Gesunde Pflanzen (2012) 64:143–147 DOI 10.1007/s10343-012-0283-0
Mitteilungen
Mitteilungen aus der Presse
Online publiziert: 12. Oktober 2012 © Springer-Verlag 2012
Große Wachstumspotenziale in der globalen Agrarproduktion Kann die Landwirtschaft mittelfristig die weltweit steigende Nachfrage nach Rohstoffen decken? Diese Frage war einer der Schwerpunkte der diesjährigen agri benchmark Cash Crop Konferenz. Das vom Thünen-Institut und der DLG koordinierte Netzwerk führender landwirtschaftlicher Produktionsökonomen hielt sein jährliches Treffen vom 9. bis 15. Juni 2012 in Pilanesberg (Südafrika) ab. Auf Einladung der Partnerorganisationen BFAP (Bureau for Food and Agricultural Policy) und NAMC (National Agricultural Marketing Council) trafen sich 38 Experten aus 23 verschiedenen Ländern, um die aktuellen Entwicklungen und Perspektiven in der globalen Agrarproduktion zu diskutieren. Anhand von Fallstudien aus Argentinien, Polen, der Ukraine, Marokko, den USA, Australien und Bulgarien wurde gezeigt, dass technisch und ökonomisch große Potenziale für Ertragssteigerungen bestehen. Laut Pawel Boczar (Universität Posen, Polen) sind in Polen Weizenerträge von 4 t/ ha üblich, während gut organisierte Betriebe bis zu 6 t/ha, also 50 % mehr ernten. Voraussetzung dafür sind allerdings eine bessere Nährstoffversorgung, besseres Saatgut und ein optimierter Pflanzenschutz. Am Beispiel Argentiniens wurde ersichtlich, dass auch eine Flächenausweitung durchaus möglich und nicht besonders kostenträchtig ist. Martin Otero (Hillock) erläuterte, dass bis 2020 sogar unter den strikten Abholzungsregelungen eine Flächenausweitung um 20–40 % realistisch ist. Unter der Voraussetzung, dass die Getreidemärkte für die argentinischen Landwirte stabil bleiben, sei eine Steigerung der Ölsaaten-Produktion um bis zu 25 % und der Getreideproduktion um 75 % machbar.
Aktuell setzen hohe Rohstoffpreise und signifikante Rentabilitätssteigerungen des Ackerbaus starke Anreize zur Ausweitung der Produktion. Dadurch könnte der Markt für landwirtschaftliche Rohstoffe wieder von einem Verkäuferzu einem Käufermarkt werden. Szenario-Rechnungen für agri benchmark Betriebe zeigen, dass der Weizenpreis dann im Vergleich zum derzeitigen Preis dauerhaft um mindestens 30 % bzw. 50 USD/t sinken könnte. Laut Yelto Zimmer (Thünen-Institut, Deutschland) ist also eine andauernde Periode von sehr viel niedrigeren Rohstoffpreisen möglich, wenn nicht sogar wahrscheinlich, auch wenn internationale Agenturen hohe Preise prognostizieren. BFAP und NAMC hatten außerdem etwa 80 Vertreter aus Industrie, Landwirtschaft und Politik zum ‚Globalen Forum‘ eingeladen. Einer der Kernpunkte war der Vergleich zwischen amerikanischer und südafrikanischer Maisproduktion durch Divan van der Westhuizen (BFAP, Südafrika) und Kelvin Leibold (Iowa State University, USA). Eine Kernaussage: Aufgrund hoher Preise und niedriger Produktivität von Stickstoff ist die Produktion von Mais mit Bewässerung in Südafrika relativ teuer. Einer der möglichen Gründe ist die heutzutage fehlende Mais-Soja Rotation in den Betrieben – so dass Mais nicht von den Stickstoff-Rückständen der Leguminosen im Boden profitieren kann. Während des Globalen Forums haben Somporn Isvilanonda (KNIT, Thailand) und Luan Nguyen (Vietnam) Erfolgsfaktoren für die Kleinproduzenten-basierte Reisproduktion aufgezeigt. Thailand und Vietnam sind die mit Abstand größten „Spieler“ im weltweiten Reismarkt. Verlässliche Eigentumsrechte für Land, Zugang zu Krediten und Beratung haben sich, ebenso wie eine leistungsfähige Infrastruktur, als die entscheidenden Erfolgsfaktoren erwiesen.
13
144
Präsentationen vom Globalen Forum können unter http://www.agribenchmark.org/ccc2012.html heruntergeladen werden. (idw) Erstes kooperatives Promotionskolleg Die Technische Hochschule Mittelhessen (THM) und die Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) richten das kooperative Promotionskolleg „Bioressourcen und Biotechnologie“ ein. Es ist auf fünf Jahre angelegt und wird vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst mit 450 000 € gefördert. Das Kolleg führt herausragende Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler in einer strukturierten Ausbildung bis zur Promotion. Die THM, die als Fachhochschule kein eigenes Promotionsrecht besitzt, setzt dabei auf kooperative Lösungen v. a. mit den mittelhessischen Universitäten. Die Doktorandinnen und Doktoranden kommen aus unterschiedlichen Fachrichtungen wie Biotechnologie, Biologie, Lebensmittelchemie, Pharmazie, Biomedizinische Technik oder Agrarwissenschaft, arbeiten im Kolleg an einem gemeinsamen Forschungsthema und erhalten ein attraktives Ausbildungsprogramm. Sie erwerben zusätzlich gemeinsame wissenschaftliche Grundlagen, berufsrelevante Fachkenntnisse außerhalb des eigenen Forschungsbereichs und außerfachliche Qualifikationen. Wissenschaftliche Tagungen, Laborbesuche und Blockkurse bei Arbeitsgruppen im In- und Ausland sowie Seminare mit externen, international ausgewiesenen Gastreferenten binden die Doktoranden in ein länderübergreifendes wissenschaftliches Netzwerk ein. Das kooperative Promotionskolleg basiert auf den erfolgreichen Forschungsverbünden „Biomedizinische Technik – Bioengineering & Imaging“ an der THM sowie „Insektenbiotechnologie“ und „AmbiProbe – Massenspektrometrische in situ-Analytik für die Problem-bereiche Gesundheit, Umwelt, Klima und Sicherheit“ an der JLU. In diesen Schwerpunkten, die im Rahmen der „Landes-Offensive zur Entwicklung Wissenschaftlich-ökonomischer Exzellenz“ (LOEWE) gefördert werden, arbeiten bereits jetzt Hochschullehrerinnen und -lehrer von THM und JLU zusammen. Die bisher entwickelten Schlüsseltechnologien werden im anwendungsorientierten Forschungskonzept des Kollegs gebündelt, erweitert und vertieft. Aufgabe ist es, neben Insekten auch Organismen wie Meerestiere oder symbiontische Mikroorganismen als Ressourcen für neue Moleküle zu erschließen, die für Anwendungen in der Medizin, im Pflanzenschutz oder der Industrie infrage kommen können. Die THM-Professoren Dr. Peter Czermak, Dr. Michael Herrenbauer und Dr. Frank Runkel bringen in die Koope-
13
Mitteilungen
ration ihre Kompetenzen auf den Feldern Bioverfahrenstechnik, Materialwissenschaften und Pharmazeutische Technologie ein. Partner der JLU sind die Professoren Dr. Bernhard Spengler, Dr. Andreas Vilcinskas und Dr. Holger Zorn mit den Arbeitsschwerpunkten Analytische Chemie, Angewandte Entomologie und Biokatalysatoren. In das Kolleg werden zwölf Doktorandinnen und Doktoranden aufgenommen und in drei Jahren zur Promotion an der JLU geführt. Sie werden je gemeinsam von einem Hochschullehrer der THM und der JLU betreut. Das Promotionskolleg vergibt sechs Stipendien, zwei davon finanziert die THM. Die Finanzierung der weiteren Doktoranden erfolgt im Rahmen von Drittmittelprojekten. Projektleitung: Dr. Bärbel Grieb Zentrum für Forschung und Transfer der THM Tel.: + 49 0641-309-1349 E-Mail:
[email protected] (idw) Strategie des Bundes zur alternativen Bekämpfung von Feuerbrand zeigt Erfolge Feuerbrand gehört zu den gefährlichsten Krankheiten im Kernobstanbau in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Südtirol. Ohne eine wirksame Bekämpfung müssen in manchen Jahren ganze Obstanlagen gerodet werden. In der Versuchsanlage ‚Kirschgartshausen‘ des Julius Kühn-Instituts (JKI) informierten sich Ende Mai 2012 Wissenschaftler, Pflanzenschutzmittelhersteller, Obstbauern, Imker sowie Vertreter des Pflanzenschutzes und der Politik. Die vom JKI in Zusammenarbeit mit dem Landratsamt Karlsruhe und dem Landwirtschaftlichen Technologiezentrum Augustenberg seit 1998 durchgeführten Untersuchungen zu Streptomycin-Alternativen zeigen deutliche Erfolge. Bisher gelang es trotz jahrelanger intensiver Forschung nicht, gänzlich auf Streptomycin-haltige Pflanzenschutzmittel zu verzichten. Reges nationales und internationales Interesse galt daher den aktuellen Ergebnissen der Freilandversuche, die in der Versuchsanlage ‚Kirschgartshausen‘ des Julius Kühn-Instituts (JKI) durchgeführt wurden. Es ging darum, Feuerbrand ohne die Verwendung von Antibiotika zu bekämpfen. Freilandversuche mit Feuerbrand hängen stark von den Witterungsbedingungen ab. Das kühle und von Spätfrösten geprägte Frühjahr 2012 führte zu einem guten, überraschend hohen Feuerbrandbefall von 30 % in der unbehandelten Kontrolle und sorgte für aussagekräftige Ergebnisse. Insgesamt wurden 10 Varianten mit mehr als 15 000 Blütenbüscheln an 260 Bäumen ausgewertet. Biologische
Mitteilungen
Alternativen wie der Gegenspieler Erwinia tasmaniensis lieferten in den Vorjahren gute Ergebnisse. Unter dem diesjährigen starken Infektionsdruck konnte E. tasmaniensis – wie häufig bei lebenden Biokontroll-Organismen – sein Bekämpfungspotenzial nicht zeigen. Weitere Forschungen sind geplant, um die Wirkungsgrade zu stabilisieren und zu verbessern. Das Prüfmittel LMA zeigte mit einem nur 10–15 % geringeren Wirkungsgrad als Streptomycin das beste Ergebnis. Der positive Trend aus den Versuchen der zwei Vorjahre konnte bestätigt werden. „Die Versuchsanlage des Julius Kühn-Instituts liegt isoliert außerhalb von Obstanbaugebieten. Jedes Jahr stehen über 400 fest gepflanzte Bäume für die Versuche zur Verfügung, die danach gerodet werden. Damit bietet ‚Kirschgartshausen‘ bundesweit, aber auch international, beste Bedingungen für Feuerbrandversuche“, so der Leiter des JKI-Instituts für Pflanzenschutz in Obst- und Weinbau, Prof. Dr. Wilhelm Jelkmann. Neue Strategien können in ‚Kirschgartshausen‘ praxisnah und standardisiert, d. h. unter optimal reproduzierbaren Bedingungen und nach international gültigen Richtlinien geprüft werden. Alle Versuche werden an dreijährigen Bäumen durchgeführt, von denen einige gezielt mit dem Feuerbranderreger infiziert werden. Ungünstige Nebeneffekte durch Behandlungen des Vorjahres, Rückschnittmaßnahmen oder Baumalter entfallen, da die Quartiere gewechselt und die Bäume nur einmal verwendet werden. Seit 2008/2009 kann starker Trockenheit oder Spätfrösten durch ein fest installiertes System zur Tröpfchen- und Überkronenbewässerung gegengesteuert werden. Die vom Bund seit 2003 in zwei Fünfjahresperioden geförderte Strategie zur Bekämpfung des Feuerbranderregers ohne Antibiotika geht 2012 zu Ende. Weder in Deutschland noch in betroffenen Nachbarländern ist die längerfristige Anwendung Antibiotika-haltiger Pflanzenschutzmittel gewünscht. Alle anwesenden Interessengruppen versicherten daher, die notwendigen weiteren Untersuchungen mit dem vielversprechenden Wirkstoff rasch voranzubringen und eine baldige Zulassung durch das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) zu unterstützen. So zeigte sich nicht nur der anwesende Präsident des Landesverbandes Erwerbsobstbau Baden-Württemberg e. V. (LVEO), Franz-Josef Müller, erfreut von der Aussicht, dass Streptomycin hoffentlich schon in naher Zukunft nicht mehr benötigt wird. (JKI) Die Baumveredelung – ein Pokerface? In vielen öffentlichen Bereichen, bspw. in Parks oder an Straßen, stehen Bäume, die veredelt wurden. In einigen Fällen verwachsen die Veredelungsstellen schlecht. Sie können
145
zu unvorhersehbaren Sprödbrüchen führen und dadurch weitreichende Schäden verursachen. Am Karlsruher Institut für Technologie wurden nun zwei sich ergänzende Methoden entwickelt, um eine Sicherheitsbeurteilung veredelter Bäume zu ermöglichen. Für Bäume in öffentlich zugänglichen Bereichen gibt es eine Verkehrssicherungspflicht, aus der sich bei Baumunfällen u. U. Haftungsansprüche ableiten lassen. Um das Gefahrenpotenzial von Bäumen zu beurteilen, wurde in der Abteilung Biomechanik von Prof. Dr. Claus Mattheck und seinen Mitarbeitern am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) bereits in den neunziger Jahren die Baumkontrollmethode „Visual Tree Assessment“ (VTA) entwickelt. Diese Methode ist heute weltweit verbreitet und dient nicht nur in Deutschland als Grundlage vieler Gerichtsurteile. Von Anfang an wurden ergänzende Untersuchungsmethoden entwickelt und in die Praxis eingeführt. Nun rückten veredelte Bäume in den Fokus. Eine Veredelung ist die künstliche Verbindung eines laubtragenden Edelreises mit einer bewurzelten Unterlage, eine Art Transplantation der gewünschten Baumart auf ein fremdes Wurzelsystem. Baumschulen führen Veredelungen durch, um genetisch identische Edelreise mit bekannten Eigenschaften zu erzeugen. Sie wollen bestimmte Baumarten an Standorte anpassen oder mit krankheitsresistenten Wurzelsystemen ausstatten. „Bei neuen Untersuchungen haben wir festgestellt, dass es bei veredelten Bäumen an schlecht verwachsenen Veredelungsstellen gelegentlich zu Sprödbrüchen kommt“, erläutert Claus Mattheck. „Dieses Versagen ist aus dem äußeren Erscheinungsbild des Baumes nicht vorhersagbar: Eine sichere Veredelung ist von einer gefährlichen visuell nicht immer zu unterscheiden.“ Das Risiko sind nicht-axiale, also quer zum Kraftfluss des Stammes verlaufende Holzfasern, längs derer ein Baum sich plötzlich querspalten kann. Der Baum bricht ohne Vorwarnung auseinander. Am KIT wurden daher zwei sich ergänzende Methoden entwickelt, die einerseits eine stichprobenartige Selbstkontrolle der Baumschulen ermöglichen und andererseits durch eine invasive Stanzkernentnahme vor Ort über das Visuelle hinausgehende Untersuchungen zur Sicherheitsbeurteilung bereitstellen: 1. Fällt man einen veredelten Baum, sägt ihn längs auf und trocknet die Sägeschnitte, so zeigen Anzahl und Klaffung der Trocknungsrisse entlang der Verwachsungsnaht das Risiko an. Auf diese Weise können Baumschulen die Qualität ihrer Veredelungen selbst stichprobenartig kontrollieren. 2. Stanzt man mit einem Locheisen am stehenden Baum in die Schweißnaht, so lassen sich im Stanzkern, aber
13
146
auch im Loch Rindeneinschlüsse als Risikoindikator erkennen. „Auch ein Endkeil am Ende des Stanzkernes deutet auf Holzfaser-Einrollungen, also Querzug senkrecht zur Faserrichtung hin. Das ist das Spaltungsrisiko, das wir alle vom Holzhacken kennen“, ergänzt Mattheck. Die neuen Methoden wurden auf zwei großen Baumdiagnosetagungen in England und Deutschland vorgestellt und stießen auf reges Interesse. Das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts nach den Gesetzen des Landes Baden-Württemberg. Es nimmt sowohl die Mission einer Universität als auch die Mission eines nationalen Forschungszentrums in der Helmholtz-Gemeinschaft wahr. Das KIT verfolgt seine Aufgaben im Wissensdreieck Forschung – Lehre – Innovation. (idw) Diebische Nagetiere sichern tropischen Bäumen das Überleben In den Neotropen Mittel- und Südamerikas findet man zahlreiche Pflanzenarten, deren besonders große, saftige Früchte ursprünglich nur von großen Säugetieren des Pleistozäns gefressen und über weite Entfernungen durch Ausscheiden verbreitet werden konnten. Doch diese Großtiere starben vor über 10 000 Jahren aus, und es stellt sich die Frage, warum mit ihnen nicht auch die an sie angepassten Pflanzen verschwunden sind. Obwohl Nager bislang als schlechte Samenverbreiter gelten, konnten Patrick Jansen vom Smithsonian Tropical Research Institute in Panama, Martin Wikelski vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell und ihre Kollegen nun zeigen, dass die tropische Nagerart Agouti Dasyprocta punctata die Rolle als Samenverbreiter übernommen hat. Mittels Video-Monitoring der Verstecke und Besendern von über 400 Früchten fanden sie heraus, dass diese Tiere, die auch fremde Vorratslager plündern und die Vorräte immer wieder neu verstecken, so die Samen in einem Umkreis bis zu 280 Metern von ihrem Ursprungsbaum entfernt verteilen. Die erfolgreiche Samenverbreitung ist für Pflanzen von wesentlicher Bedeutung. Gefährdet durch Fressfeinde und Krankheiten benötigen sie eine Verbreitung über weite Distanzen, auch um den Gen-Austausch zwischen Populationen zu gewährleisten und um neue Gebiete zu besiedeln. Die tropischen Wälder Mittel- und Südamerikas sind reich an Waldpflanzen, die saftige Früchte mit großen Samen tragen, ganz ähnlich den Früchten, die in den Paläotropen, den tropischen Gebieten Asiens und Afrikas, von großen Säugetieren mit einem Gewicht von mehr als einer Tonne gefressen und
13
Mitteilungen
dadurch verbreitet werden. Daher nahmen Ökologen bisher an, dass die Pflanzenwelt der Neotropen an eine Verbreitung durch die Megafauna, wie etwa das am Ende des Pleistozäns vor etwa 10 000 Jahren ausgestorbene Rüsseltier Gomphotherium, angepasst war. Wenn die Wälder der Neotropen im Pleistozän tatsächlich von der Megafauna abhingen, stellt sich die Frage, wie sie bis heute ohne ihre Verbreiter überleben konnten. Patrick Jansen und Roland Kays, Wissenschaftler am Smithsonian Tropical Institute, Martin Wikelski vom Max-Planck-Institut für Ornithologie und ihre Kollegen haben untersucht, ob Agoutis die Rolle des Gomphotheriums übernommen haben. Diese Nagerart von der Größe eines Hasen, die häufig in den Wäldern Panamas anzutreffen ist, vergräbt eine oder mehrere Früchte als Nahrungsvorrat in flachen Verstecken. So liegen die Samen geschützt und haben ideale Keimbedingungen. Allerdings graben Agoutis versteckte Früchte immer wieder aus und verbuddeln sie an anderer Stelle neu oder fressen sie sofort. Dabei stehlen sie auch oft die Vorräte ihrer Artgenossen, so dass eventuell kein Samen bis zum Keimen liegen bleibt. Daher bezweifelten Forscher bisher, dass sie effektive Samenverbreiter sind, zumal Agoutis die Früchte nur über kurze Entfernungen weitertransportieren, zu wenig, um der Baumart eine Besiedelung neuer Areale zu ermöglichen und Konkurrenzdruck auszuweichen. Die Wissenschaftler um Patrick Jansen fragten sich daher, in welchem Umfang diese Nagetiere ihre weit verstreuten Vorratslager anlegen, welchen Weg die Samen tatsächlich nehmen, und ob Agoutis die Rolle als Samenausbreiter tropischer Wälder übernehmen und somit die ausgestorbene Megafauna ersetzen konnten. Sie befestigten an über 500 Samen einer Palmenart kleine Radio-Sender. 85 % der so beobachteten Saaten wurden davongetragen und zunächst ein paar Meter vom Fundort entfernt eingegraben. Durch eine Video-Überwachung der Verstecke konnten die Wissenschaftler beobachten, wie die meisten Samen wieder hervor geholt, nicht gefressen, sondern weiter getragen und erneut eingegraben wurden. Diese Prozedur wiederholte sich durchschnittlich bis zu acht Mal durch mehrere unterschiedliche Tiere, 84 % der Samen wurden von anderen Agoutis gestohlen. So entstanden Transportwege von annähernd 900 Meter Länge. „Eine Frucht war besonders „reisefreudig“: 36 Mal versteckt, reiste sie mehr als 750 Meter und endete 280 Meter vom Startpunkt entfernt“, berichtet Patrick Jansen, „ 209 Tage nach dem ersten Fund wurde sie dann ausgegraben und gefressen.“ Letztlich endeten 35 % aller besenderten Samen weit über 100 Meter entfernt von ihrem Fundort. Bis zur Reife neuer Früchte im folgenden Jahr, mit der die Nagetiere das Interesse an den alten Vorratslagern verloren, überdauerten annähernd 14 %. „Agoutis verteilen Samen in einem Ausmaß, wie wir es uns nicht vorstellen konnten“, sagt Patrick Jansen. „Sie sind tatsächlich effektive Samen-
Mitteilungen
ausbreiter.“ Zwar überwinden sie nicht die weiten Distanzen der urzeitlichen Megafauna, doch ist diese weit gestreute Samenverteilung der an einer Stelle konzentrierten Ablage in einem Dunghaufen eines Gomphoteriums überlegen. Die sekundäre Samenausbreitung durch wiederholtes Aus- und Eingraben von Nagetieren wie Agoutis könnte eine Erklärung für das Überleben von neotropischen Bäume mit großen Früchten sein, denn bereits lange vor dem Pleistozän gab es diese wechselseitige Beziehung zwischen Nuss tragenden Bäumen wie der Paranuss und Nagetieren.
147
Originalveröffentlichung: Jansen, P. A., Hirsch, B. T., Emsens, W. J., Zamora-Guitierrez, V., Wikelski, M. and Kays, R. Thieving rodents as substitute dispersers of megafaunal seeds PNAS, 16. Juli 2012, online veröffentlicht Kontakt: Prof. Dr. Martin Wikelski Max-Planck-Institut für Ornithologie, Teilinstitut Radolfzell Tel: +49 07732 1501-62 E-Mail:
[email protected] (idw)
13