Schwerpunkt | Kommentar
Bringt die Digitalisierung Wissensarbeit in Gefahr? Auf welche Weise müssen Unternehmen auf ihre Kunden zugehen? Wie halten sie technisch mit einem hohen Innovationstempo Schritt? Wie machen sie die eigenen Prozesse und Abläufe agil? Die besten Antworten auf diese Fragen liefern die Wissensarbeiter in Unternehmen – könnte man meinen. Doch laut unserer aktuellen Studie „Wissensarbeit im digitalen Wandel“ kann sich echte Wissensarbeit im Unternehmensumfeld nicht richtig entfalten. Zu viele Hindernisse blockieren die Arbeit dieser klugen Köpfe.
Frank Schabel ist Leiter Marketing und Corporate Communications bei Hays.
1. Erkenntnis: Wissensarbeiter bewerten ihre Arbeit weniger positiv als die Führungskräfte 63 Prozent der knapp 600 befragten Führungskräfte zeigten sich sicher, dass sie ihren Wissensarbeitern einen hohen Stellenwert beimessen. Und zwar aus dem Grund, die Ressource Wissen für die Produktivitätssteigerung zu nutzen. Interessant ist dabei folgende Tatsache: Je höher die Führungskräfte in der Hierarchie stehen, umso positiver betrachten sie die Bedeutung der Wissensarbeiter. Denn bei den Teamleitern verringert sich die Zustimmung zu diesem Wert. Aus der Perspektive der Wissensarbeiter selbst sieht die Wahrnehmung von Wertschätzung und Stellenwert ihrer Arbeit anders aus: Nur 37 Prozent der Fachkräfte meinen, eine gebührende Wertschätzung ihrer Arbeit zu erhalten.
2. Erkenntnis: Wissensarbeiter fürchten sich nicht vor Rationalisierung Allen noch so prominenten Prognosen internationaler Forschungsinstitute zum Trotz sind 71 Prozent der befragten Wissensarbeiter davon überzeugt, dass weder die Automatisierungswelle, noch die von künstlicher Intelligenz gestützten Softwareprogramme, ihrer Arbeit mittel- und langfristig etwas anhaben können. Aufgrund ihres Know-hows gehen sie davon aus, von der digitalen Rationalisierungswelle nicht stärker betroffen zu werden. Dieser unerschütterliche Glaube an die eigenen Fähigkeiten erstaunt vor allem deshalb, weil die
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Entwicklung von software-basierten Programmen schon länger keinen Halt mehr vor routine- und wissensbasierten Tätigkeiten macht. Die Manager erachten dagegen die Substitution der Wissensarbeit durch Maschinen als gravierend. 57 Prozent von ihnen glauben, dass die technische Entwicklung die bisherige Wissensarbeit signifikant verändern wird. Mithilfe von intelligenten Lösungen könne sie künftig noch effizienter gestaltet werden als bisher. Das passt auch zu einem anderen empirischen Befund: 58 Prozent der Manager sehen, dass ihre Fachkräfte ihr erlerntes Wissen und ihr Methodenset im Zuge der Digitalisierung immer häufiger über Bord werfen müssen.
3. Erkenntnis: Wissensarbeiter sehen sich in zu viel Routine gefangen Mehr als ein Drittel der befragten Wissensarbeiter steckt noch zu sehr in Routinetätigkeiten. Diese Arbeiten machen nach eigenen Angaben mehr als ein Drittel ihrer Arbeitszeit aus. Ein Fakt, der sich bereits bei der Wissensarbeiter-Befragung 2013 herauskristallisierte. Die Unternehmen haben es offensichtlich bis heute nicht geschafft, ihre fähigen Köpfe vom Tages- und Routinegeschäft zu entlasten, um sie stattdessen mit komplexen Problemstellungen zu beschäftigen. Denn gerade
Wirtschaftsinformatik & Management
1 | 2018
Schwerpunkt | Kommentar für komplexe Arbeiten, wie beispielsweise das Aufsetzen neuer Prozesse, bringen Wissensarbeiter hohe Kompetenzen mit. Dieses Potenzial wird allerdings nach wie vor zu wenig gesehen. Stattdessen wird ihr Beitrag zwischen starrem Prozess und ISO-Norm zerrieben. Immerhin sagt etwas mehr als die Hälfte, dass sie sich nicht an die Regeln halten würden, wenn es die Situation erfordere. Offensichtlich werden sie auch von Technologien noch nicht im gewünschten Maße entlastet. Im Gegenteil: Auch künftig rechnen die Fachkräfte damit, sich weiterhin mit einer Menge Routinetätigkeiten beschäftigen zu müssen. Und das, obwohl die thematische Komplexität voraussichtlich in gleichem Maße steigen wird.
4. Erkenntnis: Wissensarbeiter entwickeln ihre Kompetenzen in Eigenregie weiter Wer sich weiterentwickeln möchte, der benötigt individuell zugeschnittene Fortbildungsmaßnahmen. Um den Kompetenzaufbau ihrer Mitarbeiter zu unterstützen, haben Unternehmen in den vergangenen Jahren entlang der Prämisse des „lebenslangen Lernens“ in Weiterbildungsmaßnahmen investiert. Diese allerdings, so die Studienergebnisse, scheinen nicht den Bedarf der Wissensarbeiter zu adressieren. Wie sonst ist es zu erklären, dass 62 Prozent der befragten Wissensarbeiter sich selbst um ihre persönliche Kompetenzentwicklung kümmern? 59 Prozent geben an, dies sogar in ihrer Freizeit zu tun. Die Führungskräfte bestätigen diese Sicht der Wissensarbeiter ebenfalls auf breiter Front. Warum aber betrachten die Wissensarbeiter ihre Weiterbildung heute zunehmend als Privatangelegenheit? Aus unserer Sicht gibt es hierzu eine Reihe von Erklärungen. Zum einen haben sie in der Vergangenheit eher schlechte Erfahrungen mit den Angeboten ihrer Arbeitgeber gemacht. Sei es, weil die Angebote zu standardisiert waren, also den Bedarf der Wissensarbeiter nicht hinreichend berücksichtigten.
Studiendesign Im Zeitraum zwischen Juli und August 2017 wurden 1 215 Fach- und Führungskräfte in der DACH-Region zum derzeitigen Status der Wissensarbeit in den Unternehmen befragt. Die Studie wurde von Hays, PAC sowie der Gesellschaft für Wissensmanagement durchgeführt: www.hays.de/studien
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Oder aber, weil ihnen nach wie vor zu wenig Zeit für die eigene Weiterentwicklung zur Verfügung steht. Die Konsequenz daraus ist nur logisch: Wissensarbeiter wenden sich von den Fortbildungsangeboten ihrer Arbeitgeber ab und kümmern sich selbst darum. Vor allem wenn es um mentale und eher weiche Kompetenzen jenseits ihrer rein fachlichen Fähigkeiten geht. Bei der Hälfte der befragten Wissensarbeiter geht die Eigenständigkeit bei ihrer Kompetenzentwicklung und Thementreue sogar soweit, dass sie diese selbst finanzieren. Vor dem Hintergrund dieser zunehmenden Selbstverpflichtung der Wissensarbeiter gilt es für Unternehmen, aufzupassen, langfristig nicht die Loyalität zu verlieren.
5. Erkenntnis: Wissensarbeit wird immer spezifischer und verengt damit den Horizont Zwar sind sich die Fachkräfte (57 Prozent) und ihre Vorgesetzten (54 Prozent) einerseits weitgehend darin einig, bei wichtigen Digitalisierungsprojekten stets „über den Tellerrand blicken“ zu müssen. Andererseits verursacht die Digitalisierung genau das Gegenteil: starkes Spezialistentum. Und im Zuge des technischen Fortschritts wird diese Entwicklung voraussichtlich noch weiter zunehmen. Darin sind sich alle Befragten einig. Aber in punkto Produktivität ist die Tendenz zur Spezialisierung eher hinderlich. Schon unsere Erhebung „Kompetenzen für die digitale Welt“ zeigte auf, dass in der Digitalisierung vor allem breites und vernetztes Wissen gebraucht wird. Wer zu speziell aufgestellt ist, verliert den Blick für das Ganze und ebenfalls an Marktwert. Um dem wirkungsvoll entgegenzusteuern, sollten Führungskräfte ihre Spezialisten beispielsweise in andere Abteilungen entsenden oder auch einmal mit ganz neuen Aufgaben betrauen. Dadurch können sie ihr Kompetenzspektrum erweitern. Insgesamt deuten die Ergebnisse der Studie darauf hin, dass Wissensarbeit im digitalen Zeitalter ihren gesonderten Stellenwert verlieren wird. Dafür werden vor allem intelligente Software-Programme sowie künstliche Intelligenz sorgen, die die Bedeutung des menschlichen Wissens in Teilen immer stärker relativieren. Vor diesem Hintergrund sollten wir in Zukunft die Wissensarbeit nicht nur im digitalen Kontext betrachten. Sondern vielmehr unser Augenmerk auf die mentalen und sozialen wie auch kreativen Fähigkeiten der Wissensarbeiter richten. Denn genau diese Kompetenzen machen gerade den Unterschied zu künstlicher Intelligenz und Algorithmen aus. Für den Umgang mit Unsicherheiten und das Eintauchen in neue Themenwelten sind sie ebenfalls eine zentrale Voraussetzung.
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