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„Big Data stellt OEMs und IT-Industrie vor neue Herausforderungen“ Die AVL List GmbH belegt in unserem diesjährigen ATZ-Ranking den ersten Platz. Im Interview mit dem Vorsitzenden der Geschäftsführung, Professor Helmut List, sprachen wir über die Herausforderungen beim Datenmanagement in der Messtechnik, über neue mobile Messtechnikplattformen und Strategien des Unternehmens in Deutschland und der Welt.
Helmut List, 1941 in Graz geboren, studierte Maschinenbau an der
Technischen Universität Graz. Seit 1979 ist er Vorsitzender der Geschäftsführung und Hauptgesellschafter der AVL List GmbH. Unter seiner Führung expandierte das Unternehmen global mit einem weltweiten Netzwerk von Technologiezentren. Gleichzeitig
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erweiterte sich der Fokus vom Verbrennungsmotor auf den gesamten Antrieb, einschließlich E-Antrieb, Hybrid, Getriebe und Batterien. List hat eine Reihe von Funktionen in nationalen, europäischen und internationalen Gremien inne. Seit 1992 ist er Honorarkonsul der Republik Korea.
Nähe von Stuttgart ein neues Technologiezentrum eröffnet. Es bietet die gesamte AVLMethodik an. Welche Strategie verfolgen Sie damit am deutschen Markt, und welche Rolle spielt dieser? LIST _ Der deutsche Automobilmarkt ist einer der bedeutendsten der Welt. Unser neues Tech Center in Bietigheim-Bissingen ist darauf ausgerichtet, neue Herausforderungen am sehr wichtigen Automotive-Standort Stuttgart unter Einbeziehung von Kompetenzen aus Graz zu meistern. Dazu gehören beispielsweise die weitere Steigerung der Wirkungsgrade der Fahrzeugantriebe auch unter den nun schwierigeren „Real Driving Emission“-Randbedingungen und die Entwicklung von teilweise oder weitgehend elektrifizierten Antriebskonzepten auf der Basis verschiedenster Hybridund Elektrotechnologien.
Welche Investitionen planen Sie in den nächsten Jahren? Bitte umreißen Sie kurz die Internationalisierungsstrategie von AVL.
Sicher ist ein Schlüsselfaktor für den Erfolg unser Bestreben, immer – bei neuen Themen wie auch in unseren angestammten Bereichen wie zum Beispiel der Motorenentwicklung – ganz spezielle führende Technologien anbieten zu können. Dadurch können wir unser Portfolio an innovativen Antriebsentwicklungen – verbrennungsmotorisch und elektrisch – sowie an innovativen Simulations- und Testsystemen sehr dynamisch gestalten und unseren Kunden immer interessante neue Lösungen anbieten. Gleichzeitig mit diesen innovativen Lösungen erwarten die global agierenden OEMs überall an ihren Standorten eine durchgängige umfassende Betreuung, transparente Geschäftsbedingungen und global hochwertige Leistungen. Daher bauen wir unsere globale Präsenz auch weiterhin konsequent aus – nur so können wir die notwendige Kundennähe sicherstellen. Zu dieser Präsenz gehört auch für unsere Simulations- und Testsysteme ein globales Service-Netzwerk, das für die erfolgreiche Begleitung unserer Kunden bei ihren Entwicklungstätigkeiten ganz entscheidend ist.
dass wir mehr Projektverantwortung bei Gesamtsystemintegrationen – speziell bei Hybridantriebsentwicklungen – übernehmen. Das funktioniert aufgrund der reichen Erfahrung unserer langjährigen Mitarbeiter. In anderen Fällen tragen wir noch stärker als in der Vergangenheit besonders im Bereich neuer Antriebstech-
„OEMs erwarten eine durchgängige Betreuung“ nologien hochinnovative spezifische Lösungen bei. Das Zusammenspiel dieser beiden Aspekte macht hier den Erfolg aus. Wo sehen Sie die wichtigsten Trends?
Für die nähere Zukunft ist mit einer Zunahme der Varianten bei Fahrzeugantrieben zu rechnen. Der Verbrennungsmotor, der selbst auch noch ein großes Entwicklungspotenzial hat, wird weiterhin eine wichtige Rolle spielen. Hier haben wir schon sehr viel erreicht, sind aber von den maximalen Wirkungsgraden, die theoretisch möglich sind, noch immer weit entfernt. Die teilweise oder vollständige Elektrifizierung des Antriebsstrangs öffnet viele weitere Gestaltungsmöglichkeiten. Die damit verbundene Variantenvielfalt wird durch eine Modularisierung der fünf wesent-
Gibt es noch andere Entwicklungen am Markt, auf die sich das Unternehmen einstellen musste?
Unsere Kunden wünschen sich eine größere Vielfalt an Formen der Zusammenarbeit. Es gibt beispielsweise den Trend, Mai 2016
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lichen Elemente des Antriebs, Motor, Getriebe, E-Maschine, Batterie und Regelungssystem, beherrschbar. Damit wird gleichzeitig der Weg zum GroßserienElektroantrieb geebnet. Und mit der verstärkten Elektrifizierung wird die Brennstoffzelle als effizienter Energiewandler stark an Bedeutung gewinnen, auch als saubere und effiziente Stromquelle an Bord von Fahrzeugen. Der Anteil von Fahrzeugen mit elektrischem Antrieb wächst ständig. Welche Entwicklung erwarten Sie und wie planen Sie Ihre Prüfstandskapazitäten vor diesem Hintergrund?
Wir erwarten wie bereits gesagt eine wesentlich größere Vielfalt an Antriebssystemen. AVL verfügt in seinem globalen Netzwerk über alle relevanten Prüf- und Testeinrichtungen für unterschiedliche Antriebstechnologien. Damit stehen uns auch für zukünftige Antriebssystementwicklungen umfassende und vor allem durchgängige Entwicklungsumgebungen zur Verfügung. So verfügen wir über neue Komponenten- und Teilsystemprüfstände für Batterien, E-Maschinen und Brennstoffzellen, hochflexible Hardwarein-the-Loop-Prüfstände für Regelungsentwicklungen sowie Emissions- und KlimaRollenprüfstände, die wir für die kommenden RDE-Entwicklungsausgaben bereits vorbereitet haben. Und natürlich werden wir auf unseren Prüfständen auch Antriebe für „connected vehicles“ und autonome Fahrzeuge entwickeln können.
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ATZextra _ AVL hat Ende Januar 2016 in der
Mit der mobilen Messtechnikplattform AVL M.OV.E ist AVL technisch sehr gut für die bevorstehende RDE-Gesetzgebung gerüstet, erklärt Professor List im Gespräch mit ATZextra
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Speziell zur Brennstoffzellenentwicklung: Wie sehen Sie die Zukunft von Wasserstoff?
Wasserstoff könnte in ferner Zukunft eine Rolle spielen – speziell dann, wenn der Anteil an regenerativ erzeugtem Strom stark zunimmt. Hier bietet sich Wasserstoff via Elektrolyse als Energiespeicher an. Natürlich darf man die höheren Kosten der Herstellung, Verteilung und Speicherung von Wasserstoff nicht außer Acht lassen. Wenn der Wasserstoff allerdings erst einmal an Bord des Fahrzeugs ist, lässt sich mit der Brennstoffzelle ein sehr hoher Wirkungsgrad bei der Umsetzung in Antriebsenergie erzielen. Wir haben uns deshalb schon sehr früh nicht nur mit dem Brennstoffzellensystem, sondern auch mit der Entwicklung von Simulations- und messtechnischen Systemen für Brennstoffzellen beschäftigt. In der Messtechnik erreichen die erzeugten Datenmengen immer größere Dimensionen, und zwar durch die steigende Messgenauigkeit und -geschwindigkeit. Daraus ergeben sich komplexe Anforderungen an das Datenmanagement: Wie können all diese Informationen sinnvoll und wiederauffindbar verwaltet werden?
Big Data stellt OEMs und die IT-Industrie vor neue Herausforderungen, die der Automotive-Sektor und die IT-Branche nur gemeinsam bewältigen können. Eine Möglichkeit zur Verwaltung von großen Datenmengen liegt in der Schaffung beziehungsweise dem Ausbau von vernetzten Datenbanken und deren Nutzung beziehungsweise der Zugriff auf diese Datenbanken via Cloud-Technologien. Dadurch können Datenbanken auch große Datenströme aus dem „Internet of Things“ oder der Industry 4.0 verarbei-
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Zusätzlich zu dieser Vielfalt an Antriebssystemen werden neben den klassischen Kraftstoffen weitere Energieträger wie CNG (Compressed Natural Gas), LNG (Liquified Natural Gas), Wasserstoff – für Brennstoffzellen – und vor allem Strom an Bedeutung gewinnen. Auch auf solche Entwicklungen bereiten wir uns gut vor, indem wir für unsere Prüf- und Testeinrichtungen entsprechende Kraftstoff- und Energieversorgungen vorsehen. Ganz entscheidend ist es, dass wir unsere Laboreinrichtungen so flexibel einrichten, dass wir auf künftige Veränderungen im Bereich der Antriebsentwicklung sehr rasch reagieren können.
Ich persönlich erlebe eine Art permanente Aufbruchsstimmung, kommentiert Professor List die ständige Weiterentwicklung der Antriebstechnik
ten. AVL verfügt bereits über verschiedene Expertenwerkzeuge, die dazu beitragen, die Datenverwaltung zu vereinfachen und auf Daten über eine „AVL Blue-Cloud“ zugreifen zu können. Messgeräte für die RDE-Messungen sind entwickelt. Worin besteht für die AVL nun die Hauptherausforderung bis die RDE-Gesetzgebung 2017 in Kraft tritt?
AVL hat die zunehmende Bedeutung von RDE bereits vor Jahren erkannt und rechtzeitig darauf reagiert. Mit der mobilen Messtechnikplattform AVL M.OV.E ist AVL technisch sehr gut für die bevorstehende Gesetzgebung gerüstet. Parallel dazu treiben wir Lösungen zur Umset-
„Wasserstoff könnte in ferner Zukunft eine Rolle spielen“ zung dieser Gesetzgebung voran, das heißt neben der Methodik im Bereich der Messtechnik vor allem Verbrennungsverfahren und Abgasnachbehandlungstechnologien, mit denen die Rohemissionen bei höheren Lasten abgesenkt und zum Beispiel hohe NOx-Umsatzraten von SCRSystemen in weiten Kennfeldbereichen erzielt werden, um so die neuen gesetzlichen Randbedingungen sicher einzu-
halten, gleichzeitig den Kraftstoffverbrauch weiter zu senken und die Fahrbarkeit der Fahrzeuge zu verbessern. Wie gehen Sie damit um, dass die Qualitäten von Kraftstoffen weltweit sehr unterschiedlich sind? Können Sie diesen Umstand in Versuchen ausreichend abbilden?
Die Tatsache, dass Kraftstoffqualitäten variieren, ist für uns nichts Neues. Natürlich wird das für die Fahrzeughersteller immer herausfordernder, da ja alle auf allen Märkten aktiv sein müssen und man versucht, mit modernen Motorfamilien alle Märkte bedienen zu können. Ziel ist es, mit möglichst wenigen Hardwareanpassungen hauptsächlich über die Regelungssoftware und deren Abstimmung, wir sprechen von deren Kalibrierung, diese lokalen Qualitätsunterschiede zu beherrschen. Für solche Entwicklungen setzen wir modernste Versuchsmethoden und -werkzeuge ein, die es uns erlauben, alle relevanten Faktoren während der Motorentwicklung zu berücksichtigen. Unsere AVL-Technologiezentren weltweit haben sehr viel Erfahrung mit einer sehr breiten Palette an Kraftstoffen. Herr Professor List, ich bedanke mich für das Gespräch.
INTERVIEW: Markus Bereszewski
EDAG IST, WENN DER ANSPRUCH AN FAHRZEUGE GRENZEN NEU DEFINIERT.
WIR SIND STOLZ DARAUF, MIT UNSERER ENGINEERING-EXPERTISE DAS FAHRZEUG UND SEINE FERTIGUNG IN DIE ZUKUNFT ZU FÜHREN. DENN ENGINEERING HEISST FÜR UNS: VERBESSERUNG. Der EDAG Soulmate – ein Concept Car und ein „Smart Car“, das sich vollständig in den digitalen Alltag der Menschen integriert. Die neue Definition von Connectivity und „gedrucktem“ Leichtbau.
www.edag.de Mai 2016
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