CME Weiterbildung · Zertifizierte Fortbildung Hautarzt 2010 · 61:891–905 DOI 10.1007/s00105-010-2018-4 Online publiziert: 9. September 2010 © Springer-Verlag 2010 Redaktion
Prof. Dr. M. Meurer, Dresden Prof. Dr. S. Ständer, Münster Prof. Dr. R.-M. Szeimies, Recklinghausen
V. Oji Klinik und Poliklinik für Hautkrankheiten, Allgemeine Dermatologie und Venerologie, Münster
Klinik und Ätiologie der Ichthyosen Grundlage der neuen Nomenklatur und Klassifikation Zusammenfassung
Ichthyosen umfassen eine heterogene Gruppe genetisch bedingter Verhornungsstörungen, die die gesamte Haut betreffen und durch Hyperkeratose und/oder Schuppung charakterisiert sind. Nahezu alle Ichthyose-Formen sind genetisch aufgeklärt. Die weltweit erste Ichthyosis-Konsensusklassifikation wurde 2009 verabschiedet. Deren Nosologie orientiert sich am klinischen Erscheinungsbild und berücksichtigt neue pathogenetische Aspekte. Grundlegend werden nichtsyndromale von syndromalen Ichthyosen unterschieden. Die Bezeichnung ARCI/autosomal-rezessive kongenitale Ichthyose wird als Oberbegriff für Harlekin-Ichthyose, lamelläre Ichthyose und kongenitale ichthyosiforme Erythrodermie verwendet. Ichthyosen, die durch Keratinmutationen bedingt sind, werden unter dem Begriff KPI/keratinopathische Ichthyose geführt. Hierunter fallen die epidermolytische Ichthyose (EI) und die superfizielle epidermolytische Ichthyose (SEI). Anlaufstellen zur Diagnostik und Therapieberatung in Deutschland bieten das Netzwerk für Ichthyosen und verwandte Verhornungsstörungen (NIRK) und die Selbsthilfe Ichthyose e.V.
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Autosomal-rezessive kongenitale Ichthyose · Epidermolytische Ichthyose · Genodermatosen · Verhornungsstörungen · Keratinopathische Ichthyose
Clinical presentation and etiology of ichthyoses · Overview of the new nomenclature and classification Abstract
Ichthyoses comprise a heterogeneous group of Mendelian disorders of cornification (MEDOC) affecting the entire skin and characterized by hyperkeratosis and/or scaling. The genetic basis of almost all ichthyosis forms has been elucidated. In 2009, the worldwide first Ichthyosis Consensus Classification was approved. Its nosology is based on the clinical presentation and reflects recent pathogenic aspects. It distinguishes basically between non-syndromic and syndromic ichthyoses. The term ARCI/autosomal recessive congenital ichthyosis represents the umbrella for harlequin ichthyosis, lamellar ichthyosis and congenital ichthyosiform erythroderma. Ichthyoses due to keratin mutations are referred to as KPI/keratinopathic ichthyosis and include epidermolytic ichthyosis (EI) and superficial epidermolytic ichthyosis (SEI). In Germany the Network for Ichthyoses and Related Keratinization Disorders (NIRK) and the patient organization Selbsthilfe Ichthyose e.V. provide contact points for diagnostic and therapeutic questions.
Keywords
Autosomal recessive congenital ichthyosis · Epidermolytic ichthyosis · Genodermatoses · Cornification disorder · Keratinopathic ichthyosis
Der Hautarzt 10 · 2010
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Ichthyosen gehören zur klinisch und ätiologisch heterogenen Gruppe der genetisch bedingten Verhornungsstörungen. In den vergangenen Jahren wurden zahlreiche Fortschritte bei der Aufklärung der Pathogenese gemacht. Trotz fehlender kurativer Therapiemöglichkeiten stellt die verbesserte Diagnostik einen großen Gewinn für Betroffene dar. Darüber hinaus existiert zumindest eine Reihe symptomatischer Therapieoptionen. Das diagnostische Vorgehen beruht auf sorgfältigen anamnestisch klinischen Erwägungen, die durch Untersuchungen der Ultrastruktur der Haut oder durch spezielle nichtgenetische Befunde gestützt werden können. Der erfahrene klinische Blick bleibt somit weiterhin von großer Bedeutung für die Etablierung der molekularen Diagnose. Die vorliegende Darstellung soll wichtige Grundkenntnisse zur Klinik und Genetik der Ichthyosen vermitteln und bezieht sich auf die im August 2009 erstmalig verabschiedete internationale Nomenklatur und Klassifikation der Ichthyosen.
Klinisch erkennbar sind Ichthyosen an der Hyperkeratose und einer Erythrodermie
Abgesehen von wenigen Ausnahmen wie dem selbstheilenden Kollodiumbaby bleiben fast alle Ichthyosen zeitlebens bestehen
Heute sind nahezu alle Formen der Ichthyose genetisch aufgeklärt
Veranlagte Ichthyosen gehören zur klinisch und ätiologisch heterogenen Gruppe der genetisch bedingten Verhornungsstörungen („Mendelian disorders of cornification“, MeDOC). Klinisch erkennbar sind Ichthyosen an der sichtbaren Verdickung der Hornhaut (Hyperkeratose) – mit oder ohne Schuppung – und an einer mehr oder weniger stark ausgeprägten Erythrodermie [9]. Die 2 häufigsten Formen, d. h. die Ichthyosis vulgaris und die X-chromosomal-rezessive Ichthyose, machen sich meist im Verlauf des ersten Lebensjahrs bemerkbar [15]. Die erheblich selteneren kongenitalen Ichthyosen manifestieren sich unmittelbar bei Geburt entweder als sog. Kollodiumbaby oder als kongenitale ichthyosiforme Erythrodermie [18]. Abgesehen von wenigen Ausnahmen wie dem selbstheilenden Kollodiumbaby bleiben fast alle Ichthyosen zeitlebens bestehen.
Aus der Medizingeschichte ins molekulare Zeitalter In der Literatur werden Ichthyosen zuerst im Jahr 1731 beschrieben, als John Machin der Royal Society in London einen Mann mit (vermutlich) Ichthyosis Curth-Macklin vorstellte. Willan (1808) widmet der Erkrankung ein ganzes Buchkapitel – erstmals unter dem Begriff „Icthyosis“ [20]. Europäische Autoren des beginnenden 20. Jahrhundert definierten Ichthyose als Verhornungsstörung, die das gesamte Integument betrifft, und unterschieden hiervon Palmoplantarkeratosen und Erythrokeratodermie, prägten Begriffe wie Ichthyosis congenita, „Erythrodermie congénitale ichthyosiforme bulleus/non-bulleuse“ und entwickelten wegweisende Ideen zum genetischen Konzept, zur Histologie und Ultrastruktur. Die Bezeichnungen lamelläre Ichthyose und epidermolytische Hyperkeratose wurden 1966 durch eine amerikanische Arbeitsgruppe zusammen mit dem Konzept der Retentions- und Proliferationshyperkeratose vorgestellt [5]. Der Beginn des molekularen Zeitalters der Ichthyosen kann wohl 1978 in der Aufklärung des Steroidsulfatase-Mangels (s. X-chromosomal-rezessive Ichthyose, XRI) gesehen werden [13]. Heute – 200 Jahre nach Willan – sind nahezu alle Formen der Ichthyose genetisch aufgeklärt, zuletzt die KLICK-Erkrankung (Keratosis linearis ichthyosis congenita keratoderma; [3]). Zu entschlüsseln sind noch die kongenitale retikuläre ichthyosiforme Erythrodermie, weitere Gene der autosomal-rezessiven kongenitalen Ichthyose und jene der Erythrokeratodermia variabilis.
Neue Klassifikation und Nomenklatur: Schluss mit der Verwirrung! 7 Ichthyosis-Konsensuskonferenz von Sorèze Der Konsensus basiert auf der grundsätzlichen Unterscheidung nichtsyndromaler und syndromaler Ichthyosen
Trotz der vielen Fortschritte zur Pathogenese der Ichthyosen fehlte lange Zeit eine international einheitliche Nomenklatur und Klassifikation. Die 7 Ichthyosis-Konsensuskonferenz von Sorèze (Abstrakt-Heft: http://www.netzwerk-ichthyose.de/index.php?id=28) versammelte im Januar 2009 ein weltweit anerkanntes Expertenteam, das sich erstmalig auf eine neue uniforme Nomenklatur und ein gemeinsames Konzept zur Klassifikation einigte. Der Konsensus basiert auf der grundsätzlichen Unterscheidung nichtsyndromaler und syndromaler Ichthyosen und wurde im August 2009 endgültig in Form einer gemeinsamen Veröffentlichung verabschiedet [9]. Die Klassifikation erfolgt auf klinischgenetischer Basis und berücksichtigt somit wichtige ätiologische Aspekte. Von Bedeutung ist die spe
Sehr seltene nichtsyndromale Ichthyose mit Ähnlichkeiten zur Loricrin-Keratodermie.
Sehr seltene nichtsyndromale Ichthyose, die als ichthyosiforme Erythrodermie beginnt und im weiteren Verlauf
multiple weiße Flecken bildet („ichthyosis en confettis“).
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CME Tab. 1 Nomenklatur und Klassifikation der nichtsyndromalen Ichthyosen: nichtsyndromale Formen Erkrankung Vererbung Häufige Ichthyosena Ichthyosis vulgaris (IV) Autosomal-semidominant X-chromosomal-rezessive Ichthyose (XRI) XR Nichtsyndromales Auftreten Autosomal-rezessive kongenitale Ichthyosis (ARCI) Harlekin-Ichthyosis (HI) AR Lamelläre Ichthyosis (LI) AR Kongenitale ichthyosiforme Erythrodermie (CIE) ARCI-Varianten Selbstheilendes Kollodiumbaby (SHCB) „Bathing-suit-Ichthyose“ (BSI) Keratinopathische Ichthyose (KPI) Epidermolytische Ichthyose (EI) Superfizielle epidermolytische Ichthyose (SEI) KPI-Varianten Annuläre epidermolytische Ichthyose (AEI) Ichthyosis Curth-Macklin (ICM) Autosomal-rezessive epidermolytische Ichthyose (AREI) Epidermolytische Nävi Weitere nichtsyndromale Ichthyosen Loricrin-Keratodermie (LK) Erythrokeratodermia variabilis (EKV) „Peeling-skin-Erkrankung“ (PSD) Akraler Typ Kongenitale retikuläre ichthyosiforme Erythrodermie (CRIE) Keratosis-linearis-Ichthyosis-congenita-Keratodermie (KLICK)
AR
Gen(e) FLG STS
ABCA12 TGM1/NIPAL4/ALOX12B/ABCA12/Lokus auf 12p11-q13 ALOXE3/ALOX12B/ABCA12/CYP4F22/ NIPAL4/TGM1/Lokus auf 12p11-q13
AR AR
TGM1/ALOX12B/ALOXE3 TGM1
AD AD
KRT1/KRT10 KRT2
AD AD AR
KRT1/KRT10 KRT1 KRT10
Somatische Mutationen
KRT1/KRT10
AD AD AR AR AD (?) (Einzelfälle) AR
LOR GJB3/GJB4 „Publikation in Arbeit“ TGM5 Lokus unbekannt POMP
AD autosomal-dominant, AR autosomal-rezessiv, XR X-chromosomal-rezessiv. aIchthyosen mit meist verzögerter Manifestation.
zifische Definition des Oberbegriffs „ARCI“ (autosomal-rezessive kongenitale Ichthyose). Bei den vormals sog. „bullösen Ichthyosen“, die durch Keratinmutationen verursacht sind, konnte eine Einigung auf ein morphologisch pathogenetisches Konzept, das Eponyme umgeht (s. keratinopathische Ichthyose, KPI), erzielt werden. Überraschen mag die Aufnahme der Erythrokeratodermia variabilis (EKV) in die Gruppe der Ichthyosen – begründet dadurch, dass einige Patienten mit EKV eine generalisierte Verhornungsstörung aufweisen (. Abb. 3e). Insgesamt ergibt sich derzeit eine Liste von 18 nichtsyndromalen Ichthyosen (. Tab. 1) und 18 syndromalen Ichthyosen (. Tab. 2). Zukünftige Ergänzungen und Modifikationen sind möglich. Syndrome lassen sich am besten hinsichtlich markanter assoziierter Symptome überblicken, z. B. Haarveränderungen oder neurologische Symptome. Hinzu kommt eine Reihe von mehr als 10 verwandten Verhornungsstörungen, z. B. M. Darier, Papillon-Lefèvre-Syndrom, ektodermale Dysplasien u. a. Eine pathophysiologisch funktionell orientierte Klassifikation für alle MeDOC gilt als Fernziel [2, 12].
Insgesamt ergibt sich derzeit eine Liste von 18 nichtsyndromalen Ichthyosen und 18 syndromalen Ichthyosen
Diagnostisch hilfreiche Fragen Zur Eingrenzung der Ichthyosen bieten sich folgende klinische Fragen an: 1. G ibt es Hinweise für ein Ichthyosis-Syndrom? Nichtsyndromale Ichthyosen betreffen allein die Haut, bei syndromalen Ichthyosen sind weitere Organe, wie z. B. Haare, ZNS, Leber, Gehör, Immunsystem, involviert. Der Hautarzt 10 · 2010
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Tab. 2 Nomenklatur und Klassifikation der syndromalen Ichthyosen: syndromale Formen Erkrankung X-chromosomal syndromale Ichthyosen X-chromosomal-rezessive Ichthyose (XRI) Syndromale Formen Ichthyosis-follicularis-Alopecia-Photophobia-Syndrom (IFAP) Conradi-Hünermann-Happle-Syndrom Autosomale syndromale Ichthyosen mit … … auffälligen Haarveränderungen Netherton-Syndrom (NS) Ichthyosis-Hypotrichosis-Syndrom (IHS) Ichthyosis-Hypotrichosis-sklerosierendes Cholangitis-Syndrom (IHSC) Trichothiodystrophie (TTD)
Trichothiodystrophiea (nichtkongenitale Formen) … auffälligen neurologischen Symptomen Sjögren-Larsson-Syndrom (SLS) Refsum-Syndroma (HMSN4) Mentale Retardierung-Enteropathie-Deafness-Neuropathie-Ichthyosis-Keratoderma-Syndrom (MEDNIK) … fatalem Krankheitsverlauf Gaucher-Syndrom Typ 2 Multipler Sulfatasemangel (MSD) Zerebrale Dysgenese-Neuropathie-Ichthyosis-Keratoderma-palmoplantaris-Syndrom (CEDNIK) Arthrogryposis-renale-Dysfunktion-Cholestase-Syndrom (ARC) … diversen anderen Symptomen Keratitis-Ichthyosis-Deafness-Syndrom (KID) „Neutral lipid storage disease“ mit Ichthyosis Ichthyosis-Prematurity-Syndrom (IPS)
Vererbung
Gen(e)
XR
STS (und andere)
XR XD
MBTPS2 EBP
AR AR AR AR
AR
SPINK5 ST14 CLDN1 ERCC2/XPD ERCC3/XPB GTF2H5/TTDA C7Orf11/TTDN1
AR AR AR
ALDH3A2 PHYH/PEX7 AP1S1
AR AR AR
GBA SUMF1 SNAP29
AR
VPS33B
AD AR AR
GJB2 (GJB6) ABHD5 SLC27A4
AD autosomal-dominant, AR autosomal-rezessiv, XR X-chromosomal-rezessiv, XD X-chromosomal-dominant.
2. Z eigten sich bei der Geburt Kollodiummembranen? An erster Stelle steht im positiven Fall der Verdacht auf lamelläre Ichthyose, z. B. durch Transglutaminase-1-Defizienz. Die viel seltenere Harlekin-Ichthyose ist durch massivstes Ektropium und starke Erythrodermie gekennzeichnet. 3. W ie ausgeprägt ist die Erythrodermie? Differenzialdiagnostisch kommt bei stark ausgeprägter Erythrodermie ein Netherton-Syndrom, eine epidermolytische Ichthyose oder eine nichtsyndromale kongenitale ichthyosiforme Erythrodermie aus der ARCI-Gruppe infrage. 4. G ibt es Tendenzen zu oberflächlichen Blasenbildungen? Wenn ja, gibt die Histologie oder Elektronenmikroskopie durch den Nachweis einer epidermolytischen Hyperkeratose Hinweise für KPI (keratinopathische Ichthyose), z. B. epidermolytische Ichthyose (EI). Ichthyosis vulgaris ist klinisch durch eine hellgraue Schuppung und durch palmoplantare Hyperlinearität gekennzeichnet
7 Reduzierte Keratohyalingranula
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Häufige Ichthyosen und ihre Ursachen Ichthyosis vulgaris (IV; Prävalenz 1:250–1000) ist klinisch durch eine hellgraue Schuppung, die oft große Gelenkbeugen und das Gesicht ausspart, und durch palmoplantare Hyperlinearität (akzentuierte Hautlinien der Handteller/Fußsohlen) gekennzeichnet (. Abb. 1a). Histologisch zeigt sich ein ausgeprägtes Fehlen des Stratum granulosum (. Abb. 2b). Elektronenmikroskopisch finden sich stark 7 reduzierte Keratohyalingranula (. Abb. 2c, d). Seit Mitte der 1980er-Jahre wurde ein Fil-
CME
Abb. 1 8 Beispiele nichtsyndromaler Ichthyosen. a Typische Hyperlinearität der Handinnenflächen bei Ichthyosis vulgaris. b, c Eine milde kongenitale ichthyosiforme Erythrodermie mit palmoplantarer Hyperlinearität ähnlich der Ichthyosis vulgaris kann auf Mutationen in ALOXE3 hindeuten. d Eine X-chromosomal-rezessive Ichthyose zeigt sich u. U. schon wenige Tage nach der Geburt in Form einer feinen weißen Schuppung. e Dunkle und grobe Schuppung bei lamellärer Ichthyose. f Betroffenheit der wärmeren Areale bei Bathing-suit-Ichthyose
aggrin-Defekt vermutet, aber erst 2005 konnte eine Arbeitsgruppe aus Schottland häufige „NonsenseMutationen“ im Filaggrin-Gen (FLG) nachweisen [14]. Die Vererbung ist semidominant, d. h., bei Betroffenen mit 2 FLG-Mutationen finden sich wesentlich deutlichere Krankheitszeichen als bei jenen mit nur einer Mutation. Die primär nichtentzündliche Ichthyosis vulgaris weist offenbar einen epidermalen Barrieredefekt auf und ist in ca. 50–60% der Fälle mit atopischem Ekzem und/oder allergischer Rhinokonjunktivitis verbunden. Hiermit bilden Filaggrin-Mutationen laut zahlreicher Bevölkerungsstudien den genetischen Hauptrisikofaktor für Neurodermitis und allergische Rhinokonjunktivitis [11]. Die X-chromosomal-rezessive Ichthyose (XRI) als zweithäufigste Form der Ichthyose (1:2000– 6000) stellt bei Jungen (!) die wichtigste Differenzialdiagnose zur Ichthyosis vulgaris dar, u. U. manifestiert sie sich schon wenige Tage nach der Geburt (. Abb. 1d). Bei etwa zwei Drittel der Patienten bestehen dunkelbraune, rhombische, fest haftende Schuppen, bei etwa einem Drittel zeigen sich hingegen hellgraue und eher feine Schuppen. Ursächlich für die Erkrankung sind Mutationen im 7 Steroidsulfatase-Gen (STS; [13]). Die Diagnose sollte mittels Bestimmung der Steroidsulfatase-Aktivität (in Leukozyten) oder molekular durch FISH-Technik (Nachweis von Gendeletionen) bestätigt werden. Wertvolle Hinweise auf XRI ergeben Stammbaum (betroffener Großvater mütterlicherseits?) und die weitere Anamnese. Bei vielen betroffenen Jungen lassen sich Geburtskomplikationen eruieren, wenn gezielt nach Kaiserschnittentbindung, Zangengeburt und Wehenschwäche der Mutter gefragt wird. Offenbar findet sich eine Assoziation mit Maldescensus testis (ca. 5–20%). Zum Ausschluss eines Kallmann-Syndroms (bei „Contiguous-gene-Syndrom“, s. syndromale Ichthyosen) sollte man die Patienten nach dem Riechvermögen befragen [10, 15].
Filaggrin-Mutationen bilden den genetischen Hauptrisikofaktor für Neurodermitis und allergische Rhinokonjunktivitis
7 Steroidsulfatase-Gen
Zum Ausschluss eines Kallmann-Syndroms sollte man die Patienten nach dem Riechvermögen befragen
Autosomal-rezessive kongenitale Ichthyosen und Neues zu ihrer Genetik Der Begriff der autosomal-rezessiven kongenitalen Ichthyosen (ARCI) bezieht sich nach der neuen Definition allein auf die nichtsyndromalen Formen Harlekin-Ichthyose (HI), lamelläre Ichthyose (LI) und kongenitale ichthyosiforme Erythrodermie (CIE). Abgegrenzt wird hiermit beispielsweise das Der Hautarzt 10 · 2010 |
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Abb. 2 8 Morphologische Befunde. Bei Ichthyosen, die durch Keratinmutationen verursacht werden, kommt es zur Störung des Zytoskeletts der Keratinozyten. a Histologisch zeigt sich eine epidermolytische Hyperkeratose (Foto: Dieter Metze, mit freundl. Genehmigung). b Bei ausgeprägter Ichthyosis vulgaris (IV) findet sich eine massive Reduktion des Stratum granulosum (SG), die durch einen Mangel an Filaggrin bedingt ist. c Die Ultrastruktur einer gesunden Haut zeigt gut ausgebildete Keratohyalingranula (Pfeile). d Bei 2-fachen Filaggrin-Mutationen (FLG-/-) sind nur minimale Reste des Keratohyalin erkennbar (Foto: Ingrid Hausser, mit freundl. Genehmigung). e Der histochemische Test auf Transglutaminase-1-Mangel stellt eine wichtige diagnostische Untersuchung bei autosomal-rezessiver kongenitaler Ichthyose (ARCI) dar und wird an Kryostatschnitten durchgeführt. Gesunde Epidermis mit normaler, perizellulärer Transglutaminase-Aktivität im Stratum granulosum. f Haut eines Patienten mit Transglutaminase-1-defizienter lamellärer Ichthyose (LI)
Lamelläre Ichthyose und kongenitale ichthyosiforme Erythrodermie werden als ein Krankheitsspektrum aufgefasst
Netherton-Syndrom, das bei Geburt ebenfalls eine kongenitale ichthyosiforme Erythrodermie zeigen kann, im Verlauf aber weitere charakteristische Symptome im Sinne einer syndromalen Ichthyose entwickelt (Haarschaftveränderungen etc.). Lamelläre Ichthyose und kongenitale ichthyosiforme Erythrodermie (LI/CIE) werden als ein Krankheitsspektrum aufgefasst. Die genauere Genotyp-Phänotyp-Korrelation ist bislang nicht abgeschlossen [1, 4]. Eine vorläufige Abschätzung zeigt . Tab. 1. Elektronenmikroskopische Untersuchungen der Epidermis können wegweisende Hinweise für z. B. Harlekin-Ichthyose, Transglutaminase-1- oder Ichthyin-Mutationen (s. unten) geben.
Harlekin-Ichthyose 7 E xtremes Ektropium
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„Nonsense-Mutationen“ in ABCA12 verursachen diese seltene (~1:1.000.000), schwerste Form der Ichthyose, die bei Geburt ein 7 extremes Ektropium, Eklabium und Konstriktionen mit respiratorischer Insuffizienz zeigt. Funktionell weniger gravierende „Missense-Mutationen“ führen dagegen zu einer weit milderen Variante des LI/CIE-Spektrums. ABCA12 kodiert ein Lipidtransporterpro-
CME tein der Keratinosomen („lamellar bodies“). Diese schleusen über Exozytose wichtige Fette, Proteasen, Inhibitoren und antimikrobielle Substanzen aus den Keratinozyten in den Interzellularraum des Stratum granulosum/corneum. Früher verstarben Neugeborene mit Harlekin-Ichthyose meist in den ersten Lebenswochen; durch die moderne Neonatologie ist ein Überleben der Kinder heutzutage möglich. Das Krankheitsbild entwickelt sich im Kindesalter in Richtung einer extrem entzündlichen und exfoliativen Ichthyose.
Spektrum der lamellären Ichthyose/kongenitalen ichthyosiformen Erythrodermie (LI/CIE) In diesem Sinne wird die LI als eine kongenitale Ichthyose verstanden, die häufig mit Kollodiummembranen beginnt und in eine (meist) generalisierte Hyperkeratose mit dunklerer und grob lamellärer Schuppung mündet (. Abb. 1e). Die CIE wird als etwas mildere Form angesehen und ist durch eine auffällige generalisierte Hautrötung mit eher heller und feiner Schuppung gekennzeichnet (. Abb. 1b, c; [18]). Ektropium und Eklabium kommen bei Geburt bei beiden Erkrankungen vor, sind jedoch weit weniger massiv als bei Harlekin-Ichthyose. Ausgeprägt sind die verminderte Schwitzfähigkeit (Hypohidrose) mit Tendenz zur Hyperthermie sowohl bei LI als auch CIE. Bei der Mutationsverteilung der lamellären Ichthyose/kongenitalen ichthyosiformen Erythrodermie ergibt sich insgesamt ein hoher Anteil im Transglutaminase-1-Gen TGM1 (ca. 32–38%; [4]). Transglutaminase 1 ist ein wichtiges Enzym zum Aufbau des „cornified cell envelope“ (CCE), der die Hülle der Korneozyten in der Hornschicht bildet. Sie katalysiert die kovalente Vernetzung unterschiedlichster CCE-Proteine und spezialisierter Ceramide (. Abb. 2e, f). Innerhalb der Transglutaminase-1-Defizienz lässt sich ein Zusammenhang von klinischem Schweregrad und Art der Mutationen erkennen. Bei komplettem Verlust der Enzymaktivität bestehen massiv ausgeprägte dunkelgraue Keratosen am gesamten Integument mit Tendenz zu chronischem Ektropium und Gefahr der ichthyotischen Alopezie (Prototyp der lamellären Ichthyose). Von großer Bedeutung für die CIE sind die 2 auf Chromosom 17 liegenden Lipoxygenase-Gene ALOXE3 und ALOX12B, deren Mutationen einen ARCI-Anteile von jeweils ca. 7% ausmachen. Beide Enzyme sind im ArachidonsäureStoffwechsel der Epidermis für die Bildung/Umsetzung von Hepoxilinen erforderlich. Im Mausmodell wurde bei Lipoxygenase-Defizienz u. a. eine fehlerhafte Prozessierung von Filaggrin festgestellt. Bemerkenswert ist deshalb die klinische Ähnlichkeit zwischen der relativ milden CIE durch ALOXE3-Mutationen und der Ichthyosis vulgaris (. Abb. 1a, b, [1]). Die Rolle von Mutationen in NIPAL4 (ca. 16% der ARCI-Fälle) ist bisher nicht eindeutig geklärt; u. U. handelt es sich um einen Rezeptordefekt im Hepoxilin-Stoffwechsel. Mutationen im Cytochrom-P450-Oxydase-Gen CYP4F22 wurden bei ca. 8% der ARCI-Fälle entdeckt [4]. Weitere Gene der ARCI-Gruppe werden auf Chromosom 12q11.2-q13 vermutet.
Ausgeprägt sind die verminderte Schwitzfähigkeit mit Tendenz zur Hyperthermie sowohl bei LI als auch CIE Transglutaminase 1 ist ein wichtiges Enzym zum Aufbau des „cornified cell envelope“
Von großer Bedeutung für die CIE sind die 2 auf Chromosom 17 liegenden Lipoxygenase-Gene ALOXE3 und ALOX12B
ARCI-Varianten und ihre besonderen Ursachen Manche Mutationen in TGM1 beeinträchtigen die Funktion der Transglutaminase 1 weniger gravierend, führen allerdings zu einer kritischen Beeinflussbarkeit des Enzyms durch äußere Umgebungsbedingungen. In diesem Zusammenhang kommt es zu besonderen ARCI-Varianten. Bei der 7 Bathing-suit-Ichthyose (BSI) zeigen Kollodiumbabys in den ersten Lebensmonaten ein Abheilen der Ichthyose speziell an Gesicht, Armen und Beinen. Der Rumpf und einige Prädilektionsstellen bleiben betroffen, d. h., insbesondere wärmere Körperareale zeigen weiterhin ichthyotische Hautveränderungen (. Abb. 1f). Ursächlich sind „temperatursensitive Mutationen“ in TGM1 [8]. Beim 7 selbstheilenden Kollodiumbaby kommt es zu einer kompletten Abheilung der Kollodiumhaut innerhalb von Wochen bis Monaten. Ursächlich ist hier eine Störung der TransglutaminaseAktivität speziell durch erhöhten Wasserdruck, wie er in utero gegeben ist. Für selbstheilende Kollodiumbabys mit residual minimaler Ichthyose wurden Mutationen in den Lipoxygenase-Genen beschrieben („self-improving ichthyosis“).
7 Bathing-suit-Ichthyose
7 Selbstheilendes Kollodiumbaby
Keratinopathische Ichthyosen und neue Krankheitsbegriffe Die bisherigen Bezeichnungen der durch Keratinmutationen bedingten Ichthyosen „bullöse kongenitale ichthyosiforme Erythrodermie (Typ Brocq)“, „bullöse Ichthyose“ oder „exfoliative IchthyDer Hautarzt 10 · 2010
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7 Epidermolytic hyperkeratosis 7 Keratinopathische Ichthyose
ose“ wurden international bislang sehr unterschiedlich verwendet. Im amerikanischen Sprachraum prägte sich insbesondere der Begriff 7 EHK („epidermolytic hyperkeratosis“), der ursprünglich aus der Histologie stammt und als Hinweis für eine Störung des Zytoskeletts der Keratinozyten gilt [5]. Der neue Oberbegriff der Ichthyosis-Nomenklatur für diese Erkrankungsgruppe lautet nun keratinopathische Ichthyose (7 KPI ; [9]). Abgesehen von wenigen Ausnahmen, z. B. bei Ichthyosis CurthMacklin, zeigt sich aber bei fast allen Keratindefekten histologisch – besser noch elektronenmikroskopisch – eine EHK (. Abb. 2a).
Hauptformen der keratinopathischen Ichthyose: Was bedeutet „EI“ und „SEI“? Ichthyosen, verursacht durch Keratin-1- oder Keratin-10-Mutation, zeigen morphologisch epidermolytische Hyperkeratose und werden als EI bezeichnet
Ichthyose, die durch Keratin-2-Mutationen bedingt ist, beginnt klinisch oft mit Erythrodermie, die sich später zurückbildet
Ichthyosen, verursacht durch Keratin-1- oder Keratin-10-Mutation, zeigen morphologisch epidermolytische Hyperkeratose und werden deshalb als epidermolytische Ichthyosen (EI) bezeichnet. Der Defekt ist entsprechend der KRT1/KRT10-Expression hauptsächlich im Stratum spinosum lokalisiert. Klinisch zeigt sie ein weites Spektrum an Hautveränderungen. Insbesondere findet sich eine charakteristische „Verschiebung des Phänotyps“ von einem eher durch oberflächliche Blasenbildung und Hautentzündung gekennzeichneten Bild nach der Geburt (. Abb. 3a) hin zu einer teilweise massiven Hyperkeratose im Verlauf des weiteren Lebens. Bei Mutationen in Keratin 10 zeigt sich im Gegensatz zu denen von Keratin 1in der Regel eine Aussparung der Hand- und Fußinnenflächen (. Abb. 3b, c). Ichthyose, die durch Keratin-2-Mutationen bedingt ist und bislang als „Ichthyosis bullosa Siemens“ bezeichnet wurde, beginnt klinisch oft mit Erythrodermie, die sich später zurückbildet. Die Hyperkeratosen sind dann ausgesprochen lokalisiert, z. B. an Armen und Beinen, während der Rumpf mit Ausnahme eines Areals um den Nabel meist ausgespart ist (. Abb. 3d). Die epidermolytische Hyperkeratose ist im Vergleich zu Keratin-1/10-Mutationen entsprechend der Expression von Keratin 2 in höheren Zellschichten lokalisiert, d. h. hauptsächlich im Stratum granulosum. Auf dieser Tatsache basiert der neue Name superfizielle epidermolytische Ichthyose (SEI).
KPI-Varianten und besondere Hinweise 7 Ichthyose Curth-Macklin 7 Annuläre epidermolytische Ichthyose
Der Nachweis einer somatischen Mutation aus dem Nävus ist experimentell aufwendig, jedoch hilfreich für die genetische Beratung
7 Conradi-Hünermann-HappleSyndrom
Bei der 7 Ichthyose Curth-Macklin (der Begriff „hystrix“ wurde aufgegeben) liegen spezifische Mutationen im Keratin-1-Gen vor. Die einzigartige Ultrastruktur zeigt keine epidermolytischen Veränderungen; Blasen sind auch klinisch normalerweise nicht vorhanden. Bei der 7 annulären epidermolytischen Ichthyose kommt es – bedingt durch Keratin-1- oder -10-Mutationen – zu transienten sichelförmigen ichthyotischen Hautveränderungen. Beachte: Vor kurzem wurde eine autosomal-rezessive epidermolytische Ichthyose mit Keratin-10Mutationen beschrieben. Diese Erkenntnis ist für die von einem Humangenetiker durchgeführte genetische Beratung von Bedeutung, denn zuvor galten die epidermolytischen Ichthyosen durchweg – wie viele andere Keratindefekte – als autosomal-dominante Erkrankungen. Schwierig erscheint die Beratung bei Patienten mit epidermolytischen Nävi. Diese oft unscheinbaren Hautveränderungen können ein somatisches Mosaik für Keratin-1- oder -10-Mutationen widerspiegeln, das u. U. auch die Gonaden betrifft. Für die Kinder der/des Betroffenen ergibt sich somit ein im Einzelfall schwer zu bezifferndes Risiko für das Auftreten einer generalisierten schweren epidermolytischen Ichthyose [17]. Der Nachweis einer somatischen Mutation aus dem Nävus ist experimentell aufwendig, jedoch hilfreich für die genetische Beratung.
Syndromale Formen der Ichthyose Die zweite Hauptgruppe der Klassifikation umfasst die syndromalen Erkrankungen (. Tab. 2), von denen einige hier exemplarisch beschrieben werden. Im Hinblick auf syndromale Erkrankungen durch umfassende Deletionen im Lokus des Steroidsulfatase-Gens sei hier noch einmal das syndromale Auftreten der X-chromosomal-rezessiven Ichthyose erwähnt („Contiguous-gene-Effekt“). Weitere X-chromosomale Ichthyose-Syndrome sind das 7 Conradi-Hünermann-Happle - und IFAPSyndrom (Ichthyosis follicularis alopecia photophobia).
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Das pathogenetisch eng verwandte CHILD-Syndrom wird als „ichthyosis-related“ klassifiziert.
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Abb. 3 8 Keratinopathische Ichthyosen und Erythrokeratodermie. Bei Geburt zeigt die epidermolytische Ichthyose einen Phänotyp mit oberflächlicher Blasenbildung und Erythrodermie, der sich zu einer Ichthyose mit teilweise massiver Hyperkeratose wandelt. a Neugeborenes mit epidermolytischer Ichthyose aufgrund einer häufigen Keratin-10-Mutation; b die Hand desselben Kindes im Alter von 5 Jahren. c Im Gegensatz dazu gehen epidermolytische Ichthyosen aufgrund von Keratin-1-Mutationen mit einer teils massiven Palmoplantarkeratose einher. d Bei superfizieller epidermolytischer Ichthyose entwickelt sich insgesamt eine mildere Form der Ichthyose mit Betonung bestimmter „Problemareale“ wie dem Bauchnabelbereich. e Erythrokeratodermia variabilis wird laut der neuen Ichthyosis-Klassifikation nicht mehr von den Ichthyosen abgegrenzt, da es sich hier im Prinzip ebenfalls um eine generalisierte Verhornungsstörung handelt
Syndrom-Ichthyosen mit prominenten Haarveränderungen Das 7 Netherton-Syndrom (NS) zeigt einerseits eine Ichthyosis linearis circumflexa mit typischen annulären und serpiginösen Läsionen, andererseits besteht bei der Geburt von fast allen Patienten zunächst eine kongenitale ichthyosiforme Erythrodermie. Die Erkrankung betrifft zusätzlich die Haare, die lichtmikroskopisch meistens den pathognomonischen Befund einer Trichorrhexis invaginata (Bambushaar) aufweisen. Assoziiert sind frühkindliche Gedeihstörung mit Wachstumsretardierung, eine starke Neigung zu Typ-1-Allergien mit massiv erhöhtem Gesamt-IgE (>5000 kU/l) und eine Neigung zu HPV-induzierten Hauterkrankungen. Die Abwehr gegenüber Staphylokokken ist beeinträchtigt. Ursächlich sind rezessive Mutationen in SPINK5, die zu einem Mangel des Serinprotease-Inhibitors LEKTI führen. Durch die ungeregelte Aktivität von Serinproteasen kommt es zu einem verstärkten/verfrühten Abbau der Corneodesmosomen, zu entzündlichen Vorgängen in der Epidermis und somit zu einer ausgeprägten Barrierestörung der Haut [10]. Eine wichtige Differenzialdiagnose des Netherton-Syndroms ist u. a. die 7 Peeling-skin-Erkrankung (früher „peeling skin syndrome“ Typ B), die ebenfalls mit Atopie assoziiert ist, jedoch nicht mit Haarveränderungen oder schweren Gedeihstörungen einhergeht.
7 Netherton-Syndrom
7 Peeling-skin-Erkrankung
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Abb. 4 8 Überblick zur Diagnostik und Therapie der Ichthyosen. Die Anamnese betrifft Patient und Familie sowie die Frage nach assoziierten Symptomen, die weitere Hinweise auf die genaue Form der Ichthyose gibt. Allgemein wichtig ist beispielsweise auch die Kontrolle des Vitamin-D-Haushaltes. Ziel ist die Etablierung einer molekular exakten Diagnose. a Hautbiopsien zur diagnostischen Eingrenzung sind weiterhin absolut sinnvoll. b Die symptomatische Therapie basiert hauptsächlich auf der Kombination aus Salben, Bädern und mechanischer Keratolyse. Orale Retinoide sind u. a. hilfreich für Erwachsene mit autosomal-rezessiver kongenitaler Ichthyose (ARCI), bedürfen aber aufgrund der langjährigen Behandlung und der Nebenwirkungen einer strengen Indikationsstellung. Die Selbsthilfe Ichthyose e. V. spielt in Deutschland eine herausragende Rolle für die psychosoziale Unterstützung von Betroffenen und ihren Familien. (Literaturempfehlung zur Darstellungen der Therapie: [7, 10, 19])
Ichthyose-Syndrome mit prominenten neurologischen Symptomen 7 Refsum-Syndrom
7 Sjögren-Larsson-Syndrom
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Das 7 Refsum-Syndrom, das auf einem Phytansäure-Speicherdefekt beruht, kann klinisch einer Ichthyosis vulgaris sehr ähnlich sein. Ein sich schleichend entwickelnder Hörverlust und Gleichgewichtsstörungen sind gefürchtete Spätsymptome der Erkrankung (Nachlassen des Nachtsehens als Frühwarnzeichen). Die rechtzeitige Diagnose und Einleitung einer Phytansäure-armen Diät können die Progredienz der Erkrankung verhindern. Das 7 Sjögren-Larsson-Syndrom ist eine sehr seltene autosomal-rezessive syndromale Ichthyose mit vornehmlicher Prävalenz in Schweden. Ursache der Erkrankung sind Mutationen im Fettalde-
CME hyd-Dehydrogenase-Gen ALDH. Betroffene Kinder zeigen nach anfänglich unauffälligem neuropädiatrischem Verlauf Entwicklungsrückschritte, die meist mit einer spastischen Lähmung der unteren Extremität und einer geistigen Retardierung (nicht progressiv) enden. Auffällig sind die sehr ausgeprägte keratotische Lichenifikation und der schwere Pruritus, an dem fast alle Patienten leiden.
Ichthyose-Syndrome mit fatalem Krankheitsverlauf Ichthyose-Syndrome, die innerhalb des/der ersten Lebensjahre/s einen letalen Verlauf zeigen, sind beispielsweise durch schwerwiegende multisystemische Stoffwechseldefekte bedingt und extrem selten (Gaucher-Syndrom und multipler Sulfatasemangel).
Autosomale Ichthyose-Syndrome mit sonstigen nichtkutanen Symptomen Erwähnung finden soll hier das 7 KID-Syndrom (Keratitis-Ichthyosis-Deafness-Syndrom), das eine assoziierte Innenohrschwerhörigkeit aufweist und genetisch mit dem HID (Hystrix Ichthyosis Deafness)-Syndrom identisch ist. Insbesondere Patienten mit kongenitaler Manifestation zeigen eine schwere generalisierte Verhornungsstörung. In der neuen Klassifikation wird es – wie auch die allerdings nichtsyndromale Erythrokeratodermia variabilis (EKV; . Abb. 3e) – nun erstmals eindeutig den Ichthyosen zugeordnet [9]. Ursächlich für das KID-Syndrom sind einzelne Mutationen in GJB2, das Connexin 26 kodiert, in besonderen Fällen kommen auch GJB6-Mutationen infrage (Connexin 30). In diesem Zusammenhang abgegrenzt werden muss die Ichthyose-verwandte VohwinkelKeratodermie, die ebenfalls mit GJB2 assoziiert ist und nicht mit Loricrin-Keratodermie verwechselt werden darf. Das 7 Ichthyosis-Prematurity-Syndrom (IPS) stellt aufgrund der raschen Abheilung nach der Geburt eine wichtige Differenzialdiagnose zum selbstheilenden Kollodiumbaby dar und ist durch Frühgeburt und kritische perinatale respiratorische Insuffizienz gekennzeichnet. Die Lungen der Kinder müssen rasch abgesaugt werden, um sie vom zäh-trüben, manchmal gar krümeligen Fruchtwasser zu befreien. Die ursächlichen Mutationen im Gen SLC27A4 wurden kürzlich beschrieben und betreffen die Lipidsynthese [6]. Diagnostisch signifikant ist die Ultrastruktur der Haut, sofern die Hautbiopsie frühzeitig nach der Geburt entnommen wurde.
7 KID-Syndrom
7 Ichthyosis-Prematurity-Syndrom
Hilfestellung für die Praxis und Ausblick Die klinikorientierte neue Nosologie und Klassifikation der Ichthyosen basiert auf den aktuellen Kenntnissen über die genetischen Ursachen, soll Kollegen/innen aller Fachgebiete zugute kommen und als zukünftige Referenz dienen [9]. Aktuelle Forschungsvorhaben richten sich auf eine bessere Genotyp/Phänotyp-Charakterisierung sowie die Aufklärung der pathophysiologischen Vorgänge, denn erst ein weitreichenderes funktionelles Verständnis der Ichthyosen mag die Entwicklung neuartiger Therapieansätze ermöglichen [2, 12].
Aktuelle Forschungsvorhaben richten sich auf eine bessere Genotyp/Phänotyp-Charakterisierung sowie die Aufklärung der pathophysiologischen Vorgänge
Wichtige Aspekte zur Diagnostik und Therapie Patienten mit Ichthyose nehmen aufgrund der Seltenheit der Erkrankung oft lange Anreisen in Kauf, um Ansprechpartner/innen zur Diagnostik und Therapieberatung zu erreichen [10]. Hilfreich ist in Deutschland die Kontaktaufnahme mit dem 7 Netzwerk für Ichthyosen und verwandte Verhornungsstörungen (NIRK ; http://www.netzwerk-ichthyose.de) und/oder der 7 Selbsthilfe Ichthyose (SI) e.V. (http://www.ichthyose.de). Beide Anlaufstellen vermitteln auch in akuten Situationen mögliche Ansprechpartner/Hilfe/Informationsmaterial. Die SI e.V. als Patientenvereinigung erscheint insbesondere für das Langzeitmanagement im Umgang mit der Erkrankung als maßgebliche Unterstützung für viele Betroffene – praktisch, therapeutisch und psychologisch (. Abb. 4).
7 Netzwerk für Ichthyosen und verwandte Verhornungsstörungen (NIRK) 7 Selbsthilfe Ichthyose (SI) e.V.
Dominante nichtsyndromale relativ milde kongenitale Ichthyose mit auffälliger Palmoplantarkeratose. Der Hautarzt 10 · 2010
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Fazit für die Praxis
Weitere nützliche Internetadressen Amerikanische/s Ichthyosis-Stiftung und Register:
http://www.skinregistry.org Symptomatisch gibt es trotz der genetisch angelegten Erkrankungen mehInformation zu seltenen Hautkrankungen (EU-Projekt): http://www.geneskin.eu rere Therapieoptionen, die das Bild der Internationale Liste relevanter Forschungslabore/-gruppen: Ichthyose meist erheblich verbessern http://www.netzwerk-ichthyose.de/index.php?id=27&L=1 können [7, 10, 15, 16, 19]. Bedeutsam Patientenorganisation auf europäischer Ebene: ist hier aber die Beachtung des Barrieredefektes der Haut bei Ichthyose (nicht http://www.ichthyose.eu Portal für seltene Erkrankungen und „orphan drugs“: von der Hornhautverdickung täuschen http://www.orpha.net lassen!), insbesondere bei Kindern (keiRelevante Gendatenbank: ne Salicylsäure-haltigen Externa!). Dazu kommt die Gefahr der Hyperthermie http://www.genetests.org durch die meist assoziierte Hypohidrose und die der Dehydratation (z. B. Neugeborene mit Netherton-Syndrom). Zusätzlich empfehlen wir aufgrund des relativ häufig auftretenden Vitamin-D-Mangels bei Ichthyose unbedingt eine Kontrolle des Vitamin-D-Haushaltes und ggf. die Substitution. Spezielle praktische Informationen zum diagnostischen Vorgehen und konkrete Therapiehinweise finden sich in den AWMF-Leitlinien zur Diagnostik und Therapie der Ichthyosen (http://www.uniduesseldorf.de/AWMF/ll/013-043.htm).
Korrespondenzadresse Dr. V. Oji Klinik und Poliklinik für Hautkrankheiten, Allgemeine Dermatologie und Venerologie Von-Esmarch-Str. 58, 48149 Münster
[email protected] Danksagung. Dank für Fotomaterial geht an Dr. Ingrid Hausser und Prof. Dr. Dieter Metze (. Abb. 2) und an unsere Fotoabteilung mit Jutta Bückmann und Peter Wissel. Dr. Karin Aufenvenne danke ich sehr für die rasche Durchsicht des Manuskripts. Eine persönliche Danksagung sei an alle Patienten und Familien, die Teilnehmer der Ichthyosis-Konsensuskonferenz und meinen Mentor Prof. Dr. Heiko Traupe gerichtet. Interessenkonflikt. Der korrespondierende Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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CME-Fragebogen kostenfreie Teilnahme für Abonnenten Ein ansonsten gesundes männliches Neugeborenes zeigte nach einer Woche eine generalisierte weiße Hautschuppung. Welche Aussage trifft zu? Das Vorliegen einer X-chromosomal-rezessiven Ichthyose ist durchaus möglich. Das Vorliegen einer seltenen kongenitalen Ichthyose ist ausgeschlossen. Zur Behandlung des Neugeborenen eignen sich Salicyl-haltige Externa. Häufiges Baden des Kindes sollte vermieden werden. Ichthyosis vulgaris manifestiert sich typischerweise in der ersten Lebenswoche. Die Gruppe der autosomal-rezessiven kongenitalen Ichthyosen (ARCI) ist klinisch und genetisch heterogen, wird jedoch in der Klassifikation der Ichthyosen genau definiert. Welche Erkrankung gehört in diesem Sinne nicht zu den ARCI? Lamelläre Ichthyose. Kongenitale ichthyosiforme Erythrodermie. Netherton-Syndrom. Bathing-suit-Ichthyose. Harlekin-Ichthyose. Die bislang als „bullöse Ichthyose“ bezeichneten Formen der Ichthyose werden nach der neuen Nomenklatur als keratinopathische Ichthyose (KPI) bezeichnet. Welche Aussage zu den KPI trifft zu? Bei superfizieller epidermolytischer Ichthyose (SEI) geht die epidermolytische Hyperkera-
Bitte beachten Sie: F Antwortmöglichkeit nur online unter: CME.springer.de F Die Frage-Antwort-Kombinationen werden online individuell zusammengestellt. F Es ist immer nur eine Antwort möglich.
tose entsprechend der Expression von Keratin 2 vom Stratum basale aus. Alle Formen der KPI zeigen eine epidermolytische Hyperkeratose. Die Ichthyose Curth-Macklin ist durch Keratin-9-Mutationen verursacht. Die epidermolytische Ichthyose aufgrund von Keratin-1-Mutationen ist mit Palmoplantarkeratose assoziiert. Alle KPI werden als autosomaldominante Erkrankungen vererbt.
Die Klassifikation der Ichthyosen unterscheidet grundsätzlich nichtsyndromale und syndromale Formen. Welche Aussage zu den syndromalen Ichthyosen trifft zu? Betroffene mit Sjögren-Larsson-Syndrom haben aufgrund der progressiven Lähmung eine sehr geringe Lebenserwartung. Bei der Trichorrhexis invaginata (Bambushaar) handelt es sich um einen unspezifischen Befund. Eine wichtige Differenzialdiagnose des Netherton-Syndroms ist die Peeling-skin-Ichthyose. Das Refsum-Syndrom manifestiert sich mit plötzlich auftretendem Hörverlust. Die Ichthyosis linearis circumflexa ist eine Blaschko-lineäre Hauterkrankung.
Die lamelläre Ichthyose (LI) und kongenitale ichthyosiforme Erythrodermie (CIE) werden als ein Krankheitsspektrum aufgefasst. Welche Aussage hierzu trifft nicht zu? Im Hautbefund zeigt die lamelläre Ichthyose eher eine dunklere und grobe Schuppung. Die verminderte Schwitzfähigkeit findet sich eher als Problem bei der lamellären Ichthyose. Für die Behandlung eignen sich regelmäßige Bäder z. B. mit Natriumcarbonat als Badezusatz. Die Erkrankungen können durch bestimmte Mutationen im ABCA12-Gen verursacht sein, das ansonsten aber auch mit Harlekin-Ichthyose assoziiert ist. Im Spektrum des Transgluta- minase-1-Mangels ergeben sich sehr unterschiedliche Krankheitsverläufe. Eine Mutter stellt erstmalig ihren 4-jährigen Sohn wegen einer Ichthyose mit pruriginös lichenifizierten Hautveränderungen vor. Auf Nachfrage gibt sie an, dass ihr Vater ebenfalls eine Ichthyose gehabt hätte und die Geburt des Kindes sehr langwierig war. Sie selbst müsse sich häufiger eincremen. Der Junge zeigt eine auffällige Hyperlinearität der Handinnenflächen. Sein Gesamt-IgE liegt bei >2000 kU/ml (Normalwert <100). Welche Diagnose wür-
den Sie am ehesten ausschließen? Ausgeprägtes atopisches Ekzem. Gaucher-Syndrom. Ichthyosis vulgaris mit atopischem Ekzem. X-chromosomal-rezessive Ichthyose mit atopischem Ekzem. Gleichzeitiges Vorliegen einer Ichthyosis vulgaris, einer Xchromosomal-rezessiven Ichthyose und eines atopischen Ekzems. Bei der Ichthyosis vulgaris (IV) handelt es sich um die häufigste Form der Ichthyosen. Welche Aussage trifft nicht zu? Die Erkrankung kommt durch Mutationen im Filaggrin-Gen zustande. Zirka 50–60% der Betroffenen leiden gleichzeitig an einer Erkrankung aus dem atopischen Formenkreis. Ausgesparte Ellen- und Kniebeugen erlauben die Abgrenzung zur X-chromosomal-rezessiven Ichthyose. Charakteristisch ist die palmoplantare Hyperlinearität. Die Vererbung erfolgt semidominant.
D Mitmachen, weiterbilden und CME-Punkte sichern durch die Beantwortung der Fragen im Internet unter CME.springer.de Der Hautarzt 10 · 2010
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Die Neugeborenenstation fordert ein dringliches dermatologisches Konsil an. Ein in der 38. SSW geborenes Kind zeigte bei ansonsten stabilen Vitalparametern bereits am ersten Tag eine ausgeprägte Erythrodermie, dann pergamentpapierartige Haut, die anfing, oberflächlich einzureißen. Zusätzlich findet sich ein moderat ausgeprägtes Ektropium und Eklabium. Wie schätzen Sie den Befund gegenüber den Kinderärzten und Eltern ein? Das Kind zeigt das typische Bild einer kongenitalen ichthyosiformen Erythrodermie. Zu befürchten ist, dass es sich bei der Erkrankung um Harlekin-Ichthyose handelt. Das Kind wird zeitlebens an einer schweren Verhornungsstörung leiden. Der Temperatur- und Flüssigkeitshaushalt sollte engmaschig kontrolliert werden. Auf eine Hautprobe kann verzichtet werden, da das Ergebnis praktisch gesehen keine Relevanz hat. Die Diagnostik der Ichthyosen basiert trotz der neuen genetischen Untersuchungsmöglichkeiten weiterhin auf der klinischen Beurteilung. Welche Aussage zur Diagnostik trifft nicht zu? Die X-chromosomal-rezessive Ichthyose kann mittels Blutprobe zur Messung der Steroidsulfatase-Aktivität bestätigt werden.
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ie Ichthyosis vulgaris wird D über die elektronenmikroskopische Untersuchung der Haut eindeutig nachgewiesen. Zur molekularen Diagnostik eignet sich in erster Linie eine EDTA-Blutprobe der/des Betroffenen; es sollten aber auch Proben der Eltern abgenommen werden. Bei vielen kongenitalen Ichthyosen eignen sich ultrastrukturelle Marker und der Transglutaminase-1-Test zur diagnostischen Eingrenzung. Eine epidermolytische Hyperkeratose lässt sich nur in der elektronenmikroskopischen Untersuchung erkennen.
Eltern einer 6-jährigen Tochter mit lamellärer Ichthyose erkundigen sich vor der Einschulung beim Arzt und fragen diesbezüglich nach weiteren praktischen Tipps zum Umgang mit der Erkrankung. Welcher Hinweis ist am wenigsten hilfreich? „Ichthyose …, da kann man nichts machen!“ „Die freiwillige Teilnahme am Schulsport ist kein Problem, Vorsicht aber wegen verminderter Schwitzfähigkeit und Gefahr der Hyperthermie.“ „Haben Sie schon einmal mit einer anderen betroffenen Familie Kontakt aufgenommen?“ „Wiederholte Fragen kann Ihre Tochter reduzieren: ‚Meine Haut ist anders. Keiner ist Schuld oder kann’s ändern. Steckt nicht an! Noch Fragen?‘“
„ Zur Sicherheit sollte man bei Gelegenheit den Vitamin-DSpiegel kontrollieren …“
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