Literaturbesprechungen ten und Kulturen zu beobachtende Tendenz zum rent seeking, d.h. der Durchsetzung von Einkommenstransfers zum eigenen Vorteil, wobei die entscheidende Frage ist, wie erfolgreich Gesellschaften diese entwicklungshemmenden Praktiken einzudämmen vermögen. In den – unterschiedlich umfangreichen – Länderstudien wird der theoretische Bezugsrahmen den jeweiligen Besonderheiten und Erklärungsproblemen angepasst. So kommt Webers religionssoziologischer Ansatz am stärksten in der Untersuchung Indiens zur Geltung, während in den Studien über China und den Westen die Institutionenökonomik stärker zum Zuge kommt. In Abhängigkeit vom jeweils gewählten theoretischen Bezugssystem ergibt sich für jeden Kulturkreis eine spezifische Kombination von entwicklungshemmenden oder -begünstigenden Faktoren, und manchmal lässt sich eine Art Schlüsselfaktor identifizieren. Beispielsweise sieht Weede in den islamischen Gesellschaften das größte Modernisierungshindernis „nicht im Bereich der Politik bzw. bei der Demokratisierung, auch nicht direkt in der Wirtschaft, sondern bei der Gedankenfreiheit und damit in der Wissenschaft“ (181). Beim Aufstieg Japans habe eine Kombination von vergleichsweise schwach ausgeprägtem Wohlfahrtsstaat und starker Investitionstätigkeit auf der Grundlage hoher Sparquoten eine wichtige Rolle gespielt. Sehr verkürzt könnte man den Kern von Weedes theoretischem Erklärungszusammenhang so zusammenfassen: Individuelle Freiheit und sichere Eigentums- und Verfügungsrechte, eine Begrenzung von Regierungs- und Staatstätigkeit auf der Grundlage fragmentierter politischer Macht im Inneren und internationaler Staatenkonkurrenz sind die entscheidenden Ressourcen kapitalistischer und demokratischer Entwicklung, wobei eine gewisse Entfaltung des Kapitalismus dem Durchbruch zur Demokratie zumeist vorausgeht. Bei der theoretischen Durchdringung einer beeindruckenden Materialfülle kommt Weede ganz ohne soziologischen Jargon aus. Seine Argumentation ist von großer sprachlicher und gedanklicher Klarheit. Dazu gehört auch der Mut zu ziemlich radikalen Positionen, wie z.B. die Einschätzung, dass weniger der Kapitalismus als vielmehr „der Sozialstaat die moralischen Voraussetzungen einer freien und funktionierenden Gesellschaft untergräbt“ (285). Alles in allem ist das Buch ein exzellentes Beispiel für eine fruchtbare Verknüpfung von soziologischer und ökonomischer Argumentation – ein Meilenstein der kul-
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turvergleichenden Wirtschafts- und Gesellschaftsanalyse. Lutz Zündorf ∗ Armin Pongs: In welcher Gesellschaft leben wir eigentlich? Gesellschaftskonzepte im Vergleich. Band 1. München: Dilemma Verlag 1999. 282 Seiten. ISBN 3-9805822-4-8. Preis: DM 46,–. Armin Pongs: In welcher Gesellschaft leben wir eigentlich? Gesellschaftskonzepte im Vergleich. Band 2. München: Dilemma Verlag 2000. 319 Seiten. ISBN 3-9805822-5-6. Preis: DM 46,–. Armin Pongs studierte Soziologie, Psychologie und Politikwissenschaft und wurde dann zum freien Journalisten, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, Nicht-Fachleuten – z.B. Politikern, Journalisten, Lehrern, insgesamt einer gesellschaftspolitisch interessierten Öffentlichkeit – die Perspektiven der Sozialwissenschaften auf die zeitgenössische Gesellschaft zu eröffnen. Diese Aufgabe geht er mit dem Buchprojekt „In welcher Gesellschaft leben wir eigentlich?“ an, für das er eigens einen Verlag gegründet und zu dem er im deutschsprachigen Raum auch Vortragsreihen, Podiumsdiskussionen und eine Wanderausstellung organisiert hat. Ein verdienstvolles Unternehmen und ein umtriebiger Unternehmer. Ein dritter Band der Buchreihe ist bereits angekündigt, weitere werden vermutlich noch folgen. Pongs verfolgt keine eigenen theoretischen Ambitionen. Er will vermitteln: diejenigen Perspektiven, Einsichten und Spekulationen, die vor allem in der Soziologie zur Beschaffenheit und zukünftigen Entwicklung der Gesellschaft diskutiert werden, interessierten Laien bekannt machen. Pongs favorisiert dabei auch nicht irgendeine bestimmte Richtung, sondern will gerade die Pluralität der Lesarten der Moderne vor Augen führen. Zumindest das ist für ihn ausgemacht: „... dass es keine wahre Erkenntnis, sondern nur viele rivalisierende Überzeugungen gibt“ (Bd. 2: 11). In den beiden Bänden präsentiert Pongs jeweils ein Dutzend „Gesellschaften“ – von der „Weltgesellschaft“ bis zur „transparenten Gesellschaft“. Für jeden dieser Gesellschaftsbegriffe steht ein bestimmter zeitgenössischer Theoretiker. Es gibt keine inhaltlich begründete Reihenfolge, in der die Gesellschaftsbegriffe vorgestellt werden. Vielmehr sind die Darstellungen alphabetisch nach den Nachnamen der Theoretiker ge-