FORSCHUNG
Dichtungen
Flächendichtstellen für hohen dynamischen Innendruck in der Getriebetechnik
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ATZ 10/2003 Jahrgang 105
Die Autoren
Am Institut für Maschinenelemente der Universität Stuttgart wurden umfassende experimentelle und theoretische Untersuchungen an Gehäusetrennstellen durchgeführt, die unter einem hohen dynamischen Innendruck stehen, etwa Hydrauliksteuerungen für Automatikgetriebe. Die Erkenntnisse dieses FVA-Forschungsvorhabens wurden in einem Konstruktionskatalog mit Gestaltungshinweisen für eine betriebssichere Dichtung zusammengefasst. Mit dessen Hilfe kann der Konstrukteur die Auswirkung bestimmter Parameter bereits im der Konzeptphase überprüfen.
1 Einleitung
Pulsierender Innendruck in Komponenten der Antriebstechnik führt dazu, dass die Verschraubung von Gehäuseteilen zusätzlich gedehnt wird und somit die verspannten Teile entlastet werden. Dieser dynamische Vorgang wirkt sich hauptsächlich auf die Flächendichtung negativ aus. Sie wird in Bereichen niedriger Flächenpressung zusätzlich entlastet oder möglicherweise ausgetrieben. Gehäuseteile mit einer geringen Steifigkeit verformen sich verstärkt und es kommt hier zu Spaltbildungen und Klaffungen, was im Extremfall zu Leckage führt. Die Forschungsvereinigung Antriebstechnik e. V. (FVA). hatte aus diesem Grund ein Forschungsprojekt mit dem Titel „Gehäusegestaltung unter pulsierendem Innendruck“ unter der FVA-Nr. 308/II ausgeschrieben, das von der Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen „Otto von Guericke“ e. V. (AiF) gefördert wurde (AiF-Nr. 12450N). Die AiF ermöglicht Forschung und Entwicklung zugunsten kleiner und mittlerer Unternehmen. Das Forschungsvorhaben wurde am Institut für Maschinenelemente (IMA) der Universität Stuttgart durchgeführt. Das IMA untersucht bereits seit vielen Jahren dynamisch hochbelastete Dichtstellen auf dem Gebiet der Antriebstechnik [2–6], Bild 1. Diese Dichtstellen sind hauptsächlich mit einem Drehmoment belastet. Zu diesem Thema wurden grundlegende Untersuchungen an Flanschverbindungen, die nach Gesichtspunkten des
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Leichtbaus konstruiert wurden, durchgeführt. Infolge das Leichtbaus kommt es zu erhöhten Relativbewegungen in der Dichtungsebene, durch die das Dichtungsmaterial beschädigt wird. Für die experimentellen Untersuchungen an Getriebegehäusen wurden mehrere Prüfstände aufgebaut. Anwendungsfälle für Flachdichtungen innerhalb der Antriebstechnik, die mit pul-
Dipl.-Ing. Kuno Fronius ist Sachbearbeiter auf dem Gebiet der statischen Dichtungstechnik am Institut für Maschinenelemente der Universität Stuttgart. PD Dr.-Ing. habil. Martin Jäckle ist Bereichsleiter für statische Dichtungen und Antriebstechnik am Institut für Maschinenelemente der Universität Stuttgart. Prof. Dr.-Ing. Bernd Bertsche ist Leiter des Instituts für Maschinenelemente der Universität Stuttgart.
sierendem Innendruck belastet werden, sind hydraulische Steuerungen wie etwa Steuerplatten von Automatikgetrieben für Fahrzeuge sowie Pumpen für Nebenaggregate von Getrieben. In Bild 2 ist die Hydrauliksteuerung mit Kanalplatte eines Automatikgetriebe dargestellt. Für die systematische Untersuchung von Dichtverbindungen unter hohem dy-
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Bild 1: Prinzipdarstellung eines dynamisch hochbelasteten Getriebegehäuses Figure 1: Detailed description of a dynamically highly loaded transmission housing
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namischen Innendruck wurden umfassende experimentelle und theoretische Untersuchungen durchgeführt. Die Ergebnisse sind in einem Katalog für Konstruktionsund Auslegungshinweise gebündelt worden, der es dem Ingenieur erlaubt, für seine Anwendung die beste Dichtverbindung bezüglich Dichtmaterial und Flanschkonstruktion zu gestalten. Der Abschlussbericht [1] enthält detaillierte Ergebnisse des Vorhabens.
1 Einleitung
2 Experimentelle Untersuchungen mit pulsierendem Innendruck
Die experimentellen Untersuchungen teilen sich in mehrere verschiedene Versuchsreihen auf. Im ersten Teil werden die Belastungsgrenzen der eingesetzten Materialien erforscht. Dabei werden zahlreiche Dichtungsmaterialien untersucht, um sie gegeneinander abzugrenzen. Im nächsten Teil werden mit ausgewählten Materialien Standardversuche an Modellflanschen durchgeführt. Hier wird das Materialverhalten der Dichtung unter nahezu realen Bedingungen untersucht. Eine Besonderheit dieser Untersuchungen ist die homogene Verpressung der Dichtung mit dem Innendruckprüfstand. Die Erkenntnisse aus diesen Untersuchungen fließen dann als erste Gestaltungshinweise in die Versuche an realitätsnahen Flanschen ein. Die Geometrie dieser Flansche hat im Gegensatz zu den Modellflanschen keine Kreisringform mehr, sondern folgt der Geometrie einer Kanalplatte eines Steuerungsgehäuses.
Bild 2: Hydrauliksteuerung mit Kanalplatte als typische Dichtstelle für pulsierende Innendruckbelastung (Quelle: Mercedes-Benz) Figure 2: Hydraulic control unit with channel plate as a typical sealing area for pulsating interior pressure (Source: Mercedes-Benz)
2.1 Beschreibung des Innendruckprüfstands
2.1 Beschreibung des Innendruckprüfstands
Die Innendruckuntersuchungen wurden mit der in Bild 3 dargestellten Prüfzelle durchgeführt. Die zu prüfende ringförmige Dichtung (di = 40 mm; da = 60 mm) wird zwischen zwei Modellflansche eingelegt und in Anlehnung an die reale Verschraubung mit einer Schraube verspannt. Dadurch werden das Setzverhalten und die damit verbundene Entlastung der Dichtung bei entsprechendem Innendruck realitätsnah nachgebildet. Ein Hydraulikaggregat beaufschlagt den Innenraum mit einem variabel einstellbaren pulsierenden Innendruck. 2.2 Belastbarkeitsprüfungen
Die Belastbarkeitsprüfungen dienen zum einen dazu, die Materialien zu klassifizieren. Des Weiteren soll hier untersucht werden, welche Mindestpressung für ein bestimmtes Dichtungsmaterial notwendig ist, um einem vorgegebenen Innendruck
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Bild 3: Innendruckprüfstand für die Versuche mit homogener Flächenpressung auf der Dichtung Figure 3: Interior pressure test rig for the tests with homogeneous surface pressure at the sealing area
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2.2 Belastbarkeitsprüfungen stand zu halten. Für die Erstellung der Belastungs- oder Dichtigkeitskurven wurden umfangreiche Versuche durchgeführt, wobei die Parameter Innendruck und Pressung auf der Dichtung variiert wurden. Die Versuche wurden bei Raumtemperatur durchgeführt. Eine Erhöhung der Temperatur ergibt günstigere Prüfbedingungen, weil die Dichtung durch die unterschiedliche Wärmedehnung der verspannten Teile weiter verpresst wird. Die Vorgehensweise bei der Aufnahme der Dichtigkeitskurven lässt sich wie folgt beschreiben: Jede Dichtung wird mit einer Montagepressung von 1 bis 10 MPa in Stufen von 1 MPa vorgespannt. In jeder Pressungsstufe wird dann der Innendruck pulsierend so lange erhöht, bis die Dichtung tropft und schließlich versagt. Für jede Vorspannung wird eine neue Dichtung verwendet, das heißt für eine Dichtigkeitskurve werden zehn Versuche benötigt. In Bild 4 sind zum Vergleich die Versagenskurven der besten Vertreter der untersuchten Dichtungsmaterialien aufgetragen. Der Anwendungsbereich der Dichtung muss genau definiert werden, um so das geeignete Dichtungsmaterial auszuwählen. Bei Pressungen unterhalb 6 MPa gibt es ausgeprägte Unterschiede zwischen den untersuchten Dichtungen. Im oberen Pressungsbereich mit 8 bis 10 MPa verhalten sich die Dichtungen nahezu identisch. Im Pressungsbereich bis 2 MPa schneidet die Metallsickendichtung am schlechtesten ab. Sie benötigt eine gewisse Grundpressung, bis eine gute Dichtwirkung erreicht wird. Anaerob aushärtende Flüssigdichtungen zeigen besonders bei niedrigen Pressungen sehr gute Ergebnisse. Flüssigdichtungen mit hoher Klebefestigkeit sind in allen Pressungsbereichen bis zur Belastungsgrenze von 140 bar dicht, haben aber den Nachteil, dass sie nur bedingt demontierbar sind. Die weiteren Untersuchungen erfolgten mit Flüssigdichtungen mit geringer Klebefestigkeit, die die Möglichkeit einer Demontage erlauben. Nachdem die verschiedenen Dichtungsmaterialien anhand der Dichtigkeitskurven charakterisiert wurden, werden jetzt einige ausgewählte Dichtungsmaterialien einem speziellen Lastkollektiv unterzogen. Mit Hilfe des realitätsnahen Lastkollektivs in Bild 5 sollen die vielfältigen Einflüsse von Temperatur, Stegbreite, Flanschoberfläche, Flanschmaterial, Hydraulikmedium, Vorspannung, Innendruck und Pulsationsfrequenz auf das Dichtungsmaterial untersucht werden. Die Flächenpressung der Weichstoffdichtung und der Metallsickendichtung fällt in der Setzphase auf rund 9 MPa ab. Die anaerobe Flüssigdichtung, die nur die
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Bild 4: Versagenskurven der besten Flüssig-, Metallsicken- und Weichstoffdichtungen; aufgenommen mit dem Innendruckprüfstand bei 20 °C Öltemperatur, 2,5 Hz Pulsationsfrequenz und 2,5 bar Druckamplitude Figure 4: Break down line of the fittest seals; measured with interior pressure test rig at 20 °C temperature of oil, 2,5 Hz pulsation frequency, and 2,5 bar pressure amplitude
Bild 5: Vergleich des Betriebsverhaltens von anaerober Flüssigdichtung, Weichstoffdichtung und Metallsickendichtung; 10 MPa Montagepressung, 10 Hz Pulsationsfrequenz, 70 °C Öltemperatur, 10 mm Stegbreite, Prüföl: Hydrauliköl HLPD, 2,5 bar Druckamplitude, Modellflansche, 40 x 60 mm Dichtringe Figure 5: Relation of the operating performance of formed in place anaerobic liquid seal, resilient seal and coated metal seal; 10 MPa mounting pressure, 10 Hz pulsation frequency, 70 °C oil temperature, 10 mm web width, test oil: hydraulic oil HLPD, 2,5 bar pressure amplitude, model flanges, 40 x 60 mm sealrings
Rauhigkeiten der Oberfläche ausfüllt, hat eine Dichtungsdicke von wenigen Mikrometern, so dass sie sich wesentlich weniger setzt. Während des Aufheizens auf 70 °C steigt die Flächenpressung an, bedingt durch die unterschiedliche Wärmedehnung der Stahlschraube und der Alu-
miniumflansche bei den Dichtungsmaterialien. Auch hier sind starke Unterschiede zu erkennen. Die geringe Dichtungsdicke der Flüssigdichtung führt dazu, dass die Flächenpressung nach dem Aufheizen des Prüfstands auf 17 MPa ansteigt. Die anderen zwei Dichtungen werden weiter zu-
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sammengedrückt. Die Flächenpressung erreicht hierbei nur einen Wert von 15 MPa. In der Betriebsphase wird die Dichtung infolge des Innendrucks in jeder Druckphase weiter entlastet. Die Flächenpressung der Weichstoff- und der Metallsickendichtung geht bei 120 bar auf 12 MPa zurück. Die Dichtungen verhalten sich während der Betriebsphase nahezu identisch. Nach der Wegnahme des Innendrucks und dem Abkühlen auf Raumtemperatur fällt die Flächenpressung wieder ab. Es wird deutlich, dass der Wert von 10 MPa, der zu Versuchsbeginn eingestellt wurde, nach Versuchsende nicht mehr erreicht wird.
2.3 Versuche an realitätsnahen Flanschen
2.3 Versuche an realitätsnahen Flanschen
Die Ergebnisse der Untersuchungen an Modellflanschen dienten als Grundlage für die weiteren Untersuchungen. Dabei wurden die Parameter mit einem sehr geringen Einfluss auf die Dichtigkeit weggelassen. Die Prüfzellen wurden ebenfalls geändert und
Bild 6: Prüfstandszelle mit realitätsnaher Geometrie und Verschraubung Figure 6: Test cell with reality-close geometry and screwing pattern
Bild 7: Interaktionsdiagramme (Flanschmaterial/Temperatur) für die Leckagerate bei den Versuchen am realitätsnahen Flansch; Druckstufen: 30, 40, 50 und 60 bar, Temperaturen: -10 °C, +30 °C, +70 °C Figure 7: Interaction diagrams (flange material/temperature) for leakage rate on tests with reality-closed flange; pressure steps: 30, 40, 50 and 60 bar, temperatures: -10 °C, +30 °C, +70 °C
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2.3 Versuche an realitätsnahen Flanschen
Bild 8: Einflussgrößen auf die Leckagerate bei den Versuchen am realitätsnahen Flansch, Paretodiagramm Figure 8: Influencing variables of leakage rate at the test with reality-closed flange, Pareto diagram
realitätsnäher gestaltet. Während der Innendruckprüfstand für die Modellflansche mit einer einzigen Schraube verspannt wurde, erfolgt die Verschraubung an der
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neuen Versuchseinrichtung mit mehreren Schrauben, Bild 6. Das Verschraubungsbild und die Verschraubungsart wurden so gewählt, wie sie auch bei Steuerungen für Au-
tomatikgetriebe eingesetzt werden. Mit dieser Versuchseinrichtung soll das Verhalten der Dichtungen so realitätsnah wie möglich abgebildet werden. Über den einen Kanal wird seitlich Hydrauliköl mit dem entsprechenden Betriebsdruck zugeführt. Der zweite Kanal bleibt drucklos. Hier wird die Leckage gemessen, die aus dem ölführenden Kanal über den Dichtungssteg überströmt. Die auftretende Leckage kann über einen Schlauch, der seitlich mit dem drucklosen Kanal verbunden ist, in einen Messbecher abgeleitet werden. Ein O-Ring dichtet die Prüfzelle nach außen hin ab. Für die Auswertung der Versuche wird die statistische Versuchsplanung herangezogen. Als Zielgröße wird die Leckagemenge pro Minute definiert. Als Grenzwert wird eine Leckagerate von 60 ml/min gesetzt. Bei Überschreitung dieses Werts wird der Versuch abgebrochen. Die statistische Versuchsplanung bietet mehrere Möglichkeiten der Versuchsauswertung. Zunächst werden die Parameter auf die Dichtungsmaterialien bezogen und in einem Diagramm dargestellt. In der statistischen Versuchsplanung werden diese Diagramme „Interaktionsdiagramme“ ge-
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niger interessant. Der Einfluss der Parameter ist auch abhängig vom jeweiligen Druck des Mediums. Das Dichtungsmaterial hat in allen vier Druckstufen den größten Einfluss. Das bedeutet, dass es sehr große Unterschiede zwischen den untersuchten Materialien gibt. Weitere wichtige Parameter sind der Schraubenabstand, das Flanschmaterial und die Temperatur.
2.4 Anströmuntersuchungen
2.4 Anströmuntersuchungen
Bild 9: Anströmeinrichtung für Flächendichtungen, Schnittdarstellung Figure 9: Oncoming flow test rig for profile seals, sectional view
Bild 10: Anströmversuch bei 40 l/min, 130 bar und 40 °C; links: Versagensbild Weichstoffdichtung 2 nach 4 h Betrieb, rechts: Versagensbild Metalldichtung 1 nach 40 h Betrieb Figure 10: Oncoming flow test at 40 l/min, 130 bar und 40 °C; left: resilient seal 2 after 4 h handling, right: coated metal seal 1 after 40 h handling
nannt, weil sie die Wechselwirkung zweier Einflussfaktoren auf eine Zielgröße beschreiben. Ein Interaktionsdiagramm existiert für jede Druckstufe. So ist es möglich, detaillierte Aussagen über die Ursache der Leckagemenge zu machen. Auf der Y-Achse der Diagramme ist die Leckagerate normiert dargestellt. Ein hoher Balken bedeutet eine starke Leckage. Ein sehr wichtiger Parameter ist die Temperatur. In der Praxis wird eine Verbindung bei Raumtemperatur verspannt. Im Betrieb erreicht eine solche Flanschverbindung leicht eine Temperatur von 70 °C, das andere Extrem sind Minustemperaturen. Bei den Untersuchungen am optimier-
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ten Flansch werden beide Temperaturbedingungen nachgebildet. Neben dem Dichtungsmaterial wurde auch das Flanschmaterial variiert. Die Diagramme in Bild 7 machen deutlich, dass es zwischen den untersuchten Temperaturen starke Unterschiede in Kombination mit dem Flanschmaterial gibt. In Bild 8 sind alle Einflussgrößen in einem Paretodiagramm (Einflussdiagramm) im Überblick dargestellt. Ein hoher Balken bedeutet, dass die Veränderung des zugehörigen Parameters einen großen Einfluss auf die Leckagemenge des Systems hat. Parameter mit kleinen Balken sind damit für die Konstruktionsoptimierung we-
Ein weiterer Aspekt ist die Anströmfestigkeit von Dichtungen. Gerade bei Kanalplatten von Automatikgetrieben gibt es entlang der Kanäle ungepresste Bereiche in denen das Druckmedium unter hohem Druck an der Dichtung vorbeiströmt. Das Dichtungsmaterial muss eine gewisse Anströmfestigkeit besitzen, damit es nach längerem Betrieb nicht zur Schädigung der Dichtungsoberfläche kommt. Ein solcher Schadensfall hat neben der Schädigung der Dichtung auch zwangsweise zur Folge, dass das Hydraulikmedium durch abgetragene Dichtungspartikel verunreinigt wird. Für die Ermittlung der Anströmfestigkeit des Dichtungsmaterials wurde eine Prüfeinrichtung konstruiert, die realitätsnahe Anströmbedingungen, wie sie zum Beispiel an einer Kanalplatte eines Automatikgetriebes vorkommen, auf einfache Weise nachbildet, Bild 9. Zum Umfang der experimentellen Untersuchung gehören Versuche, in denen das Öl aus verschiedenen Richtungen und bei unterschiedlichen Drücken und Anströmgeschwindigkeiten an der Dichtung vorbeiströmt. Das Öl trifft zunächst stirnseitig auf die Dichtung. Anschließend wird das Öl so an der Dichtung vorbei geleitet, dass die Anströmwinkel 0°, 45° und 90° realisiert werden. Die Versucheinrichtung ermöglicht Durchflüsse bis 40 l/min bei Drücken bis 160 bar. Die Dichtungsmaterialien werden in die zwei Gruppen Weichstoffdichtungen und beschichtete Metalldichtungen eingeteilt. In Bild 10 sind exemplarisch zwei Dichtungen der jeweiligen Gruppe dargestellt. An der linken Seite eines jeden Teilbilds befindet sich der charakteristische Ölflussverlauf. Damit bestimmte Positionen auf der Dichtung besser beschrieben werden können, wurde an den markanten Stellen jeweils ein Buchstabe (A bis E) gesetzt. Das Teilbild enthält die gesamte Dichtung (links) und eine Ausschnittsvergrößerung des relevanten Abschnitts (rechts). Die Dichtungen werden jeweils nach jeder Belastungsstufe auf Schäden geprüft. Bei der Weichstoffdichtung 2 sind schon nach der ersten Laststufe gravierende Schäden sichtbar. An der Umlenkstelle C
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3.1 Gestaltungshinweise am Beispiel eines Pumpendeckels
den in einem Katalog als Konstruktionsund Gestaltungshinweisen zusammengefasst [1]. 3.1 Gestaltungshinweise am Beispiel eines Pumpendeckels
Mit Hilfe von umfangreichen FE-Berechnungen wurde eine Steifigkeitsoptimierung an einem Pumpendeckel einer Buchsenzahnradpumpe durchgeführt. Die Bewertung der einzelnen Varianten des Pumpendeckels nach Steifigkeit und Pressungsverteilung in Abhängigkeit der Rippenform und Rippenanordnung ist in Bild 11 dargestellt. Je mehr schwarze Punkte eine Konstruktion hat, desto besser ihre Dichtungswirkung. 3.2 Gestaltungshinweise am Beispiel eines Flansches bei Metallsickendichtungen
Bild 11: Bewertung verschiedener Geometrien eines Pumpendeckels bezüglich Steifigkeit des Deckels und Pressungsverteilung in der Trennfuge unter pulsierendem Innendruck Figure 11: Evaluation of different geometries of pump lid respective stiffness of the lid and pressure distribution in gasket under pulsating interior pressure
wird die Dichtung durchlöchert. Ursache hierfür ist die turbulente Strömung mit den entsprechend aggressiven Wirbeln, die aus der plötzlichen Richtungsänderung des Ölflusses herrühren. Dieser Durchbruch wird von Stufe zu Stufe größer. Ein zweiter Schaden tritt auf der Anströmstrecke DE auf. Auch hier handelt es sich um eine Umlenkstelle. An dieser Stelle kann allerdings das Öl unter die Dichtung gelangen, so dass die turbulente Strömung die Dichtung förmlich durchsägt. In der Anströmstrecke BC werden die Auf-
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rauhungen immer stärker. Der Einfluss der unterschiedlichen Anströmwinkel wird an der Weichstoffdichtung sehr deutlich. Die Stelle B mit 45°-Anströmung ist weniger stark beschädigt als die Stelle D mit einer 90°-Anströmung. Die beschichtete Metallplatte zeigt nach 40 h Betrieb keine nennenswerte Oberflächenschädigung. 3 Konstruktionskatalog
Die Erkenntnisse aus den experimentellen und rechnerischen Untersuchungen wer-
Die Gestaltung der Flanschgeometrie beim Einsatz von Metallsickendichtungen ist relativ unkritisch. Es sollte aber auf folgende Punkte geachtet werden: ■ Die Flanschbreite sollte mindestens zwei Mal so breit sein wie die Sicke der Dichtung. Aufgrund der Linienform der Sicke wird lokal auch bei geringen Schraubenkräften eine verhältnismäßig hohe Pressung erreicht. ■ Die Rauhheit Rz der Flanschoberfläche sollte nicht mehr als 50 % der NBR-Gummibeschichtung betragen, damit die Beschichtung die Oberflächenrauhigkeiten hinreichend ausfüllen kann. ■ Unebenheiten in der Flanschoberfläche sind für Metallsickendichtungen unproblematisch, weil die Sicke viel kompensieren kann. ■ Mit Metallsickendichtungen können Spalte von 0,2 bis 0,5 mm überbrückt werden. Die Rückfederrate ist teilweise über 50 % hoch. ■ Das Trägermaterial der Metallsickendichtung kann aus Baustahl, Federstahl oder Edelstahl sein, wobei Federstahl und Edelstahl bessere Eigenschaften (Spaltüberbrückung, Streckgrenze) aufweisen als Baustahl. ■ Es sollte darauf geachtet werden, dass die Grenzflächenpressung des Flanschmaterials (bei Aluminium zirka 200 MPa) nicht überschritten wird, weil sich sonst das Flanschmaterial plastisch verformt. 3.3 Gestaltungshinweise für Flansche bei Weichstoffdichtungen
Verwendet man bei pulsierendem Innendruck Weichstoffdichtungen, so sollten folgende Hinweise beachtet werden: ■ Weichstoffdichtungen versagen explosionsartig. Die Festigkeit des Dichtungsma-
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3.5 Nomogramme
Bild 12: Nomogramme für die Gestaltung von Flanschen unter pulsierendem Innendruck. Parameter: Dichtungsmaterial, Innendruck, Flanschdicke, Ebenheit, Schraubenkraft, Schraubenabstand und Stegbreite. Konstanten: Flanschmaterial Grauguss (GG), Temperatur 40 °C Figure 12: Nomograms for the shaping of flanges under pulsing internal pressure. Parameters: sealing material, internal pressure, flange thickness, evenness, bolt force, bolt distance and web width. Constants: flange-material grey cast iron (GG), temperature 40 °C
terials sollte hoch genug sein, um die Austreibung durch Innendruck zu vermeiden. ■ Die Dicke der Dichtung ist gleichzeitig die Angriffsfläche für den Innendruck. Hier sind dünnere Dichtungen besser geeignet. Zu dünn sollte die Dichtung allerdings nicht sein, weil sonst die Anpassungsfähigkeit und auch die Rückfederung negativ beeinflusst werden. ■ Beim Ausstanzen der Dichtung sollte darauf geachtet werden, dass die Schnittfläche nicht beschädigt wird und beispielsweise Risse aufweist. Die Widerstandsfähigkeit einer beschädigten Dichtung wird durch die Kerbwirkung stark herabgesetzt. ■ Konzentrische Schleif- oder Drehspuren bei runden Flanschen können dem Ausblasen der Dichtung entgegenwirken.
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■ Der Gestaltung der Flanschbreite muss bei Weichstoffdichtungen besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden. Die Dichtungsbreite sollte nur so groß wie nötig gewählt werden, damit die Flächenpressung nicht zu klein wird. Andererseits besteht bei zu schmalen Dichtungen immer die Gefahr, dass sie bei Innendruckbelastung schnell ausreißen. 3.4 Gestaltungshinweise für Flansche bei FIP-Flüssigdichtungen
Bei FIP(formed in place)-Flüssigdichtungen gibt es sehr große Unterschiede zwischen den eingesetzten Flüssigdichtungssystemen und Technologien. Der Aushärtemechanismus des eingesetzten Produkts
muss beachtet werden. Der Übergang vom Dichten zum Kleben ist fließend. Es können daher nur produktspezifische Hinweise für die Flanschgestaltung gegeben werden: ■ Die Filmdicke der Flüssigdichtung kann abhängig von der Flanschgestaltung von wenigen Mikrometern bis zu 0,3 mm betragen. Das Flüssigdichtmittel wird üblicherweise in flüssiger Form verbaut und bei der Montage, das heißt beim Anziehen der Schrauben, aus der Dichtfläche herausgepresst. Bei sehr geringen Filmdicken füllt das Flüssigdichtmittel nur die Oberflächenrauhheiten der Flansche aus. Werden größere Dicken gewünscht, so ist die Gestaltung der Flansche etwas aufwändiger, weil hier Abstandshalter oder Nuten eingebracht werden müssen. Die Oberflächenrauhheit der Flansche (bis RZ = 25 μm) spielt eine geringe Rolle bei der Innendruckabdichtung. ■ Beim Einsatz von Flüssigdichtungen müssen die Oberflächen der Flansche vor der Applikation staub- und fettfrei sein. ■ Anaerobe Produkte wie Flüssigdichtmittel benötigen für eine zuverlässige Aushärtung eine Flanschbreite von 5 bis 7 mm im Bereich zwischen den Schrauben. Unter den Schrauben kann die Flanschbreite aufgrund der höheren Flächenpressung geringer sein. ■ Flüssigdichtungen haben aufgrund der geringen Filmdicke ein geringes Rückfederungsvermögen. Der Flansch sollte daher biegesteif ausgelegt sein. Durch die Klebeeigenschaften können bei geringen Flächenpressungen wesentlich höhere Drücke als bei Metallsicken- oder Weichstoffdichtungen abgedichtet werden. 3.5 Nomogramme
Die Versuche haben gezeigt, dass der Versagensdruck einer Dichtverbindung von vielen Parametern abhängt. Eine Möglichkeit, diese Parameter grafisch sehr übersichtlich darzustellen, sind die so genannten Nomogramme oder Leitertafeln, Bild 12. Der Konstrukteur kann zu gegebenen Parametern die Größe der anderen grafisch bestimmen. Es besteht auch die Möglichkeit, eine bestehende Dichtverbindung zu bewerten und den Versagensdruck mit Hilfe der Nomogramme vorherzusagen. Die Aussagen der dargestellten Nomogramme basieren auf den zuvor beschriebenen Versuchen an realitätsnahen Flanschen. Für andere Flanschkonstruktionen können sie als Richtwerte verwendet werden. Die Versuche, die das sichere Betriebsverhalten dieser Dichtverbindung bestätigen, müssen nach wie vor durchgeführt werden.
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>> DER MULTIMEDIA-EXPERTE FÜR 4 Zusammenfassung
Pulsierender Innendruck in Getriebekomponenten führt dazu, dass die Verschraubung zusätzlich gedehnt wird und somit die verspannten Teile entlastet werden. Dieser dynamische Vorgang wirkt sich hauptsächlich auf die Dichtung negativ aus. Sie wird in Bereichen niedriger Flächenpressung zusätzlich entlastet oder möglicherweise ausgetrieben. Gehäuseteile mit einer geringen Steifigkeit verformen sich verstärkt, und es kommt hier zu Spaltbildungen und Klaffungen. Im Extremfall führt das zu innerer oder äußerer Leckage. Um diese Problemstellung systematisch zu untersuchen, wurden am Institut für Maschinenelemente der Universität Stuttgart mehrere Prüfzellen für Innendruckuntersuchungen aufgebaut. Parallel dazu wurden Berechnungen nach der Methode Finiter Elemente (FEM) durchgeführt. Die Erkenntnisse aus den experimentellen und theoretischen Untersuchungen wurden in einem Konstruktionskatalog mit Gestaltungshinweisen für eine betriebssichere Dichtverbindung unter Innendruckbelastung zusammengefasst. Ferner ist es gelungen, den Konstruktionskatalog durch so genannte Nomogramme zu ergänzen. Mit diesen Diagrammen kann der Konstrukteur die benötigten Parameter für seine Dichtverbindung, ausgehend von ein paar Startwerten, grafisch auf einfache Weise ermitteln. Zukünftige Untersuchungen werden sich verstärkt auf die Untersuchung von Flüssigdichtmitteln konzentrieren. Die Arbeit an diesem FVA-Forschungsvorhaben hat gezeigt, dass das Dicht- und Ausfallverhalten von Flüssigdichtungen deutliche Unterschiede aufweist, je nachdem ob es sich um ein anaerob aushärtendes, ein filmbildendes oder ein auf Silikon basierendes Dichtmittel handelt. Aktuell wird seit 2003 am Institut für Maschinenelemente ein Projekt im Rahmen der FVA-Tätigkeit zum Thema „Einsatzgrenzen von Flüssigdichtungen“ durchgeführt. Literaturhinweise [1]
[2] [3] [4] [5] [6] [7] [8] [9]
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