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Lufttaktventil
Impulsaufladung und Laststeuerung von Hubkolbenmotoren durch ein Lufttaktventil Das Lufttaktventil (LTV) stellt ein innovatives Konzept zur Optimierung der Ladungswechselvorgänge bei Hubkolbenmotoren dar. Mit einem Zusatzventil im Saugrohr, das in jedem Saughub den Ansaugquerschnitt äußerst schnell verschließt und wieder freigibt, werden über den gesamten Drehzahlbereich – vor allem aber bei geringen Motordrehzahlen – erhebliche Drehmomentsteigerungen erreicht. Außerdem können mit dem LTV zahlreiche weitere Zusatzeffekte dargestellt werden. Bei Mahle Filtersysteme GmbH, Stuttgart, wurde daher ein aktiv schaltendes LTV-System konzipiert und für eine Erprobung am Einzylindermotor aufgebaut.
1 Einleitung
Bei Verbrennungsmotoren wird im Idealfall eine möglichst gleichförmige und hohe Drehmomentkennlinie vom Leerlauf bis hin zu hohen Drehzahlen angestrebt. Ein solches Verhalten kann jedoch nur mit hohem Aufwand angenähert werden, da aufgrund von Schwingungsvorgängen im Saugrohr mit entsprechenden Resonanzfrequenzen und -drehzahlen viele Maßnahmen zur Drehmomentoptimierung nur in einem begrenzten Drehzahlband wirksam sind. Saugmotorkonzepte arbeiten oft mit variabler Saugrohrlänge und mit Resonanzklappensystemen, um die Momentenkennlinie bis zum Teillastbereich möglichst füllig zu gestalten. Eine weitere
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Möglichkeit zur Drehmomentsteigerung stellen vollvariable mechanische, elektrohydraulische oder elektromechanische Ventiltriebe dar, bei denen durch eine Verschiebung der Ventilsteuerzeiten des Einlassventils der Ladungswechsel optimiert werden kann [1, 2]. Hohe Drehmomente bei geringen Drehzahlen führen zu verbessertem Fahrkomfort, zu agilerem Motorverhalten im transienten Fahrbetrieb und bieten durch die Möglichkeit niedertouriger Fahrweise ein nennenswertes Kraftstoffeinsparpotenzial. Ein bei Ottomotoren, hauptsächlich aber bei Dieselmotoren vielfach genutztes Mittel zur Erhöhung des Drehmoments unterhalb der Nenndrehzahl besteht darin, mit Abgasturboladern oder mechanischen Ladern mehr Luft in den Brenn-
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Die Autoren raum zu fördern. Diese Systeme weisen allerdings unterhalb von etwa 1500/min bis 2000/min eine ausgeprägte Drehmomentschwäche auf, Bild 1. Hinzu kommen im transienten Fahrbetrieb Einschränkungen bei der Dynamik des Motors, da bei Beschleunigungsvorgängen zunächst der Rotor des Turboladers beschleunigt werden muss, um einen dem Sollwert entsprechenden Luftmassenstrom bereitzustellen [3]. Eine interessante Alternative zur Drehmomentanhebung bis hin zu niedrigsten Drehzahlen stellt das Lufttaktventil (LTV) dar, mit dessen Hilfe theoretisch das Nennmoment des Motors bis hinunter zur Leerlaufdrehzahl ohne Längen- oder Resonanzklappenschaltung im Saugrohr aufrecht erhalten werden kann. Das Konzept ist insbesondere in der Lage, die bei einem Lastsprung geforderte Luftmasse ohne Ansprech- oder Verzögerungszeiten bereits im nächsten Zyklus in den Brennraum zu fördern. Mit dem LTV kann die Länge der Saugarme sehr kurz gehalten werden, so dass erhebliche Packagevorteile gegenüber herkömmlichen Schwingrohrsystemen bestehen. Daher verspricht besonders für aufgeladene kleinvolumige Motoren die Kombination des LTV mit einem Abgasturbolader, durch den als sofortige Reaktion auf den Fahrerwunsch gesteigerten Mas-
sendurchsatz, eine erhebliche Steigerung der Dynamik des Fahrzeugs. Zusätzlich kann eine Verbrauchsreduzierung sowie ein Vorteil bezüglich der Schadstoffemissionen erwartet werden. Die technische Realisierung des Lufttaktventils stellt allerdings höchste Anforderungen an mechanische Bauteile, Antriebsauslegung und Steuerelektronik, da große Querschnittsänderungen mit extrem kurzen Umschaltdauern zu definierten Zeitpunkten im Motorzyklus umgesetzt werden müssen. 2 Idee und Funktionsweise des Lufttaktventils
Die Grundidee des LTV basiert auf einer Beeinflussung des Ladungswechsels durch eine stromauf des Einlassventils angeordnete gesteuerte Klappe im Saugrohr. Mit diesem Ventil wird die Luftmasse in weiten Bereichen bedarfsgerecht zugemessen und gegenüber der ‚natürlichen‘ Ansaugung noch weiter gesteigert. Die Luftmassenerhöhung, die so genannte dynamische Aufladung, wird dadurch erreicht, dass die Öffnungs- und Schließvorgänge der LTV-Klappe in Abhängigkeit der Betriebsparameter des Motors relativ zur Bewegung von Einlassventil und Kolben gesteuert werden können.
Dr.-Ing. Alfred Elsäßer ist Projektleiter Lufttaktventil in der Vorentwicklung der Mahle Filtersysteme GmbH, Stuttgart. Dipl.-Ing. Wolfgang Schilling ist Elektronikentwickler bei Mahle Filtersysteme GmbH, Stuttgart. Dipl.-Ing. Jan Schmidt ist Messtechnik- und Steuersoftwareentwickler bei Mahle Filtersysteme GmbH, Stuttgart. Dipl.-Ing. Kay Brodesser ist Bereichsleiter Versuch/Vorentwicklung der Mahle Filtersysteme GmbH, Stuttgart. Dr.-Ing. Oskar Schatz ist Geschäftsführer der Fa. Schatz Thermo Engineering, Erling-Andechs.
1 Einleitung Bild 1: Drehmomentcharakteristika von Ottomotoren mit Schaltsaugrohr, Abgasturbolader, Kompressor und mit Lufttaktventil Figure 1: Torque characteristics of SI-engines with variable intake manifold geometry, turbocharger, and compressor as well as with the LTV concept
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Lufttaktventil
2 Idee und Funktionsweise des Lufttaktventils
Bild 2: Prinzipbilder aus den Patentschriften Figure 2: Schematics of the patent documents
Das Motoreinlassventil öffnet und der Kolben beginnt mit dem Ansaughub, während das LTV zunächst noch geschlossen bleibt. Die im Zwischenraum zwischen LTV und Einlassventil befindliche Luft wird in den Brennraum expandiert. Ist ein ausreichender Unterdruck aufgebaut, wird das LTV geöffnet und die Frischluft strömt mit hoher Geschwindigkeit ein. Als dem Massentransport überlagerter Effekt läuft dabei eine Unterdruckwelle von der Klappe zum Sammler und wird am Saugrohreinlauf als Überdruckwelle zum Brennraum hin wieder reflektiert. Am Kolbenboden wird die einströmende Luft wieder verzögert und in Richtung Saugrohr erneut reflektiert, wobei sich eine Rückströmung ausbildet. Die Druckerhöhung durch die Umsetzung der kinetischen Energie in potenzielle Energie und der Schwingungen im Saugrohr werden zur Erhöhung der Luftmasse genutzt, indem entweder das LTV rechtzeitig vor dem Beginn der Rückströmung geschlossen wird, oder der Vorgang zeitlich so abgestimmt ist, dass das Motoreinlassventil den erhöhten Druck im Brennraum einschließt. Durch das LTV-Verfahren kann sowohl die einströmende Luftmasse erhöht werden, als auch die in weiten Drehzahlbereichen auftretende Rückströmung gegen Ende des Einlassvorgangs verhindert werden. Das LTV-Verfahren wurde bereits 1987 durch Patente geschützt [4,5], die generell
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zwei Lösungsmöglichkeiten beschreiben, Bild 2. Der vom Aufwand her einfachste Ansatz ist das gesteuerte Rückschlagventil, bei dem die Energie zum Öffnen der Klappe durch die Druckdifferenz zwischen dem Sammler des Ansaugsystems und dem Brennraum mit dem ansaugenden Kolben bereitgestellt wird. Beim Öffnen der Klappe wird eine Feder gespannt, welche die Energie zum Schließen des Rückschlagventils bereitstellt. Die Anordnung kann nun durch die öffnende Druckdifferenz und die schließende Federkraft bei abklingender Einströmung oder bei einsetzender Rückströmung betrieben werden. Zusätzliche Vorteile bietet eine elektromagnetische Ansteuerung der Rückschlagklappe, indem durch zeitliche Abstimmung im jeweiligen Motorbetriebspunkt die oben erläuterten Effekte, wie zum Beispiel der Aufbau eines hinreichenden Unterdrucks, zielgerichtet genutzt werden. Ergebnisse aus Untersuchungen mit einem gesteuerten Rückschlagventil wurden von Kreuter et al. [6] vorgestellt und zeigen die beachtlichen Möglichkeiten der Füllungserhöhung bereits mit einem solchen System. Eine Erweiterung der Leistungsfähigkeit des Systems wird durch die Ausrüstung der LTV-Klappe mit einem externen Antrieb erreicht, wie es in Bild 2 schematisch angedeutet ist. Die Klappensteuerung wird somit unabhängig von der
aktuellen Druckdifferenz zwischen Sammler und Brennraum sowie der lokalen Gasgeschwindigkeit am Rückschlagventil. Dadurch können einerseits zur Ausnutzung von Aufladeeffekten noch günstigere Schaltzeitpunkte realisiert werden, andererseits wird damit eine drosselfreie Laststeuerung des Motors durch die beliebige zeitliche Verschiebung der LTV-Öffnung gegenüber der Einlassventilöffnung darstellbar. Bei der Verwendung einer Klappe mit zeitlich frei ansteuerbarem Antrieb bietet sich noch eine weiter führende Verfahrensvariante zur Drehmomentsteigerung an, das in [7] beschriebene zweimalige Takten der Einströmung in der Ansaugphase. Durch das zweimalige Auslösen von Einström- und Schwingungsvorgängen der im Saugrohr befindlichen Luft während der Öffnungsdauer des Einlassventils ist eine nochmalige Steigerung der Zylinderfüllung gegenüber dem einmaligen Takten des LTV zu erreichen. Darüber hinaus sind mit einem solchen Klappensystem zahlreiche weitere verfahrenstechnische Möglichkeiten denkbar, die im nächsten Abschnitt näher ausgeführt werden. 3 Möglichkeiten der Ladungswechselbeeinflussung
Beim Betrieb einer schnell schaltenden Klappe mit frei ansteuerbarem Antrieb im Saugrohr können verschiedene Funktionen zur Ladungsbeeinflussung dargestellt werden. Sie betreffen einerseits die Regelung der Luftmasse im Brennraum und andererseits thermodynamische Effekte zur gezielten Erhöhung oder Verminderung der Temperatur der einströmenden Frischluft. 3.1 Dynamische Aufladung am Saugmotor (Impulsaufladung)
Die dynamische Aufladung sorgt für eine erhöhte Luftmasse im Brennraum durch das ein- oder zweimalige Öffnen der LTVKlappe während der Öffnungsphase des Einlassventils. Durch den oben bereits beschriebenen Vorgang wird die Luftsäule im Ansaugtrakt zu definierten Zeitpunkten beschleunigt und wieder verzögert und dadurch zum Schwingen angeregt. Entscheidend für die Funktion ist es, die beim Schwingvorgang induzierten Druckwellen so mit den Motoreinlassventilen im Brennraum einzuschließen, dass die daraus resultierende Dichteerhöhung zur Verbesserung der Zylinderfüllung führt, Bild 3. Das zweimalige Schalten des LTV im Ansaughub stellt allerdings sehr hohe Anforderungen an die Dynamik der Klappe und an die Reproduzierbarkeit der Schaltvorgänge.
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Grundsätzlich tritt die Wirkung des LTV bei Laständerungen, etwa bei Beschleunigungsvorgängen, ohne Verzögerungen ein. Weitere Vorteile bringt dieses Verfahren durch die Nutzbarkeit der dynamischen Aufladung ab dem Start des Motors. Außerdem wird aufgrund der hohen Einströmgeschwindigkeit der Frischluft in den Öffnungsphasen der LTV-Klappe die Gemischaufbereitung durch intensivere Ladungsbewegungen unterstützt. Die daraus resultierende Homogenisierung des Gemischs und die Beschleunigung der Verbrennung bietet ein Potenzial zur Verringerung der HC-Rohemissionen des Motors sowohl beim Start als auch im regulären Motorbetrieb. 3.2 Unterstützung von Ladermotoren und Nachladung aufgeladener Motoren
Bei Verwendung von mechanischen Ladern und von Abgasturboladern bietet das LTV zusätzliche Möglichkeiten zur Steigerung des Luftmassenstroms und zur Verbesserung der motorischen Eigenschaften. Besonders bei Turboladern wird durch dynamische Aufladung das Ansprechverhalten des Laders deutlich beschleunigt. Beim Start des Motors führt die vorverdichtete Luft im Brennraum zu höheren Verdichtungsendtemperaturen und verbessert dadurch den Kaltstart. Da der Luftmassenstrom bereits bei niedrigem Drehzahlniveau durch das LTV angehoben wird, kann der Ladedruck verringert werden. Die Belastung des Verdichters sinkt. Daher ist es denkbar, kleinere Lader zu verwenden und auf Turbolader mit variabler Geometrie und aufwändiger Schaufelverstellung zu verzichten. Energetisch sinnvoll und von hohem Wert für die Aufladung bei niedrigen Drehzahlen sowie zur drastischen Verbesserung des Instationärverhaltens von Ladermotoren ist die Verfahrensvariante „Nachladung“. Hierbei wird zunächst unverdichtete Luft vom Kolben angesaugt. Im Bereich des unteren Totpunkts wird durch einen parallelen Trakt des LTV-Systems verdichtete Luft aus dem Lader zugeführt [8]. Die Luftmasse im Brennraum steigt dadurch um etwa 50% von einem Zyklus zum nächsten. Durch den Verdichter fließt somit nur ein Teil der Brennluft und durch dynamische Aufladeeffekte kann zusätzlich noch die Verdichtung im Lader reduziert werden. Dies führt zu kompakter Baugröße und niedrigem Energiebedarf für den Lader, weil aus-
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schließlich der durch den Lader fließende Teilstrom verdichtet werden muss. Die Umschaltung von normalem Laderbetrieb bei offenem LTV auf Nachladung führt zur plötzlichen Entlastung des Verdichters und gleichzeitig zur Erhöhung des Massenstroms durch die Turbine des Abgasturboladers. Dadurch steht mehr Luftmasse für die Verbrennung zur Verfügung, die zur weiteren Leistungserhöhung dienen kann. Beim Dieselmotor kann diese Luftreserve weiterhin zur
Anpassung des Kraftstoff-Luft-Verhältnisses aus Emissionsgründen verwendet werden. 3.3 Drosselfreie Laststeuerung
Die drosselfreie Laststeuerung ist ein wichtiger Schritt zu erheblichen Teillastverbrauchsreduzierungen beim Ottomotor durch die Minimierung der Ladungswechselschleife. Die Öffnungsdauer des LTV wird entsprechend dem Luftbedarf des Motors angepasst.
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Um kleinste Luftmassenströme zu realisieren, kann auch eine Phasenverschiebung zwischen der LTV-Öffnung und der Einlassventilöffnung eingestellt werden, so dass sich beide Öffnungszeiten nur geringfügig überschneiden. Damit verliert die schnelle Schaltzeit der Klappe für dieses Verfahren an Bedeutung. Dagegen kommt der Leckage an der Klappe sowie der Größe des Volumens zwischen LTV und Einlassventil höhere Beachtung zu, da die dort eingeschlossene Luftmasse beim Ansaugvorgang im Brennraum zur Verfügung steht. Bei Verwendung einer unabhängig von den Motorventilsteuerzeiten schaltbaren Klappe können in einfacher Weise verschiedene Verfahrensweisen wie FrühesEinlass-Schließen (FES) oder Spätes-Einlass-Öffnen (SEÖ) in Verbindung mit einem konventionellen mechanischen Ventiltrieb dargestellt werden, um den Teillastbetrieb des Motors zu optimieren. Dabei bestehen sehr hohe Anforderungen an die Genauigkeit der Klappenschaltung, um die angesaugte Luftmasse auf den Leerlaufbedarf zu begrenzen. 3.4 AGR-Steuerung
Analog zur Nachladung bei aufgeladenen Motoren kann auch die Abgasrückführung zylinderselektiv so gesteuert werden, dass zunächst Abgas angesaugt und während des Saughubs auf die Ansaugung von Frischluft umgeschaltet wird.
Damit ist eine definierte Ladungsschichtung im Brennraum möglich, die weitere Variationsmöglichkeiten bezüglich Einströmgeschwindigkeit und Ladungsbewegung bietet. 3.5 Wärmeladung
Bei der Wärmeladung wird nicht eine Zunahme der Luftmasse, sondern eine Temperaturerhöhung der angesaugten Luft im Brennraum angestrebt, um beim Kaltstart und in der Warmlaufphase positiven Einfluss auf die Gemischbildung bei Otto- und Dieselmotoren auszuüben. Dieser Vorgang kann bereits bei den ersten Motorumdrehungen durch den Anlasser eingesetzt werden. Gelingt es, die Lufttemperatur entsprechend weit zu erhöhen, kann prinzipiell ein Entfall der Glühstifte beim Dieselmotor erfolgen. Darüber hinaus springt das Abgasnachbehandlungssystem deutlich schneller an, was die Erfüllung der D4-Abgasnorm auch für den Dieselmotor und die Kabinenheizung im Fahrzeug erleichtert. Eine andere Möglichkeit ist es, aus Verbrauchsgründen bei Dieselmotoren das Verdichtungsverhältnis zu verringern, ohne deren Kaltstartfähigkeit zu beeinflussen. Die Temperaturerhöhung resultiert aus einer Zustandsänderung der angesaugten Frischluft. Zunächst sinkt der Druck im Zylinder bei geschlossenem LTV und geöffnetem Einlassventil durch die Kolbenbewegung stark ab. Das eingeschlossene
Gemisch aus Restgas und Frischluft wird expandiert. Da über die Zylinderwände ausreichend Wärme zugeführt werden kann, soll dieser Vorgang als isotherm betrachtet werden. Nach dem Öffnen des LTV füllt sich der Zylinder in sehr kurzer Zeit. Dabei wird die Luft durch den hohen Unterdruck auf sehr große Geschwindigkeiten beschleunigt. Thermodynamisch entspricht dieser Vorgang einer Verdichtung der angesaugten Luft innerhalb des Zylinders, der eine Temperaturerhöhung zur Folge haben muss. Die Größe der erzielten Temperaturdifferenz ist abhängig vom Öffnungszeitpunkt und der Öffnungsdauer des LTV sowie der Leckage an der geschlossenen Klappe. Der sich einstellende hohe Luftaufwand, die hohen Einströmgeschwindigkeiten und die erhöhte Verdichtungsendtemperatur erlauben bei verbesserter Verbrennungsqualität eine Mehreinspritzung an Kraftstoff. Dies führt zu höheren Abgastemperaturen beim Kaltstart, zu reduzierten Verbrennungsgeräuschen, zu schnellerem Warmlauf, zu verbesserter Lastannahme des Motors und zu verringerten Kaltstartemissionen. Voraussetzung ist auch bei dieser Verfahrensweise eine sehr schnell schaltende Klappe, welche eine ausreichend schnelle Zuströmung der angesaugten Luft in den Zylinder ermöglicht und die Rückströmung am Ende der Saugphase verhindert.
3.1 Dynamische Aufladung am Saugmotor (Impulsaufladung) Bild 3: Schaltungsprinzip der zweimaligen LTV-Taktung in der Ansaugphase zur Drehmomentsteigerung Figure 3: Principle of the LTV doubleswitching while the intake stroke for torque increase
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4.2 Ausgeführter Prototyp 3.6 Kälteladung aufgeladener Motoren
Entsprechend zur Wärmeladung kann das LTV auch dazu verwendet werden, die Temperatur der Luft im Brennraum aufgeladener Motoren gezielt zu reduzieren. Durch Frühes-Einlass-Schließen (FES) wird durch den Lader verdichtete und durch den Wärmetauscher vorgekühlte Ladeluft im Brennraum eingeschlossen, durch die Kolbenbewegung expandiert und dadurch weiter abgekühlt. Diese Temperaturabsenkung bewirkt ihrerseits eine Verringerung von Temperatur und Druck bei Verdichtungsende im Brennraum, welche die NOx-Bildung bei Otto- und Dieselmotoren sowie die Klopfneigung bei Ottomotoren reduziert. Alternativ dazu ist ein höherer Laderdruck mit der daraus resultierenden höheren Verdichtungsendtemperatur realisierbar, was zu weiterer Drehmomentund Leistungsanhebung des Motors genutzt werden kann. 3.7 Zylinderabschaltung
Eine weitere Verfahrensvariante ist die alternierende Abschaltung der Einlässe
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Bild 4: LTV-Prototyp für die Erprobung am Einzylindermotor Figure 4: LTV prototype for investigations at a single-cylinder engine
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5.1 Luftaufwandsteigerung durch dynamische Aufladung
Bild 5: Steigerung des Luftaufwands mit Lufttaktventil bei zweimaligem Takten in der Ansaugphase am geschleppten Motor Figure 5: Increase of delivery ratio using LTV with double-opening during in the intake stroke of the motored engine
Bild 6: Druckverlauf vor und hinter dem Lufttaktventil bei zweimaligem Takten in der Ansaugphase am geschleppten Motor Figure 6: Pressure plot upstream and downstream of the LTV flap during the double-opening in the intake stroke at the motored engine
einzelner Zylinder im Teillastbetrieb, was in einfacher Weise durch ein während des Ansaugvorgangs geschlossenes LTV realisiert wird. Die Luftversorgung abgeschalteter Zylinder kann dabei periodisch wieder zugeschaltet werden, um das Auskühlen des Brennraums zu verhindern, wie es beispielsweise mit elektromechanischen Ventiltrieben möglich ist [9]. Auch dieser Vorgang kann in einfacher Weise in Verbindung mit einem konventionellen mechanischen Ventiltrieb dargestellt werden. Dabei wird in erster Linie die Verschiebung der arbeitenden Zylinder zu höherer Last genutzt. Im Gegensatz zur
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elektromagnetischen Ventilsteuerung mit der Möglichkeit zum vollständigen Verschließen aller Ventile muss zusätzliche Verschiebearbeit vom Motor verrichtet werden, da das Auslassventil weiterhin öffnet. 4 Prototyp für Motorversuche
Um einen Nachweis der Funktion der LTVVerfahrensvarianten führen zu können, wurde ein Prototyp konzipiert und aufgebaut, der eine motorische Erprobung des Systems ermöglichte. Das Hauptinteresse lag dabei auf der Untersuchung der dynamischen Aufladung des Motors.
4.1 Randbedingungen und Konzeption
Für die dynamische Aufladung sind sehr kurze Schaltzeiten des LTV notwendig. Umfangreiche Voruntersuchungen durch eindimensionale Ladungswechselberechnungen mit dem Programm GT-Power zeigten deutlich, dass Schaltzeiten der Klappe (Öffnungs- oder Schließvorgang) um ΔtS = 2 ms erforderlich sein werden, um das Potenzial vollständig auszuschöpfen. Aus diesem Grund wurde als Klappendirektantrieb ein Feder-Masse-Schwinger ausgewählt, der an der Klappenwelle angreift. Die Bewegung des Schwingsystems wird dabei durch zwei unabhängig von-
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5.2 Drehmomenterhöhung durch dynamische Aufladung
Bild 7: Luftaufwand- und Drehmomentanhebung am geschleppten und gefeuerten Motor Figure 7: Increase of delivery ratio and engine torque with LTV on the motored and the fired engine
einander schaltbare Umkehrhubmagnete gesteuert, zwischen denen ein Schwenkanker federunterstützt schwingt. Das bietet den Vorteil, dass beim Start ein Aufschwingen in der System-Resonanzfrequenz erfolgen kann. Die zur Klappenbetätigung notwendige Energie ist dann als Federenergie gespeichert und für die Beschleunigung sofort nutzbar. Beim eigentlichen Umschwingvorgang müssen daher nur die bei der Bewegung auftretenden Verluste ausgeglichen werden, was einen geringen Energiebedarf des Antriebs zur Folge hat. Eine weiterer Vorteil besteht darin, dass eine sofortige Richtungsumkehr das Schwenkankers nach dem Anschlagen realisiert werden kann, was die Flexibilität des LTV-Antriebs bezüglich der Lage der Schaltzeitpunkte weiter erhöht. 4.2 Ausgeführter Prototyp
Als Versuchsmotor wurde ein Rotax BMW F650 Einzylindermotor mit einem Hubvolumen von 650 cm3 ausgewählt. Der Motor hat zwei symmetrische Einlasskanäle und war mit einer Otto-Direkteinspritzung ausgestattet, was einen ungehinderten Zugang zur Saugleitung und eine einfache Adaption des LTV-Antriebs ermöglicht. Der Motor wurde für die Messungen mit einem sehr kurzen Saugrohr von 280 mm Länge ausgestattet. Die LTV-Klappe, eine symmetrische Drehklappe in einem rechteckigen Kanalquerschnitt von 30 mm × 60
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mm, Bild 4, befindet sich vor der Verzweigung der Saugleitung in die beiden Einzelkanäle. Aufgrund der bereits recht großen Rohrlänge innerhalb des Zylinderkopfes beträgt das Verhältnis zwischen der Summe aller Schadvolumina (Brennraum, Kanäle im Zylinderkopf, Saugrohr bis zur Klappe) und dem Hubvolumen ΣVc / VH = 0,48. Die Eigenfrequenz des schwingungsfähigen Feder-Masse-Systems wird von der in der Ankerwelle untergebrachten Torsionsfeder sowie den Trägheitsmomenten von Schwenkanker und Klappe bestimmt. Da insbesondere die dynamische Aufladung mit den notwendigen schnellen Schaltzeiten detailliert untersucht werden sollte, wurde die Auslegung derart durchgeführt, dass Öffnungs- und Schließzeiten von ΔtS = 2,1 ms realisiert werden konnten. Variationen der Umschaltdauer sind mit der Änderung des Massenträgheitsmoments durch Zusatzgewichte möglich. Zur Bestimmung der aktuellen Stellung der Klappe befindet sich am freien Wellenende ein Drehwinkelsensor. Die Magnete zur Steuerung der Umschaltvorgänge sind als U-Magnete ausgebildet, die unter einem Winkel von 45° zueinander ausgerichtet sind. Die wechselseitige Ansteuerung des Akuators erfolgt mit der für diesen Antrieb entwickelten Leistungselektronik, welche die Abfolge von Leistungs- und Haltebestro-
mung an den Magneten steuert. Beim Umschwingen des Ankers wird der haltende Magnet abgeschaltet und am gegenüberliegenden Magneten zunächst eine Leistungsbestromung mit hohem Strom ausgelöst. Liegt der Anker am fangenden Magneten an, wird der Strom zeitgesteuert auf einen geringeren Haltestrom abgesenkt. Der Leistungsbedarf dieses Prototypen liegt zwischen 20 W und 30 W, abhängig von der Motordrehzahl. Wird ein Klappenbetrieb nicht gewünscht, kann der Anker in der offenen Stellung der Klappe gehalten werden. Ein wichtiges Merkmal für die Funktion des LTV ist eine geringe Leckage vom Saugrohr zum Raum zwischen LTV-Klappe und Einlassventil in geschlossener Klappenstellung. Die Abdichtung wurde über eine Aussparung von 2 mm Tiefe in der Saugrohrwand realisiert, Bild 4, in welche die Klappe mit geringem Spaltabstand hineinschwenkt und dann anschlägt. Durch eine entsprechende Justage des Antriebs wurde sichergestellt, dass in geschlossener Stellung die Klappenkanten über die Elastizität der Klappe leicht federnd an den Anschlagkanten im Saugrohr anliegen. Bei der Antriebsauslegung wurde besonderes Augenmerk auf das Erreichen sehr kurzer Schaltzeiten gelegt, um besonders die Effekte der dynamischen Aufladung und der Wärmeladung sicher nachweisen zu können. Weitergehende Fra-
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5.3 Erforderliche LTV-Schaltzeit bei dynamischer Aufladung Bild 8: Luftaufwandgewinn in Abhängigkeit der LTV-Umschaltzeit ΔtS bei zweimaligem Takten in der Ansaugphase am geschleppten Motor Figure 8: Gain in delivery ratio dependent on the LTV switching duration ΔtS by double-switching on the motored engine
Bild 9: Bewegung der LTV-Klappe bei einer Variation der Umschaltzeit ΔtS am geschleppten Motor Figure 9: LTV flap timing for switching duration variations on the motored engine
gestellungen zur Dauerhaltbarkeit des Gesamtsystems und zur Lärmemission des Antriebs wurden bei dieser Prototypenentwicklung weitgehend ausgeklammert. 5 Funktionsnachweis am Einzylindermotor 5.1 Luftaufwandsteigerung durch dynamische Aufladung
Als Referenz für die dynamische Aufladung wird im Folgenden der Luftaufwand
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λL betrachtet. Der Luftaufwand beschreibt das Verhältnis zwischen gemessener Luftmasse und theoretischem Luftmassendurchsatz, der aus Hubvolumen VH und Drehzahl n gebildet wird. Da das Drehmoment bei stöchiometrischem Luftverhältnis λ = 1 in erster Näherung linear mit dem Luftaufwand am gefeuerten Motor steigt, stellt λL eine geeignete Vergleichsgröße zur Beurteilung von Ladungswechselvorgängen dar. Bild 5 zeigt λL am geschleppten Versuchsmotor als Funktion der Dreh-
zahl. Bedingt durch die kurze Saugrohrlänge ist λL bei niedrigen Drehzahlen recht gering. Wird das LTV bei gleichen Drehzahlen in der Ansaugphase zweimal geöffnet, ist bei optimalen Steuerzeiten eine erhebliche Steigerung des Luftaufwands erkennbar, die mit abnehmender Motordrehzahl stark ansteigt. Bei n = 1000/min beträgt der Luftaufwandgewinn etwa 13 % gegenüber der reinen Ansaugung ohne Klappenschaltung. Damit konnte die im Vorfeld durch Ladungswechselberechnun-
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5.4 Wärmeladung Bild 10: Lufttemperatur bei Einlassschluss und Luftmasse im Brennraum bei Wärmeladung n = 1000/min Figure 10: Air temperature and air mass in the combustion chamber at the inlet valve closure moment with heat charging n = 1000/min
gen vorhergesagte Luftaufwandanhebung bereits mit diesem Prototypen nahezu vollständig umgesetzt werden. Zur Illustration der im Saugsystem ablaufenden Ladungswechselvorgänge sind in Bild 6 die bei der Niederdruckindizierung gemessenen Druckverläufe im Saugrohr über dem Kurbelwinkel am geschleppten Motor aufgetragen. Eine Druckmessstelle befand sich stromauf der LTV-Klappe und charakterisiert somit das Druckniveau des Saugrohrs in Richtung Sammler. Die zweite Messstelle befindet sich in dem Volumen zwischen LTV-Klappe und Einlassventil. Zur Orientierung im Motorzyklus sind zusätzlich die Hubkurven der Ein- und Auslassventile sowie die Bewegung des Lufttaktventils aufgetragen. Die am Beispiel der Drehzahl von n=1000/min dargestellten Druckverläufe verdeutlichen sehr gut die physikalischen Vorgänge bei der dynamischen Aufladung des Motors. Bedingt durch die große Ventilüberschneidung zwischen Einlass- und Auslassventil ist es zunächst notwendig, das LTV zu Beginn der Einlassventilöffnung zunächst noch geschlossen zu halten, um das Einströmen von Abgas zu verhindern. Erst wenn das Auslassventil weitgehend geschlossen ist, wird der Ansaugquerschnitt von der LTV-Klappe freigegeben und der verzögerte Einströmvorgang beginnt. Im Verlauf des Einlassventilhubs
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wird die Klappe wieder geschlossen. Der Druck in der Kammer zwischen LTV und Einlassventil sinkt aufgrund der Kolbenbewegung schnell um 150 mbar ab. Kurz vor dem Ladungswechsel-UT wird die Klappe ein zweites Mal sehr kurz geöffnet. Durch die Druckdifferenz schießt nochmals eine Luftströmung in den Brennraum hinein, bei der aufgrund von Reflexionen am Kolbenboden ein Druckanstieg von nahezu 100 mbar gegenüber dem Saugrohrdruck auftritt. Für die dynamische Aufladung wird diese Druckspitze im Zylinderraum festgehalten und ergibt damit eine signifikante Dichteerhöhung, welche die zusätzliche Masse in den Brennraum einbringt. In Bild 6 ist nach dem Schließen des Einlassventils der Druckabfall in der Kammer zwischen LTV und Einlassventil erkennbar, der durch Leckagen über die LTV-Klappe bedingt ist. 5.2 Drehmomenterhöhung durch dynamische Aufladung
In Bild 7 sind die am geschleppten Motor durchgeführten Luftaufwandmessungen den am gefeuerten Motor ermittelten Daten gegenübergestellt. Der gefeuerte Motor wurde mit und ohne LTV bei konstantem stöchiometrischem KraftstoffLuft-Verhältnis λ = 1 und bei gleichem Zündzeitpunkt betrieben, um eine direkte Vergleichsmöglichkeit des LTV-Einflusses auf den Motorbetrieb zu erhalten. Dabei
wurden zwei Betriebspunkte bei 1500/min und 2200/min untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass die geschleppten Luftaufwandmessungen sehr gut auf den gefeuerten Motorbetrieb übertragbar sind. Dabei ist auffällig, dass das Drehmoment bei λ=1 einen gegenüber dem Luftaufwand überproportionalen Anstieg aufweist. Das lässt darauf schließen, dass durch das zweimalige Takten des LTV – mit den daraus resultierenden hohen Luftgeschwindigkeiten – die Ladungsbewegung im Brennraum intensiviert und dadurch die Gemischaufbereitung positiv beeinflusst wird. Eine Bestätigung dafür liefert die Brennverlauf-Analyse der Motorzyklen mit und ohne LTV, die in Bild 7 für n = 1500/min dargestellt ist. Aufgrund der Klopfneigung des Motors ist beim Betrieb ohne LTV ein spätes Zünden notwendig. Das verschiebt den 50%-Umsatzpunkt weg vom wirkungsgradoptimalen Zeitpunkt, der bei 6 bis 8 Grad nach Zünd-OT liegt. Bei geschalteter LTV-Klappe ist dagegen ein um 20% schnelleres Durchbrennen des Gemischs im Zylinder zu erkennen. Das hat zur Folge, dass der 50%Umsatz trotz einer späten Zündung noch sehr nahe am Wirkungsgradoptimum ist und damit die Zustandsänderungen näher am Gleichraumprozess liegen. Der indizierte Mitteldruck steigt bei der dargestellten Drehzahl durch das LTV um Δpmi =
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9,8%. Anzumerken ist noch, dass der Luftaufwand nicht vollständig den Wert der geschleppten Messungen erreicht. Das ist in erster Linie darauf zurückzuführen, dass wegen einer nicht ausreichenden Dauerhaltbarkeit des Antriebs am gefeuerten Motor keine vollständige Optimierung der LTV-Steuerzeiten durchgeführt werden konnte. 5.3 Erforderliche LTV-Schaltzeit bei dynamischer Aufladung
Eine äußerst wichtige Einflussgröße auf den Nutzen des Lufttaktventils zur dynamischen Aufladung stellt die Schaltzeit des verwendeten LTV-Klappensystems dar. Bild 8 zeigt den Gewinn mit zweimaliger LTV-Taktung im Zyklus gegenüber dem Saugrohr ohne LTV, der bei Messungen mit unterschiedlichen Klappengeschwindigkeiten dargestellt werden konnte. Die Versuche mit veränderter Schaltzeit wurden durch die Variation von Trägheitsmomenten und Federsteifigkeiten am Antrieb realisiert. Dabei zeigt sich deutlich, dass eine schnelle Klappe mit Schaltzeiten um ΔtS = 2 ms notwendig ist, um die potenziell erreichbaren Gewinne auch umsetzen zu können. Beispielsweise fällt der Gewinn durch das LTV bei n = 1000/min auf die Hälfte ab, wenn die Schaltdauer der Klappe von ΔtS = 2,25 ms auf ΔtS = 5,5 ms ansteigt. Bei höheren Drehzahlen sinkt der Gewinn des Systems bei Schaltzeiten über ΔtS = 5 ms praktisch auf Null ab, da dann die doppelte LTV-Schaltung zunehmend weniger Nutzen für den Ladungswechselvorgang bringt. Die Erklärung dafür gibt die Analyse der jeweils luftaufwandoptimalen Schaltzeitpunkte mit zweimaliger LTV-Taktung für verschiedene Klappenschaltzeiten ΔtS, die in Bild 9 aufgetragen sind. Es ist zu erkennen, dass der Beginn der ersten LTVÖffnung jeweils zum gleichen Zeitpunkt stattfindet, wenn das Auslassventil nahezu geschlossen ist. Das vollständige Schließen des zweiten LTV-Schaltvorgangs ist ebenfalls in allen Fällen gleich und findet kurz nach dem unteren Totpunkt statt. Als günstig für den Luftaufwand erwies sich eine möglichst kurze zweite Öffnung des LTV. Theoretisch lässt sich die optimale Öffnungsdauer des zweiten Takts aus der Saugrohrund Einlasskanallänge bestimmen. Bei zu langsamer Umschaltzeit der Klappe wird dieser zweite Takt aber zu lang. Die verbleibende Zeit innerhalb der Öffnung des Einlassventils reicht dann nicht mehr aus, um eine positive Aufladewirkung zu realisieren.
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Mit längerer Schaltzeit der LTV-Klappe muss die vollständige Öffnung im ersten Schaltzyklus wesentlich früher beendet werden und der zweite Schaltzyklus beginnt sofort daran anschließend. Die im des zweiten Schaltzyklus einströmende Luftmasse wird dadurch eingeschränkt, dass vor dem zweiten Öffnen kein ausreichender Unterdruck in der Schließphase aufgebaut werden kann. Weiterhin ist am Einlassende mit langen LTV-Umschaltzeiten keine zielgerichtete Unterdrückung von Rückströmvorgängen aus dem Zylinder mehr möglich. Die Rückströmung findet dann zu schnell nach dem Beginn der Klappenöffnung statt, so dass das LTV zu diesem Zeitpunkt noch nicht wieder geschlossen werden kann. 5.4 Wärmeladung
Neben der dynamischen Aufladung wurde im Rahmen der Messungen am Einzylindermotor die Realisierbarkeit der Wärmeladung mit Hilfe eines einzelnen, kurzen Öffnens der LTV-Klappe im Zyklus näher untersucht. Ein charakteristisches Ergebnis umfangreicher Messungen bei n = 1000/min zeigt Bild 10. Die gesamte Öffnung der LTV-Klappe beträgt dort 30 °KW, was der kürzest möglichen Zeit von 4,5 ms (= 2 ΔtS) entspricht. Das 30°KW-Öffnungsfenster des LTV wurde über die Öffnungsphase des Einlassventils hinweg verschoben. Für die jeweiligen Betriebsfälle wurde die Temperaturerhöhung im Zylinderraum sowie die im Brennraum befindliche Luftmasse aus den gemessenen Druckund Temperaturdaten berechnet. Dabei zeigt sich, dass zum Zeitpunkt des Einlassschlusses Temperaturdifferenzen von bis zu ΔTES = 45 K gegenüber dem Motorbetrieb ohne LTV erreicht werden konnten, was für die Luftvorwärmung von Dieselmotoren beim Kaltstart ohne Glühstifte ausreichend ist. Die Indiziermessungen zeigen, dass an diesen Punkten der Brennraumdruck hinter der geschlossenen Klappe auf 0,46 bar bis zum Zeitpunkt der Klappenöffnung absinkt. Durch die intensive Einströmung aufgrund dieser Druckdifferenz wird die Frischluftmasse wegen dynamischer Aufladeeffekte trotz sehr kurzer Klappenöffnungsdauer auf das Niveau des reinen Saugbetriebs angehoben, so dass bei der Wärmeladung keine Einschränkung bezüglich der bei der Verbrennung zur Verfügung stehenden Luftmasse besteht. Die gesamte im Brennraum befindliche Gasmasse steigt durch Restgasanteile sogar um nahezu 25 % an. Für ideal dichte Systeme sind noch weitere Temperaturerhöhungen möglich.
6 Zusammenfassung und Ausblick
Das Lufttaktventil (LTV) stellt ein innovatives System zur Ladungswechseloptimierung dar. Es ermöglicht bei Otto- und Dieselmotoren eine Vielzahl von Verfahrensvarianten zur Beeinflussung von Luftmasse und -temperatur im Brennraum. Die technische Umsetzung eines solchen Systems stellt eine große Herausforderung dar, da extrem kurze Schaltzeiten im Bereich von jeweils 2 ms zum Öffnen und zum Verschließen des Ansaugquerschnitts erreicht werden müssen. Die Erprobung eines Prototypen an einem Einzylindermotor mit Otto-Direkteinspritzung ergab einen eindrucksvollen Nachweis der Funktionsfähigkeit des Lufttaktventils. Bei Versuchen zur Drehmomentanhebung durch dynamische Aufladung des Motors bis hin zu niedrigsten Drehzahlen wurde beispielsweise für n=1000/min ein Luftaufwandgewinn von 13% gegenüber reinem Saugbetrieb erreicht. Weiterhin konnte das schnellere Durchbrennen der Ladung im gefeuerten Betrieb durch die intensivierte Ladungsbewegung nachgewiesen werden. Ergebnisse der Wärmeladungsexperimente zeigen, bei unveränderter Frischluftmasse im Vergleich zur Ansaugung ohne Lufttaktventil, eine realisierte Temperaturerhöhung der angesaugten Luft im Zylinderraum bei Einlassschluss um ΔTES = 45 K, womit ein erhebliches Potenzial zur Verbesserung der Gemischbildung beim Kaltstart aufgezeigt werden konnte. Einige der in Abschnitt 3 aufgezeigten Verfahrensmöglichkeiten können theoretisch auch von vollvariablen mechanischen, elektromechanischen oder elektrohydraulischen Ventiltrieben abgedeckt werden. Mit den derzeit realisierbaren Schaltzeiten elektromechanischer Ventiltriebe von etwa 3 ms für den Öffnungsoder Schließvorgang sind jedoch Einschränkungen bei der Möglichkeit zur drosselfreien Laststeuerung für hohe Drehzahlen und auch bei der Wirksamkeit der dynamischen Aufladung gegeben. Der gravierende Nachteil dieser Ventiltriebe gegenüber dem Lufttaktventil ist jedoch der hohe Energieverbrauch dieser Systeme, der in der Größenordnung von 100 W je Antrieb liegt [2]. Diese verhältnismäßig hohen Leistungen werden zur Bewegung der großen Massen von Einlass- und Auslassventilen benötigt. Momentan sind bei Mahle Filtersysteme weiterführende Lufttaktventil-Versuche an einem Vierzylindermotor mit überarbeiteter Klappen- und Antriebskonstruktion mit reduzierter Schaltzeit von
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1,8 ms in Vorbereitung. Gegenüber den hier vorgestellten Versuchen konnte die Leistungsaufnahme der neuen Antriebe auf zehn Watt je Zylinder verringert werden. Damit ist ein Erfolg versprechender Einsatz des Lufttaktventils in Kombination mit konventionellen, preisgünstigen Ventiltrieben zur hochdynamischen Ladungssteuerung und Aufladung denkbar, das durch kurze Saugrohrlängen erhebliche Packagevorteile gegenüber herkömmlichen Schwingrohrsystemen aufweist. Literaturhinweise [1] Flierl, R., Hofmann, R., Landerl, C., Melcher, T., Steyer, H.: Der neue BMW VierzylinderOttomotor mit VALVETRONIC. Teil 1: Konzept und konstruktiver Aufbau. MTZ Motortechnische Zeitschrift 62 (2001) 6 [2] Salber, W. Kemper, H., van der Staay, F., Esch, T.: Der elektromagnetische Ventiltrieb – Systembaustein für zukünftige Antriebskonzepte, Teil 1. MTZ – Motortechnische Zeitschrift 61 (2000) 12 [3] Miersch, J., Reulein, C., Schwarz, Ch.: Rechnerischer Vergleich unterschiedlicher Motorenkonzepte zur Verbrauchsreduzierung und Dynamiksteigerung. 4. Internationales Stuttgarter Symposium Verbrennungskraftmaschinen, 20.–22.2.2001, expert-Verlag, Renningen, 2001 [4] Schatz, O.: Patentschrift DE 37 37 828 A1, 1987 [5] Schatz, O.: Patentschrift DE 37 37 824 A1, 1987 [6] Kreuter, P., Bey, R., Wensing, M.: Impulslader für Otto- und Dieselmotoren. 22. Wiener Motorensymposium, 26. – 27.04.2001 [7] Schatz, O.: Patentschrift DE 43 08 931 C2, 1993 [8] Schatz, O., Steidele, T.: Pulse charging – a new approach for dynamic charging. 2nd International Conference on New Developments in Powertrain and Chassis Engineering, Strasbourg, 14.–16.06.1989. ImechE-Paper C382/116, 1989 [9] Salber, W. Kemper, H., van der Staay, F., Esch, T.: Der elektromagnetische Ventiltrieb – Systembaustein für zukünftige Antriebskonzepte, Teil 2. MTZ – Motortechnische Zeitschrift 62 (2001) 1
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