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Disruptive Empowerment – Auswirkungen von Kundeninteraktionen auf den Social-Media-Erfolg Der Einsatz von Social Media stärkt die Selbst- und Mitbestimmung der Konsumenten, was in der Literatur auch unter dem Begriff „Consumer Empowerment“ diskutiert wird. Was auf den ersten Blick als Bereicherung wahrgenommen wird, birgt jedoch für Unternehmen auch Gefahren. Im Rahmen des Beitrags wird vor diesem Hintergrund der Begriff „Disruptive Empowerment“ eingeführt und mittels einer experimentellen Studie seine Bedeutung und Wirksamkeit einer ersten empirischen Untersuchung unterzogen. ROLF WEIBER | TOBIAS WOLF
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lektronische Netze erlauben es den Konsumenten, in umfassendem Ausmaß Informationen über Anbieter und deren Leistungsangebote mit anderen Konsumenten auszutauschen (Pires/ Stanton/Rita 2006, S. 937). Insbesondere die rasante Entwicklung von IuK-Technologien im Bereich von Social-Media-Anwendungen eröffnet den Verbrauchern ein neues Gefühl der Selbst- und Mitbestimmung. Nach Sawhney und Kotler (2001) kann von einem Wandel der Informationsknappheit (information scarcity) zu einer Informationsdemokratisierung (information democracy) gesprochen werden. In der Marketingliteratur hat sich in diesem Zusammenhang der Begriff des „Consumer Empowerment“ etabliert. Er bezeichnet eine aus Kundensicht wahrgenommene wachsende Selbstbestimmung und Kontrolle über die eigenen Kauf42
und Konsumprozesse. Die intensive Einbindung virtueller sozialer Netze in das Leben vieler Konsumenten steigert den Grad des Empowerment dabei stetig. Dadurch können Social-Media-Aktivitäten der Konsumenten von den Unternehmen nicht mehr vernachlässigt werden. Sie werden zu einem wichtigen Bestandteil ihrer internen und externen Online-Kommunikation. Hierbei stellt die Interaktivität zwischen den Nutzern bzw. Konsumenten und Anbietern den zentralen Unterschied zum Einsatz klassischer Massenmedien dar. Sie ist ausschlaggebend für den Erfolg sowie eine hohe Akzeptanz dieser Anwendungen. Die zunehmende Relevanz im Alltag der Nutzer führt gleichzeitig zu hohen Potenzialen für die Unternehmenskommunikation, die durch ein gezieltes Angebot von Eingriffsmöglichkeiten, z. B. in die unternehmeriMarketing Review St. Gallen
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schen Entwicklungs- und Vermarktungsprozesse, aktiviert und gesteigert werden können (Wiegratz 2011, S.31f.). Dabei wird insbesondere in virtuellen sozialen Netzwerken wie Facebook und Google+ jeden Tag vielfältig über Produkte und Dienstleistungen kommuniziert (Innofact AG 2010). Die über solche Netzwerke forcierte Integration von Kunden in nahezu alle Unternehmensprozesse besitzt hohe Aktualität und vielfältige Vorteile (Parent/Plangger/Bal 2011): So können sich Unternehmen die Kreativität der Masse zunutze machen und gleichzeitig die Kundenbindung stärken sowie die Einstellung zur Marke bzw. dem Produkt oder der Dienstleistung verbessern. Aktuelle Beispiele hierzu liefern u. a. Unternehmen wie McDonalds, Procter & Gamble sowie die Sparkassen, die solche Aktionen erfolgreich durchführen konnten. Nicht wenige Firmen, darunter Henkel, Adidas und Nestlé, mussten jedoch auch bereits erfahren, dass die Einbeziehung der Masse über solche Netzwerke Risiken mit sich bringt, die nur bedingt kontrollierbar sind. Diese Gefahrenpotenziale zu kennen und im Rahmen der eigenen Vorhaben zu antizipieren ist daher eine wichtige Voraussetzung für den erfolgreichen Einsatz von SocialMedia-Anwendungen in der Kommunikation mit Kunden.
Einbindung von Kunden in den Unternehmensprozess Während die bisherige Forschung überwiegend auf die positiven Auswirkungen von Consumer Empowerment, etwa auf Kundenzufriedenheit und Kundenbindung, fokussiert ist (u. a. Hunter/ Garnefeld 2008), wurden noch kaum Untersuchungen in Bezug auf mögliche negative Ausstrahlungseffekte durchgeführt. Im vorliegenden Beitrag werden daher die Möglichkeiten einer über virtuelle soziale Netze geförderten Einbindung von Kunden in den Unternehmensprozess im Sinne eines aktiven Consumer Empowerment betrachtet. Dabei liegt der Fokus auf möglichen negativen Auswirkungen für die betreffenden Unternehmen. In diesem
Zusammenhang wird der Begriff des „Disruptive Empowerment“ eingeführt und dessen Relevanz anhand einer experimentellen Online-Befragung einer ersten empirischen Prüfung unterzogen.
Consumer Empowerment Der Begriff der „Macht“ und die damit verbundenen Auswirkungen auf das gesellschaftliche Verhalten sind Inhalt vielfältiger Untersuchungen in den verhaltenswissenschaftlichen Bereichen, etwa der Psychologie oder den Sozialwissenschaften (u. a. Hofstede 1980; Martin/Hewstone 2003). Die Ausweitung der individuellen Machtposition im Sinne besserer Kontroll- und Einflussmöglichkeiten wird dabei unter dem Begriff „Empowerment“ diskutiert und kann grundlegend in eine Prozess- und eine Ergebnisdimension unterschieden werden: Empowerment als Prozess bezeichnet den Vorgang, durch den Personen, Organisationen oder Gemeinschaften mit Macht- und Kontrollbefugnissen über für sie relevante Belange ausgestattet werden. Empowerment als Ergebnis bezeichnet hingegen das Resultat der Bemühungen von Individuen, mehr Kontrolle und damit Selbstbestimmung über ihr direktes Umfeld zu erlangen (Zimmermann/Warschausky 1998, S. 5 f.). Auf das Verhältnis zwischen Anbieter und Nachfrager bezogen, wird dieses Konstrukt auch in der neueren Marketingliteratur unter dem Begriff des Consumer Empowerment verwendet (Hunter/Garnefeld, 2008). Es bezeichnet entweder eine subjektiv wahrgenommene Steigerung der eigenen (Einfluss-)Möglichkeiten im Kauf- und Konsumprozess (Wathieu et al. 2002) oder einen Zustand objektiv besserer Verfügbarkeit von Ressourcen, um die Einflussmöglichkeiten im Sinne einer besseren Informationslage oder Integration (Brennan/Ritters 2004; Cutler/Nye 2000) zu erhöhen. Unter Bezug auf diese Betrachtungsweisen definieren Hunter und Garnefeld (2008, S. 2) zusammenfassend Consumer Empowerment als „a positive subjective state which results from a mental comparison of a consumer’s abilities relative to existing or previ-
Abb. 1 Arten des Empowerment Subjektiv empfundene Auswirkung
Hoch
Gering
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Autonomic Empowerment
Evolved Empowerment
nicht relevant
Disruptive Empowerment
Gering
Hoch
Empowerment-Grad
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Abb. 2 Exemplarische Praxisfälle Henkel und der Designwettbewerb Situation: In einer im Jahr 2011 über das soziale Netzwerk „Facebook“ initiierten Kampagne erhielten die Konsumenten die Möglichkeit, mittels eines Online-Konfigurators das Aussehen einer Spülmittelflasche kreativ zu gestalten. Die besten Entwürfe sollten dabei im Rahmen einer Sonderedition in den Handel gelangen. Unzufrieden mit der vermuteten Massenkompatibilität der Ergebnisse änderte Henkel jedoch im laufenden Wettbewerb Spielregeln und Abstimmungsmodi. Die in der Kommunikation des Konzerns vermittelte Intention des Wettbewerbs und die von den Teilnehmern erwartete demokratische Abstimmung über das Gewinnerdesign wurde durch eine finale Juryentscheidung ersetzt. Die veränderten Kampagnenbedingungen lösten in der Folge eine Welle der Empörung bei den Teilnehmern aus, die sich in vielfachen negativen Äußerungen in den Social-Media-Kanälen niederschlugen. Empowerment durch: Integration des Kunden in die Produktentwicklung Disruptive Empowerment durch: Fehler in der Kommunikation
Adidas und Hundetötungen in der Ukraine Situation: Nach Medienberichten über Hundetötungen im Vorfeld der Fußball-Europameisterschaft in der Ukraine ist auf diversen Social-Media-Kanälen des Hauptsponsors Adidas ein Sturm der Entrüstung ausgebrochen, der sich in vielen negativen Kommentaren äußerte. Viel zu spät erst reagierte Adidas auf diese Welle und distanzierte sich ausdrücklich von den Handlungen der ukrainischen Regierung. Empowerment durch: Bessere Informationslage und hohe Vernetzung der Konsumenten Disruptive Empowerment durch: Mangelhaftes Eingehen auf die von Kunden artikulierten Missstände im Umfeld des gesponserten Events
Die Deutsche Bahn und das Chefticket Situation: 2010 wurde von der deutschen Bahn via Facebook und YouTube für kurze Zeit ein vergünstigtes sogenanntes „Chefticket“ angeboten und mit einem viralen Werbevideo vermarktet. Nach Freischaltung der Seite entstanden innerhalb kurzer Zeit vielfache negative Äußerungen von Stuttgart21- Gegnern und enttäuschten Bahnkunden. Aufgrund mangelnder Vorbereitung auf eine solche Entwicklung blieb eine Moderation der Kommentare weitgehend aus. Für das Image der Bahn in den sozialen Medien entstand ein erheblicher Schaden. Empowerment durch: Einsatz von Social-Media-Kanälen zur Produktvermarktung Disruptive Empowerment durch: Fehlender Dialog mit den Kunden Quellen: Bialek/Koenen 2012; Breithut 2011; Marcuti 2011.
ous abilities.“ Darauf aufbauend wird Consumer Empowerment im Rahmen dieses Beitrags als subjektiv wahrgenommene Verbesserung der kundenseitigen Einfluss- und Kontrollmöglichkeiten bei der Entwicklung, dem Erwerb und der Verwendung von Leistungen verstanden.
Arten des Empowerment In Abhängigkeit der Ausprägung von der Prozess- und Ergebnisdimension können verschiedene Formen des Consumer Empowerment differenziert werden. Dabei betrachtet der EmpowermentGrad (Prozessdimension) die Ressourcen, die für den Konsumenten durch den Markt und die Unternehmen verfügbar gemacht werden, um die Kontroll- und Einflussmöglichkeiten zu erhöhen. Die subjektiv empfundene Auswirkung (Ergebnisdimension) bezieht sich dagegen auf das Resultat im Sinne einer wahrnehmbaren Veränderung. Entsprechend dieser beiden Dimensionen werden die in der Literatur diskutierten „Spielarten“ von Consumer Empowerment im Rahmen dieses Beitrags in drei generische Fälle unterteilt (Abbildung 1). Wird die Ermächtigung der Konsumenten nicht durch das Unternehmen gefördert, kann es zu eigenständigen Entwicklun44
gen auf der Konsumentenseite kommen. Diese sind durch das Unternehmen nicht kontrollierbar, was hier als „Autonomic Empowerment“ bezeichnet wird. Dieser aus Unternehmenssicht passive Empowerment-Prozess ist zu vermeiden, da den Anbietern so wichtige Lenkungsmöglichkeiten entgehen. Wird jedoch das Empowerment der Kunden entsprechend durch Unternehmen gefördert und ist dies auch für die Konsumenten als Ergebnis wahrnehmbar, wird von „Evolved Empowerment“ gesprochen. Es kann für beide Seiten entsprechende Vorteile beinhalten: So sind Unternehmen u. a. durch die besseren Kommunikationsmöglichkeiten der Kunden in der Lage, nahezu in Echtzeit Informationen über deren Erwartungen und Wahrnehmungen zu erlangen (McWilliam 2000, S. 45). Wathieu (et al. 2002) vermuten zudem positive Auswirkungen von Consumer Empowerment auf den Konsumentennutzen und damit auch auf die Konsumentenzufriedenheit. Empirische Belege dafür liefern u. a. auch Goldsmith (2005) und Henry (2005).
Empowerment-Grad Neben positiven Wirkungen von Consumer Empowerment ist jedoch auch zu beobachten, dass der Empowerment-Grad, also Marketing Review St. Gallen
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Disruptive Empowerment – Auswirkungen von Kundeninteraktionen auf den Social-Media-Erfolg
die verfügbaren Kontroll- und Einflussmöglichkeiten und die durch den Kunden wahrgenommenen Auswirkungen des Einflusses, nicht gleichermaßen ansteigen. Es zeigt sich, dass bei Missachtung, z. B. von Einbringungen der Kunden oder Ignoranz von zuvor eingeforderten Meinungen der Konsumenten die Gefahr besteht, dass diese sich vom Unternehmen nicht ausreichend ernst genommen oder ausreichend wertgeschätzt fühlen. Nach den Erkenntnissen der Zufriedenheitsforschung kommt es dann zu einer negativen Diskonfirmation bzgl. eines Vergleichs der subjektiven Erwartungshaltung und des erfahrenen Ergebnisses. Basierend auf der Theorie der kognitiven Dissonanzen kann sich hieraus im ungünstigsten Fall eine negative Wirkung gegen das Unternehmen im Sinne einer Image-Verschlechterung oder ablehnenden Haltung gegenüber den angebotenen Produkten entwickeln. Dieses Phänomen wird im Folgenden als „Disruptive Empowerment“ bezeichnet.
Disruptive Empowerment in der Praxis Die potenziellen Konsequenzen eines Disruptive Empowerment konnten in den vergangenen Jahren bereits zahlreiche Unternehmen erfahren. Abbildung 2 verdeutlicht exemplarisch anhand von drei Unternehmensbeispielen die Relevanz der negativen Auswirkungen des Empowerment im Rahmen einer unternehmensbeeinflussten Social-Media-Kommunikation. Die Beispiele zeigen deutlich das Vorliegen von Disruptive Empowerment bei einer wahrgenommenen Differenz zwischen den verfügbaren Kontroll- und Einflussmöglichkeiten und den erfahrenen Auswirkungen des Einflusses. Dabei haben alle drei Fallbeispiele gemeinsam, dass die Gründe für diese negativen Entwicklungen in einer mangelhaften Auseinandersetzung der Unternehmen mit den möglichen Folgen von gesteigertem Consumer Empowerment liegen.
Empirische Prüfung der Auswirkungen von Disruptive Empowerment Für eine erste empirische Überprüfung der Existenz und Auswirkungen von Disruptive Empowerment wurde ein realitätsnahes experimentelles Untersuchungsdesign gewählt, in dem die Teilnehmer in einer kontrollierten Online-Umgebung mit einem erhöhten Empowerment-Grad konfrontiert wurden. Die experimentelle Manipulation erfolgte mittels einer fiktiven Produkteinführung und einer damit verbundenen Konsumentenbefragung zum Kampagnendesign. Die Probanden wurden dazu im ersten Schritt (Phase I) über soziale Netzwerke kontaktiert. Im Rahmen einer Befragung hatten die Teilnehmer die Möglichkeit, für die Markteinführung eines neuen trinkfertigen Kaffeegetränks zwischen je zwei Kampagnenmotiven und zwei Kampagnenslogans auszuwählen. Nach 14 Tagen wurden die Teilnehmer in einer zweiten Befragung (Phase II) mit dem finalen, auf Basis des Mehrheitsvotums der Teilnehmer gewählten Kampagnendesign konfrontiert (Abbildung 3). Zur Überprüfung, ob eine Übernahme oder Ablehnung der eigenen Meinung Auswirkungen auf die Produktwahrnehmung zeigt, wurden im Anschluss an beide Erhebungsphasen den Teilnehmern jeweils Fragen zur ■ Attraktivität des Produktes, ■ Kaufwahrscheinlichkeit und ■ Empfehlungsbereitschaft gestellt, die jeweils auf einer Skala von 1 (sehr gering) bis 6 (sehr hoch) zu beantworten waren. Zusätzlich wurde die generelle Einstellung zu einer solchen Einbindung der Konsumenten in die Entwicklung der Vermarktungskampagne erfasst. Zur Überprüfung der Auswirkungen der Kundenbefragung in den Experimentalgruppen („Manipulation Check“) wurde zudem ein Kontrollszenario ohne Kundenbeteiligung durchgeführt. Die Probanden wurden dabei lediglich mit dem Endergebnis (Phase II) konfrontiert. Eine Übersicht über den Ablauf des Experiments gibt Abbildung 4.
Abb. 3 Experimental-Stimuli
Phase I Auswahl Kampagnendesign
Auswahl Kampagnenslogan
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Phase II Finales Kampagnendesign
1. Ready to KAY-off 2. KAY creates your day
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Insgesamt konnten nach den beiden Phasen 258 Personen in die finale Auswertung einbezogen werden. Dabei wiesen 124 Personen eine vollständige Übereinstimmung (in Design und Slogan) mit dem finalen Kampagnendesign auf (Gruppe 1) und 106 Personen hatten keinerlei Übereinstimmung (weder Design noch Slogan im finalen Kampagnendesign, Gruppe 2). Weitere 28 Personen gehörten zu der nicht in den Prozess einbezogenen Kontrollgruppe. Die Ergebnisse der Untersuchung sind in Abbildung 5 zusammenfassend dargestellt.
Einflüsse auf Kaufwahrscheinlichkeit und Weiterempfehlungsbereitschaft Der Vergleich der Mittelwerte in den beiden Experimentalgruppen mit denen der Kontrollgruppe zeigt signifikant positive Einflüsse der Beteiligungsmöglichkeit auf die Kaufwahrscheinlichkeit sowie auf die Weiterempfehlungsbereitschaft. Diese positiven Effekte werden auch durch die hohen Einstellungswerte über alle Gruppen unterstützt, die mit Werten über vier eine positive Einstellung zur Einbeziehung der Konsumenten in die Entwicklung des Kampagnendesigns belegen. Ein Vergleich der Ergebnisse aus den beiden Befragungsphasen zeigt, dass die tatsächliche Umsetzung der Kampagne auf Basis der angebotenen Beteiligungsmöglichkeit bei beiden Gruppen zu einem Anstieg der wahrgenommenen Produktattraktivität führte. Nur in einem Fall liegt jedoch bei der vollständigen Übereinstimmung (Gruppe 1) eine signifikante Verbesserung vor. Die vollständige Ablehnung der gewählten Alternativen (Gruppe 2) führt zu einem signifikanten Absinken der Kaufwahrscheinlichkeit. Dies kann als Indikator für die Existenz von Disruptive Empowerment gewertet werden, da erst durch die Einholung der Kundenmeinung und die anschließende NichtBerücksichtigung der negative Effekt auf das Kaufinteresse ent-
steht. Im Gegensatz dazu kann im Fall der vollständigen Annahme der kundenseitigen Beteiligung (Gruppe 1) ein signifikanter Anstieg der Kaufwahrscheinlichkeit festgestellt werden. Dies entspricht den Überlegungen des Evolved Empowerment.
Implikationen Die empirischen Ergebnisse liefern einen ersten, noch durch weitere Forschung zu bekräftigenden Beleg dafür, dass die Nutzung von Social Media nach dem „Trial and Error“-Prinzip hohe Risiken mit nur schwer übersehbaren negativen Konsequenzen in sich birgt, was in diesem Beitrag als Disruptive Empowerment bezeichnet wurde. Es ist deshalb wichtig, dass Unternehmen den über soziale Medien erzeugten „User generated Content“ und die gebotenen Einflussmöglichkeiten von Konsumenten systematisch analysieren und gezielt in die anbieterseitigen Aktivitäten integrieren. Insbesondere der Einsatz von Social-Media-basierter Kommunikationspolitik ist mit besonderer Vorsicht zu wählen, da eine Steuerbarkeit nach der Initiierung nur noch bedingt möglich ist. Unter Berücksichtigung dieser mangelnden „Kontrollierbarkeit“ und der Gefahr, dass sich Kommunikationsprozesse verselbständigen und dem Unternehmen nachhaltig schaden können, gilt es, die Aktivitäten umfassend zu planen. Im Rahmen laufender Kampagnen lassen sich insbesondere drei wichtige Handlungsempfehlungen postulieren: ■ Konversation betreiben: Durch Social Media ist der einzelne Kunde zugleich Sender und Empfänger. Unzufriedenen Kunden sollten Unternehmen daher mit sachlicher und verständnisvoller Konversation begegnen, um konstruktive Lösungen zu erarbeiten und negative Kommunikation zu vermeiden (Pitt et al. 2002, S. 12). ■ Kritikfähigkeit zeigen: Unternehmen müssen ihren Kunden Möglichkeiten einräumen, auch negative Meinungen auszutauschen sowie Verbesserungsvorschläge und Kritik zu äußern (Rodriguez-Ardura/Martinez-López/Luna 2010, S. 431). Eine
Abb. 4 Übersicht des Untersuchungsaufbaus
PHASE I
Kontrollgruppe
DOI: 10.1365/s11621-012-0150-5
Experimentalgruppen
Experimenteller Stimulus
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PHASE II Befragung
Auswahl Kampagnendesign
Einstellung
Auswahl Kampagnenslogan
Kaufwahrscheinlichkeit
Produktattraktivität
Experimenteller Stimulus
Befragung Einstellung
Vorstellung Finales Kampagnendesign
Empfehlungsbereitschaft
Produktattraktivität Kaufwahrscheinlichkeit Empfehlungsbereitschaft Einstellung
Vorstellung Finales Kampagnendesign
Produktattraktivität Kaufwahrscheinlichkeit Empfehlungsbereitschaft
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Disruptive Empowerment – Auswirkungen von Kundeninteraktionen auf den Social-Media-Erfolg
Abb. 5 Übersicht der Untersuchungsergebnisse Einstellung
Produkt-Attraktivität
Kaufwahrscheinlichkeit
Empfehlungsbereitschaft
MW
MW
MW
MW
Phase I Gruppe 1 Vollständige Übereinstimmung
4,42
Phase I Gruppe 2 Keine Übereinstimmung
4,41
Kontrollgruppe
4,00
Phase II 4,74
Phase II 4,86
Δ 0,32**
0,45**
3,26 3,51 3,14 3,30 2,88
MW (Mittelwert) basiert auf einer Skala von 1: sehr gering bis 6: sehr hoch ** Test auf Mittelwertunterschiede signifikant (Signifikanzniveau 0,1)
Zensur der Kundenäußerungen sollte dabei vermieden werden (Hermes 2011, S. 44). ■ Kontrollverluste hinnehmen: Die Konversation zwischen Konsumenten in Echtzeit führt unter Berücksichtigung der vorherigen Handlungsempfehlungen zu einer rückläufigen Informationsautonomie der Unternehmen. Für einen erfolgreichen Einsatz sozialer Medien im Rahmen der Unternehmenskommunikation ist es von zentraler Bedeutung, dass dieser Machtverlust akzeptiert wird. Ein Beispiel für einen geeigneten Umgang mit unerwarteten Ergebnissen von Consumer Empowerment liefert der Otto Versand: Im Rahmen eines Model-Wettbewerbs über die Plattform Facebook bewarb sich auch ein zum Scherz als Frau verkleideter Mann unter dem Nutzernamen „Brigitte“, der in der Folge durch die Community den ersten Platz erzielte. Die Akzeptanz von „Brigitte“ durch Otto als Gewinner des Model-Wettbewerbs führte zu einem rasanten Anstieg der Online-Fan-Gemeinde von Otto und zu positiven Imageeffekten (Hermes 2011, S. 45).
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Δ 0,25**
0,16
Δ
2,83
0,27**
3,10 3,15
– 0,27**
2,87 2,35**
3,20 3,25 3,14 3,13
Δ
n
0,05
124
– 0,01
106
2,53**
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Δ Differenz zwischen den Mittelwerten aus Phase I und Phase II
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Die Autoren Prof. Dr. Rolf Weiber Inhaber der Professur für Marketing, Innovation und E-Business an der Universität Trier E-Mail:
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Dipl.-Kfm. Tobias Wolf Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Professur für Marketing, Innovation und E-Business an der Universität Trier E-Mail:
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