Instrumente in der Krise
„Das Denken in Szenarien wird immer wichtiger.“ Interview mit Dr. Ralf Eberenz, Vice President Corporate Accounting & Controlling der Beiersdorf AG
Allgemeines ZfCM: Die Beiersdorf AG ist in den Ge schäftsfeldern Consumer – hierunter fallen u. a. Marken wie Nivea oder Labello – und tesa organisiert. Wie stellt sich die aktuelle Situation in diesen beiden Bereichen dar? Ralf Eberenz: Die beiden Bereiche bedie nen unterschiedliche Märkte, die sich von einander deutlich unterscheiden. tesa ist mit seinen innovativen Produkten und Anwen dungen sehr stark in die Automobilindustrie eingebunden. Dieser Bereich wurde durch die konjunkturelle Lage ungleich stärker be einträchtigt als der Bereich Consumer. Den noch hat auch der traditionell stark wachs tumsgetriebene Bereich Consumer Heraus forderungen zu meistern und sich an das veränderte Konsumverhalten anzupassen. Dabei stellt sich die Situation in Deutschland im Vergleich zu den anderen Märkten als überraschend erfreulich dar.
DOI: 10.1365/s12176-012-0279-8
Vita: Dr. Ralf Eberenz studierte Betriebswirtschaftslehre an der Uni versität in Hamburg. Nach seiner Promotion 1990 stieg er bei der Beiersdorf AG ein. Hier war er in mehreren Management-Positionen tätig, bevor er im Jahr 2000 zum Vice President Corporate Accounting & Con trolling ernannt wurde. Dr. Eberenz verantwortet u. a. die Arbeitsfelder Finanzplanung und Konzerncontrolling, Externe Rechnungslegung und Jahresabschluss, das Risikomanagement und das Beteiligungscontrolling sowie das Inhouse Consulting.
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ZfCM: Haben sich Ihre Arbeit und Aufga ben als Leiter Corporate Accounting & Controlling der Beiersdorf AG seit dem Beginn der Krise geändert? Ralf Eberenz: Vernachlässigt man die ei ne oder andere Nuance, ist die Frage grundsätzlich zu verneinen. Unabhängig vom konjunkturellen Verlauf ist unsere Organisation darauf ausgerichtet, Verän derungen in unseren Märkten zu analysie ren und entsprechend unserer Stärken und Schwächen Maßnahmen frühzeitig zu initiieren. Dennoch können wir fest stellen, dass wir uns mit deutlich mehr ressourcenintensiven Sonderthemen und Einzelfragen des Vorstands und aus dem Unternehmen heraus auseinandergesetzt haben.
Auswirkungen der Krise ZfCM: Welche konkreten, operativen Maß nahmen haben Sie als Reaktion auf die Krise ergriffen? Ralf Eberenz: Im Vordergrund steht die Absicherung der Grundlage für die Weiter entwicklung unseres Geschäfts auf Basis unserer definierten strategischen Ziele. Da ran hat die Krise nichts geändert. Dement sprechend fokussieren die Maßnahmen so wohl auf die Stabilisierung der Ergebnis situation als auch auf die klassische Risiko steuerung. Dabei verlieren wir den Wachs tumspfad nicht aus den Augen. ZfCM: Denken Sie, dass diese Maßnah men ausreichend sein werden, oder sind strukturelle Veränderungen notwendig, um der Krise und Ihren Folgen entgegen zu wirken? Wann könnte dies der Fall sein? Ralf Eberenz: Das wird die Zeit zeigen. Wichtig ist zu jeder Zeit, die richtige Ba lance zu finden und – je nach Marktlage – Antworten parat liegen zu haben. Es hilft
Beiersdorf AG Das Kosmetikunternehmen Beiersdorf AG mit Sitz in Hamburg beschäftigt weltweit knapp 22.000 Mitarbeiter und erzielte 2008 einen Umsatz von knapp 6 Mrd. Euro. Seit Dezember 2008 ist Beiersdorf im DAX gelistet. Mit NIVEA führt es die weltweit größte Haut- und Schönheitspflegemarke. Daneben gehören unter anderem Eucerin sowie La Prairie, Labello, 8x4 und Hansaplast zum international erfolgreichen Markenportfolio. Das Tochterunternehmen tesa SE ist einer der weltweit führenden Hersteller selbstklebender Produkt- und Systemlösungen für Industrie, Gewerbe und Konsumenten. Beiersdorf verfügt über mehr als 125 Jahre Erfahrung in der Hautund Schönheitspflege und zeichnet sich durch innovative und qualitativ hochwertige Produkte aus.
nicht, mit Gewalt Maßnahmen zu initiie ren, die zwar vermeintlich kurzfristig Er folg versprechen, langfristig aber keinen Bestand haben, weil sie keinen Mehrwert schaffen. ZfCM: Ist es in der Krise leichter, Verände rungsmaßnahmen, die vorher lange Zeit aufgeschoben wurden und längst überfällig sind, durchzuführen? Ralf Eberenz: Das hört sich ja schlimm an! Wenn wir in der Vergangenheit so agiert hätten, würden wir unseren Märkten hinterherlaufen. Fakt ist, dass wir die jewei lige Entscheidungssituation sorgfältig ana lysieren und – falls notwendig – auch weit reichende Maßnahmen einleiten, die Ver änderungen mit sich bringen. Wie bereits skizziert müssen diese Maßnahmen im Sinne unserer Strategie einen Mehrwert für Beiersdorf schaffen. Dennoch muss man
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Sonderheft 1 | 2010
Instrumente in der Krise
ehrlicherweise zugeben, dass wir in jüngs ter Zeit die eine oder andere Maßnahme ergriffen haben, durch die wir einiges hin zugelernt haben. ZfCM: Welche Rolle hat Ihrer Meinung nach das Controlling bislang in der Be wältigung der Krise geleistet? Wie hat es dabei mit anderen Abteilungen, z. B. Mar keting zusammengearbeitet? Ralf Eberenz: Hier möchte ich noch ein mal auf eines meiner Eingangsstatements zurückkommen. Sicherlich hat das Con trolling den einen oder anderen Sachver halt intensiver analysiert und breiter dis kutiert. Auch die Frequenz der an das Controlling gestellten Anfragen hat in dieser Zeit zugenommen. Die grundsätz liche Ausrichtung des Controllings, als zentrale Funktion die Unternehmensfüh rung mit belastbaren Informationen und Entscheidungsvorlagen zu versorgen, blieb davon aber unberührt. Das gilt auch für die enge Zusammenarbeit mit anderen Funktionen. ZfCM: Wie ist das Krisenmanagement bei Ihnen organisiert? Ralf Eberenz: Wir haben frühzeitig eine eng verzahnte Krisenorganisation etab liert, in der aus allen operativen Ressorts Führungskräfte involviert sind. Das zen trale Krisenteam besteht aus Vertretern der ersten Führungsebene, die einen we sentlichen Teil ihrer Kapazität für diese Teamarbeit einsetzen. Neben dem zentra len Controlling sind die Bereiche Supply Chain, Brands und HR involviert. Außer dem haben wir die Funktion Risikoma nagement mit eingebunden. Neben dem zentralen Krisenteam, das die weltweiten Maßnahmen übergreifend und vorstands nah koordiniert, haben wir eine unterstüt zende Expertengruppe etabliert. Hier wer den aus den unterschiedlichen Bereichen – wie z. B. Treasury, International Sales und dem Einkauf – die krisenrelevanten Informationen zusammen getragen, analy siert und an das zentrale Krisenteam ver dichtet weitergegeben. Daneben gibt es viele unterschiedliche Teams, die sich in den Funktionen mit einzelnen Themen schwerpunkten auseinandersetzen. ZfCM: Welche Erfahrungen haben Sie mit dieser Organisation gemacht? Können Sie hieraus für das Regelgeschäft lernen? Ralf Eberenz: Cross-funktionale Teams sind bei Beiersdorf seit langer Zeit gang und gäbe. Durch ihre themenspezifische ZfCM | Controlling & Management
und in der Regel ressortübergreifende Zu sammenstellung erzielen sie ganz hervor ragende Ergebnisse. Das lassen wir aller dings auch nicht überborden, da man sonst Gefahr läuft, durch zu viel Sekundär organisation primäre Entscheidungswege aufzuweichen. Die letztendliche Entschei dung verbleibt in der Linie – selbstver ständlich ohne den Prozessgedanken aus den Augen zu verlieren. Für das Regelge schäft haben wir u. a. gelernt, dass ein in tensiviertes Monitoring der Umwelt sicher nicht nur in Krisenzeiten eine hohe Be deutung besitzen sollte.
Ralf Eberenz: Die Krise hat uns sehr deut lich vor Augen geführt, dass wir in Zukunft das Denken in Szenarien ernster nehmen müssen. Früher hatte man zuweilen den Eindruck, sie erfüllten nur eine formale Funktion: Best case und worst case wurden eher als formelle Last denn als inhaltliche Notwendigkeit gesehen. Das hat sich in der Tat verändert.
ZfCM: Denken Sie, dass die Verände rungen des Controllings in der Krise auch in Zukunft Bestand haben werden? Las sen sich hieran evtl. Trends für die allge meine Weiterentwicklung des Control lings oder der Rolle des Controllers fest machen? Ralf Eberenz: Die Rolle des Controllers wurde im Laufe der Zeit richtigerweise im mer wieder den aktuellen Entwicklungen entsprechend angepasst. Meiner Einschät zung nach hat sich die Aufgabe im Kern allerdings nicht verändert. Es geht darum, belastbare Entscheidungsvorlagen zur er arbeiten. Dass diese Aufgabe in der Krise als besonders wichtig empfunden wird, bedarf keiner weiteren Erklärungen. Was allerdings immer wichtiger wird, ist das Denken in Szenarien, das Thema Risiko management und Risikocontrolling sowie die Fähigkeit, sich organisatorisch anzu passen. Die cross-funktionalen Teams ha be ich gerade erwähnt.
Ausblick ZfCM: Ist die Krise für Ihr Unternehmen bereits ausgestanden? Können Sie ab schätzen, wann dies der Fall sein wird? Ralf Eberenz: Derzeitig kann niemand verlässlich einschätzen, ob die Weltwirt schaft das konjunkturelle Tal hinter sich gelassen hat. Zwar ist ein Licht am Ende des Tunnels erkennbar, viele der volks wirtschaftlichen Faktoren sind aber nicht hinreichend stabil. Die globalwirtschaft lichen Erschütterungen werden ihre Zeit brauchen, bis sie vollständig ausgestanden sind. ZfCM: Was denken Sie, werden Sie in Zu kunft anders machen? Welche Lehren zie hen Sie für sich aus dieser Finanz- und Wirtschaftskrise?
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