand 1. 3. 2017, abruf bar unter http://www. bmub.bund.de/themen/natur-biologische-vielfalt-arten/naturschutz-biologische-vielfalt/natur-naturschutz-biologische-vielfalt-download/artikel/13-cbd-konferenz/. 50) https://www.bfn.de/0304_2010ziel.html, Stand 1. 3. 2017. 51) https://www.nabu.de/news/2016/12/21704.html, Stand 1. 3. 2017. 52) http://www.wwf.de/fileadmin/fm-wwf/Publikationen-PDF/ W WF-Hinterg r undinfor mation-Rote-Liste-IUCN-undDeutschland.pdf, S. 1 f., Stand 21. 2. 2017.
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Brandt, Das neue VerpackG und das Duale System
nen die zwei unwiderruflichen Status. Das Mittelfeld folgt mit „besonders gefährdet“ sowie „gefährdet“ und „anfällig“. 53 Drei weitere Kategorien kennzeichnen einen relativ sicheren Erhaltungsstatus. Schließlich gibt es eine neutrale Kategorie für diejenigen Arten, für die keine ausreichenden Daten vorliegen. In jüngster Zeit hat sich hier eine Reihe an Neuigkeiten ergeben. Zum einen hat die deutsche Bundesregierung die IUCN durch Verordnung nun offiziell als zwischenstaatliche Organisation anerkannt. Der neue Rechtsstatus erlaubt es der Organisation künftig etwa eine steuerrechtliche Sonderstellung einzunehmen sowie am Standort Bonn seine Präsenz weiter auszubauen. 54 Damit wird die besondere Bedeutung der Organisation im internationalen Naturschutz attestiert, was letztlich auch die Rote Liste in den Vordergrund rücken wird. Zum anderen liegt die neueste Version der Roten Liste (2016-1) in Form einer „kleinen“ Aktualisierung vor. Diese enthält eine tabellarische Übersicht über die Statusveränderungen, die sich allein im Zeitraum zwischen 2015 und 2016 ergeben haben. 55 Daraus ergibt sich, dass die „Pinta-Riesenschildkröte“ ausgestorben ist. Auch die „Floreana-Riesenschildkröte“ sowie die „kleine Häschenratte“ erhielten diesen Status, wobei sich dies aus einem neuen Informationsstand bzw. vorheriger Fehlinformation ergibt. Außerdem gibt es aktuelle Zahlen aus dem Jahr 2016 zur allgemeinen Roten Liste. Diese weist weltweit insgesamt ca. 23 000 bedrohte Arten – bei variierendem Gefährdungsgrad – auf. Zwar entspricht diese Zahl nur etwa einem Prozent aller bereits beschriebenen Arten. Es wurden, so die Organisation, aber auch erst vier Prozent aller beschriebenen Arten mit den Kriterien der IUCN bewertet. 56 4. Bilanz Im Berichtszeitraum fallen zum einen die gesetzgeberischen Tätigkeiten auf Bundes- und Landesebene auf, welche zwar medial fast unbemerkt vollzogen wurden bzw. werden, aber dennoch inhaltlich von einiger Bedeutung sind. Die Änderungen im BNatSchG enthalten einige sinnvolle Anpassungen, wie den neuen Tatbestand in § 39 Abs. 5 S. 1 Nr. 2 BNatSchG sowie die Aufnahme weiterer Lebens-
NuR (2017) 39: 305–310 305
räume in § 30 BNatSchG. Ob die „Schutzrelativierung“ durch das in § 44 BNatSchG eingeführte Signifikanzkriterium für den Umweltschutz insgesamt von Nutzen ist oder Schaden mit sich bringt, muss sich noch herausstellen. Jedenfalls verdeutlicht die geänderte Vorschrift eindrücklich das Konkurrenzverhältnis umweltrechtlicher Bestrebungen untereinander. Dass es an mancher Stelle an einer letzten Konsequenz fehlt, zeigt vor allem der „zahnlose Tiger“ des § 21 Abs. 2 BNatSchG. Insgesamt ist der Punkt, an dem die Natur als gleichwertiger Belang und um ihrer selbst willen, so wie es § 1 BNatSchG vorsieht, durch Recht geschützt wird, noch nicht erreicht. Auf Landesebene hingegen wurde der Anlass, nach Inkrafttreten des neuen BNatSchG im Jahr 2010 anwendbare landesrechtliche Vorschriften zu schaffen, dazu genutzt, echte Neuerungen zu bewirken, indem der neben Bundesrecht verbleibende gesetzgeberische Spielraum vor allem beim Biotopschutz und der guten fachlichen Praxis in der Landwirtschaft ausgenutzt wurde. Zum anderen erregen zwei BVerwG-Entscheidungen zu zwei Großvorhaben an der Elbe einige Aufmerksamkeit. In diesen beiden Urteilen hat sich die Gerichtsbarkeit gegen die Auf hebung der Planfeststellungsbeschlüsse und für die Verpflichtung der Vorhabenträger zu Nachbesserungen entschieden. Eine Tendenz hin zur Planermöglichung unter Inkaufnahme von Einbußen für den Naturschutz in der Rechtsprechung des BVerwG kann damit nicht ohne weiteres ausgemacht werden. Das Gericht geht aber davon aus, dass die Mängel durch Planänderungen beseitigt werden können. Ob sich das bewahrheitet, wird sich zeigen. Die Entwicklungen sind unvoreingenommen, aber mit einiger Wachsamkeit zu beobachten. 53) Nach eigener Übersetzung. 54) https://www.iucn.org/news/german-resolution-reaff irmsiucn%E2%80%99s-position-international-stage, Stand 28. 2. 2017. 55) http://www.iucnredlist.org/about/summary-statistics#Table_7, Stand 20. 2. 2017. 56) Hintergrundinformation, Die Roten Listen der Weltnaturschutz union IUCN und Deutschlands, S. 2, Stand 27. 2. 2017, abrufbar unter http://www.wwf.de/themen-projekte/weitere-artenschutzthemen/rote-liste-gefaehrdeter-arten/.
Das neue VerpackG 1 und das Duale System – Ein kritischer Ausblick André Brandt © Springer-Verlag 2017
Anfang der 90-er Jahre hielt mit der ersten Verpackungsverordnung (VerpackV v. 12. 6. 1991) 2 der „gelbe Sack“ Einzug in die privaten Haushaltungen. Die Bürger sollten bundesweit Verpackungsabfälle mit dem grünen Punkt getrennt sammeln und zur Abholung bereitstellen. Organisiert wurde diese getrennte Sammlung von dem Dualen System Deutschland. Dieses sammelte und verwertete die Verpackungsabfälle im Auftrag der Produktverantwortlichen, den sog. Lizenznehmern. Nach anfänglichen Umsetzungsschwierigkeiten etablierte sich dieses System und wurde so – trotz immer wieder
Dr. André Brandt ist Rechtsanwalt in Paderborn sowie geschäftsführender Gesellschafter der Kreislauf Partner GmbH, Münster, Deutschland
aufkeimender Kritik an dem ökologischen Nutzen – zu einem festen Bestandteil nationaler Entsorgungsstrukturen. Nach nunmehr über 25 Jahren der getrennten Erfassung von Verpackungsabfällen soll die VerpackV durch ein VerpackG abgelöst werden. Der nachfolgende Beitrag erläutert die Hintergründe, gibt einen Überblick über die Änderungen und setzt sich kritisch mit ihnen auseinander. 1) Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung der haushaltsnahen Getrennterfassung von wertstoff haltigen Abfällen vom 21. 12. 2016, BT-Drs. 18/11274 sowie Beschluss des Bundestages vom 30. 3. 2017, abruf bar unter https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2017/kw10-de-abfalltrennung/494000. 2) Verordnung über die Vermeidung von Verpackungsabfällen vom 12. 6. 1991, BGBl. 1991, Teil 1, 1234, abruf bar unter www. bgbl.de.
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