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Elektrotechnik & Informationstechnik (2016) 133/4-5: 216–222. DOI 10.1007/s00502-016-0411-0
Flexibilisierung durch Hybridisierung der Energieversorgung U. Lenk, I. Pyc VDE
Eines der vorrangigen Ziele der Energiewende in Deutschland ist die Reduzierung von Treibhausgasemissionen (THG) um 80–95 % bis zum Jahr 2050. Gleichzeitig soll der Ausbau erneuerbarer Energien auf 80 % im Strom-Mix erfolgen und stellt damit eine der wesentlichen Komponenten zur Senkung der THG-Emissionen dar. Mit dem Wachstum der Wind- und PV-Erzeugung wachsen auch die Herausforderungen, volatil einspeisende Leistungen zu integrieren und den Netzbetrieb zuverlässig zu gestalten. Mit der Verzögerung beim Netzausbau (aus verschiedenen Gründen wie Umweltverträglichkeit, technische Reife, Akzeptanz etc.) und beim Bau von Stromspeichern fällt bei der notwendigen Flexibilisierung des Versorgungssystems dem Strom- und Wärmeerzeugungssektor eine immer bedeutendere Rolle zu. Es sind noch signifikante technische Potenziale zum Ausgleich fluktuierender Stromproduktion durch die Flexibilisierung von fossil befeuerten, thermischen Kraftwerken vorhanden. Flexible Kraft-Wärme-Kopplung, thermische Energiespeicherung und „Power to Heat“ sind relativ einfache, auch an bestehenden Anlagen realisierbare und somit attraktive Lösungen. Für die Braunkohle, die noch zu 90 % für die Stromerzeugung verwendet wird und für die im Rahmen der Energiewende neue Nutzungsmöglichkeiten gesucht werden, ist die Kohlevergasung verbunden mit SNG- oder Methanolsynthese eine intermodale Lösung, die hohe Potenziale hinsichtlich Versorgungssicherheit, Produkt- und Betriebsflexibilität zeigt. In der dezentralen Versorgung zeigen neben KWK v. a. die PV-Anlagen, kombiniert mit elektrischen und thermischen Speichern, hohe, systemrelevante Flexibilisierungspotentiale. Das Energiesystem der Zukunft ist multimodal und smart. Durch die Verknüpfung von Versorgungssystemen für Elektrizität, Gas, Wasser, Wärme, Kälte und Kraftstoffe sowie die zukünftig mögliche Selbstorganisation mit Hilfe fortschrittlicher Informationsund Kommunikationstechnologien kann eine noch größere fluktuierende Stromproduktion auf Basis erneuerbaren Energien integriert werden.
Online publiziert am 24. Juni 2016 © Springer Verlag Wien 2016
1. Einleitung Eines der vorrangigen Ziele der Energiewende in Deutschland ist die Reduzierung von Treibhausgasemissionen (THG). Sie sollen nach der Selbstverpflichtungserklärung vom Dezember 2014 bis zum Jahr 2020 um 40 % und bis 2050 um 80–95 %, bezogen auf das Jahr 1990, vermindert werden, unter Beibehaltung der Versorgungssicherheit für den Industriestandort Deutschland. Mit einem Anteil von 40 % an THG-Emissionen fällt dem Stromsektor eine wesentliche Rolle bei der Dekarbonisierung der deutschen Energiewirtschaft zu. Eine tragende Säule bei der Erfüllung des Ziels zur Reduktion von CO2 -Emissionen im Stromsektor stellt der Ausbau erneuerbarer Energieträger dar. Die mit dem Ausbau erneuerbarer Stromerzeugung einhergehende Notwendigkeit des Netzausbaus, Schaffung von ausreichenden Speicherkapazitäten und Anwendung flexibler, thermischer Kraftwerke markieren drei wesentliche Handlungsfelder, die im heutigen Fokus der Maßnahmen zur Verbesserung der Flexibilität des Stromversorgungssystems liegen. Das Handlungsfeld Netzausbau ist limitiert aus mehreren Gründen. Die öffentliche Akzeptanz ist nicht in ausreichendem Maß gegeben. Innovative leistungselektronische Lösungen mit HGÜ (Hochspannungsgleichstrom-Übertragung) könnten diesen Herausforderungen gewachsen sein. HGÜ kann stark belastete Drehstromnetze zur Meidung technischer Probleme stützen, sie kann Übertragungskapazität und Stabilität erhöhen und kann zur Vermeidung von kaskadenartigen Störungen beitragen [1]. Damit ergeben sich hybride Systeme mit integrierten AC/DC-Netzverbindungen einschließlich „Hochleistungs-Stromautobahnen“ und AC/DC OverlayNetz(e). Diese hybriden Multiterminallösungen müssen den Nachweis ihrer technischen Reife hinsichtlich Zuverlässigkeit und Wirtschaftlichkeit noch liefern. In diesem Beitrag wird der weitere Fokus auf den Sektor der Strom- und Wärmeerzeugung gelegt.
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2. Energiewende und Wandel in der Stromproduktion Der Anteil erneuerbarer Energien (EE) an der deutschen Stromerzeugung ist in den letzten Jahren rasant angestiegen. Wie Abb. 1 zeigt, wurden im Jahr 2014 157 TWh auf EE-Basis und damit ca. 26 % im deutschen Stromerzeugungsmix erzeugt. Die volatil einspeisenden Wind- und PV-Anlagen kamen dabei auf 14 % der gesamten Stromerzeugung. Weiterreichende Ziele für den Ausbau erneuerbarer Erzeugung sind für die Mitte nächster Dekade definiert, wo nach der Vorgabe der jetzigen Regierung ca. 40 % und im Jahr 2030 ca. 50 % im Strom-Mix erzeugt werden sollen. Mit dem Anstieg des Anteils erneuerbarer Energien an der Gesamterzeugung wachsen die Herausforderungen, die Einspeisungen aus Wind- und Solarenergie in das Versorgungssystem zu integrieren und den Netzbetrieb zuverlässig zu gestalten. Mit 37 GW PV und 39 GW Wind erreichte im Jahr 2014 die volatil einspeisende Leistung ca. 40 % an der gesamten installierten Leistung in Deutschland. Gleichzeitig stieg ihr Anteil an der Netzlast mit der Konsequenz des Rückgangs der Residuallast, die durch konventionelle Anlagen abgedeckt werden muss. Diese Veränderung bei der Struktur der Kraftwerksflotte führt zu einem zeitlichen Ungleichgewicht von Erzeugung und Verbrauch. Die Abdeckung der Residuallast bedeutet, dass die konventionellen Kraftwerke zusätzlich zum Ausgleich von Bedarfsschwankungen noch das fluktuierende Stromangebot von Wind- und Solaranlagen kompensieren müssen,
Nach einem Vortrag im Rahmen des WEC-Workshops „Speicher für die Energiewende“ am 25. Februar 2015 in Wien. Lenk, Uwe, Siemens Power & Gas, Freyeslebenstraße 1, 91058 Erlangen, Deutschland (E-Mail:
[email protected]); Pyc, Ireneusz, Siemens Power & Gas, Freyeslebenstraße 1, 91058 Erlangen, Deutschland
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Abb. 1. Struktur der Stromerzeugung in Deutschland in den Jahren 2010 und 2014
mit entsprechender Auswirkung auf ihre Flexibilitätsanforderungen, zu denen Startzeiten, Teillastfahren, Mindestlast oder Fahrgradienten gehören. Mit weiterem Anstieg der PV- und Windleistung ist davon auszugehen, dass bei der Beibehaltung der Vorrangeinspeisung aus erneuerbaren Energien in ein bis zwei Jahren die Residuallast erstmal negativ wird. Das bedeutet, dass konventionelle Anlagen entweder komplett abgefahren werden müssen oder ihr Betrieb durch Beibehaltung oder weitere Steigerung von Stromexporten ermöglicht wird. Dabei ist zu bedenken, dass in dem Fall des vollständigen Abfahrens die Netzstabilität weitgehend über die elektronische Einspeisung aus Wechselrichtern von PV- und Windanlagen gesichert werden müsste. Das ist aufgrund des limitierten Kurzschlussleistungsbeitrages (limitierte Überlastfähigkeit) der Wechselrichter nachteilig für das erforderliche Leistungsgleichgewicht zwischen Erzeugung und Verbrauch. Mit einer Nettobilanz von 34 TWh wurde im Jahr 2014 ein Export-Rekord erreicht, der wegen der bestehenden Begrenzungen in der Leitungskapazität nicht signifikant gesteigert werden kann. Der Ausbau der Netze kristallisiert sich gegenwärtig zu einem der kritischsten Punkte bei der Umsetzung der Energiewende heraus. Die gegenwärtig von der Bundesnetzagentur verfolgten Pläne konzentrieren sich auf die Verstärkung und den Ausbau des Übertragungsnetzes. Nach dem Energieleitungsausbaugesetz (EnLAG) sollen bis zum Jahr 2020 vordringlich Stromtrassen mit einer Länge von mehr als 1800 km, darunter vier Hauptverbindungen Nord-Süd, als Hochspannungsgleichstromübertragungen errichtet werden. Die erheblichen Verzögerungen beim Netzausbau könnten ihr eigentliches Ziel des ausreichenden Ausgleichs zwischen der Stromerzeugung im Norden und dem Verbrauch im Süden verfehlen. Die alternativen Flexibilitätsoptionen: Ausbau der Energiespeicher oder preissignalbedingte, kurzzeitige Veränderung der Verbraucherlast (demand response) auf der Verbraucherseite, können mit dem schnellen Ausbau der Wind-und PVErzeugung nicht Schritt halten. Bedingt durch Verzögerung beim Netzausbau und beim Bau von Stromspeichern fällt bei der notwendigen Flexibilisierung des Versorgungssystems dem Strom- und Wärmeerzeugungs-sektor eine bedeutende Rolle zu. 3. Flexibilisierung der Strom- und Wärmeproduktion In diesem Beitrag wird auf ausgewählte Möglichkeiten der Flexibilitätsverbesserung bei der zentralen und dezentralen Strom- und Wärmeerzeugung sowie bei der weiteren Nutzung der deutschen Braunkohle eingegangen.
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3.1 Zentraler Bereich Ungeachtet der gegenwärtigen Herausforderung, die Wirtschaftlichkeit des Betriebs von gasbefeuerten Kraftwerken zu sichern, wird den gasturbinenbasierten Kraftwerken bei der Umsetzung der Energiewende eine Schlüsselrolle beigemessen [2]. Aus dem ingenieurmäßigen Blickwinkel stellt sich die Frage, welche technische Lösungen können entwickelt und angewendet werden, um den Betrieb der bereits heute sehr flexiblen Anlagen noch flexibler gestalten und die Kunden- sowie Marktanforderungen besser erfüllen zu können. Siemens hat eine Reihe von möglichen Maßnahmen bei einem GuD-Kraftwerk zu einem Bausteinkonzept [3] zusammengeführt, siehe Abb. 2. Auf der linken Seite der Abbildung sind die auf der Anlagenebene greifenden Maßnahmen, auf der rechten Seite weitere Lösungen, bei deren Anwendung in der Kopplung mit einem GuD-Kraftwerk zusätzliche Flexibilitätswirkung erzielt wird. Durch ausgewählte Beispiele für Flexibilisierungsoptionen soll die Vielfalt von möglichen individuellen Lösungen und Möglichkeiten innerhalb des variablen Lösungspakets gezeigt werden. Individuelle Standortgegebenheiten, Betriebsanforderungen und sich dynamisch verändernde energiewirtschaftliche Vorgaben liefern dabei die Rahmenbedingungen für die optimale Auswahl von anzuwendenden Maßnahmen auf der Anlagenebene selbst oder in Verbindung mit weiteren technischen Optionen. Die Lösungen, auf die im Folgenden etwas tiefer eingegangen wird, sind in Abb. 2 in blauer Farbe hervorgehoben. So ermöglicht zum Beispiel die Nachrüstung eines GuD-Kraftwerkes durch einen Bypasskamin den Gasturbinenbetrieb ohne Abhitzedampferzeuger. Die Nachrüstung einer Ansaugluftvorwärmung führt beispielsweise zur Steigerung des Teillastwirkungsgrades von Gasturbine und GuD-Kraftwerk. Auch eine Niedertemperaturwärmenutzung zur Wasseraufbereitung führt zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit durch Reduktion von Eigenbedarf und Chemikalienverbrauch. Eine andere, etwas aufwendigere Möglichkeit zur Steigerung der Flexibilität von GuD-Anlagen besteht in der Anwendung der Dampfeindüsung in die Gasturbine (Steam Injected Gas Turbine – STIG) in Verbindung mit einem thermischen Speicher. STIG ist ein seit Jahren bekanntes und bewährtes Verfahren zur Leistungssteigerung [4, 5]. Als Folge der Zugabe von Dampf in die Brennkammer steigt der Massenstrom durch die Turbine und damit proportional zur Massenstromerhöhung die Gasturbinenleistung. Der Anstieg der GuD-Kraftwerksleistung entsteht aus dem überproportionalen Leistungsanstieg in der Gasturbine bei gleichzeitig nur unterproportionaler Leistungsminderung der Dampfturbine. Eine besondere Maßnahme, die die Bedeutung thermischer Speicherung zur Erweiterung der technischen und betrieblichen Mög-
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Abb. 2. Möglichkeiten zur Flexibilisierung von GuD-Kraftwerken
Abb. 3. Kombination von STIG-Prozess und Wärmespeicher
lichkeiten und Verbesserung der Flexibilität beispielhaft demonstriert, ist die Ergänzung des STIG-Konzepts durch einen Dampfbzw. Heißwasserspeicher, siehe Abb. 3. Das Bild zeigt das Prinzip am realen Beispiel einer Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlage mit zwei Gasturbinen, zwei Abhitzedampferzeugern mit Zusatzfeuerung (ZuF) und einem 1-Druck-Dampfprozess mit einer EntnahmeGegendruck-Dampfturbine. Die elektrische Leistung der Anlage im Volllastbetriebspunkt ohne Zusatzfeuerung beträgt 151 MW bei einer Wärmeproduktion von 158 MW. Wenn das STIG-Konzept mit einem Dampfspeicher kombiniert wird, kann zum Beispiel bei geringem Strombedarf eine zusätzliche Leistungsabsenkung durch Einspeicherung von Heißwasser oder Dampf aus dem Abhitzedamp-
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ferzeuger erfolgen. Umgekehrt kann bei steigender Stromnachfrage zur weiteren Leistungsanhebung oder zur Beschleunigung des Anfahrvorganges zusätzlicher Dampf aus dem Wärmespeicher entnommen werden. Bei dem hier dargestellten Wärmespeicherkonzept mit Kapazität von 27 MWh elektrischer Leistung, Abb. 3 oben rechts, kommt es bei der Entnahme von Dampf aus dem Speicher zum Druckabfall im Speicher. Die entnommene Dampfmenge ist dabei proportional der Leistungssteigerung (STIG-Rate). Durch den gewählten 1-Druck-Dampfprozess ist der Speicherdruck relativ hoch. Da jedoch auf einen Großteil der im Abhitzedampferzeuger erforderlichen Trommeleinbauten verzichtet werden kann, ist dennoch eine kostengünstige
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Abb. 4. TopES – Thermopotentialspeicher (thermo potential energy storage)
Lösung möglich. Die erreichbaren Entladezeiten für 50 %, 100 % und 225 % STIG-Rate und die verfügbare Mehrleistung über die angegebene Entladezeit zeigt Abb. 3 in der rechten, unteren Darstellung. Das STIG-Speicherkonzept ermöglicht die großtechnische Energiespeicherung am Kraftwerksstandort mit verfügbaren, robusten und kostengünstigen Komponenten. Eine weitere Möglichkeit zur Aufnahme von überschüssiger, regenerativ produzierter elektrischer Leistung aus dem Netz und zur Flexibilisierung von GuD-Kraftwerken entsteht aus der Zusammenschaltung von Hochtemperaturwärmepumpe, Wärmespeicher (TES) und ORC (Organic Rankine Cycle). Abbildung 4 oben links zeigt das Funktionsprinzip eines Thermopotentialspeichers (TopES = Thermo potential Energy Storage). Es wird Abwärme mit Hilfe einer Wärmepumpe auf ein für einen Niedertemperaturprozess geeignetes Mindesttemperaturniveau gehoben und in einem Wärmespeicher aufbewahrt, um die gespeicherte thermische Energie zu einem späteren Zeitpunkt in elektrische Energie umzuwandeln. Es konnte nachgewiesen werden, dass die vorgeschlagene TopES-Konzeption wirtschaftliche, technische und betriebliche Vorteile gegenüber Power to Heat-Lösungen mit Elektroheizkesseln bietet [6]. Zur Veranschaulichung des thermodynamischen Potenzials ist in Abb. 4 unten links ein Energieflussdiagramm des TopES-Konzeptes dargestellt. Die Hochtemperaturwärmepumpe hebt mit Hilfe von elektrischer Antriebsenergie Abwärme mit einer Temperatur von 85 °C auf ein Temperaturniveau von 140 °C. Der Wärmepumpen-COP (Coefficient of Performance) beträgt 4,1. Die zu einem späteren Zeitpunkt erfolgende Rückverstromung wird mit einem ORC durchgeführt. Der Organic Rankine Cycle wird mit organischen Arbeitsmitteln betrieben. Die verwendeten Arbeitsmittel haben bei gleichem Druck deutlich niedrigere
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Siedetemperaturen als Wasser. So kann die gespeicherte thermische Energie mit Hilfe eines Turbosatzes in einem Temperaturbereich von etwa 90 °C bis 350 °C in elektrische Energie umgewandelt werden. Mit der nutzbaren Temperatur von 125 °C beträgt der ORCWirkungsgrad 15 %. Der TopES Strom-zu-Strom-Wirkungsgrad beträgt 60 %. Die entstehenden Wärmeverluste bewegen sich in einer Größenordnung von 5 %. Das entspricht 20 % bezogen auf die elektrische Energieaufnahme. Das TopES-Konzept ermöglicht den Wechsel zwischen autarkem und kombiniertem Betrieb mit dem GuD-Kraftwerk. Vorteilhaft ist zum Beispiel die Möglichkeit zur Aufnahme von Leistungsüberschüssen aus dem Stromnetz mit der Wärmepumpe zur Kompensation regenerativer Stromüberproduktion aufgrund des Einspeisevorranges. Mit Hilfe des Wärmespeichers besteht die Möglichkeit zur Einspeicherung und zeitversetzten Abgabe als thermische Energie in eine eventuell vorhandene Fern- oder Nahwärmeversorgung oder zur Warmhaltung von Kraftwerkskomponenten, zur Verkürzung von Anfahrvorgängen und zur Einsparung von Brennstoffen. Mit Hilfe des ORC kann aber auch wieder elektrische Energie aus der Wärme produziert werden. Diese kann zur Bereitstellung des Eigenbedarfes beim Kraftwerksstillstand (Stand-by-Betrieb), zur Abfederung des Leistungsbedarfes beim Anfahren oder auch als zusätzliche Leistung zur Netzeinspeisung (Spitzenlastabdeckung) genutzt werden. Analog zum STIG-Konzept mit Speicher kann auch der TopES-Wärmespeicher direkt mit Wärme aus dem Abhitzedampferzeuger oder über eine Anzapfung aus der Dampfturbine beladen werden, und es kommt zur Reduktion der elektrischen Leistungsabgabe des GuD-Kraftwerkes – je nach Konzept und Auslegung der TopES-Anlage auch ohne Teillastbetrieb des GUD-Kraftwerkes. Die
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Abb. 5. Elektrische und thermische Versorgung eines Einfamilienhauses
gespeicherte Wärme kann zu einem späteren Zeitpunkt unterschiedlich genutzt werden. Zum Beispiel, wenn das GuD-Kraftwerk nicht in Betrieb ist, zum Warmhalten oder mit Hilfe des ORC zur Stromproduktion. In Verbindung mit dem GuD-Kraftwerk ergeben sich so neue Betriebs- und Geschäftsmöglichkeiten. Um die technische Umsetzbarkeit des TopES-Konzeptes zu bewerten, wurde eine Anlage im MW-Leistungsbereich geplant. Eine Darstellung der Anlage zeigt Abb. 4 oben rechts. Es wurden eine elektrische Nettoleistung von 1,5 MW und eine thermische Speicherkapazität von 20 MWh festgelegt. Zur Wärmespeicherung wird ein Druckwasserspeicher bestehend aus 6 Behältern genutzt. Diese Konzeption erlaubt eine einfache Vergrößerung der Speicherkapazität mit Hilfe zusätzlicher Behälter. Die Einbindung der thermischen Speicherung in die STING- und TopES-Konzepte vermittelt eindrucksvoll ihre zukünftige Bedeutung zur zeitlichen Entkopplung der Strom- und Wärmeproduktion in thermischen Kraftwerken und bei Industrieverfahren, bei denen Strom und Wärme benötigt werden. Damit können diese signifikante Beiträge zur Flexibilisierung eines stark regenerativ geprägten Erzeugungssystems liefern. Die gegenwärtigen Entwicklungsrichtungen bei TES zielen v. a. auf die Steigerung der Energiedichte ab. Das bedeutet einen Übergang von der bereits in mittlerweile zahlreichen Fernwärmespeichern verwendeten Nutzung der sensiblen Wärme eines Stoffes (meistens Wasser) auf die Nutzung der latenten Wärme während des Phasenwechsels eines Speichermediums PCM (Phase Change Materials). Mit der Anwendung der latenten Wärme, wie z. B. von Salzhydraten oder Paraffinen, lassen sich die typischen Energiedichten von Wasser bei Temperaturen unter 80 °C auf ca. 120 kW h/m3 verdoppeln. Eine weitere Steigerung der Energiedichten und Arbeitstemperaturen ist über die Nutzung von thermochemischen Prozessen möglich. Darauf wird an dieser Stelle nicht weiter eingegangen 3.2 Dezentraler Bereich Im dezentralen Bereich eignen sich insbesondere PV-Kleinlagen (>10 kW) dafür, zukünftig einen Beitrag zur Flexibilisierung von dezentraler Strom- und Wärmeversorgung zu liefern. Die meisten von den gegenwärtig in Deutschland installierten 1,5 Mio. PV-Anlagen speisen ihre Stromüberschüsse ins Netz ein und liefern damit insbesondere zur Mittagszeit eine Leistungsspitze, die durch Netzbe-
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treiber beherrscht werden muss. Der sich bereits heute abzeichnende Trend zur Steigerung des Eigenverbrauchs durch Installation von Batteriespeichern ist systemisch positiv zu sehen, weil damit eine signifikante Netzentlastung erreicht werden kann. Durch Erweiterung von PV-Anlagen um elektrische Speicher lassen sich die erzielbaren Stromeigenverbrauchsraten von 30–35 % mehr als verdoppeln und Netzbezugskosten teilweise vermeiden. Zum Aufzeigen durch PV-Einspeisung entstehender Herausforderungen für das Netz und gleichzeitig existierender Flexibilitätspotentiale verwenden wir als Beispiel Privathäuser, siehe Abb. 5. In Deutschland werden in fast 13 Mio. Einfamilienhäusern ca. 60 TWh Strom verbraucht. Unter der Annahme einer 4–5 kW großen PV-Anlage würden mit 50-%iger Umsetzung von diesbezüglichen PV-Potentialen ca. 25–30 GW an zusätzlichen PV-Anlagen installiert und damit, mit insgesamt 70– 80 GW PV-Leistung, eine erhebliche Herausforderung für einen sicheren und stabilen Netzbetrieb darstellen. Hierzu stellen die an die PV gekoppelten Speicher eine wesentliche Flexibilitätskomponente auf der Ebene der Endverbraucher dar. Für die wirtschaftliche Verwendung eines Batteriespeichers sind einerseits die Entwicklung der Strom-Netzbezugskosten, andererseits der Investitionskosten und die Lebensdauer von Speichern entscheidende Treiber. Wie Abb. 6, linke Seite zeigt, ist unter Berücksichtigung der gegenwärtigen Entwicklung der o. g. Parameter davon auszugehen, dass in wenigen Jahren ein kombinierter PV- und Batteriebetrieb wirtschaftlicher sein wird als der Strombezug vom Netz. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, den eigenerzeugten PVStrom thermisch zu verwenden. Dazu eignet sich entweder eine Wärmepumpe für Niedrigenergiehäuser oder ein Heizstab im Warmwasserspeicher für ältere Häuser mit höherem Wärmeverbrauch, s. Abb. 6, rechte Seite. Für die Verwendung eines Heizstabs im thermischen Speicher sind die Öl- und Gaspreise maßgebend. Gleichzeitig spielt die Gegebenheit des Vorhandenseins einer konventionellen Heizung eine Rolle. Bei einem relativ hohen Wärme- und Warmwasserverbrauch eines typischen älteren Hauses kann der aus PV gespeiste Heizstab nur eine ergänzende Rolle in der Wärmeversorgung spielen und die variablen Kosten des Kesselbetriebs senken. Wie auch immer die Entscheidungen zukünftiger Investoren bei Alt und Neuhäusern oder größeren Privat- oder Industrieverbrauchern ausfallen werden, das Beispiel der Einfamilienhäuser zeigt hohe elektri-
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Abb. 6. Szenarien für Wirtschaftlichkeit von PV-Speicherbetrieb, Einfamilienhaus
Abb. 7. Verknüpfung von Erdgas-, Strom-, Wärmenetzen, Beispiel: GUD-Kraftwerk
sche und thermische Potentiale bei der Selbstversorgung, die an PVAnlagen in der post-EEG-Ära gekoppelt sind. Durch geeignete Auslegung von PV-Anlagen und Speichern können neben Wirtschaftlichkeit bei den Nutzern, systemisch positive Effekte der dezentralen Netzentlastung erreicht werden. 4. Sektorübergreifende Systemkopplung Die aufgeführten Beispiele zeigen vielfältige Möglichkeiten von Verknüpfung zwischen Endenergieträgern Strom und Wärme und vermitteln damit den Eindruck über Flexibilitätspotentiale, die es ermöglichen werden, immer größere Mengen an erneuerbaren Energien in die Versorgungssysteme zu integrieren. Wesentliche Flexibilitätskomponenten, die Übergänge zwischen einzelnen Energieträgern oder Umwandlungsverfahren ermöglichen, sind die thermischen und elektrischen Speicher. Auch die Brenn- und Treibstoffe sind neben Ihrer Funktion als Energieträger und Brennstoff als natürliche Kohlenwasserstoff-Speicher anzusehen. Bedingt durch ihre hohe Energie der chemischen Bindungen, weisen sie entsprechend hohe Energiedichten auf und besitzen damit einen natürlichen, wirtschaftlichen Vorteil gegenüber elektrischen oder thermischen Speichern. So besitzt beispielweise Heizöl mit ca. 10 kW h/l, eine et-
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wa 80fache Speicherdichte, verglichen mit typischen Speichern latenter Art. Abbildung 7 zeigt auf Basis eines gasbefeuerten GuDKraftwerkes eine solche Verknüpfung zwischen Erdgas-, Strom- und Wärmenetzen. Solche energieträgerübergreifende Verknüpfungen bieten Synergien an, die zukünftig immer intelligentere Nutzung von Strom aus erneuerbaren Energien ermöglichen und zwischensektorale Effizienzgewinne, wie sie z. B. im Wärme-, oder Mobilitätssektor möglich sind, freisetzen würden. Die bisher wahrgenommen Grenzen zwischen den einzelnen Energieträgern und ihren zugeordneten Infrastrukturen würden damit nach und nach weniger scharf werden. 5. Zusammenfassung Wie anfangs dieses Beitrags beschrieben, verursachen hohe Anteile erneuerbarer Erzeugung durch ihre volatile Einspeisung sinkenden Grundlastbedarf. Damit werden typische Grundlastkraftwerke, wie braunkohlebefeuerte Dampfkraftwerke, weniger oder gar nicht gebraucht. Wegen der im Rahmen der Energiewende erstrebten energiewirtschaftlichen Perspektive für weitere Braunkohlenutzung kann über Kohlevergasung eine besonders interessante Verkettung von Energieträgern und Umwandlungsverfahren als intermodales Kon-
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Abb. 8. Konzept zur flexiblen Braunkohlenutzung und Energiespeicherung
zept entworfen werden. Sie bietet beim Einsatz von Braunkohle hohe Potenziale hinsichtlich Versorgungssicherheit, Produkt- und Betriebsflexibilität sowie der Umweltverträglichkeit. Eine hohe Flexibilität dieses Konzepts ist gegeben durch anpassungsfähige Stromproduktion, Energiespeicherung, Wärmebereitstellung sowie Produktion von synthetischen Energieträgern und chemischen Produkten, wie u. a. SNG (Synthetic Natural Gas), Ammoniak oder Methanol (Abb. 8). Wie am Beispiel von Erdöl gezeigt, ermöglicht eine hohe Energiedichte von chemischen Verbindungen Einbindung und Speicherung von hohen Strommengen aus den wachsenden EE-Stromüberschüssen. Die als Teils des Konzepts vorgesehene Elektrolyse bietet neben dem Vorteil der Einbindung von Stromüberschüssen die Möglichkeit, LZA-Sauerstoff einzusparen und Wasserstoff flexibel in Produkte der Synthesestufen einzubinden. Potentiell niedrige kommerzielle Risiken werden mit Aufbau einer standardisierten Island aus vorhandenen und vielfach bewährten Lösungen, wie Luftzerlegung (LZA), Vergasung, SNG-Erzeugung, GuDAnlagen oder Elektrolyseure erwartet. Die Energiesysteme der Zukunft sind multimodal und smart. Durch die Verknüpfung von Versorgungssystemen für Elektrizität,
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Gas, Wasser, Wärme, Kälte und Kraftstoffe sowie die zukünftig mögliche Selbstorganisation mit Hilfe fortschrittlicher Informationsund Kommunikationstechnologien kann eine noch größere fluktuierende Stromproduktion auf Basis erneuerbarer Energien integriert werden. Gleichzeitig kann eine nachhaltige Perspektive für die Nutzung heimischer Braunkohleressourcen eröffnet werden. Literatur 1. Retzmann, D., et al. (2013): Integration der HGÜ ins Drehstromnetz – Erfahrungen, Vorteile und Perspektiven für ein hybrides Netz. In Vorträge der 11. ETG/GMAFachtagung/2013, Netzregelung und Systemführung, München, Deutschland. 2. Lenk, U., Pyc, I., Stuckenberger, P., Tremel, A. (2014): Sind GuD-Kraftwerke zukunftsfähig? In: 46. Kraftwerkstechnisches Kolloquium am 14 und 15 Oktober 2014 in Dresden. 3. Lenk, U., Tremmel, A. (2013): Flexibilisierung von Kraftwerken durch thermische Speicherung. In: 45. Kraftwerkstechtisches Kolloquium, 15 und 16 Oktober, Dresden. 4. Frutschi, H. U. (1999): Das Kombikraftwerk – Schlüssel zur thermischen Stromerzeugung aus Erdgas. ABB-Tech., 3, 12–18. 5. Heinisch, M., Trumpf, R. (1998): Erfahrungen aus der Planung, der Inbetriebnahme und dem ersten Betriebsjahr des GuD-Kraftwerkes der Gemeinschaftskraftwerk Tübingen GmbH. VDI-Ber., 1438, 93–121. 6. Weber, U., Rejek, E., Schrader, K. Power to Heat – Betriebserfahrungen mit einem 5 MW Elektrokessel. Vortrag am 23. April 2013 zum D-A-CH Workshop in München.
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