Leitthema HNO 2013 · 61:117–134 DOI 10.1007/s00106-012-2653-4 Online publiziert: 14. Februar 2013 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013
S. Voigt-Zimmermann · C. Arens Universitätsklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Universitätsklinikum Magdeburg A. ö. R., Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg
Behandlung von Glottisschlussinsuffizienzen Bei Glottisinsuffizienzen („glottal gap“) handelt sich um permanente oder transitorische, partielle oder totale Schlussinsuffizienzen am membranösen oder/und knorpeligen Anteil der Glottis während der Phonation. Sie treten in geringerem Grade bereits bei stimmgesunden Menschen auf. Die pathologische Form der glottischen Insuffizienz und ihre dadurch bedingte Dysphonie („glottic incompetence dysphonia“, [1]) bereitet den Betroffenen zumeist deutliche Phonationsschwierigkeiten, die sich durch einen Verlust an vollem Stimmklang, v. a. durch eine Zunahme von Behauchtheit, durch eine verringerte stimmliche Leistungs- und Steigerungsfähigkeit sowie eine Änderung spezifischer stimmlicher Merkmale, wie etwa der Sprechtonhöhe, bemerkbar machen. Bei einer physiologischen Glottisinsuffizienz, wie sie ein posteriores Dreieck im Kindesalter oder bei jungen Frauen bzw. ein feiner durchgehender Glottisspalt in höheren Frequenzen darstellen, treten Stimmprobleme normalerweise erst im Zusammenhang mit einer stärkeren Stimmbeanspruchung, z. B. bei einer stimmintensiven Tätigkeit, oder im Zusammenhang mit psychischen Problemen auf. Glottische Insuffizienzen können auch organisch begründet sein. Funktionell bedingte unvollständige Glottisschlüsse offenbaren bei genauerer Betrachtung oftmals ebenfalls ein organisches Substrat. Der Umfang der Glottisinsuffizienz beeinflusst die funktionelle Symptomatik und lässt zudem Aussagen zur Prognose zu [2]. Bei dem Versuch der Patien-
ten, Glottisinsuffizienzen zu kompensieren, etwa durch einen vermehrten Kraftaufwand mit forciertem subglottischem Anblasedruck oder erhöhter laryngealer und ganzkörperlicher Spannung, verändert sich über kurz oder lang die gesamte Art und Weise der Stimmbildung, was zumeist zu einer hyperfunktionellen Form der Dysphonie führt. Bei sukzessiv zunehmenden Glottisinsuffizienzen wirkt die stimmliche Dysfunktion auslösend oder überlagernd. Abhängig von der Ursache kann stimmtherapeutisch und ggf. phonochirurgisch (zumeist mit Stimmtherapie im Sandwich-Verfahren) behandelt werden, sowohl kurativ als auch prophylaktisch.
Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist die Darstellung der Ursachen, Formen, Auswirkungen und Behandlungsmöglichkeiten von Glottisinsuffizienzen.
Ursachen und Formen Physiologische Glottisinsuffizienz Der Begriff „physiologische Glottisinsuffizienz“ steht für jene unvollständigen Glottisschlüsse, die zumeist ohne den Patienten bewusste Stimmprobleme einhergehen (. Abb. 1a–d). Dazu zählen beispielsweise das als Normzustand zu bewertende posteriore Dreieck bei Kindern [3] oder die den hinteren Teil der Glottis betreffenden Schlussinsuffizienzen bzw.
Abb. 1 8 Physiologische Glottisinsuffizienz einer jungen Frau bei verschiedenen Tonhöhen HNO 2 · 2013
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Abb. 2 9 Sanduhrglottis aufgrund beidseitiger Phonationsverdickungen infolge einer sekundären Hyperfunktion. a Respiration, b Phonation – Offenphase, c Phonation – Verschlussphase
Abb. 3 9 Glottisinsuffizienz bei beidseitiger Stimmlippenlähmung (Paramedianstellung) wegen Postikusparese. a Respiration, b,c Phonation auf verschiedenen Tonhöhen
der leicht durchgehende Glottisspalt bei jungen Frauen [4, 5, 6], die meist erst bei sprecherisch-stimmlicher Belastung zu Stimmproblemen führen [7]. Die Stimmlippen von Männern schließen grundsätzlich vollständiger als die von Frauen. Bei beiden Geschlechtern verringert sich regelrecht mit zunehmender Lautstärke die ggf. vorliegende physiologische Glottisinsuffizienz [4, 8].
Pathologische Glottisinsuffizienz Form und Zustand der pathologischen Glottisinsuffizienz sind äußerst vielfältig und hängen hauptsächlich von der Grunderkrankung ab. Sie werden zusätzlich noch beeinflusst vom Geschlecht, vom Alter und der Konstitution der Patienten sowie von der stimmlichen Trainiertheit.
Funktionell bedingte pathologische Form
Obwohl die Unterteilung in funktionelle und organische Dysphonien mittlerweile eher pragmatischen Erwägungen geschuldet ist und eine rein funktionelle Dysphonie als eine generell fragwürdige Kategorie anzusehen ist [9], so können doch unvollständige Glottisschlüsse beobachtet werden, die offensichtlich nicht organisch bedingt sind. Dennoch können sich die überwiegend dem hypofunktionellen Formenkreis zuzurechnenden Glottisinsuffizienzen bei genauer Anamnese und Diagnostik als sekundäre oder Begleit-
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symptome anderer organischer (z. B. infolge der Menopause) oder auch psychischer Prozesse (z. B. Depression) zeigen. Eine Glottisinsuffizienz kann außerdem Ausdruck einer funktionellen Ermüdung sein oder eine allgemeine Asthenie begleiten, wobei allerdings auch hierbei oftmals eine organische Ursache zugrunde liegt, etwa eine neurologische oder maligne Erkrankung [10]. Die zumeist dorsalen Glottisinsuffizienzen (posteriores Dreieck) können dabei durch eine Hypotonie der Adduktorenmuskulatur (Schwäche der interarytänoidalen Muskulatur) ausgelöst werden, z. B. infolge einer Stimmermüdung wegen Überanstrengung bei stimmintensiven Berufssprechern. Sie können aber auch Folge einer Tonusimbalance der die Glottis schließenden und öffnenden Muskeln sein, etwa wegen einer verringerten Entspannungsfähigkeit des M. cricothyreoideus bei hyperfunktionellen Dysphonien, wie sie oftmals einer Stimmermüdung bei stimmintensiven Berufen vorangeht [5]. Bei Frauen mit einem ausgeprägten posterioren Glottisspalt wird eine Spannungszunahme der laryngealen Muskulatur während der Phonation, im Speziellen eine inadäquate Entspannungsfähigkeit der posterioren Krikoarytänoidmuskulatur vermutet [10]. Ein feiner durchgehender Spalt geht zumeist mit einer allgemeinen Asthenie einher. Ein ovalärer Spalt („vocal fold bowing“) kann Ausdruck einer „Internusschwäche“ sein, oft begleitet durch ein Hervorsprin-
gen der Processus vocales der Aryknorpel, z. B. bei einem Presbylarynx. Er kann auch durch eine Schwäche des M. cricothyreoideus ausgelöst werden. Bei der Suche nach der Ursache einer eingeschränkten Annäherung der Processus vocales der Aryknorpel sollte die Möglichkeit einer beginnenden rheumatoiden Arthritis berücksichtigt werden, da typischerweise zu Beginn der Erkrankung der Glottisschluss wegen der Bewegungseinschränkung der Aryknorpel erschwert sein kann, bevor es dann im weiteren Verlauf zu einer völligen Immobilität der Aryknorpel und Versteifung der Stimmlippen kommt.
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„Sanduhrglottis“ und Phonationsverdickungen begründen einen sowohl rauen als auch behauchten Stimmklang Eine Sonderform stellt die sog. Sanduhrglottis [9] dar, die bei sekundär organisch bedingten beidseitigen Phonationsverdickungen bzw. Stimmlippenknötchen auftritt und als Folgeerscheinung einer unbehandelten funktionellen Dysphonie anzusehen ist. Anfänglich ist sie nur bei leiser Phonation, später auch bei lauterer Phonation zu beobachten. Hier imponiert eine gemischte Heiserkeit mit sowohl rauem als auch behauchtem Stimmklang (. Abb. 2).
Zusammenfassung · Abstract Organisch bedingte Form
Die vielfältigen organischen Ursachen von Glottisinsuffizienzen lassen sich verschiedenen Krankheitsbildern zuordnen, die unterschiedliche therapeutische Vorgehensweisen induzieren: F Stimmlippenstillstand wegen Stimmlippenlähmung bzw. wegen Erkrankungen des Krikoarytänoidgelenks, F Gewebsdefizite der Stimmlippen, die etwa iatrogen bedingt sein können, F postinfektiöse oder altersbedingte Atrophien der Stimmlippen, F Sulcus vocalis oder Stimmlippennarben sowie F neurologische Erkrankungen, wie Ataxien oder Tremor bei Parkinson, die den Schwingungsprozess der Stimmlippen deutlich beeinträchtigen. Stimmlippenlähmungen. Glottisinsuffizienzen treten bei einseitigen Stimmlippenlähmungen auf. Bei beidseitigen Stimmlippenlähmungen führt die zumeist vorliegende Median- oder Paramedianstellung beider Stimmlippen zu den Hauptsymptomen Luftnot bzw. inspiratorischer Stridor. Häufigste Ursache für einseitige Stimmlippenlähmungen sind periphere Lähmungen, etwa des N. laryngeus recurrens, aber auch des N. laryngeus superior, beides Äste des N. vagus. Sie können traumatisch, postoperativ, durch Tumoren, viral, toxisch (allergisch, infektiös), zerebrovaskulär, neuropathisch, infolge einer Strahlentherapie, idiopathisch u. a. ausgelöst sein. Bei einer Schädigung des N. vagus selbst ist die gesamte innere Kehlkopfmuskulatur betroffen. Zu Ursachen zentraler Stimmlippenlähmungen zählen neben zerebrovaskulären Erkrankungen auch Schädel-Hirn-Traumen oder degenerative Erkrankungen des Kleinhirns (. Abb. 3). Umfang, Grad und Prognose der Lähmungserscheinungen sowie Gestalt der daraus resultierenden Glottisinsuffizienzen hängen von der Ursache ab. Die Position der Stimmlippe bestimmt die Form der Glottisisuffizienz. Es gibt folgende Positionen: Medianstellung (vollständiger Schluss), Paramedianstellung (mäßiger Spalt), Intermediärstellung (größerer Spalt mit schlaffer exkavierter Stimmlippe wegen Ausfall des M. cricothyreoideus)
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Behandlung von Glottisschlussinsuffizienzen Zusammenfassung Es gibt physiologische und pathologische Glottisinsuffizienzen. Letztere sind multifaktoriell, zumeist organisch bedingt, gelegentlich funktionell. Organische Ursachen sind Stimmlippenlähmungen oder -narben, Gewebsdefizite oder Gewebsplus. Neben der Aufhebung der Schleimhautabrollbewegung bestimmt v. a. der Flächenumfang der Glottisinsuffizienz den Grad der Heiserkeit. Deshalb ist die Quantifizierung der Glottisinsuffizienz wichtig. Die Ergebnisse der auditiv-perzeptiven Stimmklangbeurteilung, der Stimmklanganalyse und Stimmleistungsüberprüfung spiegeln nicht immer die subjektive Betroffenheit der Patienten wider, welche jedoch die Basis für Behandlungsentscheidungen ist. Das therapeutische Vorgehen sollte immer ein Zusammenspiel phonochirurgischer und konventionell stimmtherapeutischer Methoden sein. Die Stimmfunktions-
therapie nutzt dabei alle Ressourcen, die sich aus dem Sphinktermodell des Aerodigestivtrakts und dem Wissen über den Stimmbildungsmechanismus eröffnen. Die phonochirurgischen Maßnahmen zielen auf Medialisierung, Rekonstruktion oder Reinnervation mittels Injektionslaryngoplastik oder Larynxskelettchirurgie ab. Die Verfahren können kombiniert und oftmals direkt im Anschluss an Eingriffe an den Stimmlippen angewandt werden (primär rekonstruktiv). Die Glottisschlussinsuffizienzen können mit allen genannten Verfahren befriedigend bis gut kompensiert werden. Schlüsselwörter Glottis · Medialisierungslaryngoplastik · Injektionslaryngoplastik · Larynxskelettchirurgie · Glottisrekonstruktion
Treatment of glottal gap Abstract Glottal gaps can be either physiological or pathological. The latter are multifactorial, predominantly organic in origin and occasionally functional. Organic causes include vocal fold paralysis or scarring, as well as a deficiency or excess of tissue. In addition to loss of the mucosal wave, the degree of hoarseness is primarily determined by the circumferential area of the glottal gap. It is thus important to quantify the extent of glottal insufficiency. Although a patient’s symptoms form the basis for treatment decisions, these may be subjective and inadequately reflected by the results of auditory-perceptual evaluation, voice analysis and voice performance tests. The therapeutic approach should always combine phonosurgery with conventional voice therapy methods. Voice therapy utilises all the
sowie Lateralstellung. Die Bedeutung des M. cricothyreoideus für die Position der gelähmten Stimmlippe wird aber auch angezweifelt [11]. Für Stimmlippenlähmungen wird ein kausaler Zusammenhang zwischen Position der gelähmten Stimmlippe und Sitz der zugrunde liegenden Ursache aber auch negiert [12]. Bei einseitigen Stimmlippenlähmungen liegt zudem eine große Variabilität des Schwingungsverhaltens vor (Schwingungsbe-
resources made available by the sphincter model of the aerodigestive tract and knowledge on the mechanism of voice production. The aim of phonosurgery is medialization, reconstruction or reinnervation by injection laryngoplasty or larynx framework surgery. These different methods can be combined and often applied directly after vocal fold surgery (primary reconstruction). In conclusion, the techniques described here can be effectively employed to compensate for glottal gaps. Keywords Glottis · Medialization laryngoplasty · Injection laryngoplasty · Larynx framework surgery · Glottal reconstruction
ginn, Schwingungsvorlauf, Synchronizität und Symmetrie der Schwingungsamplituden, Randkantenverschiebung, Exkavation; [13]), was einen zusätzlichen negativen Einfluss auf die Stimmqualität hat. Lähmungen des N. vagus zeichnen sich wegen des Ausfalls aller ipsilateralen Kehlkopfmuskeln sowie der zumeist in Lateralposition fixierten Stimmlippe durch eine große und meist dreidimensionale Glottisinsuffizienz bei der PhonaHNO 2 · 2013
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Leitthema tion aus, was eine hochgradige Behauchtheit im Stimmklang begründet.
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Bei Stimmlippenlähmungen bestimmt die Position der Stimmlippe die Form und Größe der Glottisinsuffizienz
Abb. 4 8 Sanduhrglottis bei rechtsseitigem Stimmlippenpolypen und kontralateraler Kontaktreaktion
Abb. 5 8 Glottisinsuffizienz bei Stimmlippenpolyp rechts
Abb. 6 8 Posteriore Glottisinsuffizienz bei Reinke-Ödem rechts, Operationsfolgen, Stimmlippennarben und Sulcus vocalis links
Abb. 7 8 Glottisinsuffizienz wegen iatrogener Stimmlippennarbe rechts und „vocal fold bowing“ links (zusätzlich Papillom rechte Taschenfalte)
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Nawka und Hosemann [14] nehmen epidemiologische Schätzungen von Stimmlippenlähmungen vor: 30% sind danach idiopathisch bedingt, 10% sind Folgen von Strumektomien oder thorakomediastinaler Chirurgie und 10% von Traumen, 40% werden durch Tumoren des Ösophagus ausgelöst; zentrale neurologische Erkrankungen (wie Apoplexie) verursachen 10% der Stimmlippenlähmungen. Chen et al. [15] fanden in ihrem Patientengut zu 40,2% chirurgische Gründe, neoplastische bei 29,9%, idiopathische bei 10,7%, traumatische bei 8%, zentral bedingte bei 3,8%, Bestrahlungsfolgen bei 3,4%, entzündliche bei 2%, kardiovaskuläre bei 1,7% und andere Gründe bei 0,3% der Fälle (n=291, einseitige Stimmlippenparese, „unilateral vocal fold paresis“, UVFP: 259; beidseitige Stimmlippenparese, „bilateral vocal fold paresis“, BVFP: 32). Neben den Lähmungen des N. vagus oder seiner Äste, des N. recurrrens und N. laryngeus superior, die aus verschiedensten Gründen auftreten können (zentrale Lähmungen, ausgelöst durch Schädel-Hirn-Traumen, zerebrovaskuläre, degenerative, entzündlichen Erkrankungen des Gehirns), sind auch andere supranukleäre Erkrankungen möglich, die wegen atrophischer Prozesse, Tremor oder Ataxien (wie bei M. Parkinson oder Myasthenia gravis, je nach Form auch bei amyotropher Lateralsklerose, [16, 17]) zur Verringerung oder Unregelmäßigkeit des Glottisschlusses beitragen. Schädigung des Krikoarytänoidgelenks. Glottisinsuffizienzen (zumeist als ovalärer Spalt, interkartilaginär offen mit Niveauunterschieden, [12]) können auch durch Mobilitätseinschränkungen der Stimmlippen wegen Ankylose oder Fixation der Arytänoide ausgelöst werden (arthrogene Dysphonie), bedingt etwa durch rheumatoide Arthritis, kapsuläre Vernarbungen
oder als Folge einer Intubation (Aryknorpelluxation, [18, 19, 20]). Als traumatische Folgen können verlängerte endotracheale Intubationen (bedingt durch mediale arytänoide Schleimhautulzerationen sowie Krikoarytänoidgelenknarben) zu sog. postoperativen Phonationsinsuffizienzen („postintubation phonatory insufficiency“, PIPI) mit anschließenden Glottisinsuffizienzen führen [21, 22]. Den relativ regelhaften Glottisinsuffizienzen bei Stimmlippenlähmungen bzw. -immobilitäten stehen die diffusen Formen gegenüber, die postoperativ bzw. -traumatisch, entzündlich oder durch Tumoren bedingt sein können. Tumoren, Narben und Sulcus vocalis. Einige benigne und maligne Tumoren sowie Pseudotumoren können die Stimmlippen wegen ihrer Größe oder Form und kontralateralen Begleitreaktionen daran hindern, einen vollkommenen Stimmlippenschluss zu erzeugen bzw. regelrecht zu schwingen, wie etwa unterschiedlich große Polypen (. Abb. 4, 5) oder Reinke-Ödeme (. Abb. 6). Bei Letztgenannten steht zwar die Heiserkeit akustisch im Vordergrund, die Mengenzunahme führt aber fast immer zu einer posterioren Glottisinsuffizienz, die sich auch durch eine Behauchtheit im Stimmklang äußert. Nach phonochirurgischen Abtragungen oder Tumorresektionen an den Stimmlippen führen mehrere iatrogene Ursachen zu Glottisschlussinsuffizienzen, insbesondere Narben [23, 24] und Stimmlippengewebsdefizite, die – besonders am freien Rand der ganzen und eines Teils der Stimmlippe gelegen – eine Glottisinsuffizienz erzeugen. Stimmlippennarben stellen reparatives disorganisiertes Gewebe dar, das primär aus Fibrozyten des Kollagentyps 1 im Bereich der vibrierenden Zone der Stimmlippe entsteht [25]. Sie resultieren auch aus anderen internen und externen laryngealen Traumen oder als entzündliche Reaktionen auf Infektionen. Sie können zudem neoplastisch, durch Bestrahlung, oder kongenital bedingt sein und nach starker stimmlicher Überbelastung auftreten, häufig in Kombination mit einer Refluxsymptomatik [26, 27]. Stimmlippennarben zerstören im Lauf ihrer Ausbildung durch ansteigende Spannung der Schleimhaut und
Abb. 8 9 Iatrogen bedingte beidseitige Stimmlippennarben. a Respirationsstellung, b Phonation tief, c Phonation hoch
Abb. 9 9 Bilaterale Sulci vocales mit Schleimhautbrücken („mucosal bridge“). a Respiration, b Phonation, c intraoperative Darstellung der „mucosal bridge“ links und des Sulcus vocalis rechts
zunehmende Versteifung der Stimmlippenstrukturen die viskoelastische Schichtstruktur der Lamina propria. Sie verändern somit die biomechanischen und vibratorischen Eigenschaften und das fein abgestimmte Zusammenspiel der untereinander und miteinander verbunden vibratorischen Schichten der Stimmlippen [24, 28, 29].
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Stimmlippennarben zerstören allmählich das Zusammenspiel der vibratorischen Schichten der Stimmlippen Durch den Verlust der normalen Schleimhautabrollbewegung und des normalen Schwingungsverhaltens der Stimmlippen kommt es wie auch bei Sulcus vocalis zu Glottisinsuffizienzen ([30, 31, 32, 33], . Abb. 7). Glottische Narben werden in 4 Subtypen aufgeteilt: Typ-I-Narben befinden sich auf mukösem und submukösem Level mit geringer bis moderater glottischer Insuffizienz bei reduzierter Vibrationsfähigkeit. Narben in diesem Bereich werden von Dikkers aufgrund einer fehlenden Mukosa des Reinke-Raums jedoch kritisch diskutiert. Typ-II-Narben sind durch glottische Insuffizienzen an der runden vorderen Kommissur und durch einen moderaten anterioren Substanzdefekt mit Narben, die den M. vocalis einbeziehen, sowie mit aufgehobenem Schwin-
gungsbild gekennzeichnet. Typ-III-Narben umfassen glottische Insuffizienzen, bei denen die Narbenformation das innere Perichondrium und den Knorpel mit einbezieht. Der Defekt kann bis in die subglottische Region hineinreichen, und die Aryknorpel können in eine Fehlstellung verdreht sein. Typ-IV-Narben gehen mit ausgeprägten glottischen Insuffizienzen, runder Synechie in der anterioren Kommissur sowie beidseits reduzierten Stimmlippenschwingungen einher ([27], . Abb. 8). Beim Sulcus vocalis [31] handelt es sich um ein Einwachsen des Stimmlippenepithels in die normalerweise konvex angelegte superfizielle Lamina propria oder in tiefere Schichten der Stimmlippe [34], was eine typische partielle oder vollständige Furche am freien Rand der Stimmlippe hinterlässt und zu einer glottischen Insuffizienz sowie einer irregulären Schwingung und damit letztendlich zur Dysphonie führen kann [35]. Die Ausprägung der Glottisinsuffizienzen und der Grad der Schwingungsbehinderungen hängen vom Klassifikationstyp des Sulcus vocalis ab. Beim Typ 1 ist die Lamina propria noch intakt. Typ 2 (Sulcus vergeture) und Typ 3 (Sulcus vocalis) unterscheiden sich graduell, hinsichtlich der Schwingungseigenschaften und des Zerstörungsgrads der funktionellen superfiziellen Lamina propria ([36], . Abb. 9). Atrophien/Glottisinsuffizienz im Alter. Atrophien der Stimmlippenmuskula-
tur bedingen bei ihrer Zunahme Glottisschlussinsuffizienzen. Oftmals sind sie Ausdruck von stimmlichen Ermüdungsund/oder Alterungsprozessen. Die Glottisinsuffizienz ist somit ein typisches Merkmal einer Presbyphonie (altersbedingte Dysphonie, [37]), die aus anatomischen, histoarchitektonischen sowie neurodegenerativen Alterungsprozessen des Kehlkopfs (Presbylarynx) und seiner ihn umgebenden Strukturen resultiert, wie Ossifikation und Kalzifikation, Erosion der Gelenkflächen, Abnahme der Nervenendigungen in Muskeln und muskulösen Membranen, muköse und submuköse Ödeme, Bindegewebsschwäche, Atrophie der Schleimhaut und der intrinsischen Kehlkopfmuskulatur [38]. Besonders Letztere beeinflusst maßgeblich die Form der Glottisinsuffizienzen bei älteren Menschen, die bei Schwäche der krikoarytänoiden Muskulatur spindelförmig sind, bei Schwächung der interarytänoiden Muskulatur ein posteriores Dreieck und bei einer allgemeinen Schwäche eine Insuffizienz über die gesamte Glottis bewirken. Im Verhältnis zu jungen Frauen mit häufig auftretendem posteriorem Dreieck ist bei älteren Frauen oft ein anteriorer, spindelförmiger, und häufig ein ovalärer Spalt (durch das „vocal fold bowing“, VFB) im membranösen Teil der Glottis zu beobachten [6, 8, 38, 39, 40], was durch eine Atrophie der thyroarytänoidalen Muskulatur oder Bindegewebsatrophie erklärt werden kann [38]. HNO 2 · 2013
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Leitthema Mit einer Glottisinsuffizienz im Alter geht meist ein Verlust der Viskoelastizität der gesamten laryngealen Strukturen einher. Vor allem die morphologischen und metabolischen Veränderungen der elastischen Fasern im wichtigsten schwingenden Teil der Stimmlippen, der superfiziellen Schicht der Lamina propria, beeinflussen den Stimmlippenschluss und die Vibrationseigenschaften negativ, überwiegend bei älteren Männern [41, 42, 43]. Wie in Autopsiestudien an Kehlköpfen von Männern und Frauen (20–60 Jahre) und einer älteren Altersgruppe nachgewiesen wurde, enthalten die Stimmlippen der älteren Männer deutlich mehr Kollagen als die der etwas jüngeren Männer, jedoch weniger als die von jüngeren Frauen. Außerdem liegt bei älteren Frauen eine dickere oberste Schicht der Lamina propria vor als bei jüngeren Frauen. Bei Männern kann der entsprechende Unterschied zwischen den Altersgruppen vernachlässigt werden [44]. Insgesamt werden die Stimmlippen älterer Menschen entweder dünner und atroph, was verschiedene Formen der Glottisinsuffizienzen mit sich bringt, oder aber sie werden ödematös [45, 46]. Da die Glottisinsuffizienzflächen bei bilateralen Atrophien zumeist schmaler als bei einseitigen Atrophien sind, zeitigen beidseitige phonochirurgische Eingriffe bessere funktionelle Ergebnisse [47]. Es ist schwierig, normale Alterungsprozesses der Stimme von einer tatsächlichen Presbyphonie mit Krankheitswert für den Patienten zu unterscheiden und von den sonst möglichen Stimmerkrankungen, z. B. refluxbedingten oder ponogenen, abzugrenzen. Oftmals liegen andere altersbedingte Prozesse zugrunde [48]. Die normalen Alterungsprozesse lassen zudem lange vorhandene, „stille“ Dysphonien aufbrechen und deutlicher hervortreten, z. B. zervikogene oder konstitutionelle. Die betroffenen älteren Menschen bekommen (scheinbar plötzlich) Probleme bei der Benutzung der Stimme. So wird u. E. die Diagnose „Presbyphonie“ oftmals fälschlicherweise gestellt. Diskutiert wird auch, ob nicht Lähmungen ursächlich für eine Presbyphonie sind [49].
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Männer weisen fast doppelt so häufig Stimmlippenatrophien auf wie Frauen Die Angaben zu aktuellen Stimmproblemen bei Menschen über 65 Jahre schwanken von 20% [50] bis 58% [45]. Die Angaben zur Lebenszeitprävalenz von Presbyphonien reichen von 20–47% [50, 51]. Am häufigsten werden bei älteren Menschen als Ursachen für Glottisinsuffizienzen Stimmlippenatrophien (25%) diagnostiziert, gefolgt von neurologischen Stimmproblemen (23%) und Stimmlippenimmobilität (19,2%, [45]), wobei Männer (65%) fast doppelt so häufig Stimmlippenatrophien haben wie Frauen (35%, [52]). Die Hälfte der Betroffenen empfindet die – teilweise auch durch Glottisinsuffizienzen bedingten – Stimmprobleme als eine hohe Beeinträchtigung der Lebensqualität, denn es schränkt die älteren Menschen in der Ausübung ihrer Freizeitaktivitäten oder bei der Aufrechterhaltung ihrer sozialen Kontakte ein [53]. Da das Durchschnittsalter der Bevölkerung kontinuierlich steigt, werden altersbedingte Stimmprobleme noch stärker in den Fokus von Stimmärzten und -therapeuten treten als bisher und somit der Bedarf nach schnell wirkenden und effektiven Therapien bei altersbedingten Glottisinsuffizienzen steigen.
Akustik Bei Frauen, besonders jungen, ist oftmals bereits im gesunden Zustand wegen der als typisch anzusehenden zumeist posterioren Glottisinsuffizienzen der Stimmklang leicht behaucht. Die Behauchtheit nimmt jedoch regelrecht frequenzunabhängig mit zunehmender Lautstärke ab [4, 8]. Pathologische Formen der glottischen Insuffizienzen bringen deutlich wahrnehmbare Stimmbeeinträchtigungen mit sich, wobei die Fläche der Glottisinsuffizienz direkten Einfluss auf Akustik und Aerodynamik der Stimme hat, u. a. quantifizierbar in der Pitch-Perturbation, der Harmonic-to-Noise-Ratio und der maximalen Tonhaltedauer [54]. Die Größe der Glottisinsuffizienz beeinflusst al-
so die Stimmfunktion, nicht die zugrunde liegende Ursache [1, 4]. Eine Zunahme der Glottisinsuffizienz erlaubt mehr Luftdurchtritt und damit eine stärkere Behauchtheit, die sich in einer größeren Frequenzbandbreite des Stimmsignals niederschlägt [55]. Entsprechende Geräuschmessungen („cepstral-peak prominence“ und Harmonic-to-Noise-Ratio, [56]) bestätigen den akustischen Eindruck. Perzeptiv imponieren Glottisinsuffizienzen also durch eine mehr oder minder starke Behauchtheit im Stimmklang, was im Fall von pathologischen Glottisinsuffizienzen bei zunehmender Lautstärke bis zum Stimmabbruch und zur Stimmlosigkeit führen kann, sowie durch eine Abnahme der klanghaften Anteile des Stimmsignals.
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Die Stimmfunktion und der Stimmklang werden durch die Größe und Form der Glottisinsuffizienz beeinflusst Die Glottisinsuffizienz als Begleiterscheinung, beispielweise eines Gewebsplus an den freien Rändern der Stimmlippen, bietet kein typisches akustisches Bild, vielmehr differiert der perzeptive Eindruck stark. Zum einen werden die Turbulenzen in der Ausatemluft, das Rauschen, auch hierbei als Behauchtheit wahrgenommen. Andererseits führen die Irregularitäten der schwingenden Anteile der durch das Gewebsplus veränderten Stimmlippen zum Rauigkeitseindruck. Bei zunehmendem Gewebsplus vermehrt sich die Rauigkeit. Bei Stimmlippennarben und Sulcus vocalis höheren Grades führt neben der Glottisinsuffizienz die zunehmende Versteifung der Stimmlippe bzw. deren partielle Abnahme am freien Stimmlippenrand zu stimmlichen Verschlechterungen mit rauen Eindrücken bis hin zum Stimmabbruch. Bei Stimmlippenlähmungen treten weniger verhauchte Stimmklänge auf, als es die laryngoskopischen Befunde vermuten lassen [14]. Der phonatorische Stillstand, die unterschiedliche Gespanntheit und die Position der gelähmten Stimmlippe führen zu Aufhebung der phasensymmetrischen Randkantenverschiebung und zum Verlust der Kopplung der sich normaler-
weise gegenseitig anregenden Stimmlippen. Die Stimmlippen schwingen zumeist in unterschiedlichen Frequenzen, was den Eindruck der Rauheit, aber auch von Biphonation hinterlassen kann. Eine ebenfalls häufig auftretende ungewollte Falsettstimme entsteht bei Spannung der Stimmlippe durch noch bestehende Innervation von Teilen des M. vocalis und des M. cricothyroideus [1, 14]. Bei Stimmlippennarben kommt es neben der Heiserkeit zur Erhöhung der Grundfrequenz, zur Abnahme in der Sicherheit bei der Intonation und Lautstärkeregelung, damit zu Sprechanstrengung und früher Stimmermüdung, also zu einem signifikanten Stimmhandicap [25, 31, 32, 33]. Verwachsen die Stimmlippennarben mit tieferen Schichten der Stimmlippe, kann die Schwingungsfähigkeit völlig aufgehoben sein; dann ist ein Glottisschluss trotz Kompensationsmechanismen fast unmöglich, die Stimme ist nahezu aphon.
Diagnostik Für die Untersuchung der durch glottische Insuffizienzen veränderten Stimmfunktion sowie zur Messung des therapeutischen Ergebnisses stellt u. E. das Basisprotokoll zur Stimmdiagnostik der European Laryngological Society (ELS, [57, 58]) ein effektives Untersuchungstool dar, da sowohl die Stimmleistung und aerodynamische Aspekte als auch die persönliche Betroffenheit der Patienten erfasst und quantifiziert werden. Für Letzteres stehen der für das Deutsche validierte Voice Handicap Index (VHI, [59, 60]), die stimmbezogene Lebensqualität („voice-related quality of life measurement“, VrQoL, [61, 62]), für das Englische die für einseitige Kehlkopflähmungen entwickelte Voice Outcome Survey (VOS, [63]) sowie das Voice Activity and Participation Profile (VAPP) zur Verfügung, die zur Messung des Ergebnisses von den Glottisschluss verbessernden Operationen bereits erfolgreich angewandt wurden [64]. Wegen der Abhängigkeit des Untersuchungsverfahrens von einer auswertbaren Grundfrequenz kann die Laryngostroboskopie bei großen Glottisinsuffizienzen meist nicht durchgeführt werden. Zur
optischen Quantifizierung der Glottisinsuffizienz ist die Hochgeschwindigkeitsglottographie das Verfahren der Wahl. Ein kombiniertes Auswertungsverfahren von Hochgeschwindigkeitsglottogrammen und zeitsynchronisierten akustischen Signalen nach phonochirurgischen Eingriffen bei frühen Stimmlippenkarzinomen entwickelten Mehta et al. [65]. Es erlaubt detaillierte Aussagen zu Stimmproduktionsmechanismen und über die Beziehung zwischen Stimmlippenschwingungseigenschaften und akustischen Perturbationsmerkmalen.
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Die Hochgeschwindigkeitsglottographie hilft Glottisschlussinsuffizienzen zu quantifizieren Stimmfunktions- und -leistungsüberprüfungen, wie beispielsweise Stimmfeldmessung (Stimmumfangsprofil) oder Erhebung des Dysphonia Severity Index [66], haben nicht nur beschreibenden Charakter. Sie geben darüber hinaus Auskunft über die stimmlichen Einbußen durch die Glottisschlussinsuffizienz, was hinsichtlich der Beurteilung der persönlichen Betroffenheit des Patienten und damit für die Entscheidung über das therapeutische Vorgehen von Bedeutung ist. Bei Glottisinsuffizienzen liefern alle aerodynamischen Messungen, wie maximale Tonhaltedauer (auf dem ausgehaltenen /a:/), Vitalkapazität mithilfe eines Spirotests, Berechnung des Phonationsquotienten [Vitalkapazität (ml)/Tonhaltedauer auf [a:] (s), [67]] und der s/z-Ratio (stimmlos/ fortis [s]/stimmhaft/lenis [z], [68]) besonders relevante und aussagekräftige diagnostische Parameter. Bei umfangreichen Glottisinsuffizienzen nach subtotalen oder totalen Chordektomien bzw. Larynxteilresektionen kann die „phonatorische Ersatzphonation“ wesentlich besser mit dem Stimmgüteparameter „glottic-to-noise excitation“ (GNE) dokumentiert werden, da er turbulentes Rauschen detektieren kann, was typisch für Taschenfaltenersatzstimmen und Ersatzphonation auf Ebene des Kehlkopfeingangs ist. Im „Göttinger Heiserkeitsdiagramm“ wird dieser erfasst und dargestellt [69, 70, 71].
Bei der Behandlung von Lähmungen des N. recurrens besitzt nach Sittel et al. [72, 73] die Elektromyographie (EMG) des Larynx eine wichtige Aussagekraft, denn sie ist in 94,4% der Fälle in der Lage, eine mögliche Defektheilung der Stimmlippenlähmungen zu detektieren. Doch nur zusammen mit den anderen Untersuchungsaussagen ist eine Auswertung der larynxelektromyographischen Ergebnisse zielführend [73]. Hinsichtlich der Stimmqualität über lange Zeit erlaubt die EMG keine Prognosen, wie beispielsweise bei Stimmlippenlähmungen in Paramedian- oder Medianstellung, bei denen trotz schlechter EMG eine gute Stimme vorliegt [74]. Die Larynx-EMG wird von einigen Autoren auch zur Differenzialdiagnostik eingesetzt, beispielsweise, um zwischen einer bilateralen Stimmlippenparese und einem Presbylarynx zu unterscheiden [75]. Diese diagnostischen Untersuchungen müssen vor und nach jeder therapeutischen Intervention und im Followup durchgeführt werden. Die Gewichtung der Ergebnisse sollte auf prognostischen Annahmen basierend und in Hinblick auf die Therapieentscheidung erfolgen. Bei der Beurteilung des Therapieerfolgs und bei Begutachtungen sind die Ergebnisse zu berücksichtigen.
Bedeutung für die Patienten Die Diagnose „Dysphonie“ stellt sich auch bei Glottisinsuffizienzen erst, wenn eine Beeinträchtigung der stimmlichen Leistungsfähigkeit und/oder eine Stimmklangverschlechterung und/oder ein subjektives Missempfinden [9] von den Patienten als störend wahrgenommen werden und zum Gefühl des Krankseins führen. Die stimmlichen Beeinträchtigungen können sehr unterschiedliche Bedeutung für die Betroffenen haben. Auch die Auswirkungen auf die Berufsausübung sowie das soziale Miteinander der Patienten sind individuell unterschiedlich. Für einen stimmintensiven Berufssprecher kann die stimmliche Beeinträchtigung sehr starke Auswirkungen haben, sie kann jedoch erfahrungsgemäß auch teilweise von den Betroffenen stimmtechnisch kompensiert werden. Glottisinsuffizienzen haben indiviHNO 2 · 2013
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Leitthema duell unterschiedlich starke Bedeutung für die Patienten.
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Glottisinsuffizienzen haben individuell unterschiedlich starke Bedeutung für die Patienten Andererseits kann die bewusst herbeigeführte starke Behauchtheit als künstlerisches Konzept auch gewollt sein (z. B. Interpretation von „Somewhere over the rainbow“ durch Tori Amos, die eine normale Sprechstimme besitzt). Hingegen kann etwa ein älterer Mensch sehr unter seiner durch die Glottisinsuffizienz beeinträchtigten Stimme leiden, weil sie ihn in der Aufrechterhaltung seiner sozialen Kontakte und Hobbys (Chor) einschränkt. Auch können betroffene Eltern oder Großeltern nicht mehr mit ihren Kindern singen, was oftmals als großer Verlust empfunden wird. Physiologische Glottisinsuffizienzen führen dagegen häufig erst bei sprecherisch-stimmlicher Belastung zu Stimmproblemen [7]. Deshalb sollten vor und nach jeder therapeutischen Intervention nicht nur Einschränkungen der stimmlichen und körperlichen Funktion untersucht werden, sondern zur Erfassung des gesamten Menschen auch die Aktivität und Teilhabe am Leben sowie kontext- und personenbezogener Aspekte anhand der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF, [76, 77]) gemessen und je nach Prognose in Hinblick auf Therapieentscheidung gewichtet sowie bei der Beurteilung des Therapieerfolgs und bei Begutachtungen berücksichtigt werden.
Therapie Ziel einer jeden Therapie bei Glottisinsuffizienzen ist die Optimierung des Glottisschlusses, um die Stimmqualität und stimmliche Leistungsfähigkeit sowie die Kontrolle des Luftstroms zu verbessern, und zwar unter besonderer Berücksichtigung bestmöglich synchronisierter Schwingungsfrequenzen und -phasen der Stimmlippen, z. B. bei Stimmlippendefekten bzw. -lähmungen. In Analogie zu Friedrichs Ausführungen zur endolaryn-
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gealen Phonochirurgie, die Teil eines holistischen Behandlungskonzepts darstellt [78], ist auch die konservative Stimmtherapie ein wichtiger Baustein des gesamten Behandlungskonzepts von Glottinsinsuffizienzen. Dies ist aufgrund der multidimensionalen Pathogenese der Glottisinsuffizienzen immanent. Die Entscheidungen für die eine oder andere Therapie fußt dabei auf einer interdisziplinären Untersuchung durch Laryngologen, Phoniater, Stimmtherapeuten (Logopäden, akademische Sprachtherapeuten), Singstimmexperten und andere Professionen [79].
Konservative Stimmtherapie Eine konservative Stimmtherapie bzw. Stimmübungsbehandlung kann bei nur geringen Glottisschlussinsuffizienzen schon ausreichend sein und in Abhängigkeit von den persönlichen Therapiewünschen und -zielen der Patienten befriedigende Ergebnisse erzielen. Dies trifft auch auf die Therapie von einseitigen Rekurrensparesen zu und kann ähnliche Zufriedenheitswerte erreichen wie chirurgische Eingriffe [80]. Die Stimmtherapiemethoden, die zur Anwendung kommen, richten sich nach der Symptomatik, Ätiologie und Pathogenese der Dysphonie mit Glottisinsuffizienzen. Als Interimslösung kann bei Stimmlippenlähmungen durch manuellen Druck (Daumen oder Zeigeund Mittelfinger) auf die kontralaterale Schildknorpelseite für die Zeit der Pressur eine leichte bis mittelgradige Verbesserung des Stimmlippenschlusses und somit Stimmklangs herbeigeführt werden, auch durch die Rotation des Kopfes und Halses zur gelähmten Seite hin [9]. Bei Glottisinsuffizienzen stehen v. a. Übungen im Fokus, die die Physiologie der Stimmlippen als inspiratorischer Sphinkter aufgreifen und verstärken [81]. Dabei wird ausgenutzt, dass alle an der Respiration beteiligten Muskelgruppen gleichsam die Körperhaltung und -bewegung bestimmen. Denn es besteht eine Wechselwirkung mit dem Doppelventilsystem [82]. Wenn also der Glottisschluss verbessert werden soll, so muss – wie etwa beim Klimmzug – das einatmungsgesteuerte Sphinktersystem aktiviert werden. Außerdem stellt sich wegen des in-
trathorakalen Unterdrucks der Kehlkopf tiefer [83], was für eine gewisse Anzahl von Patienten nicht nur einen entspannenden, und somit entlastenden Effekt bei der Phonation haben kann, sondern auch die Stimmlippen entspannt und damit hilft, sie besser zu schließen. Außerdem kann dadurch die bei Glottisinsuffizienzen oftmals erhöhte mittlere Sprechstimmlage gesenkt werden. Im Rahmen von begleitenden, zumindest aber postoperativen Stimmtherapien nach Chordektomien oder Larynxteilresektionen spielen diese Prinzipien bei der Anbahnung oder Verstärkung von Ersatzphonationstypen eine wesentlich Rolle und können nachgewiesen werden [71]. Je nach Symptomatik, Ursache und Dauer der Glottisinsuffizienzen, dem Alter und den Ansprüchen an die Stimme sowie persönlicher Befindlichkeit und Betroffenheit der Patienten können Übungen zur Entspannung, für den gesamten Körper, aber auch spezielle Bereiche und Muskelgruppen zielführend sein oder aber Übungen zur Kräftigung und zum Spannungsaufbau, ebenfalls partiell oder ganzkörperlich, wie z. B. bei „asthenischen“ oder unterspannten Patienten, insbesondere wenn eine ungenügende resonatorische Ankopplung des Stimmsignals auf ungünstigen Spannungsverhältnissen der Resonatoren basiert. Grundsätzlich gilt, dass bei einseitigen Stimmlippenparesen, die iatrogen oder auch traumatisch bedingt sind, eine Stimmtherapie spätestens mit der abgeschlossenen Wundheilung beginnen und bis zur Regeneration des Nervs bzw. bis zum Larynx-EMG-gestützten Nachweis der Regenerationsunfähigkeit des Nervs stattfinden sollte. Ziel der stimmtherapeutischen Übungen ist es, F den Nerv gezielt anzuregen, F den Stimmlippenschluss durch Übungen zu verbessern, die den sphinkterspezifischen Anforderungen der Glottis entsprechen, F die Kommunikationsfähigkeit durch bestimmte, individuell unterschiedliche Phonations- und Artikulationseinstellungen zu unterstützen, F Atrophien und F kompensatorischen Dysfunktionen vorzubeugen sowie
F bei absehbar manifesten Stimmlippenlähmungen mögliche permanente Funktionseinbußen der gelähmten Seite durch Kompensationsbewegungen der intakten Stimmlippe auszugleichen, also die gesunde Stimmlippe die Mittellinie überschreiten zu lassen. Dabei hat sich bei einseitigen (!) Stimmlippenlähmungen eine phonationsgekoppelte Reizstromtherapie als erfolgreich erwiesen [84]. Für die regelhafte Anwendung von Reizstrom in der Stimmtherapie von Glottisinsuffizienzen durch Lähmung oder Ermüdung der Stimmlippen, aber auch bei konstitutioneller Hypofunktion sprechen auch ältere Behandlungsergebnisse von Schleier und Streubel, die weit bessere Ergebnisse durch die kombinierte Stimmreizstromtherapie bei hypofunktionellen Dysphonien und ermüdetem M. vovalis („Internusschwächen“) erzielen konnten als durch Stimmtherapie allein [85]. Bei der Reizstromtherapie wird durch vasodilatatorische Effekte und die Pumpfunktion des Muskels der Blutfluss im Muskel gesteigert. Die galvanische Reizung führt damit zur Verbesserung des Tonus und der Durchblutung der Stimmlippenmuskulatur. Voraussetzung ist, dass die durch Impulsstrom angeregte Muskelkontraktionen während der Phonation ausgelöst werden (selektive Reizung der gelähmter Muskulatur mit Exponentialstrom; neofaradischer Reizstrom als Dreieckimpulsstrom von 1 ms Dauer und 19 ms Pause zur Tonisierung ermüdeter Muskulatur). Die Reizstromtherapie kommt auch im Rahmen der funktionellen Stimmrehabilitation nach Chordektomien bzw. Larynxteilresektionen erfolgreich zum Einsatz [71, 86].
Phonochirurgie Sollten die Ansprüche und Bedürfnisse des Patienten an die eigene Stimme jedoch größer und/oder die Stimme unter ästhetischen Aspekten ungenügend konservativ beeinflussbar sein, kann phonochirurgisch therapiert werden. Die Entscheidung darüber, welches phonochirurgische Verfahren zum Einsatz kommt, hängt zum einen von der Pathogenese, zum anderen von der Größe und Form der Glottisinsuffizienzen sowie vom Anspruch des Patien-
ten an die Stimmfunktion und -qualität ab. Auch bei der operativen Behandlung der Glottisinsuffizienz wird eine Stimmübungsbehandlung empfohlen, optimal im Sandwich-Verfahren [49, 78]. Alle phonochirurgischen Eingriffe zur Reduzierung von Glottisinsuffizienzen durch Medialisierung der defizitären bzw. immobilen Stimmlippe und Verbesserung der Schwingungsfähigkeit zielen auf eine Stimmverbesserung sowie den Erhalt bzw. die Wiederherstellung der Fähigkeit zur Bauchpresse und des Hustenstoßes ab. Dies kann durch die Veränderung der Stimmlippenposition (vertikal und horizontal), des Stimmlippenvolumens (z. B. durch Augmentation und Implantation), der Öffnungs- und Schließungsbeweglichkeit (z. B. durch Arytänoidadduktion) sowie der Spannung der Stimmlippen (z. B. durch Reinnervation) erreicht werden. Der Erhalt bzw. die Optimierung der Stimmlippenschwingung, insbesondere der Schleimhauteigenbewegung auf dem Stimmlippenmuskel (videolaryngostroboskopisch beurteilbar als Randkantenverschieblichkeit), ist ein weiteres Ziel der Therapie. Ein Vorschlag zur Klassifikation der phonochirurgischen Verfahren durch das Phonochirurgiekomitee der ELS liegt vor. Als phonochirurgische Verfahren bei Glottisinsuffizienzen kommen die Stimmlippenchirurgie, die Larynxskelettchirurgie sowie die neuromuskuläre Chirurgie zum Einsatz, teilweise auch Verfahren zur Rekonstruktion der Stimmllippe und des Kehlkopfes [87]. Zu den Methoden der Phonochirurgie zählen Injektion, Implantation, Mobilisation, Reinnervation und in bestimmten Fällen Mikroflaptechniken [88, 89, 90]. Es sind grundsätzlich zwei operative Zugangswege möglich: endolaryngeal bzw. transoral (direkt und indirekt) oder transzervikal als offene Chirurgie bzw. perkutan unter direkter oder indirekter Laryngoskopie.
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Phonochirurgische Maßnahmen sollten immer von konventioneller Stimmtherapie begleitet werden Bei allen phonochirurgischen Eingriffen, bei denen zur Verbesserung des Glottis-
schlusses und der vibratorischen Eigenschaften der Stimmlippe eine Entfernung von Gewebe (direkte oder indirekte endolaryngeale Dissektion) vorgenommen werden muss, wird unter funktionellen Aspekten ganz besonderes Augenmerk darauf gelegt, soviel wie nötig, aber so wenig wie möglich Gewebe zu entnehmen sowie die oberste Schicht der Lamina propria und das Stimmlippenepithels, v. a. den freien Rand der Stimmlippe, so gut wie möglich zu schonen. Es gilt also, die Body-Cover-Struktur [91] der Stimmlippen zu respektieren, weil Narben entstehen können, deren Behandlung diffizil und komplex ist [27]. Dies betrifft Läsionen des Epithels, wie Papillome, Dysplasien oder Karzinome, Veränderungen des Reinke-Raums, wie Knötchen, Polypen und Reinke-Ödeme, aber auch Zysten oder Schleimhautbrücken. Bewegungseinschränkungen der Stimmlippen (z. B. Stimmlippenparesen, Subluxationen der Aryknorpel) werden häufiger direkt oder in offener Chirurgie bzw. perkutan behandelt. Die Wahl der Instrumente und des Materials ist stark abhängig vom Operateur [87], wobei die meisten Autoren, wie auch die Autoren dieses Artikels, bei phonochirurgischen Eingriffen kalte Instrumente favorisieren.
Stimmlippeninjektion
Stimmlippeninjektionen (Injektionslaryngoplastiken) gehören zu den häufig angewandten phonochirurgischen Maßnahmen, weil sie einfacher sind als beispielsweise Implantationen und andere Verfahren der offenen Chirurgie und zudem in indirekter Laryngoskopie, also am wachen Patienten, durchgeführt werden können, was eine zeitnahe endoskopische und funktionelle Kontrolle erlaubt. Dadurch stellen sie für Patienten mit hohem Narkoserisiko eine gut verträgliche und effiziente Alternative dar. Für Injektionsaugmentationen in Lokalanästhesie und Vollnarkose wird über vergleichbare Ergebnisse berichtet ([92], . Abb. 10, 11, 12). Stimmlippeninjektionen können transoral und transzervikal durchgeführt werden und kommen vorrangig bei der Behandlung von geringen bis mittelgradigen Glottisinsuffizienzen zum Einsatz. So kommt die Methode zwar immer noch HNO 2 · 2013
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Abb. 10 9 Transzervikale/ transkutane Injektionsaugmentation. a Infrathyroidal, b suprathyroidal, c transthyroidal
Abb. 11 8 Einführung der Applikationsnadel zur Augmentation vor indirekter Stimmlippeninjektion unter lupenlaryngoskopischer Sicht
am häufigsten bei totalen und auch partiellen Stimmlippenlähmungen [92] zum Einsatz, jedoch auch zur Behandlung von Stimmlippenatrophien, beispielsweise bei Presbylarynx sowie Stimmlippennarben. Sie begleiten jedoch immer häufiger auch erfolgreich Verfahren der Larynxskelettchirurgie [93]. Ziel von Stimmlippeninjektionen ist die Medialisierung der Stimmlippe durch einen Volumenaufbau (Augmentation) der insuffizienten Stimmlippe, z. B. bei Stimmlippenlähmungen, deshalb auch der im Angloamerikanischen häufig benutzte Begriff „Injektionslaryngoplastik“. Es wird hierbei lateral in die Pars lateralis des M. vocalis bzw. tiefer zwischen Schildknorpel und M. vocalis injiziert [94]. Einige Autoren testeten den Nutzen von Injektionen, die im Rahmen einer Glottisrekonstruktion auch in den medialen und lateralen Anteil des M. vocalis vorgenommen wurden [95]. Die Verortung des Materials ist u. a. abhängig von dessen Vis-
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Abb. 12 8 Laterale Injektionsaugmentation der rechten Stimmlippe im Rahmen der Mikrolaryngoskopie
kosität. So deuten einige klinische Studien darauf hin, dass beispielsweise Hyaluronsäurederivate als Ersatz für die Lamina propia bei Stimmlippennarben oder Sulcus vocalis möglich sind [96]. Unsere klinischen Erfahrungen stimmen mit denen Mallurs und Rosens [93] überein, die von schlechten vibratorischen Eigenschaften nach superfiziellen Injektionen berichten. Bei Berücksichtigung weiterer Studienergebnisse zu frequenztypischen rheologischen Eigenschaften verschiedenster Materialien [96, 97, 98, 99] muss deshalb immer eine individuelle Entscheidung gefällt werden, die neben pathogenetischen und prognostischen Aspekten auch Überlegungen hinsichtlich der spezifischen beruflichen Anforderungen an das Stimmorgan und ästhetische Ansprüche der Patienten an die eigene Stimme mit einschließt. Injektionsmaterialien. Seit Brünings vor mehr als 100 Jahren erstmals über die
Möglichkeit der endolaryngealen Injektion der Stimmlippen mit Paraffinwachs berichtete [100], wurden verschiedenste Materialien mit unterschiedlichem Erfolg eingesetzt, wobei Paraffin oder Teflon, die für ihre Fremdkörper- und Entzündungsreaktionen sowie die Gefahr von Migration in die Stimmlippe bekannt sind, seit Längerem nicht mehr eingesetzt werden [101, 102]. Die heute zum Einsatz kommenden Materialien unterscheiden sich hinsichtlich der Applizierbarkeit, des Resorptionsverhaltens, der Materialeigenschaften, hier speziell der Viskoelastizität [98, 103], sowie der Verträglichkeit; besonders aber im Preis [104]. Bei der Entscheidung für das eine oder andere Material werden pathogenetische und -physiologische sowie prognostische Aspekte in die Therapieplanung einbezogen. Aber auch die Wünsche des Patienten müssen berücksichtigt werden, die beispielsweise in Bezug auf xenogene Materialien ethisch oder konfessionell geprägt sein können. Die Wahl des Injektionsmaterials wird durch dessen Resorptionsverhalten sowie Materialeigenschaften, wie die Viskoelastizität und Applizierbarkeit, bestimmt.
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Die Wahl des Injektionsmaterials wird durch dessen Resorptionsverhalten sowie Materialeigenschaften bestimmt Denn die Beständigkeit der Augmentation ist der wichtigste Faktor bei der Auswahl
des Injektionsmaterials [105]. Der Vorteil resorbierbarer Materialien besteht in der Möglichkeit passagerer Augmentationen, beispielsweise bei fraglich reversiblen Stimmlippenstillständen, im Rahmen diverser Stimmlippenrekonstruktionsmaßnahmen (beispielsweise mit Fett, [93]) vor Operationen in offener Chirurgie mit Thyroplastik oder zur Überprüfung der Sinnhaftigkeit einer permanenten Augmentation (Versuchsaugmentation, [105, 106, 107]). Permanente Injektionsaugmentationen bieten sich für Rekurrensparesen an, denen mittels Larynxelektromyographie (LEMG) eine schlechte Prognose testiert wurde oder die mindestens 6 Monate bestehen [2, 93]. Die durchschnittliche Effektdauer bovinen Kollagens wird mit 6–18 Monaten [108] angegeben. Zur Vermeidung von Überempfindlichkeitsreaktionen (etwa 3%, [109]) sollte einer Injektion humanen Kollagens aber der Vorzug gegeben werden [110]. Komplikationen basieren heute eher auf Fehlern in der Implantationstechnik. So wird beispielsweise von Patienten berichtet, bei denen nach der Injektion oberflächliche Kollageneinlagerungen die Randkantenverschieblichkeit störten [102]. Hyaluronsäure, welche durchschnittlich nach 3–6 Monaten resorbiert wird [104] und akzeptable Stimmverbesserungen bis zu einem Jahr bringen kann [111], wird vorzugsweise als Hydrogel injiziert [112]. Es stellt aus biomechanischer Sicht das optimale Material zur Therapie epithelialer Erkrankungen der Stimmlippen bzw. der Lamina propria dar. Denn es unterstützt durch seine viskoelastischen Eigenschaften die biomechanischen Eigenschaften der Stimmlippenschwingung [98]. Dies wurde auch in einer Vergleichsstudie zwischen Hyalurongel und bovinem Kollagen nachgewiesen. Durch Injektion von Hyalurongel konnten bessere stimmleistungsrelevante Ergebnisse erzielt werden [113, 114]. Zu den autogenen bzw. autologen Materialien gehören patienteneigenes Fettgewebe [115] und Fascia lata [116]. Autologes Fett hat gute viskoelastische Eigenschaften; seine Resorbierbarkeit ist jedoch nicht sicher vorhersagbar [117]. Aufgrund der teilweise relativ schnellen Resorption durch den Körper muss überinjiziert wer-
den, beispielsweise bei Presbyphonie mit „vocal fold bowing“ [46]. Autologe Fascia lata wird ebenfalls sehr gut vertragen, denn es werden keine Hypersensibilitäten ausgelöst. Außerdem ist die Effektdauer höher als die von Fett. Beide Materialien kommen aufgrund ihrer guten rheologischen Eigenschaften auch bei Stimmlippennarben häufig zum Einsatz [30]. Auch wenn Fascia lata schwieriger einzubringen ist – die zurechtgeschnittene Faszie wird wie bei einseitigen Stimmlippenlähmungen dabei direkt in den M. vocalis oder mehr lateral injiziert [118] – so sprechen jedoch die signifikanten Verbesserungen des Glottisschlusses, der akustischen Eigenschaften der Stimme, der Urteilerakzeptanz sowie die geringen Veränderungen der vibratorischen Eigenschaften der Stimmlippen für deren Einsatz [119, 120]. Ob allogene Sustanzen (Kollagen aus menschlichen Kadavern) denselben Stellenwert erlangen werden, ist wegen der hohen Kosten und schwierigen Aufbereitung fraglich [104]. Auch Kalzium-Hydroxylapatit-Mikrosphären (z. B. RadiesseVoice/Radiance) zählen zu den resorbierbaren Materialien [121]. Sie wurden bei Patienten mit Rekurrensparesen [122] oder funktionellen Glottisinsuffizienzen erfolgreich mit einem moderaten (38%) bis signifikanten Ergebnis (56%, [123]) getestet sowie als Material befunden, das sehr gute Eigenschaften hinsichtlich Steifheit und Viskosität besitzt [103]. Für bestimmte Indikationen ist Karboxymethylzellulose ein geeignetes und effektives Material, z. B. als temporäre Injektionsaugmentation oder als Versuchsbehandlung [124]. Zu den nichtresorbierbaren Substanzen zählen Polydimethylsiloxanpartikel (PDMS; VoxImplants, [93]), die mit einem wasserlöslichen Trägermaterial weit lateral in den paraglottischen Raum ohne Überkorrektur injiziert werden. Für die Behandlung von einseitigen Stimmlippenlähmungen scheint das Material sehr gut geeignet, weil es sicher ist und nicht resorbiert wird; alle Stimmparameter verbessern sich, und die funktionellen Ergebnisse sind denen der Larynxgerüstchirurgie vergleichbar [125]. Die viskoelastischen Eigenschaften sind denen Teflons vergleichbar. Bisher sind jedoch keine al-
lergischen Reaktionen und Migrationen bekannt [104]. Trotz der teilweise sehr guten Ergebnisse bei der Injektionsaugmentation werden zukünftig sicherlich noch weitere Materialien entwickelt werden müssen, deren viskoelastische Eigenschaften unter rheologischen Aspekten denen der menschlichen Stimmlippen noch besser entsprechen und die sich auch zur Injektion in die Lamina propria eignen [103]. Das ideale Material zur temporären Injektion müsste durch eine sehr feine Nadel einfach zu injizieren, leicht und preisgünstig erhältlich, mit sicher vorhersagbarer Effektdauer, mit biomechanischen Eigenschaften, die der zu augmentierenden Stimmlippe entsprechen, biologisch inert und ohne Infektionsrisiko sein. Jüngste Fortschritte bei der Entwicklung von Injektionsmaterialien sowie auf dem Gebiet der Larynxendoskopie haben dazu beigetragen, dass sich einerseits die Indikationen für diese Technik erweiterten (Stimmlippenlähmungen, Atrophien, Presbyphonie, bei vorbehandelten Narben) und andererseits die Präzision der Eingriffe erhöht hat. Empfohlen wird die Injektionsaugmentation für glottische Insuffizienzen von geringer bis moderater Ausprägung [93]. Bei der Therapie von Narben hat eine Injektion allein jedoch wenig Erfolg [126], sie muss vielmehr mit narbenlösenden Verfahren kombiniert werden (. Abb. 13; [127]). Letztendlich darf auch nicht vergessen werden, dass ein zwar sehr geringes, aber dennoch Restrisiko von Verletzungen des Epithels, der Lamina propria oder des M. vocalis [14] besteht, das vermieden werden muss.
Larynxskelettchirurgie
Von den 4 Typen der Larynxskelettchirurgie (laryngoplastische Phonochirurgie, [127]) kommen zur Behandlung von Glottisinsuffizienzen die Verfahren zur Approximation (Medialisation), zur Relaxation und ggf. zur Tension infrage. Die präund intraoperative Entscheidungsfindung in Bezug auf das chirurgische Vorgehen stellt neben der entsprechenden Erfahrung des Operateurs einen wesentlichen Aspekt für den Erfolg dar [127]. Thyroplastik. Über eine „Plastik am Schildknorpel zur Behebung der Folgen HNO 2 · 2013
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Abb. 13 8 Stimmlippennarbe aus . Abb. 8 nach Injektionsaugmentation und Narbenlösung
einseitiger Stimmbandlähmungen“ berichtete erstmals vor fast 100 Jahren Payr, der einen Knorpellappen des Schildknorpels auf Stimmlippenhöhe fensterflügelartig nach innen drückt, dann mit Catgutfaden fixiert und damit die gelähmte Stimmlippe medialisiert [128]. Isshiki et al. standardisierten die Therapie [129]; als Typ-I-Thyroplastik wurde sein Verfahren international bekannt [130] und beständig operations- und materialtechnisch weiterentwickelt. Sie ist der am häufigsten zum Einsatz kommende Typ der Larynxskelettchirurgie („laryngeal framework surgery“). Die Medialisierungsthyroplastik wird vorrangig bei Lähmungen und Atrophien der Stimmlippen eingesetzt [127]. Der Vorteil dabei ist, dass die komplexe Struktur der für den Stimmklang relevanten Anteile der Stimmlippen nicht zerstört wird. Nach vorheriger Anlage eines definierten Schildknorpelfensters (transthyroidal) wird eine Verlagerung der entsprechenden Stimmlippe zur gedachten Glottismittellinie hin oder darüber hinaus durch das Einbringen und ggf. Verriegelung von körpereigenem oder körperfremdem Material erreicht, beispielsweise mit GoreTex, Titanspange nach Friedrich [131], Silikonblöcken, körpereigenem Knorpel (Septum- oder Schildknorpel). Es besteht auch die Möglichkeit, ein Stück des oberen Schildknorpelbogens selbst als Block subperichondral zu platzieren (Schildknorpelimpression), eine Methode, die von Sittel et al. [132] zur Stimmrehabilitation nach Laserchirurgie bei T1- und T2Tumoren entwickelt und erfolgreich evaluiert wurde. Bei Presbyphonie beispielsweise kann – unabhängig von der genauen Pathoge-
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Abb. 14 8 Thyroplastik Typ I mit Friedrich-Prothese (Titan). a Anlage eines Fensters im Schildknorpel, b Einsatz und Fixierung der Prothese
Abb. 15 8 Direkte transorale Implantationslaryngoplastik. a Vor der Implantation, b nach der Implantation
nese – eine beidseitige Medialisationsthyroplastik etwa mit passgenau zugeschnittenem Silikon oder Gore-Tex [49] zielführend sein. Auch hier sollte zur prä- und postoperativen Optimierung der Stimmfunktion eine konservative Stimmtherapie im Sandwich-Verfahren durchgeführt werden. Da sich etwa 60% der idiopathischen einseitigen Stimmlippenlähmungen innerhalb eines Jahres zurückbilden, 80% von ihnen sogar innerhalb eines halben Jahres, plädieren Tucker [20] und Friedrich [2] dafür, vor Ablauf dieser Zeitspanne keine irreversiblen operativen Eingriffe vorzunehmen, es sei denn, die Ursache ist bekannt und damit die Wahrscheinlichkeit der Rückbildung der Lähmung antizipierbar. Die Indikation zur Operation ist auch nach Schuster nur dann zu stellen, wenn keinerlei Restbeweglichkeit endoskopisch nachweisbar ist und die EMG-Befunde mindestens auf eine Neurotmesis im Sinne einer erheblichen Nervenschädigung hinweist [74]. Bei Vagusparesen bedarf es einer umfangreicheren Medialisierung unter Einbezie-
hung der supraglottischen Strukturen der gelähmten Stimmlippe. Hier sollte eine ausgedehntere Thyroplastik durchgeführt werden. Anhand aerodynamischer und akustischer Stimmparameter und der Registrierung der persönlichen Betroffenheit [133] konnten sowohl kurz- als auch längerfristige signifikante Erfolge durch die Medialisierungsthyroplastik mit autologem Knorpel und Titanspangen gemessen werden [2, 131, 134, 135, 136, 137, 138, 139, 140, 141, 142, 143, 144]. Transorale Implantation. Eine hinsichtlich der Ergebnisse vergleichbare Alternative stellt die transorale Implantation dar. Endolaryngeal wird dabei das entsprechende Material (z. B. Fascia lata oder Septumknorpel) in eine präparierte Tasche lateral zwischen Schildknorpel und M. vocalis implantiert (. Abb. 15). Diese Art der Medialisierung kann erfolgreich bei Stimmlippennarben angewandt werden [145]. Wir plädieren in Übereinstimmung mit anderen Autoren [104, 146] dafür,
die beiden laryngoplastischen Verfahren „Augmentation“ (minimal-invasiv) und „Thyroplastik“ (offene Chirurgie) als komplementär zu betrachten. Die jeweils individuelle Therapieentscheidung muss in Abhängigkeit von dem gewünschten Therapieerfolg und den organischen und psychischen Voraussetzungen der Patienten gefällt werden. Um das zu erreichen, kann es notwendig sein – ähnlich einem Baukastenprinzip – verschiedene Techniken und Verfahren zur Medialisierung zu kombinieren. Beispielsweise wurde von erfolgreichen Augmentationen mit Kollagen nach unzureichender Thyroplastik bzw. Medialisationslaryngoplastik berichtet [147, 148, 149, 150]. Aryknorpeladduktion. Bei Stimmlippenlähmungen tendieren Aryknorpel dazu, nach vorn und seitlich zu kippen, was die Stimmlippen verkürzt und die Aryknorpel von der Mittellinie verlagert. Operative Methoden zur Adduktion des Aryknorpels bei einseitigen Stimmlippenlähmungen und arthrogenen Dysphonien dienen der Aufrichtung, Medialisierung und Fixierung der Aryknorpel sowie der Rotation des Muskelfortsatzes zur Mittellinie hin. Deshalb werden Verfahren zur Rotation oder Fixation unterschieden [150]. Isshiki [151] hat erstmals über ein Verfahren zur Medialisierung des Stimmfortsatzes des Aryknorpels per lateralen „Zug“ („pull“) am Muskelfortsatz berichtet. Der ziehende Faden wird am vorher angelegten ipsilateralen Schildknorpelfenster fixiert. Iwamura und Kurita beschreiben eine veränderte Technik, den sog. „lateral cricoarytenoid muscle pull“, bei dem unter Lokalanästhesie durch ein Schildknorpelfenster der laterale Krikoarytänoidmuskel gezogen und fixiert wird [152]. Verfahren zur Fixation der Aryknorpel stellen Maragos [153] und Zeitels [154, 155] vor, wobei Maragos zunächst mit der halbkreisartigen „posterior window technique“ einen dorsalen Zugang am Schildknorpel zum Aryknorpel herstellt und mit einer Naht den Aryknorpel am oberen mittleren Rand des Ringknorpels fixiert [153]. Zeitels et al. [154] fixieren den manuell in die mediale Position gebrach-
ten Aryknorpel mit einer speziell entwickelten einzelnen Naht am hinterer Ringknorpel („2-point fixation“).
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Verfahren zur Fixation der Aryknorpel sind irreversibel Einschränkend muss darauf hingewiesen werden, dass diese Verfahren irreversibel sind und einige technische Probleme mit sich bringen: Sie sind komplikationsreich, dauern länger, der Stimmfortsatz lässt sich nicht immer einfach finden, es besteht u. a. ein erhöhtes postoperatives Tracheotomierisiko [150]. Deshalb muss die Indikation gerechtfertigt sein. Für Patienten mit irreversiblen einseitigen Stimmlippenlähmungen in Lateralstellung, starker Exkavation und großem Niveauunterschied stellt die Arytänoidadduktion ein wichtiges Verfahren dar, durch das die breite hintere Glottisinsuffizienz geschlossen und die vertikale Differenz zwischen den beiden Stimmlippen korrigiert werden kann. Minimal-invasive Verfahren zur Arytänoidadduktion stellen Murata et al. [156] und Hess et al. [157] vor. Dabei wird in Lokalanästhesie und unter endoskopischer Kontrolle eine Nadel über das Ligamentum cricothyroideum auf der betroffenen Seite eingeführt, die einen nichtresorbierbaren Faden trägt. Eine zweite Nadel mit einer Metalldrahtschlaufe wird parallel dazu oberhalb der ersten Nadel über den Aryknorpel geführt. Der eingebrachte Faden wird zunächst mit der Schlaufe eingefangen und dann um den Aryknorpel geschlungen. Hierdurch wird eine Arytänoidadduktion ohne Resektion des hinteren Schildknorpels ermöglicht. Bei sehr großen Glottisinsuffizienzen, bei denen eine Thyroplastik Typ I nicht ausreichend ist, und bei zusätzlich stark atrophierten Stimmlippen können Aryknorpeladduktion und Medialisationsthyroplastiken kombiniert werden [153]. Von Erfolgen mit dieser kombinierten Therapie berichten verschiedene Autoren [158, 159, 160, 161, 162, 163]. Eine weitere Kombinationsmöglichkeit stellt die Verbindung von Arytänoidadduktion und Reinnervationschirurgie dar [164, 165].
Laryngeale Reinnervationschirurgie. Sowohl Injektionslaryngoplastik als auch Medialisierungsthyroplastik und Arytänoidadduktion – als derzeit hauptsächlich angewandte Verfahren in der Therapie der Rekurrensparesen – sind nicht in der Lage, den Tonus der gelähmten Stimmlippen nachhaltig aufrechtzuerhalten oder zu verbessern. Hierfür bietet sich die Möglichkeit der Reinnervation des gelähmten Nervs durch Nervrekonstruktion an [166]. Bereits 1909 berichtet Horsley über die Möglichkeit der Reanastomose des durchtrennten N. recurrens [167]. Die Beweglichkeit der gelähmten Stimmlippe wird zwar auch hierbei nicht verbessert, es kann durch den Erhalt des Stimmlippentonus jedoch eine Stimmlippenatrophie verhindert werden. Eine Reinnervationsoperation ist bereits während des Primäreingriffs möglich, beispielsweise im Rahmen der Schilddrüsenchirurgie oder der operativen Behandlung eines laryngealen Traumas. Ist der durchtrennte N. recurrens lang genug, empfiehlt Tucker die direkte End-zu-End-Anastomose [20]. Bei chronischen einseitigen Stimmlippenlähmungen aufgrund eines Funktionsausfalls des N. laryngeus recurrens besteht die Möglichkeit der Reinnervation durch Anastomose zwischen der Ansa cervicalis und N. laryngeus recurrens [166, 168, 169, 170], durchaus auch in Verbindung mit einer Arytänoidadduktion [171]. Voraussetzung dafür ist, dass die Ansa cervicalis funktionsfähig ist und die Aryknorpel beweglich sind. Als Alternative für den Fall des Nichtauffindens eines brauchbaren distalen Stumpfes des N. recurrens wird die Nervimplantation der Ansa cervicalis über ein Schildknorpelfenster in den ipsilateralen M. thyroarytaenoideus beschrieben [172]. Eine weitere Technik ist die Nerv-Muskel-Stiel-Technik nach Tucker, wobei zur Reinnervation der Kehlkopfadduktoren ein an der Ansa cervicalis gestielter Muskel des M. omohyoideus über ein Schildknorpelfenster an die gelähmte Muskulatur angeschlossen wird. Auch zur Therapie von beidseitigen chronischen Stimmlippenlähmungen setzt Tucker die NervMuskel-Stiel-Technik mit guten Langzeitergebnissen ein (2-Jahres-Follow-up: 74%). Er beobachtete jedoch im weiteHNO 2 · 2013
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Leitthema ren Verlauf häufig (17%) eine Verschlechterung, die er mit der Entwicklung einer krikoarytänoidalen Arthritis begründet [173]. Als kritisch erachten wir den Versuch, eine „recurrent laryngeal – hypoglossal nerve anastomosis“ herzustellen, wegen des Kalibersprungs der Nervenenden, der unterschiedlichen Axondichte und der Inkaufnahme einer Funktionseinschränkung der durch den N. hypoglossus innervierten Artikulations- und Schluckmuskulatur [174]. Aufgrund der ermutigenden Ergebnisse der Ansaimplantation erscheint die Methode der Recurrens-Hypoglossus-Anastomose als nachrangige Alternative bei den Anastomosentechniken, und zwar für den Fall, dass die Ansa cervicalis für die Operation nicht verwendet werden kann [166]. Gegebenenfalls besteht zukünftig die Option eines „laryngeal pacing“ zur Stimulation der Muskulatur mit Kompensation der Parese und damit der Glottisinsuffizienz.
Stimmlippenrekonstruktion und kombinierte Verfahren
Stimmlippenrekonstruktionen können nötig werden, wenn durch Larynxtraumata oder chirurgische Eingriffe, wie phonochirurgische Abtragungen, Chordektomien oder Laryngofissuren, solch große Gewebsdefizite an den Stimmlippen entstehen, die trotz des Verschlusses der Aryknorpel eine Glottisinsuffizienz bedingen. Es bilden sich Narben, die die Schwingungsfähigkeit der Stimmlippen weiter beeinträchtigen bzw. aufheben und irreguläre Oberflächen sowie nach seitlich exkavierte (konkave) Stimmlippen hinterlassen können, die den Glottisschluss noch zusätzlich verhindern [132, 175, 176, 177]. Maligne Veränderungen an den Stimmlippen werden primär chirurgisch über einen transoralen Zugang mit kalten Instrumenten oder CO2-Laser bzw. eine transzervikalen Zugang oder strahlentherapeutisch behandelt [178]. Bei dysplastischen und kanzerösen Veränderungen der Stimmlippen wird die Chordektomie Typ I unter phonochirurgischen Aspekten zur möglichst geringen Traumatisierung des Reinke-Raums mit kalten Instrumenten durchgeführt. Bei größeren T1a-Karzinomen, die subligamentär bis in den M. vocalis hineingeführt werden, bietet
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sich der Einsatz des CO2-Lasers an. Wegen der vergleichbaren und teilweise besseren stimmlichen Ergebnisse von endoskopischen chirurgischen Eingriffen im Vergleich zur Radiotherapie präferieren einige Autoren transoral endoskopische Chordektomien per CO2-Laser zur Behandlung von frühen malignen Stimmlippenveränderungen [179, 180, 181, 182, 183, 184, 185, 186, 187, 188]. Aufgrund einer gewissen Kompensationsfähigkeit des phonatorischen Systems beeinträchtigen Chordektomien vom Typ I (subepithelial) und Typ II (subligamentär; Typ I–VI: [189, 190]) den Glottisschluss meist nur mäßig [191, 192], was eine im Vergleich zum präoperativen Zustand relativ gute Stimmbildung und -qualität erlaubt [193, 194]. Auch ausgedehntere CO2-Laser-Chordektomien vom Typ II–Va sind hinsichtlich des onkologischen Ergebnisses erfolgreich [195]. Zur Verbesserung des postoperativen stimmlichen Ergebnisses müssen jedoch zumeist zusätzliche phonochirurgische Eingriffe vorgenommen werden [177]. Diese können primär im Rahmen des Ersteingriffs oder sekundär nach abgeschlossener Wundheilung durchgeführt werden. Um das stimmliche Ergebnis unter den neuen laryngealen Verhältnissen zu optimieren, sollte postoperativ eine konventionelle Stimmtherapie erfolgen [27, 71, 132, 176, 192, 196, 197, 198] und so früh wie möglich beginnen, um die Narbenbildung durch die gezielte Stimmübungen positiv zu beeinflussen und ungewünschte funktionelle Kompensationsmechanismen zu verhindern [198]. Die Glottisrekonstruktion dient dem Wiederaufbau der Stimmlippe oder der Schaffung eines genügend großen Widerlagers für die gesunde bzw. schwingungsfähige kontralaterale Stimmlippe [87]. Primäre rekonstruktive Verfahren. Es besteht zum einen die Möglichkeit, die Stimmlippe direkt im Rahmen der primären Operation zu rekonstruieren. Die primäre Rekonstruktion hat den Vorteil, dass das Gewebe weich ist, weil der Vernarbungsprozess noch nicht eingesetzt hat. Außerdem wird durch den Volumenausgleich eine bessere Voraussetzung für einen möglichen Glottisschluss und damit eine Anregung der möglicher-
weise kontralateral erhaltenen Stimmlippe geschaffen. Dadurch wird der Vernarbungsprozess der rekonstruierten Stimmlippe günstig beeinflusst. Bei endoskopischen transoralen Chordektomien (TEC) besteht zur Medialisierung der defizitären Stimmlippe die Option der Injektionsthyroplastik mit autologem Fett [175], als „primary intracordal autologous fat injection“ (PIAFI) auch nach Typ-III-Chordektomien [199]. Als Alternative kann auch Polydimethylsiloxanelastomer (VoxImplants) injiziert werden [197]. Im Rahmen der Heilungsphase kann so ein kompletter Glottisschluss sowie (durch die effektive Umsetzung des subglottischen Anblasedrucks zur Stimmlippenschwingung) eine aus funktionellen Gründen gewünschte Mobilität der Stimmlippen erreicht werden.
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Durch primäre Rekonstruktionen wird der Vernarbungs- prozess der Stimmlippe nach Chordektomien positiv beeinflusst Deshalb muss ein ausreichender Anteil des M. vocalis erhalten geblieben sein [199]. Unter maximaler Vergrößerung wird dabei das Fett lateral zwischen inneres Perichondrium und Muskelstumpf an 2 Punkten am Übergang vom vorderen zum mittleren Drittel bzw. lateral des Processus vocalis im Sinne einer Überkorrektur über die Mittellinie hinaus injiziert. Da noch keine Narben vorhanden sind, kann das Injektat problemlos expandieren. Weil die Resektionsfläche nicht verändert wird, sondern nur nach medial verschoben ist, können im Rahmen einer Kontrollmikrolaryngoskopie evtl. später auftretende histologisch nachgewiesene Veränderung im Bereich des basalen Absetzungsrands problemlos abgetragen werden (. Abb. 16). Es gibt zur primären glottischen Rekonstruktion auch die Möglichkeit der Verschiebelappen (Lappenpräparation und -rotation bzw. -verschiebung, d. h. „sliding and pedicle flap“). Auch Wangenschleimhautgewebe wird zur glottischen Rekonstruktion eingesetzt, dünneres Gewebe für den Ersatz der epithelialen Schicht der Stimmlippe und dickeres Ge-
Abb. 16 8 a T1-Stimmlippenkarzinom der vorderen rechten Stimmlippe. b Primär mit Fett augmentierte rechte Stimmlippe unmittelbar nach Chordektomie. c Follow-up nach 3 Wochen und d bei Follow-up nach 6 Monaten
webe zur Auffüllung [127]. Zumeist wird ein Muskel- oder Schleimhautlappen benachbarter Regionen bzw. des Larynx benutzt [200, 201], beispielsweise mit einseitigen oder beidseitigen Taschenfaltenlappen, wobei der gestielte Taschenfaltenschleimhautlappen zur Stimmlippenebene hin rotiert wird [202]. Es können zudem augmentierte Taschenfaltenlappen, kombinierte Taschenfalten-Epiglottislappen oder bei offenen Teilresektionen Epiglottisverschiebelappen nach Bouche, Sedlaček, Kambič und Tucker [203, 204, 205, 206] zur Schaffung eines Widerlagers für die kontralaterale Stimmlippe bzw. Taschenfalte genutzt werden, je nach Größe des Glottis- bzw. Larynxdefizits [173, 207]. Es besteht auch die Möglichkeit, ein ipsilaterales Schildknorpelstück unter den Lappen zu platzieren, um mehr Volumen in die rekonstruierte Struktur zu bekommen [201]. Schröder et al. [208] betonen zwar die onkologisch guten und funktionell zufriedenstellenden Ergebnisse, jedoch auch die enge Indikationsstellung der erweiterten frontolateralen Kehlkopfteilresektion mit Rekonstruktion durch den Epiglottisverschiebelappen. Sekundäre rekonstruktive Verfahren. Die Behandlung von Stimmlippennarben konnte bislang aufgrund der Heterogenität der Erkrankung nicht standardisiert werden. Verschiedene Verfahren kom-
men derzeit zum Einsatz, Injektionslaryngoplastik (z. B. autologes Kollagen, Hyaluronsäure) oder Implantation von Faszie bzw. körpereigenem Knorpel. Einige Autoren empfehlen zeitversetzte Eingriffe [14, 132, 176, 197]. Remacle et al. warten mindestens 6 Monate nach endoskopischen subepithelialen, subligamentären oder auch transmuskulären Chordektomien ab, bevor sie eine Isshiki-Thyroplastik Typ I, vorzugsweise mit einer Friedrich-Prothese, durchführen. Gezielt wird hier der Stimmlippe Zeit gegeben, eine später als Widerlager gedachte Narbenplatte und/bzw. eine fibröse Ersatzstimmlippe herauszubilden. Außerdem möchte man durch dieses Vorgehen zunächst den Erfolg einer konservativen Stimmtherapie, aber auch mögliche frühe Rezidive abwarten [176]. Die Notwendigkeit zu einer konventionellen Stimmtherapie besteht bei dem überwiegenden Teil der Patienten nach Chordektomien, auch bei kleinen Stimmlippenkarzinomen. Sie sollte zur Vermeidung von möglichen Bewegungseinschränkungen der erhaltenen Aryknorpel frühzeitig, spätesten mit Abschluss der Wundheilung beginnen [209]. Der Nutzen der Stimmtherapie, insbesondere der „funktionalen Stimmtherapie“ [83] nach Laserteilresektionen von T1bis T3-Larynxkarzinomen, ist dokumentiert worden [71]. Einschränkend muss gesagt werden, dass durch das zeitversetzte Vorge-
hen mögliche narben- oder glottisinsuffizienzbedingte funktionelle Einbußen nicht ausgeschlossen werden können, die ohne eine konventionelle Stimmtherapie stimmfunktionelle Kompensationsmechanismen in Gang setzen können [197]. Außerdem verstreicht die Option, durch bestimmte phonochirurgische Eingriffe die Narbenbildung zu beeinflussen. Meist müssen zunächst narbenlösende Verfahren durchgeführt werden, zu denen die Auflösung des Narbenstrangs mittels Z-Plastiken sowie die Lösung des oftmals auch atrophierten Epithels von der darunter liegenden Narbenschicht mittels kalter Instrumente zählen. Einige Autoren präferieren Narbenlösung mittels CO2-Laser [210]. Durch die Narbenlösung werden eine Optimierung der Stimmlippenelastizität sowie des Glottisschlusses und der Schwingungsfähigkeit der betroffenen Stimmlippen angestrebt [27]. Narbenaugmentationen bei Narbentyp II und III mit autologem Knorpel (wegen der hohen Resorptionsstabilität mit Schild- oder Septumknorpel) können über einen transoralen oder transzervikalen Zugang erfolgen. Das Ziel dieses Verfahrens der Glottisrekonstruktion ist bei beiden Vorgehensweisen wieder die Schaffung eines Widerlagers für die intakte kontralaterale Stimmlippe. Arens et al. [27] legen dazu über einen Zugang eine endolaryngeal vorgefertigte Tasche an, in die der Knorpel implantiert wird. Sittel et al. entwickelten eine spezielle Technik der Thyroplastik zur Medialisierung per Augmentation, die sie frühestens 12 Monate nach Laserchordektomie anwenden. Sie implantieren über den transzervikalen Zugang autologen Knorpel vom oberen Rand des Schildknorpels in eine subperichondrale Tasche, die sie auf der Innenseite des Schildknorpels anlegen [132]. Den transzervikalen Zugang wählen auch Remacle et al. [176]. Weitere Verfahren (auch in Kombination) zur Medialisierung der defizitären und oftmals exkavierten Stimmlippe sind die Thyroplastik mit Laryngoplastik mittels Gore-Tex sowie die anteriore Kommissurenlaryngoplastik, wobei der ipsilaterale Teil der Ala thyroidea nach Durchtrennung an die Innenseite des kontralateralen Teils subluxiert wird [175]. HNO 2 · 2013
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Leitthema Einige Autoren testeten nach Chordektomien (transmuskulär, total, subligamental) den funktionellen Nutzen einer Injektion von autologem Fett in die vernarbte Stimmlippe, nach eigenen Angaben jedoch ohne den Anspruch der Vergleichbarkeit der Ergebnisse mit anderen Medialisationstechniken [211]. Zeitels et al. [175] führen meist mikrolaryngoskopische Lipoinjektionen in den paraglottischen Raum der restlichen, chordektomierten Stimmlippe durch und konnten mit diesem – teilweise kombinierten – Vorgehen signifikante Verbesserungen stimmlicher Leistungsparameter messen. Lipoinjektionen als alleiniges Medialisierungsverfahren nutzt auch Rosen [212]. In Übereinstimmung mit anderen Autoren [197] sehen wir bei der Injektionsaugmentation in Zusammenhang mit vernarbtem Gewebe der Stimmlippen nur einen begrenzten Nutzen, da sich das Injektat aufgrund der Steifheit des Narbengewebes unkontrolliert in dem umgebenden Gewebe verteilt. Zur Verringerung von Glottisinsuffizienzen nach ausgedehnten Chordektomien oder offener Chirurgie höheren Typs kann die Technik mit Verschiebelappen auch nach längerer Zeit der Verheilung erfolgreich sein, beispielsweise Verschiebelappen mit oder ohne Implantation, oder ein zervikaler Hautlappen als laryngealer Muskellappen. Aufgrund der ähnlichen pathologischen Prozesse in der extrazellulären Matrix ähneln die Behandlungsansätze von Narben denen des Sulcus vocalis: Medialisationsthyroplastik, Kollagen- oder Fettinjektion und Verfahren zur Epithellösung mit Entfernung des zerstörten Gewebes, auch hier Auflösung des Narbenstrangs sowie das lokale Freipräparieren des Epithels [36]. Diese Verfahren sind jedoch hinsichtlich ihrer Effekte auf die Stimmfunktion limitiert, weil die Herstellung der normalen „anatomischen“ Verhältnisse mit diesen Methoden nur begrenzt erreicht werden kann [213]. Es wird auch beim Sulcus vocalis empfohlen, zunächst mit einer konventionellen Stimmtherapie zu beginnen und erst bei Stagnation der stimmlichen Verbesserung eine chirurgische Therapie einzuleiten [36]. Die Kombination beider Verfahren wird hier als beste Vorgehensweise empfohlen [214].
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Tissue-Engineering
Verfahren der Zelltherapie stellen innovative Ansätze bei der Wiederherstellung des Reinke-Raums dar, z. B. das sog. Tissue-Engineering mit einer Wachstumsfaktortherapie als Form der regenerativen Medizin oder die Stammzelltherapie [215, 216, 217, 218, 219, 220, 221]. Mittels dadurch ausgelöster Fibroblastenaktivitäten und einer Reorganisation der extrazellulären Matrix erhofft man sich eine signifikante Verbesserung der Schwingungseigenschaften der vernarbten Stimmlippen [222]. Bei dünnen Narben kann eine Auflösung derselben sowie die lokale Applikation von Mytomycin C erfolgreich sein [87]. Für den evidenzbasierten Einsatz von Hyaluronsäure zur Optimierung der Viskoelastizität der Stimmlippen bedarf es jedoch zunächst noch größerer Untersuchungsgruppen [28]. Auch wenn die Stimme durch all diese Verfahren der primären und sekundären Chirurgie v. a. bei Chordektomien höheren Typs immer schwerer wieder normalisiert werden kann, so verbessern sich die aerodynamischen und auch klanglichen Aspekte der Stimmqualität zumeist doch fast immer um wenigsten einen Grad, die Sprechpassagen werden durch die günstigeren aerodynamischen Verhältnisse länger, und die Patientenzufriedenheit steigt [223]. Zumindest gelingt es oftmals, eine stabile Klangquelle herzustellen, die zur normalen Unterhaltung ausreicht [175]. Alle traditionellen chirurgischen Verfahren sind jedoch langfristig noch suboptimal gewesen [24], einerseits wegen der Absorbierbarkeit des Injektats und andererseits, weil bisher kein bekanntes Material in der Lage war, die zerstörte Lamina propria wieder zu normalisieren [28, 33, 34, 213]. Eine Verringerung der Glottisinsuffizienz kann allein keine optimalen Ergebnisse erbringen, solange nicht die Randkantenverschieblichkeit wiederhergestellt ist, also das normale Zusammenspiel von Body und Cover. Außerdem kann jeder chirurgische Eingriff das Narbenproblem auch verschlimmern [30]. Das Prinzip sollte es deshalb bei jedem Eingriff an den Stimmlippen sein, Narben zu vermeiden.
Ausblick Glottisinsuffizienzen imponieren zum einen durch den mehr oder minder fehlenden partiellen oder totalen, akuten oder transitorischen Glottisschluss, zum anderen durch das Fehlen oder die Einschränkung einer ausreichenden Randkantenverschieblichkeit sowie abweichende Gespanntheit der Stimmlippen. Die Hauptursachen für Glottisinsuffizienzen sind Bewegungseinschränkung der Stimmlippen wegen zentraler oder peripherer Stimmlippenlähmungen oder Immobilität der Aryknorpel, Substanzdefizite der Stimmlippen oder Gewebeveränderungen, wie Narben, ein Sulcus vocalis oder Atrophien, die die Stimmlippenschwingung beeinträchtigen. Pathologische Glottisinsuffizienzen können jedoch auch funktionell bedingt sein. Glottisinsuffizienzen können deshalb sehr unterschiedliche Formen annehmen, wobei teilweise von der Form auf die Ursache geschlossen werden kann. Die akustischen Eindrücke variieren demzufolge und sind abhängig von der Größe der Glottisinsuffizienz. Neben der zunehmend starken Behauchtheit kann bei Stimmlippenlähmungen und diversen Gewebsplus auch eine Rauigkeit sowie Biphonation und Diplophonie stören. Die subjektive Belastung für den Patienten differiert stark, abhängig von der individuellen Betroffenheit hinsichtlich beruflicher, familiärer, sozialer Lebensumstände sowie Auswirkungen auf Freizeitgestaltung und Hobbys. Das diagnostische Vorgehen entspricht dem Basisprotokoll der ELS und sollte – zumindest für wissenschaftliche Fragestellungen oder Gutachten – durch die Hochgeschwindigkeitsglottographie ergänzt werden, auch weil bei einigen Erkrankungen der Stimmlippen wegen der fehlenden bzw. unzureichenden Stimmlippenschwingung eine Videolaryngostroboskopie nicht durchgeführt werden kann. Die therapeutischen Möglichkeiten sind vielfältig. Sollte durch eine konservative Stimmtherapie keine ausreichende Verbesserung der Stimmqualität, der stimmlichen Leistungsfähigkeit und der Patientenzufriedenheit erreichbar sein, kann phonochirurgisch thera-
piert werden. Dies trifft auch dann zu, wenn aufgrund der Größe oder Ursache der Glottisinsuffizienzen eine konservative Stimmtherapie nicht vielversprechend erscheint. In diesen Fällen kann jedoch eine dem phonochirurgischen Eingriff vorgeschaltete Stimmtherapie dafür sorgen, dass postoperativ einerseits eine optimale und den Heilungsprozess unterstützende Stimmfunktion vorhanden ist, und zur Unterstützung der neuen Stimmfunktion andererseits ohne das Problem der anfänglichen Gewöhnung an das stimmtherapeutische Setting angeknüpft werden kann. Bei allen Verfahren zu Verringerung einer Glottisinsuffizienz muss die BodyCover-Struktur der Stimmlippen respektiert werden, v. a. das Epithel der Stimmlippen und die superfizielle Lamina propria im schwingenden Anteil wegen der Gefahr von Narben. Die phonochirurgischen Methoden reichen von Injektions- und Implantationsaugmentation, Medialisierungsthyroplastik, Aryknorpeladduktion bis zur Reinnervationschirurgie bei Stimmlippenlähmungen. Sie wurden teilweise erfolgreich evaluiert und erlauben den Phonochirurgen ein individualisiertes Vorgehen sowie die Kombination verschiedener Verfahren. Dies betrifft insbesondere die Stimmlippenrekonstruktion nach Chordektomien oder Larynxteilresektionen. Allen Verfahren gemein ist das limitierte Stimmergebnis bei aufgehobener normaler Body-Cover-Struktur. Optimierte rheologische Eigenschaften von Injektionsmaterialien sowie Verfahren des Tissue-Engeneerings werden zukünftig auch die viskoelastischen Fähigkeiten der komplexen Gewebematrix der Stimmlippen verbessern.
ten Stimmlippe können bei leichten Insuffizienzen Injektionslaryngoplastiken ausreichend sein. F Resorbierbare Materialien werden zumeist überinjiziert. F Größere Glottisinsuffizienzen können durch Medialisierungsthyroplastiken oder -implantationen kompensiert werden. Hierbei kann durch die Medialisierung über den transzervikalen Zugang eine Verletzung der Stimmlippenschleimhaut verhindert werden. F Durch die primäre Glottisrekonstruktion kann die Narbenbildung positiv beeinflusst werden. F Zur Optimierung der Stimmfunktion bzw. stimmtechnischen Verbesserung sollten phonochirurgische Maßnahmen immer durch eine Stimmübungstherapie im Sandwich-Verfahren begleitet werden.
Fazit für die Praxis
Interessenkonflikt. Die korrespondierenden Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
F Glottisinsuffizienzen können von manchen Patienten erstaunlich gut kompensiert werden. F Der auditive Eindruck der Heiserkeit wird durch die Größe des Glottisspalts und den Grad der Vernarbung der Stimmlippen bestimmt. F Zur Medialisierung der gewebsdefizitären bzw. bewegungseingeschränk-
Korrespondenzadressen Dr. S. Voigt-Zimmermann Universitätsklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Universitätsklinikum Magdeburg A. ö. R., Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg Leipziger Str. 44, 39120 Magdeburg susanne.voigt-zimmermann@ med.ovgu.de Prof. Dr. C. Arens Universitätsklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Universitätsklinikum Magdeburg A. ö. R., Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg Leipziger Str. 44, 39120 Magdeburg
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Das vollständige Literaturverzeichnis…
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© Deutsches Zentrum für Schwindel und Gleichgewichtssinn
Fachnachrichten
VERTIGO XVII – Münchner Schwindel-Seminar 2013 Diagnose und Therapie vestibulärer und okulomotorischer Syndrome Am 5. und 6. Juli 2013 findet das inzwischen siebzehnte Münchner Schwindel-Seminar unter der wissenschaftlichen Leitung von M. Strupp, M. Dieterich, E. Krause, K. Jahn und T. Brandt statt. Es wird gemeinsam vom Deutschen Zentrum für Schwindel und Gleichgewichtsstörungen, der Neurologischen Klinik und der HNO-Klinik des Klinikums der Universität München veranstaltet. Die Schwerpunkte dieser praxisorientierten Veranstaltung liegen am ersten Tag zunächst auf der funktionellen Anatomie des vestibulären Systems und klinischen und apparativen Untersuchung des vestibulo-okulären Reflexes und der Otolithenfunktion. Anschließend werden neue Befunde zur Diagnose und Therapie peripherer vestibulärer Syndrome dargestellt. Der zweite Teil befasst sich mit zentralen vestibulären Syndromen, der vestibulären Kompensation, den verschiedenen Nystagmusformen sowie dem Phobischen Schwankschwindel. Am Ende des ersten Tages stehen ein Videoquiz sowie eine offene Diskussion mit allen Referenten.
Am zweiten Tag werden parallel Kurse mit praktischen Übungen stattfinden. Hier liegt ein Schwerpunkt auf Störungen der Okulomotorik. Diese Kurse sind gleichermaßen geeignet für Neurologen, HNO- und Augenärzte, Orthoptistinnen und MTAs. Sie sollen in die körperlichen und apparativen Untersuchungstechniken sowie Therapieverfahren einführen und Kenntnisse sowie praktische Fertigkeiten vertiefen.
Veranstalter: Deutsches Zentrum für Schwindel und Gleichgewichtsstörungen Neurologische Klinik und HNO-Klinik Klinikum der Universität München Campus Großhadern Marchioninistraße 15, 81377 München
Anmeldung: www.deutsches-schwindelzentrum.de Anmeldeschluss ist der 15. Juni 2013